Vertrauen in Unternehmen, eine permanente Baustelle · „Von (un-) zufriedener Müdigkeit zu...

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Vertrauen in Unternehmen, eine permanente Baustelle Instrumente, Methoden, Konzepte, Erfahrungen Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention 10,- Euro | ISSN 2190-0485 Nr.2 | 2012

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Vertrauen in Unternehmen,eine permanente BaustelleInstrumente, Methoden, Konzepte, Erfahrungen

Zeitschrift für innovative Arbeitsgestaltung und Prävention 10,- Euro | ISSN 2190-0485 Nr.2 | 2012

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editorial

„Baustelle“ Vertrauenspraxis in UnternehmenWarum wird die Ressource „Vertrauen“ knapp?Dafür können viele Gründe ins Feld geführtwerden. In einer übergreifenden, evolutionärenPerspektive scheint mir die zunehmende Wis-sensbasierung in Arbeit und Organisation einewesentliche Ursache dafür. Sie induziert eineansteigende Notwendigkeit zur reibungslosenZusammenarbeit, denn die Expertise und dasErfahrungswissen jedes einzelnen „Wissensträ-gers“ auf fast jeder Prozessstufe wird unent-behrlich. Innovationen werden so zwangsläufigzu kommunikativen Prozessen, die nur dannfunktionieren, wenn Verlässlichkeit, Transparenzund Partizipation zu den Grundlagen des Han-delns von Führungskräften und Unternehmens-leitungen werden und möglichst fest in die Se-dimente der Unternehmenskultur verankert sind.

Die Verknappung der Ressource „Vertrauen“zeigt aber auch an, dass es den Unternehmenim Zeitalter globalen Wettbewerbs und einespermanenten, auch schmerzhaften Anpassungs-und Innovationsdrucks immer weniger gelingt,ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die da-für erforderliche Sicherheit, Übersichtlichkeitund Planbarkeit zu geben.

Wer beobachtet, wie im aktuellen politischenDiskurs das Thema Transparenz zu einem – zwei-fellos ambivalenten – Leitbegriff wird, der darfgespannt sein, wie die Internetkultur zukünftigunsere Arbeitswelt verändern wird. Und wennTransparenz und Partizipation eine Grundlagefür die Vertrauenskultur in Unternehmen ist,wie eine Reihe von Beiträgen in diesem Heftherausstellen, dann ist der Trend zu Digitalisie-rung und Vernetzung in der Arbeitswelt mögli-cherweise ein Motor, der auch in diesem Kontextzu „revolutionären“ Veränderungen beiträgt.

Dortmund, im August 2012

Rüdiger KlattHerausgeber

Der gegenwärtig in der arbeitsbezogenen For-schung – im doppelten Wortsinn – „starke“ Dis-kurs über das Thema Vertrauen in Organisatio-nen, das auch in der præview innerhalb einesrelativ kurzen Zeitraumes jetzt zu einer weiterenSchwerpunktausgabe zu diesem Thema geführthat, deutet auf eine zunehmende Knappheitdieser für Innovationen bedeutsamen Ressourcehin. Die Unternehmen haben offensichtlich er-kannt, dass diese „Baustelle“ möglichst schnellund möglichst umfassend bearbeitet werdenmuss. Die Forderung nach geeigneten Instru-menten geht vor allem von den Unternehmenaus, darüber geben die in dieser Ausgabe ver-sammelten Beiträge der Fokusgruppe „Vertrauenin Innovationsprozessen“ Auskunft. Sie werdenim Programm Arbeiten – Lernen – Kompeten-zen entwickeln. Innovationsfähigkeit in einermodernen Arbeitswelt (Bekanntmachung: Ba-lance von Flexibilität und Stabilität in einer sichwandelnden Arbeitswelt) des Bundesministeri-ums für Bildung und Forschung und der Euro-päischen Union gefördert.

An dieser Stelle wird die Verantwortung derFührungskräfte und der Unternehmensleitungenoffensichtlich – und zugleich die Begrenztheitenihrer Möglichkeiten. Die Forschungen zu derFrage, wie in komplexen und dynamischen Volks -wirtschaften, die einem hohen Veränderungs-druck ausgesetzt sind, „Vertrauen“ erhalten oder(wieder-) hergestellt werden kann, macht dieLis te der Anforderungen an das Leitungsperso-nal in den Unternehmen noch ein wenig länger,als sie ohnehin schon ist. Es deutet sich an, dasssich in den Führungsetagen bereits Überforde-rungssymptome zeigen, die vielleicht eine gene -relle Neudefinition im Verhältnis von Mensch,Organisation und Technik erforderlich macht.Denn blickt man auf Arbeitswelt und Beschäfti -gungsformen der Zukunft, dann wird insbeson -dere in netzbasierten Arbeitsformen Innovation,(Selbst-) Organisation, Kollaboration, Transpa-renz und Vertrauen zukünftig neu bestimmt.

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„Baustelle“ Vertrauenspraxis in UnternehmenRüdiger Klatt

Die „Kunst des Vertrauens”Art Directors’ Comment

Die Bewältigung von Flexibilität durch Vertrauen in OrganisationenNina Schiml, Carolina Bahamondes Pavez, Sarah Wagenblast, Heinz Schüpbach

Vertrauen im Innovationsprozess: Messung und FörderungSebastian Kleint, Dirk Frömmer, Jürgen Wegge

Erfahrungen der Deutsche Edelstahlwerke GmbH und KHS GmbH mit Instrumenten zur Vertrauensförderung

Eva Ludwig, Matthias Jansen

Vertrauensförderung durch PersönlichkeitsorientierungChristina Dornaus, Lothar Laux, Claudia T. Schmitt, Sabine Wabro

Vertrauen durch innovatives Arbeits- und Führungshandeln im BetriebStephanie Porschen, Judith Neumer, Fritz Böhle, Norbert Huchler, Stefan Sauer

Instrumente und Methoden zur Verbesserung von Vertrauen und Lernen in kontinuierlichen Verbesserungsroutinen

Rainer Skrotzki, Alexander Nolte, Thomas Herrmann

Vertrauensförderung im Rahmen der systematischen SelbstveränderungUwe Debitz, Harald Jürgens, Ulrike Pietrzyk

Vertrauensniveaus im agilen ProjektmanagementStefan Sauer, Norbert Huchler

Kommunikationsroutinen als arbeitsorganisatorische Voraussetzung für die inkrementelle Prozessverbesserung

Thomas Maschek, Sabine Hempen, Yvonne Finke, Jochen Deuse

Organisierte Lerntätigkeiten für die Entwicklung von Ressourcen und Vertrauen im Unternehmen

Tilmann Krogoll, Andrea Husak

Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip: Wie narrative StrukturenVertrauen in der Organisation herstellen und sichern

Karin Denisow, Nina Trobisch

Glücksstress oder „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Unzufriedenheit!“

Kurt-Georg Ciesinger

„Von (un-) zufriedener Müdigkeit zu aktiver Veränderungskompetenz“Ein Resümee der Fokusgruppe Vertrauen in Innovationsprozessen

Karin Denisow, Judith Neumer, Rainer Skrotzki

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inhalt

Vertrauen in Unternehmen, eine permanente Baustelle

Instrumente, Methoden, Konzepte, Erfahrungen

Art Directors’ Comment

Die „Kunst des Vertrauens”

Durchgängiges formales Gestaltungsprinzip dieser Ausgabe

der præview ist die künstlerische Aus einan der setzung mit

dem „Werkstoff Papier” in seinen vielfälti gen Aus prägungen

und Erscheinungsformen.

Die eigens für diese Zeitschrift entstandenen Studio foto -

grafien visualisieren „Papier“ im Spannungsfeld von Licht

und Schatten, Fragilität und Festigkeit, Transparenz und

Opazität, Schärfe und Unschärfe, Ru he und Dynamik sowie

unterschiedlichsten Texturen.

Die spezielle Ästhetik dieser Fotokompositionen weckt dabei

Assoziationen, die, wie wir meinen, mit dem sensi blen

Thema „Vertrauen” und in dessen Kontext mit Faktoren wie

Flexibilität und Stabilität, mit Ver än de rungs- und Inno -

vationsfähigkeits prozessen und weiter gehenden Fragestel-

lungen sehr gut harmo nieren.

Wir laden die Leserinnen und Leser dieser Ausgabe der

præview herzlich zu diesem „optischen Abenteu er” ein.

Renate Lintfert und Hans Waerder, Q3 design

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Die Bewältigung von Flexibilität durchVertrauen in Organisationen Nina Schiml, Carolina Bahamondes Pavez, Sarah Wagenblast, Heinz Schüpbach

Unvorhergesehene Unterbrechungen oder Planänderungen sind im heutigen Arbeitsalltag an der Tagesordnung. Dabei

müssen gleichzeitig fixe Vorgaben im Hinblick auf Qualität oder Termine eingehalten werden. Das Projekt balance.arbeit

zeigt, dass Beschäftigte selbst, im Rahmen ihrer eigenen Ressourcen, aktiv den Flexibilitäts anforderungen begegnen

können, indem sie etwa den Arbeitsaufwand vor Beginn einer Aufgabe abschätzen, Pufferzeiten einplanen oder das Ziel

im Auge behalten, auch wenn Planänderungen nötig sind (Bahamondes Pavez, Schiml & Schüpbach 2011).

das Unternehmen und das Vertrauen in das Un-ternehmen als Ganzes, die erlebte Fehlerkultursowie die Belohnung von Innovationsbereit-schaft im Unternehmen. Insgesamt fiel die Be-wertung des Vertrauen in das Unternehmen –mit einem Mittelwert von 2.97 (auf einer Skalavon 1 bis 5) – im mittleren Bereich aus und weistmittelhohe bis hohe Zusammenhänge zu Ar-beitszufriedenheit (r= .59**), Arbeitsengagement(r= .38**) und Erschöpfung (r= -.32**) auf.

Diese Ergebnisse sind ein erster Hinweis darauf,dass Vertrauen in Unternehmen vor dem Hin-tergrund hoher Flexibilitätsanforderungen fürdie Beschäftigten einen relevanten Faktor so-wohl für die Motivation, aber auch für die Er-schöpfung darstellt.

Wem vertraut man eigentlich, demUnternehmen oder seinen Mitgliedern?Im Rahmen einer Interviewstudie wollten wirherausfinden, worauf Beschäftigte ihr Vertraueneher beziehen: auf Personen oder das Unter-nehmen als Ganzes. Befragt wurden 16 Mitar-beiterinnen und Mitarbeiter aus wiederum 16verschiedenen deutschen Großunternehmen(>750 Mitarbeiter), davon neun Industrie- undsieben Finanzdienstleistungsunternehmen.

Die Frage, ob ihr Vertrauen in die Organisa-tion sich eher auf einzelne Personen oderdas Unternehmen als Ganzes gründe, be -antworteten acht Befragte zugunsten von Per-sonen. Sieben Befragte gaben an, dass ihr Ver-trauen sich auf eine Kombination aus Personenund Organisationen gründe und nur eine Persongab an, dass sich ihr Vertrauen auf die Organi-sation als Ganzes beziehe. Wichtig war daher,genauer nachzufragen, welches die wichtigstenQuellen der Vertrauensbildung im Unternehmensind. Am höchsten wurde hier der/die Vorge-setzte, gefolgt von der Personalpolitik des Un-ternehmens, den Kolleginnen und Kollegen so-wie dem Image des Unternehmens eingestuft.Das Vertrauen in das Unternehmen gründet sich

Doch die erfolgreiche Bewältigung von sehr ho-hen Flexibilitätsanforderungen kann nicht alleindurch die Beschäftigten erreicht werden, zu-mindest dann nicht, wenn die Gesundheit unddas Wohlbefinden der Belegschaft erhalten blei-ben sollen. Hier müssen unterstützende Bedin-gungen im Unternehmen geschaffen und ge-fördert werden. Neben Aspekten der kollegialenUnterstützung oder der Entscheidungsspielräumespielt Vertrauen in Vorgesetzte, Kollegen oderauch das Unternehmen als Ganzes eine wichtigeRolle als organisationale Voraussetzung bei derBewältigung hoher Flexibilitätsanforderungen(Sprenger 2002; Schweer & Thies 2003; Stein-meier & Jöns 2011).

Wie hängt Vertrauen mit Befinden zusammen?Wir haben in zwei mittelständischen Unterneh-men untersucht, wie stark Vertrauen in das Un-ternehmen bei der Belegschaft ausgeprägt istund welche Zusammenhänge sich mit Arbeits-zufriedenheit, Erschöpfung und auch Engage-ment zeigen. In einem IT-Unternehmen und ei-nem Metallunternehmen wurden die Beschäf-tigten im Rahmen von Mitarbeiterbefragungenzu verschiedenen Anforderungen, Rahmenbe-dingungen und ihrem Befinden bei der Arbeitbefragt. Vor allem die Anforderungen an dieSelbstorganisation der Arbeit, z. B. sich ständigmit neuen Aufgaben auseinanderzusetzen, wa-ren in der vorliegenden Stichprobe (n=110) hochausgeprägt (Mittelwert 3.87 auf einer Skala von1 bis 5). Aber auch die Anforderungen an diefunktionale und zeitliche Flexibilität waren miteinem Mittelwert von 3.62 hoch ausgeprägt.

Vertrauen in das Unternehmen aus der Perspek-tive der Beschäftigten wurde mit vier selbstkonstruierten Items erfasst, welche auf Basisvon Experteninterviews und Gruppendiskus -sionen in den betroffenen Unternehmen sowieeiner Literaturstudie entwickelt wurden. Dabeiumfasst Vertrauen den wahrgenommenen Ver-trauensvorschuss an die Beschäftigten durch

somit in der vorliegenden Untersuchung vor al-lem auf die im Unternehmen tätigen (Bezugs-)Personen. Der/die Vorgesetzte hat als Quellevon Vertrauen eine vorrangige Stellung.

Und wie können nun UnternehmenVertrauen fördern?In der beschriebenen Interviewstudie wurde au-ßerdem der Frage nachgegangen, welche orga-nisationalen Aspekte Vertrauen fördern können.Aus den Antworten konnten inhaltsanalytischsieben Kategorien von Ansatzpunkten zur akti-ven Vertrauensförderung in Unternehmen ab-geleitet werden.

Als konkrete Empfehlungen seien im Folgendenzu den einzelnen Kategorien beispielhafte Um-setzungsmöglichkeiten genannt:Kategorie „Transparenz“: frühzeitige Infor-mation der Beschäftigten über Änderungen undEntwicklungen im Unternehmen, Unterneh-mensprozesse auch nach außen hin transparentmachen …Kategorie „Stabilität und Planung“: langfris -tig planen, finanzielle Sicherheit geben, „roterFaden“ in der Führung …Kategorie „Unternehmensethik“: sich fürNachhaltigkeit einsetzen bzw. soziale Verant-wortung übernehmen, Leistungen fair undtrans parent verteilen …Kategorie „organisationale Unterstützungund Förderung“: regelmäßige Feedbackgesprä-che, Beschäftigte in besonderen Lebensphasenunterstützen, in Zusatzleistungen (z. B. Gesund-heitsangebote) und Mitarbeiter-Entwicklung in-vestieren …Kategorie „Zuverlässigkeit“: Vereinbarungeneinhalten, Unternehmenswerte vorleben …Kategorie „Interpersonelle Kommunikation“:Feedbackkultur implementieren, regelmäßigenAustausch schaffen (formell und informell), Prä-senz der Unternehmensleitung …Kategorie „Tätigkeitsspielraum“: Verantwor-tung übergeben, Gestaltungsspielraum schaffen,Beteiligung, konstruktive Fehlerkultur …

Vertrauen in Unternehmen vor dem Hintergrund

hoher Flexibilitätsanforderungen stellt für die

Beschäftigten einen relevanten Faktor sowohl für

die Motivation als auch für die Erschöpfung dar.

Nina Schiml, Carolina Bahamondes Pavez, Heinz Schüpbach

Die AutorenProf. Dr. Heinz Schüpbach ist Direktor derHochschule für Angewandte Psychologieder Fachhochschule Nordwestschweiz.

Dipl.-Psych. Nina Schiml und Dipl.-Psych.Caro lina Bahamondes Pavez sind wissen-schaftliche Mitarbeiterinnen am Lehrstuhlfür Wirtschaftspsychologie an der Univer -sität Freiburg. Sarah Wagenblast ist Studie-rende im Diplomstudiengang Psychologiean der Universität Freiburg. www.balancearbeit.de

Vertrauensförderung aktiv angehenOrganisationales Vertrauen liegt nicht nur inden Personen der einzelnen Beschäftigten be-gründet, sondern kann aktiv von Unternehmenbeeinflusst werden. Es stellt eine Ressource fürdie Erhaltung von Gesundheit und Wohlbefin-den von Beschäftigten in turbulenten Felderndar und kann als stabilisierender Faktor in Zei-ten des Wandels wirken. Allerdings ist Vertrauenin Unternehmen nicht einfach vorhanden, son-dern sollte gezielt vom Management gefördertwerden, sowohl durch Maßnahmen auf Ebeneder Beschäftigten (z. B. durch Schulungs- undQualifizierungsangebote), auf zwischenmensch-licher Ebene (z. B. die Ausbildung der Mitar -beiter-Vorgesetzten-Beziehung) als auch aufManagement-Ebene (z. B. transparente und ko-härente Unternehmensführung). Diese solltenimmer vor dem Hintergrund des jeweiligenUnter nehmens überlegt werden und könnensich für Klein- und Großunternehmen, für Mit-arbeiter und Führungskräfte sowie für Berufs-anfänger und -erfahrene unterscheiden.

Im Projekt balance.arbeit wurde aufbauend aufden Handlungsempfehlungen bereits eine erstevertrauensentwickelnde Maßnahme in einemKleinunternehmen durchgeführt und erprobt.Es bestätigt sich, dass Vertrauen in Unternehmeneine veränderliche Größe darstellt, die es sichlohnt, auch im Rahmen von Team- und Orga ni -sationsentwicklungsmaßnahmen anzugehen.

LiteraturBahamondes Pavez, C., Schiml, N. & Schüpbach, H. (2011). Indi-viduelle Aspekte eines prospektiven Ressourcenmanagementszur Balance von Stabilität und Flexibilität, Zeitschrift für Arbeits -wissenschaft, 2, 185-187.Schweer, M. & Thies, B. (2003). Vertrauen als Organisationsprin-zip: Perspektiven für komplexe soziale Systeme. Bern: Huber.Sprenger, R.K. (2002). Vertrauen führt. Frankfurt/Main: Campus. Steinmeier, S. & Jöns, I. (2011). Vertrauen im Fusionsprozess –Einflussfaktoren und Auswirkungen. Wirtschaftspsychologie, 2,62-74.

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bereich eines Stahlunternehmens zeigt die prak-tische Umsetzung dieser Überlegungen. Die imBereich ausgeführte Tätigkeit besteht in der Be-arbeitung von Stahlblechen an verschiedenenMaschinenarbeitsplätzen. Die Produktionsmit-arbeiter werden von einem Meister angeleitet.Das horizontale Vertrauen im Team wurde mitdem Fragebogen von Cook und Wall (1980), dasvertikale Vertrauen zur Führungskraft mit demLMX (Leader-Member-Exchange; Graen & Uhl-Bien, 1995) erfasst. Während das Verfahren vonCook und Wall verschiedene Aspekte von Ver-trauensüberzeugungen (Zuverlässigkeit der Kol-legen, Erwartung in Notlagen Hilfe zu bekom-men, Fähigkeiten der Kollegen etc.) umfasst,fokus siert der LMX vor allem die Güte der be-stehenden Beziehung zwischen Führungskraftund Teammitglied. Die Ergebnisse der Befragungwurden mittels Interviews vertieft, um auchden spezifischen individuellen Sichtweisen undden besonderen Bedingungen im PilotbereichRechnung zu tragen. Auf diese Weise ist es ge-lungen, ein realistisches Abbild der Vertrauens-atmosphäre zu gewinnen.

Auf Basis der hier gewonnenen Ergebnissewurde eine Intervention für den Bereich ent-wickelt, um einen vertrauensvollen Umgangmiteinander sowie eine offene Kommunikationund konstruktive gegenseitige Rückmeldungauch bei aufgetretenen Fehlern zu unterstützen.Die Intervention umfasst zwei Komponenten.Zunächst werden den Führungskräften vertiefteModerationskompetenzen vermittelt, um strit-tige Diskussionen ergebnisorientiert und kon-struktiv leiten zu können. Darauf aufbauendwird zusammen mit allen Mitarbeitern und Füh-rungskräften der Arbeitsgruppe ein Rückmel-desystem entwickelt (vgl. Frömmer, Kleint &Wegge, 2011). Der Erarbeitungsprozess, der Auf-bau und die Funktionsweise des Systems inte-griert die oben genannten zentralen Vorausset-zungen einer vertrauensvollen Zusammenarbeitnach Schweer und Thies (2003) mit Gestal-tungshinweisen aus der Forschung zur Führungvon Gruppen (Wegge, 2004). So werden mitden Mitarbeitern die Inhalte des Rückmelde-systems und alle Fragen der praktischen Um-setzung in einem offenen, kommunikativenProze ss gemeinsam erarbeitet und beschlossen.Das erarbeitete System wird auf einem Poster

Grundlage hierfür sind Forschungsergebnisseverschiedenster Provenienz, die auf die Schlüs-selrolle von Vertrauen beim Aufbau von Arbeits-zufriedenheit, kooperativem Verhalten, Gesund-heit, Gruppenkohäsion sowie ideenförderlichemVerhalten hinweisen (Lehmann-Willenbrock &Kauffeld, 2010). Wichtige Bestimmungsstückevon Vertrauen sind dabei:

æ die Überzeugung des Einen von der prinzi-piellen Vertrauenswürdigkeit des Anderen,

æ die Intention, in einer bestimmten Situationnach dieser Überzeugung zu handeln undsich verwundbar zu machen

æ und die aus dieser Intention schließlichresul tierende Handlung (Dietz & Den Har-tog, 2006).

Im organisationalen Kontext bewährt sich fernerdie Unterscheidung von drei Aspekte von Ver-trauen: die Kollegen im Team oder Arbeitsbe-reich, der direkte Vorgesetzte und die Organi-sation als Ganzes. Insbesondere die direktenhori zontalen und vertikalen Beziehungen zuKollegen und Führungskraft beeinflussen diefür Prozessinno vation relevanten Verhaltens-weisen (Jannsen, 2005), wie z. B. das Generierenvon Vorschlägen und deren Umsetzung (Leh-mann-Willenbrock & Kauf feld, 2010).

Diese umfängliche Konzeptualisierung verdeut-licht das Dilemma der Vertrauensforschung: IhrGegenstand ist schwer zu fassen, subtil und oh -ne Frage viel mehr als eine stabile Eigenschaftvon Personen oder soziotechnischen Systemen.Für eine empirische Untersuchung ist daher einmultimethodaler Ansatz notwendig. Quantita-tive Verfahren (z. B. schriftliche Befragung) zurErfassung von Vertrauensaspekten (horizontalund vertikal) müssen mit qualitativen Verfahren(z. B. Interviews) kombiniert werden, um einemöglichst ganzheitliche Betrachtungsweise zuerreichen. Weiterhin müssen Interventionen, dieder Vertrauensförderung dienen sollen, die Par-tizipation bei Entscheidungen und Veränderun-gen erhöhen, die Kommunikation in positiverWeise fördern und geeignet sein, langfristig dieTransparenz von Veränderungen und Maßnah-men zu erhöhen, die den gewählten Interven-tionsbereich betreffen (Schweer & Thies, 2003).Das Vorgehen des VEIN-Projektteams im Pilot-

Vertrauen im Innovationsprozess:Messung und FörderungSebastian Kleint, Dirk Frömmer, Jürgen Wegge

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dargestellt und umfasst die aus Mitarbeitersichtrelevanten Aspekte für eine vertrauensvolleZusam menarbeit in Form von Kernaussagen(Transparenz). Die Mitarbeiter sollen die Aus -sagen dann regelmäßig anhand einer dreistu-figen Skala anonym beurteilen (Partizipation).Für die gemeinsame Auswertung der Rückmel-dungen sollen die Führungskräfte die vermit-telten Moderationskenntnisse als Werkzeugenutzen (Kommunikation).

In unserem Projekt hat sich gezeigt, dass dasSystem von den Mitarbeitern akzeptiert und re-gelmäßig genutzt wird. Es erleichtert und struk-turiert die Kommunikation über das Miteinan-der-Arbeiten und ermöglicht den Mitarbeiternemotionale Hindernisse und strittige Situatio-nen im Arbeitsablauf vertrauensförderlich zulösen. Die Führungskräfte erleben die regelmä-ßige Rückmeldung ebenfalls als Orientierungs-hilfe für ihre persönliche Weiterentwicklung.

Folgende Punkte sind im Zusammenhang mitinnerbetrieblicher Vertrauensförderung deutlichgeworden:æ Vertrauen kann sichtbar gemacht werden

und wird somit beeinflussbar.æ Die Analysemethodik muss speziell auf den

untersuchten Bereich abgestimmt werden.æ Um Vertrauen zu schaffen, müssen alle Be-

teiligten aktiv werden.æ Vertrauen wächst, wenn Raum für Kommu-

nikation geschaffen wird.

Wir sehen, dass Unternehmen die Entwicklungeiner innovationsförderlichen Vertrauenskulturfördern können. Notwendige Voraussetzung da-für ist eine multimethodale Analyse der indivi-duellen Situation im Arbeitsbereich sowie dieEntwicklung spezifischer Maßnahmen.

Die AutorenDipl.-Psych. Sebastian Kleint ist wissenschaft-licher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Arbeits-und Organisationspsychologie an der Techni-schen Universität Dresden. Er erforscht dieEntstehung von Fehlern und ihre innovations-förderliche Nutzung. [email protected]

Dipl.-Psych. Dirk Frömmer ist wissenschaftli-cher Mitarbeiter am gleichen Lehrstuhl undbeschäftigt sich mit den Themen Vertrauen inInnovationsprozessen, Teamarbeit und Team-diagnose sowie ethischem Handeln in Organi-sationen. [email protected]

Prof. Dr. Jürgen Wegge ist Professor für Arbeits-und Organisationspsychologie an der TUDresden. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen imBereich Arbeitsmotivation, Führung, demo -grafischer Wandel und Spitzenleistungen inOrganisationen. [email protected]

Sebastian Kleint, Dirk Frömmer, Jürgen Wegge

LiteraturCook, J., & Wall, T. (1980). New work attitude measures of trust,organizational commitment and personal need non-fulfilment.Journal of Occupational Psychology, 53, S. 39-52.Dietz, G., & Den Hartog, D.N. (2006). Measuring trust inside or -ga nizations. Personnel Review, 35, S. 557-588.Frömmer, D., Kleint, S. & Wegge, J. (2011). Wissensaustausch zu„weichen“ Faktoren mittels partizipativ entwickelter Rückmelde -systeme. In W. Hacker, U. Pietrzyk & U. Debitz (Hrsg.), Wissen er-folgreich weitergeben (S. 117-124). Lengerich: Pabst.Graen, G.B., & Uhl-Bien, M. (1995). Relationship-based approachto leadership: Development of leader-member exchange (LMX)theory of leadership over 25 years: Applying a multi-level multi-domain perspective. The Leadership Quarterly, 6, S. 219-247.Janssen, O. (2005). The joint impact of perceived influence and su -pervisor supportiveness on employee innovative behaviour. Jour nalof Occupational and Organizational Psychology, 78, S. 573-579.Lehmann-Willenbrock, N., & Kauffeld, S. (2010). Developmentand construct validation of the German Workplace Trust Sur -vey (G-WTS). European Journal of Psychological Assessment,26, S. 3-10.Schweer, M. & Thies, B. (2003). Vertrauen als Organisationsprin zip.Bern: Huber.Wegge, J. (2004). Führung von Arbeitsgruppen. Göttingen: Hogrefe

Durch fehlerinduzierte, inkrementelle Verbesserun-gen im Produktionsprozess können Innovations -potenziale von erheblichem Ausmaß realisiertwerden. Diese Potenziale zu verstehen, zu nutzenund zu entwi ckeln ist Ziel des VEIN-Projektes(Vertrau en und Lernen im inkrementellen, fehler -induzierten Innovationsprozess).

Vertrauen wächst, wenn

Raum für Kommunikation

geschaffen wird.

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æ Eine wöchentliche Besprechung wurde ein-geführt. Hier werden neben aktuellen The-men, die Ergebnisse des Rückmeldesystemsund neue Innovationen vorgestellt.

æ Die Mitarbeiter planen nun täglich die an-fallenden Arbeitsinhalte vor und halten Ab-weichungen fest; so wird zukünftigesOptimierungspotenzial aufgezeigt. Darüberhinaus verbessert diese Vorgehensweise dieZusammenarbeit mit anderen Bereichen.Nun können gemeinsame Aktivitäten amVortag geplant werden.

Der positive Einfluss, den das VEIN-Projekt aufFührungskräfte, Mitarbeiter und das Ergebnisder Abteilung hat, lässt sich nicht auf eine ein-zelne Intervention zurückführen. Vielmehr wares die geeignete Auswahl verschiedener Ansätzeaus diversen Bereichen der Wissenschaft. Beider Umsetzung von Interventionen musstenteilweise mehrmalige Iterationsschleifen durch-laufen werden, um die Mitarbeiter optimal ein-zubinden. Die Akzeptanz der Mitarbeiter stiegsignifikant sobald persönlicher Nutzen aus denProjektaktivitäten zu erwarten war:

æ Das Rückmeldesystem wurde mit den Mit-arbeitern entwickelt.

æ Der Gruppenleiter reduziert Wartezeitenund Laufwege durch tägliche Vorplanungder Aktivitäten.

æ Die Führungskraft erhält regelmäßig Rück-meldung zur gegenwärtigen Stimmung in derAbteilung und kann aktiv Einfluss nehmen.

æ Innovatoren erhalten eine Bühne, Verbes -serungen vorzutragen und mit Kollegen zudiskutieren.

æ Die Montagereihenfolge wurde weitgehendstandardisiert. Gegenseitige Hilfestellungist so möglich.

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Projektablauf Kern der ersten Projektphase bildete die Identi-fikation eines idealtypischen Innovationspro-zesses sowie der erforderlichen Rahmenbedin-gungen. Basierend darauf wurden verschiedeneMethoden und Ansätze zur Entwicklung der ge-wünschten Faktoren generiert. Die Messung desProjekterfolgs, d. h. die Etablierung einer fehler -toleranten Lern- und Vertrauenskultur, wurdedurch eine Mitarbeiterbefragung vor Interven-tionsstart eingeleitet.

Die zweite Projektphase gliederte sich in zweiaufeinander aufbauende Interventionszyklen,unterbrochen von einer Evaluationsphase. Die-ser Projektaufbau ermöglichte eine ergebnis-orientierte Anpassung der angewendeten Instru -mente und Methoden.

Deutsche Edelstahlwerke GmbH: Betriebliche Umsetzung und Erkennt-nisse Die Deutsche Edelstahlwerke GmbH ist einerder führenden Produzenten von Edelstahl-Lang-produkten. Aufgrund seiner Produktvielfalt be-wegt sich das Unternehmen jenseits des Mas-senmarkts und sieht sich regelmäßig mit vari-ierenden Kundenanforderungen konfrontiert.Grundlage für eine effiziente und verschwen-dungsarme Stahlproduktion bildet seit 2008das Deutsche Edelstahlwerke Produktionssystem(DPS). Dem kurzzyklischen und inkrementellenVerbesserungsprozess wird im Rahmen des DPSeine besondere Rolle zugesprochen, etablierteKVP-Routinen1 existieren jedoch nicht flächen-deckend. Eine Ausweitung des Verständnissesüber Erfolgs- und Misserfolgsfaktoren für einenfunktionierenden KVP stellte für die Deutsche

Erfahrungen der Deutschen Edelstahlwerke GmbH und KHS GmbHmit Instrumenten zur Vertrauensförderung Eva Ludwig, Matthias Jansen

Edelstahlwerke GmbH einen Haupttreiber fürdie Beteiligung an dem Forschungsvorhaben dar.

Kern der VEIN-Aktivitäten war die Etablierungvon kurzzyklischen Kommunikationsroutinenfür den inkrementellen Verbesserungsprozess,indem Mitarbeiter des Pilotbereiches wöchent-liche KVP-Sitzungen durchführten. Solch orga-nisierte Treffen während der Arbeitszeit gabenden Mitarbeitern Zeit und Raum, um Verbesse-rungen in ihrem Bereich zu diskutieren, zu ent-wickeln und kurzzyklisch umzusetzen. Moderiertwurden die Sitzungen von einem ausgewähltenMitarbeiter, der vorab in Moderationstechnikenund Diskussionsführung geschult wurde. Strin-gente Fragetechniken sicherten die zielorientier -te Diskussion.

Wurden die KVP-Sitzungen zu Interventionsbe -ginn noch intensiv durch die wissenschaftlichenProjektpartner betreut, die als Moderations -unterstützer und Feedbackgeber fungierten, sozogen diese sich im Projektverlauf zunehmendzurück und sicherten so die Selbstständigkeitder Gruppe. Zahlreiche Vorschläge zur Verbes-serung der allgemeinen Arbeitssituation sowiezur Verbes serung schnittstellenübergreifenderProzesse wurden diskutiert. Durch eine Kopp-lung der Sitzungsergebnisse an das betrieblicheVorschlagswesen erhielten die Teilnehmer mit-unter eine finanzielle Beteiligung an der umge -setzten Prozessverbesserung.

Input für die KVP-Sitzungen erhielten die Mit-arbeiter durch verschiedene Quellen: Das digi-tale Abweichungserfassungssystem wurde indie Systemlandschaft integriert, die Prozessmo -dellierung und -visualisierung diente als eine

Art „Augenöffner“ für das Gesamtprozessver-ständnis und schnittstellenübergreifende Opti-mierungspotenzial.

Zentrale Erfolgsfaktoren für einen erfolgreichen,mitarbeiterbasierten KVP stellen eine hohe Kom-munikationsdichte sowie ein hohes Vertrau -ensniveau dar. Verschiedene vertrauens- undkommunikationsfördernde Maßnahmen wurdengetätigt, wie das von den Mitarbeitern mitge-staltete Rückmeldesystem vertrauensbildenderKriterien. Nach halbjähriger Anwendung hatsich das Kommunikations- und Vertrauensni-veau in dem Pilotbereich spürbar erhöht, veri-fiziert durch eine erneute Mitarbeiterbefragung. Nach den positiven Erfahrungen in dem erstenPilotbereich hat die Deutsche EdelstahlwerkeGmbH eine Ausweitung der VEIN-Aktivitätenbereits initiiert. Insbesondere von der Auswei-tung auf einen Produktionsstandort, in dem dieAufbauorganisationsform der teilautonomenGruppenarbeit vorherrscht, verspricht sich dasUnternehmen neue standortübergreifend ver-wertbare Erkenntnisse sowie eine weitere Stei-gerung des betrieblichen Innovationsklimas.

KHS GmbH: Betriebliche Umsetzungund ErkenntnisseDie KHS GmbH ist einer der Weltmarktführerim Bereich innovativer und hochwertiger Ab-füll- und Verpackungsanlagen für die Getränke-und Nahrungsmittelindustrie. Die vielfältigenAnwendungsgebiete erfordern stets kunden -individuelle Lösungen. Diese stellen für eineOrga nisation eine große Herausforderung dar.Besonders Mitarbeiter in der Montage müsseneinen hohen Ausbildungsgrad erreichen, um dieVielzahl an standardisierten Baugruppen undEinzelstücken zu fertigen. Diese Anforderungführt dazu, dass die Montage im Pilotbereichzu einem enormen Teil auf langjähriger Erfah-rung beruht. Verbesserungen wurden nur ineinzelnen Fertigungsinseln erdacht und ange-wendet, unkonventionelle Ideen oder innovativeHilfsmittel wurden belächelt. Im existierendenVerbesserungsprozess wurde abteilungsinternesOptimierungspotenzial ausgeklammert und le-diglich Schnittstellenprobleme behandelt.Diese vielfältigen, über die Jahre in dem Bereichentstandenen Abläufe galt es zu optimieren.Als Ergebnis können folgende Aspekte festge-halten werden:

Dies ist nur ein Auszug der während der Pro-jektlaufzeit erreichten Veränderungen. Allengemei n ist die Eigendynamik, die das Projektmittlerweile erreicht hat. Die Führungskraft imBereich konnte durch die vermehrte Kommu-nikation eigene Positionen besser vertreten. DasVertrauen innerhalb der Abteilung stabilisiertesich auf einem sehr hohen Niveau, und die Pro-duktivität wurde in diesem Zeitraum um dreiProzent gesteigert.

Die AutorenDipl. Logist. Eva Ludwig leitet die AbteilungProzessoptimierung der Deutsche Edelstahl-werke GmbH. Sie beschäftigt sich schwer-punktmäßig mit der Umsetzung ganzheitlicherProduktionssysteme in der Stahlindustrie. [email protected]

Dipl. Ing. Matthias Jansen koordiniert die Teil-nahme der KHS am VEIN-Forschungsprojektund ist für das internationale EngineeringNetzwerk der KHS verantwortlich. [email protected]

1 KVP = Kontinuierlicher Verbesserungsprozess, eine betrieblicheStrategie der stetigen Verbesserung (auch) in kleinen Schritten

Durch inkrementelle Verbesserungen in arbeitsteiligen Produktionspro -

zessen können Innovationspotenziale von erheblichem Ausmaß realisiert

werden. Essenzielle Voraussetzung ist die Motivation von Vorgesetzten

und Beschäftig ten, einen konstruktiven und innovativen Umgang mit

Fehlern zu erlernen. Ziel des VEIN-Projektes ist die Etablierung einer ver-

trauensbasierten Lernkultur, in der der Umgang mit Fehlern und fehler -

induzierten Problemlösun gen in einer konsensfähigen Art erfolgt. Die

interdisziplinäre Zusammenstellung des Projektkonsortiums gewährleistet

eine ganzheitliche Projektgestaltung und Betriebsanalyse.

Eva Ludwig, Matthias Jansen

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Theoretischer und praktischer Ausgangspunktder Arbeiten im Verbundprojekt WertFlex ist dasindividuelle Zusammenspiel von Werten, Moti-ven, Eigenschaften und Kompetenzen, d.h. diePersönlichkeit jedes Einzelnen. Sie wird als we-sentliche Basis dafür erachtet, ob und wie er-folgreich sich Personen in Innovationsprozesseeinbringen. Mit auf die Persönlichkeit zuge-schnittenen Maßnahmen können Führungs-kräfte zur Förderung innovationsbezogenerKompetenzen sowie zum behutsamen Abbauindividueller Innovationswiderstände befähigtwerden. Bestimmung und Bearbeitung persönli -cher Werte, Ziele, Stärken und Entwicklungsfel -der sind Inhalt der Coachings und Workshops,um insbesondere Führungskräfte beim Ausbauinnovationsförderlicher Verhaltensweisen zuunterstützen.

Vertrauens- und InnovationsfähigkeitGemeinsames Merkmal von Innovations- undVertrauensfähigkeit sind persönliche Kompe-tenzen im Umgang mit Risiken und Wertkon-flikten: Ohne individuelle Risikobereitschaftsind weder langfristige Vertrauens- noch Inno-vationsprozesse möglich. Zugleich gilt es, erlebteSpannungsverhältnisse zwischen Bedürfnissennach Sicherheit und Stabilität einerseits (Ver-trautes) sowie Veränderung, Anregung undWandel andererseits (Unvertrautes, Neues) auf-zulösen und Verhaltensweisen zu finden, umbeide Bedürfnisse angemessen zu berücksich-tigen. Durch gezielte Selbst- und Wertereflexionlässt sich eine entsprechende Persönlichkeits-entwicklung anstoßen (Laux & Schmitt, 2008).

Was ist Vertrauen?Es können verschiedene Arten von Vertrauenunterschieden werden: a) Selbstvertrauen, ver-standen als tiefer, situationsübergreifenderGlau be an die eigenen Fähigkeiten, b) Vertrauenin andere Personen, also die Bewertung andererals vertrauenswürdig sowie c) Vertrauen in Ins -titutionen (Systeme, Organisationen). Vertrauenim Allgemeinen impliziert eine risikobehafteteBeurteilung bzw. Vorleistung, die eine Person er -bringt. Durch eine vertrauensvolle Handlung wirdein Schaden oder eine Verletzung riskiert. DiesesRisiko kann die Person tragen, weil sie die positi -ve Erwartung (= Vertrauen) hat, dass der Vertrau -ensnehmer ihre Verletzlichkeit nicht ausnutzt(Osterloh & Weibel, 2006; Petermann, 1996).

In der Rolle des Vertrauensnehmers, d.h. einerPerson, der vertraut wird, muss eine Führungs-kraft zudem über Eigenschaften und Attributeverfügen, die Vertrauenswürdigkeit anzeigen.Ein Vorgesetzter, dessen Absichten nicht klarsind, der allzu oft seine Meinung oder seineBewer tungskriterien ändert oder der eigeneFehler anderen zuschiebt, wird kaum als ver-trauenswürdig wahrgenommen werden. Dem-zufolge sollte eine Führungskraft in ihrem Ver-halten authentisch wirken, soziale Kompetenzenbesitzen und über das nötige Maß an Selbst-konsistenz verfügen, damit ihr Vertrauen ent-gegengebracht werden kann.

Unterstützung individueller Vertrauens -fähigkeit und VertrauenswürdigkeitDie Maßnahmen, die im Rahmen des Verbund-projekts WertFlex entwickelt und eingesetztwerden, richten sich vorrangig an Führungs-kräfte und Nachwuchsführungskräfte. Sie wer-den individuell und persönlichkeitsgerecht da -bei unterstützt, die eigene Vertrauensfähigkeit,ebenso wie die eigene Vertrauenswürdigkeit kri-tisch zu hinterfragen und dadurch weiter aus-zubauen. In den Maßnahmen stehen insbeson-dere die Reflexion der eigenen Werte sowie dieAuseinandersetzung mit dem eigenen Führungs -stil im Mittelpunkt. Zudem werden alltagsnahanhand konkreter Situationen entsprechendeKompetenzen geschult. Hierbei wird unter an-derem folgenden Fragen nachgegangen: Wieauthentisch erleben mich meine Mitarbeiter?Wie kann ich meine Mitarbeiter nachhaltig zumehr kreativer Leistung motivieren? Wie gelingtes mir, durch neue Sicht- und Handlungsweisenstärker als bisher zu einer vertrauens- und inno -vationsförderlichen Kultur in meinem Unter-nehmen beizutragen?

Vertrauen und die Erhöhung inno -vativer Verhaltensweisen in Führungs-kraft-Mitarbeiter-BeziehungenÜber die Entwicklung und Implementierungent sprechender persönlichkeitsorientierter Maß-nahmen hinaus wurde im Rahmen des Ver -bundprojekts WertFlex eine Interviewstudie mitinsgesamt 135 Fach- und Führungskräften aus14 verschiedenen Unternehmen durchgeführt,um subjektive Theorien zu innovations-, ver trau -ens- und wertebezogenen Prozessen zu identi-fizieren. Subjektive Theorien spiegeln den per-

sönlichen Erfahrungshintergrund der Befragtenwieder und helfen, intersubjektiv erlebte Wirk-zusammenhänge zu verstehen. Teilergebnisseder Interviewstudie, gewonnen anhand quali-tativer Inhaltsanalysen, beschäftigen sich mitdem Zusammenwirken von Vertrauen und in-novationsbezogenen Verhaltensweisen im Füh-rungsalltag.

Vertrauen und InnovationskulturVertraut die Führungskraft ihren Mitarbeitern,erhalten diese von ihr mehr Gestaltungsfrei-räume, um ihre persönlichen Kompetenzen ein-zubringen. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit,dass sich die Mitarbeiter selbst eher (zu)trauen,innovationsbezogene Verhaltensweisen zu zei-gen. Eine Vertrauensbeziehung zwischen Mit-arbeitern und Führungskraft wirkt sich darüberhinaus positiv auf die Authentizität der Mitar-beiter gegenüber ihrer Führungskraft aus: DieMitarbeiter können ihre Werte und Ideen offenund angstfrei im Unternehmen kommunizieren.Durch diese Authentizität werden sie selbst alsvertrauenswürdiger wahrgenommen. Auf dieseWeise kann Vertrauen entstehen, das wesentli-cher Bestandteil einer Innovationskultur ist.

LiteraturLaux, L., & Schmitt, C. (2008). Innovation und Persönlichkeit. InL. Laux (Hrsg.), Persönlichkeitspsychologie, S. 312-321. Stuttgart:Kohlhammer.Osterloh, M. & Weibel, A. (2006). Investition Vertrauen. Wiesbaden:Gabler.Petermann, F. (1996). Psychologie des Vertrauens. Göttingen:Hogrefe.

Die AutorenProf. Dr. Lothar Laux ist Professor em. für Persönlichkeitspsychologie und PsychologischeDiagnostik und Senior Researcher an derTrimberg Research Academy (TRAc) der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Dipl.-Psych. Christina Dornaus, Dipl.-Psych.Claudia T. Schmitt und Dipl.-Psych. SabineWabro sind wissenschaftliche Mitarbeiterinnenam Institut für Psychologie der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

Prozess der Entstehung von VertrauenSelbstvertrauen entsteht durch das Erleben vonSelbstwirksamkeit in unterschiedlichen Kontex-ten. Es handelt sich um eine generalisierteSelbstwirksamkeit. Unter Selbstwirksamkeit wie-derum wird die subjektive Überzeugung ver-standen, in einer Aufgabe erfolgreich zu sein.Die Bewältigung dieser Aufgabe wird den eige-nen Fähigkeiten oder der eigenen Anstrengungzugeschrieben. Dieses Erfolgserleben führt dazu,dass man bei nachfolgenden Aufgaben an sei-nen eigenen Erfolg glaubt. (Realistisches) Selbst-vertrauen kann als notwendige Voraussetzungfür zwischenmenschliches Vertrauen erachtetwerden (Petermann, 1996). Durch eine Stärkungindividuellen Selbstvertrauens im Rahmen un-serer Coachings – z. B. über das Bewusstmacheneigener Ressourcen und Erfolge – kann die Ver-trauensfähigkeit der Führungskraft in die Mit-arbeiter erhöht und so Führungsfähigkeit opti-miert werden.An der Gestaltung einer zwischenmenschlichenVertrauensbeziehung sind stets zwei Interakti-onspartner beteiligt: Vertrauensgeber und Ver-trauensnehmer. Einerseits muss der Vertrauens-geber über die Fähigkeit verfügen, Vertrauen zuschenken, andererseits muss der Vertrauens-nehmer über Merkmale verfügen, die als Ver-trauenswürdigkeit interpretiert werden können(z. B. Zuverlässigkeit, Integrität usw., Osterloh& Weibel, 2006).

Führungskräfte können zwischenmenschlicheVertrauensbeziehungen dadurch anstoßen, dasssie ihren Mitarbeitern die selbstständige Erle-digung von Aufgaben zutrauen und ermögli-chen, etwa durch die Versorgung mit dafür re-levanten Informationen und einer transparentenKommunikation der jeweiligen Anforderungen.Ein solches Zutrauen, gepaart mit unterstüt-zenden Rahmenbedingungen, signalisiert denMitarbeitern Vertrauen in ihre Kompetenzen.Dieser Vertrauensvorschuss durch die Führungs-kraft kann dazu beitragen, das Selbstvertrauender Mitarbeiter zu steigern, da sie die Möglich-keit bekommen, eigene Erfolge und damitSelbstwirksamkeit zu erleben. Dadurch wie-derum wird die Wahrscheinlichkeit erhöht, dassauch die Mitarbeiter selbst mehr Vertrauensfä-higkeit entwickeln. In ihrer Vorbildwirkung alsVertrauensgeber trägt die Führungskraft so zueinem vertrauensvollen Arbeitsklima bei.

Vertrauensförderungdurch Persönlichkeits-orientierungChristina Dornaus, Lothar Laux, Claudia T. Schmitt, Sabine Wabro Christina Dornaus, Lothar Laux, Claudia T. Schmitt, Sabine Wabro

Es gilt, erlebte Spannungs -

verhältnisse zwischen Bedürf -

nissen nach Sicherheit und

Stabilität einerseits (Vertrautes)

sowie Veränderung, Anre gung

und Wandel andererseits

(Unvertrautes, Neues) aufzu lösen

und Verhaltensweisen zu finden,

um beide Bedürfnisse ange -

messen zu berücksichtigen.

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Die neue Arbeitswelt ist geprägt von Komple-xität, Dynamisierung und Flexibilisierung, ge-schuldet unter anderem einem besonderenorga nisatorischen wie auch technologischenInnovationsdruck moderner Unternehmen ineiner globalisierten Wirtschaft. Erfolgreiche In-novationen erfordern ein hohes Maß an neuenLeistungen wie Kreativität, Initiative, Gespür fürimmanente Entwicklungschancen etc., die sichinhaltlich nicht eindeutig bestimmen lassen.Diese Leistungen können auch nicht klar expli-ziert und mit klassischen Kontrollinstrumentenabgebildet, geschweige denn reguliert werden(„Subjektivierung von Arbeit“). „Vertrauen stattKontrolle“ soll dies lösen.

Vertrauen wird in der Managementliteratur alsneuer Steuerungsmechanismus hervorgehoben,um Transaktionskosten in abstimmungsinten-siven Arbeitzusammenhängen zu minimieren.Skepsis gegenüber der Bereitschaft des Ma-nagements zur tatsächlichen Abgabe von Kon-

Vertrauen durch innovatives Arbeits- und Führungshandeln im Betrieb Stephanie Porschen, Judith Neumer, Fritz Böhle, Norbert Huchler, Stefan Sauer

förderung stehen für die Verankerung einer Ver-trauenskultur. Dabei zeigen insbesondere diebeiden ersten Verred-Handlungsfelder erwei-terte Handlungs- und Entscheidungsspielräumefür Beschäftigte auf:

Vertrauen durch Mitarbeiterbeteiligungin laufenden ProzessenHierzu gehört die Ermöglichung der situativenBeteiligung an laufenden Gestaltungs- und Or-ganisationsaufgaben (explizite und impliziteAushandlungen) in einer Arbeitskultur mit ho-hem Qualitätsanspruch und großer Einsatz -bereitschaft, nicht zuletzt durch die Genese vonZutrauen, Selbstvertrauen und Reziprozität.Gele genheitsstrukturen, ein Orientierungsrah-men und Qualifizierungssicherung unterstüt -zen diesen Prozess.

Vertrauen durch die wechselseitige Un-terstützung in der SelbstabstimmungDie selbstorganisierte Einbringung von Moti -vation, Kreativität und Verantwortung der Mit-arbeiter sowie eine qualitativ hochwertige Ko-operation (Ressourcensharing, pro-aktives Ein-bringen von Informationen, gemeinsame Zieleund Werte etc.) werden dann möglich, wennder Erfolg der Mitarbeiter durch Bereitstellungnotwendiger Ressourcen (Personal, Informatio-nen, Material etc.) und eine angemessene Ma-nagement- bzw. Leistungskultur („Führung alsDienstleistung“) gesichert wird.

Vertrauen trotz und durch systemische ITDie Implementierung von systemischer IT (Ein-griff in die Arbeitsprozesse!) verlangt nach derBerücksichtigung formeller und informeller Ar-beitsprozessbedarfe; dem Einbezug der Mit -arbeiter in die Ausgestaltung der Technik undeiner offenen, bedarfsgerechten Implementie-rung technischer Lösungen. Dazu ist eine be-darfsspezifische Qualifikation von Mitarbeiternerforderlich. Und es muss deutlich werden, dasssystemische IT keine (einseitige) Kontroll- undSteuerungsmaßnahme darstellt!

Selbstorganisation in diesen Handlungsfeldernmit jeweilig spezifischen Prinzipien geht nichtmit einem völligen Rückzug des Managementseinher. Dies würde auf die bekannten Wider-sprüche und Problematiken einer „subjektivier-ten“ und „entgrenzten“ Arbeit hinauslaufen.

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Vielmehr ist es eine Voraussetzung erweiterterHandlungs- und Entscheidungsspielräume derBeschäftigten, dass das Management sich beider Reorganisation von Arbeit ebenfalls in neuerWeise selbst organisiert, sich also selbst Rege-lungen gibt, die der Genese und dem Erhalt vonVertrauensbeziehungen im Unternehmen zu-träglich sind. Prinzipien, die sich hier benennenlassen, sind Aufmerksamkeit, Nachvollzug, An -ge messenheit, Verhandelbarkeit, kollektive Ent-scheidungen etc. Der neue Anspruch an Füh-rungskräfte heißt insgesamt „Leistungsermög-lichung der Mitarbeiter“, wenn diese erwei terteHandlungsspielräume tatsächlich effektiv nut-zen und somit neuen Leistungsanforderungenentsprechen sollen. Die im Folgenden aufgezeig -ten Handlungsfelder geben Hinweise auf Reali -sierungsmöglichkeiten:

Integration der Führung in die laufenden ProzesseDie kooperative Zusammenarbeit zwischen Füh-rungskräften und Mitarbeitern lässt sich durcheinen wertschätzenden Dialog und die Inte -gration von Unterschiedlichkeit unterstützen.Mitar beiter gewinnen nicht zuletzt dadurch Si -cherheit, auch anderen zu helfen (Vertrauens-brücken). Die Einbindung der Führungskräfte indie laufenden Arbeitsprozesse eröffnet diesendie Chance zur Entfaltung eines umfassendenBildes über die Leistungen der Mitarbeiter, auchüber deren „stille Leistungen“ und ermöglichtdie frühzeitige Verfolgung von Entwicklungs-verläufen. Die Mitarbeiter wissen die informier -te Begleitung, die Kommunikation auf verschie-denen Ebenen und die harmonische Verbindungvon Coaching und Controlling zu schätzen –vor allem, wenn eine angemessene realitätsnaheSteuerung der Prozesse auf der Basis authen -tischen Interesses erfahrbar wird. Eine mit „Ma-nagement by walking around“ lediglich de-monstrierte Pseudonähe führt hingegen zumVerdacht des Missbrauchs von „Vertrauen alsKontrolle“ – der Grundstein für Misstrauen.

Personalverantwortung vor OrtEine Vertrauen generierende, nachhaltige Per-sonalpolitik beruht auf konkreten Handlungs-prinzipien in Management und Führung, dieden Beschäftigten Sicherheit vermitteln. DiesePrinzipien sind: Authentizität, Ehrlichkeit, kon-sequentes und gerechtes Handeln, Ansprech-

Wie ist Vertrauen in konkrete Arbeitsprozesse eingebunden? Wie müssen Arbeit und deren

Organisation gestaltet sein, damit „neue“ Vertrauens beziehungen zwischen Stabilität und

Flexibilität auch jenseits traditioneller Sicherheiten möglich werden („neuer sozialer Ver-

trag“)? Dazu ist eine Vertrauensorganisation auf der Basis betrieblicher Handlungsfelder

hilfreich, deren Chancen und notwendigen Bedingungen im Projekt „Vertrauen in flexiblen

Unternehmen – reflexiv, erfahrungsbasiert, dynamisch“ (Verred) herausgearbeitet werden.

Stephanie Porschen, Judith Neumer, Fritz Böhle, Norbert Huchler, Stefan Sauer

barkeit der Führungskräfte im Arbeitsalltag, dasZiel langjähriger Betriebszugehörigkeit und einehumane Einschätzung der Mitarbeiter, die alsMenschen und nicht nur als Produktivkraft ge-sehen werden. Dazu gehört z. B. auch die Ein-bindung älterer Kollegen als wertvolle Kollegen.Diese Prinzipien vermitteln aber nur dann Si-cherheit, wenn sie mit Beständigkeit wirken undunabhängig von äußeren Bedingungen gelten.Gestützt wird dies zum einen durch informelleVerträge, die auf diesen Prinzipien beruhen unddeutlich über gesetzliche Mindeststandards hin -ausgehen. Zum anderen durch die Manifestie-rung dieser Prinzipien in der Organisation, wiees mit einem anerkennenden Personaleinsatz,einer interaktionsbasierten Leistungsbeurtei-lung, bedarfsorientierter Weiterbildung und derAnerkennung „stiller“ Leistungen möglich wird.

Vertrauen generiert sich in den eng zusammen-hängenden Handlungsfeldern in konkreten Ar-beitsprozessen. Dort wird wechselseitig Vertrau-enswürdigkeit erfahrbar. Eingebettet in reale,erfahrbare Prozesse ist Vertrauen, als ein nichtohne weiteres zu explizierendes Gefühl, auchnicht blind. Vor dem Hintergrund dynamischerUmwelten kann es in den gestalteten Hand-lungsfeldern erfahrungsbasiert und reflexiv an-gewandt werden. Vertrauen basiert hier auf ei-ner „erfolgreichen gemeinsamen Praxis“, für diees nicht nur eine Lösung gibt.

Die AutorenProf. Fritz Böhle leitet den Bereich Sozio -ökonomie der Arbeits- und Berufswelt an derUniversität Augsburg und ist Vorsitzender desVorstands des ISF München.

Dipl.-Soz. Norbert Huchler, Dipl.-Soz. JudithNeumer, Dr. Stephanie Porschen und Dipl.-Soz. Stefan Sauer sind Wissenschaftleram ISF München. [email protected]

trollmacht und die Befürchtung reiner Lippen-bekenntnisse erscheinen angebracht. Allerdingsist eine effiziente und effektive Zusammenar -beit ohne Vertrauen in Kollegen, Team, Abläufe,Technik und Betrieb auf der Basis neuer Orga-nisationsformen tatsächlich immer wenigerdenkbar. Dieses Vertrauen muss sich jedoch ersteinmal entwickeln und dann stetig beweisen –und zwar nicht nur im Hinblick auf die Ver-trauenswürdigkeit der Mitarbeiter, sondern auchder Unternehmen.

Ziel des Projekts Verred ist daher, geeignete An-sätze zur Bewältigung der Kehrseiten des aktu-ellen ökonomischen, arbeitspolitischen undbetrieb lichen Wandels für die Beschäftigten un-ter Beteiligung der Unternehmen zu erarbeiten.Zentraler Baustein ist die bewusste Gestaltungeiner reflexiven, erfahrungsbasierten Vertrau-enskultur im Kontext permanenten Wandels.Fünf betriebliche Handlungsfelder und darin er -ar beitete spezifische Lösungen zur Vertrauens-

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ge hen können. Um die dort festgehaltenen Mel-dungen im Rahmen regelmäßig stattfindenderKVP-Sitzungen thematisieren zu können, müs-sen sie im Vorfeld systematisch ausgewertetwerden.

Die Informationen können von jedem Mitar-beiter an einem PC oder Laptop über einenBrowser eingepflegt werden. Dies beinhaltetauch die Integration von Bildern, die mittels ei-ner Digitalkamera aufgenommen wurden. Daes sich um eine webbasierte Lösung handelt,können die Meldungen beliebigen Mitgliedernder Arbeitsgruppe sowie den Vorgesetzten pro-blemlos zur Verfügung gestellt werden. Letzteremüssen unbedingt eingebunden werden, dadiese u. a. darüber entscheiden, ob die Meldungan weitere Systeme, wie zum Beispiel SAP,weiter gegeben wird und welche Abteilung zurweiteren Bearbeitung informiert werden muss.Von den Vorgesetzten kann auch der Bearbei-tungsstand eingepflegt werden, der Auskunftüber den Grad der Abarbeitung des Problemsoder der Abweichung gibt. Dies dient als Feed-

back für die Mitarbeiter und schafft Transparenzunter den Beteiligten. Findet die Aktualisierungdes Bearbeitungszustandes nicht statt und wer-den Probleme nicht in genannten Sitzungenthematisiert, sinkt die Motivation zur Nutzungeines solchen Systems rapide.

Zur Identifikation von Abweichungen währendder Produktion ist es zunächst erforderlich, denaktuellen Standardablauf in Form eines Prozess -modells zu dokumentieren. Dies sollte unter Be-teiligung aller am Prozess beteiligten Abteilun-gen erfolgen, um sicherzustellen, dass das Pro-zessmodell die Perspektiven aller Abteilungenadäquat wiedergibt und alle Beteiligten den ge-samten Arbeitsablauf verstehen. Zur gemein-samen Erarbeitung eines solchen Prozessmodellshat sich die Modellierungsmethode SeeMe1

(Herrmann, 2012) als sehr erfolgreich erwiesen.Ihr besonderer Vorteil liegt darin, dass sie leichtzu erlernen und es mit ihr dennoch möglich ist,komplexe Vorgänge zu visualisieren. Die Metho -de besteht aus lediglich drei Basis-Elementen(siehe Abb.): Rollen (Ellipsen), die Akteure inner -halb eines Prozesses darstellen, Aktivitäten (ab-gerundete Rechtecke) die von diesen ausge -führt werden und Entitäten (Rechtecke), die zurAusführung benötigt werden. Durch die Verbin -dung der Elemente mittels gerichteter Pfeilewerden diese in Beziehung gesetzt. Sechs eckestel len Bedingungen dar.

Zusätzlich zu ihrer Funktion als Dokumentationvon Standardabläufen können Prozessmodelleim inkrementellen Innovationsprozess weitereVorteile bieten (Maschek u.a., 2011). Sie dienendazu, Schnittstellen zu anderen Abteilungen zudokumentieren und Schwachstellen zu identi-fizieren. Solche Schwachstellen können im Rah-men der genannten Kommunikationsroutinendirekt am Modell thematisiert und dokumentiertwerden (siehe handschriftliche Notizen in Abb.).Darüber hinaus ermöglichen Prozessmodelle es,die gelebte Praxis mit dem geplanten Standard-ablauf zu vergleichen, Abweichungen zu iden-tifizieren und geeignete Modifikationen vorzu-nehmen. Weiterhin können anhand der Modellezuvor beschlossene Maßnahmen auf Ihre Wirk-samkeit überprüft und ggf. modifiziert werden.Abschließend dienen die Modelle auch als An-reger für weitere Prozessinnovationen im Rah-men der Kommunikationsroutine.

Instrumente und Methoden zur Verbesserung von Vertrauenund Lernen in kontinuierlichen Verbesserungsroutinen Rainer Skrotzki, Alexander Nolte, Thomas Herrmann

Im Zentrum der im Folgenden vorgestelltenMaßnahmen stehen regelmäßige Kommuni -kationsroutinen. Sie dienen dazu, Probleme zuthematisieren, Innovationen zu entwickeln, be-reits durchgeführte Innovationen zu bewertenund geeignete Maßnahmen abzuleiten. Je nachden vorliegenden Gegebenheiten ist sowohl derZyklus dieser Routinen als auch der Bespre-chungsort zu variieren (Nolte et al., 2012). Dazukönnen verschiedene Modelle gemeinsam mitden Mitarbeitern entworfen, erprobt und ver-stetigt werden. Insgesamt können die genann-ten Kommunikationsroutinen nur dann positi -ve und nachhaltige Ergebnisse hervorbringen,wenn auch die Vorgesetzten auf geeigneteWeise involviert werden. Als Input für die ge-nannten Kommunikationsroutinen dient ein ser-verbasiertes Rückmeldesystem, das die Doku-mentation von Fehlern oder Abweichungen imProduktionsprozess direkt am Arbeitsplatz er-möglicht. Diese Meldungen können neben Pro-blemen oder Abweichungen, die während derProduktion auftreten, auch Verbesserungsideenbeinhalten, die in der Alltagsroutine verloren

Zum erfolgreichen Einsatz der genannten In stru - mente sind verschiedene Randbedingungen zuerfüllen:æ Es muss bereits ein gewisses Maß an gegen-

seitigem Vertrauen vorhanden sein.æ Alle Führungsebenen müssen das neue Be-

teiligungskonzept verstehen, mittragen undunterstützen.

æ Abgestimmte Zieldefinitionen auf vertikalerund horizontaler Ebene sind nötig.

æ Feedbackinstrumente müssen Bestandteilder täglichen Arbeit und regelmäßig genutztwerden.

æ Nutzung von Modellen für die Dokumenta-tion der Ist- und Zielzustände und zurKommunikation mit produktionsfernerenAbteilungen.

æ Die Regelkommunikation muss auch an den Arbeitsplätzen stattfinden, nicht nur in

Gruppenräumen.æ Prozessinnovationen, die durch Mitarbeiter

initiiert wurden, müssen angemessen ge-würdigt werden.

Erste Erfahrungen bei der Umsetzung der Instru -mente in anderen Bereichen belegen, dass dieNutzung an die Bedürfnisse der Belegschaftenund der Führungskräfte angepasst werden müs-

sen. Dies beinhaltet, dass über den Einsatz jederMethode ein Konsens hergestellt werden muss.Letztendlich werden die Methoden nur danngenutzt, wenn sie zu einer nachhaltigen Verbes -serung der Arbeitssituation beitragen und auchso von den Beteiligten empfunden werden. Umdies sicherzustellen, ist eine individuelle Anpas-sung der Methoden an die Bedürfnisse der je-weiligen Gruppe unerlässlich. Insgesamt lässtsich festhalten, dass sich der gewünschte Erfolgerst einstellt, wenn die genannten Ins tru menteauf geeignete Weise in das betriebliche Umfeldeingebunden und verstetigt wurden. Für sichalleine wird keine der genannten Maßnahmenden gewünschten Erfolg hervorbringen.

LiteraturHerrmann, T. (2012). Kreatives Prozessdesign – Konzepte undMethoden zur Integration von Prozessorganisation, Technik undArbeitsgestaltung. Berlin: Springer.Maschek, T., Nolte, A., Skrotzki, R., Deuse, J., Ludwig, E., & Nitka, F.(2011). Einsatz einer semistrukturierten soziotechnischen Model-lierungsmethode zur partizipativen Erarbeitung von Prozessbe-schreibungen als Grundlage inkrementeller Innovationsprozesse.Mensch, Technik, Organisation, Vernetzung im Produktentstehungs-und -herstellungsprozess (S. 913–916). Gfa Press, Dortmund.Nolte, A., Maschek, T., Skrotzki, R., & Deuse, J. (2012). Effekte vonFeedbackinstrumenten in inkrementellen Innovationsprozessen– ein Praxisbericht. Gestaltung nachhaltiger Arbeitssysteme (S.967–971). Gehalten auf der GfA, Dortmund: Gfa Press.

1 SeeMe ist kostenlos erhältlich unter: http://www.seeme-imtm.de

Im VEIN-Projekt (www.vein-projekt.de) wurden praxistaugliche Methoden

entwickelt und erprobt, die Innovation und Vertrauensbildung in Produk-

tionsprozessen fördern. Hierzu zählen regelmäßiges Feedback, Schaffung

von Kommunikationsroutinen am Arbeitsplatz, kollaborativer Soll-Ist-Ab-

gleich anhand von Prozessmodellen in Arbeitsgruppen und arbeitsplatz-

nahe elektronische Dokumentation von Abweichungen im Arbeitsprozess.

Ausschnitt eines mit handschriftlichen Notizen versehenen Prozessmodells

Rainer Skrotzki, Alexander Nolte, Thomas Herrmann

Die AutorenDr.-Ing. Rainer Skrotzki ist akademischer Ober-rat am Institut für Arbeitswissenschaft der Ruhr-Universität Bochum und koordiniert zurzeitdas Forschungsprojekt „Vertrauen und Lernenim inkrementellen Innovationsprozess (VEIN)“[email protected]

Dipl.-Inform. Alexander Nolte ist Doktorandam Lehrstuhl Informations- und Technik -management der Ruhr-Universität [email protected]

Prof. Dr.-Ing. Thomas Herrmann leitet denLehrstuhl Informations- und Technikmanage-ment am Institut für Arbeitswissenschaft (IAW)der Ruhr-Universität Bochum. [email protected]

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Flexibilisierung erfordert oft tief greifende Ver-änderungen in der gesamten Organisation. Daskann eine Quelle der Verunsicherung für die imUnternehmen Beschäftigten darstellen. Ziel vonChange Management ist es, eine Balance vonStabilität und Flexibilität herzustellen und dieBeschäftigten am Flexibilisierungsprozess zubetei ligen. So wird Flexibilität fester Bestandteildes Unternehmens und kann von den Beschäf-tigten als Chance zum Mitgestalten der Strate-gien und Prozesse erlebt werden.

Systematische SelbstveränderungDer Prozess der systematischen Selbstverände-rung bezieht sich auf mittelfristig geplanteLernprozesse von Unternehmen, KMU-Netz -werken sowie von Managern und Mitarbeitern,innerhalb derer betriebsspezifische Lösungenerarbeitet werden. Das Management der Unter -nehmen bzw. der Netzwerke sowie die Mitarbei -ter organisieren diese Lernprozesse zunehmendselbst, worauf der Begriff „Selbstveränderung“hinweist. Dieses partizipative Vorgehen ermög-licht eine nachhaltige Verwertung der Lösungensowie den Aufbau und die Festigung von Ver-trauen der Beschäftigten in die Organisation.Für alle Lernprozesse ist eine zeitweilige Be -dingungskonstanz (Stabilität) zum Entwickelnneuer Kompetenzen (zur Flexibilisierung derAnfor derungsbewältigung) unerlässlich. Derpartizipative Charakter sichert die Akzeptanzfür Veränderungslösungen und schöpft zugleichdas Expertenwissen der Arbeitsplatzinhaber aus.Durch das Beteiligen an der gemeinsamen Lö-sungsentwicklung und -umsetzung entstehenLerngelegenheiten der betrieblichen Expertenvoneinander.

Das zugrunde liegende Lernkonzept ist das Kon-zept der Selbstwirksamkeitssteigerung (Bandura,1997) sowie die Konzeption des Aufgabenbe-zogenen Informationsaustauschs als Einheit desErmittelns veränderungswirksamer Informationin heterogenen Projektgruppen und ihres wech-selseitigen Vermittelns (Neubert & Tomczyk,1986; Pietzcker & Looks, 2010). Die Beteiligtenentwickeln lernförderliche Arbeitsprozessgestal-tungslösungen selbst und lernen dabei zugleichaufgrund ihrer heterogenen Expertise vonein -ander.

Lerntheoretisch fundierte Flexibilisierungsstra-tegien bieten die Möglichkeit, stabile betriebli-che Bedingungen als Voraussetzungen von Fle-xibilität (bspw. als Voraussetzung von Lernfort-schritten) zu schaffen und umgekehrt zugleichFlexibilität als Voraussetzung stabiler, d.h. lang-fristiger Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeitersowie stabiler Arbeitsplätze bei stabiler Unter-nehmensexistenz zu sichern.

Entwicklung von ZielenStrategien richten das unternehmerische Han-deln an Zielen aus und ermöglichen den proak -tiven Einsatz von Flexibilisierungsmaßnahmen.Aus den Ergebniszielen werden entsprechendeMaßnahmen abgeleitet. Um das Grundsatzzielzu erreichen, ist es nötig, schrittweise die Er-gebnisziele zu realisieren. Vor der Entscheidungfür die Realisierung von entsprechenden Maß-nahmen sollten unter Berücksichtigung vonRandbedingungen und (möglichst bekannten)Einflussfaktoren deren Wirkungen (Verände-rungspotenzial) bewertet werden.

Vertrauensförderung im Rahmen dersystematischen Selbstveränderung

Uwe Debitz, Harald Jürgens, Ulrike Pietrzyk

Die Realisierung von Maßnahmen zur Flexibi -lisierung kann dabei situationsbezogen als un-mittelbare Reaktion auf akuten Handlungsbe-darf erfolgen, z. B. Kurzarbeit bei Auftrags-schwankungen. Dieses Vorgehen folgt deminduktiven Weg (vom Besonderen zum Allge-meinen). Strategisch gesehen ist es für das je-weilige Unternehmen jedoch effektiver, den de-duktiven Weg (vom Allgemeinen zum Beson-deren) zu beschreiten. Dabei wird vondefinierten und die notwendige Unternehmens-stabilität beschreibenden Zielen ausgegangen,um notwendige Veränderungsmaßnahmen ab-zuleiten und je nach Bedeutung und Wichtigkeitumzusetzen.

VeränderungspotenzialVeränderungspotenzial kann durch einen Ver-gleich zwischen einem oder mehreren Zielen unddem gegenwärtigen Zustand erkannt werden. Dieser Bewertungsprozess kann z. B. durch paar-weisen Vergleich methodisch unterstützt wer-den. Das Veränderungspotenzial ergibt sich ausden gewichteten Wirkungen, die erzielt werdenkönnen, wenn bestimmte Maßnahmen realisiertwürden. Das heißt, einzelne Maßnahmen kön-nen z. B. nur einen einzelnen bisherigen Zustandverändern bzw. zur Erreichung eines einzelnenZieles beitragen; andere Maßnahmen dagegenhaben Auswirkungen auf die Erreichung meh-rerer Ziele.

Je höher also das Veränderungspotenzial ein-zelner Maßnahmen ist, desto gewichtiger sindsie und sollten eine höhere Priorität zur Reali-sierung bekommen.

Kleinst-, kleine und mittlere Unternehmen sind oft aufgrund begrenzter Ressourcen für

Belastungen durch Konjunkturschwankungen anfällig. Das vom Bundesministerium für

Bildung und Forschung im Rahmen der Initiative „Balance von Flexibilität und Stabilität

in einer sich wandelnden Arbeits welt“ geförderte Projekt „Stabilität durch systematische

Selbst veränderung“ (STaSeV) ging der Frage nach, in welcher Form Verfahrens weisen

zur Selbstveränderung in die betrieblichen Abläufe zu integrieren sind, um die Stabilität

des Unternehmens auch in wirtschaftlich turbulenten Zeiten zu erhalten.

pativen Einsatz mit den Mitarbei-tern zugeschnitten. Die praktischeRelevanz wird durch Hintergrund-wissen, themenbezogene Erfah-rungsberichte sowie Veranstal-tungshinweise zu aktuellen Kon-gressen, Tagungen oder Workshopserhöht.

FazitDie Ergebnisse aus dem Projekt STaSeV sollenden Unternehmern helfen, die Aufmerksamkeitauf den Veränderungsbedarf zu lenken und da-bei den partizipativen Einsatz von Flexibilisie-rungsmaßnahmen eigenverantwortlich zu för-dern. Das Einbeziehen der Mitarbeiter in Flexi-bilisierungsprozesse ist entscheidend für dieVertrauensbildung. Durch eine Beteiligung nichterst bei der Umsetzung von Maßnahmen, son-dern bereits bei der Formulierung der Ziele undder Konzipierung entsprechender Maßnahmenkann Vertrauen geschaffen werden, welches füreinen nachhaltigen Erfolg der Maßnahmenuner lässlich ist. In der Toolbox zeigen Best-Practice-Beispiele Wege auf, wie Partizipationwirken kann.

Die Veränderungspotenziale werden zu Selbst-Veränderungspotenzialen, wenn das Ableitenvon Zielen, das Erkennen des Veränderungsbe-darfes sowie das Erkennen der Zusammenhängevon Zielen und Maßnahmen zum permanenten,partizipativen Prozess in der Unternehmensor-ganisation wird und die Methoden dazu imDenken und Handeln des Führungspersonalsverankert sind.

Toolbox FlexikonlineIm Rahmen des Projekts STaSeV wurde die On-line-Toolbox „Flexikonline“1 (www.flexikonline.de) entwickelt. In der Toolbox werden Informa-tionen über unternehmensinterne und -über-greifende Flexibilisierungsmaßnahmen und -werkzeuge systematisiert dargestellt. Die Tool-box soll vor allem KMU helfen, flexibel aufMarktschwankungen reagieren zu können bzw.proaktiv nach möglichen Lösungen zu suchen,indem genannte Verfahrensweisen und Hilfsmit -tel zur situationsbezogenen Selbstveränderungin die betrieblichen Abläufe integriert werden.Die dargestellten Flexibilisierungsmaßnahmensind für Geschäftsführer, Arbeitsplaner, Perso-nalleiter, Betriebsräte oder Mitarbeiter von KMUausgelegt und ausdrücklich für einen partizi-

Die AutorenDr. Ulrike Pietrzyk und Dr. Uwe Debitz sindwissenschaftliche Mitarbeiter an der Fach-richtung Psychologie der Technischen Univer-sität Dresden. [email protected],[email protected]

Dr.-Ing. Harald Jürgens ist Geschäftsführerder T.O.P. – Gesellschaft für angewandteArbeits wissenschaften mbH, Heidenau. SeineKernkompetenzen liegen in der unternehmens -individuellen Begleitung der Umsetzung tech-nisch-technologischer, arbeitsorganisatorischerund personalbezogener Maß[email protected]

LiteraturBandura, A. (1997). Self efficacy – The exercise of control. NewYork: Freeman.Neubert, J. & Tomczyk, R. (1986). Gruppenverfahren der Arbeits-analyse und Arbeitsgestal-tung. Berlin: Deutscher Verlag derWissenschaften.Pietzcker, F. & Looks, P. (Hrsg.) (2010). Der AufgabenbezogeneInformationsaustausch – zeitweilige partizipative Gruppenarbeitzur Problemlösung. Mit besonderem Blick auf Organisations-entwicklung, Wissensmanagement und betriebliche Gesund-heitsvorsorge. Zürich: vdf.

1 Der Name „Flexikonline“ setzt sich zusammen aus Flexibilisie-rungsmaßnahmen, Lexikon und online.

Uwe Debitz, Harald Jürgens, Ulrike Pietrzyk

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Beim Management der Entwicklung systemi-scher IT-Lösungen ist in den letzten Jahren einWandel zu konstatieren, der nicht zuletzt Ein-fluss auf die Beziehung zwischen Kunde undEntwickler hat. Aus dem IT-Sektor stammendeKonzeptionen agilen Projektmanagements set-zen iterative Prozesse mit enger Kundenbindungan die Stelle umfassender, vorausdefinierenderVertragswerke. Die Kunden agiler Entwicklungs-projekte werden in kurzfristigen Zyklen überdas Fortschreiten ihres Projekts informiert undkönnen Einfluss auf die weitere Entwicklungnehmen. Die Kundeneinbindung stellt jedochhäufig einen neuralgischen Punkt agiler Ansätzedar, da Kunden oftmals mehr an der vermeint-lichen Sicherheit umfassender Vertragswerke,als an einer laufenden Prozesseinbindung undan Einflussmöglichkeiten liegt. Agiles Projekt -management fordert Kunden die „riskante Vor -leistung“ Vertrauen ab, wo konventionelles Vor -gehen (scheinbar) juristisch fixierte Sicherheitbietet. Entgegen der formalen Festschreibungbietet agiles Projektmanagement jedoch immernotwendiger werdende Flexibilitätsspielräumeim Entwicklungsprozess von IT-Lösungen.

Dem entspricht die Vertrauenskonzeption imProjekt Verred, das die Potenziale von Vertrauenbetont und Vertrauen nicht als defizitäre Not-lösung ansieht. Ziel ist es daher, das Vorgehenin den untersuchten Entwicklungs- und Imple-mentierungsprojekten so agil wie möglich undso konventionell wie nötig zu gestalten. Ver-trauensbasierte agile Kooperation kann jedoch– insbesondere unter diesem Vorzeichen – nichtnach „Schema F“ erfolgen, sondern bedarf einesreflektierten Vorgehens. Zum einen müssen diebislang beim Kunden vorherrschende Interak-tionskultur (in Bezug auf Vertrauen) und dieSchlüsselpersonen beim Kunden sowie derenspezifische Interessen berücksichtigt und dasVertrauensniveau eigenen Handelns daran an-passt werden. Zum anderen ist der Arbeitspro-zess weiterer Einflussfaktor, da Vertrauen weder

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bedingungslos gegeben, noch statisch ist, son-dern sich im Prozessverlauf verändert und auchvom jeweiligen Setting inklusive dem gemein-samen Arbeitsgegenstand abhängt.

Die Notwendigkeit zu vertrauen, ist in den ein-zelnen Arbeitsprozessphasen heterogen. Vor al-lem Phasen mit einem hohen Flexibilitätsbedarfund solche, die Kontrolle des Vertragspartnersnur sehr eingeschränkt zulassen, sind vertrau-enskritisch. Insbesondere in diesen Schlüssel -situationen kann wechselseitiges Vertrauenwachsen oder erschüttert werden.

Ein anschauliches Beispiel hierfür ist der Um-gang der Projektpartner mit Verträgen. Die ver-tragliche Absicherung der Projektpartner kannsowohl vertrauensevozierend als auch vertrau-ensgefährdend wirken. So fungieren Verträgeeinerseits als Basis für Kooperation, indemwechselseitiges Vertrauen durch das Wissen,sich notfalls auf einen Vertrag berufen zu kön-nen, unterstützt wird. Andererseits beschädigtdie Explikation vertraglicher Zusicherung oft-mals bestehende Vertrauensverhältnisse undkann von Projektpartnern als Misstrauensbeweisund als Signal der Eskalation der Kooperations-beziehung wahrgenommen werden. Dieser ver-meintliche Widerspruch lässt sich durch dieKonzeption unterschiedlicher, aufeinander auf-bauender Vertrauensniveaus lösen. Im folgen-den „Vertrauensmanagementkonzept“ werdenidealtypisch drei Formen der Vertrauenspraxisunterschieden: Low-, Middle- und High-Trust.

„Low-Trust“-Situationen sind durch eine for-malisierte und instrumentelle Vertrauenskon-zeption gekennzeichnet. Zentraler Ansatz istdie formale Festschreibung, um beiden SeitenErwartungssicherheit zu bieten. Die Varianteder vertraglichen Regelung ist besonders unterAkteuren, die auf keine gemeinsame Erfahrungund/oder Kultur zurückgreifen können, ein zen-trales Element zur Sicherung von Handlungs-

kann, da die jeweiligen Interessen gegenseitigberücksichtigt werden bzw. wechselseitig Teilder (Arbeits-)Orientierung sind.

An all diesen Punkten lässt sich nun mit kon-kreten Maßnahmen zur Erhaltung und/oderSteigerung des Vertrauenslevels ansetzen. EineVorraussetzung dafür ist jedoch, dass die Per-sonen, die in agilen Projekten mit Kunden inKontakt treten, für den Umgang mit Vertrauengerüstet sind. Hierfür entwickelten wir ein Mo-dell, das die einzelnen Arbeitsphasen analysiertund Schlüsselsituationen mitsamt Handlungs-empfehlungen („Vertrauensbeweise“) für die dreiVertrauenslevels aufzeigt. Mit dessen Hilfe kön-nen nun Projektmitarbeiter Projektphasen undInteraktionssituationen hinsichtlich ihrer Ver-trauenspotenziale analysieren. Dabei unterschei-den sie zwischen Low-, Middle- und High-Trust-Situationen und entwickeln entlang von Bei-spielen entsprechend angepasste Strategien. Dabei geht es zunächst darum, eine hinrei-chende Basis herzustellen durch „Low-Trust“-Strategien (Informationen, Verträge, Image etc.),um dann darauf aufbauend Maßnahmen zurSteigerung des Vertrauensniveaus zu ergreifen(z. B. Aktivierung von Gemeinsamkeiten, Erfah-rungen und berufliche Sozialisation, Orientie-rungen, Vorleistungen etc.).

Dieses Vorgehen darf jedoch nicht instrumentellverkürzt verstanden werden. Vertrauensgene-rierende Strategien sind immer Angebote ver-trauensbasierter Interaktion und Kooperation.Letztlich ist es zudem wesentlich, dass dasDienstleistungsunternehmen entsprechendeWerte entwickelt hat und lebt, die iterativ in dieKundeninteraktion getragen werden können.

Norbert Huchler, Stefan Sauer

Die AutorenStefan Sauer und Norbert Huchler arbeitenals Wissenschaftler am ISF München. [email protected]@isf-muenchen.de

fähigkeit. Neben der schriftlichen Fixierung (z. B.in Lasten- und Pflichtenheften) existieren nochweitere Basiselemente für Vertrauen wie Zerti-fizierung und Standardisierung, Setzen auf be-reits existierende Lösungen, externe Experten,nachweisbare Reputation sowie (zertifizierte)Fachkompetenz („Signaling“). Hier geht es umdie Absicherung einer Grundbasis von Vertrauen,um Kooperation überhaupt zu ermöglichen –i.d.R. ein Zeichen für eine Kontroll- bzw. Miss-trauenskultur.

„Middle-Trust“ kennzeichnet das eher indi-rekte, symbolische Rekurrieren auf Möglichkei-ten und Gründe zu vertrauen, das über bloßeKalkulation hinausgeht. Im Fokus stehen alsonicht Informationsakkumulation und Explizie-rung, also Strategien zur Sicherheitsgenerierung(Stabilität), sondern Vertrauen in, trotz unddurch (projektgerechte) Flexibilität. Ansätzehierfür sind das Thematisieren gemeinsamer In-teressen, Unsicherheiten und Abhängigkei ten,wechselseitiges „Kennenlernen“, authentischeKommunikation und Perspektivenwechsel.Letztlich geht es um die (implizite) wechselsei-tige Erwartung der Einhaltung formaler fixierterRahmenbedingungen und Gewohnheiten inPhasen der Abwesenheit von Kontrolle.

„High-Trust“ ermöglicht das tatsächliche Ein-/Verlassen auf wechselseitiges Vertrauen („Ver-trauen schenken“). Vertrauensbasierte Vorleis-tungen werden ohne direkte Gegenleistungengegeben. An ihre Stelle tritt die (implizite) Er-wartung eines wechselseitigen Einhaltens derKooperationspraxis auf demselben Vertrauens-niveau. Je stärker die so eröffnete „Verwund-barkeit“ bzw. der Appell an die Verantwortungausfällt, desto höher kann das „Vertrauens -niveau“ eingestuft werden. In diese Kategoriefallen konkrete Vor- bzw. Zusatzleistungen,Ernstnehmen von und die Anpassung an Kun-denwünsche, Flexibilität und Kulanz, nicht-op-portunistisches Handeln trotz Kontrolllücken,„wertbasiertes Handeln“ (Orientierungen, Leit-linien, Arbeits- /Unternehmensethik, hohes In-teresse am Gegenstand, Ehrlichkeit und Authen -tizität, Sozialität und Solidarität etc.) sowie dasDiffundieren der eigenen Vertrauenskultur indas Kundenverhältnis. „High-Trust“ kennzeich-net eine sehr hohe Flexibilität, z. B. dass unab-gestimmt vom Vereinbarten abgewichen werden

Das Handlungsfeld „Vertrauen trotz und durch systemische IT“ des Projekts

Verred untersucht Implementierungsprozesse systemischer, also organisati-

ons(um)gestaltender IT beim Kunden und deren vertrauensbasierte Ausge-

staltung. Unternehmenspartner ist ein mittelständischer, prosperierender

Entwickler von Kundenbeziehungsmanagementsoftware.

Vertrauensniveaus im agilenProjektmanagementStefan Sauer, Norbert Huchler

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entierung dient hier der Ideal-Zustand für denbetrachteten Wertstrom, was die Verbesserungeines komplexen Produktionssystems als Ganzesermöglicht (Ohno, 1988).

Ebenenübergreifende Stabilisierungder VorgehensweiseDas Festlegen des Idealzustands sowie der ver-schiedenen Zielzustände ist ebenso Aufgabe derFührungskräfte wie das Coachen der ihnen un-terstellten Mitarbeiter. Das begleitende Coachingstellt sicher, dass die für die Prozessverbesserungerforderlichen Methoden systematisch einge-halten und Verbesserungspotenziale im eigenenVerantwortungsbereich erkannt werden. Hierzumuss die Person im Lernprozess wiederholendunterstützt werden, Problemstellungen im Rah-men ihrer Prozessgrenzen zu identifizieren unddiese nicht sofort außerhalb ihres Zuständig-keitsbereichs zu suchen.

Grenzen im Handlungsspielraum Es kann der Fall eintreten, dass Zielzuständetrotz Coaching innerhalb des Rahmens der Pro-zessgrenzen nicht erreicht werden können. Ins-besondere dann, wenn die maßgeblichen, nochvorhandenen Hindernisse an den Schnittstellenzwischen den Prozessen oder außerhalb desHandlungsspielraums der verantwortlichen Mit-arbeiter liegen. Der Coach muss diese Hand-lungsgrenzen erkennen, um daraus die erfor-derlichen Schritte abzuleiten, wie z. B. die Ziel-setzung anzupassen, den Handlungsspielraumdes Mitarbeiters zu erweitern oder erforderlicheSchritte zu delegieren.

Rückmeldung und ZielbindungDie Rückmeldung aus der eigenen Arbeit stei-gert die Identifikation und somit Bindung mitdem gesetzten Ziel (Wegge, 2004). Untersu-chungen haben ergeben: Je höher die Heraus-forderung bei gleichzeitig hoher Zielbindungist, desto höher ist die Leistungsbereitschaft desMenschen (Locke & Latham, 1984). Ein hohesMaß an Rückmeldung von Mitarbeitern undVorgesetzten steigert die Motivation zusätzlichdadurch, dass Mitarbeitern bewusst gemachtwird, welchen Nutzen ihre aktive Partizipationam kontinuierlichen Verbesserungsprozess für

das Unternehmen hat (Menzel, 2009). DieseForm der Rückmeldung kann über alle Ebenenbesonders gut durch eine durchgängige Kom-munikationsroutine realisiert werden.

Zusammenfassung und AusblickDer vorliegende Artikel zeigt aus system- undhumanorientierter Sicht Gründe für eine durch-gängige Kommunikation im inkrementellen Ver-besserungsprozess auf. Durch einen schnellenInformationsfluss werden Führungskräfte durchhochfrequente Kommunikationsroutinen in dieLage versetzt,

æ Ziele über die Systemebenen hinweg abzu-stimmen,

æ methodische Vorgehensweisen ebenen-übergreifend zu stabilisieren,

æ Grenzen im Handlungsspielraum zu erken-nen und zu überwinden und

æ die leistungssteigernde Zielbindung derMit arbeiter durch Rückmeldung zu erhöhen.

Innerhalb von Praxisversuchen konnte beob-achtet werden, dass gegenseitiges Vertrauen imVerbesserungsprozess durch größeren zur Ver-fügung stehenden Informationsumfang, regel-mäßiges Abstimmen der Vorgehensweisen undtransparente Zielsetzungen gestiegen ist.

LiteraturImai, M. (1997). Gemba kaizen: A commonsense low-cost approachto management. New York: McGraw-Hill.Lee, H.-J (2004). The role of competence-based trust and orga -nizational identification in continuous improvement. Journal ofmanagerial psychology, 19 (6), S. 623–639.Locke, E.A. & Latham, G.P (1984). Goal setting: A motivationaltechnique that works! New Jersey: Prentice-Hall.Menzel, F. (2009). Produktionsoptimierung mit KVP. München:FinanzBuch Verlag.Ohno, T. (1988). Toyota Production System: Beyond Large-ScaleProduction. Portland: Productivity Press.Rother, M. (2009). Toyota Kata: Managing people for improvement,adaptiveness, and superior results. New York: McGraw-Hill.Schulte-Zurhausen, M. (2005). Organisation. München: Vahlen.Spear, S. (1999). The Toyota Production System: An Example ofManaging Complex Social/Technical Systems. Harvard University:George F. Baker Foundation.Wegge, J. (2004). Führung von Arbeitsgruppen. Göttingen: Hogrefe.

Kommunikationsroutinen als arbeits-organisatorische Voraussetzung für die

inkrementelle ProzessverbesserungThomas Maschek, Sabine Hempen, Yvonne Finke, Jochen Deuse

Für die inkrementelle Verbesserung von Produk -tionsprozessen hat sich das Setzen von prozess -spezifischen Zielen als wichtige Grundvoraus-setzung herausgestellt. Führungskräfte stelltdies vor die Herausforderung, Ziele so zu formu -lieren, dass diese die spezifischen Eigenschafteneinzelner Prozesse berücksichtigen. Dies erfor-dert jedoch ein hohes Verständnis über Detailsder Einzelprozesse und deren Zusammenhängeim Gesamtsystem. Die hierzu erforderlichen In-formationen können Führungskräfte in der Re-gel nur durch regelmäßige Kommunikation mitden Mitarbeitern gewinnen. Es ergibt sich dieAnforderung, diese Kommunikation täglich auf-rechtzuerhalten, die Verbesserung von Teilpro-zessen zu unterstützen und die gewonnenenIn formationen zu aggregieren, um die Fähigkeitzu erhöhen, prozessbezogene Ziele zu definierenund dabei die Sicht auf das Gesamtsystem nichtzu verlieren.

Inkrementelle Verbesserung von ProduktionsprozessenProzessverbesserungen werden oft von KVP-Teams in Workshops definiert und umgesetzt.Im Ergebnis entstehen häufig Listen mit Maß-nahmen, die zu einer Verbesserung führenkönnten. Es besteht weder eine Ausrichtung aufeine übergeordnete Zielsetzung für die Gesamt-heit der betrachteten Prozesse noch eine sys-tematische Erprobung der Ideen. Spear (1999)beschreibt eine Ausrichtung aller Verbesserungs-schritte an einem Ideal-Zustand als Grund lagefür das Management von kontinuierlichen Ver-besserungsprozessen. Die Definition eines idea-len Zustandes dient als Orientierung für lang-fristige Entscheidungen und als Grundlage fürdie Ableitung von Zwischenzielen (Lee, 2004).Diese Zwischenziele sind als sogenannte Ziel-zustände zu verstehen. Ein Zielzustand ist dieBeschreibung eines Soll-Ablaufes für einen Pro-zess anhand prozessspezifischer Größen. Dasbedeutet, dass Zielzustände Eigenschaften einesgewünschten Prozesses, z.B. Spezifikationen vonProzessabläufen, umfassen müssen (Spear, 1999).Durch den Vergleich der im Zielzustand spezi-fizierten Soll-Abläufe mit den tatsächlichen Ist-Abläufen werden bewusst Zielspannungen er-zeugt. Rother (2009) schlägt zur Unterstützung

der kurzzyklischen Reduzierung von Abweichun-gen des Ist- vom Zielzustand eine Kommunika-tionsroutine mit einer vorgegebenen Abfolgevon fünf Fragen vor. Durch diese wird sicherge -stellt, dass kurzzyklisch Abweichungen identi-fiziert sowie Maßnahmen definiert und erprobtwerden (Imai, 1997).

Um eine solche Kommunikationsroutine nutzenzu können, müssen viele Unternehmen ihre bis-herigen Vorgehensweisen der projektorientier-ten Prozessverbesserung überdenken. So hebenz. B. Imai (1997) und Spear (1999) hervor, dassKommunikations- und Problemlösungsroutinenin den täglichen Ablauf zu integrieren sind. Un-terstützt wird dies u. a. durch eine klare perso-nelle Funktionszuordnung sowie definierte Ent-scheidungsregeln (Schulte-Zurhausen, 2005).

Die Rahmenbedingungen für die inkrementelleProzessverbesserung müssen also in der Aufbau-und Ablauforganisation eines Unternehmensintegriert sein. Ziel ist es, dass ebenenüber -greifend Coachingbeziehungen zwischen denMitarbeitern aufgebaut werden (Rother, 2009).Führungskräfte sollen ihre Mitarbeiter in derDurchführung der Kommunikationsroutinencoachen und werden ihrerseits von ihren Vor-gesetzten gecoacht. Im Folgenden werden we-sentliche Vorteile solcher engmaschigen Kom-munikationsstrukturen für die inkrementelleVerbesserung von Produktionsprozessen zusam-mengefasst.

Abstimmung der Ziele über die Systemebenen hinwegEine in der Aufbau- und Ablauforganisationverankerte inkrementelle Gesamtvorgehens-weise zur Verbesserung des Produktionssystemsist die Grundlage für eine übergreifende Koor-dination aller Abläufe. Während auf der Wert-schöpfungsebene einzelne Prozesse im Fokusstehen, wird der Verantwortungsbereich in hö-heren Systemebenen immer größer. Ziele aufden unteren Ebenen müssen mit den Zielen fürden gesamten Wertstrom in Einklang stehen.Eine stringente, über Kommunikationsroutinenverstetigte Abstimmung der einzelnen Manage-mentebenen verhindert Widersprüche. Zur Ori-

Thomas Maschek, Sabine Hempen, Yvonne Finke, Jochen Deuse

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Die AutorenProf. Dr.-Ing. Jochen Deuse leitet seit 2005 denLehrstuhl für Arbeits- und Produktionssyste me(APS) der Technischen Universität Dortmund.

Dipl.-Wirt.-Ing. Yvonne Finke, Dipl.-Ing. SabineHempen und Dipl.-Wirt.-Ing. Thomas MaschekMSIE (USA) sind wissenschaftliche Mitarbeiteram APS.

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Fazit und Ausblick Lernen im Unternehmen ist Veränderungsarbeitmit unterschiedlichen Zugängen und unter-scheidbaren, im Prinzip selbst formulierten Lern-gegenständen. Diese Arbeit wird getragen vonaktiven Mitarbeitern, die sich in formalisiertenLernvorgängen, z. B. mittels Lernaufgabensys-temen oder in organisierten Beteiligungsformenim Unternehmen tätig handelnd einbringenkönnen. Die Wege werden je nach den Bedin-gungen der Praxis unterschiedlich und indivi-duell sein. Das grundlegende Prinzip aber bleibtstets die Organisation von Lerntätigkeiten, diedafür sorgen können, dass Vertrauen handelnderlernt und verinnerlicht wird.

LiteraturKrogoll, T. & Pohl, W. (1988). CLAUS – ein Lernkonzept für die Wei -terbildung. Technische Rundschau 80/12, 18-21.Krogoll, T., Pohl, W. & Wanner, C. (1988). CNC-Grundlagenaus-bildung mit dem Konzept CLAUS. Schriftenreihe „Humanisierungdes Arbeitslebens“, Bd. 94. Frankfurt: Campus.Krogoll, T. & Schlund, M. (1991). Technik, Arbeitsorganisationund Qualifikation: Software als Werkzeug und Lerngegenstand.In: M. Frese et al. (Hrsg.), Software für die Arbeit von morgen:Bilanz und Perspektiven anwendungsorientierter Forschung, S.157-168. Berlin: Springer.Krogoll, T. & Gohde, H.-E. (1993). Auf dem Weg zur Humanen Pro -duktion. Lernen für die Arbeit im Kontext beteiligungsorientierterArbeitsgestaltung und -organisation am Beispiel der Einführungvon qualifizierter Gruppenarbeit. In: GfA (Hrsg.), Bericht zum 39.Arbeitswissenschaftlichen Kongress. Köln: Verlag Dr. Otto Schmidt.Krogoll, T. & Großmann, N. (2005). GALA-Lernaufgaben: Ge-schichte, Praxis und Perspektiven. In: G. Albrecht & W. Bähr(Hrsg.), Innovationen in der Berufsbildung – Berufsbildung imWandel, S. 124-146. Berlin: IFA-Verlag.Ulich, E. (2011). Arbeitspsychologie. Stuttgart: Schäffer-Poeschel.Strohm, O. & Ulich, E. (Hrsg., 1997). Unternehmen arbeitspsy-chologisch bewerten. Ein Mehrebenenansatz unter besondererBerücksichtigung von Mensch, Technik und Organisation. Schrif-tenreihe Mensch – Technik – Organisation, Band 10. Zürich: vdfHochschulverlag.

1 Krogoll & Schlund, 1991; Krogoll & Gohde, 19922 Vgl. erstmals Krogoll & Pohl, 1988; Krogoll, Pohl & Wanner, 1988;Krogoll & Großmann, 20053 Vgl. Ulich 2011, S. 85-86; Strohm & Ulich, 19974 Name geändert und fiktiv

Die AutorenTilmann Krogoll ist wissenschaftlicher Leiterder GALA – Gesellschaft aufgabenorientiertesLernen für die Arbeit e.V., Gerlingen. Er beschäf -tigt sich seit 25 Jahren mit der Entwicklungeffektiver Formen handlungsorientierten Ler-nens in kleinen und mittelständischen Unter-nehmen im Kontext beteiligungsorientierterFormen der Verä[email protected] www.berufspaedagogen.net www.lernaufgaben.eu

Andrea Husak ist wissenschaftliche Mitarbei-terin bei der GALA e.V. und bei der Akademiefür professionelle Berufsbildung e.V. Kitzingen.Ihr Interesse gilt schwerpunktmäßig indivi -duellen und organisationalen Lern- und Ent -wick [email protected]

Organisierte Lerntätigkeiten für die Entwicklungvon Ressourcen und Vertrauen im UnternehmenTilmann Krogoll, Andrea Husak

arbeiter sehr erfolgreich durchgeführt. Durchdie Schulungen wurden sowohl einzelne Kom-petenzen von Mitarbeitern direkt gefestigt alsauch als quasi „Transfereffekt zweiter Ordnung“Arbeits- und Umgangskulturen im Unternehmenpositiv und vertrauensvoll verändert.

Gestaltung eigener Arbeit als LerntätigkeitBetriebliche Rahmenbedingungen können fürdas persönliche (Lern-)Engagement geeignetoder auch kontraproduktiv sein. Stimmt dieserAusgangspunkt unter dem Aspekt Vertrauennicht, wird jedes an sich gut organisierte Lernenohne Erfolg bleiben. Hier wird zugleich eineorga nisierte Vertrauensarbeit benötigt. Sie be-steht in der tätigen Beteiligung von Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern an grundlegendenProzessen im Unternehmen. Diese besondereArt der Qualifizierung zur Beteiligung ist quasidie Grundlagenausbildung, die spätere formaleLernangebote erst vertrauensvoll zulässt.

Wir konnten zeigen, dass Lernen für die Balan-cearbeit im Betrieb auch ganz anders aussehenkann – nämlich beginnend mit der aktiven Ver-änderung der eigenen Prozesse und Kommuni-kation. Dies kann dann auch in ein formalesLernen münden.

Beispiel: Die Firma „Kompetenter FormenbauAG“4 ist ein mittelständisches Unternehmen derMetallbearbeitung. Die Betriebskultur spiegelteinen eher spontanen Entwicklungsprozess wi-der. In dieser Situation haben wir entschieden,keine formale Schulung mit Lernaufgabensys-temen auszuarbeiten, weil nicht gesichert war,ob der wichtige Transfer der Lerngegenständeeffektiv verlaufen könnte.

Alternativ wurde im Interesse eines optimiertenMitarbeiter-Austausches an der betrieblichenKommunikation und Kultur gearbeitet. Es wur-den Arbeitszirkel realisiert, die sich regelmäßigtreffen und typische Themen der Balancearbeitformulieren und lösungsorientiert auch fürDritte ausarbeiten. Der gesamte Vorgang ist einumfassender organisationaler Lernprozess fürdas Unternehmen, zugleich aber auch ein typi-scher Austausch des Erfahrungswissens, das diehier vorherrschende Balancearbeit mit überwie -gend sozialen Inhalten besonders auszeichnet.

Alternative Zugänge zu einer prospek-tiven RessourcenentwicklungMitarbeiter/-innen sind immer häufiger demDi lemma ausgesetzt, zwischen stabil definierterHandlungsvorgabe und einer aktuellen, davonabweichenden Prozessnotwendigkeit subjektiv,eigenverantwortlich und flexibel neu und anderszu entscheiden. Insbesondere bei Mitarbeiter/ -in nen mit einem ausgeprägten, auch informel -len Erfahrungswissen hat sich der Umgang mitsolchen Situationen zwischen Stabilität und Fle-xibilität zu einer eigenständigen Arbeitsaufgabeentwickelt, die wir Balancearbeit nennen. ImVorhaben balance.arbeit wurden daher Ansätzeprospektiven Ressourcenmanagements am Bei-spiel der Balancearbeit in zwei Unternehmenentwickelt und erprobt.

Wir gingen davon aus, dass Unterstützungsin-strumente für die persönliche Entwicklung vonMitarbeiter/-innen im Betrieb nicht per se dieForm einer Qualifizierung bzw. eines Lern -trainings annehmen müssen. Nach der Analysetypi scher Anforderungen für Balancearbeiter/-innen im Unternehmen stellte sich die Frage,in welcher Weise die entsprechenden Fähigkei-ten in der betrieblichen Praxis multipliziert wer-den könnten.

Theoretische Grundlage ist das von Krogoll 1991vorgelegte Konzept eines „Referenzpunktes Ar-beitsaufgabe“.1 Demnach ist zuerst das Ziel inForm einer zentralen persönlichkeits- und lern-förderlichen Arbeitsaufgabe zu formulieren, umdann die notwendig folgenden Veränderungenin den drei Bereichen Technik, Organisation undPersonal konkret zu formulieren (s. Abb.). DieserAnsatz in Verbindung mit dem Konzept derLernaufgabensysteme2 wurde später auch vonUlich unter der Bezeichnung „MTO-Konzept“3

veröffentlicht.

Tätigkeiten organisieren Neues undbauen Vertrauen im Unternehmen aufGrundsätzlich geht der Weg der Entwicklungimmer über die Tätigkeiten an den formuliertenArbeitsaufgaben. Im Vorhaben balance.arbeitwurden in den Unternehmen solche Lerntätig-keiten mit dem Ziel der Veränderung organisiert.Wichtigster Wirkfaktor ist ein sehr großes Ver-trauen, das die Mitarbeiter/-innen in diesen Pro-zessen aufbauen können.

Tilmann Krogoll, Andrea Husak

Kontinuierliche Kompetenzentwicklungim ProzesskontextUm eine kontinuierliche Lernkultur in einemUnternehmen zu entwickeln, sind konventio-nelle, in Seminar- oder Lehrgangsform abge-haltene externe Weiterbildungen wenig geeig-net. Gefragt sind Lernformen, die zum einenein aktives Handeln der lernenden Person undzum anderen die Auseinandersetzung mit kon-kreten Handlungskontexten beinhalten. Sie be-wirken eine deutliche Zunahme der Bereitschaftzum Lernen sowie eine wachsende Motivation,schwierige Lernprozesse anzugehen und zu be-wältigen.

Formalisierte Lernprozesse tätig organisierenDie unterschiedlichen (Lern-) Leistungsvoraus-setzungen erwachsener Beschäftigter im Unter -nehmen fordern ein Aneignungskonzept, dasRücksicht auf bisherige Lernerfahrungen nimmt.Tätigkeitsorientierte Aneignungslogik schaffthier Vertrauen in ein notwendiges persönlichesEngagement beim Lernen.

Beispiel: Die Firma „IT Sicherheitssoftware“4 be-schäftigt ca. 80 Mitarbeiter/-innen. Ein beson-ders lange im Unternehmen beschäftigter Exper -te für Software und Vertrieb erarbeitete inner-halb von vier Tagen gemeinsam mit Lernexper tenaus unserem Vorhaben ein Lernaufgabensystemeinschließlich eines für die Durchführung einerspäteren Schulung notwendigen Ausbilder-handbuchs. Der Gegenstand der Schulung war„Die Arbeit mit dem Kunden“, die zuvor als ty-pische Balancearbeit analysiert worden war. DieSchulung wurde in zwei Durchläufen für Mit-

Qualifi-kation

Technik

Organi-sation

Arbeits-aufgabe

Referenzpunkt Arbeitsaufgabe (nach Krogoll& Schlund 1991)

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Innovationsdramaturgie nach dem Heldenprinzip: Wie narrative Strukturen Vertrauen in der Organisation herstellen und sichern Karin Denisow, Nina Trobisch

Seit sich die alten Griechen davon verabschiedethatten, ihr Leben als ausschließlich götterbe-stimmt zu betrachten, haben im Zuge der Auf-klärung menschliche Erkenntnis und Vernunftdie Oberhand über die Gestaltung von Arbeit,Kooperation und Organisation gewonnen. Dochtrotzdem entziehen sich erlebte Situationen inOrganisationen oftmals dem reinen Verstehen.Planung und Agieren in Unternehmen vollzie-hen sich auch in einer Zone zwischen Wissenund Nichtwissen – dem Vertrauen auf das Gelin -gen. Unternehmensalltag ist davon ganz ent-scheidend geprägt. Denn er ist eine unendlicheAbfolge von Kommunikationssituationen, in de-nen sich Menschen treffen, die nicht ständig indie Aushandlung ihrer Beziehung treten können.Sie benötigen ein gemeinsames Fundament, aufdem sie immer wieder neu in Kontakt kommen.Dieses Fundament ist ein intuitives Gespür fürdas Maß an (Erwartungs-)Sicherheit, dass auchrisikoreiche, neue Situationen gemeinsam be-wältigt werden. Von diesem Vertrauen, den prä-reflexiven Grundannahmen, wird das Handelnin einer Organisation in viel höherem Maße be-stimmt als durch Wissen über Führung, Kom-munikation oder Change-Modelle. Luhmann (1989) bezeichnete Vertrauen als Mit-tel zur Reduktion von Komplexität, was zu „mehrMöglichkeiten des Erlebens und Handelns“ führt.Vertrauen hilft demnach Menschen, sich nichtim Detail zu verlieren, sondern ein gesamthaftesBild von Situationen zu entwickeln, das schnelleReaktionsfähigkeit ermöglicht. Endress (2002,S. 80) spricht in diesem Zusammenhang von derFunktion des Vertrauens als „ein(em) Mecha nis -mus des Absehens von Mehrdeutigkeit bzw. Am-biguität, d.h. zur Ermöglichung typisch eindeu-tiger Interpretationen und (...) als ein(em) Mecha -nismus der Ausblendung von Ambivalenz, d. h.des Stillstellens der Reflexivität.“ Vertrauen ent-steht durch Erfahrung in Interaktionsgeschich-ten. Diese Erfahrung gräbt sich in das Hirn ein.Sie wird in das Unbewusste integriert, lenkt vondort aus auf mächtige Weise die Wahrnehmungund diese wiederum ruft Verhalten hervor.

Karin Denisow, Nina Trobisch

Vertrauen ist also ein Ausdruck des Grundbe-dürfnisses nach Orientierung und Vereinfachung.Ein Mangel an Vertrauen führt zu Unzufrieden-heit, Unruhe, Stress. Vertrauensmangel ist einstarker psychischer Belastungsfaktor. Deshalbstellen sich Unternehmen die Frage: Wie kannVertrauen in Prozessen gestärkt werden, die eherdurch Ungewissheit und Risiko geprägt sind?

Unser Konzept setzt hier an. Die Bewältigung vonWandel wird entlang eines „roten Fadens“ fo kus -siert. Dieser Leitfaden ist das Heldenprinzip®.

Bei der Arbeit mit dem Heldenprinzip nehmenwir zwei Aspekte in den Fokus. Einerseits akti-vieren wir Potenziale aller beteiligten Führungs-kräfte und Beschäftigten, die im kollektiven kul-turellen Unbewussten angesiedelt sind. Dabeifolgen wir der Grundannahme, dass Prozessedes Wandels einem immer gleichen Muster un-terliegen. Seit Jahrtausenden wird es in denHeldenmythen beschrieben (Campbell, 1999).Es ist eine in uns Menschen verankerte Erfah-rung, die zugänglich gemacht werden kann,und somit Vertrauen in ein wiederkehrendessoziales Muster stärkt. Darauf baut die Drama-turgie des Heldenprinzips auf. Andererseits öff-nen wir die Vielfalt von Sinneswahrnehmungen,um das Vertrauen in die eigene Ganzheit, dasZusammenspiel von Körper, Geist, Emotion undSeele erfahrbar zu machen, also die präreflexi-ven Ressourcen zu stärken. Diesen Aspekt setz-ten wir mit ästhetisch-künstlerischen Arbeits-weisen um.

Organisationsentwicklung nach dem Heldenprinzip Der Monomythos des Helden nach Campbell be -inhaltet in seinem Kern die Transformation voneiner menschlichen Entwicklungsstufe (Identi-tät) hin zu einer nächsten. Organisationen sindfür uns lebendige Systeme, die sich als Ganzesentwickeln, unabhängig vom Agieren speziellerPersonen. Im Forschungsprojekt „Innovations-dramaturgie nach dem Heldenprinzip“ haben

wir drei Unternehmen im Prozess des Wachs-tums begleitet. Sie vollziehen jeweils die Trans-formation von einem kleinen Unternehmen miteiner begeisternden Idee hin zu einem Unter-nehmen, das mit seinem innovativen Unter-nehmenszweck und seiner Arbeitsweise Sinnund Nutzen für Kunden, Beschäftigte und dieEigner erzeugt.

Das Heldenprinzip ist der Metarahmen, in demsich der spezifische Entwicklungsprozess desUn ternehmens entfaltet.

Bevor die Beschäftigten des Unternehmens dasgemeinsame Bild der erwünschten Zukunft imUnternehmen entwickeln (der Ruf), werden des-halb alle Beteiligte in das Heldenprinzip einge-führt. Die drei Akte mit elf Stationen des Wan-dels werden erläutert. Die innere Dynamik desModells wird mit Gesten und Körperstatuen dar-gestellt. Das Modell erschließt sich leicht undkann auch mit Mythen und Märchen bebil dertwerden. Danach erfolgt eine Verknüpfung desanalogen Modells mit den vorhandenen Erfah-rungen der Beteiligten – unabhängig davon,wo diese Erfahrungen gemacht worden sind.Damit werden die Erfahrungen zunächst in eineanaloge Reflexion gebracht. Für die Beteiligtenwird sichtbar, dass auch Wandel – bestehend ausvielen kleinen Details – einem Ablauf folgt, mitdem die Erfolge und Niederlagen, Unsicherheitund Sicherheit nachvollziehbar werden.

Die Beteiligten verorten nun den aktuellen Ver-änderungsprozess des Unternehmen auf dem„Rad des Wandels“. Wo stehen wir? Was habenwir bislang vollbracht? Das sind die ressourcen-stärkenden Fragestellungen, die den Auftakt desProzesses prägen. Im Zuge einer Prozessbe -gleitung über mehrere Monate, oder gar Jahre,werden nunmehr immer wieder Realität unddas dramaturgisch-ästhetische Modell Helden-prinzip in Beziehung gesetzt. Dabei treten ins-besondere die emotionalen und intuitiven Fa-cetten des Wandlungsprozesses zutage.

Die Praxis der Organisationsentwicklung nachdem Heldenprinzip wird mit unterschiedlichenSettings gefüllt. Neben Teamworkshops findenauch Coachings, individuelle Arbeit sowie Tan-demarbeit Anwendung. Dabei haben sowohlästhe tisch-künstlerische als auch strukturell-analytische Methoden ihren Platz.

Mit den ästhetisch-künstlerischen Arbeitsweisenist es möglich, auch ganz diffusen, verbal kaumbeschreibbaren Eindrücken einen Ausdruck zugeben. Dieses gemeinsame Erleben eines ganz-heitlichen, vielfältigen und ineinander verwo-benen Entwicklungsprozesses bringt eine ausdem Inneren der Organisation wachsende Iden-tität im Unternehmen hervor. Außerdem erfah-

ren die beteiligten Beschäftigten und Führungs-kräfte durch die variable methodische Arbeitsehr direkt, in welchem Maße sie sich auch aufihre kreativen und intuitiven Fähigkeiten ver-lassen können. Auf diese Weise entsteht Schrittfür Schritt ein Vertrauen, das geprägt ist vonder implizit verankerten und im Unternehmengeteilten Grundannahme, wie Veränderungs-prozesse in Unternehmen ablaufen und auf wel-che Ressourcen es sich stützen kann. Die Arbeitmit dem Heldenprinzip verändert die Unter-nehmenskultur.

LiteraturCampbell, J. (1999). Der Heros in tausend Gestalten. Frank furt/Main: Insel-Verlag.Denisow, K. & Trobisch, N. (2011). Neue Horizonte für die Innova -tionsarbeit. Wie ein archetypisches Muster Innovationsprozessestrukturiert und stützt. præview 01/2011, S. 26-27.Endress, M. (2002). Vertrauen. Bielefeld: Transcript.Luhmann, N. (1989). Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktionvon Komplexität. Stuttgart: Enke.

Die AutorinnenDr. Karin Denisow ist Geschäftsführerin der LUMEN |Organisationsentwicklung. Inspiration. Coaching. GmbH Berlin, Organisationsberaterin und [email protected]

Nina Trobisch ist Forschungsleiterin des Pro-jektes „Innovationsdramaturgie nach demHeldenprinzip“ am Zentralinstitut für Weiter-bildung an der Universität der Künste [email protected]

In der Ausgabe 1/2011 der præview „Das Andere“ stellten die beidenAuto rinnen den Ansatz des Heldenprinzips als Strukturierungsmöglichkeitfür Innovationsprozesse vor. In dem vorliegenden Beitrag beschreiben siedessen Nutzen zur Entwicklung einer gemeinsamen Identität der Orga -nisation und einer Vertrauenskultur im Unternehmen.

Page 15: Vertrauen in Unternehmen, eine permanente Baustelle · „Von (un-) zufriedener Müdigkeit zu aktiver Veränderungskompetenz“ Ein Resümee der Fokusgruppe Vertrauen in Innovationsprozessen

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Dieses Recht auf Unzufriedenheit und Solida-rität gab es früher durchaus. Es gab den gesell-schaftlichen Konsens, dass Bergleute, Bauarbei-ter oder Akkordleistende keinen einfachen Jobmachten und daher einerseits allen Grund hat-ten, unzufrieden mit den Arbeitsbedingungenzu sein (und auch entsprechende Forderungenzu stellen), andererseits aber auch Grund hatten,Stolz auf ihre Leistung zu entwickeln. Je schwe-rer die Arbeit, desto stolzer konnte man sein,sie zu bewältigen. Niemand hätte aber je vondem Bergmann verlangt, glücklich in seiner Ar-beit zu sein. Und genau das ist heute anders.

„Love it, change it or leave it!“, das ist der Lieb-lingsspruch vieler Gesundheitsberater und Per-sonal Coaches. Wenn du deine Arbeit nichtliebst, dann ändere sie oder such dir etwas Bes-seres. Du hast es selbst in der Hand, du hast dieMöglichkeiten etwas zu verbessern. Du musstdich nicht zufriedengeben mit dem, was duhast. Du musst nichts ertragen, es sei denn, duentscheidest dich bewusst dazu. Du hast diefreie Wahl und trägst die Verantwortung selbst. Aber mal im Ernst: Welche Chance hat mandenn tatsächlich, seine Arbeitsbedingungen ent-scheidend zu ändern? Und welche realistischeChance hat der Durchschnittsbeschäftigte, ei-nen besseren Job zu finden? Bleibt nur noch,sich selbst zu ändern, aber sollte man das wirk-lich tun? Wäre es da nicht gesünder, sich auchmal mit dem Status quo abzufinden und sich –anstelle permanent nach Glück zu streben –einfach ab und an mal zu ärgern und es damitgut sein zu lassen?

Das Recht des Bergmanns auf Unzufriedenheitwar – so gesehen – durchaus eine Ressource: DieArbeiter arbeiteten, bekamen dafür ihren Lohnund schimpften gemeinsam mit den Kollegenüber die Arbeit. Das war ihr gutes, quasi durchgesellschaftlichen Konsens verbrieftes Recht.Und überdies war das gemeinsame Schimpfen,das gemeinsame Feindbild (der Chef, die Arbeit,„die da oben“) extrem wichtig für den sozialenZusammenhalt der Arbeiter – im konkreten Be-trieb wie auch als gesellschaftliche Gruppe.

Das hat sie nicht unbedingt glücklicher ge-macht, aber sie mussten sich auch nicht ständigüberlegen, ob sie denn glücklich waren. Manmusste sich damals nicht in der Arbeit verwirk-

lichen. Die Arbeiter kannten so auch nicht den„Glücksstress“, weil das Streben nach Glück inder Arbeit weder ihr Anspruch war, noch irgend -jemand es von ihnen verlangte. Und die Arbeitererfuhren auf der anderen Seite Anerkennungfür Leistung und Anstrengung, Solidarität un-tereinander und gesellschaftliche Akzeptanz.

In der heutigen Arbeitsgesellschaft ist dasdurchaus anders. Wenn du unglücklich in deinerArbeitssituation bist, dann hast du – ganz in -dividuell – etwas falsch gemacht, denn du hastnichts geändert und dir auch nicht etwas Bes-seres gesucht. Du hast dich nicht genügendbemü ht, glücklich zu werden: „You didn’tchange it, you didn’t leave it, so do not com-plain!“ Beklagt man sich dennoch, so bekommtman entsprechend nicht nur kein Mitleid, manwird auch noch stigmatisiert als derjenige, deres nicht schafft, glücklich zu werden.

Auf der anderen Seite dürfen wir auch nichtmehr stolz sein, wenn wir in widrigen Arbeits-situationen Leistung gebracht haben. Erzähltman heute Kollegen oder Freunden von schwe-rer Arbeit, langen Arbeitszeiten oder engen Ter-minen, die man durch große Anstrengung ge-schafft hat zu halten, bekommt man nicht mehrdas anerkennende Schulterklopfen, sondern inder Regel eine anklagende Belehrung über Ge-sundheitsrisiken, Auswirkungen gestörter Work-Life-Balance und Burnout-Gefahren. Man darfoffensichtlich nur noch stolz auf Leistung sein,wenn sie nicht mit Anstrengung verbunden war.Die Arbeitsgestaltung hat am amerikanischenTraum der Arbeitswelt gearbeitet: Jeder kannin der Arbeit glücklich werden, die Arbeits -forschung entwickelt dafür alle notwendigenIns trumente, eine Toolbox nach der anderen,für den Betrieb, für den Beschäftigten und fürWirtschaftsprozesse. Damit ist aber jeder dafürverantwortlich und verpflichtet, glücklich zuwerden.

Und so haben wir die Arbeitswelt kälter ge-macht, als sie jemals war, als man noch leidenund sich bemitleiden lassen durfte. Wir verwei-gern heute unzufriedenen Menschen nicht nurdas Mitgefühl, wir klagen sie an: Ihr habt euchum euer Glück nicht genügend bemüht, deshalbtragt ihr selbst die Schuld. Manchmal fürchteich, dass wir mit diesem Glücksstress schon den

Bildnachweis: Porträts: Bernd Roselieb S. 7 (Schüp-bach); Pajo Bremberger S. 7 (Schiml); photo-studio UteGötz S. 7 (Bahamondes); Engels Olching S. 9 (Wegge);Atelier Dresden S. 9 (Kleint); Klaus-Dieter Wupper S. 11

Glücksstress oder „Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung

seiner Unzufriedenheit!“

Bezugsadresse /Kontakt: Redaktion præviewgaus gmbh – medien bildung politikberatungMärkische Straße 86-88, 44141 Dortmund, fon 0231/47 73 79-30, fax [email protected], www.zeitschrift-praeview.de

impressum

præview – Zeitschrift für innovative Arbeits-gestaltung und Prävention3. Jahrgang 2012 – ISSN 2190-0485 – Erscheinungsort DortmundHerausgeber: Dr. Rüdiger Klatt, DortmundVerantwortlicher Redakteur: Kurt-Georg Ciesinger,DortmundOnline-Redaktion: Johannes JahnsLektorat: Ursula Meyer, BonnKorrektorat: Simone DanischDruck: Druckerei Schmidt GmbH & Co.KG, 44536 LünenLayout: Q3 design GbR, 44265 Dortmund, www.Q3design.de

DLR

Wir haben in der heutigen Arbeitswelt

viel erreicht. Vergleicht man die Arbeitsbedingungen

an den Fließbändern Henry Fords mit Volkswagens Gläserner

Manufaktur, so ist der Unterschied ebenso groß wie zwischen Model T und

Golf VI. Ich befürchte aber nun langsam, dass wir Arbeitsgestalter den

Beschäftigten mit unserem Versprechen, jeder könne in der Arbeit glücklich

werden, Stress machen. Und dass wir vor allem in unserer Gesellschaft

etwas verlieren, das vielleicht gerade in der heutigen Zeit sehr wichtig sein

könnte: das Recht auf Unzufriedenheit, Mitgefühl und Solidarität.

einen oder anderen in den Burnout getriebenhaben.

Deshalb meine Forderung: Gestehen wir unsdoch wieder das Recht zu, unzufrieden zu sein.Haben wir doch auch mal wieder einfach Mit-gefühl mit den Leuten, die sich von ihrer Arbeitstark beansprucht fühlen. Seien wir auch maleinfach wieder stolz, wenn wir Belastungen be-wältigt haben. Und zeigen wir doch etwas mehrBescheidenheit hinsichtlich der Zufriedenheits-ansprüche. Vielleicht macht gerade die Senkungvon (überzogenen) Ansprüchen uns zufrieden– und gesünder.

Ich plädiere nicht dafür, schlechte Arbeits -bedingungen hinzunehmen oder berechtigteForderungen nach Verbesserungen durch Mit-leid zu substituieren. Ich plädiere aber für eineweniger instrumentalistische Sichtweise aufGlück in der Arbeit. Und ich plädiere entschie -den für das freie Recht auf die individuelleEntschei dung, ob man tatsächlich etwas ver-ändert oder ob man einfach Unzufriedenheitals Teil des Lebens akzeptiert und seine Glücks-impulse woanders als ausgerechnet in der Arbeitsucht.

Kurt-Georg Ciesinger

Die Projekte – balance.arbeit „Vom reaktiven Störungs- zum prospektiven Ressourcenmanagement“ (FKZ 01FH09047-9)– STaSeV „Stabilität durch systematische Selbstveränderung“ (FKZ 01FH09070)– VEIN „Vertrauen und Lernen im inkrementellen, fehlerinduzierten Innovationsprozess“ (FKZ 01FH09141-5)– Verred „Vertrauen in flexiblen Unternehmen – reflexiv, erfahrungsbasiert, dynamisch. Neue Verfahren zur Bewältigung der Risiken des Wandels.“ (FKZ 01FH09036)– WertFlex „Wertebasiert flexibel – Chancen des Human-Ressourcen-Managements zum Erhalt und Ausbau transformationaler Innovationskultur“ (FKZ 01FH09107) werden gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Europäische Union (Europäischer Sozialfonds) im Forschungsschwerpunkt „Balance von Flexibilitat und Stabilitat in einer sich wandelnden Arbeitswelt“ und betreut durch den Projekttrager im DLR „Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen“.

prævokation

Die fruchtbarsten Diskussionen entstehen durch den Austausch

kontroverser Ansichten. Die Kolumne prævokation ist ein Fo rum

für die Formulierung von pointierten Stand punk ten abseits der

„herrschenden Meinung“.

Balance vonFlexibilität und Stabilität

(Ludwig); Lehner Altfalter S.13 (Wabro); Kohler BambergS.13 (Dornaus, Schmitt); Monika Fröhlich, Uni BambergS. 13 (Laux); ISF S. 15 (Porschen); Frank Hannewacker,Sedan Sieben München S.15, 21 (Huchler); Karla Kemp-gens S. 15 (Neumer); Mike Gallus S. 15 (Böhle); DennisLiedt ke S.17 (Skrotzki); Raimund Groß S.17 (Nolte); Jür-gen Wassmuth S.17 (Herrmann); Kathrin Juszczak, Ate-lier Dresden S. 19 (Pietrzyk); Rita Diener S. 23 (Deuse,Finke, Hempen, Maschek); Laszlo Küster, Gerlingen S. 25(Krogoll); Die ter Kraft S. 27 (Denisow).

Page 16: Vertrauen in Unternehmen, eine permanente Baustelle · „Von (un-) zufriedener Müdigkeit zu aktiver Veränderungskompetenz“ Ein Resümee der Fokusgruppe Vertrauen in Innovationsprozessen

In den Diskussionen der Fokusgruppe wurde

sichtbar, dass folgende Schnittstellenthemen –

in unterschiedlichen Ausmaßen – in allen Pro-

jekten vorhanden sind.

Sehr zentral ist in allen Projekten die Frage nach

dem angemessenen Umgang mit Fehlern: Fehler

können als Chancen im Innovationsprozess be-

griffen werden. Innovation braucht weni ger ein

reaktives Störungsmanagement als vielmehr ein

prospektives Ressourcenmanagement. Die wich-

tigste Ressource ist dabei das Vertrauen, dass bei

Fehlern nicht „verletzt“, sondern gelernt wird.

Vertrauen wird in den Projekten in seiner Viel-

dimensionalität betrachtet: Selbstvertrauen,

Beziehungsvertrauen, Prozessvertrauen und

Orga nisationsvertrauen. Es geht um Vertrauen

unter Kollegen (horizontal) und in der Hierarchie

(vertikal), beispielsweise bei der Betrachtung

betrieblicher Handlungsfelder zur Vertrauens-

genese im Zusammenhang mit Selbstorganisa-

tion und Führung, oder auch im Konzept der

transformationalen Führung und des wertschät-

zenden Umgangs miteinander. Hier stand die

Frage im Zentrum, welche Handlungsfelder in

besonderem Maße zur Entstehung von Vertrau -

en beitragen.

Vertrauen balancieren erfordert auf der individu -

ellen Ebene Zugang zu kognitiven, emotionalen,

geistigen und kreativen Ressourcen. Auf der

Ebene von Unternehmen geht es um die ins tru -

mentellen, kulturellen, räumlich-gestalte rischen

und sinngebenden Ressourcen, wenn Vertrauen

beeinflusst werden soll.

Deshalb ist die Bandbreite der in den Projekten

entwickelten Metho den und Instrumente sehr

groß, sie reichen vom Sportkonzept „Die bewe-

gende Pause“, über diver se Befragungskonzepte,

kommunikationsunterstützende Anleitungen,

Führungskräfteschulungen und computerge-

stützte Rückkopplungssoftware, bis hin zum

Konzept künstlerisch-ästhetischer Personal- und

Organisationsentwicklung.

Die Fokusgruppe hat nicht nur bekannte For-

schungstraditionen aus Psychologie, Soziologie,

Arbeitswissenschaft und Ingenieurwissenschaft

weitergeführt, sondern auch in experimenteller

Form Neuland betreten. Hier stand die Ästhetik

Pate, also die Einbeziehung von Wahrnehmung.

So wurden im letzten Fokusgruppentreffen aus

Maschendraht, Papier, Farbe und Textilien „Mo-

delle“ des Vertrauens stofflich geschaffen. Jedes

Projekt hat hier, neben den für Wissenschaftler

gewohnten kognitiven, analytischen Dimensio-

nen und Vorgehensweisen auch die emotionalen

Aspekte und inneren Bilder einfließen lassen.

Die erzeugten Artefakte wirken filigran, wie das

Vertrauen selbst auch als verletzliches Bezie-

hungsmoment erscheint. Scharfe Kanten an den

Artefakten symbolisieren dies: Wer vertraut,

zeigt sich gleichzeitig auch verletzlich. Vertrauen

muss ständig gepflegt und erneuert werden.

Eine Installation benutzte hier das Bild vom Ver -

trauen als einer Blume, die viel Sonne und Was-

ser benötigt, um gedeihen zu können. Dunkle

Wolken und Gewitter verhindern das Gedeihen

der zarten Pflanze und können es plötzlich zer-

stören.

Hier wurde die Ästhetik zum Mittel der ganz-

heitlichen Kommunikation. Auf der einen Seite:

Eindruck schafft Ausdruck. Jedes Modell wurde

von den Erbauern mit seinen Intentionen er-

läutert, die mit dem Artefakt eine völlig neue

und ungewohnte Form gefunden hatten.

Auf der anderen Seite: Ausdruck schafft Ein-

druck. In der anschließenden Diskussion wurde

von den Rezipienten die Frage beantwortet, wie

die stofflich gewordene Sinnskulptur auf sie

wirkt. Auch die Erbauer konnten aus dieser dis-

soziierten Perspektive nochmals neue Ideen und

Erkenntnisse generieren. Der Fluss der Gedanken

kam zwischen allen Beteiligten in Gang. Die

„Bewertungsmaschine“ war abgeschaltet, Emo-

tionalität durchzog den Raum. So entstand ein

überaus lebendiges, konstruktives Gesprächs-

klima, in dem das Erleben und Erfahren der For-

scher ganzheitlich wurde.

Diese Form des ästhetisch erlebbaren Prozesses

ist eine besondere Weise, sich dem Vertrauen

als Phänomen anzunähern und es zu diskutie-

ren. Den Verständigungsprozess in der Gruppe

der Verbundprojekte hat dieses Vorgehen nicht

nur ergänzt, sondern ihn mit eigenen Erkennt-

nissen angereichert.

30 31præview Nr. 2 | 2012

„Von (un-) zufriedener Müdigkeit zu aktiver Veränderungskompetenz“Ein Resümee der Fokusgruppe Vertrauen in InnovationsprozessenKarin Denisow, Judith Neumer, Rainer Skrotzki

„Modelle“ des Vertrauens: Stofflich geschaffen aus Maschendraht,

Papier, Farbe und Textilien.

„Vertrauensbrücke und Wiege“ von Claudia Schmidt und Christina Dornaus.

Die Fokusgruppe „Vertrauen in Innovationspro-zessen“ hat sich in den letzten drei Jahren mitder Frage nach einem gemeinsamen Grundver-ständnis von Innovation und der Rolle von Ver-trauen in Unternehmen befasst und dabei neueFormen der Kooperation und Interaktion prak-tiziert und erprobt.

In allen Projekten der Gruppe wurde ein Inno-vationsverständnis deutlich, das Innovationnicht allein in den Forschungs- und Entwick-lungsabteilungen ansiedelt, im Gegenteil: In-novation wird in der modernen Arbeitswelt mehrund mehr zur Aufgabe aller im UnternehmenBeschäftigten und weiterer Akteure. Das Schlag-wort der Open Innovation, bei der auch Externe,wie Lieferanten oder Dienstleister und Kunden,in den Innovationsprozess eingebunden werden,muss zunehmend auch innerbetrieblich Folgenhaben.

Damit nehmen Ungewissheit oder Vagheit inden Prozessen zu. Nun war dies schon immerein strukturelles Merkmal von Innovationspro-zessen; die aktuelle Entwicklung, dass sich derKreis der Innovationsakteure erweitert, poten-ziert dieses Qualitätsmerkmal aber und eröffnet

damit zugleich Chancen und Risiken. In den Pro-jekten der Fokusgruppe wird somit Ungewissheitnicht als zu minimierender Restfaktor betrach-tet, sondern es werden Möglichkeiten des aktivenund vor allem produktiven Umgangs mit Unge -wissheiten erforscht.

Dabei ist klar: Wenn Ungewissheit herrscht,muss sich jemand oder die Organisation trauen,etwas zu wagen, um Neues zu schaffen. Wag-nisse sind mit Risiken verbunden. Dabei spielensoziale Risiken (Gesichtsverlust, Identitätsver-lust, Positions- oder Machtverlust) oftmals einegrößere Rolle als wirtschaftliche Risiken. Erfolg -reiche Innovationsprozesse müssen deshalb aufeinem Fundament aufbauen, das „Vertrauen“heißt, als „Wille, sich verletzlich zu zeigen“.1

Dies muss in den Unternehmen jedoch immerin einem angemessenen Verhältnis von Vertrauenund Kontrolle realisiert werden. Ist Vertrauenüberhaupt ein Gegenstand des bewussten (Ma-nagement-) Handelns? Kann es zielgerichtetbeeinflusst werden? Kann eine vertrauensvolleUnternehmenskultur entstehen, wenn man da-für z. B. ein Projekt aufsetzt? Die Projekte derFokusgruppe hatten sich zum Ziel gesetzt, die-sen Fragen nachzugehen.

Nach drei Jahren intensiver Forschung habendie Projekte viele Antworten auf und Lösungenzu Fragen um das Thema Vertrauen in Innova-tionsprozessen erarbeitet, die in diesem Heftvorgestellt werden. Gute Forschung liefert aberimmer auch Hinweise auf neue, weitere Fragenund ungeklärte Phänomene. So ist die Fragenach nachhaltigem Vertrauen in Unternehmenin einem Umfeld zunehmend erodierender Fun-damente sozialer Marktwirtschaft nach wie voroffen. Verweist die Notwendigkeit von Vertrauenauch auf eine Notwendigkeit der Entwicklungalternativer ökonomischer Modelle? Welche Ef-fekte hat die Internationalisierung von Produk-tion und Dienstleistung auf Vertrauensbezie-hungen in und zwischen Unternehmen? KannVertrauen hier als Koordinationsinstrumentwirksam sein? Auch die Frage nach Vertrauens-beziehungen zwischen Unternehmen und Öf-fentlichkeit stellt sich weiterhin – der Diskurszu Corporate Social Responsibility blendet hier-bei noch viele Aspekte aus, gleichzeitig ver -weisen neue Phänomene, wie beispielsweise dieProsumer-Idee, auf neue Felder unternehme -rischer und politischer Verantwortung. Gleich-zeitig wird der Bedarf der Wirtschaft anhalten,Konzepte und Mittel zur Gestaltung einer adä-quaten und modernen Arbeitswelt in die Handzu bekommen.

Um mit einem saloppen Fazit zu schließen: DieProjekte haben sich mit ihrem Gestaltungsauf-trag bemüht, wo angetroffen „zufriedene Mü-digkeit“ in aktive Selbstveränderungskompetenzumzumünzen. Dies kann nur der erste Schritthin zu einer neuen Qualität von Vertrauen undVertrauensbeziehungen in der Arbeitswelt selbstsein.

1 Osterloh, M. & Weibel, A. (2006). Investition Vertrauen. Wiesba den: Gabler.

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