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Über den Autor:Ingo Petz wurde im Jahr der Ölkrise geboren. Krisen und Öl ziehen ihn seitdem magisch an. Er studierte im Zeichen der In-ternationalen Freundschaft Osteuropäische Geschichte, Slawis-tik und Politik in Köln und Wolgograd und schreibt heute von Berlin aus für die Süddeutsche Zeitung und brand eins. Seit er 2004 zum ersten Mal nach Aserbaidschan kam, hat er nicht mehr aufgehört, sich über dieses Land zu wundern.

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Ingo Petz

Kuckucksuhrenin Baku

Reise in ein Land, das es wirklich gibt

Knaur Taschenbuch Verlag

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Vollständige Taschenbuch-Ausgabe April 2008Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.

Copyright © 2006 by Droemer VerlagEin Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt

Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, MünchenAlle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise –nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, MünchenUmschlagabbildung: Ein gewisser General – siehe S. 182!

Satz: Adobe InDesign im VerlagDruck und Bindung: Nørhaven Paperback A/S

Printed in Denmark

ISBN 978-3-426-77973-6

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Inhalt

Aserbaidschan?! 9Bürokratie statt Neckermann 13

Die Ankunft 18Lied der Nachbarschaft 27

Teletubbieland 38Die Marsmenschen vom Fontänen-Platz 47Casablanca der gestandenen Fleischesser 55

Der Kaviar-Mann 63Das Wunder der Taxifahrt 74

Kaukasusdeutsch 81Eine Ein-Mann-Delegation 92

Lob der Bildung 101Ein Albtraum 109

Rosen in brodelndem Testosteron 117Der Sheriff 129Der Heilige 136

Unterwegs im Kaukasus 145Paradise Now 152Café Mozart 162

Das Meer ruft 172Yo, Scheki, yo! 183

Was am Ende der Nacht bleibt 189Botschaften der Glückseligkeit 197

Cowboys der Nacht 209Der süße Klang der Revolution 220

Schwarzes Gold 235Zu guter Letzt 249

Dank 253Landkarte 254

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Hinweis

Hiermit erklärt der Autor, dass die im Buch auftretenden Per-sonen so verändert wurden, dass man sie in der uns bekannten Wirklichkeit nicht wiedererkennen würde. Warum hat der Autor das getan? Zum Schutz der Privatsphäre und Wahrheit natürlich. Zudem sind alle chronologischen Abläufe und Zeitangaben, um es mit Einstein zu sagen, sehr relativ. Warum dies? Weil der Autor keine Uhr hat und außerdem der Meinung ist, dass das Reisen erst im Kopf entsteht.

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Aserbaidschan?!

»Breathe. Keep breathing.«

Radiohead

»Ihr Optimismus beruht doch nur auf Informationsmangel.«

Alfred Dorfer

Danke, dass Sie dieses Buch in die Hand genommen haben. Damit beweisen Sie ein Herz für unterschätzte Länder.

Falls Sie es getan haben, weil Sie glauben, dass Aserbaidschan – wie fast alles östlich von Berlin – in Russland liegt, muss ich Sie allerdings enttäuschen. Aserbaidschan gehört nicht zu Russland. Demzufolge wird es im Weiteren keinen Bericht über kopftuch-tragende Mütterchen und zwiebeltürmige Kirchen geben. Weder werde ich für Sie den Gerd Ruge spielen, noch werde ich in die Rolle von Klaus Bednarz schlüpfen, um in Sibirien nach der rus-sischen Seele zu graben. Zur Beruhigung: Der Wodka wird eine gewisse Rolle spielen. Sie haben das Interesse noch nicht verlo-ren? Dann kommen wir zur nächsten, nicht unwichtigen Frage:

Warum ausgerechnet Aserbaidschan?! Das Land kennt doch niemand, bis auf einige Turkologen, Kaviarhändler und Ölexper-ten. Da gibt es doch sicher interessantere Länder: Neuseeland zum Beispiel hat sehr schöne Strände und wirklich ganz faszinie-rende Landschaften; oder China mit seinen drolligen Pandabären und tollen Wirtschaftswundern. Und selbst Grönland klingt wie Poesie. Warum also Aserbaidschan? Allein der Name hört sich ein bisschen an wie ein Antidepressivum oder der Titel einer Video-Installation, die niemand versteht. Aserbaidschan steht selten in der Zeitung, Aserbaidschan ist noch nie bei Kerner oder Beckmann aufgetreten. Und auch bei Christiansen wurde noch nie die Frage diskutiert: »Ist Aserbaidschan ein schönes Land?«

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Man kann also mit Sicherheit sagen, dass Aserbaidschan nicht der Nabel der Welt ist. Das Land ist ein Underdog. Aber Under-dogs haben es in sich, sie sind die Antihelden, sie sind dem Le-ben näher als die glänzenden Marmor-Heroen.

Aserbaidschan liegt im Osten. Im Osten! Erschrecken Sie nicht. Ich behaupte: Der Osten ist ein gutes Terrain für Rebellen, weil er einem viel abverlangt. Da geht es ans Eingemachte. Wenige an-ständige Hotels, fragwürdiges Essen, schlechte Straßen, schräge Biografi en. Aber das ist nicht alles. Fährt man dorthin, muss man sich vor seinen Verwandten und Bekannten rechtfertigen, die den Osten für einen Virus oder, schlimmer, für einen unvorteilhaften Geisteszustand halten. Man muss Widerstände überwinden.

Der von mir sehr geschätzte Kirchenkritiker Karlheinz Desch-ner hat mal geschrieben: »Nur Lebendiges schwimmt gegen den Strom.« Ich fi nde, das passt zum Rüstzeug eines Ost-Reisenden. Denn: Eine solche Reise muss man erst mal aushalten. All das Kaputte – kaputte Länder, kaputte Häuser, kaputte Seelen. Der Osten ist so echt, dass es schmerzt. Und doch macht der Osten alles andere als depressiv. Er macht melancholisch, was ein ed-les Gefühl der Schwere ist. Das liegt vor allem daran, dass die Melancholie aus dem Leiden entsteht und Leiden aus einer Entbehrung heraus. Wer leidet, versucht eine Entbehrung zu überwinden. Er kämpft, weil der Mensch ein visionsgetrimmtes Hoffnungswesen ist. Ich jedenfalls mag Kämpfer.

Allerdings rate ich allen, die sich auf einer Reise unbehelligt fühlen wollen, von Ost-Ländern ab. Denn man wird immer in irgendwas hineingezogen. Man ist immer Mittäter, nie nur fl üch-tiger Beobachter.

Stellen Sie sich also vor, es erzählt Ihnen jemand, in Baku, der aserbaidschanischen Hauptstadt, gebe es fi nster aussehende Ty-pen, die am Ufer des Kaspischen Meeres Billard spielen. Billard! Sie malen sich aus, wie die Wellen peitschen und die Möwen krei-

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schen. Sie hören, wie sich das Klacken der Billardkugeln mit dem grellen Hupen der Taxis vermischt, die sich wie eine träge Schlan-ge durch die engen Straßen der grauen Stadt schieben. Und wäh-rend Sie über den grünen Tisch auf die Öltürme am Horizont des grauen Meeres blicken, lochen Sie die Acht ein. Dabei riecht es nach Salz, Smog und Öl! All das stellen Sie sich vor, als Sie zu Hause in Deutschland sitzen und es regnet. Das Fernsehen ver-kündet am laufenden Band die schlechten Botschaften von Hartz IV, von Bush und von den immer siegenden Bayern. Am Früh-stückstisch werden aus uns jeden Morgen Rebellen, dank Franz Ferdinand und U2. Mit Michael Moore fühlen wir uns auf der richtigen Seite, auch nach Feierabend. Wir essen Brot von Lidl und Joghurt von Aldi. Für »aktive Katzen über acht Jahren« kau-fen wir Whiskas Senior. Wir glauben an die Heilkraft von Klang-schwingungen, die Tatkraft des »Kaisers« und an die Strahlkraft von Robbie. Und irgendwie scheint alles auf die Frage hinaus-zulaufen: Ist Dieter Bohlen ein Künstler oder ein Idiot? Ja, das Leben kann grausam sein, weil grausam von »grau sein« kommt. Man schaut aus dem Fenster und denkt sich, dass Deutschland irgendwann beschlossen hat, sich wie ein Oblomow ins Bett zu legen. Man fühlt sich, als hätte man seit Jahren schlecht geschla-fen, irgendwie gelähmt und uninspiriert – wie ein kaltes Stück Toast. Ja, wo ist sie, die Sicherheit? Die Stabilität? Die Liebe? Es ist, als erstickten wir langsam an dem Einheitsbrei, den wir selbst gekocht haben und den wir immer weiter löffeln – als sei er zur giftigen Gewohnheit geworden. Letzten Endes denkt man an die Worte des großen süddeutschen Poppoeten Hartmut Engler, der einst fragte: »Wo sind all die Indianer hin?«

Wenn der Trübsinn einem bereits derart das Gehirn vernebelt hat, dann sollte man hinausgehen, dorthin, wo einem alles fremd ist, wo man selbst fremd ist. Dort schaut man sich um, wundert sich und schreibt ihn auf – den Unterschied. Das tut man, ohne

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Drogen genommen zu haben und ohne irgendeinen Gott des großen Glücks zu erwarten. Man muss kein Aussteiger sein, um ein Abenteurer zu sein. Es reicht, wenn man mit beiden Beinen auf dem Boden steht.

Ich bin aufgewachsen im tiefsten Westen Deutschlands, mit Wim Tölke, Mary Roos und den Bläck Fööss. Meine Affi nität zum Osten kam nicht zufällig, sondern durch eine Herausfor-derung zustande. Ich habe Slawistik studiert, freiwillig, und so lernte ich das Leiden zu lieben. Das Leiden wohlgemerkt! Nicht das Jammern! Denn das Leiden bringt Kraft, während das Jam-mern gar nichts bringt. Bis auf ein Abo beim Therapeuten Ihrer Wahl.

Ein notorischer Reisender bin ich auch nicht. Ich hasse die heutigen Erlebnis-Reisenden, die wie George A. Romeros Zom-bies umherirren, auf der Suche nach dem Thrill des Lebens oder nach der Befreiung vom Alltag, die eigentlich eine Befreiung vom Leben ist – am besten all inclusive. Ich hasse ihren über-drehten Hunger nach dem Neuen, dem anderen, dem Exoti-schen oder dem Romantischen. Ich hasse auch die Gier der Backpacker nach Schnorcheln, Sonnenuntergängen und dem ver-dammten Bob Marley. Anders als sie reise ich, weil ich es muss, weil meine innere Stimme es mir sagt, weil mir der Alltag ein Gräuel ist und damit ich besser vorbereitet bin, wenn die nächste Fußballniederlage das gebeutelte Deutschland wieder mal in tiefe Verzweifl ung stürzt. »Der ist aber voreingenommen«, werden Sie sagen. Na und, sage ich. Wer ist das nicht?

So bin ich also nach Aserbaidschan gefahren, dorthin, wo sie bei dem Namen Che Guevara nur mit den Achseln zucken, wo sie Billard am Meer spielen, wo das Taxifahren eine Philosophie noire ist, wo noch heute echte Schwarzwälder Uhren am Fuße des Kaukasus hängen. Kuckuck? Kuckuck! Darum also – Aser-baidschan!

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Bürokratie statt Neckermann

Eine Reise nach Aserbaidschan beginnt mit etwas, das nach unserem Verständnis niemals am Anfang einer Reise stehen

sollte. Es hört sich pervers an, aber ohne bürokratischen Akt kommt kein Deutscher nach Aserbaidschan. Da hat Aserbaid-schan natürlich schon mal schlechte Karten bei uns, verstehen wir uns bekanntlich als Freidenker, denen jegliche bürokratische Reglementierung ein Angriff auf den heiligen Urlaub und den damit verbundenen Lustgewinn ist. Als Deutscher gehe ich lie-ber ins Reisebüro, blättere durch einen Katalog und sage: »Da, da fahr ich jetzt hin.« Und ab geht´s. Buchen. Borden. Buffet stürmen.

Aserbaidschan jedoch ist in den bunten Neckermann-Kata-logen kategorisch unterrepräsentiert. Man muss es auf eigene Faust erkunden. Als williger Besucher muss man deshalb zu-nächst einmal beweisen, dass man es ernst meint mit dem Land, dass man des Landes würdig ist, dass man keine Kosten und Mühen scheut, um gerade und eben nach Aserbaidschan zu rei-sen – und nicht etwa nach Armenien. Man braucht also eine ex-klusive Zugangsberechtigung, ein Visum – regulär für 40 Euro, express 80! Damit beginnt jede Reise mit einer Überweisung und einem Stück Papier im Osten Berlins – sehr trocken und nüch-tern also, was ich grundsätzlich für einen guten Beginn einer Reise gen Osten halte. Es werden erst gar nicht übertriebene Er-wartungen durch glänzende Fotos oder schöne Bilder im Kopf geweckt.

Gegenüber einem von einem Bauzaun eingezäunten Feld, an der Ecke Kommandantenstraße/Axel-Springer-Straße und in der Nähe des Axel-Springer-Hauses liegt die Botschaft der Re-publik Aserbaidschan. In dieser vertrauensvollen Atmosphäre

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haben die Gedanken kaum die Freiheit, sich frei zu entfalten. Man denkt sofort an starke Meinungen und starke Männer. Eine böse Vorahnung für meine Reise? Diesen symbolischen Ort kann sich die Botschaft der Republik Aserbaidschan unmög-lich zufällig ausgesucht haben.

Ich drückte die Klingel an dem marmorverklinkerten Büro-gebäude. Eine dunkle Männerstimme im Stile eines Wachoffi -ziers antwortete mit einem knappen: »Ja?« Ich gab mich forsch: »Guten Tag. Visum!« Die Tür öffnete sich, ich nahm die Treppe in den zweiten Stock.

Botschaften sind Tore zu den Ländern, die sie vertreten. Der Besucher sammelt hier seine ersten Eindrücke. Aserbaidschan stellte sich mir so vor: ein silberner Aufzug, grauer Teppich, Neonlicht, zwei Türen, eine links, eine rechts. Keine Bilder. Kein Mensch. Nur Stille. Wie der Eingang in eine orientalische Mär-chenwelt wirkte der spartanische Empfang nicht, eher wie der Vorraum einer Gefrierkammer in einem Großmarkt. Gegenüber der linken Tür befand sich noch ein Warteraum mit Tisch und Stühlen. Dort hingen eine Karte von Aserbaidschan, allerlei In-formationen über Verfassung und Geschichte und ein Foto von Hejdar Alijew. Es war das erste Mal, dass ich Aserbaidschans Vaterfi gur und langjährigen Präsidenten auf einem Foto sah. Von 1993 bis zu seinem Tod 2003 war er an der Macht gewesen. Konsequenterweise wurde danach sein Sohn Ilham zum Nach-folger gewählt – beziehungsweise ernannt. Tatsächlich sah Papa Alijew nicht unsympathisch aus, ein Opa-Märchenerzähler-Typ, dem man gern vertraut und mal was glaubt. Ich wartete.

Vor meinem Besuch in der aserbaidschanischen Botschaft hatte ich mich auf der Internetseite schlau gemacht. Auch dort ging es überaus realistisch zu. Mir war gleich die seltsame Mi-schung aufgefallen aus Realismus, Retrolook und sicherer Zu-kunfts gewandtheit. Man wird eingeladen, in den aserbaidscha-

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nischen Ökotourismus zu investieren, und der Schriftzug »in der Bundesrepublik Deutschland« wird in gotischen Buchstaben präsentiert, was ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr dem Zeitgeist entspricht. Im Kapitel Tourismus hatte ich erfahren, dass es vor 120 Jahren noch sehr wenige »Vergnügungsreisende« im Kaukasus gab, Aserbaidschan aber in der Sowjetunion das Image eines Bade- und Urlaubslandes hatte. Das hatte mich un-gemein be ruhigt: Auch vor mir hatten Menschen den Weg nach Aserbaidschan gefunden. Im Kapitel Kultur hatte ich dann zur Begrüßung gelesen: »Seit jeher kämpften die Aserbaidschaner gegen fremde Eindringlinge und verstanden es, eine geistige und selbständige Kultur zu schaffen.« Ein gelungenes Willkommen, wie ich fand!

Ich wartete weiter. Die linke Tür hatte eine Klappe, wie man sie aus US-Gangsterfi lmen kennt, die zur Zeit der Depression und Prohibition spielen. Wenn man das richtige Klopfzeichen weiß, öffnet sich die Klappe. Heraus schaut dann ein dickes, drei-tagebärtiges, vernarbtes Gesicht und fragt mit Raucherstimme: »Kennst du das Codewort?« Noch hatte ich nicht gewagt zu klopfen. Schließlich hatte mich doch der Mann mit der dunklen Stimme hereingelassen. Er musste also wissen, dass jemand da war, der gern für 40 Euro eine Zugangsberechtigung zu seinem Land kaufen wollte.

Ich wartete fünfzehn Minuten. Zeit, die ich nutzte, um noch-mals die Regeln für die Visa-Formalitäten zu studieren. Die wa-ren sehr verständlich und kurz gehalten. Der Passus, dass ich eine Einladung benötigte, beunruhigte mich etwas. Eine Ein-ladung hatte ich nicht. Nur ein Schreiben von einer Zeitung in Baku, das erklärte, ich würde zwei Monate für diese Zeitung arbeiten, was natürlich gelogen war. Journalisten gegenüber ha-ben die Staaten der ehemaligen Sowjetunion ein schwieriges Ver-hältnis. Normalerweise braucht man ein Journalisten-Visum, das

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so schwierig zu bekommen ist, dass man es zumeist gar nicht erhält. Also fahren die meisten Journalisten getarnt als Touristen. Das geht meistens gut. In meinem Fall jedoch war es zu offen-sichtlich, dass ich Journalist war. Ich erwartete Fragen über Fra-gen, die mich wegen meiner Arbeit löchern würden. Letzten Endes würde mir das Visum dann verweigert werden. Dabei hatte ich nicht geplant, die Regierung Aserbaidschans mit sen-sationellen Investigativgeschichten aus den Angeln zu heben. Ich wollte einfach nur sehen, wie es da so vor sich ging, in einem Land, das für uns nicht zu existieren schien. Aber es kam anders. Die Klappe öffnete sich. Ein Mann mit Schnurrbart und freund-lichem Blick fragte: »Ja?« Ich konnte sehen, dass man bei der Einrichtung seines Büros ebenso spartanisch zu Werke gegangen war wie bei der pragmatisch eingerichteten Empfangshalle: ein Sofa, weiße Wände, rechts der Schreibtisch. »Ich hätte gern ein Visum, bitte«, sagte ich. Ich reichte dem Herren meinen Pass, den Antrag und das Fax der Zeitung. Er schloss die Luke. Ich war gespannt und betrachtete konzentriert die Klappe, deren Farbe ein beruhigendes Weiß war. Kein Schneeweiß, eher ein Schul-WC-Weiß. Sie ging wieder auf. »Kommen Sie in vier Tagen wieder. Überweisen Sie 40 Euro auf das Konto. Auf Wieder-sehen.« Die Luke schloss sich wieder. Das war´s. Keine Fragen, kein Misstrauen. Alles verlief überraschend problemlos. Ich war verblüfft. Der Mann hatte mir nur einen schmalen Papierstreifen in die Hand gedrückt, auf den die Daten der Botschaftsbank gedruckt waren. Ohne Schnörkel und ohne Schmuck. Hier ging es um das Wesentliche – der Weg nach Aserbaidschan war frei.

Vier Tage später hielt ich den Pass mit dem Visum in den Händen. Ehrlich gesagt war ich etwas enttäuscht. Das Visum war kein schmucker Aufkleber mit Hologramm, sondern ein schnöder Stempel, in den man mit Kugelschreiber die wichtigs-ten Details eingetragen hatte. Noch enttäuschter war ich, als

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ich kurz darauf erfuhr, dass ich das Visum auch am Flughafen bei der Einreise hätte kaufen können. Einfach so!

Ein Jahr später war ich dann nochmals in der Botschaft. Man hatte mir geraten, das Visum vor der Reise zu besorgen. Am Flughafen sei es bereits vorgekommen, dass man Leute wieder nach Hause geschickt hätte. Zudem waren es politisch schwie-rige Zeiten. Es war zwei Wochen vor den Parlamentswahlen, und die aserbaidschanische Regierung befürchtete die Rückkehr eines im Exil lebenden Oberrevolutionärs. (An dieser Stelle sei ange-merkt: Ich hatte damit nichts zu tun.) Die Aufregung war aller-dings nicht bis nach Berlin in die Botschaft geschwappt. Sie war weiterhin der Ort der Stille. Während innerhalb eines Jahres aus Schröder Merkel geworden war, während nun auch noch der Heilige Geist durch einen Deutschen strahlte und in meiner Ber-liner Straße wieder zehn neue Cafés aufgemacht hatten, während zehn andere schließen mussten, während Tsunamis Indien und Thailand verwüstet hatten, sah es in der Kommandantenstraße aus wie eh und je. Der Aufzug, die Türen, das Neonlicht, die Klappe, die Stille. Ich suchte nach Details, nach einem winzigen Zeichen der Veränderung, nach Spuren, die womöglich die Zeit ins Lächeln von Hejdar Alijew gezeichnet hatte. Doch nichts! Nichts hatte sich verändert. Nur die Papiere auf der Fensterbank schienen sich um zwei Millimeter nach rechts bewegt zu haben – vielleicht durch einen kaum wahrnehmbaren Windzug. Mir war das sympathisch. Man braucht Konstanten im Leben, die einen vor wilden Stürmen der Verwirrung schützen.

Aber bei meinem ersten Besuch ahnte ich noch nichts davon, dass diese Botschaft, in der die Zeit so eingefroren schien wie ein Hühnerbatzen in der Kühltheke bei Aldi, das Tor zu einem Land war, das eine Hauptstadt hat, in der die einzige Gewissheit die ist, dass morgen wieder alles anders ist. Die Rede ist von Baku.

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Die Ankunft

Es war der Tag nach dem Tag der deutschen Einheit, ich saß im Flugzeug und es gab Käsebrötchen. Meine Reise begann.

Nach Aserbaidschan, in den Kaukasus, von dem mein Opa ge-sagt hatte, dass dort das Ende der Welt sei. Der Flug sollte vier Stunden dauern. Das war alles, was ich wusste. Ich hatte keinen Reiseführer gelesen, keine Literatur, keinen Artikel. Das hatte ich sonst immer gemacht. Man musste ja informiert sein, sein Ziel schon kennen, bevor man überhaupt mal da war. Bevor ich nach Neuseeland gefahren war, hatte ich Keri Hulme gelesen. Bevor ich nach Weißrussland gefahren war, hatte ich Jakub Kolas stu-diert. Verstanden, geschweige denn: begriffen hatte ich nichts. Das Angelesene hatte sich wie ein Filter vor die Eindrücke gelegt und so Erfahrung und Vorstellungskraft betäubt. Diesmal woll-te ich es anders machen. Ich wusste nur, dass die aserbaidscha-nische Sprache eine Turksprache ist, aber was nützte das schon? Ansonsten hatte ich nur meine Vorstellungen, einen komischen Bilder-Mischmasch aus Kamelen, Sozialismus und Öl. Das muss-te reichen. Ich wollte einen freien Fall der Eindrücke, der Er-lebnisse. Das klingt nun ein bisschen esoterisch, aber es ist die Wahrheit und ein guter theoretischer Überbau dafür, dass man manchmal keine Lust hat, dicke Bücher zu wälzen und den alt-klugen Bildungsbürger zu spielen. Aserbaidschan bietet neben Burkina Faso wohl die günstigsten Voraussetzungen für eine Reise der Zufälligkeiten. Man kommt nicht mal in die Versu-chung, in der Reiseabteilung eines großen Buchladens nach dem besten Restaurant in Ganjalik zu forschen oder in einer Antholo-gie der schönsten Gedichte aus der Öl-Ära zu versinken. Denn so was führt selbst der gut sortierte Fachhandel nicht.

Der schönste Vorteil Aserbaidschans aber ist der: Es ist ein

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kostengünstiges Reiseland und somit ein ideales Ziel für die kos-tenverstörte, von Zukunftsängsten geplagte deutsche Seele. Was soll man also bleischwer und perspektivleer zu Hause rum hän-gen und Aldi-Suppen essen, wenn man in Aserbaidschan für wenig Geld in Restaurants gehen kann und, statt Telenovelas zu gucken, richtig spannende Geschichten selbst erleben kann? Und das komplett GEZ-frei. Für eine Flucht aus dem trostlosen Jam-mertal sind Länder wie Aserbaidschan die richtigen Ziele. Dort sieht man, dass es noch viel tiefer bergab gehen kann. Dort ist man sich zwar der Zukunft unsicher, aber des Lebens einiger-maßen sicher. Diese Länder holen einen auf den Boden, machen einem Mut und Hoffnung auf kinoreife Abenteuer, in denen man die Hauptrolle spielt.

Der Film begann dann auch gleich im Flugzeug nach Baku. Dort saß eine komplette Fußballmannschaft, vierzehn Männer, aus Italien. Reisen mit italienischen Herden ist kein Vergnügen. Sie sind laut und riechen nach Parfum-Fabrik. Gleichzeitig schei-nen sie nie wahrzunehmen, dass sie nicht in Italien sind. Wahr-scheinlich denken sie, dass Italien überall ist. Sie reden laut, na-türlich Italienisch, und machen so jedem klar, woher sie kommen und dass es dort am schönsten auf der Welt ist. Als ob wir Deut-sche das nicht wüssten. Seit meiner Kindheit zieht sich ein italie-nischer Streifen durch meine BRD-Sozialisation: Meine Mitschü-ler fuhren mit ihren Eltern an die Adria in Urlaub, bei unseren Nachbarn gab es Pizza, Al Bano und Romina Power sangen im Fernsehen, und 1982 spielten wir gegen Italien im WM-Finale. Ich wunderte mich schon als Zehnjähriger nicht mehr, warum meine Eltern darauf verzichteten, mit uns nach Italien in Urlaub zu fahren. Denn dort konnten wir einfach nichts Neues mehr lernen. Wir fuhren dafür ins unbekannte Belgien oder geheim-nisvolle Holland, wo wir die exotischen Praktiken der Einhei-mischen übernahmen und drei Wochen in Wohnzimmer-Boxen

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auf Rädern lebten. Italien dagegen war langweilig, denn es war überall. Und nun saß Italien auch noch in meinem Flugzeug nach Baku. Ich fühlte mich verfolgt und belästigt. Denn ich wollte doch nach Aserbaidschan! Natürlich hatte ich mir vorher aus-gemalt, wen ich möglicherweise im Flugzeug treffen würde, wie man sich eben so Gedanken macht und seinen Vorstellungen Bilder gibt. Fahre ich nach Holland, denke ich an Frauen mit weizenfarbenen Zöpfen. Fahre ich nach Spanien, denke ich an Männer mit Schulterbehaarung.

Nun dachte ich an große, düstere Typen, irgendwie an Araber und Krummsäbel, auch an dunkel gekleidete Geschäftsmänner, die Wodka tranken und tuschelten. Aserbaidschan, das hatte ich schon mal gelesen, lag an der Seidenstraße, und früher muss es da sehr orientalisch zugegangen sein. Junge italienische Männer, die allesamt Kopfhörer trugen, Frisuren hatten, als gingen sie zu demselben aufdringlichen Friseur, hatte ich nicht erwartet, ich war wie vor den Kopf gestoßen und ein bisschen wütend. Nun saß ich also da und sah zu, wie sich Männer von zwanzig Jah-ren wie Kinder benahmen. Und natürlich war der Betreuer des mediterranen Kindergartens dann auch kein Geringerer als der Prototyp eines brustbehaarten, in die Jahre gekommenen Adria-no Celentano, der mit einer tiefen Reibeisenstimme wie aus ei-ner schmalzigen Italo-Romanze seine Mannschaft zu bändigen suchte. Und ich saß da und wunderte mich über mein Zusam-mentreffen mit dem Temperament Südeuropas ausgerechnet in einem Flugzeug nach Baku. Ich glaube eigentlich nicht an das Schicksal – aber konnte das Zufall sein? Ein Zeichen vielleicht, das die leichte, fröhliche Seite des Lebens symbolisiert? Eine späte Rache meiner Exfreundinnen? Die meisten der Frauen, mit denen ich mal zusammen war, waren versessen auf alles Spa-nische oder Italienische. Sie alle mochten das mediterrane Feuer, die südeuropäische Leidenschaft, Rotwein, Pasta. Widerlich! Ich

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verurteilte sie alle als leichtgläubige Opportunisten und kulti-vierte meine dunkle Seite als eine Art innere Opposition ge-genüber der kulturellen Unterwanderung durch die Gemeinde der Rotwein- und Olivenöl-Missionare. Man muss sich geistig widersetzen! Und so fuhr ich schon aus Protest von jeher lieber in den Osten statt in den Süden und fühlte mich nur besonders schwer ganz wohl, mit Dostojewski und Schostakowitsch im Ge-päck. Sie können nun sagen, dass Aserbaidschan zwar im Osten liegt, aber eben auch im Süden. Das ist richtig, und für mich soll-te diese Reise deshalb auch eine erste private Versöhnung mit den Völkern des Südens werden. Eine sanfte Annäherung an die Leichtigkeit des Seins, sozusagen.

Ich sah nun diese leichtlebige Fußballmannschaft, dachte an meine Exen und machte mich schleunigst auf die Suche nach dem passenden Gegenstück, der schweren Seite des Lebens, der dunklen Seite der Macht, nach einem Stück Seelenheimat, und ich wurde gleich fündig: Meine Platznachbarin war eine in Aser-baidschan lebende Russin, vielleicht 25. Wie sich herausstellte, kam sie direkt aus Baku. Sie hatte schwarzes Haar, einen schwar-zen Rock, eine schwarze Bluse und eine missmutige Miene. Sie sagte: »Ich kann Italien nicht leiden.« Und dann verdrehte sie die Augen, so wie es nur die Russinnen können, mit einem abschät-zigen Drehen des Kopfes und Anheben des Kinns. Es ist eine galante, erhabene Bewegung, die demjenigen, dem die Geste gilt, sofort zu verstehen gibt, dass er wirklich nicht erwünscht ist.

»Wie ist Aserbaidschan denn so?«, fragte ich, die günstige Ge-legenheit nutzend. »Langweilig.« »Wirklich?« »Ja. Alles ist dunkel. Und in Baku zum Beispiel gibt es nur ein einziges Kino. Stellen Sie sich vor. Und da funktionieren die Lautsprecher nicht mal. Und überall nur Verbrecher. Wir Russen sind ja sehr ehrliche Menschen. Aber Aserbaidschaner hauen dich übers Ohr, wo sie nur können.«

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Mein politisch korrekter Sinn schlug Alarm, ich wollte die Ehre der Aserbaidschaner ein wenig retten und sagte: »Ich habe gehört, dass der aserbaidschanische Wein ganz gut ist.« »Pah, pfui. Georgischer Wein ist gut.« Na ja, dachte ich und versuchte, das Gespräch auf die Landschaft zu bringen. »Schön? Nein. Überall ist es trocken. Grau und braun. Es gibt nichts zu sehen. Und wissen Sie was? Erst an der Grenze zu Georgien wird alles grün, genau an der Grenze. Vorher nicht.« Hier endete der Dialog, und ich fühlte mich etwas haltlos. Wilde Gedanken gin-gen mir durch den Kopf: Baku? War das eine gute Entschei-dung?

War es nicht, zumindest nicht um vier Uhr morgens. Es reg-nete. Baku sah vom Flugzeug aus wie eine schwarze Pfütze, was mich nicht weiter überraschte. Ich nahm es zur Kenntnis. Schließlich sehen die meisten östlichen Städte um vier Uhr mor-gens von oben aus wie schwarze Pfützen. So blickte ich auf das nächtliche Baku und malte mir aus, wie sich das Leben da unten so ausnehmen würde. Reisen stellen einen ja vor lauter Rätsel. Nun fi el mir ein, dass es gar nicht leicht war, die Einwohner von Baku richtig und würdig zu benennen – wie die Berliner, Pariser oder Rostocker. Das lag wohl weniger an den Menschen in Baku als an der geheimnisvollen, sonst so reichen deutschen Sprache, die kein passendes Wort für die Menschen aus dieser großen Stadt vorgesehen hatte. Und das, obwohl selbst die Lufthansa direkt nach Baku fl iegt. Kreativität war gefragt, auch wenn ich kaum geschlafen hatte. Ich machte mich also selbstlos auf, dem beschränkten Deutschen in mir auf die Sprünge zu helfen. Ba-kuer? Klang zu sehr nach landwirtschaftlichen Nutztieren. Ob-wohl das Wort als Adjektiv im Internet auftaucht. Das russische Ba kunez ließe sich nur schwerlich übertragen. Bakunizer? Herr Duden würde sich im Grabe umdrehen. Hörte sich zudem an wie eine seltene Krankheit. Und Probleme hatte man in Baku

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wahrlich genug. Bakunesen? Wohl kaum. Letzten Endes ent-schied ich mich für Bakuwiner. Das klang so schön nach Schla-winer.

Durch das Fenster konnte ich die Neonbeleuchtung auf dem Flughafengebäude sehen: »Internationaler Flughafen Baku be-nannt nach Hejdar Alijew«. Hejdar Alijew war der dritte nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion gewählte Präsident Aser-baidschans, ein stattlicher Mann mit einem verdächtigen Grinsen und offensichtlich wenig Geschmack. Der Flughafen war jeden-falls ein trüber Bau. Eine sozialistische Mischung aus Marmor und Beton.

Der Kaffee in der Empfangshalle schmeckte wässrig und fad. Meine Kontaktperson, eine junge Frau, die mir ihre Wohnung vermietete, war, wie angekündigt, nicht da. Sie hatte gesagt, vier Uhr, das wäre zu früh. Ich solle doch am Flughafen schlafen und dann mit dem Taxi in die Stadt fahren. »Dort werden wir uns dann treffen.« Ich hatte noch leise die Hoffnung gehegt, dass sie mich nur auf den Arm genommen hatte und plötzlich doch da sein würde. Aber Aserbaidschaner halten viel von Ehre und Treue zum Wort. Das war das Erste, was ich lernte. Und: dass man Worte natürlich so und so deuten kann. Eine Stimme aus einem kratzenden Lautsprecher machte mehrmals auf das Rauch-verbot aufmerksam. Allerdings interessierte das niemanden, denn in der Empfangshalle wurde gepafft und gepafft. Ich legte mich erst mal hin. Und als ich mich im Traum schon auf dem Weg in den wilden Kaukasus befand, klopfte jemand auf meine Schulter. Ich schreckte auf: Ein schnauzbärtiger dicker Polizist schaute mich streng an, schüttelte mit dem Kopf und sagte auf Russisch: »Verboten.« Dann kam ein zweiter, allerdings schlan-ker, drahtiger Polizist hinzu. Er sprach mit dem dicken Polizisten und bedeutete mir dann mit einer Handbewegung, dass ich mei-nen Schlaf doch fortsetzen solle. An dieser Stelle merkte ich,

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dass es in Aserbaidschan durchaus wichtig war, wer etwas sagte. Ein Flughafenlautsprecher hatte offensichtlich einen niedereren Rang als ein schlanker Polizist.

Sofort nach meiner Ankunft hatte ich also schon wichtige Mechanismen der aserbaidschanischen Gesellschaft kennen ge-lernt. Ich fühlte mich gewappnet, die kommenden zwei Monate überleben zu können. O.K., der Empfang hätte etwas eupho-rischer sein können. Aber Aserbaidschan hatte mich nicht er-wartet, hatte mich nicht gerufen, ich war trotzdem gekommen. So sah das Ganze aus! Ich fühlte mich ein bisschen einsam und verloren und schlief ein.

Die Sonne hatte schon ihre ersten orangen Strahlen auf das Marmorgrau gelegt, als ich wieder aufwachte. Ein Fahrer war schnell gefunden: »Nach Baku? 20 Dollar. Ich handele nicht. Hier handelt niemand. Die Preise sind fi x.« Wahrscheinlich hatte sich das Feilschen nur noch in westlichen Köpfen als Ausdruck orientalischer Mentalität erhalten. Ich stieg ein, und während mein Blick auf Beton und wieder Beton fi el, verblüffte mich der Fahrer mit einem deutschen »Guten Tag«. Er habe in der DDR gedient. In Naumburg, erklärte er und lächelte. »Ah, in der DDR«, sagte ich und heuchelte etwas Interesse. Ich war müde, und der Flughafen-Kaffee drehte noch einige Kapriolen in meinem Magen. »Keine Ahnung DDR. Aber es gab gutes Bier«, sagte er. »Hitler hat es ja leider nicht geschafft. Sonst hät-ten die Russen uns keinen Ärger gemacht. Dann wären wir jetzt alle Deutsche.« Er wollte mir wohl ein Kompliment machen, dachte ich und lächelte gequält. Ich sagte ihm, dass es schon ganz gut sei, dass der Hitler erledigt worden sei, und verriet ihm, um das Thema zu wechseln, dass unser heutiger Präsident Horst Köhler heißt. Kohler? »Ah, der war doch mal Fußballer. Guter Mann. Dortmund! Ich wusste, dass die Deutschen ihre Helden

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lieben und nicht vergessen.« »Nein, nein. Köhler«, berichtigte ich. »Sie meinen Jürgen Kohler. Ich spreche von Horst Köhler. Der war mal Chef der Weltbank.« »Weltbank? Kohler?« Der Fah-rer zuckte mit den Schultern. Ob denn der Weltbank-Kohler auch auf so vielen Plakaten zu sehen sei, wie »der Führer« Alijew, fragte er dann. Tatsächlich standen riesige Plakatwände an den breiten Straßen. Darauf zu sehen: Hejdar Alijew mit Kindern, Hejdar Alijew mit Büchern, Hejdar Alijew mit der Sonne. Ich erklärte ihm, dass der deutsche Präsident sich nur ganz selten auf Plakatwänden zu sehen gäbe. »Er zeigt sich stattdessen öfter im Fernsehen oder in der Zeitung.« »Das ist aber ein komischer Mann«, meinte der Fahrer. »Ist der gar nicht stolz darauf, Prä-sident zu sein? Ein mächtiger Mann muss sich doch zeigen.« Um die Konversation nicht zu einer Grundsatzdiskussion über po-litische Systeme ausufern zu lassen, wechselte ich das Thema: »Aserbaidschan soll ja ein schönes Land sein …«

Der Fahrer grinste. »Ja, ein tolles Land. Hervorragendes Es-sen, freundliche Menschen. Eine schöne Landschaft, und guten Wein gibt es auch. Aserbaidschan …« Er machte eine kleine Pau-se, runzelte angestrengt die Stirn, als ob er nach der passendsten Formulierung suchte. »Ja. Aserbaidschan. Es gibt, so glaube ich, kein schöneres Land auf der Welt. Ich habe zumindest noch kei-nes gesehen. Sie werden sich sicher sehr wohl fühlen.« Ich werde mich sicher wohl fühlen, wiederholte ich seine Worte in Gedan-ken, während wir mit defi nitiv krass überhöhter Geschwindigkeit über die breiten Straßen Bakus preschten und ich dabei mei-nen schunkelnden Gleichgewichtssinn an den braun-grauen Häu-serfronten zu stabilisieren suchte. Die mies gelaunte Russin im Flugzeug war ja wenig von der Pracht ihrer Heimat überzeugt gewesen, für den Fahrer wiederum bestand kein Zweifel, dass Aserbaidschan ein schönes Land war. Die Meinungen schienen über diese Frage extrem auseinander zu gehen. Ich war demnach

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in einem Land der Widersprüche gelandet, in einem Land, das polarisierte. Friss oder stirb! Lieb mich oder hass mich! Nimm mich oder verzieh dich doch in die Toskana und lutsch an dei-nem olivenölgetränkten Wellness-Brot! Zwischen diesen Extre-men gab es sicher genug Platz für Reibung und gute Geschichten. Ich muss sagen: Die Vorzeichen gefi elen mir, obwohl mir bereits schwante: Das sollte keine Erholungsreise werden. Es ist die eine Sache, wenn du zu so einer tiefen Erkenntnis am Ende einer Reise kommst, aber eine ganz andere, wenn sie dich gleich zu Beginn der Reise trifft. Denn ab diesem Moment sitzt dir eine Spannung im Bauch, die dich in aufgescheuchter Wüstenmaus-Lauerstellung hält. Das ist spannend, kann aber ziemlich anstren-gend sein. Aber wie hatte mein weiser Opa gesagt: »Entspannen kannst du dich, wenn du tot bist.«

»Da!«, riss der Fahrer mich aus meinen säuberlich gezimmer-ten Gedanken der Erbauung, deutete auf ein Meer von stehen-den Autos vor uns, schlug mit der Faust auf das mit Lammfell überzogene Lenkrad und schimpfte: »Stau, immer Stau. Man könnte verzweifeln, verdammter Mist. Diese Stadt bringt mich um den Verstand.« Wie ein Cowboy vor dem Duell, also ohne eine Miene zu verziehen, starrte er mir in die Augen und sagte staubtrocken: »Willkommen in Baku, Deutscher!«