Vergil, Äneis, 29-19 v. Chr. Übersetzung v. Johann Heinrich Voß, 1799

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Vergil, Äneis, 29-19 v. Chr.Übersetzung v. Johann Heinrich Voß, 1799

Priester, gezogen durch Los, war Laokoon dort dem Neptunus,Dem den gewaltigen Stier an dem Festaltare er weihte.Siehe von Tenedos her, zwiefach durch stille GewässerNahn (ich erzähl’ es mit Graun) unermeßlich kreisende Schlangen,Über das Meer sich dehnend und eilen zugleich an das Ufer;

Denen die Brust, in den Wellen emporgebäumt, und die MähneBlutrot aus dem Gewog’ aufragt; ihr übriger Leib streiftHinten die Flut, und sie rollen unendliche Rücken in Wölbung.Laut mit Geräusch her schäumet die Flut; jetzt drohn sie gelandet,Und, die entflammeten Augen mit Blut durchströmet und Feuer,

Zischen sie beid’ und umlecken mit regerer Zunge die Mäuler.Alle entfliehn vor der Schau blutlos. Doch sicheren SchwungesGehn sie Laokoon an; und zuerst zwei schmächtigen SöhnleinDreht um den Leib ringsher sich das Paar anringelnder Schlangen,Schnüret sie ein, und, – o Jammer – zernagt mit dem Bisse die Glieder

Drauf ihn selbst, der ein Helfer sich naht und Geschosse daherträgt,Fassen sie schnell und knüpfen die gräßlichen Windungen: und schonZweimal mitten umher, zweimal um den Hals die beschupptenRücken geschmiegt, stehn hoch sie mit Haupt und Nacken gerichtet.Jener ringt mit den Händen, hinweg die Umknotungen drängend,

Ganz von Eiter die Bind’ und schwärzlichem Gifte besudelt;Und graunvolles Geschrei hochauf zu den Sternen erhebt er:So wie Gebrüll auftönt, wann blutend der Stier vom AltareFloh und die wankende Axt dem verwundeten Nacken entschüttelt.Aber sie beid’ entrollen zum oberen Tempel, die Schlangen,

Schlüpfrigen Gangs, und ereilen die Burg der erzürnten Tritonis,Wo sie unter die Füß’ und des Schildes Wölbung sich bergen.

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Johann Joachim Winckelmann (1717-1768)

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Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Mahlerey und Bildhauerkunst, 1755

Das allgemeine vorzügliche Kennzeichen der griechischen Meisterstücke ist endlich eine edle Einfalt, und eine stille Größe, sowohl in der Stellung als im Ausdrucke. So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, ebenso zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen bei allen Leidenschaften eine große und gesetzte Seele. Diese Seele schildert sich in dem Gesicht des Laokoons, und nicht in dem Gesichte allein, bei dem heftigsten Leiden. Der Schmerz, welcher sich in allen Muskeln und Sehnen des Körpers entdecket, und den man ganz allein, ohne das Gesicht und andere Teile zu betrachten, an dem schmerzlich eingezogenen Unterleibe beinahe selbst zu empfinden glaubet; dieser Schmerz, sage ich, äußert sich dennoch mit keiner Wut in dem Gesichte und in der ganzen Stellung. Er erhebet kein schreckliches Geschrei, wie Vergil von seinem Laokoon singet: Die Öffnung des Mundes gestattet es nicht; es ist vielmehr ein ängstliches und beklemmtes Seufzen ... Der Schmerz des Körpers und die Größe der Seele sind durch den ganzen Bau der Figur mit gleicher Stärke ausgeteilet und gleichsam abgewogen. Laokoon leidet, ... sein Elend gehet uns bis an die Seele; aber wir wünschten, wie dieser große Mann, das Elend ertragen zu können.

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Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781)

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Die Bemerkung, welche hier zum Grunde liegt, daß der Schmerz sich in dem Gesichte des Laokoon mit derjenigen Wut nicht zeige, welche man bei der Heftigkeit desselben vermuten sollte, ist vollkommen richtig. […] Nur in dem Grunde, welchen Herr Winckelmann dieser Weisheit gibt, in der Allgemeinheit der Regel, die er aus diesem Grunde herleitet, wage ich es, anderer Meinung zu sein. [-] Ich bekenne, daß der missbilligende Seitenblick, welchen er auf den Virgil wirft, mich zuerst stutzig gemacht hat […].

Wenn es wahr ist, daß das Schreien bei Empfindung körperlichen Schmerzes, besonders nach der alten griechischen Denkungsart, gar wohl mit einer großen Seele bestehen kann: so kann der Ausdruck einer solchen Seele die Ursache nicht sein, warum demohngeachtet der Künstler in seinem Marmor dieses Schreien nicht nachahmen wollen; sondern es muß einen anderen Grund haben, warum er hier von seinem Nebenbuhler, dem Dichter, abgehet, der dieses Geschrei mit dem besten Vorsatze ausdrücket.

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Und dieses nun auf den Laokoon angewendet, so ist die Ursache klar, die ich suche. Der Meister arbeitete auf die höchste Schönheit, unter den angenommenen Umständen des körperlichen Schmerzes. Dieser, in aller seiner entstellenden Heftigkeit, war mit jener nicht zu verbinden. Er musste ihn also herabsetzen; er musste Schreien in Seufzen mildern; nicht weil das Schreien eine unedle Seele verrät, sondern weil es das Gesicht auf eine ekelhafte Weise verstellet. Denn man reiße dem Laokoon nur in Gedanken den Mund auf, und urteile. Man lasse ihn schreien, und sehe. Es war eine Bildung, die Mitleid einflößte, weil sie Schönheit und Schmerz zugleich zeigte; nun ist es eine hässliche, eine abscheuliche Bildung geworden, von der man gern sein Gesicht verwendet, weil der Anblick des Schmerzes Unlust erregt, ohne daß die Schönheit des leidenden Gegenstandes diese Unlust in das süße Gefühl des Mitleids verwandeln kann. Die bloße weite Öffnung des Mundes, – beiseitegesetzt, wie gewaltsam und ekel auch die übrigen Teile des Gesichts dadurch verzerret und verschoben werden, – ist in der Malerei ein Fleck und in der Bildhauerei eine Vertiefung, welche die widrigste Wirkung von der Welt tut.

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Franz Xaver Messerschmidt (1734-1783), Der Gähnende

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Rembrandt, Abraham und Isaak, 1634

Lessing:„transitorisches Schönes“

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Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile nebeneinander existieren, aufeinander-folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen.

Gegenstände, die nebeneinander oder deren Teile nebeneinander existieren, heißen Körper. Folglich sind Körper mit ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der Malerei.

Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, heißen überhaupt Handlungen. Folglich sind Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie. […]

Die Malerei kann in ihren koexistierenden Kompositionen nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und muß daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird. Ebenso kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft der Körper nutzen, und muß daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn braucht.

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Christian Adolf Klotz Johann Gottfried Herder

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Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)

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Über Laokoon, 1798

Äußerst wichtig ist dieses Kunstwerk durch die Darstellung des Moments. Wenn ein Werk der bildenden Kunst sich wirklich vor dem Auge bewegen soll, so muß ein vorübergehender Moment gewählt sein; kurz vorher darf kein Teil des Ganzen sich in dieser Lage befunden haben, kurz hernach muß jeder Teil genötigt sein, diese Lage zu verlassen; dadurch wird das Werk Millionen Anschauern immer wieder neu lebendig sein. 

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Der jüngere strebt ohnmächtig; er ist geängstigt, aber nicht verletzt; der Vater strebt mächtig, aber unwirksam, vielmehr bringt sein Streben die entgegengesetzte Wirkung hervor; er reizt seinen Gegner und wird verwundet. Der älteste Sohn ist am leichtesten verstrickt; er fühlt weder Beklemmung noch Schmerz, er erschrickt über die augenblickliche Verwundung und Bewegung seines Vaters, er schreit auf, indem er das Schlangenende von dem einen Fuße abzustreifen sucht; hier ist also noch ein Beobachter, Zeuge und Teilnehmer bei der Tat, und das Werk ist abgeschlossen.

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Lessing, Hamburgische Dramaturgie:

»Die Tragödie«, sagt [Aristoteles], »ist die Nachahmung einer Handlung, – die nicht vermittelst der Erzählung, sondern vermittelst des Mitleids und der Furcht die Reinigung dieser und dergleichen Leidenschaften bewirket.« 

Der Mensch hat bei eignen und fremden Leiden nur drei Empfindungen: Furcht, Schrecken und Mitleiden, das bange Voraussehen eines sich annähernden Übels, das unerwartete Gewahrwerden gegenwärtigen Leidens und die Teilnahme am dauernden oder vergangenen; alle drei werden durch dieses Kunstwerk dargestellt und erregt, und zwar in den gehörigsten Abstufungen.

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Die bildende Kunst, die immer für den Moment arbeitet, wird, sobald sie einen pathetischen Gegenstand wählt, denjenigen ergreifen, der Schrecken erweckt, dahingegen Poesie sich an solche hält, die Furcht und Mitleiden erregen. Bei der Gruppe des Laokoons erregt das Leiden des Vaters Schrecken, und zwar im höchsten Grad, an ihm hat die Bildhauerkunst ihr Höchstes getan; allein teils um den Zirkel aller menschlichen Empfindungen zu durchlaufen, teils um den heftigen Eindruck des Schreckens zu mildern, erregt sie Mitleiden für den Zustand des jüngern Sohns und Furcht für den ältern, indem sie für diesen auch noch Hoffnung übrigläßt. So brachten die Künstler durch Mannigfaltigkeit ein gewisses Gleichgewicht in ihre Arbeit, milderten und erhöhten Wirkung durch Wirkungen und vollendeten sowohl ein geistiges als ein sinnliches Ganze. Genug, wir dürfen kühnlich behaupten, daß dieses Kunstwerk seinen Gegenstand erschöpfe und alle Kunstbedingungen glücklich erfülle.

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Peter Weiss (1916-1982)

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„Lingua Tertii Imperii“

(Victor Klemperer, 1947)

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Laokoon und seine Söhne, von Schlangen umwunden, verharren in den Dehnungen und Krümmungen ihres Gefangenseins. Unaufhörlich bleibt Laokoons Bauch eingezogen, unaufhörlich sind seine Muskeln gespannt, in der Erwartung des tödlichen Bisses. Der Kopf der Schlange stößt sich in seine linke Hüfte, während er mit dem hochgestreckten rechten Arm, dessen Adern vorquellen, ihren Leib von sich abstemmt. Sein Mund, und der Mund des jüngsten Sohns, ist halb geöffnet, nicht in einem Schrei, sondern in der letzten Anstrengung vor dem Ermatten. Sie haben ihre Stimmen aufgegeben. Nur der älteste Sohn zeigt in seinen Gesten an, daß er des Sprechens, des Sichmitteilens noch fähig ist. Während Laokoon und sein jüngerer Sohn völlig in ihrem Untergehen eingeschlossen sind und sich niemandem mehr bemerkbar machen können, weist der ältere Sohn noch auf das Geschehnis hin. Er kann es überblicken. Sein Gesichtsausdruck zeigt Ekel und Furcht. Mit seiner nach außen gewandten Haltung gibt er seine Absicht kund, der Umschnürung zu entfliehen. Listig rechnet er noch mit der Möglichkeit, verschont zu bleiben.

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Er war Laokoons ältester Sohn. Zwar war ihm noch Aufschub gegeben, doch war er ebenso fest wie die Seinen mit dem Geschehnis verknotet. Er sah, was neben ihm geschah und was auch ihn gleich ereilen konnte. Doch in der Zeitspanne die ihm noch zur Verfügung stand, untersuchte er jede Möglichkeit, die Fesselung zu lockern. Der Augenblick, in dem sich seine gesamte Aufmerksamkeit darauf richtete, das Aussichtslose zu durchbrechen, dauerte an.