UnAufgefordert Nr. 66

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Die Studentenzeitung der Humboldt Universität 7. Jahrgang 10. Mai 1995

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Das ist Ausgabe Nummer 66 der Studentenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin vom 10. Mai 1995.

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Die Studentenzeitung der Humboldt • Universität 7. Jahrgang

10. Mai 1 9 9 5

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Die dritte. Seite-

EditorialDie Recherchen für den Titel dieser Ausgabe begannen genau genommen bereits vor

einem Jahr. Damals wollte eine Gruppe Studenten im Rahmen eines Projektes vonUnAUFGEFORDERT einen Film über die Bücherverbrennung an der Berliner-Universitätdrehen. Man suchte per Zeitungsannoncen Zeitzeugen, forschte in Archiven nach Doku-menten, Bildern und Filmmaterial - wurde auch in allem fündig und scheiterte am Endean der übergroßen Aufgabe. Die Materialien, die uns seitdem vorlagen, öffneten unsdiesmal viele Türen. Aus Koblenz und vom Bildarchiv Berlin erreichten uns zum Teil bisherunveröffentliche Fotos von der Bücherverbrennung auf dem Opernplatz, aus verschiede-nen Orten Deutschlands bekamen wir Zuschriften mit Schilderungen des Geschehens am10. Mai 1933 und als wir nach Angehörigen der HUB suchten, die auch schon vor 1945hier studierten, rannten wir offene Türen ein. Prof. Tembrock, Prof. Kirsche und Frau Kir-sche sei an dieser Stelle herzlich gedankt für ihre Unterstützung. Prof. Tembrock setzte sichnach einem mehrstündigen Gespräch über den Universitätsalltag während des Kriegesnocheinmal hin, um seine Eindrücke für uns aufzuschreiben. Und als wir bei Kirsches inPätz bei Berlin saßen, wurde Geschichte aufeinmal wieder lebendig: Der Tisch, um denwir saßen, hatte vor fünfzig Jahren eine andere Funktion: Er wurde von den Russen kurzvor Kriegsende als Operationstisch benutzt.

Entgegen dem Einheitsbrei der Vergangenheitsbewältigung mit Obersättigungseffekt,der gegenwärtig die deutsche Medienlandschaft beherrscht, interessierte uns eine Frage,die von den Ritualen um den 8. Mai zugedeckt wird: Es deutet sich ein Generationskon-flikt an, wie nach dem Jahr 1995 mit dem Thema Nationalsozialismus umgegangenwerden soll. Ist den Nach-Nach-Geborenen mit der nach wie vor verdeckten Schuldfrageüberhaupt noch das Geschehen vor 1945 zu vermitteln?

Die Klammer der 26 Seiten Titelgeschichte in diesem Heft geht daher von 1933 bis1945 und bleibt hier nicht stehen. Uns interessiert auch die Verkrampfung der Deutschen,die sie nach fünfzig Jahren immer noch befällt, wenn sie sich an ihre jüngste Geschichteerinnern (müssen).

Ganz einseitig ist diese dickste aller UnAUF's aber nicht: Als Frau Dürkop Mitte Aprileine ihrer gefürchteten Presseerklärungen losließ, um diesmal über FU-Präsident Gerlachherzuziehen, war es höchste Zeit, nach Dahlem zu fahren um nachzufragen, warum diePräsidenten der Berliner Universitäten nicht mehr miteinander reden wollen. Die Antwortdes im Wahlkampf steckenden Gerlach, der sich richtig auf uns freute, um Dampf abzu-lassen, war eindeutig: Wenn Frau Dürkop diesen Stil wünscht, kann sie ihn haben. UndHerr Erhardt freut sich...

Fast im verborgenen greift diese Nummer auch ein sehr verschwiegenes Thema auf.Daß Studenten jobben müssen, ist allgemein bekannt. Daß sie dabei auch in Berufszwei-gen zu finden sind, wo man sie kaum vermutet, schon weniger. Nach langen Recherchenund Gesprächen war ein Callboy, der an der FHSS Sozialarbeit studiert, bereit, überseinen ungewöhnlichen Nebenverdienst zu berichten.

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Inhalt

Politik

|:!;lj| Kommt die BAföG-Erhöhung? 4

II1;:;' Semesterticket ad6 ? 5

:": Interview mitiiJ: FU-Präsident Gerlach 7

ite Probleme an der Charit^ 12Hli i l l Innenhofbegrünung 13

Studieren| l ; | | Studieren in der Westbank 15

ijjf: Schwierigkeiten, eine Fremdsprache( an der HUB zu lernen 17

| | ' Moneteninfo: Nochmal BAföG 18

::•.:• Ökologie nicht nur;!.••:;:, bei den Biologen 19

•!>; NjuhsStudieren 21

Titel| : | | Kunst und Denkmäler. 22

I I I Zeitzeuge Prof. Tembrock 25

B;:,:! Zeitzeuge Prof. Kirsche 32

Ü:i'% Fernbetreuung von Studenten im( : Zweiten Weltkrieg 35

;::!S Neue Ausstellung in Buchenwald...38

p;:: Denkmal für die ermordetetn Judenii l l ! in Europa 41

I I I Neue Ausstellungen zum Titel -111 thema 42

Kultur," i ' Film: „Vanya on 42nd Street" 45

i Ausstellung: Rundgang durch dieFilmgeschichte 50

Leben in BerlinInterview mit einem Callboy. 46

Streit um die Neue Wache 49

Wohnen im Prenzelberg 52

RubrikenLeser. 51

Impressun 51

Rätsel entfällt

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Politik

Prozente-PokerHat die 7 7. BAföG-Novelle doch eine Chance?

oder Mehr Geld ab Herbst '95?

Das BAld mehr FÖrderungs-Gerangel nimmt kein Ende - ebensowe-

nig wie das Warten der privilegierten(weil geförderten) Studenten aufrealitätsnähere BAföG-Sätze. Seit nun-mehr zwei Jahren gab es keine Anpas-sung der Förderungssätze an die Ent-wicklung der Lebenshaltungskosten, derdamit verbundene reale Kaufkraftverlustder Schüler und Studenten seit 1993beträgt nach den Worten von Branden-burgs Kultusminister Steffen Reiche be-reits 4,5%.Hinter den Kulissen, am großen Spiel-

tisch des Finanzministers, spielt sich dasProzente-Poker rund ums BAföG eherim Stillen ab, unter freiwilligem Raus-halten der Öffentlichkeit. Im September1993 hatte die Regierung 2% geboten,die SPD wollte 4% durchsetzen - beidekonnten sich nicht einigen; wie auch,schließlich war Wahlkampf. Währenddessen sagten die Studenten: „Passe!".Und so blieb zunächst erst einmal alles,wie es war. Ein unbefriedigender Zu-stand; so nimmt es nicht wunder, daßim letzten halben Jahr derDruck auf die Regierungwuchs, endlich eine Erhö-hung des BAföG vorzuneh-men. Der Druck kam vor al-lem von Seiten der „BAföG-Profis", also vor allem von denStudentenwerken, von den Berat-ungseinrichtungen an den Universitäten,der GEW und sogar von denBAföG-Ämtern, und wenigervon denen, die in den Genußder Förderung kommen wol-len. Dies ist angesichts derimmer klarer zutrage treten-den Lethargie der Studentenbei Verteidigung ihrer Inter-essen wohl leider kein Wun-der. Eine Rolle dabei spieltsicher auch der Fakt, daßder Anteil der gefördertenStudenten 1994 auf demniedrigsten Stand seit Ein-führung des BAföG ange-

langt ist, nämlich bei 18%. Die restlichen82% sagen sich wahrscheinlich, das be-trifft mich eh nicht und schweigen feinstill.

Anfang März bot ZukunftsministerRüttgers vier, die SPD forderte der-

weil sechs Prozent, bzw. vier rückwir-kend zum Herbst 1994. Am 26. April goßdie Union ihren Vorschlag in die Formeiner Kabinettsvorlage. Somit wurdevom Bundeskabinett eben diese vierpro-zentige Erhöhung der Bedarfssätze undebenso der Elternfreibeträge ab Herbstdiesen Jahres beschlossen.Auf den ersten Blick ist der Zustand

jetzt ähnlich der Situation im Herbst letz-ten Jahres. Die BAföG-Novelle bedarfder Zustimmung vom CDU-dominiertenBundestag und vom SPD-bestimmtenBundesrat. Beim genaueren Hinschau-en offenbaren sich allerdings einigeFeinheiten. Zum ersten könnte die nachder Bundes-tagswahl

arg geschrumpfte Mehrheit der Koaliti-on im Bundestag schon die erste Hürdesein, denn ultrakonservative Abgeord-nete haben bereits die Idee auf's Tapetgebracht, das BAföG ganz abzuschaffen,getreu dem konservativen Credo vomschlanken Staat und mehr Eigenverant-wortung. Die haarsträubende Begrün-dung dabei: Dieser Etatposten sei mitt-lerweile so klein, daß ein Streichen ver-schmerzbar •wäre.

Der Vorsitzende der CDU/CSU-Frakti-on und als Kronprinz von Kohl gehan-delte Wolfgang Schäuble machte kürz-lich seine Idee publik, eine Art Studien-vorfinanzierung vergleichbar zum Sy-stem in den USA als reinen Bankkreditzu gewähren. Neben der stärkeren Zins-belastung und der damit verbundenenBenachteiligung sozial Schwächerer wä-ren das Ergebnis eine Verarmung derStudienlandschaft, denn es ist im Sinneder Marktwirtschaft logisch, daß die Ban-ken nur solche Studienrichtungen finan-

zieren, bei denen die Wahr-scheinlichkeit, das Geld zu-rückzubekommen, relativgroß ist, z.B. Zahnmedizinoder BWL.

Zum zweiten ist aucheine Veränderung im

Verhalten der SPD spürbar.Rüttgers meinte kurz und

bündig, mehr als die-se 4% seien nichtfinanzierbar unddie SPD solle ihre

Verweigerungshalt-ung aufgeben, denn

im Bundesrat hat siedie Mehrheit und könn-te so wiederum das Ge-setz auf Eis legen durchAnrufung des Vermitt-lungsausschusses .Wahrscheinlicher je-

doch ist die Zustim-mung, wofür es m. E.drei Gründe gibt. Er-

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Politik.stens wäre der Gesichtsverlust für dieSPD verschmerzbar, handelt es sich dochbei dem Vorschlag des Kabinetts exaktum den von der SPD im letzten Herbstgeforderten Betrag. Zweitens gibt es in-nerhalb der SPD immer mehr Stimmen,wie beispielsweise die des genanntenSteffen Reiche, die, um wenigstens über-haupt eine Verbesserung zu ermögli-chen, die Annahme des Vorschlages for-dern. Und letztens erlahmt der Elan na-türlich auch ob des Fehlens jeglicherUnterstützung durch die Gefördertenbzw. Um-Förderung -Bemühten selbst.Peter Deutschmann von der Studenti-schen BAföG-Beratung der HUB meintdann auch, daß „diejenigen, die eine Er-

höhung durchsetzen wollen, natürlichfrustriert sind, wenn die eigentlich Be-troffenen sich nicht rühren."

Das Echo auf den Kabinettsbeschlußin der Presse war recht groß, was

zeigt, daß die meisten Kommentatorendavon ausgehen, daß diese Fassung imHerbst in kraft tritt, was kurz und knappbedeutet, daß die Höchstsätze ab Herbstim Osten 980 und im Westen 990 DMbetragen werden. Das bedeutet Mehr-belastungen des Bildungshaushaltes vonca. 95 Mio in diesem und weiteren 300Mio. DM im nächsten Jahr. Allerdingssind die Fachleute nicht ganz so optimi-stisch. Der Chef des BAföG-Amtes in der

Behrensstraße, Dr. Brickwell, lehntedann auch jegliche Stellungnahme zudieser Fassung ab, mit der Begründung,daß „es sich dabei, solange diese Ge-setzes-Novelle nicht verabschiedet ist,nur um Spekulationen handeln kannund ich nicht möchte, daß sich falscheZahlen in den Köpfen festsetzen. Rufensie mich noch mal in vier Wochen an!"Was wir tun werden, deshalb gibt's inder nächsten Ausgabe der UnAUF einInterview mit Herrn Brickwell. Hoffent-lich sind die Bonner Strategen in derLage, zumindest bis dahin eine konkre-te Situation geschaffen zu haben, auf-grund der es sich diskutieren läßt.

ojoff

Semesterticket ade ?Am 25. April hat die "Semtix-Koordinationsgruppe" die seit einem Jahr laufendenGespräche mit der BVG über die Schaffung eines Semestertickets abgebrochen. Damitist der geplante Termin für die Einführung eines preiswerten Studententickets für dieöffentlichen Verkehrsmittel zum Wintersemester!995 erst einmal geplatzt.

Noch wenige Tage vor dem Verhand-lungsabbruch hatte der Verhandlungs-führer von Semtix, die in diesem Falledie Interessen von 140 000 Berliner Stu-denten vertritt, gegenüber der BerlinerZeitung gemeint, daß "wir an der TUschon bei den StuPa-Wahlen im Juni eineUrabstimmung durchführen" könnten.Auch die BVG war optimistisch: "Vonuns aus könnte es zum kommendenWintersemester klappen."

Beide Seiten schienen das Semester-ticket zu wollen. Das es dann doch nichtso kam, lag wie so oft im Detail. DasSemesterticket-Modell, daß bereits viel-fach in westdeutschen Universitäts-Städ-ten, wie Bonn oder Hamburg, erfolg-reich läuft, beruht darauf, daß die Stu-denten der Berliner Hochschulen einenerhöhten Studentenschaftsbeitrag zah-len, mit dem sie dann das Recht erwer-ben, ein Semester lang nur mit Perso-nal- und Studentenausweis die BVG zunutzen. Eine Wertmarke wäre dann nichtmehr notwendig. Die im Vergleich zuden jetzigen Azubi-Tarifen niedrigerenPreise ergeben sich aus der Tatsache,daß alle Studierenden diesen Beitragentrichten, währenddessen laut Erhe-

bungen der BVGbzw. Semtix nurknapp zwei Dritteldie öffentlichen Ver-kehrsmittel tatsäch-lich regelmäßig nut-zen.Und genau hier

liegt der Knack-punkt. Beide, BVGwie auch Semtix,wollen Kosten-neutralität. Das zubeweisen, haben siekomplizierte Ko-sten/Nutzen-Rech-nungen aufgestellt,die in ihrem Ergeb-nis um mindestens50 Mark auseinan-derliegen. 205 DMpro Student und Se-mester strebt dieBVG an, um die an-gebliche Kosten-neutralität zu wah-ren; das Rechnungs-modell von Semtixsieht einen Preis

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Politik

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zwischen 100 und 150 DM vor.Beide Kalkulationen gehen davon aus,

daß ca. 63% aller Studenten Berlins dieBVG regelmäßig nutzen. Die (erhebli-chen) Unterschiede liegen in den An-nahmen, wie regelmäßig sie das tun, d.h.wieviele Studenten sich Einzelfahr-scheine kaufen, mit Azubi-Monatskartenfahren oder gleich das Azubi-Jahresabonutzen.

Semtix hat nach verschiedenen Erhe-bungen über die Nutzungsverteilung derobengenannten drei Varianten ausge-rechnet, daß pro Semester durchschnitt-lich vier Monatswertmarken zu einem(aus der Ost-West-Tarif-Gewichtung so-wie Preisverhältnis der Monatsmarkenzum Abo gebildeten) Mittelwert von49,50 DM gekauft werden. Da heißt also,daß schon jetzt diese 63% durchschnitt-lich 200 DM pro Semester zahlen. Um-gerechnet auf 100% der Semesterticket-Variante müßten also etwa 130 DM ge-zahlt werden, um kostenneutral zu sein.Würden aber, wie es die BVG fordert,100% der Studierenden 200 Mark zah-len, käme ein erklecklicher Gewinn fürdie BVG dabei heraus - und die Studen-ten hätten nichts gewonnen. Kein Wun-der also, daß Semtix die Vermutung äu-ßert, die BVG wolle auf Kosten der Stu-denten ihren Haushalt sanieren.

Das sieht die BVG natürlich anders. Inihrer Rechnung meint sie beweisen zukönnen, daß z. Zt. durchschnittlich sechsmal im Semester 53,60 DM gezahlt wer-den - insgesamt also ca. 320 DM(Semesterticketpreis bei 100% dement-sprechend 205 DM). Interessant dabeiist die Annahme, daß ca. 2500 BerlinerStudenten so blöd sind, durchschnittlich47 mal pro Monat einen Einzelfahrscheinim Ost-West-Durchschnittspreis von 3,41DM zu kaufen, monatlich knapp 160Mark. Die würden natürlich bei demBVG-Semesterticket das Geschäft ihresLebens machen und 755 DM pro Seme-ster sparen.

Bei der Realitätsferne dieser Annahmescheint die Vermutung von Semtix rea-listisch, die BVG wolle unter keinenUmständen unter 200 DM gehen, undhabe deshalb ihre Realität diesem Wertangepaßt und nicht umgekehrt.

In der Presseerklärung von Semtix zumAbbruch der Verhandlungen heißt esdann auch, die BVG versuche, dasSemesterticket zu blockieren. Die Ver-kehrsgesellschaft, die eigentlich bemühtsein müßte, mehr Kunden für das Um-steigen in die Öffentlichen zu interes-sieren, hat womöglich Angst vor dem

Ansturm der Studenten. PressesprecherWatzlack formuliert es so: "Wenn wir aufbestimmten Strecken dann die Kapazi-tät verdoppeln müssen, rechnet sich dasbei diesem Preis nicht mehr."

Wieder einmal beweist Berlin seinenprovinziellen unflexiblen Charakter.Derzeit gibt es in der Bundesrepublikmehr als zwanzig Semestertickets, Ten-denz steigend. "Es läßt sich absehen, daßdie Hauptstadt mit ihren drei Universi-täten und einem Dutzend Fachhoch-schulen einer der letzten Hochschul-standorte sein wird, der ein solches Tik-ket einführt." Traurige Bilanz von Sem-tix.

Dabei brächte die Einführung einesSemestertickets auch Vorteile für dieBVG. Immerhin bezahlen alle, während-dessen nur knapp zwei Drittel wirklichdie U-Bahn & Co. nutzen. Hinzu kommtdie Einsparung an Verwaltungsaufwandbeim Verkauf der Wertmarken, der nachBVG-Angaben erstaunliche 15% beträgt.Auch die Auslastung der öffentlichenVerkehrsmittel wäre besser, da Studen-ten meist nicht zur rush-hour fahren.Und letztendlich käme so Semester fürSemester ein fest kalkulierbarer Postenin die BVG-Kasse, der auch noch imVoraus entrichtet wird, ein finanz-technisch nicht zu unterschätzender Fak-tor.

Noch ist allerdings nichts verloren,auch wenn die Zeit drängt, denn dieOrganisation der notwendigen Urabstim-mungen an den Hochschulen kostet Zeitund Geld. "Sofern nachvollziehbareKalkulationen vorliegen, sind wir jeder-zeit zur Wiederaufnahme der Verhand-lungen bereit", läßt Semtix die BVG inihrer Prsseerklärung wissen. Wie esweitergehen soll, ob und wie Druck vonSeiten der Studentenschaft gemachtwerden kann, sollen am 17. Mai berlin-weite Vollversammlungen klären. An derHUB findet diese am Mittwoch, dem 17.Mai, um 12 Uhr im AudiMax statt.

Es gibt Beispiele dafür, wo Drohun-gen der Studenten in ähnlicher Situati-on an anderen Städten, die Innenstadtzuzuparken, ein Einlenken der Stadt-väter und -mütter erzwang. So vieleAutos werden die Studenten Berlinszwar nicht haben, aber bestimmte Be-reiche der City mit 100 000 Fahrrädernlahmzulegen, wäre doch auch recht ein-drucksvoll...

ojoff

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Politik

„Persönlich beleidigteEmpfindlichkeit"

Interview mit FU-Präsidenten Gerlach über den Streit um dasJustizprüfungsamt, den Sparmaßnahmen an den Berliner

Universitäten und die Schwierigkeit der Universitäts-Präsidenten,miteinander zu reden.

UnAUF: Frau Dürkop hat Mitte Aprileine Presseerklärung abgegeben, inder sie schreibt, daß der Präsidentder FU sich in unhaltbaren Verdäch-tigungen gegenüber der juristischenFakultät der Humboldt-Universitätergeht und eigene Wahlinteressenseinen sachlichen Blick trüben...

Gerlach: Peinlicher kann man sichnicht äußern. Das ist ungefähr das glei-che Niveau, mit dem die Justizsenatorinmir, weil ich sie mit einem Skandal kon-frontiere, Skandalierung vorwirft. Ichhabe in der ganzen Auseinandersetzungkeine Silbe gegen die HUB gesagt, undauch keinen Kollegen, geschweige denndie Präsidentin, angegriffen. Mir geht es

um die seriöse Funktion des Prüfungs-amtes und die nötige Chancengleichheit.Daß man aus meiner Kritik am Justiz-prüfungsamt (JPA) einschließlich derpraktizierten Ungleichbehandlung derHUB einerseits und der FU andererseitseinen Angriff gegen die HUB macht, isteine Verdrehung.Was hat Sie denn überhaupt bewo-

gen, sich derartig öffentlichkeits-wirksam in die Diskussion der bei-den juristischen Fakultäten einzumi-schen?

Ich bin erst zu dem Thema gekommen,weil ich ganz konkrete Anhaltspunktevon Examenskandidaten dafür hatte,daß der Präsident des JPA gut zwei Wo-

Wenn zwei sichstreitenErhardt

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, freut sich• •••

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der

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chen vor einer Examensklausur derenInhalt in einem Repetitorium an der HUBim wesentlichen besprochen hatte. Daswar und ist für mich unhaltbar.

Herrschaftswissendes JPA

Die Justizsenatorin hat diesen Tatbe-stand zunächst in Abrede gestellt. Derbesprochene Fall ließe schon wegen sei-ner anderen „Einkleidung" eine Ähnlich-keit vermissen. Dann haben die Studen-ten in Anwesenheit des Wissenschafts-senators wiederholt, was sie mir berich-tet hatten. Und auf die schriftliche Mit-teilung dieser Aussagen schrieb mir dieSenatorin, gleiches habe ihr der Präsi-dent des JPA auch schon mitgeteilt,womit sie dessen Vorgehen implizit fürkorrekt erklärt.

Das ist in meinen Augen ungeheuer-lich - zunächst wird ein Vorgang geleug-net und wenn dies nicht mehr geht, wirder auch noch für rechtens erklärt!Wenn der JPA-Präsident in dem Wis-

sen um eine konkrete Examensaufgabeden betreffenden Stoff an einem ande-ren Fall vorher im Repetitorium behan-delt, dann ist das kein Zufall, wie er sonstim Repetitorium vorkommen kann, son-dern eine „Zufallssteuerung", die völligregelwidrig ist.Das ist das Problem, und das hat zu-

nächst überhaupt nichts mit der HUBzu tun.Sie bleiben bei ihren Vorwürfen

gegenüber dem Justizprüfungsamt?

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8 Politik

Unbedingt. Der Präsident des JPA willseine Äußerung, die er in diesem adrejw-Artikel gemacht hat, so verstandenwissen, daß er natürlich nicht die jewei-ligen Fälle abgleicht, sondern nur denFallstoff. Aber das ist genau die Frage,wie konkret er das macht. Denn wenndies sehr konkret geschieht, dann warder, der an diesen Kursen teilgenommenhat, regelwidrig begünstigt.

Und wenn dieser Zustand nun legiti-miert wird, dann müßte jeder Examens-kandidat, der Verstand hat, nur zu die-sen Repetitorien gehen. Es gäbe eineWanderbewegung zu den JPA-Repetito-rien wegen ihres Herrschaftswissens.Die FU hat Repetitorien des JPA mit

der Begründung abgelehnt, daß diePrüfer des JPA zur Durchführungvon Lehrveranstaltungen nicht aus-reichend qualifiziert 'wären.Als Präsident der FU kann ich kein

Urteil über die Qualität der Prüfer desJPA in Sachen Lehre abgeben.

Aber das entscheidende Problem liegtnicht in deren Lehrqualität und wirdauch nicht dadurch behoben, daß dieJPA-Mitglieder einmal an der HUB ihreKurse anbieten und einmal an der FU.Das wäre, wenn man es wirklich somachte, wie es denen offenbar vor-schwebte, eine ständige Karawane. AlleJura-Studenten in Berlin in Examensnähemüßten gefälligst dorthin gehen, wo die-se JPA-Prüfer sind, denn die haben dasHerrschaftswissen.Halten Sie es denn generell für

sinnvoll, wenn Praktiker der Justiz,

also beispielsweise Richteroder Rechtsanwälte in dieExamensvorbereitung einbe-zogen werden?Ja. Schon allein deswegen, weil

auch das erste Examen eine ge-wisse praktische Komponentehat, und wenn man die respek-tiert, dann sollen auch Praktikerlehren. Ich fände es sogar sinn-voll, wenn Leute aus dem JPAnach einem erfolgten Examens-termin anschließend anhand derausgegebenen Klausuren ihreVorstellungen von deren ange-messener Behandlung darböten.Das wäre ein Einblick in diekonkrete Prüfungspraxis desJPA. Das hätte informativenWert, man würde auch die Per-sonen kennenlernen usw.

Wäre das ein Weg, wie derStreit zwischen beiden Uni-versitäten geschlichtet wer-

den könnte?Ich denke, daß beide Fakultäten zu

einem derartigen Verfahren und viel-leicht zu einem gemeinsamen Repetito-rium bereit sein könnten.

GemeinsamesRepetitorium von FUund HUB

Warum dann die ganze Aufregung?Die Senatorin hat sich voreilig

falsch festgelegt und beharrt nundarauf. Ich habe die Senatorin vordiesem Fall auch für eine vernünf-tige Person gehalten, und mit demJPA-Präsidenten hat mich nie einKonflikt verbunden. Es geht hiernicht um irgendwelche abwegigenpersönlichen oder politischenRechnungen. Aber man tritt mirgegenüber so auf, als sei der, derauf ein Problem aufmerksam »macht, der Übeltäter.

Ich hätte genauso gehandelt,wenn der Fall andersherum pas-siert wäre. Stellen Sie sich vor, hiersitzen Studenten vor mir und er-klären mir ihre Beschwerden. Ichhabe doch eine Pflicht ihnen ge-genüber, und die Senatorin ver-kennt völlig, daß sie auch einePflicht allen Studierenden gegen- jfüber hat, so daß sie den Vorgang

nicht als einen Politkampf zwischen ei-ner Universität bzw. mir und sich be-trachten kann. Das ist unseriös.

Ich verstehe auch nicht, daß die Kolle-gen von der HUB nicht merken, daßdurch solche Regelwidrigkeiten des JPA-Präsidenten ihre eigene Integrität in Fra-ge gestellt wird. Erst die unterbliebeneeigene Reaktion darauf und die persön-lich beleidigte Empfindlichkeit danachhaben zu einem Konflikt zwischen denbeiden Fakultäten geführt, der unnötigist.

Glauben Sie wirklich, daß die gerin-gere Durchfallquote an der HUB nurauf die drei Mitarbeiter des JPA zu-rückzuführen ist?

Wie käme ich dazu? Es ist ja durchausso, daß die HUB in der Aufbauphase inden höheren Semestern wenig Studen-ten hatte und in den ersten Semesterndurch einen numerus clausus eine über-schaubare Anzahl neu zugelassen war.So konnte man eine ganz gute Betreu-ung anbieten. Ich denke schon, daß esvon den objektiven Quantitäten und vonder Aufbaueuphorie - wie vielleicht auchvon einer besonderen Verantwortungdes Lehrkörpers her - Umstände gibt, dieerklären, warum die HUB besser dasteht.

Im übrigen sind hohe Durchfallquotennoch kein Ausweis für eine großartigeKultur des Examens und seiner Neutra-lität, wie umgekehrt die universitärenPrüfungen mit ihren geringen Durchfall-quoten noch nicht für falsche übermä-ßige Vorinformationen stehen.

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Politik

Die HUB stehtbesser da

Rechnen Sie mit Klagen gegen eineKlausur?

Ich kann mir vorstellen, daß der eineoder andere nach Rückgabe der betref-fenden Klausur auf das Problem derUngleichbehandlung hinweist. Und ichgehe davon aus, daß, wenn eine kon-krete Beschwerde faßbar ist, die Gerichteniemals akzeptieren, was sich hier ab-gespielt hat. Aber es ist noch eine ande-re Frage, ob man seine schlechte Notedamit relativieren kann, daß anderswo30 Leute in einem Repetitorium regel-widrig vorbereitet worden sind. Das istein Problem für sich, und ich kann mirvorstellen, daß die Gerichte das trennen.

Die Klausur im UN-Kaufrecht sollaber wiederholt -werden?

Die Justizsenatorin spricht davon, daßden FU-Studenten wahlweise eine zwei-te Klausur angeboten werden soll. Dashat sie mir zwar nicht schriftlich gege-ben, aber im Rechtsausschuß erklärt. Dasist ein typisches Einlenken nach demMotto: Ruhe vor Problemlösung. Denndas Problem liegt bei der fehlenden Ko-ordinierung. Der Präsident des JPA kenntdas Problem der Koordinierung. Es wärenatürlich richtig gewesen, bei einerKlausuraufgabe, die aus dem BereichHU kommt, sich bei FU-Kollegen zu er-kundigen, ob die Aufgabe auch für FU-

Studenten geeignet ist. Statt-dessen hat er bei den Hum-boldt-Kollegen rückgefragt.Da sehen Sie eine personelleVerwobenheit, die offenkun-dig zu unangemessener Amts-ausübung führt.Die Justizsenatorin

schlägt auch vor, die soge-nannten „kleinen" Wahlfä-cher - Rechtssoziologie,Rechtsgeschichte, Völker-recht usw. - nur noch aneiner Universität anzubie-ten.

Das hört sich an, als redeteder Finanzsenator vom Abbauvon Doppelangeboten. InWirklichkeit erfüllt das JPAseine eigene Koordinierungs-aufgabe nicht, und damit eskeine mehr hat, soll irgend-wo ein Bereich abgeschafftwerden. Das ist ja nun nichtgerade ein Beitrag zum sinnvollenUniversitätsaufbau. In den anderen Bun-desländern klappt die Koordinierung.

MehrPraxisanschauung imStudium

Finden Sie es generell sinnvoll, denprivaten Repetitorien das Wasser ab-zugraben?

Grundsätzlich ja. Aber dasProblem liegt woanders: Esgibt Professoren, die meinen,wenn sie auch Geld für ihreLehre nähmen, würden die Stu-denten auch besser lernen. Ichmeine jedoch, daß gute Repe-titoren sich zum Gelderwerbenorm einsetzen, währendnicht alle Professoren einegeldwerte Examensvorbe-reitung leisten. Da wir an denUniversitäten kein Zusatzgehaltzur Honorierung guter Lehrevergeben können, müssen wirvor allem die ideelle Kompo-nente stärken, so daß sich ins-gesamt die Professorenschaftallgemein für den Lehrerfolgmehr verantwortlich fühlt.Dazu gehört auch eine stärke-re wissenschaftlich-universitä-re Orientierung bei dem erstenStaatsexamen. Es kann nicht

sein, daß der Praktiker vom Gericht Xden vorgestern vom BGH entschiede-nen Strafrechtsfall abfragt, und wenn derStudent diese letzte Variante einer neu-en Idee des BGH nicht findet, hat erPech gehabt. Das JPA müßte daraufhin-wirken, daß die Praxisorientierung et-was reduziert wird.Andererseits bin ich dafür, daß mehr

Praxisanschauung ins Studium kommt,also z. B. im Zivilprozeßrecht Prozeß-spiele durchgeführt werden, daß hervor-ragende Strafverteidiger mit Lehraufträ-gen und meinetwegen auch mit Ho-norarprofessuren für die Universitätengewonnen werden - das ist eine Ebene,wo die Universitäten einiges nachzuho-len hatten.

Eine bodenloseEinseitigkeit der HUB

Herr Gerlach, zurück zur BerlinerHochschulpolitik. Kann sich Wissen-schaftssenator Erhardt angesichtsdes Streits zwischen FU und HUBnicht in Sicherheit wiegen?Natürlich gibt es eine Konkurrenz-

situation zwischen FU und HUB, das istgar nicht zu bestreiten. Nur, das Problembeider Universitäten liegt vor allem dar-in, daß die fachliche Kooperation zwi-schen den meisten Bereichen zwanglosfunktioniert, wir aber insgesamt in Kon-kurrenz um zuwenig Geld stehen.

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10 Politik

Die Stimmung an der HUB ist nocheine andere. Dort fühlt man sich vonden beiden anderen Universitäten inStich gelassen.

Das ist eine bodenlose Einseitigkeit,zumal die HUB uns bei den bisherigenübermäßigen Kürzungen keineswegsHilfe angeboten hat. Als im Zuge desHochschulstrukturplans an der FU10.000 Studienplätze abgebaut werdenmußten, hat von uns keiner gesagt: Dasgeht nicht, das muß mit der HUB durcheinen reduzierten Aufbau dort geteiltwerden. Wir haben zwar bildungspoli-tisch protestiert, daß in Berlin soviel Stu-dienplätze abgebaut werden und hiervom Quantum her ein Provinzniveauentsteht. Aber als Institution haben wirgegen vereinzelte Proteste, vor allemvon studentischen Gruppen, diese Re-duzierung hingenommen. Politisch -einheits- und finanzpolitisch - konntenwir das nicht abwenden.

Verglichen mit München, Frankfurtoder Köln hat Berlin umgerechnet aufdie Bevölkerungszahl viel weniger Stu-dienplätze, aber Berlin ist auch einearme Stadt und schließt sich eventuelldemnächst einem armen Bundesland an.Also geht der Abbau von Studien-

plätzen in Ordnung?Natürlich nicht. 100.000 Studienplätze

oder weniger hat mit irgendeiner Formvon Hauptstadtanspruch überhauptnichts zu tun. Die Studenten und dieUniversitäten gelten in Berlin zu sehr alslästige Kostgänger. Was sie eigentlich füreine solche Stadt bedeuten - von dem

Faktor der Jugend bis hin zumFaktor des Geldes - wird oft un-terschlagen. Bei den Geistes- undSozialwissenschaften zum Bei-spiel kostet ein Student im Schnitt5.000 Mark im Jahr. Wenn 50%von ihnen von außerhalb nachBerlin kommen und nur 1000Mark monatlich mitbringen, dannbringen sie in die Stadt mehrGeld, als die gesamte Ausbildungkostet. Und dann sehen Sie ein-mal das lebendige Potential die-ser akademischen Jugend, dienach Berlin kommt. Wir wollendoch nicht die Verhältnisse einerKleinstadt idealisieren, wo dieStudenten abends nach Hausefahren und wie Fahrschüler le-ben und natürlich in kürzerer ZeitExamen machen - wir sind dochhier in Berlin!

Die Bildungspolitik inBerlin ist auf einerAbfahrt

An ihrem schlechten Ruf haben dieUniversitäten aber auch kräftig mit-gewirkt Ihnen ging es zu Westberli-ner Zeiten zu gut.Wir reden ja nicht davon, was „gestern"

zugegeben falsch gemacht worden ist,sondern wir reden davon, wie wir eskünftig richtig machen. Die Bildungs-politik in Berlin ist auf ei-ner Abfahrt, die falsch istfür die Stadt. Aufgrundder Fehler der Vergangen-heit haben wir ja auchden Abbau von 15-000Studienplätzen im West-teil akzeptiert und mit kei-nem Finger auf den Soll-plan zum Aufbau derHUB verwiesen.

Doch was sich seit 1993abspielt, ist ein Unding.Wir an der FU hatten ei-nen Abbauplan, der zu-nächst bis 1996 Kürzun-gen von rund 30 Millio-nen DM vorsah, und inWirklichkeit sind es jetztschon insegsamt 80 Mil-lionen, und an der HUBblieb der Sollplan immernoch garantiert. Ist nichtunter den gegenwärtigen

Finanzverhältnissen die Aufbauplanungfür die HUB etwas zu großzügig ausge-fallen?Jetzt kommt erstmals bei der pauscha-

len Minderausgabe auch eine Kürzungdes Sollplanes der HUB, und ich den-ke, daß das überfällig ist, wenn weite-re Kürzungen erfolgen.Müßten nicht die Universitäten ge-

meinsam mit dem Finger auf dasLand Berlin zeigen, wo es viel höhe-re Sparpotentiale gibt, als einanderzu bekriegen?

Aber das tun wir doch. Der Kampf ge-meinsam nach außen ist doch nicht auf-gegeben, weil wir, wenn wir ihn nichtgewinnen können, intern über die Ver-teilung Probleme miteinander haben.Aber, als wir im Westteil übermäßige

Kürzungen mitzumachen hatten, da hatsich die Humboldt-Universität nicht hilf-reich erklärt, etwa nach dem Motto: dastrifft die FU zu viel, das geht nicht, wirwürden gerne etwas mittragen. So wirdaber jetzt argumentiert, als müßten wirbei den nunmehr erstmals die HUB tref-fenden Kürzungen sagen: „Das ist zuviel, das müssen wir mittragen." Wirwerden uns schon noch gemeinsamgegen die pauschale Minderausgabewehren!

Frau Dürkop und ichhatten eine guteGesprächsbeziehung

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Politik.Wie kommt man aus dem Dilemma

heraus, daß die Universitätspräsiden-ten nur noch über Zeitungen mitein-ander reden?

Das ist ja nicht wahr. Im Augenblickhaben Sie vielleicht Recht, daß sich FrauDürkop so verhält, aber das war bishernicht üblich. Wir hatten eine guteGesprächsbeziehung, die offen genugund gut genug war, daß wir uns unter-einander auch unangenehme Dinge sa-gen konnten, ohne damit etwas zu zer-reißen.

Für die HUB stellt sich das Problem,daß neuberufene Professoren gehen,weil sie durch die Sparmaßnahmenbedroht sind.

Sehen Sie! Das erleben wir hier ganzgenauso. Wenn hier in den Fachberei-chen ständig weiter gekürzt werdenmuß, und da ist ein hervorragenderNaturwissenschaftler, der von seinenAssistentenstellen eine kürzen muß,während er andernorts mehr bekommt,dann verläßt er uns wahrscheinlich. Dasist hier genauso, gilt aber an der HUBmit einem gewissen Recht als besondersbedrohlich, weil die Neuberufenen ge-rade gekommen sind und schon wie-der gehen; statt das Schiff mit vollenSegeln aufs Meer zu fahren, tuckert manim Wattenmeer herum.

Universitäten habenkeine Wertigkeit

Wäre es nicht sinnvoller, wenn dieUniversitäten sich viel stärker öffent-lichkeitswirksam verteidigen wür-den?

Wir kriegen keine Resonanz, das liegtnicht an unserer verfehlten oder unfä-higen Selbstdarstellung und so weiter.Wenn Sie die Vorurteilsstruktur im poli-tischen Raum sehen, dann haben wirkeine Wertigkeit. Natürlich könnte ichauch bestimmte Großprojekte des Lan-des Berlin in Frage stellen, aber wir ha-ben nicht die parlamentarische Macht,das zu entscheiden. Und wenn die Poli-tiker nach zig Bemühungen den univer-sitären Wert nicht einsehen, dann bleibtnur noch der öffentliche Krach, nach-dem auch öffentliche Kritik kaum nochwirkt. Es hat allerdings wenig Sinn, eineinzelnes Spektakel zu machen und hin-terher bleibt alles wie vorher. Es mußim Grunde eine Bewegung sein. Auchdie Universitätsmitglieder wissen natür-

lich, daß das Land im Augenblick ver-dammte Probleme hat, wenn Sie etwadie Arbeitslosigkeit als Stichwort neh-men: Daß die Politiker gleichzeitig nichtmerken, daß sie an den Universitätengerade qualifizierte Arbeitsplätze ab-schaffen, zeigt deren bekannte Blick-verengung.

Was müßte man denn Ihrer Mei-nung nach tun, um aus dieser mißli-chen Lage herauszukommen?Wir West-Unis haben die Aufgabe, uns

am eigenen Schöpfe aus dem Sumpf zuziehen. Gleichzeitig muß der Kampf ummehr Respekt für die Universitäten alsZukunftsinvestition breiter werden. Al-lerdings ist ein Studium, wenn nicht alsPrivileg, so doch als Vergünstigung an-zusehen, so daß man besondere Leistun-gen erwarten darf. Wer soll uns helfenwenn nicht wir selbst? Ich hab das ein-mal sarkastisch so ausgedrückt: Wenneinem das Wasser bis zum Hals steht,dann darf man den Kopf nicht hängenlassen.

Sind die Universitätengenug mobilisiert?

Wird es den geplanten gemeinsa-men akademischen Tag der Univer-sitäten als Ausdruck eines gemein-samen Protests noch geben?

Einen Protesttag halte ich allemal fürberechtigt, aber es gibt dabei ein Pro-blem: Sind die Universitäten genugmobilisiert, daß es auch ein demonstra-tiv deutlicher Tag wird? Denn wenndann von allen Universitäten nur einpaar tausend Leute zusammenkommen,dann ist das eher ein Schlag ins Wasser.Ich weiß nicht, wie weit die Mobilisie-rung momentan wirklich reicht.Herr Gerlach, sie wollen noch ein-

mal Universitäts-Präsident werden?Ich gehe davon aus, daß es auch nach

der Meinung vieler FU-Mitglieder sinn-voll ist, wenn ich für die nächste Amts-periode erneut kandidiere. Vier Jahresind relativ kurz und erforderten auchEinarbeitungszeit. Wenn man das in die-ser schwierigen Zeit vier Jahren mit ei-nigem Erfolg gemacht hat, erscheint esvernünftig, kontinuierlich dabeizublei-ben, sofern sich keine überzeugendbesseren Alternativen aufdrängen.

Die Fragen stellten -k und jot

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12 Studieren

Quer EinsteigerWer das Physikum im Frühjahr besteht, kommt im Sommer ins

fünfte Fachsemester - mag man glauben...An der Öhariiegilt seit Wintersemester 1992 eine neue Approbationsordnung d. h.

Prüfungsordnung für die Studierenden der Medizin. Welche anderen Veränderun-gen dieser vor nun über zwei Jahren eingeführten Prüfungsordnung vorausgingenbraucht hier nicht ausgeführt werden. Fazit ist, daß staatlich organisierte, eben„Staatsprüfungen" das Studium durchziehen, die in der ganzen Republik an allenmedizinischen Fakultäten identisch sind, und in ihrer Konzeption ursprünglichvor allem Chancengleichheit auf ihre Fahnen geschrieben hatten. Grundlegend fürdas neue System war und ist für die Studierenden, daß ihnen die Fortsetzung desstark verschulten Studiums zu jedem Semester ermöglicht werden muß, denn sonstverliert derjenige, der durch eine Staatsprüfung durchfällt ein ganzes Jahr seinesStudiums, anstatt wie sowieso schon hart genug, ein Semester.

Als ich nach der vorlesungsfreien Zeitwieder durch die Türen der Alma materberolinensis schritt, um mir pflichtbe-wußt meinen neuen Stundenplan für dassechste Fachsemester aufzuschreibenund mich durch die Aushänge der ver-schiedenen Institute zu lesen, machte icheine verblüffende Entdeckung:Es waren Vorlesungen und Seminar-

gruppen für QUEREINSTEIGER einge-richtet worden!Scheinbar waren so viele Biologen,

Philosophen, Sinologen, Bau-Ing's undGartenbauarchitekten, Fischwirtschaftler,Kristallographien sowie Neogräzistikerihren Fachwissenschaften untreu gewor-den, um mit bereits erworbenen Schei-nen QUER ins Medizinstudium EINZU-STEIGEN. Zuerst wußte ich nicht, ob ichmich freuen oder verwundert sein soll-te. Doch schnell stellte sich heraus, daßdie vermeintlichen QUEREINSTEIGER

keine Exotik in mein Studium bringensollten, sondern „ganz normale" Medi-zinstudenten des fünften Fachsemesterssind.

Seit geraumer Zeit gilt nämlich in die-sem unseren Lande eine neue Appro-bationsordnung für Ärzte, nach der dererfolgreiche Physikumsprüfling sowohlzum Wintersemester, als auch im Som-mersemester mit dem Studium (also demfünften Semester) fortfahren kann.

Kurz darauf bemerkten die frisch ge-backenen Studierenden der Klinik, daßdiese Fehltitulierung durchaus einenhandfesten und folgenschweren Hinter-grund hat, denn viele Dozenten in denentsprechenden Kursen haben nochnicht mitbekommen, daß auch an derCharite das neue Prüfungsverfahren gilt,und sie sich falsche Vorstellungen vomWissensstand ihrer jeweiligen Schützlin-ge machen.

Die Fünftsemestler müssen also in denLehrplan integriert werden, was nichtbedeutet, daß nun alle Veranstaltungenzweimal im Studienjahr angeboten wer-den müssen. Die Innere Medizin z. B.trägt der Situation insofern Rechnung,als eine Propädeutikvorlesung wöchent-lich gesondert für die Fünftsemestlerstattfindet, damit sie Ihr Studium nachdem Physikum nicht nur mit „chroni-scher Polyarthitis" und „Wegner'scherGranulomatose" beginnen. Leider hatein Vorhaben, diesen Studierenden ei-nen mit Vorlesungswissen fundiertenZugang zum Mikrobiologiepraktikum zuverschaffen, bereits die abstrusesten Hin-dernisse erfahren. Dabei wäre es dochorganisatorisch praktisch, wenn sie jetztim Sommersemester (zusammen mit denSechstsemestlern) das Praktikum absol-vierten, anstatt ein Extrapraktikum imWinter einzurichten.

Notwendig ist, daß es den Frühjahrs-physikumsprüflingen ermöglicht wird, inzwei Semestern all jene Scheine zu ab-solvieren, die für das erste Staatsexamenvom Gesetzgeber vorausgesetzt werden,damit sie nicht unnötig Zeit bzw. Seme-ster (und damit evtl. BAFöG etc.) verlie-ren

.Lösungen müssen gefunden werden,hoffen wir daß die Lehrverantwortlichen(mit den Studierenden!?) suchen.

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Studieren- 13

Über alles wächst GrasWie steingewordene Vergangenheit im Innenhof aufgebrochenwurde und nun, auf bewuchertem Rollrasengrün, Studenten die

Erinnerung aussitzen können

Vor dem Ende der Semesterpause, derFrühling pochte nur höchst vorsichtigin Berlin an die Pforte, kam menschli-cher Veränderungswille der Natur zuvor.Der harte Teerplatz im Innenhof desHauptgebäudes, durch heiße Sommer-tage von Hitzeblasen geziert, zerbrachunter den herbeigeeilten Preßlufthäm-mern in Schollen. Bagger fuhren an undluden die Bruchstücke auf Lastwägen,die durch das sonst so ewiglich ver-schlossen wirkende zweite Einfahrt-oder Ausfahrttor zur Clara-Zetkin-Stra-ße hin, mit ihrer Fracht, entschwanden.Was dafür kam, war Muttererde und

gerolltes Rasengrün. Wohl mit studenti-scher Kraft (TUSMA?) wurde Erde ver-teilt und die gewachsenen Rollteppicheausgebreitet.Wo die Natur noch unentschlossen

schien, war einem Handstreich gleich anunerwartetem Orte das sprießende Grünzu seinem Lebensrecht verholfen wor-den.

Noch in den zwanziger Jahren war derInnenhof noch ein kleines Kastanien-wäldchen gewesen, mit Rudimenten desehemaligen botanischen Gartens, derden Flügelneubauten schon gewichenwar, wie dem Gingkobaum der schon

am Gemäuer stand. Doch wie alles imBerlin der letzten Kriegstage, -wochen,-monate, wurde die im Machtzentrumauch des Dritten Reiches stehende Uni-versität ein Raub der Bomben auf Ber-lin oder der Flammen, die auf die Ab-würfe folgten. Große Teile des Haupt-gebäudes waren zerstört oder schwerbeschädigt. Und so war auch der Innen-hof nicht unbeschädigt davongekom-men. Vielleicht hatte da ja auch dieBrennholz suchende Bevölkerung imKriegswinter 45 ein übriges verrichtet.Es klafften jedenfalls Löcher überall.Doch schon früh wurde die Wiederher-

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14 Studieren

Die StudentemeUung der Berliner Humboldt- Uni

IWUFGEFORDERT 3 7* * J \ \ t'-r^ichlsrudentealOn-Anschlag Am ieitungikunk flir altt 7D ff SO, Hat 1992

Am ieitungikunk flir altt 7D ff

S.3

Stellung der Universität unter den Lin-den neben der Staatsoper beschlossen.Und um dann die Löcher in den Mau-ern des Gebäudes zu füllen, brauchtees Lagerplatz für Hölzer und Steine. Sowurde die freigewordene Fläche desInnenhofs zum Materiallager, das erst amEnde der fünfziger Jahre geräumt wur-de. Erst I960 beginnen hier die erstenNeugestaltungsversuche. Aber noch inden sechziger Jahren war der angelegtePlatz mit Schotter bedeckt, der unteranderem als Volleyballplatz genutztwurde.Obschon die Universität unter ideolo-

gischer Gleichschaltung litt, mit marxi-stisch-leninistischer Grundausbildungfür alle, war doch das Militärische nocheine gewisse Zeit vor die Mauern derWissenschaft gebannt. Das sollte sich än-dern.

So "wie die Kampfgruppen der Arbei-terklasse, die Reaktion der Partei- undStaatsführung auf den 17. Juni 1953,plötzlich auch in der Universität vonnö-ten waren, so wurde mit der Militarisie-rung der Volksbildung (Einführung desWehrunterrichts) auch die Ausbildungzum Reserveoffizier zum Muß fast einesjeden männlichen Studierenden. Dareichten nicht mehr die vielen Freiflä-chen gut bitumiert in unmittelbarer Näheder Universität (Marx-Engels-Platz, heute

Schloßplatz(?) zum Bei-spiel), nein alle Zeichen derZeit schrien nach einem ei-genen Versammlungsplatz,der nicht nur ein Antretenin Appellform ermöglichte,sondern auch durch seineharte Oberfläche ein mög-lichst lautes Stiefeltreten inExerzierlaune erschallenlassen konnte. Und so wur-de in den siebziger Jahrenbitumiert, auch im Innen-hof. Die Kampfgruppen-übungen hatten ihren An-trittsplatz im Innern derUniversität und die Be-förderungszeremonien fürdie frischgebackenen Re-serveoffiziere, die sich be-reit zeigen sollten für einneues letztes Gefecht(?),hatten die Mauern der Wis-senschaft erklommen.

Das mit dieser Schaffungvon freien Plätzen, an de-nen man Ansammlungenvon Menschenmassen orga-nisieren konnte, nicht der

Offenheit und einer Verfügbarkeit füralle das Wort geredet werden sollte,dafür steht auch der bitumierte Innen-hof Pate. Denn mindestens eine Über-wachungskamera überblickte denInnenhofplatz vom Hauseingangs-bereich her und stand für Kontrolle, woungezwungenes oder spontan gewoll-tes Versammeln unerwünscht war.

Noch am 17. Oktober 1989, als dieUniversität sich zur ersten offenen Dis-kussion aufschwang, auch offiziell,nachdem die Wiese vor der Mensa-Nordgegenüber vom Deutschen Theater beierster Versammlung mit Redner auf ei-nem betonenen Papierkorb überzulau-fen drohte, wollte man unter allen Um-ständen eine Ansammlung der Studen-ten im so überaus gut geeigneten In-nenhof verhindern und verlegte dieseersten Gesprächsrunde in verschiedeneHörsaale, auf daß keine unkontrollier-baren Situationen entstehen mochten...

Wie füllt man nun die häßlich drein-schauende und steingewordene Vergan-genheit? Die Frage war ein Feld derPhantasie und kannte auch irdischeBedrängnisse seit der Wende. Eine Stu-dentin, die über eine der vielen Teer-blasen gestolpert war, sich verletzt hat-te und daraufhin Beschwerde einlegte,bot Gelegenheit ein erstes Mal eine Ab-speming zu errichten. Sie ging nach we-

rtigen Tagen den Weg alles Irdischen.Dann gab es den grandiosen Vorschlagdas leidige Hauptmensa-Platzproblemdadurch zu lösen, daß eine gläsernezweistöckige Konstruktion auf dem In-nenhof errichtet werden sollte. Der Vor-schlag gerann sogar schon in einer teu-ren Projektstudie zu einer bildlichenKonzeptionsvorlage (UnAUF Nr.47). Al-lein es fehlte der Mut der Zuständigenein architektonisches Novum, dergläserenen Louvre-Pyramide in Parisgleich, zu wagen und dadurch dochnicht das Problem der zu geringen Ka-pazität der Mensa lösen zu können, daauch diese Planung schon aus neuenPlatzgründen zu klein geraten mußte...Letzthin kursierte der nicht unanregendeVorschlag unter den Mitgliedern der stu-dentischen Vertretung an der Universi-tät, es doch mit einem Planschbeckenim Innenhof zu versuchen. Doch sol-cher Orginalität verschließen sich letzt-lich, bei aller Einsicht, die verantwortli-che Bauabteilung aus der finanziellenNotlage der Humboldt-Universität her-aus...Aus dem 91er Jahr datiert der erste

Begrünungsvorschlag, der jedoch durchBedenken des allgewaltigen Denkmal-schutzes bei Veränderungen im und amHauptgebäude erst einmal abschlägigbeantwortet wurde. Auch die UnAUF-GEFORDERT tat sich in Nummer 37 miteinem grünfarbenen Titelblatt hervorund schlug einen Rasen als Fußballfeldvor, ob es dazu wohl jetzt kommen muß?

Wohlan, es grünt nun unter früher kar-gem Stein. Die Sonne umgarnt unsereLeiber und drängt uns schier willenlosauf den naturbelassenen Teppich. End-lich ist ein Platz gewonnen, von demim studentischen Getümmel Ruhe aus-strömt und der den Ort vergrößert, andem das ewigliche Spiel des Sehens undGesehenwerdens gespielt werden kann.Doch ach, kommt man zu mitternächtli-cher Stunde oder im Morgengrauen, wonoch zu wenig Licht den Platz erhellt,und läuft gar frohgemut über den wei-chen Grund, da scheppert es, man trittins Harte, ins Übelriechende schon auch.Es knackt so hie und da, doch fällt manhin, ist man des Lebens nicht mehr si-cher. Von Gäbein oder Messern, gedan-kenverloren übers grüne Feld gesät,aufgespießt liegt bald wohl ein Opferauf dem schönen neuen Gras...

Ulli

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-Studieren- 15

Mit dem Sammeltaxi zur Uni

li/illkommen an der Birzeit UniverWW sität. Wir möchten Ihnen mittei-

len, daß Sie die Möglichkeit haben wer-den am 'Palestine and Arab Studies Pro-gram 1994/95 (PAS)' teilzunehmen. Bit-te beachten Sie folgende Informationen,die Ihnen Ihre Ankunft '.. .in the countryand at Birzeit University' erleichtern wer-den."

Soweit die einleitenden Worte desAntwortschreibens, das mich in Deutsch-land erreichte und Grund dafür ist, daßich nun Zeugnis ablegen kann über dasStudieren in einem besonderen Umfeld.Die Antwort der Universität beschreibteinen spezifischen Ort und ein unspe-zifisches Land. Beide wollen unterschie-den sein. Jeder Uneingeweihte wird sichjedoch fragen: 'Wo liegt Birzeit undwelches Land ist gemeint, für das esscheinbar keinen Namen gibt?'

Mit dem Sammeltaxi fährt man ca. 20min von Birzeit aus (der genannten Uni-versität) nach Ramallah, einer arabischeStadt nahe Jerusalem. Jerusalem ist vonTel Aviv aus, dem Ankunftsort aller Flug-reisenden, günstig mit dem Bus zu er-reichen. Von da aus immer am Strandentlang nach Norden liegt Beirut, nachSüdwesten geblickt kann man Kairo ver-muten. Von Tunis aus, dem Hauptsitzder PLO noch immer, mit Blickrichtungnach Oslo liegt das alles rechterhand.Das ist die leicht zu bestimmende geo-graphische Lage der bekanntesten palä-stinensischen Universität. Doch ganz soleicht fällt die politische Verortung nicht.Wo liegt der Ort dieser Universität, ander man studieren kann?

Die palästinensisch-israelischen Frie-densverhandlungen sind bereits so weitfortgeschritten, daß erstens ein palästi-nensischer Staat existiert, über dessengenauen Namen noch basisdemo-kratisch beraten wird (so etwas brauchtseine Zeit), zweitens zumindest eineAnnäherung zwischen beiden Seiten

stattgefunden hat, derart, daß der he-bräische Term (Eretz=Land) allgemein-gültig ist, drittens jedoch, das man, dasunweigerlich zu betretende Landisraelischerseits nicht benennen will, daman es nunmehr lieber nicht hätte.

Aber wozu das alles? Es gibt doch

and Economics, Engineering andScience). Getragen wird die Uni von ei-nem unabhängigen Board of Trustees(einem treuhändlerischen Aufsichtsrat),der sich aus Lehrkräften und Unterneh-mern der palästinensischen Gesellschaftzusammensetzt. Die Finanzierung erfolgtmittels privater Spenden und Darlehensowie internationaler Zuschüsse. Ara-bisch ist die offizielle Sprache, obgleichEnglisch in einigen Kursen gleichwertigverwendet wird. Innerhalb der letztenzwanzig Jahre hat sich die Anzahl dereingeschriebenen Studierenden von ei-nigen hundert auf derzeit 2850 erhöht.Die Uni, gleichermaßen von christlichenund muslimischen Studierenden be-sucht, ist an Frei- und Sonntagen ge-schlossen. Ein Zustand, an den man sichnur schwer gewöhnen kann, mal vomreligiösen Fairplay abgesehen, vor allemvor dem Hintergrund, was man an zu-

leine Bezeichnung:Birzeit ist eine palästinen-sische Universität in dervon Israel besetzten West-bank. So ist der Stand derDinge und doch kann ihnnur der Außenstehendeso distanziert und emoti-onslos aussprechen.

Studien zum Nahen-und Mittleren Osten be-treibt man am besten imNahen- und MittlerenOsten, dachte ich mir.Arabisch, Farsi, Hebräischusw. lernt man am bestendort, wo diese Sprachenauch gesprochen wer-den. Dies dürfte jedemeinleuchten, der davonhört. Die Birzeit Univer-sität mit einer vergleichs-weise hohen Konzentra-tion qualifizierter Lehr-kräfte und für Übersee-Studenten (von hierauszählen dazu auch alle Eu-ropäer) leicht zugängli-chen Universität im ara-bischen Sprachraum, botsich hier besonders an.

Die auf einem Hügelnahe des Dorfes Birzeitgelegene Universität er-reicht man in der Regelmit einem Sammeltaxi oder einem Bus.Ihren Ursprung hat sie in einer 1924 ge-gründeten kleinen Schule, heute aufneuem Campus aus vier Fakultäten be-stehend (Faculties of Arts, Commerce

EGYPT

SAUDI AR ABI A

sammenhängenden Wochenenden allesunternehmen könnte. Diese Überlegungtritt jedoch weit in den Hintergrund,wenn man von der allgemeinen Be-wegungsmöglichkeit der Bewohner der

Page 16: UnAufgefordert Nr. 66

16 StudierenWestbank weiß. Die Bewegungsfreiheitvieler palästinensischer Studierender, alljener, die nicht aus Jerusalem stammenist beschränkt. Bewohner der Westbankund Gaza müssen eine besondere Ge-nehmigung für eine Reise zwischen denbeiden Territorien und einem jeweiligenAufenthalt in diesen beantragen. Glei-ches gilt für einen Aufenthalt in Israeleinschließlich des Ostteils Jerusalems.Das die Erteilung von Genehmigungendieser Art eine ernste Hürde darstellen,ist bekannt. Für Studierende aus Gazain der Westbank kommt es in diesemZusammenhang zu entscheidenden Pro-blemen. Die Uni Birzeit war währendder Intifada geschlossen (10.4.1988-29-4.1992). Was es für eine Uni bedeutet,unter einer Militärverwaltung zu arbei-ten, das sind andere Kapitel für sich.

D a s PAS-Prograrnm ist ein seit Herbst1993 existierendes Studienpro-

gramm für Studenten und Graduierte,die aus dem Ausland nach Birzeit ge-langen. Es beinhaltet Sprachkurse inModernem Arabisch auf vier, in gespro-chenem Arabisch auf zwei Kursstufenund bietet in Englisch gegebene Semi-nare zu unterschiedlichen Themen wiebeispielsweise: Islam and Society (Dr.Ziad Abu Amr), The Palestinian Society(Dr. Lisa Taraki), Arab Woman inLiterature (Di: Suha Sabagh), TheArab-Israeli Conflict. Nicht-Muttersprachler imEnglischen müssen einen TOEFL-Testoder ein Equivalent vorweisen, Teilneh-mer an in Arabisch gehaltenen Vorlesun-gen und Seminaren müssen Arabisch-kenntnisse auf einem akademischakzeptierbaren Level nachweisen. DieGruppe der PAS Studierenden beträgtnicht mehr als vierzig.Was an westlichen Unis als Selbstver-

ständlichkeit verstanden wird, ist hiereher die Ausnahme: Der Uniwechsel istschwierig und die Auswahl ist be-schränkt. Sieben weitere Unis gibt es inder Westbank, Jerusalem und Gaza, de-ren Studienangebot stark differiert undnur die Universität in Nablus, sie ist diegrößte Uni mit 5200 Studierenden, bie-tet Magisterabschlüsse neben Birzeit unddazu in anderen Studiengängen. Oderes gibt noch die Islamische Universitätin Gaza. Doch eigentlich ist jeder Stu-dierende, der seine Studien fortsetzenund erweitern möchte, angehalten insAusland zu gehen, das ist der Mehrzahlnicht möglich. Wird es jedoch praktiziertstehen an erster Stelle die VereinigtenStaaten.

U nd wie ist man als ausländischerStudierender angesehen? Natürlich

ist man als PASler willkommen, wirdglaubhaft versichert. Aber warum kommtman denn aus Übersee, um mal für einbis zwei Semester in Birzeit zu studie-ren (?), wird auf einem gemeinsamenTreffen mit einigen palästinensischenStudierenden gefragt, das am Anfangmeines Aufenthaltes von einer Art Asta-Sprecherin organisiert wurde. Da wur-de dann ziemlich genau beobachtet wieman sich als 'Adjnabi' (Ausländer) sogibt: Hat man nichts ernsthafteres zu tun?Zum Arabisch lernen ist man gekom-men, naja mag ja sein, da hat man we-nigstens jemanden mit dem man seinEnglisch praktizieren kann. Das mit demArabisch, einer Sprache wie ein Ozean,ob das was wird? Warum begibt mansich mit allen Freiheiten versehen in einQuasi-Gefängnis, wie es die Mehrzahlder Studierenden empfindet? Anderer-seits ist man hoffentlich nicht von derKrankheit befallen, mal mit den nettenDritte-Welt-Döseln zusammenleben zuwollen, so fürs persönliche adventure-package "autochtone Spezien" zu erle-ben? Man ist also wirklich gekommen,um den Nahen- und Mittleren Osten,arabische Literatur und islamische Ein-flüsse auf die Gesellschaft zu studieren,diesmal nicht mittels der von Ferne ge-führten Forschung und bar jeglicher wis-send-unwissenden heimatlichen Presse,sondern vorort? Alle Achtung. Und...man arbeitet auch nicht für den Mucha-barat, den Geheimdienst?! Und weiter:Studentinnen des PAS-Programms bittenum Rat. Wie schließt frau Freundschaftmit Palästinenserinnen? Mit Männern,und jede in der Region gewesene Frauhat das erfahren, gäbe es keine Proble-

me, aber deshalb sei frau nicht gekom-men. Warum, ist das so schwierig? Ab-gesehen von allgemeinen Berührungs-schwierigkeiten spiele da auch Eifer-sucht mithinein, kommt die Antwortprompt. PASlerinnen lenken per se Blik-ke und Interesse auf sich. DepardieusGreen-Card Episode in den USA ist hiereine oft ernsthaft durchgespielte Varian-te, ein ausländischer Paß würde Weltenöffnen. Die Diskussion verläuft sich inBanalitäten. Insgesamt zeigt sie, wiewenig man voneinander weiß. Gedan-ken und Befürchtungen, die solche Fra-gen aufkommen lassen sind begründet,dialogfördernd sind sie nur mit der not-wendigen Bereitschaft auf beiden Sei-ten. Chancen sich kennenzulernen sindzahlreich, trotzalledem, es braucht sei-ne Zeit.

Zum Umfeld der Uni. Der Prozeß derim Entstehen begriffenen umfassen-

deren palästinensischen Selbstver-waltungsstrukturen läßt sich vorort ver-folgen, relevante palästinensische Bil-dungseinrichtungen, Datenerfassungs-stellen, Forschungsinstitute etc. liegenum die Ecke. Hinzu kommt für Studen-ten aus "Übersee" die Bibliotheken, Ar-chive, Universitäten und Forschungsin-stitute Israels , die für sie problemloserreichbar sind.

Das Internationale Sommerprogrammder Uni beginnt am 10. 7., Bewerbungs-schluß ist der 2. Mai '95. Das nächsteSemester beginnt im September undendet im Februar '96. Details sind in derUnAUFGEFORDERT-Redaktion zu erfra-

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Studieren- 17

Wer wissen will, muß leiden!Sprachkurse an der HU sind hoffnungslos überfüllt...

Irgendwann wird es uns allen passie-ren. Wir müssen uns auf dem Arbeits-markt feil bieten, um für unsere langenStudienbemühungen den ersehntenLohn einzustreichen. Immer wichtigerbeim Kampf um den begehrten Arbeits-platz ist hierbei die Schlüsselqua-lifikation Fremdsprachenkenntnisse. Mitschnödem Englisch ist heute niemandmehr zu beeindrucken. In Kombinationmit etwas Schulfranzösisch hat manschon bessere Chancen. Wirkliche Plus-punkte macht man hingegen, wenn mannoch mit einer dritten Sprache oder ei-ner nicht schulüblichen aufwarten kann.Besonders gefragt ist in diesem Zusam-menhang Spanisch.

Hat man nun in der Schule außer Eng-lisch und Latein nicht viel mitbekom-men, stehen die Sterne schlecht.Deshalb entschließen sich viele Studie-

rende neben Studium und Job, nocheine neue Fremdsprache zu erlernen.Der Vorsatz ist löblich und angesichtseines vereinten Europas von Nöten. EinBlick ins Vorlesungsverzeichnis und wirerfahren, daß noch nicht alles zu spätist. Die Universität bietet allen die Gele-genheit, Sprachen, die nicht in der Schu-le gelernt oder gelehrt wurden, sich nunim Sprachenzentrum anzueignen.

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Der Ausrüstungsladen fürExpedition und Trekking

Mensch, eine tolle Sache, denkt sich somancher und macht sich auf zur Ein-schreibung in die Anfängerkurse. Dochwas ist das? Eine Demonstration? Oderwird hier etwas verschenkt? Nein es istnur die Warteschlange vor dem Spra-chenzentrum. Sie zieht sich bis hin zurFriedrichstraße. Dicht gedrängt stehendie Lernwilligen und hoffen, einen Platzin einem der Kurse zu erhaschen. Aberschon die, welche im Haupteingang ste-hen, werden keinen Platz mehr in ei-nem Französisch- oder Spanischkurserhalten. Tja, hätten sie mal vorher an-gerufen, da wäre ihnen schon gesagtworden, daß sie spätestens zwei Stun-den vor Beginn der EinschreibungWarteposten beziehen sollten. Die er-sten waren dieses Semester schon um4.00 Uhr da.

Aber angenommen, wir standen ganzvorn und erhalten unseren Platz. VollEnthusiasmus machen wir uns auf zurersten Stunde. Doch was ist das nunwieder! Unser Kurs mit 30 Mann wird ineinem 15 Personenzimmer stattfinden!

Nun sind mehr als 20 Leute in einemAnfängerkurs schon eine Zumutung,aber an die Wand gequetscht, glücklichüber einen Sitzplatz, dicht an dicht wieÖlsardinen, da kann einem das Lernen

schon schwer fal-len. Oder ist dasTaktik? Sperrtman uns absicht-lich in einen sokleinen Raum,um die Gruppeauf eine unter-richtstauglicheGröße durch Ent-mutigen sinkenzu lassen? BeimSprachenzentrumnachgefragt er-fahren wir, daßsie große Räumefordern. Also dieRaumvergabe!Die wiederumweißt die Schuldauch von sich.Dann bleibt nurein Schuldigerübrig: der Com-

puter, der wird es wohl allein falschgemacht haben. Aber es gäbe immer sokleine Verwechslungen am Anfang desSemesters, das regle sich jedoch meistin ein paar Wochen. Das stimmt, in un-serem Französisch Kurs sind wir jetzt nurnoch knapp 20 Leute, Tendenz fallend.Es drängt sich einem die Frage auf,

warum denn, nehmen wir Spanisch undFranzösisch, nur je zwei Anfängerkurseä 25 Personen pro Semester an der HUangeboten werden. Die FHTW mit 5000Studierenden (HU circa 28 000) stellt je-des Semester sieben Spanisch- und achtFranzösischanfängerkurse ä 20 Personenbereit. Die mußten noch nie einen Lern-willigen abweisen, nein, ihre Kurse sindteilweise nicht einmal vollausgelastet.

Zurück an die HU. Warum geht dasnicht bei uns, wo doch die Nachfrageso groß ist? Ach, das ist alles eine Fragedes Geldes. Und wir alle müssen spa-ren. Der Neustellenplan der Struktur-und Berufungskomission ließ dasSprachenzentrum auf 58 Mitarbeiterschrumpfen. Aber, so erfahren wir vonHerrn Ambos aus dem SZ, um dieseZahl würden uns andere Unis noch be-neiden. Na dann. Und außerdem wäreihre primäre Aufgabe, schon vorhande-nes Sprachwissen auszubauen, um dieEuropastudierfähigkeit zu fördern. Ja,aber was ist mit uns, die nur Englischoder Russisch vorweisen können? Na-türlich ist ihm das ein wichtiges Anlie-gen, auch jenen die Möglichkeit einerSprachausbildung zukommen zu lassen.Aber wie gesagt, das Geld. Er weiß nicht,wie lange sie sich den Luxus von An-fängerkursen überhaupt noch leistenkönnen. Über kurz oder lang werdensie wohl ganz gestrichen werden. Aberwas ist mit unserer SchlüsselqualifikationFremdsprachenkenntnisse? Wir wollenschließlich auf diesem multilingualenEU-Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein.Tja, da gibt es nur eins, nächstes Seme-ster den Wecker auf 4.00 Uhr gestellt unddie ersten überfüllten Wochen tapferdurchgestanden und schon zählen wirzu den Auserwählten, die das teure GutBildung genießen dürfen. Bleibt nun zuhoffen, daß niemand von unseren Plä-nen erfährt, sonst gibt's trotz Leiden keinWissen. SW

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18 Studieren

Wenn aus Osten plötzlichWesten wird

BÄfäg-Bedarfssätze nach einerFachbereichsfusion

Es wächst zusammen, was zusam-mengehört.' - dies gilt noch immernicbt für die BAföG-Bedarfssätze,bei denen es nach wie vor ein finan-zielles Ost-West-Gefällegibt. Dabeirichten sieb die Bedarfssätze, unddas ist besonders gemein, nicbt nachdem Wohn- sondern nach dem Stu-dienort. Gerade in Berlin ist dieseEinteilung nicbt obne Probleme, woganze Pacbbereicbe quasi überNacht mal eben die Himmelsrich-tung wechseln, nämlich indem sievon der Ost- zur West-Uni binüber-gereiebi werden - und umgekehrt.

[ „Zeitlich begrenzteUngerechtigkeit"

In Berlin ist die Wahrscheinlichkeit,zum BAföG-Grenzübertritt gezwungenzu werden, recht hoch. Gerade für imWestteil lebende Studenten (mit BAföG-Berechtigung, was im weiteren nichtmehr besonders betont wird) ist somitdas Studium an der Humboldt-Uni nurüber finanzielle Einbußen zu machen,da sie nur den Ostbedarfssatz zuerkanntbekommen.

Recht heißt nicht unbedingt gerecht.Die Regelung der Bedarfssätze nach demStudienort ist deshalb besonders'unge-recht, weil bei an den Staat oder sonst-wen zu entrichtenden Beträgen immerdas Wohnortprinzip Anwendung findet,ob es sich dabei nun um Krankenkas-senbeiträge oder Mieten handelt. Nunist es nicht so, daß der Gesetzgeber die-

ses Manko nicht bemerkt hätte, denndieses Problem wurde während des Ge-setzgebungsverfahrens ausführlich dis-kutiert. Mit der Begründung, daß es sichhierbei um eine "zeitlich begrenzte Un-gerechtigkeit" handele, die nur für eineMinderheit relevant sei, wurde das Ge-setz in der jetzigen Form verabschiedet.Und gerade hierin steckt eine weitereGemeinheit, denn das bedeutet, daßkein bundesdeutsches Gericht eineNachbesserung verlangen kann und da-mit der Klageweg von vorneherein fastaussichtslos ist. Dies wäre nur möglichbei einem eklatanten Verfassungsbruch,dessen Vorliegen inzwischen von Ge-richten in Grundsatzurteilen verneintworden ist.

Ost- oder Westsatz?

Es gibt mittlerweile eine Reihe vonBeispielen, in denen im zuge des soge-nannten Abbaus von Mehrfachan-geboten Fachbereiche fusioniert wurdenbzw. werden, beispielsweise die HUB-Veterinärmedizin an das entsprechendeFÜ-Institut oder die geplante Fusion desbisherigen! FU-Virchow-Klinikums mitder HÜB-Charite. In diesem Falle wer-den dem BAföG gemäß aus Ost- plötz-lich Weststudenten und umgekehrt. Wasgeschieht dann mit der Berechnung derBedarfssätze? Es gibt jede Menge Son-derbestimmungen im BAföG, so auchin diesem Falle. Kurz und knapp bedeu-tet es, daß im Westen wohnende Stu-denten nach der Fusion in den Ostenweiterhin Anspruch auf die Westsätze

haben, im umgekehrten Falle erhaltenim Osten Wohnende die Westsätze.

Ebenso eher berlinspezifisch ist dieFrage nach den Bedarfssätzen, wenn beieinem Magisterstudiengang eines derbeiden Hauptfächer im Westen, das an-dere an der Ost-Uni studiert wird; alsodie sogenannte Doppellimmatrikulation,die ja rein hochschulrechtlich möglichist. Hier wird der Bedarfssatz nach derUni berechnet, an der das Wahlrecht zuden dortigen Studierendenvertretungenwahrgenommen wird, d.h. die Fragenach erstem oder zweitem Hauptfachspielt hierbei keine Rolle. Übrigens mußdie Wahrnehmung des Wahlrechtes ander jeweiligen Uni extra angegebenwerden.

Bedarfssätze

Und hier noch mal die konkretenBedarfssätze:

Ost WestGrundbedarf

570 DM 570 DMGrundwohnbedarf

-bei Eltern wohnend30 DM | 80 DM-eigene Wohnung80 DM | 225 DM

Wohnungsmietzuschuß1

max. 225 DM max. 300 DMKrankenkassenversicherungszu-schuß bei eigener Versicherung

60 DM | 70 DMPflegeversicherungszuschuß2

10 DM 10 DM

Höchstsatz gesamt865 DM 950 DM

ojoff(in Zusammenarbeit mit der studenti-

schen BAföG-Beratung)

Studentische BAföG-Beratungim Beratungsraum 2 beim StuPa(Ostflügel des Hauptgebäudes,Eingang Clara-Zetkin-Straße)Tel.: 2093 2145Beratungszeiten:Mo 16-18 Uhr (Peter)Di 16-18 Uhr (Alexander)Mi 14-16 Uhr (Peter)Do 14-16 Uhr (Alexander)Fr 10-11 Uhr (Alexander)

1bei Mieten über den Grundwohnbedarf hin-aus; Miete bedeutet: Kaltmiete + Heizkostenpau-schale von 40 DM

2nur auf besonderen Antrag; und dann erst abAntragsmonat

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Studieren- 19

Ökologie nicht nur beiden Biologen...

auch bei den Agrarwissenschaften sind die Ökos vertreten

Im Normalfall verbindet man imStudienalltag mit dem SchwerpunktÖkologie die Studienrichtung Biologieund man sollte meinen, daß angesichtsder globalen Umweltprobleme dieserSchwerpunkt bei den Naturwissen-schaften - insbesondere bei der Biolo-gie - besonders betont wird. Daß demnicht so ist, haben schon zahlreiche Stu-denten/Studentinnen der Biologie beider Wahl ihres Studienschwerpunkteserfahren. Was aber wohl kaum einerweiß, ist die Tatsache, daß sich die Land-wirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät desThemas Ökologie, insbesondere mitdem Schwerpunkt „Ökologie der Agrar-landschaften" angenommen hat unddazu im Zusammenhang mit der Neu-strukturierung ein Fakultätsschwerpunkt„Ökologie der Agrarlandschaften" (FÖA)eingerichtet wurde.

Nicht nur im Natur- und Umweltschutzsowie in der Biologie spielt die Ökolo-gie mit all ihren komplexen Zusa-mmenhängen eine wesentliche Rolle,sondern auch in immer stärkerem Maßein der Landwirtschaft und im Gartenbau,da Agrarlandschaften nicht nur die Funk-tion der Erzeugung von Nahrungsmit-teln und Agrarrohstoffen haben, son-dern enorm wichtig für den Erhalt unddie Erneuerung der NaturressourcenBoden, Wasser und Luft und die Rege-neration der biotischen Komponentendes Landschaftshaushaltes sind.

Der Fakultätsschwerpunkt ist als über-greifender Schwerpunkt auf dem GebietÖkologie und insbesondere auf demGebiet der Agrarökologie gedacht; durchihn soll eine wesentliche Profilierungs-richtung der Fakultät in Lehre und For-schung gefördert werden. Frau Dr. Hoff-

\

mann, wissenschaftliche Koordinatorindes Fakultätsschwerpunktes „Ökologieder Agrarlandschaften" sieht als eineHauptaufgabe des Fakultätsschwer-punktes die Zusammenführung vonmöglichen Kooperationspartnern inter-disziplinärer Forschungsprojekte. Dabeiist nicht nur an eine Zusammenführungund den Informationsaustausch inner-halb der Fakultät gedacht sondern auchdarüberhinaus an eine Zusammenarbeitmit internationalen und nationalen Part-nern und Einrichtungen. Ein Beispieldafür ist das Projekt „Ökom-Park" desLandkreises Birkenfeld im Hunsrück.

Neben diesem Hauptschwerpunkt inder Arbeit des Fakultätsschwerpunktessoll das Gebiet Ökologie in der Lehreunterstützt werden. Z.B. arbeitet eineArbeitsgruppe (bei der Studierende alsMitarbeiter dringend erwünscht sind) ge-

genwärtig an einem Fächer-katalog und der inhaltlichen Ab-stimmung der „ökologischen"Wahlpflichtfächer, so daß dieWahl des Studienschwerpunktes„Ökologie der Agrarlandschaften"(in der Studienordnung der Agra-rwissenschaften heißt er z.Zt.noch „Agrar- und Standortöko-logie" und bei den Gärtnern han-delt es sich um den „Gärtnerisch-Ökologischen Schwerpunkt") denStudis im Hauptstudium erleich-tert wird. Darüber hinaus habengerade die Vorbereitungsarbeitenfür ein Graduiertenkolleg begon-nen und das postgraduale Ergän-zungsstudium „AngewandteLandschaftsökologie" soll im Win-tersemester 1995/96 endlich star-ten.

Der FÖA leistet weiterhin wis-senschaftliche Öffentlichkeitsar-beit. Beispielsweise wird jährlicheine wissenschaftliche Jahresta-

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20 Studieren.gung durchgeführt. Die in diesem Jahrsteht unter dem Thema „Landwirtschaft,Gartenbau und Naturschutz - Methodenund Lösungsansätze" und soll speziellden jungen Wissenschaftlern dieMöglichkeit geben, ihre Ergebnisse vor-zustellen. Damit auch die Studentendaran teilnehmen können ist der 2.November 1995 als Termin gewähltworden. Die Beiträge erscheinen wie-derum in der eigenen Schriftenreihe desFÖA „Ökologische Hefte der Landwirt-schaftlich-Gärtnerischen Fakultät". DerFÖA war übrigens auch an der Organi-sation und Durchführung des Symposi-ums „Klimaveränderung und Landwirt-schaft- Wechselwirkungen, möglicheEntwicklungen und Handlungserforder-nisse" anläßlich des Klimagipfels (s.UnAUF Nr. 65) beteiligt.Die Akzeptanz dieses Fakultäts-

schwerpunktes bei den Studenten derAgrarwissenschaften und des Garten-baus ist laut Frau Dr. Hoffmann durch-aus beachtlich. Beispielsweise gibt es eingemeinsames Studienprojekt des FÖAund des FG Agrarmarketing und Ab-satzlehre zur Entwicklung einer Re-gionalmarke für ökologisch erzeugteProdukte in Großschutzgebieten desLandes Brandenburg.

In diesem Studienprojekt arbeitet auchdie „Ökobörse" (s. UnAUF Nr. 65) mit.Gerade die „Ökobörse" sieht Frau Dr.Hoffmann als das zur Zeit beste Beispielfür studentische Initiative im BereichÖkologie an; anfangs noch als studen-tische Öko-Spinnerei abgetan hat sichdie „Ökobörse" zu einem allseits aner-kannten und fachlich kompetent Part-ner gemausert. Diplomanden und Dok-toranden arbeiten innerhalb des FÖAsbzw. sind durch Frau Dr. Hoffmann andie entsprechenden Ansprechpartner fürdas jeweilige Fachgebiet vermittelt wor-den. Von ihr war auch zu erfahren, daßdas Angebot des Fakultätsschwer-punktes zwischen den verschiedenenPartnern Kontakte herzustellen nicht nurvon Fakultätsangehörigen wahrgenom-men wird, sondern auch von außerhalbzahlreiche Anfragen kommen. Nicht nurInstitute oder kommerzielle Einrichtun-gen sondern gerade auch Studenten an-derer Hochschulen und Universitätennutzen diese Möglichkeit der Kontakt-aufnahme mit dem entsprechenden An-sprechpartner für den jeweiligenStudienschwerpunkt. Besonderes Inter-esse von Seiten der Studenten bestehtbei der Vermittlung von Praktika auf demökologischen Sektor und bei der Mitar-

beit bei Projekten.Trotz der Akzeptanz des Fakultäts-

schwerpunktes durch die Studenten istdie Neigung der ehrenamtlichen Mit-arbeit in den entsprechenden Gremienoder aber auch in den studentischenInitiativen auf diesem Gebiet, wie zumBeispiel in der „Ökobörse" nicht beson-ders stark ausgeprägt, was zur Folge hat,daß studentische Interessen oder An-sichten gar nicht oder nur vage berück-sichtigt werden können, da sie nicht zurSprache kommen. An dieser Stelle einHinweis an all diejenigen unter denüberlasteten Studenten, die eventuelldoch noch etwas Spielraum in ihremTerminkalender haben oder aber ihrenIdealismus noch nicht endgültig verlo-ren haben: Der Fakultätsschwerpunkt„Ökologie der Agrarlandschaften"* suchtdringend eine Studentin/einen Studen-ten als Mitglied für den Vorstand undzur Mitarbeit, da diese Stelle noch nichtbesetzt werden konnte. Jeder/Jede, der/

die sich meldet wird mit offenen Armenempfangen.

Um dem Desinteresse der Studentenentgegenzuwirken will man von Seitendes FÖA bei Veranstaltungen und an-deren Vorhaben progressiv an die Stu-denten herantreten; so sollen Studen-ten verstärkt zur Mitarbeit bei Projektenund zur Anwesenheit bei Diplom-verteidigungen eingeladen werden.

Zur Zeit wird eine Informationsbro-schüre zum Fakultätsschwerpunkt „Öko-logie der Agrarlandschaften" erarbeitet.

franziska

Fakultätsschwerpunkt „Ökologie derAgrarlandschaften"Luisenstraße 5310099 BerlinWiss. Koordinatorin: Dr. sc. HeideHoffmannTel.: (030) 28022062

"Ökos aller Hochschulen,vereinigt Euch!"

Es ist wiedermal so weit: Tausende vonMenschen fangen im Frühjahrsrausch an,ihre Fernster zu putzen, etliche Lebe-wesen werden von den sie beflügeln-den Hormonen des näherrückendenSommers heimgesucht, und auch wirwollen nicht untätig verharren, sondernraffen uns zum gemeinsamen Treffenauf! Hunderte von wissensdurstigen,umweltinteressierten Studierenden ausganz Deutschland packen ihre acht Sa-chen und pilgern in Richtung Trier, derMoselmetropole, der Stadt des HeiligenRockes (näheres dazu auf dem Treffen),die Heimat der Porta Nigra, von $,KarlMarx und des goldenen Rebsaftes. FünfTage wird diskutiert, schöpferisch gear-beitet, Erfahrungen ausgetauscht, gefei-ert, Motivation getankt...

Die Umweltgruppe der Uni Trier hatsich mit der Vereinigung für ökologischeWirtschaftsforschung (VÖW) zusam-mengetan und lädt hiermit herzlichstzum 18. Bundesökologietreffen vom24.-28. Mai in Trier ein. Dieses Tref-fen wird regelmäßig aller sechs Monatedurchgeführt und dient dazu, wichtige

Informationen und Erfahrungen auszu-tauschen, die Umweltschutz an Hoch-schulen betreffen und damit die Umwelt-arbeit zu erleichtern und wirkungsvol-ler zu gestalten. Es gibt Arbeitskreise zuverschiedenen Themen wie z.B.: "Inter-nationaler Handel und Umwelt", "Alter-native Lernformen2, "Ökopädagogik"und viele andere mehr, Kurzvorträge,eine Öko-Rallye durch Trier und natür-lich eine schöne Abschlußfete. Für Ver-pflegung ist gesorgt.Wer Interesse hat, melde sich bitte im

Referat für Ökologie im Studentinnen-parlament der HUB (wann Ihr uns an-treffen könnt, erfahrt Ihr am dortigenAushang, Ihr könnt auch eine Nachrichtmit Adresse usw. ins betreffende Fachlegen).Wir freuen uns natürlich auch über alle

Mädels und Jungs, die einfach nur Lusthaben, bei uns im besagten Referat mit-zumachen, es gibt viel zu tun (und Spaßmacht es auch/trotzdem)!

Viele Grüße -Sibylle vom Umweltreferat

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-Studierea 21

Zwei postgraduierteAufbaustudiengänge„Spezialisierte Europastudien"und „InterdisziplinäreStudien"bietet das Europa-Kolleg Brügge

(Dyver 11, B-8000 Brügge) an. Zu demeinjährigen Studium werden Absol-venten der Fächer Rechts, Wirtschafts-sowie Politik- und Verwaltungs-wissenschaften zugelassen. Neben gu-ten Diplomnoten und Auslandserfah-rungen müssen sichere Kenntnisse inEnglisch und Französisch nachgewie-sen werden. Eine Prüfung entschei-det über die Aufnahme. Das Europa-Kolleg Brügge will Führungskräfte fürVerwaltung und Wirtschaft ausbilden.Das Studium wird abgeschlossen mitdem „Diploma of Advanced EuropeanStudies", wenn zusätzlich eine wissen-schaftliche Arbeit angefertigt wirdauch mit dem Degree of Master ofEuropean Studies."

Drei Broschüren über

Sommersprachkurseim Ausland 1995 hat der Deutsche Aka-

demische Austauschdienst (DAAD) veröf-fentlicht. Die Hefte enthalten über 220Angebote an Hochschulen im europäi-schen Ausland. Es geht um Englisch-Kur-se in Großbritannien und Irland, um Fran-zösisch-Kurse in Frankreich, Belgien undder Schweiz und um Kurse in den Lan-dessprachen anderer Staaten, beispielswei-se in Dänisch, Slowakisch, Ukrainisch, Ita-lienisch, Portugiesisch oder Türkisch. Zuerhalten beim Akademischen Auslandsamt(HG 2094)

Der neue

Auslandsstipendienführer des

DAADist erschienen. Er gibt Auskunft über

Studienaufenthalte für Studierende,

Graduierte und Wissenschaftler. Überdie meistgefragtesten Regionen, die ver-einigten Staaten und Großbritannien, in-formieren zwei zusätzliche Broschüren.Studierende sollten zum Zeitpunkt derBewerbung mindestens im dritten Fach-semester sein.

Neue Bücher"Ausbildung«- und Studienmögl-

ichkeiten im Sport", Verlag GeorgLingenbrink, Frankfurt am Main, ist als Buchvom Deutschen Sportbund herausgegebenworden. Die Übersicht enthält die Anschrif-ten aller einschlägigen Ausbildungs-institutionen.

Der "Studienfüihrer Geographie" (Gün-ter Heinrit2/Reinhard Wießner, WestermannSchulbuchverlag, Braunschweig) bietet ne-ben einer Darstellung der Studieninhalte auchSelbstporträts aller Hochschulen und ihrerStudienmöglichkeiten.

Zu EDV-Programmierern können sichStudienabbrecher beim Landesamt fürdatenveraibeitung und Statistik in Düsseldorfausbilden lassen. Kursdauer: sechs Monate.Kursbeginn: Anfang Mai, September undNovember. Die Kurse sind kostenlos. DieTeilnehmer erhalten eine monatliche Beihil-fe von 195 DM. Bewerbungen bei: Landes-amt für Datenverarbeitung und Statistik, Post-fach 101106, 40002 Düsseldorf.

"Biotechnologie in den Agrarwissen-schaften" bietet die Universität Göttingen(Fachbereich Agrarwissenschaften, AmVogelsang 6, 37075 Göttingen) als vier-semestrigen Aufbaustudiengang an. DasAngebot wendet sich an Agraringenieure undAbsolventen benachbarter Studiengänge wieBiologie, Gartenbau, Mikrobiologie, Zoolo-gie oder Veterinärmedizin und setzt zur Zu-lassung einen einschlägigen Studienabschlußvoraus. Zulassung erfolgt in der Regel zumWintersemester. Es stehen im Jahr sech-zig Studienplätze zur Verfügung.Bewerbungsschluß ist der 1. Septem-ber des jeweiligen Jahres.

Welt. Eingeschlossen ist ein dreimonati-ger Studienaufenthalt in Afrika, Asien,Lateinamerika oder Trans-formationsländern. Die Teilnehmer/innenan dem einjährigen Lehrgang erhalten einmonatliches Stipendium von z. Zt. DM1.200,— (inkl. Darlehensanteil).

Der Bewerbungsschluß für den 34. Lehr-gang Qanuar-Dezember 1996) ist der 31.August 1995.

Nähere Informationen und Bewerbungs-unterlagen können angefordert werdenbei: SEMINAR für LÄNDLICHE ENTWICK-LUNG, Humboldt-Universität zu Berlin,Podbielskiallee 66, D-14195 Berlin, Tel.:(030) 314-71334, Telefax: (030) 314-71409

T-Shirts an der HUB

Seit dem Sommersemester 1995 werdenan der Humboldt-Universität zu Berlinneue T-Shirts mit dem traditionellen Em-blem und einem neuen Motiv angeboten.Aufgrund der bedeutenden Geschichte derHumboldt-Universität und den Zielen, diesich die Uni setzt, haben wir extra auf guteQualität geachtet und hoffen, daß den Stu-denten die T-Shirts gefallen werden.

Die Aktion wird von einem Studentender Volkswirtschaftslehre, PatrickRibbentrop, geleitet. Wenn die Studentenan den T-Shirts etwas auszusetzen, neueVorschläge oder besondere Wünsche ha-ben, kann man Patrick unter dertelefonnummer 618 6687 erreichen. Die T-Shirts werden für nur 15 DM im Hauptge-bäude Raum 2095a, bei angekündigtenStänden in den Fakultäten und bei Son-derveranstaltungen verkauft.

Ergänzungsstudium amSeminar für ländlicheEntwicklung

Das Seminar für Ländliche Entwick-lung an der Humboldt-Universität zuBerlin bietet Universitätsabsolventenund -absolventinnen der Agrarwissen-schaften sowie der Wirtschafts- und So-zialwissenschaften ein Ergänzungs-studium für eine spätere Tätigkeit in derInternationalen Agrarentwicklung an.

Die Ausbildung ist praxisorientiert undzielt auf eine Befähigung zur Analyse,Planung und Durchführung vonAgrarprojekten in Ländern der Dritten

SCHAUSPIELHAUS AM GENDARMENMARKT

Mittwoch, den 31. Mai 1995 um 20 Uhr

cappella academicaSinfonieorchester der Humboldt-Universität

Dirigent: Cunstantin Alex Solist: Stefan Imorde Klavier

BENJAMIN BRITTEN Passacaglia aus der Oper

"Peter Grimes" op. 33b

EDVARD GRIEG Klavierkonzert a-mollop. 16

PETER TSCHAIKOWSM 1. Orchestersuite d-moll op.43

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22 Kultur

"Mann soll nicht sehenümüssen! "

Micha Ulimann ist Schöpfer des Denkmals für die Bücherverbrennung auf demBebelplatz, das am ?. April eingeweiht wurde. Er ist israelischer Künstler, lebt und lehrtin Jerusalem und in Stuttgart an der Kunstakademie. Einen Tag nach der Einweihung

seiner, wie er sagt, „Skulptursituation" vor der Kommode haben wir mit ihmgesprochen.

Das Kunstwerk ist eine Skulptur, dieman nicht unmittelbar sieht. Sie ver-schließt sich einem, bis man sich ihrauf etwa fünf Meter nähert. Ist dasnicht zu 'wenig für so ein wichtigesEreignis?

Es stimmt nicht genau, daß man die

Skulptur nicht sehen kann. Man kannsie sehen, wenn man es will. Wenn nicht,muß man sie nicht sehen. Man hätte einesehr große Skulptur in die Mitte diesesPlatzes stellen können, aber ich wolltenicht, daß man sie sehen muß.

Sie stellt trotzdem einen Bruch dar

mit der repräsentativen Architektur.Dieser Gegensatz ist interessant.

Das ist die eine Seite: die kleine Schei-be reflektiert durch die Spiegelung diegesamte historische Architektur, undzwar genau so, wie es der Betrachterwill. Die Fahne auf der Oper, oder das

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Kultur 23

Kreuz, oder das Kreuz auf der Kommo-de, du kannst alles mit einer kleinenBewegung genau in das Bild bringen,es ist wie ein Bildschirm. Du siehst, wasdu willst. Aber es gibt hier noch ein in-teressantes Element, das mit der Fragezu tun hat: was passierte hier und wiepassierte es hier an der Humboldt-Uni-versität - ich habe gehört, fast 90 % vonden Studenten und Professoren warenmehr oder weniger von den Nazis über-zeugt. Junges Denken, Zukunftsdenken- wie kommen Intellektuelle zu solchenGedanken, zu einer Tat wie der Verbren-nung von Büchern?

Wenn man das Werk als Katakom-be sieht, als Gedächtnisstätte, dannkommt es einem auch wie ein Grab-mal vor. Wie sehen Sie das, was daverloren oder tot ist?

Diese Assoziation von Grab, Katakom-be, wenn man will, Friedhof, Bücher-friedhof, ist das eine. Aber durch dieSpiegelung ergibt sich noch mehr: eineunendliche Änderung von Himmel-landschaften, gespiegelte Architektur,immer, wie wir es wollen. In der Nachtist der Effekt noch anders als in derNacht, weil das Licht kälter ist. Mit die-sen Himmeländerungen, den Jahreszei-ten, der Architektur und dem Menschenselbst, kommt eine Außenwelt dazu. Siehat mit dem Leben zu tun; ein Vogeloder ein Flugzeug, bringen unsere Zeitparallel zur Vergangenheit hinein. Es istein Treffpunkt von Tod, Vergangenheitund dem Leben der Betrachter, dem Jetztund weckt damit Assoziationen, Erinne-rungen, Hoffnungen.

Man kann durch die Oberfläche indie Katakombe eintreten, sozusagenin die verlorene Literatur. Die unter-irdische Bibliothek ist ein Symbol fürdas Ereignis der Bücherverbren-nung. Sie sprachen von einem Si-gnal

Das Wort Signal ist mir sehr wichtig.Die Frage war, warum die Arbeit nichtphysisch ist. Sie ist ziemlich groß, abervon weitem nicht sichtbar. Anfang der30er Jahre war auch nicht sichtbar, waspassieren konnte, es gab nur Signale.Der 10. Mai 33 war schon ein sehr deut-liches Signal, auch wenn nicht Menschengetötet wurden. Das hat man dafür ananderen Plätzen getan. Man konnte dieSignale sehen, wenn man wollte. Diemeisten wollten nicht. Oder, was viel

schlimmer ist, sie dachten, daß es posi-tive Signale sind.Ich glaube, hoffe, daß so eine vielleicht

ungewöhnliche Skulptnrsituation Fra-gen bringt und anbietet. Sie sagen zumBeispiel, daß die Ost-West-Beziehungeine aktuelle Frage ist - das weiß ichnicht. Aber auch heute und jetzt gibt esSignale und eigentlich wissen wir, wosie sind.

Ein Sprichwort sagt, man muß dieSaat niedertreten, bevor sie aufgeht,sonst ist sie nicht mehr aufzuhalten.Gerade aber in der Unscheinbarkeitdieser Skulptur fehlt mir das Auf-merksammachen, ein „Sich-Aufdrän-gen" für den, der sie nicht sehen will.Die Gefahr von Rechtsradikalismus,Fremdenfeindlichkeit, Rassismuswächst Das ist etwas, was schon ein-mal groß geworden ist. Ist es nichtwichtig, direkt darauf zu zeigen, dieLeute zu zwingen, sich auseinander-zusetzen?

Das ist eine interessante Frage. Sie sa-gen: gezwungen, und Sie sagen es aufeine positive Art und Weise, aber eigent-lich ist das Zwingen die große Gefahr.Die Zeit der Bücherverbrennung unddanach war eine Zeit, in der Menschendurch Macht, Terror und andere Metho-den gezwungen wurden, in bestimmterWeise zu handeln und zu denken; ihreErziehung, ihr Wissen waren Zwang. DerKern ist: wenn man dich zwingt, wirstdu widersprechen.

Die Skulptur zwingt nicht und ist trotz-dem da. Man muß nicht - man kann.

Die Guten und die Bösen, die Rech-ten und die anderen - so einfach ist esnicht. Gegen flaches, primitives, dum-mes Denken ist Zwang sinnlos. Daskann die Polizei und das hilft nicht. Wirmüssen probieren, was wir können: Er-klären, Reden, Erziehung, positive Plä-ne können Gedanken ändern.Es ist kein Zufall: die Spiegelung des

Menschen im System und die Spiege-lung des Menschen selbst lassen denPlatz ist nicht leer. Er muß es fühlen.Dir fehlt etwas, und das ist genau, wasich will: was fehlt, bringst du hinein. Ichlade dich ein mit einer Tür und du fragst:wohin führt sie, warum ist sie zu? Wosind die Bücher, warum sind sie imKeller? Fragen kommen nicht bei dem,der nicht will. Ich biete einen Dialog mitsich selbst. Und ich will fast sagen, derVerbrecher, der Zwang, der Haß, ist auchin uns, auch in mir. Durch den Spiegel

guckt jemand nach innen und fragt:welchen Weg gehe ich?

Seit den 50er Jahren wurden die imFaschismus verbotene Kunst und diein der Nazizeit zerstörten Kulturgü-ter erneuert und restauriert, um sieden Deutschen in einer Art direkterKunsterziehung wieder nahezubrin-gen. Die Auslassung von 12 Jahrenfreien Geisteslebens in der Nazizeitsollte wieder gefüllt werden. Sie ver-neinen Zwang, aber Sie sind auchdafür, daß man sich auseinander-setzt. In welchem Verhältnis stehtdas eine zu dem anderen?

Das Problem ist bei dem Muß. Das istdie Gefahr. Erziehung, das Wiederher-antragen der Kunst an die Menschenusw. ist in Ordnung, solange es nichtzum Zwang wird. Aber es war ein offe-nes Angebot. Die Bücherverbrennungist berühmt geworden, weil sie eineganze Literaturgeneration vernichtete.Man könnte ja sagen, was ist schon dasbißchen Papier, zwei Meter hoch, fünfMeter breit, es hat ein bißchen gebrannt- aber die ganze Welt kennt es und esist ein Symbol und vielleicht eine dergrößten Schwierigkeiten für Deutsche!

Man kennt kein Volk, das solchen kul-turellen Selbstmord gemacht. Die Nazishaben das nicht gewußt, aber nach fünfJahren wußte jeder, daß es ein Selbst-mord war. Das Wichtigste ist, daß bisheute die Leere zu spüren ist. Man hatnicht gleich nach dem Krieg angefan-gen, die Literatur wieder aufzulegen,auch nicht zehn Jahre danach, nichtzwanzig. Es war ein sehr langsamer Pro-zeß, viele sagen, viel zu langsam.

Wie haben Sie das mitbekommen?Wann haben Sie eigentlich studiert?

Ich? (Lacht) I960 bis 1964 an der Kunst-akademie.

Das war eine andere Situation, zudieser Zeit waren Studenten Hand-langer der Macht, 68 sind sie hier inBerlin auf die Straße gegangen. Wiesehen Sie die Studierenden heute?

Ich lehre seit 25 Jahren. Jetzt auch inStuttgart an der Akademie, wo ich auchlebe, so daß ich auch ein bißchen diedeutschen Studenten kenne. In meinenAugen war die 68er Revolte in Deutsch-land, Frankreich, Amerika, eine sehrwichtige und positive Bewegung. Ich

Page 24: UnAufgefordert Nr. 66

24 Titelhabe ein paar Jahre später Jerusalem teil-genommen - bis zum Mittelmeer brauchtes ein paar Jahre - und ich wurde alsjunger Lehrer von der Akademie ge-schmissen. Ich spreche also ein bißchenaus Erfahrung.

Viele Menschen versuchen heute,aus der Gesellschaft auszubrechen,sich über Drogen, über Musik befrei-en wollen vom „kulturellen Geist"ihrer Umgebung. NewAge, Esoterik,

der Rückbezug auf alte, ganzheitlicheAnsätze oder nach einer Gemein-schaft, der man sich unterordnet -ein auch vom Faschismus propagier-ter Gedanke. Unter jungen Leutengibt es einen Mangel an Auseinan-dersetzung, vielleicht eine andere Artkulturellen Selbstmordes als einevon oben gesteuerte. Ich frage mich,wieweit das ein seelisches oder kul-turelles Bedürfnis sein kann.

Ich habe selbst einen 20jährigen Sohn.Die Unzufriedenheit junger Leute ist et-was ganz Natürliches. Die Jungen wol-len anders sein, sind enttäuscht undunzufrieden mit ihrer geprägten kultu-rellen Umgebung, mit dem, was mit der

Welt, der Gesellschaft usw. passiert. Dasist ein Teil des Lebens - bewerten kannman das nur, wenn man von etwas Be-stimmtem redet. Wenn ich mir vorstelle:Graffitty auf meiner Skulptur - da weißich nicht mehr, auf welcher Seite ichbin..., aber ich kann keine Vorschriftenmachen. Die Unzufriedenheit bringtneue Ideen, Veränderungen. Die Frei-heit, nicht alles mitzumachen, das Esta-blishment in Frage zu stellen, das seheich positiv. Aber es gibt Punkte, die ge-

fährlich werden.Wenn ein Menschgetötet wird, ist esegal, welche Ideedahintersteht. EineIdee darf nicht mehrbedeuten als einMensch! Hier sindGrenzen und wennwir die Signale nichtsehen, wird es ge-fährlich. Wir müs-sen nicht auf Revol-te und ihre Möglich-keiten verzichten.89 habe ich es nichtglauben wollen:eine Revolutionohne einen Toten!Fantastisch! Ich binaber ein Gast undsehe nur von au-ßen, was passiert,ich kann nicht sa-gen, was hier gutoder schlecht ist.

Nur, mit der Ge-fahr handeln wirjede Minute: jedenTag ändert sich dasWetter, morgen istnicht wie heute,

heute ist nicht, wie gestern war. Wirmüssen aufmerksam sein, nicht unserenMaßstab zu verlieren. Ohne zu sagen,das ist nicht erlaubt. Ein junger Menschdenkt anders als die Alten, und das istnormal.

I'Wenn Entwicklungen, Lebensläufe,

die eigentlich natürlich sind, an ei-nem Punkt gefährlich werden, wennIdeen dazu mißbraucht werden, Ge-walt gegen Menschen zu rechtferti-gen, welche Rolle spielt dann Kunst,die Signale zu erkennen, zu begren-zen, in die Diskussion zu bringen?

Das ist eine sehr schwierige Frage. Ichkann nur mit Hoffnung und gutem Wil-

len antworten. In der Nazizeit haben sietagsüber getötet und abends haben sieBach und Mozart gehört. Haben siewegen Mozart und Bach weniger getö-tet? Leider sind die Fakten nicht sehrpositiv, aber ich habe doch Hoffnung.Die Kunst hat Elemente, durch die wirlernen, feine Unterschiede und Detailszu sehen. Es gibt Bereiche, die von derKunst besser behandelt werden könnenals zum Beispiel von der Wissenschaft,wie die Liebe, Humor, poetische Gefüh-le, das Geistige. Ich hoffe, daß das hilft.Ich kann nicht sicher sein, aber wirmüssen es weiter probieren.

Nachdem Micha Ulimann unsereFragen beantwortet hatte, drückte ernochmal seine Intentionen und Vor-stellungen aus, die er mit dem jetzi-gen Ort seiner Arbeit und der Bedeu-tung der Ausstellung der Entwürfe,die im Foyer der Kommode statt-fand, verbunden hat:

Zum Abschluß möchte ich noch etwassagen: Es ist kein Zufall, daß die Aus-stellung hier ist. Ich hätte in einer Gale-rie oder im Museum oder in einem an-deren Kunstfeld ausstellen können, aberich habe gefragt, ob es in der Universi-tät möglich. Dann kam der Vorschlagauch an mich und nun ist es hier. Hierhat es angefangen, in der Universität undmit Studenten, und dieser Bezug inter-essiert mich mehr als die Kunst. In den30er Jahren und danach, in einer Zeit,in der alle in eine Richtung redeten, dieStimmung , die Propaganda und über-haupt alles, was geschrieben wurde, indieselbe Richtung gingen, war es füreinen jungen Menschen nicht so leichtwie wir vielleicht denken, für sich her-auszufinden, was richtig ist. Studentenheute sollen sich damit beschäftigen.Anarchismus, Revolution - warum nicht?Aber wo ist die Grenze, der Punkt, andem es gefährlich wird? Und da ist egal,um welche Ideologie es sich handelt.

Es ist kein Zufall, daß das Glas auf derHöhe Null ist - es ist ein Grenzfall vonoben und unten, und das Oben sehenwir nur, wenn wir nach unten gucken.Der Mensch auf dem Glas ist schon ge-fährlich - Gott sei Dank stehen nicht alleauf der Glasplatte, das gibt weniger Krat-zer. Die Alarmanlage: ein mal ein Zenti-meter, ist Teil der Kunst. Das ist für dieVerbrecher: die Polizei ist in einer Mi-nute hier.Wir danken Ihnen herzlich für das

Gespräch.

Page 25: UnAufgefordert Nr. 66

Titel 25

Prof. Dr. em. Günter Tembrock über die Zeit des Krieges in Berlinund an der Universität

"Als der Krieg begann,waren Semesterferien,..."

...und ich befand mich auf Fahrrad-Ur-laub in Harzgerode. 1937 hatte mein Stu-dium begonnen, 1941 endete es mit 5Einzelprüfungen, die erste am 11., diebeiden letzten am 16. Dezember. Die-ses Tempo kam sowohl durch im Kriegeingeführte "Trimester" zustande,als auch durch mich forciert, weilimmer Einberufung befürchtend,bis kuriose Umstände zu einer"Ausmusterung" führten. DieGrundstrukturen des Studiumswaren damals noch nicht verän-dert, trotz des ideologischenDrucks der "Gleichschaltung", sodaß man seine Fachkombina-tionen als Biologie-Student, dernicht in den Schuldienst wollte,frei wählen konnte. Zwischen-prüfungen, damals als "Fleiß-prüfungen" bezeichnet, waren nurerforderlich, um Stipendien zuerhalten. Ich verdiente mir zusätz-lich Geld durch Führungen imNaturkunde-Museum, die das Stu-dentenwerk Berlin (Johannisstra-ße 1) organisierte. Dadurch zer-streuten sich auch die "Jahrgän-ge" der Zulassungen (1937 ohnenumerus clausus), und man trafin den Hörsälen Studierende ganzunterschiedlicher Semester, meinerstes Kolleg-Erlebnis vollzog sichim noch erhaltenen Hörsaal desdamaligen Zoologischen Institutesin der Invalidenstraße in der "Zoo-geographie", die der Dozent Cäsar Bött-ger vortrug. Da ich schon vor Stu-dienbeginn Beziehungen zur Käfer-Ab-teilung des Museums hatte, hielt ichmich dort auch zwischen den Lehrver-anstaltungen auf, um von Prof. Kuntzenbetreute Untersuchungen an dem Lauf-käfer Carabus ullrichi durchzuführen,

aus denen schließlich - zunächst garnichtintendiert - eine Dissertation wurde. Esgelang mir mit einigen "Tricks" unterdurch Nutzung einer im Arbeitsdienstzugezogenen und anerkannten "Dienst-beschädigung" mich von den politisch

Tembrock

organisierten großen Studentenorgani-sationen - vor allem dem "NS-Studen-tenbund" - weitgehend fernzuhaltenund auch die bei den ersten drei Seme-stern erforderlichen Nachweise uniform-tragender Mitgliedschaften durch "Aus-beutung" der Krankheitsbescheini-gungen und zweier Kuren so abzu-schwächen, daß ich einem Status zuge-

ordnet wurde, der sonst nur auf Aus-länder Anwendung fand. So entging ichder verordneten "körperlichen Ertüchti-gung", Fechten eingeschlossen, undauch bei Veranstaltungen der "AltenHerren" war ich nur einmal und nie wie-

der. O "deutsche Burschenherr-lichkeit" - für mich schon in jenenTagen entschwunden.

So entging ich auch weitgehendden Aufmärschen und Großveran-staltungen, die damals auf vieleZeitgenossen eine bestürzendeZugkraft ausübten. Wenn ich michrecht erinnere, bin ich nur 1938einmal gemeinsam mit anderenStudierenden in eine Veranstal-tung geraten, auf der der "Gift-zwerg" (Bezeichnung von H. Gör-ing) Goebbels eine Rede hielt(worüber wohl?), nachdem zuvorProf. Enderlein gerufen wurde,wohl um den mißgebildeten Fußzu behandeln. Hitler habe ich"leibhaftig" nie gesehen. Damalsgab es einen "Reichstudenten-führer" Scheel, der 1938 forderte:"Wir werden nicht ruhen und un-sere Forderung täglich aufs neueerheben, daß bei der Auslese zumStudium einzig und allein nat-ionalsozialistische Gesichtspunktemaßgeblich sein dürfen."Und ererwartete zudem "Durchsetzungder einzelnen Wissens- und Fach-

gebiete mit dem Geist des National-sozialismus.''Ich habe seinem Wunschnicht entsprochen, der lautete: "Derjun-ge Student gehört in den Ferien in denLand-oder Fabrikdienst."

N atürlich waren wir zu Hause auchvon den Ereignissen berührt, die

damals tiefe Bestürzung und Betroffen-

Fortsetzung S.28

Page 26: UnAufgefordert Nr. 66

Eine Veranstaltung der Deutschen Studentenschaft am 10. Mai 1933Am Abend de» 10. Mai 1933 kamen die Studenten der Zeitungswissenschaft in ehern kkehen Lokal h der

Dorotheenstraße, Ecke CharlottenstraSe, zusammen. Ein neuer \forstand der Fachschaft sollte gewählt werden. Am Kopf

einer Hufeitentafel saSen die bisherigen Leiter der Fachschaft - Schneider und Pappenheim. Schneider sprach über die

Wahl und nannte, etwa» stotternd, Namen von Kandidaten. Dann sollte die Wahl stattfinden. Ehe es dazu kam, erschie-

nen etwa ein Dutzend uns unbekannte Mitglieder des .NSDStB" Ofetionahozalistischer Deutscher Studentenbund") h

Unform: braunes Hemd, schwarze Reithosen, blanke Stiefel Sie stellten sich breitbeinig, die Hände h die Hüften

Adler, Alfred Adler, Max Auernheimer, Max Bauer, Otto

Baum, Vicki Becher, Johannes R. Beer-Hofmann, Richard

alter R<»iY»n^<^>hrt ~Wa]t^f A Rlorh Rrnst

Am 11. Mai vormittags begab ich mich auf die Linden: Mal sehen, was .die" gemacht haben.

Bücher brennen doch gar nicht! Sie verkohlen doch höchstens.

Und so war es gewesen: Offensichtlich hatte man massenweise zerknülltes Zeitungs- und

anderes Altpapier verbrannt, denn verkohlte, angekokelte Reste lagen noch herum und flogen

durch die Gegend

Wolfgang Brocke, Essen

ellinek, Geo Erich Kafka, Franz Kaiser,

^ DrelfS* 6t«*««*»

n, nncn xviusii, tvoueix iNcuuianTit Airreu

gestemmt, wortlos an beiden Längswänden des Raumes auf Darauf bekam unsere Fachschaft ohne weiere Wahl-

prozedur einen neuen Verstand.

Betroffen verließen wr das Lokal. Die DorotheerutraSe war ungewöhnlich belebt. Mit Margot-Lotte Michaelis und

dem bulgarischen Studenten Popoff ging ich zum Opemptatz. Dort hatte, w e wir wußten, der NSDStB de Bücherver-

brennung organisiert Der Platz war gedrängt voller Menschen. In der Mite befand sich e h Scheiterhaufen, der schon

brannte und h den die uniformierten Studenten unter rgendwelchem Gebrüll Bücher warfen. Auch ehe Gruppe von

\ferbhdungsstudenten mit Mütze und Band beteiligte sich geschäftig an der Bücher\femkhtung. Die übrige Menschen-

menge, zu der auch wir gehörten, verhielt sich passir und stumm, ob vor Bewunderung oder vor Staunen, vor

Entsetzen oder vor furcht, war nicht auszumachen.

Hans KrcheJdorrr, Benh

Trotzki, Leo Tschuppik, Karl Tucholsky, Kurt Wassermann,

Jakob Werfel, Jakob Wolf, Friedrich Zuckermayer^ Carl

Zweig, Arnold Zweig, Stefan.Aber meinen Sie wirklich, es sei nichts geschehen und nach Hitler sei wieder

das alte Deutschland da? Was so viel beklemmender ist als der ganze Hitler, ist, daß

er (scheint mir) den Deutschen wie angegossen paßt."

Alfred Döblin an Thomas Mann

Page 27: UnAufgefordert Nr. 66

28 TitelV?•

* Kriegsende in Berlin(Auszüge aus dem Tagebuch Prof. Tembrocks)

03. Februar 1945:Großer Luftangriff auf Berlin von 10.30 bis 12.00, 2

schwere Bombentrefferim Museum und in derGeol. Lan-desanstalt, Luftschutzkeller im Hause verschüttet, 3 Per-sonen tot, darunter unsere Putzfrau Nauschütz.

08 . Februar 1945:Bergung von Sammlungsmaterialien bei Prof. Bischoff.

Es lief noch das Semester, Freitag Bestimmungsubungen(Insekten).

14. Februar 1945:IVortrag über Insektenflügel in der entomologischen Ar-beitsgemeinschaft.

10. März 1945:Das Institut wird durch eine Luftmine schwer beschä-

digt, so daß ich am Montag die Tür meines Zimmers ausStocken zusammensetzen mußte. Diese Aufräumarbei"ten gingen in den nächsten Tagen weiter.

18. März 1945:Reste der Bibliothek in den Keller geschafft

20-Marc-ZLMärz 1945:" Dtenstog: 1&3Ö bis 16 45 Luftwarn urtg, NacMv/oci}«,20:45 Ü* 21A5 Alarm

, Mittwoch; 0$, 15 bis 04.10 Lufhvarnung, 9 bis 10 Uhrt Alarm, s

Do«iwsfc#; 20,45 b» 2L50 Alans, 3.25 bis 4.WAtarrsfj.

. Pofk« geprüft.

18.ApriJ1945:Bespre

auf Villaboden,Brand im Ketlef -

Expbsbn vradl

19. April 1945:Ein SchlangenspeziaJfsf fecjmntf vodbet yrrt 6k& nodb j

immer gehälterten zu besichtkfäfl {zM<Nachts 5mal Alarm

2 1 . April 1945:Gesangsstunde bei

mit S-Bahn zum Institut. £$&er> m der ¥ef.Jvted< m d-erLuisenstraße. Artillerle-Beschyß,obert, fuhr die S-Bahn nicht Fn^KIn der Wohnung gelesen^ bi*9*§eoubefzwei ArtNIöfle:-Einschlage, donn

23. April 1945Kämpfe in

txs&etet «ftd1 vöß deo Nazis

er-

24. ApriJPankow vcm d<?n

befreit

02. Mai 194$:

OB. Möii 945:

09, Mail 945;Rvss&cihes f^ue

24. M a i l 945:

" Bm Siödftfttin

icH ve#iä# Stresemann nei Baroke zu Alkohol^ ibuSCib-*Fohlt an die Oder zu ermöglichen.

taucht auf.

&&?ftcifcbmiJ: Dringlichkeit benutzbar. Roosevelt

im Schauspielhaus.

db t5. Juni.

27. Juni 1945:Gehalt bei der Uni: 2$0,- RM

13. Juli 1945:Bestimmungsubungen:

wuden alle ehemailtgendrborn, Prau Meyerhofi

n), 10 Teilnehmer. Esenossen entlassen: Feu-

Page 28: UnAufgefordert Nr. 66

Titel 29

In der Universität 1945

heit auslösten, die Zerstörung jüdischerGeschäfte (beinahe auch das Textilien-Geschäft meines Onkels Siegfried Tem-brock, weil für "jüdisch" gehalten), undnatürlich besonders auch die "Erstür-mung" der Synagoge in der Oranienbur-ger Straße. Mein Onkel Berthold Tem-brock war zeitweise in Sachsenhausen,sicher nicht nur, weil er an einem U-Bahn-Durchgang geäußert hatte "Hun-de müssen auch schon Maulkörbe tra-gen?", und gegen Ende des Krieges sik-kerte immer mehr Kunde über die Vor-gänge durch, die wir heute mit demBegriff "Holocaust" umschreiben: Gna-de uns, was geschieht, wenn der Kriegzu Ende ist... Wir ahnten schon 1938,daß er unvermeidlich sein würde, aberals er dann begann, und ich mit "ver-dunkeltem Rad" aus dem Harz kom-mend in Berlin eintraf, war überall Sor-ge und Beklommenheit spürbar; auchwar ich sofort ein Betroffener, da icheinen Einberufungsbefehl vorfand, denich tags darauf durch Vorweisung der"Dienstbeschädigung" und der bereitsfür 1940 angesetzten zweiten Kur rück-gängig machen konnte. Noch heute hatmich der Schatten nicht verlassen, derdamals die Frage hinterließ: Wer erhieltan meinerstatt einen solchen Befehl, undwas ist ihm geschehen?

An der Universität waren anfangsnach Kriegsausbrauch keine stärke-

ren Veränderungen erkennbar, außerdaß sich die Anzahl der Studenten ste-tig verringerte, die Mediziner ausgenom-

men, die wir damals auch in Kursen inder vorklinischen Ausbildung betreuten.Somit erhöhte sich stetig der Anteil weib-licher Studierender in den Vorlesungenund Übungen. Auf Exkursionen, die ichaußer für die Volkshochschule seit April1941 auch als Hilfsassistent mit Studen-tinnen - kaum älter als diese - durch-führte, konnten wir von Passanten, dieuns beobachteten, kuriose Kommenta-re hören, von denen ich mich freilichnicht betroffen fühlte. Fotos der Zeit be-zeugen, wie ich mit dem Rücken zu ei-nem Antilopengehege im Zoo vor auf-merksamen Studentinnen doziere. DerLehrkörper wurde mit offiziellen"Sprachregelungen" konfrontiert, undich erinnere mich, daß der LektorStumpff bei einem Zeichenkurs, an demich teilnahm, anmerkte, den Feldzug inPolen nicht als "Krieg" zu bezeichnen.Immer mehr Kommilitonen mußten un-ser Haus verlassen, wir packten Paketefür sie zu den Feiertagen, sammeltenGeld für Fachbücher, die dann an dieFront geschickt wurden. Diese dehntesich über weite Teile Europas aus undschloß auch Nordafrika ein. Echte Zoo-logen behielten die Fauna im Blick, undso kamen immer wieder Sendungen mitlebenden Tieren, besonders bei Prof.Konrad Heiter an, der vor allem den"Temperatursinn" untersuchte. Meinedamalige Verlobte Luise Haller erhieltvom ihm aus Frankreich übersandteSchaben (zoologisch: Lobopterea de-cipiens), daraus erwuchs 1942 eine Dis-sertation mit den "Doktor-Prüfungen",

die am 28. März 1945 nochzu einer provisorischenPro motionsbes tätigungführten, unterschriebenvom Rektor Kreutz undDekan Bieberbach.

In den Briefen an mei-nen Bruder, der am 19-März 1942 an der Ostfrontsein Leben verlor, berich-tete ich über das Studiumhier am Institut. Ende 1941gibt es einen Brief übereine philosophisch-natur-wissenschaftliche Vorle-sung des amtierenden Di-rektors Prof. Feuerborn, inder er die Rolle Einsteinswürdigte unter Hinweisauf seinen Anteil an derPrägung des Weltbildesunseres Jahrhunderts. Ichkommentierte diese Äuße-rung mit dem Hinweis auf

"tosenden Beifall" mit fünf Ausrufezei-chen dahinter und der Anmerkung, daßdieses Hoffen lasse. Der Brief ist erstaun-licherweise angekommen. Die Studen-ten, die während des Krieges in Berlinbleiben konnten, waren vorwiegend Me-diziner, die aus der Sicht des Staates jadringend gebraucht wurden. So ließauch der ideologische Druck nach zu-gunsten pragmatischer Entscheidungen,die Vorrang hatten. Er schlug aber vollzu, wenn der "Volksgerichtshof' unter

Praktikums räum Naturkundemuseum(1945)

Page 29: UnAufgefordert Nr. 66

30 TitelFreister aktiv wurde, und mich verfolgtzeitlebens der Eindruck bei der Verhand-lung, die den Museums-Kustoden Wal-ther Arndt am 11. Mai 1944 betraf, derwegen "defätistischer Äußerungen" zumTode verurteilt wurde.

Der Krieg erreichte 1943 in Berlinneue Ausmaße durch massive Bom-

benangriffe auf die Stadt; in unserem In-stitut brannte der Wirbeltiersaal aus -noch heute mit vermauerten Fensternin diesem Zustand erhalten - und zurgleichen Zeit (November 1943) wurdeauch der Berliner Zoo schwer getroffen.Längst waren Luftschutz-Nachtwachenorganisiert, die ich auch zu Arbeiten überdas Flügelgeäder der Insekten nutzte,wenn es ruhig blieb. Im Hause In-validenstraße 43 war unter dem minera-logischen Saal der Schausammlung einLuftschutzkeller etabliert worden. Das"Wachpersonal" hielt sich bei Bomben-angriffen im Mitteltrakt der Museums-keller auf; dieser Bereich wurde als"Befehlsstand" umschrieben. Am 3- Fe-bruar 1945 führte ich in einem Keller-raum des Institutes seit 9 Uhr Bestim-mungsübungen durch, als uns über die"Goebbels-Schnauze" ("Volksempfän-ger") die Vorwarnung erreichte ("starkefeindliche Fliegerverbände im Anflug aufBerlin im Raum Hannover/Braun-schweig"); die Studenten wurden gebe-ten, Schutzräume aufzusuchen, ich gingmit einem Helm als Kopfbedeckung zudem "Befehlsstand": von 10 Uhr 30 bis12 Uhr war der Bezirk Mitte eines derHauptziele der Bombenabwürfe, unddas große Gebäude wurde durchge-schüttelt, als eine "Luftmine" den Ost-flügel des Museums vom Käfersaal,durch die (längst geräumte) Bibliothek,den herrlichen anatomischen Schau-sammlungsaal mit kostbaren Objektenund den darunter liegenden Kellerdurchschlug. Das Gebäudeskelett starrtuns noch heute mahnend an, und ichsehe gerade noch das Fenster im Käfers-aal erhalten, hinter dem ich meine Dis-sertation auf den Weg gebracht habe.Bei diesem Angriff erfolgte ein schrägerBombeneinschlag unter dem mineralo-gischen Saal; auch hier sind die Spurennoch heute unübersehbar: der Luft-schutzkeller stürzte ein. Unsere PutzfrauNauschütz konnten wir nur noch totbergen. 2 Tage später bezog ich einenRaum in der "Villa", weil im bisherigenZimmer der riesige Fensterrahmen ins-gesamt auf den schweren Eichentischenlag. Ich ahnte damals nicht, daß ich den

\

Dozent Tembrock (1947)

Ersatzraum rund 49 Jahre "bewohnen"sollte, bis im November 1993 Re-konstruktionsarbeiten - nun längst be-endet - ihn bis heute unbewohnbar ge-macht haben, länger als diesem Raumje im Kriege zugestoßen ist.

Irgendwie ging "das Leben" weiter,auch in den letzten Tagen des Krieges,und auch die folgende Marginalie ge-hört zu den Absurditäten deutscher Ge-schichte, nämlich daß an unserem Zoo-logischen Institut eine Studentin - Hil-degard Strübing - ihre Prüfungen absol-vierte, und mitten in den Kampftagen,am 19- April sich noch zur Universität"durchschlug", um eine Bestätigung zuerhalten, die ihr tatsächlich die "Dekan-öse" (Chefsekretärin) Frau von Wagneraus einem Panzerschrank holte, freilichohne Unterschriften von Rektor undDekan, die zu dieser Zeit die Universi-täts-Ruine nicht mehr aufsuchen konn-ten: die vielleicht letzte Bestätigung ei-ner Promotion im "Deutschen Reich".Frau Strübing war später als Professorinan der Freien Universität sehr erfolgreichtätig. Vielleicht können wir ihr bald die"Goldene" Urkunde (unterschrieben na-türlich!) überreichen.

Es ist - heute rückblickend - beklem-mend, die scheinbare Normalität im \fer-halten derer zu registrieren, die an der

Universität verblieben waren,einem Institut verbunden, daßnur unter erheblichem Auf-wand noch arbeitsfähig erhal-ten werden konnte. Das wargewiß bei vielen keine "Durch-halte-Mentalität", sondern viel-mehr der elementare Lebens-wille, der zwingend forderte,das Unabänderliche erträglichzu machen - mit "Anpassung andie Verhältnisse" sicher nuroberflächlich beschrieben. Im-mer wieder waren die hohenFenster im Kurssaal zur "ver-pappen", fast täglich heultendie Sirenen, und wir überrasch-ten uns bei der Umformung ei-nes damaligen "Schlagers": "Esfährt kein Auto, es fährt keinAutobus, das einzige, was mirbleibt - ich geh zu Fuß", dennnur auf diesem Wege einen

| angefeuchteten Lappen vor* dem Gesicht - war die Woh-

nung zu erreichen, immer inder Ungewißheit, ob das Haus,in dem sie im dritten Stock lag,noch stand. Langsam verlager-ten sich die Lehrveranstaltung

im Zoologischen Institut in die unterenRäume, speziell im Bereich der "Villa"(ehemalige Wohnung des Instituts-direktors), und schließlich in Kellerräu-me. Noch im Januar 1945, als die Oder-front in Berlin bereits akustisch wahr-nehmbar wurde, führten wir eine Ex-kursion durch, um bei Potsdam, spezi-ell auf dem teilweise noch eisfreienSchwielowsee Wintergäste (vor allemEntenvögel) zu beobachten, ausgestat-tet mit besonderen Ferngläsern, was unsin der S-Bahn Kommentare einbrachte,daß wir wohl schon die Russen beob-achten wollten. Die wenigen Studieren-den wollten soweit wie möglich voran-kommen oder auch abschließen, dieabsolute Ungewißheit vor Augen. Nochbei der letzten Weihnachtsfeier 1944waren wir bemüht, dem eigentlich un-erträglichen Druck für Augenblicke zuentfliehen, ich schrieb einen Sketch, denwir probten und auch aufführten, wirorganisierten Musikabende, die Besin-nung auf die wahren Werte des Mensch-seins als Überlebenshilfe.

Am 19- April 1945 konnte ich dasInstitut in der Invalidenstraße zum

letztenmal vor den Kampftagen in Ber-lin aufsuchen, hin noch auf Grund ei-ner Sonderbescheinigung mit der S-Bahn

Page 30: UnAufgefordert Nr. 66

Titel 31

aus Bernau, das jedoch während desTages von russischen Truppen einge-nommen wurde. Es gab noch eine Men-sa-Suppe im Verwaltungsgebäude derVeterinärmedizin in der Luisenstraße,doch die Artillerie-Geräusche wurdenimmer lauter. Fußweg durch den Wed-ding zurück, immer wieder Haus-eingänge aufsuchend - wo noch mög-lich -, wenn das Pfeifen der Granatenzu nahe kam: Pankstraße - Prinz-regentenstraße - Wollankstraße, in Pan-kow verließ gerade der Nazi-Komman-dant das Rathaus als "Goldfasan" (un-ser Spitzname für die gelbbraune SA-Uni-form exponierter Chargen), um sich inSicherheit zu bringen, unauffälliges "Zi-vil" einschließend. In Pankow beganndas "Keller-Dasein", unterbrochen vonKurzaufenthalten in der Wohnung, dieendeten, während der ablenkenden Lek-türe von Karl May, als ich gegenüber ineiner Hauswand eine Granate einschla-gen sah.

In der Nacht zum 23. April hörte icherstmals russische - mir freilich un-verständliche - Worte, Straßenkämpfewaren im Gange. Wo im-mer deutsche Soldatensich in Häusern festsetz-ten, wurden diese Gebäu-de tags darauf von denRussen nach Vertreibungder Einwohner abge-brannt. Davor ist unserHaus in Pankow nurdurch Bank-Tresore geret-tet worden, die erst spä-ter geöffnet und geleertwerden konnten. Am 24.April war es dann soweit,wie mein Tagebuch be-zeugt: "Pankow von denRussen besetzt und vonden Nazis befreit". Das istmeine Kurzformel für dieDiskussionen 50 Jahre da-nach. An diesem Apriltagkontrollierten russischeOffiziere alle Personen inden Kellern, nachdem siesämtliche Wohnungen,die offen zu halten waren,durchsucht hatten. Kin-der, Frauen, Männer weitüber 60, soweit nicht im"Volkssturm" zugrunde-gegangen. Nur einer war hier jung: sostand ich mit erhobenen Armen an derWand, in das Rohr einer Maschinenpi-stole blickend - als "Offizier in Zivil" ver-dächtigt. Da half nur noch mein

Ausmusterungsschein, nachdem erst der"Faust" der Brusttasche entnommen,kam die Brieftasche ans licht. Ein be-freiter polnischer Zwangsarbeiter konntedeutsch, er fand meinen "Ausmuste-rungsschein". Die Maschinenpistolesenkte sich. Diesen Schein hatte ich mirvorsorglich im November 1944 mit Mü-hen beschafft und zu den immer prä-senten Papieren gelegt.Am 05- Mai war ich tatsächlich am frü-

hen Vormittag wieder im Konservatori-um in Pankow bei William Wolff, dermich zu Liedern von Richard Strauß be-gleitete, ehe ich mich auf den Weg mach-te zum Institut. Die Situation war kata-strophal. Der Zoologe Prof. Voß (mit"goldenem Parteiabzeichen") hatte beiSS das Gebäude zum zu verteidigendenObjekt erklären lassen. Dadurch entwik-kelten sich im Bereich Invalidenstraße43 Kämpfe, verbunden mit Granatein-schlägen, 3 Treffer allein beim Zoologi-schen Institut, ein weiterer in derStraßenfront, die Räume des Direktorsdes Geologisch-Paläontologischen Insti-tutes (Prof. Hans Stille) schwer beschä-

Exkursion nach Potsdam (21.01. 1945)

digend. Ein junger deutscher Soldat lagmit einem "Genickschuß" auf den Schie-nen der Lorenbahn vor unserem Insti-tut, die im Krieg zum Schuttabtransportzur Kesselstraße hin gelegt worden war.

Dieser Soldat sowie die Leiche einessowjetischen Soldaten ließ der Mu-seumsinspektor Schulz im Rasen vordem Museum provisorisch beisetzen. ImGebäude waren alle Schränke und Tisch-schübe geöffnet oder aufgebrochen, derInhalt lag weit verstreut umher, im Kel-ler eine Schicht, die fast zur 2. Stufe derTreppe reichte.

Am 14. Mai hatte das Institut bereitswieder Strom (damals noch Gleich-

strom!); ab 15 Mai begann die Uni-versitätsleitung in den Resten des zer-störten Ostflügels des Hauptgebäudeswieder zu arbeiten und Arbeitsbeschei-nigungen zu verteilen. Am 24. Mai wur-den die Aufräumarbeiten intensiviert,"da in etwa 4 Wochen der Betrieb wie-der losgehen soll". Schon am 26. Maierschien eine deutsche Kommission zurSchadensbesichtigung, und ich hatteMühe, die baupolizeiliche Schließungder "Villa" zu verhindern. Am 01. Junifuhr erstmals wieder vom Stettiner Gü-terbahnhof (heute Nordbahnhof) einDampfzug nach Pankow. Und schon abJuni begannen wir wieder mit proviso-rischen Lehrveranstaltungen, am 27. Junikonnte ich bei der "Uni" ein Gehalt von250, - M. abholen, und am 9- Juli las ichein Kolleg über Wirbeltiere, zu dem sich24 Hörer eingefunden hatten, deren An-zahl schnell anstieg, was auch für diedann aufgenommenen Bestimmungs-übungen galt. Organisiert durch den Do-zenten Dr. Stark von der TU. wurden abSeptember "Vorkurse für Zoologie" be-gonnen, in unserem großen Hörsaal voretwa 200 Hörern, den eiskalten Winterhindurch; dazu verfaßte ich eine kleineBroschüre von 32 Seiten, die bereits imMärz 1946 gedruckt vorlag. Auch "dieAmerikaner" wollten mich zu einer Lehr-veranstaltung einsetzen, die ich schonmit englischem Text vorzubereiten be-gann, mein Wohnsitz im "sowjetischenSektor" stand diesem Vorhaben letztlichentgegen.

Schon 1946 waren wir auf Exkursionnach Rügen unterwegs, unter aben-teuerlichen Bedingungen, in LobbeQuartier nehmend und bis Stubbenkam-mer wandernd. Die Zukunft hatte be-gonnen, die ihre Perspektiven nur ge-stalten kann, wenn auch die Vergangen-heit präsent bleibt, denn der Mensch"entdeckte in sich ein Vermögen, sichselbst seine Lebensweise auszuwählen,und nicht gleich anderen Tieren an eineeinzige gebunden zu sein." (ImmanuelKant) Prof. Dr. Günter Tembrock

Page 31: UnAufgefordert Nr. 66

32 Titel

„Stehen Sie auf,Gefreiter!"

Interview mit Prof. Dr. Walter Kirsche und Karla Kirsche über dasStudium an der Charite während des Krieges und kurz nach

Kriegsende.

Prof. Dr. Walter Kirsche studiertevon 1943 bis 1945 an der Charit^Medizin und arbeitete hier nach demKrieg als Professor am Institut fürAnatomie. Karla Kirsche begann1946 ihr Medizinstudium, nach demAbrucb des Studiuni war sie als Me-diziniscb-Tecbniscbe-Assistentin tä-tig.

UnAUFGEFORDERT: Herr Kirsche,wann haben Sie angefangen zu stu-dieren?Walter Kirsche: Ich

war von März 1939 anbeim Reichsarbeits-dienst und als der Kriegausbrach, hätten wirentlassen werden müs-sen. Da hieß es dann,wer sich in seinen Un-terlagen schon für dasMedizinstudium bewor-ben hat, der brauchtnicht zur Wehrmachtund kann mit dem Stu-dium beginnen.

Natürlich habe ichmich für das Studiumentschieden und be-gann als Zivilist in Leip-zig zu studieren. Dorthabe ich zwei Semesterstudiert, wechselte da-nach an die UniversitätJena.

1941 wurde ich aberdoch zur Wehrmachteinberufen. Ich war zu-nächst an der Ostfrontvor Leningrad, dann inParis und dann wiederan der Ostfront im Kau-

kasus. Nach einen langen Krankheit -ich hatte Gelbsucht - wurde ich wehr-untauglich geschrieben und konntemein Studium fortsetzen.Wann war das?Ich wurde im Januar 1943 nach Berlin

an die Luftwaffenstudentenkompanieversetzt und habe hier an der Charitemein Medizinstudium fortgesetzt. Die-ses Studium war natürlich durch dieLuftangriffe auf die Stadt Berlin sehrschwierig.

Ich wohnte erst in Steglitz, aber dadurch die Bombenangriffe die S-Bahnoft gestört war, habe ich eine Wohnungin der Albrechtstraße bekommen.Haben Sie irgendwelche Aufgaben

in der Wehrmacht wahrgenommenwährend der Zeit ihres Studiums?

Unsere militärischen Aktionen bestan-den darin, daß wir einmal im Monat zurHeiligengeiststraße gehen mußten - derZentrale der Luftwaffensanitätskompanie- dort holten wir unseren Wehrsold ab.

Am 03. 03. 1995 erhielt Prof. Dr. em. Kirsche von Charite-Dekan Mau nach 50 Jahren dieGoldene Doktorurkunde

Page 32: UnAufgefordert Nr. 66

Titel 33

Karia Kirsche: Und was habt ihr in derHeiligengeiststraße gemacht?

Das war nur die Zentrale Verwaltungs-stelle. Das war also ganz human. Allezwei Monate mußten wir nach Spandauauf einen Schulhof und einer von unsstellte sich vorne hin und sagte rechtsum und links um - das ging zwei Stun-den und das Soll war erfüllt. Also daswar Quatsch.

Das Studium fand auch in Uniformstatt?Ja. Da gab es die sogenannten Reser-

visten und Aktiven, das waren wir unddie Studenten von der MilitärarztlichenAkademie. Da spielten sich zwischenbeiden nicht sehr schöne Szenen ab: Wirwaren ja niedere Dienstgrade und dievon der Akademie wurden ja gleichhochkatapultiert. Die traten uns gegen-über im Hörsaal mit Befehlen auf: "Ste-hen Sie auf, Gefreiter!" Und dann muß-ten wir unseren Sitzplatz in einem Steh-platz umtauschen.Haben Sie während Ihres Studiums

in Berlin irgend etwas von demUniversitätsleben mitbekommen?

Die Studenten, die in dieser Zeit stu-diert haben, hatten eigentlich nur einZiel gehabt: so schnell wie möglich dasStudium zu beenden. Denn was wirdnach dem Krieg? Man ahnte doch schon1943, das Deutschland ziemlich am Bo-den liegen wird. Und wer konnte dagewiß sein, daß das Studium danachweiter geht? Deswegen hat jeder Stu-dent, die Zeit maximal genutzt, um dasStudium zuende zu bringen.

Und außerdem - ein Studentenlebengab es 1943 in Berlin nicht mehr. Diewenigen Studenten, die es noch gab,hatten andere Aufgaben. Wir mußtenzum Beispiel nachts Brandwache mit-machen. D.h. wir wurden auf die gan-zen Institute verteilt und mußten dieganze Nacht aufpassen, daß nicht eineBrandbombe unbemerkt herunter-kommt und wenn doch, mußten wir lö-schen.

Oder wir waren eingeteilt in Kranken-häuser und ich war - da ich ja hier wohn-te - im Karlsbunker (Ecke Reinhardtstra-ße / Albrechtstraße) als Hilfsarzt einge-setzt. Unser Hauptproblem war, daß dieLeute Angst hatten in den U- und S-Bahnschächten der FriedrichstraßeSchutz zu suchen, weil sie fürchteten,daß eine Bombe den Spreetunnel trifftund das ganze Spreewasser in den Tun-nel fließt. So kamen immer mehr Leutein den Bunker.Der wohl hoffnungslos überfüllt

war?Ja, der war so voll, daß die Leute in

dem Bunker wie eingepreßt waren. Diesind alle aus den Nachbarhäusern ge-kommen. Natürlich waren in den Wohn-häusern auch Luftschutzkeller vorhan-den, aber das ist doch eine Mausefalle.

serer Familie raus nach Pätz (bei KönigsWusterhausen) gegangen, in Berlinkonnten wir es nicht mehr ertragen.Sie haben dann im März 1945 noch

promoviert?Walter Kirsche: Ich hatte mit der Pro-

motion schon 1943 begonnen, so daß

„Meine Mutter ist durch dieRussen befreit worden!11

Karla Kirsche über die Verhaftung ihrer Mutter, die

zum Kreis des 20. Juli Beziehungen hatte.

Eines Tages im Sommer stand eine Frau vor unserem Haus und bat meineMutter, sie zu verstecken. Es war die Frau des Hauptmann Gehre, der ander Vorbereitung des Attentates auf Hitler am 20. Juli 1944 beteiligt war.Wir haben Frau Gehre dann vierzehn Tage hier verborgen, das EhepaarGehre hat danach in Berlin noch im Untergrund gelebt, wurden aber imOktober 1944 am Nollendorfplatz verhaftet. Frau Gehre erschoß sich,doch Haptmann Gehre gelang dies nicht, er verletzte sich nur. Nach quä-lerischen Verhören mußte er viele Adressen preisgeben. Deshalb wurdemeine Mutter Ende Oktober 1944 hier in unserem Haus in Pätz verhaftetund nach Verhören ins KZ Ravensbrück geschafft. Im März 1945 ist sienach Berlin in das Frauenstrafgefängnis in die Barnimstraße gekommen.Und nur durch den Tod Freislers (Präsident des Volksgerichtshofes) bei ei-nem Bombenangriff ist kam es nicht mehr zu einer Verurteilung.Als die Russen Berlin besetzt hatten, wußten wir nicht, wo unsere Mutter

war. Wir hatten uns als Treffpunkt ausgemacht: entweder hier in Pätz oderBerlin - Schlesischer Bahnhof,

Nachdem die Russen unser Haus beschlagnahmt hatten und hier im RaumOperationen durchführten, gingen wir meine Mutter suchen.

Ich werde diese Bilder nie vergessen: Eine Menschenkolonne lief nachBerlin hinein und eine Menschenkolonne lief aus Berlin heraus. Menschen,Menschen, Menschen ...Wir liefen über Königswusterhausen nach Berlin hinein - ich mit dem Fahr-

rad, mit meiner Schwester und dem kleinen Flüchtlingsjungen, derauf derStange saß und ständig schrie: „Mein Po tut weh" . Als wir den BerlinerBerg überschritten hatten, ließ ich plötzlich das Fahrrad und den Jungenfallen und fiel - wie meine Schwester sagte - einer fremden Frau um denHals und schrie: „Mutter, Mutter!"

Und es war meine Mutter, die wirklich von den Russen befreit wurde unddenen sie ihr Leben verdankt.

J

Wenn so ein Haus einen Volltreffer be-kommen hat, waren sie alle tot oderwaren eingeklemmt und lebten noch -bis sie erstickten. Der Bombenkrieg inBerlin war entsetzlich.

Karla Kirsche: Wir sind 1943 mit un-

ich neben dem Staatsexamen immerschon in der Bibliothek sitzen konnteund Literaturauszüge gemacht habe.Und wann haben Sie das Staatsex-

amen gemacht?Das habe ich im März 1945 abgeschlos-

Page 33: UnAufgefordert Nr. 66

34 Titelsen, auf der Urkunde ist noch das Ha-kenkreuz - am 13- März 1945.Und das Staatsexamen lief auch

noch völlig normal ab. Man konntesich die Termine holen, man melde-te sich an, und dann wurde man ge-prüft..Ganz normal. Von den Professoren und

Dozenten wurden wir sehr unterstützt,obwohl diese sehr überlastet waren. Diejungen Dozenten waren im medizini-schen Dienst der Wehrmacht.

Beachtet man die Tatsache, daß mannachts wegen der Bombenangriffe kei-ne Ruhe hatte und ständig irgend-welchen Einsatzbefehlen zur Brandwa-che Folge leisten mußte, war dieExamensvorbereitung natürlich sehranstrengend.Und nach dem Staatsexamen haben

Sie sich gleich zur Promotion ange-meldet?Das habe ich gleichzeitig gemacht. Die

Einreichung der Promotion erfolgteschon 1944. Nach Abgabe der Arbeit undeiner Art Aussprache habe ich im März1945 meine Promotionsurkunde bekom-men.Und wie ging es danach weiter?Berlin war damals überfüllt mit Flücht-

lingen. Und durch die dauernden Luft-angriffe gab es tausende von Verwun-deten in der Stadt. Ich wurde dazu her-angezogen, Verwundetentransporte ausBerlin nach Lauenburg (Schleswig/Hol-stein) zu begleiten.

In Lauenburg war der Krieg für michvorbei - ich geriet in englische Kriegs-gefangenschaft, die ein halbes Jahr dau-erte. Ich bin dann zunächst nach Oels-nitz, meiner Heimatstadt, zurückgekehrtund kam, nachdem ich mich in Jenaumsonst beworben hatte, 1946 zurücknach Berlin. Hier erhielt ich eine Stelleam Institut für Anatomie, mein Anfangs-gehalt betrug 330,- Mark.

Karla Kirsche: Ich wollte mich im Früh-jahr 1S>46 einschreiben lassen, bin aberzunächst aus Überfüllungsgründen ab-gelehnt worden. Da meine Mutter aberim KZ Ravensbrück gesessen hatte undsie als Opfer des Faschismus galt, hateinPolizeibeamter mir eine Immatrikulati-on ermöglicht.

Und dann konnte ich mich doch nochim zerstörten Hauptgebäude der Univer-sität einschreiben lassen.

Im Sekretariat erhielt ich mein Studien-buch und das Studium konnte beginnen.Hier habe ich dann auch während des

Studiums meinen Mann, den Walter,kennengelernt.Wie 'war die Atmosphäre damals an

der Universität?Karla Kirsche: Zunächst einmal war da

die schon beschriebene Wißbegierigkeit.Und dann war es kalt. Ich kann michan eine Frau erinnern, die kam mit Fuß-lappen, weil sie keine Schuhe hatte. Siewollte sich so ein wenig schützen vorderKälte.Wie erklären Sie sich diesen großen

Willen der Studenten nach dem Krie-ge, zu studieren? Denn eigentlich stu-dierte man ja immer noch ins nichts.Walter Kirsche: Das ist verständlich.

Wer dieses Inferno überlebt und erlebthatte, und plötzlich in eine Zeit gerät,in der man nachts keine Angst mehr voreinem Bombenangriff zu haben brauch-te, der will diese Chance nutzen. Unddieser Krieg war für so viele so schreck-lich, daß sie ihr Studium auch als Ant-wort begriffen, etwas dagegen zu tun.Und ich habe auch nicht für möglichgehalten, daß heute wieder Hakenkreu-ze an den Bäumen kleben. Können den-kende Menschen verherrlichen, was dageschehen ist?

Die Fragen stellten jk und jot

Zerstörter Ostflügel der Anatomie (Frühjahr 1945)

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Titel 35

Feldposfsfudiunt"Fernbetreuung der Jungakademiker" im Zweiten Weltkrieg

1942 - der Krieg im Osten ist seitMonaten kein Blitzkrieg mehr, im-mer öfter bestimmen Durcbbattepa-rolen die offizielle Propaganda desDritten Reiches. Langsam wird klar,daß dieser Krieg noch lange dauernwird. Nachdem des "Tausendjähri-gen Deutschlands" feldgrauer Schat-ten auf fast ganz Europa gefallenwar, kehrt er nun auch an seinenUrsprungsort zurück. An der ''Hei-matfront" beginnen die Grenzen zwi-schen Zivil und Uniform zu ver-schwimmen, in den Universitätendominiert die Tristesse farbloserGleicbheÜ von Soldaten auf "Studien-urlaub." •Allerdings, je mehr Kanonenfutter

an der Ostfront verheizt wird, destoweniger kann es sieb die Wehrmachtleisten, studierende Soldaten nachHause zu schicken. Um trotzdemFachkräfte für die Zeit nach demEndsieg zu haben, an dem in diesemJahr noch immer nur sehr wenigeDeutsche zweifeln, sollen die "imFelde stehenden Studenten" von denUniversitäten "fernbetreut" werden.Wo Soldaten ferngetraut werden,,können sie genausogut auch fern-studieren, fernimmatrikuliert undferngeprüft werden.

QualifiziertesKanonenfutter

Diese sogenannte "Fernbetreuung derJungakademiker" kostet natürlich Geld.Es müssen Studienunterlagen, Bücher

usw. verschickt werden, auch die Ver-anstaltung von Lehrgängen an der Frontmuß bezahlt werden. Auf dem Wege derFeldpost erhalten so bald tausende Stu-denten Lehrbücher und Übungsaufga-ben, und auf diesem Wege gelangtensie auch wieder zurück - von denen, dienoch lebten.Der Reichsminister für Wissenschaft,

Erziehung und Volksbildung (RMWEV)stellt am 7. Juli 1942 allein der BerlinerUniversität für das laufende Haushalts-jahr 13 700 RM dafür zur Verfügung. Dasist bei der Fülle von Aufgaben, die sichdamit verbinden nicht viel. Andererseitsist die höhere Bildung bis auf wenige

• "kriegsrelevante" Ausnahmen (sieheunAUF 51) in den Zeiten des TotalenKrieges nicht wichtig genug, als daß sichgenügend Geld bereitstellen ließe. Soteilt der Minister den Hochschulen mit:"Die Kosten für die Beschaffung von grö-

ßeren Grundrissen, Lehrbüchern undanderer umfangreicher Literatur müssenvon den zu betreuenden Kriegsteilneh-mern selbst getragen werden."Die Vorsilbe fern-, eigentlich gedacht

als Versuch, Normalität vorzutäuschenwo längst keine mehr war, gewinnt alsmakaberes Sinnbild für die Extra-behandlung der ständig am Rande ei-ner unerreichbaren Ferne balancieren-den Frontsoldaten immer mehr Einflußauf die deutsche Sprache. Ferntrauun-gen sind fast schon die Regel, Fern-betreuungen werden es bald sein. AbAnfang 1943 gibt's dann auch dieMöglichkeit der Fernimmatrikulation anden Hochschulen. Besorgt um das ver-letzte Ehrgefühl der Soldaten mit Hoch-schulreife, die es nicht mehr geschaffthaben, sich vor dem Gestellungstermin

einschreiben zu lassen und sich somitnicht stolz Student nennen dürfen, wennes ans Sterben für den Führer geht, ver-fügt der RMWEV am 15Januar 1943, daß" Wehrmachtangehörige mit Berechti-gung zum Hochschulstudium aufschriftlichen Antrag an einer deutschenHochschule eingeschrieben werden"können. Diese Immatrikulation habegebührenfrei und ohne terminliche Bin-dung zu erfolgen. "Die Einschreibungschafft die Voraussetzung dafür, daßHochschule und Studentenschaft alle inder Wehrmacht stehenden fung-Akade-miherin ihre Betreuungsarbeit einbezie-hen. "

Mathebuch imSchützengraben

Noch begreifen die Hochschulen nichtganz, daß die Normalität nun endgültigvorbei ist. Noch zum Sommersemester1943 teilt die Berliner Universität meh-reren Antragstellern auf eine Fern-immatrikulation mit, "daßzum Studiumstets nur solche Wehrmachtangehörigevon den Universitäten zugelassen wer-den, die entweder von der vorgesetztenDienststelle zum Studium beurlaubt oderkommandiert werden."Ein Jahr später, am 8. März 1944 präzi-

siert der Minister: "daß ohne Rücksichtauf den Zeitpunkt der Erlangung derStudiumsberechtigung jeder im Wehrs-dienst stehende männliche Studiums-willige fernimmatrikuliert werden kann,der bei Anwesenheit am Hochschulortvoll immatrikuliert werden könnte."

Page 35: UnAufgefordert Nr. 66

36 TitelDie Fernbetreuung wird immer wich-

tigerer Bestandteil der Arbeit an denHochschulen. Dies um so mehr, als esspätestens seit Anfang 1944 fast unmög-lich ist, auf Studienurlaub in die Heimatabkommandiert zu werden. Der Reichs-minister des Innern teilt am 17. 4. 1944den Hochschulen mit, daß "derStudien-urlaub und der Urlaub zur Teilnahmean Ausbildungs- und Fortbildungs-lehrgängen durch Führerentscheid ge-sperrt"worden ist.Die Zahl der Fernbetreuten steigt in

sogenannter "Kopfsatz von 8 RM jeKriegsteilnehmer." Für das Winterseme-ster 1944/45 meldet der Rektor "6 103zu betreuende Studierende im Felde.",das waren immerhin mehr als ein Drit-tel aller an der Uni immatrikulierten Stu-denten.

Manche Fachrichtungen der BerlinerUniversität gleichen einer reinen Fern-Uni. Die Rechts- und Staatswisen-schaftliche Fakultät der Berliner Univer-sität beispielsweise hat laut einem Schrei-ben des Dekans Ende 1943 "fast 2 000

den kommenden Jahren ständig an,deutlich absehbar an den dafür vorge-sehenen wachsenden Beträgen, die derMinister der Berliner Universität über-weist. Waren es 1942 noch 13 700 RM,so steigt die Summe 1943 auf 27 400 RM,1944 liegt sie bereits bei 48 800 RM.Grundlage für die Berechnung ist ein

Betreute". Für diese selbst bei damali-gen Verhältnissen recht hohe Anzahlbittet er um einen "Barzuschuß" für be-stimmte Aufgaben. "Hierbei handelt essich insbesondere um Botengelder fürden Abtransport der zum Teil sehr um-fangreichen Sendungen zum Postamtsowie zur Abholung einer größeren An-

zahl von Fachschriften usw. von denVerlagen."Die Propaganda verbreitet ein roman-

tisch verklärtes Bild der in Feuerpausenin ihrem Schützengraben eifrig studie-renden Soldaten, die Deutschlands Zu-kunft sein würden. Wenige nur fragennach der Perversion eines Systems, des-sen Hochschulen aus der Ferne Solda-ten qualifizieren, die ihren nächsten Prü-fungstermin mit großer Wahrscheinlich-keit nicht mehr erleben würden, ge-schweige denn den Einstieg ins Berufs-leben. Darüber laut nachzudenken er-fordert Mut, denn jeder Zweifel amEndsieg konnte den Tod bedeuten.

"Prisoners of War" ander Berliner Uni

Der Krieg "produziert" jedoch nicht nurimmer neue Soldaten, Verwundete undTote. Viele geraten in Gefangenschaft,vor allem in russische; die, die mehrGlück haben, verschlägt es in britischeoder amerikanische Gefangenencamps.Darunter auch eingeschriebene Studen-ten der verschiedenen Hochschulen.Damit ist die Fernbetreuung jedoch lan-ge nicht beendet, das Rote Kreuz macht'smöglich, jedoch nur in den britischenund amerikanischen Lagern, die sowje-tische Regierung ließ dies aus verschie-denen verständlichen Gründen nicht zu.

Seit Novemberl943 gibt es eine deut-sche Richtlinie zur Betreuung von"Kriegsgefangenen und zivilinterniertenJungakademikern im Britischen Reichund den USA, um eine erfolgreiche Auf-nahme oder Wiederaufnahme des Stu-diums nach Rückkehr aus der Gefangen-schaft" zu ermöglichen. Dabei "geltengrundsätzlich die Bestimmungen überdie Studienbetreuung der im Wehrdienststehenden Studenten."

Mit deutscher Gründlichkeit wird ge-plant. Zunächst werden bestimmteHochschulen benannt, die diese "Fern-studenten" zu betreuen haben. Dies sinddie Universitäten in Königsberg, Kiel,Bonn, Innsbruck und Straßburg, mitgenau nach Fachbereichen unterteiltenZuständigkeiten. Am 15. April 1944übernimmt auch die Berliner Uni dieseAufgabe. Sie soll speziell die Studentender Auslandswissenschaften, des Garten-baus und des Zuckerfabrikwesens be-treuen. Es werden Antragsformulare

Page 36: UnAufgefordert Nr. 66

Titel 37

entworfen, die "ausschließlich durch dasReichsstudentenwerk, Abt. Kriegs-gefangenenstudienhilfe, in Eisenach" zustellen waren. Das auschließlich warwörtlich zu nehmen, trafen Anträge aufFernbetreuung direkt bei den Universi-täten ein, so waren diese an die oben-genannte Stelle weiterzureichen, um siedann von dort genehmigt und gestem-pelt zurückzuerhalten.Wie die Gefangenen zu betreuen wa-

ren, blieb weitgehend offen. "Die Aus-gestaltung der Fernbetreuung ist denHochschulen überlassen. Die Betreuungsoll sich insbesondere auch auf eine zu-sätzliche schriftliche Unterweisung undauf Übermittlung von Übungsarbeitenerstrecken. Beschaffung und Versand dererforderlichen Bücher obliegt dem Deut-schen Roten Kreuz in Zusammenarbeitmit der Kriegsgefangenenhilfe desReichs-studentenwerkes."Wie dies in der Praxis funktionierte,

zeigt eine der Berliner Uni am 11. No-vember 1943 vorgelegte Rechnung desVerlages "B. G. Teubner" über den Ver-sand des "Teubner Mathematik-Leitfa-dens Bd. 4 u. 5" an einen Studenten derMathematisch-Naturwissenschaftlichen

Fakultät. Abgeschickt hatte man dieseBücher über das DRK Potsdam an den"Prisoner of War Uffz. A./Camp Nr. 15".

Anatomieprüfungbeim Lagerarzt

In der verqueren Logik des Glaubensan den Endsieg war es nur folgerichtig,bald auch Fernprüfungen, zumindest fürdie Gefangenen in Betracht zu ziehen.Schon in seinem Erlaß vom 15- April1944 ermöglicht der RMWEV "ordentli-che Reifeprüfungen, Abschlußprüfungenan Fachschuten, erste und zweite Prü-fungfür das Lehramt an Volksschulen,Prüfungfür das Lehramt an Hauptschu-len." Spater kommen Teilprüfungen fürMedizinstudenten hinzu.

Aber wie sollte man diese Abnahmevon Prüfungen in den Gefangenen-camps organisieren? Am 21.02.1945 legtder RMEWV auch dafür Richtlinien fest,die in ihrer Aberwitzigkeit und Realitäts-ferne verblüffen. "Es besteht die Möglich-keit, über einzelne Fachgebiete Teil-

prüfungen abzulegen, soweit geeigneteFachprüfer vorhanden sind. Ich bestim-me daher, daß kriegsgefangeneMedizinstudierende sich in den Lagernabgehaltenen Teilprüfungen unterzie-hen können. Als Lehrer kommen in Fra-ge: Universitätsprofessoren und Dozen-ten, Ärzte, Chemiker, Physiker, Botani-ker, Zoologen und Studienräte. Die Prü-fungen werden vor dem Prüfungsaus-schußabgelegt, dem die Lehrer als Prü-ferangehören. Der Vorsitzende des Prü-fungsausschusses wird ebenso wie diePrüfer auf Vorschlag des deutschenLagerarztes vom Lagerführer er-nannt. Wie auch hier fragt sich der Be-trachter immer wieder, wieviel Glaubean den "Endsieg", wieviel Verblendungoder einfach nur Sehnsucht nach einemStück Ordnung und Normalität im her-anbrandenden Chaos notwendig war,um noch Anfang 1945 eine Studien-betreuung für notwendig zu erachten,die vorbereiten soll auf eine Rückkehrin ein intaktes "Tausendjähriges Reich",als ob nichts geschehen wäre.

ojoff

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38 Titel

mitten im deutsehen Volke"Die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Buchenwald zeigt neue

Wege im schwierigen Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte.

„Zuviel KZ ist wie zuviel Erbsensup-pe. Wir werden vollgestopft damit.Kotz." „In Sachsenhausen habe ich michnoch übergeben. Hier habe ich nur nochgeschluckt." „Hitler ist für mich so fernwie Hannibal." - Sätze einer Schulklasseaus Berlin-Wedding nach einem Besuchin der Gedenkstätte Buchenwald. Vielevon ihnen wissen nicht, •was sie hiersollen. Die verordnete Vergangenheits-bewältigung empfinden sie als Gegen-wartsbelästigung. Das, was sie hier se-hen und was ihnen hier erzählt wird,kennen sie nur aus den Geschichtsbü-chern. Selbst die Generation ihrer Elternhat den Nationalsozialismus bestenfallsnoch in den Windeln erlebt. Großeltern,die als Gesprächspartner dienen könn-ten, sind fünfzig Jahre nach Kriegsenderar geworden - es ist ganz richtig, daß

der 8. Mai 1995 wohl das letzte Gedenk-jubiläum war, an dem noch Zeitzeugenbefragt werden konnten. Langsam - soscheint es - wird auch der Nationalso-zialismus Geschichte, entschwindet zwi-schen den Seiten unzähliger Bücher undverliert mit dem Aussterben der Kriegs-generation seine übermäßige politischeBrisanz wie Tabuisierung.

Vergangenheitsbe-wältigung als Gegen-wartsbelästigung

Vor diesem Problem stehen auch dieGedenkstätten, die sich am Ort des

Grauens verpflichtet haben, zu erinnernund zu gedenken. Wie quälend die Fra-ge nach dem weiteren Weg der Gedenk-stätten ist, kam in letztem Jahr in derDiskussion um das Museum der Ge-denkstätte Auschwitz zum Ausdruck,welches pleite ist und dringend reno-viert werden müßte. Da wurde ernstlicherwogen, die Millionen Haare, Schuhe,Brillen und Koffer, die dort in riesigenVitrinen den Besucher das Unfaßbaredes Massenmordes verdeutlichen sollen,durch Imitate zu ersetzen. Denn dieRenovierung der Ausstellungsstücke, diezum Teil schimmeln, ist zu aufwendig.Aber auf den sichtbaren Beweis wollte(und konnte?) man nicht verzichten. Wiesoll Menschen, die das Geschehen inden Konzentrationslagern nicht aus ei-gener Anschauung kennen, vermittelt

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Titel 39

werden, was damals im Namen des deut-schen Volkes passierte? Reichen Worte?Müssen die wenigen Sachzeugen aufewig als Mahnmal erhalten bleiben?

Für die Gedenkstätten im OstenDeutschlands ergibt sich ein zusätzlichesProblem. Durch die totale Einbindungin die antifaschistische Doktrin des DDR-Staates und die mythenhafte Darstellungdes Widerstandes in den Konzentrati-onslagern haben sich die Gedenkstät-ten zu fremden Orten entwickelt, dieden Besucher nicht mehr erreichten.Hinzu kam, daß zwei von ihnen -Sachsenhausen und Buchenwald - nachdem Krieg als Internierungslager weiter-genutzt wurden. Die Orte haben heuteeine doppelte Bedeutung - zusätzlicheHerausforderung für die Gedenkstätten.

In der Gedenkstätte Buchenwald beiWeimar hat man in einer neuen Doku-mentation über das nationalsozialisti-sche KZ nun versucht, neue Wege zugehen, mit der Ausstellung Brückenzwischen den Generationen zu schlagenund sich mit höchstmöglicher Genauig-keit dem zu nähern, was sich vor mehrals fünfzig Jahren nahe der Goethe- undSchiller-Stadt in Thüringen ereignete.

Offene Baustelle

Was den Besucher erwar-tet, ist eine offene Baustel-le. Von der Ausstellung gehtnichts heldenhaftes, nichtmonumentales und nichtsinszeniertes mehr aus. DemBesucher werden keine Ant-worten mehr gegegeben, ermuß sie sich selber suchen:„Das Ziel eines Museums andiesem Gedächtnisort ist dieGestaltung der Möglichkei-ten für einen individuellenGrenzverkehr mit der Ver-gangenheit Buchenwalds" -schrieben die Ausstellungs-macher in ihr Konzept. Dasist ihnen gelungen.Auf zwei Etagen erwarten

den Besucher eine Unmen-ge von kleinteiligen Doku-menten -Akten, Briefen, Fo-tos, Aussagen von Täternund Opfern - in großen,grauen aus Stahlblechen zu-sammengesetzten Vitrinen,die dem Besucher zwingen,

sich einzulassen. Die eingesetzten Rea-lien sind in der Minderzahl, den tatsäch-lich vorhandenen entsprechend. Und siewurden dem Konzept nach eingesetzt,um die Hölle KZ verstehen zu können.Das Fragment des Galgens wird ebensogezeigt wie Knöpfe der Häftlingsklei-dung, Kinderschuhe oder Gabeln. DerSchrecken liegt in der Banalität - diemeisten Fundstücke stammen von derehemaligen Abfallhalde des Lagers, woall das landete, was nicht mehr ge-braucht wurde, wie beispielsweise Schu-he toter Kinder. Was ebenfalls erstmalssichtbar wird, sind die Biographien derTäter. Die SS-Angehörigen bekommenNamen und Gesichter, sie tauchen nichtmehr als Teufel aus dem Nichts auf, siewerden begreifbare Menschen, derenHandeln umso unbegreifbarer bleibt.Auch der Alltag des Konzentrationsla-gers wird erstmals in voller Breite sicht-bar, der das unvorstellbare Grauen erstdeutlich machen kann. Es ist der Alltagaller Häftlingsgruppen, nicht mehr nurder politischen Häftlinge. Der ständigeDruck der Vernichtung, der auf denHäftlingen lastete, kann so eindringli-cher beschrieben werden, genau wie dasunvorstellbare Nebeneinander von Leidund Hoffnung im Lager. Der Darstellungvon Überlebensstrategien der Häftlingewird erstmals Raum gegeben, wichtiggenug, um den Besucher überhaupt eineVorstellung davon zu ermöglichen, wie

sich ein Mensch in der Situation absolu-ter Macht über ihn verhält.

Stakkato des Grauens

Die Ausstellung beginnt sehr plakativund deutlich vom Rest abgesetzt in derWeimarer Republik, Ursachen für dieMachtergreifung der Nazis werden deut-lich gemacht, ebenso wird die Entste-hung des Systems der Konzentrations-lager geschildert. Es folgt in der dichtenAufstellung der Vitrinen ein Stakkato desGrauens, das beim Besucher unweiger-lich ein Gefühl der Beklemmung aus-löst. Die Beklemmung der übermächti-gen Information über das Grauen wirddurch eine Installation des polnischenKünstlers Josef Szajna in Betroffenheiterweitert. Szajna, selbst Häftling in Bu-chenwald und Auschwitz, hat auf Papp-Umrissen von menschlichen Körpernund Köpfen kleine Häftlingsfotos ge-klebt, die die Menschen hinter dem na-menlosen Leid sichtbar machen. Derzweite Teil der Ausstellung wirft beimBesucher des „individuellen Grenzver-kehrs mit der Geschichte" vor allem Fra-gen auf: Welche Rolle spielte die StadtWeimar in ihrer Beziehung zum Lager.Wie wurde das Lager befreie War es eineSelbstbefreiung?

Jorge Semprun (I.) während der Ausstellungseröffnung

Page 39: UnAufgefordert Nr. 66

40 TitelAuch hier gibt es keine Antworten. Po-

sitionen werden gegenübergestellt. Mei-nungen angeboten. Es ist die Aufgabedes Besuchers, sich selbst zu entschei-den, welchen Weg er nun gehen will.Es gibt keine fertigen Antworten für dasunfaßbare Grauen vor fünfzig Jahren,jeder muß sie selbst für sich versuchenzu finden. In dieser Beziehung - unddas ist neu - bietet das Museum völligeOffenheit an. Ein Weg, der nicht zuletztauch für die eingangs beschriebeneGeneration der Nach-Nach-Geborenen,gangbar erscheint. Dazu gehören klei-ne, aber wichtige Details der Gestaltung.Beispielsweise können die zusätzlichenInformationen in Form von Dokumen-tensammlungen, quer durch das ganzeMuseum mitgenommenwerden. Es gibt nur einenthematischen Weg durch dasMuseum, auf Schaueffektewurde völlig verzichtet. Undder starke Andrang von Päd-agogen, der in den Wochennach Ausstellungseröffnungdie Mitarbeiter der Gedenk-stätte um Führungen bat,läßt auf ein Interesse bei Ju-gendlichen schließen. DieGeneration, die heute fürDemokratie stark gemachtwerden soll, darf keine fer-tigen Antworten und Ritua-le mehr vorgesetzt bekom-men. Sie muß sich diese Ant-worten selbst holen. Alsnoch am Abend des erstenTages nach der Ausstel-lungseröffnung sich ano-nyme Schreiber an einemText über die kommunisti-schen Kapos des Lagers zuschaffen machten, Sätze un-terstrichen und mit „Lüge!"markierten, entschieden sichdie Mitarbeiter der Gedenk-stätte für das Verbleiben derbeschriebenen Textwand inder Ausstellung. Im Kreiseder Mitarbeiter war man sicheinig: „Das ist jetzt ein offe-nes Haus!"Am Ausgang der Ausstel-

lung hat man sich für einenschlichten, aber ergreifen-den Schlußpunkt entschie-den: Mitten in der Arbeitzum Aufbau der Ausstellungbeschloß man spontan, dasBild „Die Freiheit" derKünstlergruppe Langen-

heimer an den Schluß der Ausstellungzu setzen. Es formuliert in seinerSchlichtheit und gleichzeitg frohen Stim-mung nach der bedrückenden Kühle dergrauen Stahlvitrinen die vielleicht einzi-ge Botschaft, die das Museum den Be-sucher mitgeben will: „Nie wieder!"

Daneben dokumentiert die neue Aus-stellung noch etwas ganz anderes: Siewurde gemeinsam von Ost- und West-deutschen gestaltet. Gegen den heftigenpublizistischen Widerstand der Thürin-ger Bild-Zeitung, die am Ende zwischenOst und West nicht mehr unterscheidenwollte, nur noch „Rote Socken" sah unddie Entlassung aller „Ostler" forderte,wurde hier den Mitarbeitern, dei schon

vor 1989 in der Gedenkstätte arbeiteten,die Chance gegegeben, die Fehler deralten „DDR-Ausstellung" wegzuräumen.Entstanden ist eine Ausstellung, die so-wohl alte DDR- als auch alte BRD-Kli-schees vernachlässigt, neue Wege sucht.Und es ist etwas gelungen, was so oftin kulturellen Einrichtungen, Museenund Hochschulen in den neuen Bun-desländern schief ging bzw. gar nichterst versucht wurde: die Wende beiderSeiten. Dafür, daß dies hier gelang undsomit gezeigt wird, wie es nach 1995weitergehen kann mit dem Umgangdeutscher Geschichte, sei den Aus-stellungsmachern gedankt.

jot

"Die Freiheit" Künstlergruppe Langenheimer

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Titel 41

Freizeitpark HolocaustIn Berlin soll ein Denkmal für die ermordeten Juden Europas

entstehen - eine gigantische Fläche für haarsträubendeVorschläge.

Zwanzigtausend Quadratmeter Fläche.Beste Berliner Lage: Innenstadtbereich.In den ehemaligen „Ministergärten",Rufnähe zur ehemaligen Reichskanzlei.Marktwert: 200 Millionen DM. Be-arbeitungshonorar insgesamt 900.000,-DM, 6 - 1 8 Preise mit je 50.000,- DM.Künstlerische Anforderung: offen, archi-tektonische Vorgaben nach oben undunten: grenzenlos. - Wettbewerbsbedin-gungen, bei denen jeder zum Künstler-giganten wird. Zumal, wenn er sich hi-storisch verewigen kann - denn es gehtum das Denkmal der Deutschen.

Stahlofen - "größtmögliche Konkretheitdes Tatsächlichen"

Seit sieben Jahren versucht ein Berli-ner Bürgerverein unter Leitung der Jour-nalistin Lea Rosh, der deutschen Haupt-stadt Berlin ein Denkmal zu verschaf-fen, welches der ermordeten Juden Eu-ropas gedenken soll. Der Verein verstehtsich als „Forum für kreative Bürger undBürgerinnen, die die Zukunft Berlinsmitgestalten wollen". In dieser Funkti-on hat man sich neben der Denkmals-beschaffung mit Themen wie „Film-zensur an Berliner Schulen", „Gesund-heit in Berlin - Perspektiven für ein neu-es Gesundheitssystem", „Kapitalismus -unser bester Exportartikel" und „Deutsch- sein in Europa" beschäftigt. Erfahrungim Umgang mit brisanten Themen ist

also vorhanden. Die brauchte man, dennden ersten Krach gab es, als von ver-schiedener Seite gefordert wurde, auchdie Sinti und Roma mit ins Gedenkeneinzubeziehen. Das wollte der Vereinnicht, es kam zu Streit zwischen Judenund Sinti und Roma, auch andere Opfer-gruppen wie Kommunisten, Homosexu-elle und Behinderte forderten Denkmä-ler. Staatlicherseits entschied man sichzunächst nur für die jüdischen Opfer,schenkte der Berliner Initiative ein rie-siges Areal am Potsdamer Platz und ge-lobte, weitere Monumente zu bauen.

KZ-Nummern der 6Millionen Ermordeten

Weit über 500 Künstler und Architek-ten, in Kooperation mit Schriftstellern,

Entwurf 1118

Historikern, Stadt- und Landschafts-planern trauten sich zu, das Unfaßbarein begreifliche Form zu bringen. Wasentstand, beschreibt der Spiegel passendals einen „Steinbruch für Völkerkund-ler, Psychologen und Verhaltensfor-scher". Die Ausstellung sämtlicher 528Wettbewerbsbeiträge zeigte, wie man

nach 50 Jahren versucht, mit der Unfä-higkeit und Hilflosigkeit fertigzuwerden,die einen beim Thema Holocaust befällt:verkrampft und unsicher.

Da schlägt eine vor, die Ministergärtenplattzuwalzen, mit einem Stacheldraht-zaun zu umstellen und mit Scheinwer-fern zu bestrahlen. Ein anderer will ei-nen „brutalen Baukörper" aus Corten-Stahl auf die Fläche stellen, in dessenWände die KZ-Nummern der 6 Millio-nen Ermordeten eingestanzt werden. Be-leuchtung hier: „Flakscheinwerfer". Einweiterer Teilnehmer läßt aus einem 20Meter tiefen Meditationsgang eine gol-dene, 30 Meter hohe „Seelenfahne"emporstoßen. Der Gang solle den Be-sucher über Rampen in „eine sich lang-sam weitende Spirale" führen, „beglei-tet von flackerndem Licht und geflü-sterten Namen der Ermordeten". VierMännern aus Höchstadt bei Nürnbergschwebt ein archaisches Schauspiel vor:„Aus der Tiefe blutigen Bodens ragt einJudenstern pyramidenförmig, rein undweiß in den Himmel. Bewegtes Wassertrennt das Totenreich von den Leben-den." In sieben Metern Tiefe erinnernReliefs mit der Darstellung „mehrererHunderttausend Schädelformen an das

"Zwei monumentale hände."

Totenreich", nachts angestrahlt vonUnterwasserscheinwerfern.

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42 TitelDie individuelle Auseinandersetzung

des Künstlers mit dem Thema, die imjeweiligen Erläuterungsschreiben doku-mentiert ist, offenbart das unerhörteTalent eines jeden, eigenes Unvermö-gen im Umgang mit dem Wahn derJudenvernichtung zu übergehen. Es istein Wechselspiel von Phrasen, Drama-tik und der kühl-bürokratischen Täter-sprache des Dritten Reiches:

„Wo sind alle hingegangen? Was ist mitjedem Einzelnen geschehen?" - „Zweimonumentale Hände, stark, voller Pro-test und Glaube an die Selbstbehaup-tung, sie überragen die ganze Umge-bung, wie Schornsteine eines Kremato-riums." - „Information über den Holo-caustsachverhalt" - „15 Millionen Mark(Kosten) sind gerade 2,50 Mark pro Er-mordeten, wenn man allein der Op-fer des Holocaust gedenkt."

2,50 Mark proErmordeten

Alles in allem bleibt dem erschöpftenBetrachter am Ende ein Gefühl der Hilf-losigkeit. Es ist genau dieselbe Hilflo-sigkeit, mit der sich die meisten Künst-ler auf den Anspruch des Wettbewerbs

Entwurf Nr. 1463

eingelassen haben, dessen Scheitern vonvornherein zu erwarten gewesen war:„Heutige künstlerische Kraft soll die Hin-wendung in Trauer, Erschütterung undAchtung symbiotisch verbinden mit derBesinnung in Scham und Schuld. Er-kenntnis soll erwachsen können, auchfür künftiges Leben in Frieden, Freiheit,Gleichheit und Toleranz." (Auszug ausder Wettbewerbsaufgabe) - Wie unsicherdie Jury selber mit dem war, was siewollte, kommt in der Beantwortung vonKünstlernachfragen zum Ausdruck: „Wiestellt sich der Auslober die Wirkung des

Denkmals auf Opfer und Täter vor? Ant-wort: Eine Antwort wird vom Künstlererwartet."

Sie zeigt sich als Stereotyp im Umgangmit dem Holocaust: Bei vielen Entwür-fen darf das verinnerlichte Auschwitz-Bild nicht fehlen - sei es die Rampe, derVerbrennungsofen, der Stacheldraht, dieLeichen. Andere überschütten sich mitSymbolen - der gebrochene, in Musternvervielfachte, in geometrische Formenzerlegte Davidstern, Gleise in Form derMenora, Steine, räumliche Abgründe -und als Krönung das Hakenkreuz.

Wer sich den Klischees nicht unterord-nen will, schockiert oder gleitet ins Skur-rile ab: Entwurf Nr. 1463 will den Platzmit schwarzem Granit zumauern und in150 Metern Tiefe einen nuklearenSprengsatz zünden, um „das Böse imUntergrund auszubrennen". Entwurf Nr.1118 möchte den Besucher in den grau-

Entwurf Nr. 1251: Tausende Kämme

samen Sog einbeziehen: „Aus unsererMitte gerissen, sehnsüchtig die Händenach Hilfe ausstreckend, werden unse-re Mitmenschen von einem unseligenStrudel erfasst... in die Tiefe gerissendurch das Hakenkreuz... doch aus derAsche der Gemeuchelten steigt ein Geistsenkrecht gen Himmel..." Die „ständigeWiederkehr des Weltenlaufs" möchteEntwurf 1456 beschwören - indem er einRiesenrad mit Güterwaggons acht Me-ter in den Untergrund versenkt. DieWaggons können von der unteren Ebe-ne betreten werden und sollen in das„provokative Spannungsfeld... zwischenVolksfest und Volksvernichtung" führen.Vielleicht sollte sich dieser Entwurf mitNr. 1064 verbinden - einem „Theater imökologischen Park". Auf die Fläche sollein versenktes, teils aufgeschüttetesTheater gestellt werden, dahinter vierSalinengebäude. Ein künstlicher Hügelsoll mit „Bäumen, Blumen und Kornfel-

dern aus Israel" bepflanzt werden. Ne-ben das Theater werden Gebäude mit„ökologischer Nutzung" gestellt - Ma-schinen, Bienen- und Vogelhäuser.

Goethe-Auschwitz-Achse

Der Clou ist eine „von Goethe nachAuschwitz führende via dolorosa". DieKünstlergruppe aus Berlin, die „keinDenkmal für Juden, sondern nur fürDeutsche" bauen will, haben ein ein-maliges Spektakel im Sinn: „Zusammen

Ein Hakenkreuz für die ermordeten Juden

mit den 6 Millionen Juden ist das kultu-relle, geistig-sittliche Deutschland in denOrkus gefahren. Das pathetische Goe-the-Denkmal, das bedeutungsbeladeneBrandenburger Tor und die bedrohend-kryptische Nazi-Unterirdischkeit (Hitler-und SS-Bunker) ergeben eine iko-nographische Eisenbahnlinie, die in derHöhe des Goethe-Denkmals beginnendauf einen KZ-Waggon über die Ebert-Straße und das versinkende Branden-burger Tor hinweg in den Abgrund desanus mundi (Auschwitz) führt. (...) Ausdem Auschwitz-Krater lodert nachts eineFlamme, Wasser aus allen Deportations-ländern fallen in den sechs Stockwerketiefen Krater, aus dem hallende Geräu-sche klingen, verursacht vom Wasserfallund den Schritten des Besuchers, derwährend des mühsamen Weges in dieTiefe allmählich den Kontakt mit derOberwelt verliert".

Was in der Aufzählung noch fehlt, sinddie Sammler und Trauerarbeiter: Entwurf1436 möchte 6 Millionen Anstecknadelnkaufen, um sie anschließend an die Be-sucher zu verkaufen. Die Künstler-gruppe „12 Millionen Augen" möchte ein„europäisches Haus aus rostendemStahl" errichten, in dessen Dach 12 Mil-

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Titel 43

Honen augengroße Löcher im Laufe derZeit eingebohrt werden. „Work inprocess" nennt Jury-Vorsitzende WalterJens solche unfertigen Mach-Mit-Initia-tiven: „Die Besucher des Mahnmals kön-nen einen Teil ihres gegenwärtigen All-tags opfern: einen KAMM. Daraus wirddas Mahnmal entstehen." - meint Ent-wurf 1251. Durch das „Brachland", aufdem mannshohe Eisenstäbe stehen,werden aus Holzrosten bestehendeWege gelegt, von denen aus der Geden-

kende sich seinen Stab aussuchen kann,auf den er seinen Kamm „pflanzt".Ist ein solches zentrales Denkmal not-

wendig? Brauchen die Deutschen einezentrale Staatstrauer- und Kranzabwurf-Stätte? Werden die „Nachgeborenen miteinem Beschuldungsritual konfrontiert,das sie nicht trifft oder das sie besten-falls als Show wahrnehmen, und läuftdie Kultur des ritualisierten Gedenkensnicht auf ihre Abstumpfung hinaus", wieDirk Schümer in der FAZ schreibt?

Die Wettbewerbsausschreibung steck-te einen finanziellen Rahmen von 16Millionen DM, von denen je 4 Millio-nen DM vom Bund und dem Land Ber-lin kommen, der Rest - 8 Millionen DM- soll durch Spenden aufgebracht wer-den. Ein wodurch berechtigter Aufwand?

Nach Henryk Broder ist das Vorhabenschon soweit fortgeschritten, „daß manbefürchten muß, es könnte realisiertwerden". Er hat leider recht.

Die Ausstellung gesehen habenrebus und joL

Ende und AnfangPhotographen in Deutschland um 1945

19. Mai bis 29. August 1995

Zum 50. Jahrestag des Kriegsendes am8. Mai 1995 bereitet das Deutsche Hi-storische Museum eine Photoausstellungmit dem Titel "Ende und Anfang. Pho-tographen in Deutschland um 1945" vor.

Diese Ausstellung kombiniert zweiunterschiedliche Sichtweisen und Hal-tungen: Sie wird zum einen Bilder derSieger zeigen: Bilder von Photograph-innen und Photographen, die mit densiegreichen Alliierten nach Deutschlandkamen und für Zeitschriften wie LIFE,PICTURE POST und andere die Befrei-ung und die Überreste Nazideutschlands

photographierten. Robert Capa undGeorge Rodger waren die bekanntestenunter ihnen, ebenso margaret Bourke-White und Lee Miller.

Den Vormarsch der sowjetischen Trup-pen hielten Männer wie Jewgeni Chaldej,Georgi Petrussow, Arkadi Schaichet undGeorgi Selma fest. Die genannten Pho-tographen werden in der Ausstellung miteiner Auswahl ihrer Bilder, von deneneinige zu Ikonen der "Stunde Null" ge-worden sind, vertreten sein.Auch auf der Seite der Besiegten und

Befreiten wurde photographiert, zu-

Berlin 1945 Georgi Petrussow

nächst heimlich, dann unter erschwer-ten Bedingungen (Requirierung vonphotoapparaten, Materialmangel). Of-fenbar ohne besonderen Auftrag betrie-ben deutsche Photographen Spuren-suche in ihren zerstörten Städten, soHermann Claasen in Köln, EdmundKesting und Richard Peter sen. in Dres-den, Herbert List in München oder auchFriedrich Seidenstücker in Berlin. In vie-len dieser Bilder steigert sich die bild-nerische Aussage zu einer ambivalen-ten Mischung aus Trauer über das end-gültig Verlorene und einer Faszinationdurch die Aura der Ruinen.

Ergänzt wird die Produktion verschie-dener Berufsphotographen (ca. 160 Fo-tos) durch eine Auswahl von Knipser-photos aus den Jahren 1945/46. Im Rah-men eines Zeitungsaufrufs des Deut-schen Historischen Museums habenzahlreiche Photoamateure ihre Schub-laden und Alben geöffnet und Schnapp-schüsse von damals eingesandt.Die Ausstellung will einen Beitrag lei-

sten zur Photogeschichte des jahres1945, sie soll die unterschiedlichen Per-spektiven auf das Kriegsende - Sieg undBefreiung oder Zusammenbruch undNiederlage - zeigen.

Das Konzept der Ausstellung stammtvon Prof. Klaus Honnef, einem der gro-ßen Kenner zeitgenössischer Kunst undPhotographie.

Eröffnungstermin ist der 18. Mai 1995,19 Uhr, im Berliner Zeughaus.

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44 Titel

Eisernes Kreuz fürVölkermord

Die Verbrechen der Wehrmacht in Osteuropa

Eine Ausstellung des Hamburger Insti-tuts für Sozialforschung beweist: Einfa-che deutsche Soldaten ermordeten wäh-rend der Besetzung des Balkans und derSowjetunion - massenhaft und systema-tisch - Kriegsgefangene, Juden und an-dere Zivilisten.Damit bricht sie mit

einer Legende, die be-reits durch die Fäl-schung von Kriegs-akten und verschleiern-de Sprachregelungenwährend des Kriegesvorbereitet wordenwar, die in den Illu-strierten, der Romanli-teratur und den Filmender Nachkriegszeit inWest-Deutschland ver-breitet wurde und diebis heute fortwirkt.Die Wehrmacht - so

macht die Le-gende glauben- habe nur mitAnstand undWürde ihre sol-datische Pflichterfüllt und seiüber die Greu-eltaten der SSallenfalls nach-träglich infor-miert worden.Die Wirklich-

keit sah andersaus: die Wehr-macht spielteeine aktive Rol-le beim Ge-nocid an den Juden, sie war verantwort-lich für den millionenfachen Mord anden sowjetischen Kriegsgefangenen, sieplünderten und verwüsteten die besetz-ten Gebiete, sie unterstützte die Depor-tation von Hunderttausenden zurZwangsarbeit nach Deutschland, sie be-

trieb, unter dem Deckmantel des Parti-sanenkrieges, den systematischen Mordan der sowjetischen Zivilbevölkerung.

Nicht an allen Fronten ging die deut-sche Armee mit der gleichen Rücksichts-

Ein naher Verwandter schickte unserer Familie1942 aus Rußland, wo er an Hitlers „Unterneh-men Barbarossa" einberufen teilnahm, ein Pho-to, auf demeine Gruppe ärmlich gekleideter Men-schen, Greise, Männer, Frauen und Kinder, ab-gebildet waren. Auf der Rückseite war ein hand-geschriebener Satz zu lesen, der mich bis heutreverfolgt, sobald die unsäglichen Greuel des Krie-ges zur Sprache kommen: „Partisanen der übel-sten Sorte, kurz vor der Umlegung."

Leserbrief an DIE ZEIT (Nr. 13/1995, S.23)

losigkeit vor. Gemäß der nationalsozia-listischen Ideologie, welche die slawi-schen Völker - ähnlich wie die Juden -mit den Attributen von Tieren belegte,führten deutsche Soldaten nach demÜberfall auf die Sowjetunion einen Ver-nichtungskrieg, der keine Flüchtlings-

konvention, kein Kriegsgefangenenrechtund keine Menschenwürde mehr gel-ten ließ.

Führer-Erlasse und die „Verhaltens-Richtlinien" des OKW forderten „kollek-tive Gewaltmaßnahmen" und „restloseBeseitigung jedes aktiven und passivenWiderstandes".

Die jeweiligen Befehlshaber setztendiese Rahmenbefehle vor Ort in kon-krete Handlungsanweisungen um. Blie-ben Sabotageakte ungeklärt, wurde „dasErschießen von ortsansässigen Judenoder Russen" befohlen.

Mit der Begründung, die Juden alleinseien für die Überfälle der Partisanenverantwortlich, wurde ihre rücksichtslo-se Vernichtung verlangt und - wie pri-vate Äußerungen und Amateurfotogra-fen von Kriegsteilnehmern auf erschüt-ternde Weise belegen - auch bereit-willigst durchgeführt.

Mit Reproduktionen von Kriegstage-büchern und Fotoalben, Zusammenstel-lungen von Feldpostbriefen und Aufsätzen von Kriegsgefangenen, die der Aus-stellung beigegeben wurden, wird be-legt daß das Wissen um Vernichtungund Verbrechen in weiten Kreisen derWehrmacht - und ihrer Angehörigen -präsent war.

Daß diese Wahrheit bei manchen auchheute noch Tabus bricht, zeigte die gro-ße Aufmerksamkeit und die Spannbreiteder Reaktionen, welche die Ausstellungseit ihrer Eröffnung am 5-März diesesJahres in der Hamburger Kampnagel-fabrik und parallele Veröffentlichungenzum Thema in der ZEIT erfahren haben.Vom 10. Mai bis zum 22. Juni wird sie

auch im Foyer der Humboldt-Universi-tät zu sehen sein.

Die Fülle des Materials droht den Ortzu sprengen, seine erschütternde Bot-schaft wird niemanden unberührt zurVorlesung gehen lassen.

Geck

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Kultur 45

Über die nie zur Aufführung gelangte, von Louis Malle diskretgefilmte und von Regisseur Andre Gregory exzellent besetzte

Tschechow-Adaption des David Mamet:

„Vanya on 42nd Street"Nachmittag. Es ist heiß, Menschen strö-

men über den Broadway, die Stadt bro-delt. Die Kamera verweilt mal bei die-sem, mal bei jenem. Unbestimmt schlen-dernd wie ein Flaneur zwischen der ei-ligen Menge saugt sie den heißen Atemder Stadt in sich ein. Einige lösen sichaus dem Strom, kommen zusammen.Acht Schauspieler und ihr Regisseur.Heute steht eine Durchlaufprobe fürTschechows „Onkel Wanja" auf demProgramm. Wie immer haben sich eineHandvoll Gäste eingefunden. Die Ka-mera gleitet mit dem kleinen Grüppchenvon der betriebsamen Straße ins trägedumpfe Theatermilieu. Tempiwechsel.-

Probenort ist das „New Amsterdam"Theater, um die Jahrhundertwende ei-nes der strahlendsten Bühnen am Broad-way, jetzt eine zugige Ruine mit nassenWänden und altem Plüsch. Der einstigeRevueglanz ist längst in Dekadenz über-gegangen. Inzwischen hat Disney dasHaus gekauft, (überhaupt scheinen dieZeit und der Film als solcher eine ge-wisse Finalität geschaffen zu haben, das„Experiment" -eine Theaterinszenierungals „work in progress about life inStagnation"-, Über das der Film handelt,ist beendet.)

„Wie lange ist es her, daß wir uns ken-nen?" fragt ein Schauspieler seine alteKollegin. „Wie lange? Gott, laß michüberlegen", antwortet sie. Währenddes-sen ist man unversehens in eine fremdeWelt geraten, das Spiel ist bereits in vol-lem Gange. Aus dem Begrüßungsritual,trägem Geplauder um Befindlich- undNeuigkeiten ist etwas anderes gewor-den: mit einem Mal wird der Alltag zumSpiel, das „New Amsterdam" zum russi-schen Landgut, das plüschige Interieurzum schwülen Sommertag. Was vorherdraußen war, flüchtig und unscheinbar,geht drinnen geheimnisvoll weiter. Erstdie stetige Kamera, die mit einem Maleinsetzende klare Stille markieren den

Beginn deutlicher.Wanja, der Gutsverwalter, der um sein

Leben betrogen, rasend die Frau desGutsverwalters liebt, den er verachtet,da er ihn zuviel bewundert hat, das er-kennt und ins Leere fällt- so müßte essein, die Geschichte. So ist es auch, wäreda nicht dieses Augenzwinkern, dieseleichte Ironie, mit der die Schauspielerimmer wieder auch zu Protagonistenihrer selbst werden.

Kurzes Intermezzo während der Pau-se. Man trifft sich am Büffet, plaudert.Der Lärm der Straße nimmt wieder zu,von irgendwo hört man ein Saxophon.Während der Probe ist es still gewesen,nur selten drang ein dissonanter Ton vonaußen in die muffige Schwüle des Thea-terraumes.

Nach der Pause sammelt man sich umden runden Tisch. Auf der einen SeiteGregory mit den Gästen, auf der ande-ren Jelena mit dem Professor. Und wie-der entsteht die fremde Welt Tschechows— ein atmosphärisches Konzentrat ausindirekten Dialog, aus Gesagtem undUngesagtem, aus Pausen, Schweigen,scheinbar zusammenhanglosen Repli-ken, aus dem, was man sich selbst undanderen einredet, was man verwischtoder was man verschweigt.Das Stück, seid 1989 immer mal wie-

der geprobt, später vor geladenen Freun-den gespielt, ist nie aufgeführt worden.Viel zu leise sprechen die Schauspieler,viel zu sehr aufeinander bezogen sindsie nach der jahrelangen Probenzeit. Dieruhige Intensität, die das Ganze trägt,ginge auf einer großen Bühne undvor einem Publikum, das nicht zu-gleich Teil und Komplize der Insze-nierung wäre, unweigerlich verloren.Hier hat Louis Malle angesetzt. Die

theatralische Stille,das Bühnenlicht,S p r a c h e ,Rhythmus,die formale

Schlichtheit der Kulissen, alles erinnertans Theater. Und doch hat Malle subtilerweitert, verbunden, verwischt. SeineKamera ist wie das Auge des Zuschau-ers, mal leicht zur Seite geneigt, verwei-lend, neugierig. Er fängt Reaktionen ein,die sich nur auf den Gesichtern spie-geln, viel zu flüchtig eigentlich, um ge-sehen zu werden. Oder er greift zumMittel des inneren Monologes, schaffteine sinnliche Atmosphäre allein durchdie Nähe der Kamera und scheint dabeidoch nicht mehr zu tun als die Dinge,die da sind, aufzuzeichnen.

Das Stück ist zu Ende. Die Geräuschenehmen wieder zu- es ist, wie wenn dieLichter angehen nach der Vorstellung.Die Kamera wandert noch einmal überdie Gesichter der Schauspieler, zeigt siegelöst und erschöpft, heiter und zufrie-den und albern- und man meint, sichim Kinositz räkelnd, nun wirklich dieMenschen selbst zu sehen und nichtmehr die Spieler. Verläßt das Kino nochganz befangen, schüttelt den Kopf, umwieder wach zu werden — und mit ei-nem Mal die Frage, ob nicht alles, dasSpiel der Probe und der Film über das„spielend geprobt und probend Gespiel-te", ob dies alles nichts weiter gewesenist als eine einzige großartige Illusion??

„Finita la Comedia".Schah von Bla

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46 Leben in Berlin

„Vorher kassieren, odernachher?"

Callboy, um sein BAföG aufzubessern?

Im Berliner Stadtmagazin "tip" gibt esim Kleinanzeigenteil eine der größtenRubriken für professionelle Liebesdien-ste in Berliner Gazetten. Neben Kino,Konzerten und Kolloquien gehört dashalt auch zur Berliner Szene. "Moneymakes the world go round" steht quasials Motto und gleichzeitig Warnung überden Offerten. Aber der- oder diejenige,die gezielt blättert, wenn der Trieb über-mächtig wird, muß nicht erst gewarntwerden; daß hier der Kommerz regiert,ist klar.Immer mal wieder tauchen Anzeigen

auf, in denen angebliche oder wirkli-che Studenten um Kunden werben. Call-boy als studentischer Nebenjob, auf denersten Blick ungewöhnlich. Andererseitsmüssen Berliner Studenten bei allgemei-nen Sparmaßnahmen im Hochschulbe-reich öfter mal ihren Arsch hinhalten undetliche von ihnen prostituieren sich auchin anderen Amüsierbetrieben der Haupt-stadt, wie in den Kneipen der Sünden-meile Oranienburger oder in diversenTaxi-Unternehmen - und verdienenmeist weniger.Wenn jemand mit dem Zusatz Student

wirbt, muß doch davon eine geschäfts-steigernde Wirkung ausgehen. Ist Stu-dent ein Qualitätsbegriff, etwa für be-sondere Jugend oder intellektuelle Be-lastbarkeit? Nun ist dieser Job wirklichnicht jedermanns oder jederfraus Sache.Und gerade von Studentinnen mit ih-rem angeblich ausgeprägteren sozialenBewußtsein erwartet man nicht, daß sieihre Haut zu Markte tragen. Oder tun esmanche genau deswegen? Was treibteinen Menschen, seinen Körper zu ver-kaufen? Wie bewahrt er seine Seele vorSchaden?Diese Fragen und mehr beschäftigten

mich, als ich mich mit Udo B. in seinerWohnung zum Interview treffe. Udo ist26 Jahre alt und studiert seit 1992 Sozi-alarbeit an der Fachhochschule für So-

zialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS)hier in Berlin - und er verdient seinenLebensunterhalt als Callboy, in diesemFalle für Männer. Damit ist er einer vonca. 150 Callboys in der Stadt.

Udos Studienrichtung erwies sich alsbesonderer Glücksfall, war er doch da-durch in der Lage, auch einige meinerallgemeineren Fragen zum Thema gera-de von der künftigen Sozialarbeiterseitezu beantworten.

"Seil your house, seil your car, seil yourchildren!" In riesigen Lettern steht die-ser aus den wilden 60ern stammendeSpruch über dem Bett von Udo. In Ge-danken setze ich ihn fort: "Seil yourbody!".

Als erstes klärt mich Udo über den Un-terschied zwischen Stricher und Callboyauf. Stricher sind meist gezwungen, ihreKunden auf Bahnhöfen u. ä. zu suchen;Callboys dagegen haben ein Telefonund eine eigene Bude, müssen regel-mäßig ihre Miete zahlen, d. h. sie sindirgendwo schon sozial eingegliedert.Meist sind sie auch älter als die "Kindervom Bahnhof Zoo", so Mitte 20, unddamit, zumindest glaubt das Udo, we-sentlich eher in der Lage, mit diesemJob "eigenverantwortlich" umzugehen."Diese 14, 15jährigen Jungen habendoch noch gar keine eigene Sexualität,wissen gar nicht ob sie hetero oderschwul sind. Die können doch über-haupt nicht den nötigen Abstand auf-bauen, werden ausgenutzt von Leuten,die sich dann auch noch in den Medienals liebe Onkels hinstellen. Es ist dochmies, wenn die ihr Coming-Out auf demStrich haben," meint Udo, als der Sozi-alarbeiter aus ihm herausbricht.Aber meist spricht er über sich, über

seine Erfahrungen und auch über seineÄngste. Und er ist dabei überraschendoffen, auch wenn er sagt, daß er nichtfür alle spricht, sondern nur für sich ...

"Hoffnungslosschüchtern"

UnAUF: So ganz gewöhnlich istDein Nebenerwerb nicht gerade.Und es gibt einen Haufen studenti-scher Nebenjobs, "wie bist Du ausge-rechnet auf Callboy gekommen?

Udo: Ehrlich gesagt, eine soziale Not-wendigkeit war es nicht. Klar, die 750DM BAföG, die ich damals bekam, reich-ten hinten und vorne nicht. Andere ar-beiten halt in den Semesterferien, fah-ren dann nach Indien und kommen ganzgut zurecht.

Es war eher eine Idee, eine Vorstellung,an die ich mich erinnerte, als das Gelddann einfach mal knapp wurde. Alslöjähriger trampte ich sehr viel. Wir hat-ten Zuhause kein Auto und der Bus fuhrim 30-Minuten-Takt. Wenn ich dann soan der Straße stand, in Jeans und mitSchultasche, bemerkte ich nach einigerZeit, das so etwa jeder zweite Mann, derin die Bremsen ging, schwul war. Mei-stens schauten die mich dann beim Fah-ren ständig von der Seite an oder frag-ten schon mal, ob ich eine Freundin hät-te und was ich denn so den ganzen Tagmache etc. Bei diesen Fragen wußte ichdann schon nach einiger Zeit gleichBescheid. So hoffnungslos schüchtern,wie ich war, wurde ich ganz rot odersteif wie ein Brett. Manchmal bin ichdann auch schon mal früher ausgestie-gen. Passiert ist da nie was.

Zu dieser Zeit war auch die US - Armybei uns im Dorf. Da hat mich dann malein 'Schwarzer' angesprochen. Nett undgutaussehend, dachte ich so bei mir, derwollte mir 200 Dollar geben, wenn ichmit ihm ins Hotel komme (200 $ = da-mals 400 DM). Der wurde dann aber somassiv, das ich mich dann doch nichttraute, obwohl ich im innersten bereitstotal neugierig auf Männer war.

Nun so ähnlich war das dann auch zuBeginn in Wuppertal, als ich die ersten

Page 46: UnAufgefordert Nr. 66

Leben in Berlin 47

Damals studierte ich dort Sozialwissen-schaften.

Hoffentlich hältst du mich jetzt nichtfür arrogant, aber die standen alle totalauf mich. Ich war überwältigt. Die älte-ren unter den Schwulen waren vollkom-men aus dem Häuschen, wie damalsbeim trampen, und die wollten mir meisteinen ausgeben. Meine Getränke hab ichin dieser Zeit nie selbst bezahlen müs-sen. Als ich allerdings merkte, daß diealle nur auf mein Gesicht und meinenHintern abfuhren und kaum einer da-bei war, der mal länger blieb, dachte ichso bei mir: Wenn die nur Sex wollen,dann sollen sie dafür bezahlen. Das ha-ben sie dann auch letztendlich gemacht.

Hast Du jemals daran gedacht, ei-nen Nebenjob über die TUSMA oderähnliches zu suchen?

Ich hatte bis jetzt in meiner ganzen Stu-dienzeit auch immer Nebenjobs. Durchmeine Callboytätigkeit konnte ich aufWochenend- und Nachtarbeit in derKneipe verzichten. Gleichzeitig war ichdurch die Nebenjobs nicht so abhängigvom Callboydasein.

Die letzten Jahre hatte ich manchmalüberhaupt kein Bock mehr auf Kundenund wollte lieber einen Job, wo ich auchmal 30 Stunden arbeiten kann, auch weilich kein BAföG mehr bekomme. Nurkomme ich dann über die 20 Stunden-marke und muß mein Einkommen voll

versteuern. Letztlich arbeite ich mehr fürdie steuerlichen Abgaben, hab' aber kei-ne müde Mark mehr am Ende des Mo-nats, als ich als Callboy verdiene.Schwarzarbeit hat halt so ihre Vorteile.In den "Profi"-Anzeigen wird häu-

figer mit dem Begriff Student gewor-ben. Ist das irgendwie eine Art "Qua-litätsbegrifP - von wegen jung oderintellektuell ansprechbar?Auch ich habe mal in meinen Anzei-

gen dazugeschrieben, daß ich ein Stu-dent bin. Das hat aber nichts gebracht,eher das Gegenteil, eben weil es so wasintellektuelles hat. Die meisten Leute, diekommen, wollen Sex und nicht Philo-sophieren.

"Ein Prof hat nochnicht angerufen"

Hat schon mal ein Professoren an-gerufen?

Gott bewahre. Es reicht mir schon,wenn meine Mutter anruft, nachdem ichzuvor mit einem Kunden besprochenhabe, was man wo reinstecken darf.Wie reagieren beispielsweise Deine

Kommilitonen, -wenn sie von Dei-nem 'Nebenjob' erfahren?Mir fehlt wohl eine gewisse Verschla-

genheit, um ein Doppelleben führen zukönnen. Vor allem zu Beginn war ichdamit natürlich, weil es neu war, so be-schäftigt, daß ich einfach auch Freundebrauchte, denen ich mal was erzählenkonnte.An der Uni in Wuppertal gab es eine

kleine Schwulengruppe - da ging allesschnell rum. Es zu verleugnen machtedann eh keinen Sinn mehr.

Im nachhinein stellte ich schon öfterfest, es wäre besser gewesen, es nichtzu sagen, aber wie soll man jemandenklar machen, daß man zwei Telefone be-nötigt. Einige dachten auch, ich hätteeinen riesigen Freundeskreis, weil so oftdas Telefon läutete. Manche sind dannbesonders geil auf einen, weil sie einenCallboy noch nicht in ihrem Repertoirehatten - 'mal sehen wie der es so macht.'

Die Sache ist wirklich schwierig. Wennich einen Korb bekomme, weiß ich letzt-endlich nie so genau, ob es nicht dochmit meinem Nebenjob zusammenhängt.Oft weiß derjenige selbst es ja nicht malgenau.Du studierst Sozialarbeit. Sicher

wird das Thema Prostitution als einsoziales Problem auch eine Rolle da-bei spielen. Wie reagierst du, 'wennStricherthemen im Studium auf tau-

Page 47: UnAufgefordert Nr. 66

48 Leben in BerlinMale die Subkultur betrat. Das war 1986.Frage: Warum geht jemand zur Polizei?Oder das über das Sexualleben vonPolitessen.Jetzt versuch Ich es auch mal mit

einer Verallgemeinerung. Was su-chen Männer bei Dir, 'wenn sie Dichbezahlen - pure Lust oder Sehnsuchtnach Zuneigung?Nun, es gibt Freier, die kommen ein-

fach nur zum Abspritzen, die brauchenmeist nicht lange - bezahlen und ge-hen. Andere sind gerade mal alleine (derFreund ist auf der Buchmesse in Frank-furt) und wollen mal einen anderenMann, wieder andere sind oder warenimmer verheiratet und plötzlich mit 40wollen sie dann doch mal schwul sein.Denen bleibt natürlich nur das Porno-kino oder halt der Callboy, so hart dasauch klingt. Da merkt man auch schonmal, daß die mehr Zeit brauchen, einenvielleicht auch schon mal etwas vertrau-ter kommen und das Gefühl brauchen,da macht es jemand mit mir, der jungund hübsch ist, also ich bin doch nochetwas Wert. Manche realisieren dannaber schlagartig, daß ich wahrscheinlichohne money nicht bereit wäre, tabu-losen Sex mit ihnen zu machen. Vor al-lem nach dem Orgasmus sind die dannetwas ernüchtert (bis dahin hält dieSpannung). Bei diesen Kunden stehtman auch vor dem schier unlösbarenProblem: Soll man vorher kassieren, daswürde manchen von Anfang an jederIllusion berauben oder nachher, das zer-stört dann jede schon aufgebaute Illusi-on?Das sind natürlich die, die mir irgend-

wie schon fast leidtun, zumal ich ja auchnicht jünger werde. Dann stelle ich mirvor, daß mich in 20 Jahren der Berufdermaßen befriedigt, daß ich auf denSex, den ich heute habe hoffentlich ver-zichten kann.Gibt es Situationen, in denen Du ei-

nen Freier auch mal ablehnst?Es gibt Freier, die wollen (am Telefon)

'sonn richtigen Kerl'. Also das ist so inetwa die einzige Gruppe von Kunden,wo ich wirklich von vornherein schonkeine Lust mehr habe.Also ich verstehe mich selbst wirklich

als Mann (oft mehr als mir lieb ist), aberdiese schwulen Vorstellungen vonHypermännlichkeit machen mir einfachProbleme. Ich bin kein 'SizilianischerBetonmischer' (Walter Moers), so etwasgibt es nur in US-Pornos.Das Aussehen spielt auf die Dauer nicht

so eine große Rolle. Die allermeistenKunden sind wirklich sehr nett und lok-ker. Man kann auch man selber sein undmuß nicht immer eine Show abziehen.

Das ist schon viel Wert und erleichtertvieles. Die wirklichen Arschlöcher ge-ben sich immer am Telefon schon zuerkennen und dann legt man bessergleich den Hörer wieder auf. Ein wirk-lich netter, wenn auch älterer Mann,kann da schon viel angenehmer sein,als ein junger hübscher, der ständig seinGeld zählt und jede Mark 'abgeblasen'haben will.Außerdem: Entgegen aller Gerüchte,

woher sie auch kommen, hübsche Män-ner gehen in der Regel nicht zu einemCallboy. Es gibt Ausnahmen, aber da-von kann man dann auf die Dauer nichtmal seine Stromrechnung bezahlen.

Was geschieht, wenn diese Ausnah-me mal eintritt? Gab es schon maleinen Augenblick für Dich, wo Dueinen Kunden eigentlich nicht gleichnach hause schicken wolltest?Noch nie. Es gab mal einen, der mir

wirklich gefiel. Nur leider gab der mirdas Gefühl, wirklich nur Sex zu wollenund davon habe ich nun wirklich aus-reichend.

Eines gab mir letztens doch zu den-ken: Ich lernte privat einen Mann ken-nen, der wie sich herausstellte wirklichtotlangweilig war und ich dachte so beimir: mein Gott, und das auch nochumsonst!

"Das macht Dich nichthärter"

Ich stelle es mir schwierig vor, ne-ben diesem Job eine Beziehung auf-zubauen, denn es bedarf sicher ei-ner ziemlich großen Portion Tole-ranz, das zu akzeptieren. Welche Er-fahrungen hast Du gemacht?

Ich selbst hab immer nur Liebhabergehabt, aber bis jetzt keine kontinuier-liche feste Beziehung. Es gibt Callboys,die haben einen festen Freund. Ich binmir aber nicht sicher, ob der Freund nichtvielleicht eher der 'Kumpel' ist und we-niger der wirklich Verliebte. Aber ichmöchte da nichts Falsches sagen. Irgend-eine Abmachung wird da schon getrof-fen worden sein zwischen den beiden.Mit mir hat bis heute keiner eine solcheAbmachung getroffen. Natürlich macheich es nicht nur für Geld, natürlich kannich einen Mann lieb haben und natür-lich kann ich auch noch genug privatenSex haben (wenn man verliebt ist, gehtvieles). Ich bin allerdings selbst sehr sen-sibel und schnell eifersüchtig. Die Män-ner, an die ich gerate, meinen immer ichnehme es nicht so genau, bin promisk

und wenn sie selbst schon einen ande-ren haben, sähe ich das alles nicht soeng. Ich wäre ja schließlich Callboy undSex ist für mich wie Haareschneiden.

Ich habe auch schon (privat) einigeCallboys kennengelernt und das istschon eine schwierige Sache. Die einensind offenbar doch promisk und dieanderen sind genauso sensibel wie ichund es gibt eine gegenseitige Angst vor-einander, sich weh zu tun. Wenn mansich zu ähnlich ist, machen halt beidedie gleichen Fehler.

Wenn man so einiges im Leben mit-macht, wird man doch nicht härter, son-dern wie ich meine, eher sensibler undempfänglicher. Ein dickes Fell läßt sichnicht aufbauen wie eine Backstein-mauer. Das haben Männer oder auchFrauen erfunden, die eine Entschuldi-gung für ihre Unsensibilität suchten,obwohl sie doch immer schon so wa-ren.Von Berufswegen muß Sex in Dei-

nem Leben schon eine große Rollespielen. Welchen Stellenwert hat erin Deinem Privatleben?Also mir ist es ja schon öfter vorge-

kommen, daß Männer vor mir zurück-schreckten, weil sie dachten, ich alsCallboy würde ja mittlerweile nur nochauf ganz ausgefallenen Sex abfahren,und man müßte mir schon einige tech-nische Raffinessen bieten, damit ichüberhaupt noch abspritze.Also alle die, die bis hierher das Inter-

view verfolgt haben, kann ich beruhi-gen. Sex hat für mich überhaupt nichtsmit Leistung zu tun.

Übrigens, der meiste Sex mit Kundenist relativ bürgerlich, Gummi, Lack, Le-der oder Natursekt interessiert die Me-dien mehr als die Kunden. Und den gro-ßen Dildo, den ich vor einem Jahr fürviel Geld gekauft habe, hat bis heutenoch keiner benutzt.

Wahrscheinlich hast du keine stän-dige Panik vor Aids, sonst könntestDu wohl diesen Job auch gar nichtmachen. Denkst Du manchmal trotz-dem darüber nach?Also natürlich mach ich nur safer sex -

sonst nix. Privat und auch als Callboy.Ich will die Aidsdebatte hier nicht auf-rollen. Darüber wissen ja wohl alle Be-scheid. Was meine Ängste angeht, sinddie da, wie bei anderen Schwulen auch.Vielleicht bin ich da ein größererVerdrängungskünstler. Ich stell mir haltvor: Ob einmal die Woche safersex oderfünfmal die Woche spielt keine Rolle.Wenn doch, hab ich wahrscheinlichPech gehabt.

Danke für das Gespräch.Das Gespräch führte ojoff

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Kultur. 49

Denk MalEs gibt Anlässe, zu denen schenkt man

selbst Verstorbenen Aufmerksamkeitund macht Ihnen kleine Geschenke. DieBerliner FDP weiß solche Offerten zuschätzen und beschäftigt sich dement-sprechend auch seit schon fast einein-halb Jahren mit einer Idee, die der ge-schichtsträchtigen Verschönerung derhauptstädtischen Innenstadt dienen soll.Ganz uneigennützig wird dabei auchKäthe Kollwitz gedacht. Das vielen nochaus DDR Zeiten bekannte Motto: „Schö-ner unsere Städte und Gemeinden, machmit!" stand hierbei vielleicht sogar Pate.Ihre Idee war, getragen vom Willen denhistorischen Gehalt des OstberlinerStadtkerns auf-zuwerten, ent-lang der StraßeUnter den Lin-den die Denk-mäler der preu-ßischen Ge-neräle Scharn-horst, Bülow,G n e i s e n a u ,York und Blü-cher wieder zuerrichten. Selbi-ge waren anläß-lich des SiegesPreußens überdie Napoleoni-schen Streitkräf-te im Jahre1812/13 und zur Ehrung der Generäleaufgestellt worden. Zusammen mit derNeuen Wache und dem ihr gegenüber-liegenden Kommandantenhaus solltedas Ensemble als Symbol für ein refor-miertes und demokratisiertes Preußenstehen. Dies griffen die Liberalen aufund brachten ihren Antrag in das Abge-ordnetenhaus ein. Dieser stieß sogar aufRückhalt großer Teile der CDU, sowievon Vertretern der SPD und Bündniss90/Grüne. Doch gut Ding will Weilehaben und deshalb kam es erst im Märzdieses Jahres zur weiteren Besprechungdes Antrags. Nun tat sich aber ein unge-ahntes Hinderniss des Projekts auf, dasindirekt sogar von der Bundesregierungverschuldet war.

Die Bundesregierung hatte vor gutzwei Jahren veranlaßt eine vergrößerteKopie der Pieta der Künstlerin Käthe

Kollwitz in der Neuen Wache aufzustel-len. Damit hatte sie sich aber auch ge-genüber dem Enkel verpflichtet, dieDenkmäler von Scharnhorst und Bülownicht wieder links und rechts der Neu-en Wache aufzustellen. Der Grund da-für wird mit der antimilitaristischen Hal-tung der Käthe Kollwitz angegeben, mitder sich die Lebensweise derer vonScharnhorst und Bülow nach Meinungdes Enkels nicht vereinbaren läßt.

Nun ist die Wache Besitz des Bundesund Versprechen kann man viel, dasGebiet um das Gebäude herum ist aberimmer noch unter Senatsgewalt und die-ser wird auch über die Wiedererichtung

der Denkmäler bestimmen. Die Andro-hung des Enkels Arne Kollwitz, im Fal-le der Durchsetzung des Projekts gegenseinen Willen die Pieta zerstören zu las-sen, ließ die anderen Fraktionen etwaszurückschrecken. Man ist sich in denReihen der CDU, SPD und Bündniss 90/Grüne nicht sicher, ob man auf Kon-frontationskurs gehen soll. Deshalb be-schlossen die Abgeordneten der Büro-kratie erst einmal ihren Lauf zu lassenund ordneten ein Gutachten an, sowiedie Bildung eines Kolloquiums. AllerVoraussicht nach wird sich die ganzeEntscheidungsuche bis nach den Wah-len hinziehen.

Wie es auch ausgehen mag, der Künst-lerin kann man nur herzlichst zum 50.Todestag gratulieren.

oha

ein Fortsetzungsroman

Ein Fuchs war in das Wasser gesprun-gen und machte Jagd auf die Entenkü-ken. Der ohrenbetäubende Lärm derzu Tode geängstigten Schwimmvögelmachte es ihr unmöglich, weiter lie-bestrunkenen Tagphantasien nachzu-hängen. Sie wollte sich gerade aufrich-ten, als Henrik in kühnem Sprung dieHecke überwand. Ein leiser Schrek-kenslaut entschlüpfte ihrer Kehle.Schwer atmend trat er vor sie hin. DieSchnüre seines Wamses hatten sichgelöst, gewährten süßer Ahnung listigeinen Weg. Beschämt schlug sie dieAugen nieder. Gegen ihren Willenkehrte das Bild des andalusischenHengstes in ihr Hirn zurück.

Ein Schaudern zog sich über ihrenzarten Nacken, rollte den Rücken hin-ab, verebbte langsam in ihres KörpersTiefen. Er sank in die Knie, hauchte:„Sophie-Charlotte! Bitte, ich leide..."Sein Gesicht •war jetzt sehr nah demihren. Überdeutlich nahm sie jede Ein-zelheit wahr: die dunkle Locke, die ihmkeck auf die Stirn gesprungen war, diefeinen Schweißperlen über den ge-schwungenen Linien der Brauen. Un-ter den Spiegeln seiner tiefbraunenAugen erahnte sie die mühsam imZaum gehaltene Erregung. An den Sei-ten der griechisch gemeißelten Nasebebten die Flügel, wie der heftigeHerzschlag eines gefangenen Vogels.

Er griff nach ihren Händen, scheu unddoch so fordernd. Sie entzog sie ihmnicht. Wie denn auch, wo alles in ihrzu ihm strebte. Näher, nur näher sein!Die letzte Feste ihrer Erziehung beb-te, erschüttert vom ehernen Klang derStimme ihres Herzens. Näher, nur nä-her zu ihm!

Etwas neues, ungeahntes brach zumLicht, riß die Mauern der Contenanceendgültig ein. „Ihr seid mein Verder-ben!" - sie dachte es mehr, als daß siees sagte. Und wollte wohl verdorbensein. Unerträglich war die Erwartung,zum Zerreißen gespannt die Sinne...

Mit einem fast körperlich spürbarenSirren zerriß das Band, peitschte dieLuft. „Was tut ihr da? Ihr Lump wagtHand an meine Tochter zu legen!"

ojoff

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50

durch dieFilmgeschichte

Wer kennt es nicht: das einfache Mäd-chen, zum Hollywoodstar geworden, alsMythos ewig weiterlebend: MarleneDietrich Kaum Jemand kennt sie unterdem Namen Marie Magdalene Dietrichund doch steht es in ihrer Geburtsur-kunde so geschrieben. Wo lebte sie be-vor sie zum Star entdeckt wurde, waswaren ihre Eltern, wie sah ihr Privatle-

ben aus, gab es überhaupt ein solches ?Zum hundertjährigen Bestehen des

Films versucht eine Ausstellung im Mar-tin-Gropius-Bau alles zusammen zu fas-sen, was man schon immer über dieGeschichte des Films und über die Stars, mit denen alles begann, wissen woll-te. Der/die Besucherin wird direkt beimBetreten des Lichthofes des stattlichenGebäudes in die Glimmerwelt des Films,der Träume, Wünsche und Sehnsüchtegeworfen. Mit einer perfekten Aus-stellungsarchitektur ist es hier (und ananderen Stellen der Ausstellung) gelun-

gen, das Geheimnisvolle, das die Weltdes Films stets an sich hat, zu vermit-teln. Entlang dem Waggon des "Shang-hai-Expreß", durch dessen Fenster Do-kumente, Fotos und Filmausschnitte zubetrachten sind, folgt der/die Besucherinweiter einem S-förmig gebogenen Gang,vorbei an Vitrinen, die den weiterenWerdegang der Angebeten dokumentie-

ren: Requisiten wie KleiderSchuhe, Koffer, Hüte, Briefe,Tagebuchaufzeichnungen,Maskottchenpuppen, Schmink-koffer, Schallplatten und Bü-cher bis hin zur politischenPerson Marlene Dietrich undeinem Zusammenschnitt allerihrer Filme. Schließlich undendlich eine Zeichnung ihrerPariser Wohnung, ihre Verein-samung, Alter und Tod am 6.Mai 1992.

Doch letztendlich, kann mansich auch schwer von dem An-blick der Schönen abwenden,gibt es noch einiges mehr, wasman über den Film und dieletzten 100 Jahre wissen soll-te. So befaßt sich zum Beispielein großer Teil der Ausstellungmit der Technik des Films: Ka-mera - Licht und Schatten, Bil-der, Töne und die Entstehungdes Filmbildes. Und wollteman nicht schon immer malwissen, wie die grausigenVögelschreie in A. Hitchcocks

Film "Die Vögel" erzeugt wurden? Oderdas Brüllen eines Löwen? Diese ehertechnische Seite des Films wird unter-brochen von themenbezogenen Räumenwie die Beschäftigung mit der Ost-West-Problematik innerhalb des Films undNachkriegsfilmen. Eine Reihe von Vitri-nen erzählen von Exil, National-sozialismus und Verfolgung innerhalbder deutschen und auch ausländischenGeschichte. Im Mittelpunkt hier stehennatürlich filme wie Chaplins "GroßerDiktator" und natürlich der preisge-krönte Film "Schindler's Liste".

Vorbei an Fotos, Plakaten und "Ikonen"der Filmgeschichte (wie z. B. dem "Mal-teser Falken") steuert der Besucher lang-sam einem weiteren Höhepunkt derAusteilung zu; Georgio Armani und "dieDietrich": Ein ganz in schwarz gestalte-ter Raum ist dem Modemacher und dervon diesem angebeteten Diva gewidmet.Der Anlaß einer solchen "Doppel-Schönheits-Inszenierung" ist die Ähn-lichkeit seiner Modeschöpfungen mitden Verhüllungen , der unsagbar gro-ßen Gaderobe Marlene Dietrichs. Sichererkennt der/die Besucherin die Ähnlich-keit der zu besichtigenden Gewänder,doch fragt man sich an dieser Stelle.obdas wirklich in eine Ausstellung mit demMotto lOOJahre Film gehört...?

Doch zeigt die Ausstellung auch dieandere Seite der "Schönen", die der "Bie-ster". Ein ausstellungsarchitektonischglänzend ausgestatteter Spiegelraum istdem Thema: "Die Schöne und das Biest"gewidmet und lädt so richtig zum Gru-seln ein.

Erschöpft verläßt der/die Besucherindie Austeilung. Vieles hat er/sie gese-hen, gehört und gelernt und dennochmeint man nicht alles über die Welt desFilms erfahren zu haben: Zwar wurdevieles gezeigt und dokumentiert, dochwird wohl jedem/r klar sein, daß diesesnur ein winziger Bruchteil von dem ist,was das Thema an

sich hergeben könnte. Was ist zum Bei-spiel mit dem Kinderfilm (nur einigeTrickfilmzeichnungen von Walt Disneysind ausgestellt), mit Themen wie "dasKino zur Zeit des Faschismus oder Fil-men aus Ländern und Kontinenten wieAsien und Afrika? Damit könnte mandann jedoch vermutlich das fünffacheder Räume füllen, als es hier der Fall ist.So ist mit der Ausstellung ein großarti-ger Einblick im Rahmen des Möglichenin die Welt des Films gelungen.

KINO.MOVIE.CINEMA. 100 JAHREFILM

7. April - 2. Juli 1995 im Martin—Gro-pius—Bau

gesa

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Leser. 51

zu "Die seltsamen Seminare des Dr.Axel Klätte"in UnAUF Nr. 62

Hallo Ihr von der UnAUF!Es ist nun schon fast zwei Monate her,

aber dennoch wollen wir Euch dieseInformation nicht vorebthalten. Zugege-benermaßen nicht zuletzt durch dieAktion Eures Redakteurs "Jott Oh Tee"in Heft Nr. 62, S. 18 zusammengeschmie-det und zum Nachdenken angeregt,hatte unser Seminar beschlossen, eineExkursion nach Dresden zu machen, ausAnlaß des 50. Jahrestages der Zerstörungdurch anglo-amerikanische Bomberver-bände.Am 11. Februar, zwei Tage vor dem

eigentlichen Jahrestag fuhren wir mitunserem Seminarleiter Dr. Klätte in diegeschichtsträchtige Stadt, um die Aus-stellung "Verbrannt bis zur Unkenntlich-keit- Die Zerstörung Dresdens 1945" imStadtmuseum zu besuchen.

Andreas Brandau (im Namen derSeminarteilnehmer)

Zu Moneteninfo - Rückzahlungs-forderungen des BAföG-Amtesin UnAUF Nr. 64

Bravo - ich gratuliere Euch zu eurenwert- und vor allem sinnvollen Informa-tionen. Mit Euren Hinweisen, von Sei-ten des Amtes rechtens zurückgeforderteBAföG-Zahlungen zu verweigern, leistetIhr einen nicht für unwichtig zu halten-den Beitrag zur Einstellungsentwicklungbei Studenten und damit Menschen. Wokämen wir auch hin, wenn wir etwas,das uns nicht zusteht oder gar nicht ge-hört, einfach zurückgeben wollten? Wemnützte diese un sinnige Bereitschaft,ehrlich nur das anzunehmen, was unszusteht? Reich wird man mit dieser Hal-

tung nicht und darauf kommt es wohlan. Es wäre nicht zu verstehen, wennich die Chance, mich anderen gegen-über in Vorteil zu bringen, nicht nutzte!

So tragt auch Ihr - vor allem gewisserSchreiber "ojoff"- dazu bei, die studen-tische Ausbildung mit den Dingen zuwürzen, die auch im Leben nach demStudium Bestand haben sollten: Haltetall das, was Ihr im Leben zu Unrechterhalten habt fest und sicher, wer weiß,vielleicht hätte sonst ein anderer danneinen Vorteil davon.

Leistet diesen Widerstand, denn derwird für Eure Charakterbildung vonEntscheidung sein.

Thomas KunzePsychologie-Student

Anmerkung:Es ging nicht um das Rechtverbiegen,

sondern um das Wahren studentischerRechte. Und außerdem, wer entscheideteigentlich jetzt darüber, was uns zusteht?Und wer sollte es entscheiden? Wenn je-der Student mit dem zufrieden wäre, wasihm zugestanden wird, dann wäre selbstdas jetzige mikrige BAföG wohl eher einFremdwort!

°Pff

Betrifft: Meckereckein UnAUF Nr. 65

Sehnlichst erwartet findet man nachFU:N, IQ und NADEL zum Semesterbe-ginn UnAUF Nr. 65. Das Blättern hin-ten, wo der Leser gedruckt verewigt ist,ist fast obligatorisch. Die NADEL verzich-tete in ihrer letzten Ausgabe auf Leser-meinungen ganz. Zählen gar nicht... Dersymbolisch zu verstehende Steinbruchauf der Titelseite "West" auch vor demBerliner Aquarium und gilt dorten alsKunstwerk.

Freundlicher GrußHelmut Schinkel

IMPRESSUMUNAUFGEFORDERT

Die Studentenzeitung der Berliner Humboldt •Uni.

Erstmals erschienen am17. November 1989.

Herausgeber:Studentenparlament der HUB

Redaktion:Ingo Bach, Jens Schley(leitende Redakteure)

Franziska Ahles, Stephanie Gimmerlhal,Klaus Kallenberg, Juliane Kerber, Gerhardt

Kienast, Alexandra Kolle, Georg Linde,Hannah Lund, Antje Me'mholdt, Ulrich

Miksch,Rüdiger Neide, Gesa Rothbarth, Julia Trotha,

Sylvia Wassermann

Kontakt:Humboldt- Universität zu Berlin

Unter den Linden 610 099 Berlin

Hauptgebäude Raum 3022Tel.: 2093 2288fax: 2093 2770

Redaktionsschluß:30.Apr'M994

Satz: Roody

Fotos: Rsahn, BundesarchivKoblenz, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz

Berlin, Dr. Olm, Dr. Seiffert, Krynitziky(Weimar), ArchivTiteL- Bildarchiv

Preußischer Kulturbesitz Berlin

Druck:Contrast

Tempelhofer Damm 21012099 Berlin

gedruckt auf Recycling - Papier

Nachdruck, auch auszugsweise, ist ausdrück-lich erwünscht. Wir bitten aber um Quellen-

angabe und Belegexemplar.Für alle Fakten besteht das Recht auf

Gegendarstellung 'm angemessenen Umfang.Namentlich gegenzeichnete Artikel geben

nicht in jedem Fall die Meinung derRedaktion wieder. Kürzel werden nur von

Redaktionsmitgliedern verwendet..Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe

gekürzt zu veröffentlichen.

UNAUFGEFORDERT Nr.67erscheint am 6. Juni 1995

Die Redaktionssitzungen sind öffentlich:montags, 18.00 Uhr

HG 3022

Redaktionsschluß für die nächsteNummer:24. Mai 1995

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52 Das Letzte

Wohnen im Prenzlberg - Teil SUnter besonderer Berücksichtigung der nichtwucherischen

Untervermietung

' Trotz aller bereits geschilderter Schrek-ken von Untermietverhältnissen hattenwir (Stefan und ich) uns kürzlich dochwieder dazu entschlossen, Stefans Zim-mer für die Zeit seiner Abwesenheitunterzuvermieten. (Ich darf an dieserStelle daran erinnern, daß Stefan meinUntermieter ist, während ich der Unter-mieter von Peter Schmidt bin.) Trotz desschon von Anfang an nicht ganz über-sichtlichen Zustands (Wir verwalten in-zwischen Postnachsendungensechser ehemaliger Untermieter)sagte sich Stefan, daß es dummsei, für das halbe Jahr, daß er imgelobten Land zu verbringen ge-dachte, weiter Unteruntermietezu bezahlen. Statt dessen wärees besser — so die Argumentati-on mir gegenüber - wenn er sichnach einem Unterunterunter-mieter umsähe. Lange Zeit wur-de keiner gefunden, was wohlauch daran lag, daß Stefan sei-nen Wunsch nicht öffentlich ge-macht hatte. Schließlich aberwurde er fündig. Zwei Verzwei-felte hatten in der Universität ei-nen Zettel ausgehängt: "SuchenWohnung oder Zimmer". Stefanentfernte den gesamten Zettel(nicht das ihm etwa noch je-mand die Zimmersuchendenwegschnappt) und rief dort an.Die beiden waren durchaus ge-willt, Stefans Zimmer ein halbesJahr lang zu teilen, begünstigtwohl auch dadurch, daß wirberlinunüblich keinerlei Auf-schlag auf die Miete zu erheben gedach-ten. So kam es, daß ich nun die Woh-nung mit zwei Untermietern von Stefanteile. Dabei fing alles so gut an. Auf demZettel mit dem Verzweiflungsschrei standnämlich etwas von einer Belohnung.Stefan hatte das gar nicht zu Ende gele-sen. Jedenfalls erschienen die frischge-backenen Unterunteruntermieter zurersten Untermieterkonferenz überra-schend mit einer riesigen SchüsselTiramisu - die Belohnung. Zwar hatten

sie etwas zuviel Kakaopulver darauf-gestreut, welches Stefan versehentlicheinatmete und das ihn fast erstickte,doch das Tiramisu schmeckte hervorra-gend und wurde zur großen Verwun-derung der Belohnenden auch komplettvertilgt. Zu Beginn des Unterunter-untermietverhältnisses war ich erst ein-mal für vier Wochen abwesend. In die-ser Zeit bildete sich bei mir eine guteMeinung über Stefans Untermieter, denn

ich hatte die ganze Zeit nichts vcjn ih-nen gehört. Meine positive Einstellungwurde leider schon ein wenig getrübt,als ich zurückkehrte. Die frischge-malerten Küchenwände waren mit Pla-katen beklebt, der Kühlschrank ließkeinen Platz mehr für meine ThüringerWurst, alle Handtuchhaken waren wieselbstverständlich belegt, mein Zimmerwar voll von abgestelltem Gerumpel -kurz ich fühlte mich als Eindringling.Meine Post (in der Mehrzahl Mahnun-

gen — siehe Teil 4) lag dazwischen ver-streut und harrte der Bearbeitung. Vor-sichtig meldete ich deshalb an, daß ichmeinen Teil der Wohnung (schließlichbin ich Untermieter 1. Grades mit Ablei-tung meines Wohnrechts direkt vomHauptmieter!) wieder benutzen wollte.Die Untermieter 3- Grades hatten keineEinwände. So bewohne ich seit gerau-mer Zeit wieder "meine" Berliner Woh-nung. Diese ist jetzt sogar sehr ver-

schönt, denn die Unterunter-untermieter lieben Grünpflan-zen. Deshalb stehen in der Kü-che derer sieben, auf meinemFensterbrett stehen kleineTomatenpflänzchen zur Auf-zucht und der Flur ist voller Pal-men. Einmal unterhielt ich michmit dem Untermieter 3- Gradesund brachte meine Freude überdas viele Grün zum Ausdruck."Aber", sagte ich, "ich hatte auchmal eine Topfpflanze, doch dieist eingegangen, weil ich immervergaß sie zu gießen." Über-haupt legte ich dar, daß Grün-pflanzen mir zu viel Aufwandund eine zu starke Einschrän-kung meiner Reisetätigkeit be-deuteten. Aus diesen Gründenhielte ich mir keine, aber bitte -wenn er sich welche ... — gern.

Drei Tage später fand ich fol-genden Zettel bei mir an derZimmertür: "Wir sind für dreiWochen nach Schweden gefah-ren. Kümmere Dich bitte um un-sere Pflanzen: Palmen einmal

wöchentlich gießen und abduschen, alleanderen Pflanzen zweimal, bis auf dieUsambaraveilchen, die mußt Du ..."Muß ich da eigentlich noch erwähnen,

daß auch unsere Telefonrechnung hö-her ausfällt als die Summe der Gesprä-che die jeder von uns geführt hat?

Solche Kleinigkeiten treten doch leichthinter den Positiva einer Untervermie-tung zurück.

li