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integrationsrat der stadt leverkusen VIELFALT interkulturelles magazin für leverkusen Schick, aber teuer Der neue elektronische Aufenthaltstitel Seite 4 Leverkusener Kunstnacht Premiere für das internationale Künstlerdorf Seite 14 Sineb El Masrar Die Autorin antwortet auf Sarrazin Seite 10 Jetzt auf 16 Seiten Nachrichten aus dem Integrationsrat, Kultur, Vereinsporträt Nasch Dwor, Meldungen u.v.m. Libyscher Arzt aus Leverkusen Statt Urlaub Hilfe im Krisengebiet Seite 2 2. ausgabe • Januar 2012

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Interkulturelles Magazin für Leverkusen

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integrationsratder stadt leverkusen

VIELFALTinterkulturelles magazin für leverkusen

Schick, aber teuer

Der neue elektronischeAufenthaltstitel

Seite 4

Leverkusener Kunstnacht

Premiere für das internationale Künstlerdorf

Seite 14

Sineb El MasrarDie Autorin antwortet

auf SarrazinSeite 10

Jetzt auf 16 SeitenNachrichten aus dem Integrationsrat, Kultur,Vereinsporträt Nasch Dwor, Meldungen u.v.m.

Libyscher Arzt aus Leverkusen

Statt Urlaub Hilfeim Krisengebiet Seite 2

2. ausgabe • Januar 2012

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Mohamed Elmahmudi ist Assis-tenzarzt im Klinikum Leverku-sen. Im August nahm er sich drei Wochen Urlaub, um in seiner Heimat Libyen zu helfen.

Als die Gefechte in Libyen ihren Höhepunkt erreichen und der Sturz des Regimes Gaddhafi immer näher rückt, macht sich auch ein Libyer aus Leverkusen auf den Weg in die Heimat. Nicht um zu kämpfen geht Mohamed Elmahmudi Anfang August nach Liby-en, sondern um zu helfen. Elmahmudi ist Arzt und lebt seit 2006 mit seiner Frau und zwei Kindern in Deutsch-land: Nach seinem Medizin-Studium in Tripolis nimmt er ein Jahr Deutsch-unterricht am Goethe-Institut in Bonn, 2007 bekommt er eine Anstellung als Assistenzarzt im Klinikum Leverkusen, in der Abteilung für Urologie. Seine Frau Asma studiert an der Universität Köln Zahnmedizin, in Leverkusen wird 2008 der dritte Sohn der beiden geboren. Finanziert wird ihr Aufenthalt in Deutschland vom libyschen Staat, der die Familie mit einem Stipendium unterstützt.

Natürlich beobachtet die Familie die Geschehnisse in ihrem Heimatland auf-merksam. „Diese libysche Revolution“,

Gaddhafi weg ist“, kündigte sie ihm damals telefonisch aus Leverkusen an, „dann hänge ich die libysche Flagge aus dem Fenster.“ – Seit dem 22. August, dem Tag der Eroberung Tripolis‘ durch die Aufständischen, weht in Wiesdorf nun die alte, neue Flagge des König-

erklärt Elmahmudi, „kam von innen, aus dem libyschen Volk heraus. Sie wurde nicht von außen hineingetragen.“ Nicht zuletzt deshalb glaubt er, dass diese Revolution alles zum Guten wen-den wird in seinem Heimatland. Seine Frau teilt diesen Optimismus: „Wenn

„Wir kannten Gaddhafi, wie ihn die Welt nicht kannte“

Mohamed Elmahmudi vor dem Marktplatz in Wiesdorf. Bild: S. Andres

Oben: Mohamed Elmahmudi auf einem Panzer, der keinen Schaden mehr anrichten wird. Unten: Elmahmudi hielt verschiedene Eindrücke fotografisch fest. Bilder: Privat

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senen Kiste“ gewesen, erklärt Elmah-mudi. Und niemand habe gewusst, wie das libysche Volk habe leiden müssen: „Wir, das libysche Volk, kennen Gad-dhafi, wie ihn die Welt nicht gekannt hat.“ Für den Diktator, der sich „Re-volutionsführer“ nannte, sei „das Spiel nun aus“, prognostizierte Elmahmudi nach dessen Sturz, gleichwohl fürchtete er, Gaddhafi werde auch weiter versu-chen, im neuen Libyen „unser Leben zu stören“. Entsprechend beruhigt nahm er die Nachricht vom Tod des Diktators auf. Denn wichtig sei nun, dass die Menschen sich sicher fühlen und zur Ruhe kommen können.

„Deutschland kann mehr“

Einen Jahre währenden bürgerkriegs- ähnlichen Zustand fürchte er nicht: Das libysche Volk sei sehr homogen, daher sehe er nicht die Gefahr weiterer Konfrontation. Es habe sich um einen

Kampf gegen das Regime Gaddhafi und gegen jene, die von die-sem Regime profitierten, gehandelt. Das En-gagement Frankreichs oder Großbri-tanniens bei dem Kampf begrüßt Elmahmudi ausdrücklich. Von Deutsch-

land sei man in Libyen, zum Beispiel aufgrund der Enthaltung bei der UN-Resolution, zwar nicht enttäuscht, aber er sei auch sicher: „Deutschland kann mehr!“ Wie er die Zukunft für sein Land Libyen sieht? Klare Antwort: Wenn das Land zur Ruhe gekommen sei, sich eine neue Oberschicht etabliert habe, müsse man sich um Libyen keine Sorgen mehr ma-chen: „Ich bin sehr optimistisch!“STEFAN ANDRES

reichs Libyen, die der libysche „Natio-nale Übergangsrat“ im Februar wieder einführte.

Elmahmudi bereut es nicht, seinen Ur-laub auf diese Weise geopfert zu haben, im Gegenteil: Man merkt ihm den Stolz auf das, was in seinem Land passiert, an, und natürlich auf seinen kleinen Beitrag dazu: „Wir haben unsere Sache gut gemacht. Wir haben vielen Leuten geholfen.“ Gewiss sei nicht alles schön gewesen: Amputationen gehörten zum Tagesgeschäft, nicht allen hätten sie noch helfen können. Die Zustände in dem kleinen Ort im Westen des Landes, in dem er in einem Hospital aushalf, seien zum Teil katastrophal gewesen, die Kämpfe nicht spurlos an den Menschen vorbei gegangen: „Die Leute lebten in Angst, auch wir hatten Angst.“ In den Hospitälern habe es keine Ärzte gege-ben und nur wenig Ausstattung. Die

Menschen seien sehr glücklich gewe-sen, ihn und drei Kollegen von „Ärzte ohne Grenzen“ vor Ort zu haben. Viele Verletzte hätten sie behandelt, und zwar, betont er, von beiden Seiten: Der der Rebellen ebenso wie der Gaddhafi-Kämpfer. „Viele von denen waren Söld-ner aus anderen Ländern“, bestätigt er, was auch in deutschen Medien berichtet wurde.

Libyen sei in den 42 Jahren unter Gad-dhafis Herrschaft wie in einer „geschlos-

Lokalmeldungen

Die Bahn-Stadt kommtDas Leverkusener Stadtentwicklungs-projekt „Neue Bahn-Stadt Opladen“ nimmt Fahrt auf: Die Bezirksregierung Köln hat dem Finanzierungsplan der Stadt für die Gleisverlegung im Westteil der Bahnstadt zugestimmt. Im Okto-ber gab der Stadtrat Grünes Licht, im November wurde die Vereinbarung über die Finanzierung unterzeichnet. Mit dem Projekt soll auf rund 72 Hektar ehemaligen Bahngeländes bis 2020 ein neuer Stadtteil entstehen. www.neue-bahn-stadt-opladen.de

Transparenz im Stadtrat Den Mitgliedern des Rats der Stadt Leverkusen können jetzt im Internet Fragen zu Leverkusener Themen gestellt werden. Die Transparenz-Plattform abgeordnetenwatch.de hat Leverku-sens Rat gemeinsam mit elf anderen Stadt- und Gemeinderäten für sein Pilotprojekt zur Einführung in Kom-munen ausgewählt. Bundestags- und Landtagsabgeordnete sind bereits länger vertreten. Die 68 Leverkusener Mandatsträger und Oberbürgermeister Reinhard Buchhorn sind jeweils mit ihrer Profilseite abrufbar, bereits gestellte Fragen und Antworten können gelesen und neue Fragen gestellt werden. www.abgeordnetenwatch.de/leverkusen-134-0.html

Schulen ohne RassismusZwei Leverkusener Schulen haben sich dem Netzwerk „Schule ohne Rassismus“ angeschlossen: Das Städtische Berufs-kolleg Bismarckstraße und die Theodor-Wuppermann-Schule in Manfort. Eine Schule erwirbt den Titel „Schule ohne Rassismus“, indem sich 70 Prozent der Schüler, Lehrer und des Personals ver-pflichten, gegen jede Form von Diskri-minierung vorzugehen, bei Konflikten einzugreifen und Projekttage zum The-ma zu veranstalten. Bundesweit gehören knapp 1000 Schulen dem Netzwerk an, darunter vier weitere in Leverkusen: Das Berufskolleg Opladen, die Gesamtschule Schlebusch, das Landrat-Lucas-Gymna-sium und die Realschule am Stadtpark.www.schule-ohne-rassismus.org

Die Ärzte beim gemeinsamen Essen, rechts Mohamed Elmahmudi. Bild: Privat

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Nach dem elektronischen Personalausweis gibt es seit September 2011 auch den elektronischen Aufenthaltstitel für „Drittstaatsangehörige“.

Karl Weidig sah viel Arbeit auf seineAbteilung zukommen. Der Leiter des Bereichs Integration und Zuwanderung beim Bürgerbüro im Rathaus Leverku-sen ließ sein Team vorsichtshalber auf-stocken, „um eineinhalb Stellen“. Die Einführung des neuen elektronischen

Aufenthaltstitel, kurz „eAT“, warf ihre Schatten voraus. Was mit dem elektro-nischen Personalausweis für deutsche Staatsbürger seit Ende 2010 möglich ist, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit dem „eAT“ im Septem-ber auch für sogenannte „Drittstaatsan-gehörige“ eingeführt – für all jene also, die die Staatsbürgerschaft eines Landes außerhalb der EU, der Schweiz, Island, Liechtenstein oder Norwegen haben. Anstelle des Klebeetiketts im jeweiligen Reisedokument als Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland, wird dem Antragsteller mit dem „eAT“ ein separates Dokument im Scheckkar-tenformat ausgestellt. Und diese Karte kann was: Mit dem „eAT“ soll man sich ebenso wie mit dem neuen Personalausweis auch im Internet ausweisen und überdies eine

Unterschriftsfunktion freischalten können. Dazu ist ein Chip in beide Do-kumente integriert. Diese neue Technik trage der Entwicklung Rechnung, „dass sich viele Aktivitäten und Geschäfte des täglichen Lebens in das Internet verla-gern oder durch digitale Anwendungen ergänzt oder ersetzt werden“, erläutert es die Begleitbroschüre des Innenmi-nisteriums. Mühseliges Ausfüllen von Formularen oder lästige Behördengän-ge? Das soll dank dem „eAT“ in Zu-kunft also seltener werden. Im Internet oder an Automaten werde man sich mit

einer Geheimnummer ausweisen können, Online-Shops, soziale Netzwerke, Banken, Versicherungen, aber auch Behörden und Ämter würden diesen Service in Zukunft häufiger anbieten, so die Ankündigung.

Die Zielsetzung für das neue Dokument freilich geht noch über diese Anforderung hinaus: Die Europäische Union verpflichtet ihre Mitgliedsstaaten mittels einer Verord-nung nämlich zur Einführung eines solchen elektronischen Aufent-haltstitels. Diese dokumente sollen so innerhalb der EU vereinheitlicht werden. Mit-hilfe biometrischer Daten wie Lichtbild und zwei Fingerab-drücken – deren Abgabe für den Aufenthaltstitel, anders als beim Personalausweis, verbindlich vorgeschrieben ist – solle die Wiedererkennung zwischen Dokument und Inhaber erhöht werden, um Missbrauch vorzubeugen.Für die rund 12.000 betroffenen Lever-kusener gilt seither: Die Klebeetiketten in den Reisepässen, Aufenthalts- und Daueraufenthaltskarte oder Ausweiser-

satz in Papierform werden durch das neue Format ersetzt. Die alten Doku-mente behalten zwar ihre Gültigkeit, aber wessen Dokument abläuft, kann nicht wählen: Man muss den elektroni-schen Aufenthaltstitel beantragen.

Einführung „geräuschlos“

Nach knapp vier Wochen seien in Leverkusen rund 150 Anträge bearbei-tet worden, erklärte Weidig gegenüber dem Integrationsrat Ende September: Die Einführung sei „relativ geräusch-los“ verlaufen. Zwar sei die Prozedur nun wesentlich aufwändiger, außerdem müsse man rund vier bis sechs Wochen warten, bis das Dokument abholbereit sei. Bislang aber gebe es keine Klagen – „außer über die Kosten“, räumte Weidig ein. Denn der Gesamtbetrag, zahlbar an der Stadtkasse, ist in der Tat beachtlich: Wo bislang 60 Euro fällig waren, fallen nun für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis Gebühren in Höhe von 110 Euro an. Überdies sind Fami-lienangehörige von Deutschen nicht mehr gebührenbefreit. Ein solches Dokument für nicht-Deut-sche Staatsbürger fordert der Integrati-onsrat Leverkusen seit den 1990er Jah-ren, mit drei Innenministern stand man

Elektronische Dokumente

Chip im Ausweis: „Wunderbar“

Leiter Karl Weidig (stehend) und Sachbearbei-ter Achim Bistram mit dem neuen Equipment: Der Bereich Integration und Zuwanderung im Rathaus stellt den neuen elektronischen Aufent-haltstitel aus. Bild: Stefan Andres

So sieht der neue elektronische Aufenthaltstitel aus. Bild: BAMF

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in Kontakt. Integrationsrats-Mitglied Hassan Essabbabi von der Liste „Inter Lev“ begrüßt die Einführung: „Dieses Dokument bietet genau das, was wir seit fast 20 Jahren fordern – und noch etwas mehr. Das ist wunderbar, es funktioniert genauso wie der neue Personalausweis.“ Dennoch fügt er kritisch an: „Die Ge-bühren sind einfach viel zu hoch. 110 Euro, das sind 50 Euro mehr als bislang. Wie kann das Dokument so viel mehr kosten als ein Personalausweis?“

Der Bund erklärt die Gebührenerhö-hungen unter anderem mit höheren Herstellungskosten sowie mit Ver-weis auf die schwierige Finanzlage bei Ländern und Gemeinden. Die 50 Euro Aufschlag teilen sich Bundesdruckerei und ausstellende Kommune. Auch beim neuen elektronischen Personalausweis sind die Kosten gestiegen: 28,80 Euro statt bislang 8 Euro sind für das neue Dokument fällig, 16- bis 18-Jährige erhalten es nicht mehr kostenlos. Auch in Leverkusen ist die Finanzsitua-tion angespannt, dennoch hat Karl Wei-dig zugesagt, bei sozialen Härtefällen zu prüfen, ob die Gebühren ermäßigt oder auf sie verzichtet werden könne. Emp-fänger sozialer Transferleistungen wie Hartz IV würden, sagt Weidig, unbüro-kratisch von den Gebühren befreit. STEFAN ANDRES

Personalausweis elektronischer Aufenthaltstitel

Format Scheckkarte Scheckkarte

Wird ausgestellt für deutsche Staatsbürger Erlaubnis zum Aufent-halt zwecks: Aus- und

Weiterbildung/Studium, Arbeitsaufnahme,

Familienzusammenfüh-rung, humanitäre Gründe

Online-Ausweisfunktion freiwillig freiwillig

Unterschriftsfunktion freiwillig freiwillig

Biometrisches Lichtbild vorgeschrieben vorgeschrieben

Fingerabdrücke freiwillig ab 6. Lebensjahr vorgeschrieben

Start 1. November 2010 1. September 2011

Gültigkeitsdauer 10 Jahre(unter dem

24. Lebensjahr: 6 Jahre)

10 Jahre

Kosten 28,80 Euro (ab dem 24. Lebensjahr)

22,80 Euro (bis zum 24. Lebensjahr)

135 Euro (Genehmigung zum Daueraufenthalt)

110 Euro (Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis von

mehr als einem Jahr)80 Euro (Verlängerung einer Aufenthaltserlaub-

nis von mehr als drei Monaten)

Kosten Neubeantragung bei Verlust

28,80 Euro 110 Euro

Nähere Informationen im Internet

www.personalausweisportal.de www.bamf.de/eaufenthaltstitel

genutzt werden und unterlägen strengen datenschutzrechtlichen Vorgaben.www.arbeitsagentur.de

Land NRW fördertIm Rahmen des mit zwei Millionen Euro ausgestatteten Landesprogramms „KOMM-IN NRW” erhalten 2011 insgesamt 59 Kreise, Städte und Ge-

meinden finanzielle Unterstützung für integrative Projekte. Laut Integrations-minister Guntram Schneider sollen die Kommunen damit bei der Umsetzung von Integrationsangeboten vor Ort un-terstützt werden. Projekte in Leverkusen haben bislang in vier Jahren Geld aus dem Programm erhalten, zuletzt 2009. www.integration.nrw.de

Migration & Integration

Arbeitsagentur fragtSeit August 2011 werden bundesweit alle Kunden der Arbeitsagenturen zu ihrer Zuwanderungsgeschichte befragt. Die Umfrage solle die Transparenz erhöhen, teilt das Amt mit. Die Daten dürften nur zu statistischen Zwecken

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– aber nicht ganz billig

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Es ist früher Morgen. 48 Frauen,Männer und Kinder pilgern in der Dämmerung eine Steigung hinauf. Sie haben die ihnen noch völlig unbekann-te Stadt erst abends zuvor erreicht, ihre Nacht war unruhig. Um 8 Uhr – das ist alles, was sie wissen – müssen sie auf dem Amt sein. Wo das Amt ist und wie sie dort hingelangen, wissen sie nicht.Der Busfahrer dürfte gestaunt haben, als an diesem Morgen an der Bushalte-stelle an der B51 in Mathildenhof

48 Menschen zugleich in seinen Buseinsteigen wollten – noch dazu sämtlich ohne Fahrkarte. „Seine Augen waren wirklich quadratisch“, erinnert sich Nina Girivenko an den Mann hinter dem Steuer. Für sie, seit 2010 Gremi-umsmitglied im Leverkusener Integra-tionsrat, begann im Jahr 2000 so ihr erster Morgen in Leverkusen. Sie sprach unter den Neuankömmlingen am bes-ten Deutsch, also wurde sie auserkoren, für die Gruppe zu sprechen. Es gelang ihr, den Busfahrer zu überzeugen, die Gruppe einsteigen zu lassen. Und ob-

Signal zur Verjüngung gegeben: Nasch Dwor macht sich fit für die Zukunft.

Wer diesem Verein beitritt, hat in aller Regel eine Vergangenheit irgendwo in den Weiten der ehemaligen Sowje-tunion. Aber nicht nur geographisch präsentieren sich die Vereinsmitglieder als heterogene Gruppe: Viele sind als Spätaussiedler Nachkommen einst aus Deutschland nach Russland Ausge-wanderter, andere sind zum Beispiel

jüdische Emigran-ten. Gemeinsam ist ihnen allen die russische Sprache - und das Wagnis eines Neuanfangs in Deutschland. Aus über das Stadtgebiet verteilten Aussiedlern und Emigranten, die ein gemeinsames Netzwerk geschaffen hatten, wird 2004 der Verein hervorge-hen. In Leverkusen leben heute rund 4000 russischsprachi-ge Menschen.

Man traf sich bei der Caritas, gemeinsam be-

reitete man das erste Weihnachtsfest in Leverkusen vor. Die Kirchengemeinde spendete einen Baum und etwas Geld für Geschenke für die Kinder. „Das war damals wirklich eine große Sache“, erinnert sich Girivenko. Die Liste der Namen all jener, die geholfen haben, ist lang. Neben Caritas oder Kirche gab es auch private Hilfe, zum Beispiel durch das Ehepaar Junkers. Girivenko: „Ohne die Unterstützung von Einheimischen hätte vieles nicht so gut funktioniert.“Im September 2004 wird der Verein „Nasch Dwor – Unser Hof“ gegründet.

wohl seine Linie gar nicht zu dem Amt in Opladen fuhr, half er ihnen dabei, ihr Ziel zu erreichen.

Viele dieser 48 Menschen aus der ehe-maligen Sowjetunion werden später zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „Nasch Dwor – Unser Hof“ gehören. Und zehn Jahre später mangelt es den Mitgliedern gewiss nicht an Orientie-rung, im Gegenteil: Der Verein, in dem seit 2004 mit Sprach- und PC-Kursen,

mit organisierter Hausaufgabenhilfe, später auch mit Tanz- oder Literatur-kursen die Integration erleichtert wird, erfindet sich neu. „Unsere Mitglieder haben heute andere Bedürfnisse als noch vor fünf Jahren, und deshalb hat auch der Verein eine neue Zielsetzung“, erläutert die Vorsitzende Bella Buchner. „Damals waren Antworten auf profane Fragen wie ‚Wie bereite ich mich auf den Gang zum Amt vor?‘ wichtig für uns.“ Diese Zeiten sind vorbei. Spätes-tens mit der Wahl der jungen Mutter zur neuen Vorsitzenden 2010 ist das

Vereinsporträt: Nasch Dwor – Unser Hof

Der Verein der russischen Gemeinde setzt auf die Jugend

Neue Zielsetzung für neue

Großer Ausflug: Die Mitglieder von Nasch Dwor organisieren gemeinsam viele Aktivitäten. Bild: Privat

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BedürfnisseHeute, vor dem Jahr 2012, sorgen die Mitglieder dafür, dass ihr Verein sich ihren Bedürfnissen anpasst. Dabei hilft ihnen Myra Paulus: Sie betreut den Verein seit Oktober 2010 in einem von der Caritas bis 2013 geförderten Projekt, Titel: „Professionalisierung von Selbsthilfe“. Ihre Aufgabe ist es, mit den Mitgliedern Konzepte für die zukünftige Vereinsarbeit zu entwickeln. „Früher ging es vor allem darum, den Mitgliedern berufliche Qualifikationen

an die Hand zu geben. Heute haben die Mitglieder längst einen höheren Grad an Integration erreicht“, erklärt Paulus: „Und sie haben weniger Zeit, weil sie beruflich stark eingebunden

steht als Motto über jeder Ausgabe.Den Verein öffnen, auch darin sieht Myra Paulus ihre Aufgabe: „Auf Men-schen mit einer ganz anderen Migrati-onsgeschichte zuzugehen“, das wünscht sie sich für die Zukunft dieses, wie sie ihn nennt, „Integra-tionsvereins“. Dazu möchte sie Impulse aus dem Ver-ein umsetzen. Bella Buchner setzt auf Initiati-ven von jungen Mitgliedern, die Musik-, Tanz- und Theatergruppen, eigene Jugendgruppen gründen.

Ein Blick zurück in die junge Geschich-te des Vereins ermutigt Buchner: „Ich sehe viele junge Menschen, die studiert haben oder sich später gestärkt in an-deren Vereinen engagiert haben.“ Auch Nina Girivenko, Buchners Vorgängerin als Vorsitzende, begrüßt den frischen Wind: „Der Verein verändert sich, die Leute kommen zu sich selbst, sie kom-men selbst zurecht und brauchen keine Hilfe mehr.“ Einen Moment hält sie inne, dann fügt sie an: „Es fällt schwer. Aber wir kommen vorwärts!“ STEFAN ANDRES

sind.“ Strukturierter und vielseitiger soll das Angebot also werden, mit einem breiteren, noch stärker auf kulturelle Bedürfnisse vor allem der jungen Leute abgestimmten Konzept soll der Genera-tionenwechsel gelingen.

„Für uns und mit uns“Seit 2005 gibt der Verein das zweispra-chige Vereinsmagazin „Echo“ heraus – auch ein Vorbild für die VIELFALT. Chefredakteur Pavel Pustovar füllt das

Heft mithilfe seiner Zuträger regelmä-ßig mit Beiträgen aus der Vereinsarbeit, aber auch mit Neuigkeiten aus dem Lokalgeschehen sowie mit Interviews und Reportagen. „Für uns und mit uns“

„Russlanddeutsche“Auf Einladung von Zarin Kathari-na II. wanderten im 18. und bis ins 19. Jahrhundert viele Bauern und Handwerker aus Deutschland an die Wolga, später nach Sibirien oder Kasachstan, um dort als Siedler am Aufbau des russischen Reiches mit-zuwirken. Ihnen war Religionsfrei-heit, Freiheit von Militärdienst und Selbstverwaltung zugesichert. Knapp 30.000 Deutsche gründeten mehr als 100 Kolonien. Ende des 19. Jahrhun-derts verloren die Kolonisten immer mehr ihrer Privilegien, während den Weltkriegen im 20. Jahrhundert wur-den die Deutschen von vielen Russen als „innere Feinde“ angesehen. 1947 lebten laut sowjetischer Volkszählung 1,2 Millionen Russlanddeutsche dort. Mit den Reformen und den Ausrei-seerleichterungen stieg die Zahl der Aussiedler, die nach Deutschland zu-rückkehrten. Seit 1993 spricht man von „Spätaussiedlern“.

Nasch Dwor – Unser HofDer Verein wurde im September 2004 gegründet, erste Vorsitzende war Nina Girivenko. Ihre Nach-folgerin als Vorsitzende von Nasch Dwor wurde 2010 Bella Buchner, 2011 wurde Jana Pustovar als ihre Stellvertreterin gewählt, Schatz-meisterin ist Ludmilla Gertner. Die Mitgliederzahl im Gründungsjahr betrug 80 Mitglieder, inzwischen hat der Verein ca. 140 Mitglieder.

Der Verein bietet Kurse zur Sprach-förderung, Schulaufgabenbetreu-ung, einen Literaturkreis, Wan-derungen, Museumsbesuche und Ausflüge an.

Kontaktadresse: Nasch Dwor – Unser Hof e.V.c/o Caritas-FIM Carl-Leverkus-Str. 13 51373 Leverkusen Vorsitzende: Bella Buchner Email: [email protected]

Die Vorsitzende Bella Buchner mit Töchterchen Victoria. Bild: A. Skrypzak

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Seit 2005 gibt der Verein das Magazin „Echo“

heraus.

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Unter dem Motto „Integrationsrat on Tour“ informierten Mitglieder des Gremiums mit Vertretern von Stadt und Polizei an vier Samstagen in den Stadt-teilen Rheindorf, Opladen, Schlebusch und Wiesdorf über Arbeit und Aufga-ben des Integrationsrates. „Wir haben mit sehr vielen Menschen gesprochen, es war ein interessanter Austausch“, zog Integrationsrats-Vorsitzender Sam Kofi Nyantakyi ein sehr positives Fazit: „Wir werden diese Tour wiederholen!“

* * *Bei einem Diskussionsabend im Juni erörterten drei Diskutanten im Forum Leverkusen die demokratischen Revo-lutionen in den arabischen Ländern und ihre Auswirkung für Deutsch-land und Europa: Neben dem Kölner Politik- und Islamwissenschaftler Loay Mudhoon berichteten die Leverkusener Ärztin Doris Friedrichs sowie Integra-tionsrats-Mitglied Hassan Essabbabi über ihre persönliche Erfahrungen aus Palästina und Marokko. Der Diskus-sionsabend wurde auf Initiative der Liste „Inter Lev“ vom Integrationsrat in Zusammenarbeit mit der Volkshoch-schule Leverkusen organisiert und stieß auf reges Interesse. Ebenfalls in Zusam-menarbeit mit dem Integrationsrat hatte die Volkshochschule im September den ARD-Nahostexperten Marcel Pott zum gleichen Thema eingeladen.

* * *Das erste Stadtteil- und Integrations-fest Rheindorf wurde im Juni unter der Regie der Aktionsgemeinschaft Rhein-dorf gemeinsam mit dem Integrati-onsrat auf die Beine gestellt. Zu einem Internationalen Familienfest luden der Klettergarten Birkenberg und der Integrationsrat im Juli ein. Ebenfalls im Juli lud das Sozialpsychiatrische Zentrum mit dem Integrationsrat zum Sommerfest nach Manfort.

* * *Mit einer Anti-Atom-Demonstration in Wiesdorf sprachen sich die Mitglie-der des Integrationsrates unmissver-ständlich für das Ende der Atomkraft in Deutschland und Europa aus. „Der In-tegrationsrat fordert die Energiewen-de“, prangte auf dem Banner, den die

Nachrichten aus dem Integrationsrat

Feste, Fußball, Demo

Dem Chempark statteten Mitglieder des Integrationsrats einen Besuch ab und erfuhren interessante Details. Bild: S. Andres

Beim Internationalen Frühstück im Geschäftsstelle gemütlich geplaudert.

Gegen Atomkraft und für die Energiewende sprachen sich die Mitglieder des Integrationsrates bei ihrer Anti-Atom-Demonstration im Mai in der Wiesdorfer Fußgängerzone aus.

Über den „Arabischen Frühling“ diskutierten im Forum (v.l.) Hassan Essabbabi, Loay Mudhoon und Doris Friedrichs. Bilder: A. Skrypzak

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Im Juli lud der Kletterpark Integrationsrat zum Intern

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Demonstranten durch die Fußgänger-zone zur Abschlusskundgebung trugen. Die Demonstration war eine Anregung der Liste „Dein Leverkusen“.

* * *Das Ausländeramt der Stadt Leverku-sen hat zugesagt, zukünftig bei Härte-fallentscheidungen, von denen auch Kinder betroffen sein können, in enger Absprache mit dem Jugendamt zu han-deln. Das sagten Ausländeramt-Leiter Karl Weidig und die stellvertretende Jugendamt-Leiterin Angela Hillen dem Gremium zu. Dies sei bereits übliche Praxis, man werde dies für die Zukunft zusätzlich schriftlich festlegen.

* * *Zu einer „Interkulturellen Sprech-stunde“ lud der Integrationsrat erstmals im November in das Rathaus ein. Die „Interkulturelle Sprechstunde“ soll 2012 regelmäßig wiederholt werden.

* * *Der Integrationsrat Leverkusen unter-stützt das vom Landtag im Oktober eingebrachte Gesetz zur Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe und Inte-gration in Nordrhein-Westfalen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes will sich das Gremium aktiv an der Umsetzung in Leverkusen beteiligen. Das Gesetz soll unter anderem die Gründung Kommu-naler Integrationszentren ermöglichen, Migrantenorganisationen effektiver un-terstützen helfen und mehr Migranten in den Öffentlichen Dienst bringen.

* * *Zum Integrationspokal lud der Inte-grationsrat in diesem Jahr erstmals auf das Sportgelände des VfL Leverkusen an der Tannenbergstraße. Das Team des serbischen Vereins Sveti Sava errang den umjubelten Sieg beim Fußballtur-nier. Das Volleyballturnier gewann der Verein Olga Taschkent. Insgesamt wett-eiferten 15 Teams beim Fußball- und sechs Teams beim Volleyballturnier.

* * *Zum jährlichen Internationalen Früh-stück lud der Integrationsrat am 12. November in seine Geschäftsstelle. Bei internationalen Köstlichkeiten fanden die Besucher Gelegenheit zum Plau-schen und Kennenlernen.

Beim Integrationspokal im Sommer an der Tannenbergstraße kickten 15 Teams um den Sieg, dazu sechs Volleyball-Teams.

Die Aktionsgemeinschaft Rheindorf lud mit dem Integrationsrat zum ersten integrativen Stadtteilfest in Rheindorf , mit traditionellen Trachten und einem abwechslungsreichen Bühnenprogramm.

Im Dialog: Der Vorsitzende Sam Kofi Nyantakyi und seine Gre-miumskollegen gingen mit dem Integrationsrat „on Tour“.

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und Debatten

Birkenberg in Opladen mit dem ationalen Familienfest.

November wurde in der

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stützer. Unsere Rettungsanker waren nicht selten ältere Damen oder He-ren, die uns – manchmal zusammen mit unseren Geschwistern – zu Hilfe kamen. Häufig waren es Zufälle, die solche Engel zu uns führten: Nachbarn kamen mit unseren Müt-tern und Vätern oder, ehrlich gesagt, gleich mit uns ins Gespräch – weil wir sie ja ohnehin besser verstanden als so manche Eltern. Gelegentlich engagierte sich auch eine ehemalige Lehrerin nach ihrer Pensionierung weiter für uns kleine Schwarzköpfe. Ich persönlich fand in der Mutter meiner Schulfreun-din, die mich eine Zeit lang für die Vorbereitung von Klausuren zu sich nach Hause einlud, meinen

Von Sineb El Masrar

Besonders als Erstgeborene – ob -als türkisches Gastarbeiter- oder als irakisches Asylbewerberkind – fanden wir früher selten schulische Unterstützung daheim; die jüngeren konnten zumindest später auf die Hilfe der älteren Geschwister bauen. Unsere Väter waren in der Regel bis zum Abend arbeiten oder ohnehin im Schichtdienst tätig. Ihren not-wendigen Schlaf holten sie am Tagnach. In diesem Zeit raum musste es mucksmäuschenstill sein, was unsere Mütter nicht daran hinderte, die Töpfe und Pfannen scheppernd in der Küche zum Einsatz zu bringen. Dies war wohl deswegen geduldet, weil das Ergebnis dieses Lautkon-zertes Essen bedeutet. Und wie man unseren Vätern heute ansieht, ging Essen immer.Unsere Mütter, ob berufstätig oder nicht, konnten ebenfalls in den sel-tensten Fällen Hilfe leisten. Selbst wenn sie in ihrer Kindheit zu den privilegierten Mädchen gehört hatten, die einige Jahre eine Schule besuchen durften. Ohne die deut-sche Sprache ordentlich zu beherr-schen, war es fast unmöglich, uns zu erklären, wie man die Seiten eines Dreiecks berechnet oder einen Satz im Plusquamperfekt formuliert. Es gab daher nur zwei Möglichkeiten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Entweder die Eltern bezahlten einenteuren Nachhilfelehrer, oder in der-Nachbarschaft fand sich ein Unter-

Sarrazin-Debatte

„Deutschland schafft sich ab“ ...warnte Thilo Sarrazin vor über einem Jahr und löste damit eine beispiellose Debatte um Integrations-politik und die Rolle der Muslime in Deutschland aus. Zustimmung und Ablehnung folgten gleicherma-ßen auf sein Buch, inzwischen gibt es auch auf dem Buchmarkt einige Antworten auf die Thesen Sarra-zins. Zu nennen sind darunter „Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam. Eine Streitschrift“ von FAZ-Feuilleton-Chef Patrick Bah-ners oder das „Manifest der Vielen – Deutschland erfindet sich neu“, herausgegeben von Hilal Sezgin. Im letztgenannten Buch schreiben ver-schiedene Autoren über ihr Leben in Deutschland. Der Beitrag von Sineb El Masrar, Gründerin der Frauen-zeitschrift „Gazelle“ und Autorin des Buchs „Muslim Girls: Wer wir sind, wie wir leben“ (erschienen 2010 bei Eichborn) gibt nach Meinung der VIELFALT-Redaktion einfache Ant-worten auf die Frage nach gelunge-ner Integration, ohne sich an pro-vokanten Thesen abzuarbeiten. Wir drucken den Text mit freundlicher Genehmigung des Blumenbar-Ver-lags und der Autorin ab.

Sineb El Masrar, geboren 1981 in Hannover, ist eine deutsche Verlegerin und Autorin. Ihr Vater ist Kfz-Schlosser und kam in den 60er Jahren aus Marokko nach Deutschland. Ende der 70er Jahre holte er Sinebs Mutter, eine Analphabetin, aus seiner Heimat nach Deutschland. Sineb El Masrar gründete 2006 die Frauenzeitschrift Gazelle; 2010 erschien ihr Buch „Muslim Girls: Wer wir sind, wie wir leben“.

Wenn glückliche Biografien retten

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rettenden Engel. Egal, wer, egal, warum – manche Ältere freuten sich schlicht, ihr Wissen mit der jüngeren Generation zu teilen; diese Persön-lichkeiten nahmen sich Zeit für uns und bemühten sich darum, dass sich unsere Noten verbesserten und wir im Unterricht mithalten konnten.Wir hörten ihnen gespannt zu, wenn sie uns von ihren Erlebnissen erzählten, über ihr Leben als Trüm-merfrauen oder über ihre entbeh-rungsreiche Kindheit, in der sie die Kartoffeln vom Feld stibitzten.

Heute finden sich besonders in den Brennpunktbezirken der Großstädte professionell organisierte, aber eh-renamtliche Hausaufgabenhilfen.Es sind pensionierte Lehrer, arbeits-lose Wissenschaftler oder Studenten, die in Büchereien oder Jugendtreffs Kindern vietnamesischer, palästinen-sischer oder türkischer Herkunftbei den Hausaufgaben helfen.Vordergründig ging es um Recht-schreibung und Algebra, abernebenbei brachte man uns deutsche Nachkriegsgeschichte nahe – mit eindrucksvollen Augenzeugenberich-ten. Und mit diesem besonderenWissen brachten wir vereinzelt sogar die Geschichtslehrer zum Staunen. Vorausgesetzt, sie ließen sich davon beeindrucken.Manchen Lehrer erinnerte dies wo-möglich an die eigenen Eltern, die zu jeder Gelegenheit von den schwe-ren Zeiten im und nach dem Krieg berichteten. Da wollten sie nicht auch noch von dem kleinen Kana-

kenklugscheißer eine neue Version hören.Für so manch ältere Dame waren wir ganz gewiss ein Enkelkindersatz,wenn sich die eigenen für sie nicht interessierten. Unsere Eltern waren erleichtert und dankbar für diese Art der Unterstützung, die wir dankens-werterweise kostenlos und ohne jedeGegenleistung bekamen. Na ja, Ge-genleistungen gab es dann manch-mal doch: Unsere Eltern überschüt-teten die freundlichen Helfer mit einem Schwall von Dankesworten in gebrochenem Deutsch oder mit kleinen süßen, fetten Köstlichkeiten aus der heimischen Küche.Nur wenige blieben zurückhaltend, vielleicht weil sie diese Hilfewirklich nicht zu schätzen wussten – was aber eher selten vorkam.Die meisten Stummfischköpfe unter unseren Eltern schwiegen, weilsie sich aufgrund fehlender Deutsch-kenntnisse nicht so ausdrückenkonnten, wie sie gern gewollt hätten oder – schlimmer noch – sich für ihr sehr bescheidenes Zuhause schäm-ten und deswegen niemanden zu sich einluden. Gerade dieses unsäg-liche Schamgefühl erweckte leider allzu oft beim deutsch-deutschen Gegenüber den falschen Eindruck, dass man sich von ihnen abgrenzen wollte. Vielleicht das folgenschwerste Missverständnis zwischen unseren Familien und ihren Nachbarn.

Nachgehakt

„Werde ihm in seinen An-sichten nie nahe stehen“Frau Lux, war es richtig, das Par-teiausschlussverfahren der SPD gegen Thilo Sarrazin zurückzunehmen?

Eva Lux MdL, Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Leverkusen: „Aus meiner Sicht hätte man gar nichts machen sollen: Dieser Sache sollte man einfach keine zusätzliche Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen. Er ist zwar weiterhin Genosse, aber ich werde diesem Menschen in sei-nen Ansichten niemals nahe stehen. Ich bin stolz auf die Bandbreite an Meinungen, die es in unserer Partei gibt, aber unsere Wertevorstellun-gen sollte man schon beherzigen. Vor Leuten, die mit dem Finger auf Missstände zeigen, habe ich-Respekt – aber man sollte sich auch überlegen, welche Lösungen es gibt und nicht einfach verbrannte Erde hinterlassen. Bauherren verdienen Respekt, Brandstifter nicht.“

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Zufälle ganze

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Kultur-Vorschau

Fremden Kulturen eine BühneMit ihrem aktuellen Spielzeit-Motto „Glaube und Wissen“ richtet die Kultur-abteilung der Bayer AG mit verschiedenen Veranstaltungen den Blick besonders auf fremde Kulturen. Hier ein kleiner Überblick über Veranstaltungen im ersten Halbjahr 2012, allesamt im Erholungshaus an der Nobelstraße in Wiesdorf:

Noch bis zum 22. Januar: „Ritus“ - Ausstellung Giorgia FiorioDie italienische Fotografin Giorgia Fiorio zeigt mit der Ausstellung Ritus das weite Feld des Glaubens – seine zeremoniellen, religiösen und liturgischen Handlungen.

Sonntag, 8. Januar, 18 Uhr: Verrücktes Blut Das Stück von Nurkan Erpulat und Jens Hillje in einer Koproduktion des Ballhaus Naunynstraße und der Ruhrtriennale bringt die „Islamdebatte“ auf die Bühne.

Dienstag, 24. Januar, 20 Uhr: NamasyarTänzerin Shantala Shivalingappa tanzt die klassische indische Tanzform Kuchipudi, begleitet von traditioneller Musik aus Nordindien.

Sonntag, 5. Februar, 18 Uhr: Goethe und der IslamGerd Wameling, Imogen Kogge und Werner Rehm haben mit Ekkehart Krippen-dorff eine Reise durch Goethes Gedichtsammlung West-Östlicher Divan erarbeitet.

Sonntag, 15. März, 18 Uhr: The Dream of getting a JobDas Ensemble des Hope Theatre Nairobi inszeniert die Geschichte des jungen Job-suchenden Myk und seiner Frau Mellisa in Nairobi als Traumreise.

Mittwoch, 6. Juni, 20 Uhr: Liebe in dunklen ZeitenJoshua Sobols Stück, inszeniert vom Theater Tacheles, erzählt die Geschichte einer Liebe zwischen einer Tanzstudentin und einem SS-Offizier im zerbombten Köln. www.kultur.bayer.de

Die KulturStadtLev hat in der laufenden Spielzeit auch Veranstaltungen im Pro-gramm, die zu einem Blick über den Tellerrand einladen: Am Sonntag, 24. Juni, 11 Uhr, spielt im BayKomm die „Grup Bosporus“ klassische türkische Musik mit Sängern und traditionellen türkischen Instrumenten. Bereits am Mittwoch, 18. Januar, 19.30 Uhr, tritt das „Ukulele Orchestra of Great Britain“ im Forum auf. www.kulturstadtlev.de

Kurz & Knapp„Für immer und ewig“ lautete der Titel der Ausstellung, mit der die Volks-hochschule Leverkusen im Oktober im Forum einen Aspekt interkulturellen Miteinanders zeigte: Zehn binatio-nale Paare erzählten in der Bild- und

Ausstellung

„Die Anderen“ Die Auseinandersetzung mit dem Unbekannten bietet der Kunst ihr Material: „Die Anderen, das sind für mich die, die mich als Individuum nicht akzeptieren“, erklärt ein Mann in den Interviews, die der Künstler und Filmemacher Züli Aladag für seine Kunstinstallation geführt hat. Die Bayer-Kulturabteilung zeigte die Aus-stellung mit dem Titel „Die Anderen“ aus dem „Labor Berlin“ im Herbst im Erholungshaus. Aladags Fotografien zei-gen nicht arrangierte Motive, sondern Muslime in Alltagssituationen in Berlin. Parallel dazu sprechen Deutsche und Muslime in Interviews über ihr Bild von den jeweils „anderen“. Die Ausstellung war zuvor in der Hauptstadt zu sehen, aber „das Thema des fremden Blicks – das passt auch in Leverkusen“, war Sigrun Angermann vom Haus der Kul-turen der Welt in Berlin mit Blick auf die Geschichte der Stadt überzeugt.

„Es gibt gegenüber dieser großen Minderheit viele Urteile, Stereotype, leider aber wenige persönliche Erfah-rungen und wenige Berührungspunkte“, erläuterte Aladag der VIELFALT. Ihm sei wichtig zu zeigen, „dass keine Gesell-schaft homogen ist“. Es gebe nicht „die Türken“, dennoch habe diese Gruppe ständig mit Minderwertigkeitskomple-xen zu kämpfen. Außer den Fotografien und Interviews bot ein Spiegel ein inter-aktives Element, an dem man „spie-lerisch mit dem Fremden umgehen“ kann, wie Aladag es formulierte: Vor ihm probierten Ausstellungsbesucher islamische Kopfbedeckungen an. „Ein humoristischer Ansatz gehört unbedingt dazu“, findet Aladag.

Ton-Ausstellung ihre ganz persönliche Liebesgeschichte. WDR-Journalistin Tiziana Caravante-Liebetanz hatte 150 Interviews ausgewertet. Das Filmfestival „Nahaufnahme“ im Oktober widmete sich den Themen

Migration und Integration auf der Lein-wand. Die KulturStadtLev zeigte in Zu-sammenarbeit mit der Volkhochschule Leverkusen und dem Scala Cinema in Opladen Filme wie „Almanya – Will-kommen in Deutschland“. Das Filmfes-tival hatte 2010 Premiere gefeiert.

KULTUR

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dass er das aus religiösen Gründen nicht machen dürfe. Damit kam der Sohn durch: Deutschland ist tolerant!

Kaminer ist auch als Botschafter unter-wegs: Er reist nach Australien, Singapur oder Frankreich, um dort deutsche Literatur zu propagieren. Und wenn er im Ausland ist, dann freue er sich, wenn er einem Deutschen begegnet. Und er ist enorm Stolz auf die Stadt, in der er wohnt: Immerhin, erzählt er, gebe es in vielen Städten der Welt ein Café mit Namen „Berlin“. In Melbourne beste-he es sogar aus zwei Teilen – Ost- und

West-Berlin.

Wenn man Kaminers heitere Geschichten hört, stellt sich unwill-kürlich die Frage, wie er selbst sich fühlt. Wie integriert er sich in die deutsche Gesellschaft? Ganz einfach, verrät er: Denke er an Russland, dann auf Russisch. Denke er an seine Steuererklärung, dann auf Deutsch. Bei vielen Russen sehe die Inte-

gration anders aus, weil ihnen Berüh-rungspunkte mit Einheimischen fehlen. Die einzigen Deutschen, die bereitwillig mit ihnen Kontakt aufnehmen, seien Zeugen Jehovas. Die Zuhörer in der Stadtbibliothek lachen – Kaminer nicht.

Bisweilen verrät er seine Position doch. Ein Verlag beauftragte ihn einmal, bibli-sche Geschichten für Kinder aufzuarbei-ten. Dafür musste er sich mit Religi-onsbegriffen auseinandersetzen, die für jemanden, der aus der atheistischen UdSSR kommt, alles andere als selbst-verständlich sind. Zum „Leben danach“ analysiert Kaminer die Vorstellungen von evangelischen, katholischen und orthodoxen Kirchen. Sein Fazit: „Zum Teufel mit dem Leben danach! Lasst uns in diesem Leben versuchen, fallen, leiden – aber nie aufgeben!“Die Weltsicht des Wladimir Kaminer: Weder optimistisch noch pessimistisch-

VADIM MARGOLIUS

Lesefest „Lev liest“

Die Weltsicht des Wladimir KaminerMit dem Auftritt von Wladimir Kaminer startete die Leverkusener Lesereihe „Lev liest“ 2011. Stadtbibli-otheks-Chefin Lucia Werder drückte ihre Erwartungshaltung mit einem Zitat aus einem Zeitungsartikel aus: „Es gibt drei Arten die Welt zu sehen: die optimistische, die pessimistische – und die von Wladimir Kaminer.“ Der

gebürtige Moskauer, der seit 1990 in Berlin lebt, schreibt Kurzgeschichten. Er pendelt stets zwischen zwei Welten und betrachtet Russland aus deutscher Sicht und Deutschland aus russischer Sicht. Er kann diese Welten vergleichen und kommt zu überraschenden Ergebnissen. Seinen Standpunkt verrät er nicht – er bleibt Beobachter.

Kaminer liest seine Geschichten über das kaukasische Dorf, in dem seine Schwiegermutter wohnt, die ihren Strom von der Eisenbahn stiehlt. Er er-zählt von den Bewohnern Sachsen-An-halts, die ihr Bundesland als „Land der Frühaufsteher“ präsentieren – und muss unweigerlich an die „Frühaufsteher“ auf der Insel Sachalin denken: Dort nennt man einen Bär nach dem Winterschlaf eben, genau: „Frühaufsteher“. Er erzählt von seinem Sohn, der im Biologieunter-richt keine Würmer präparieren wollte. Er schrieb ihm eine Entschuldigung,

25. Leverkusener Europafest

Spannende BegegnungenDas Leverkusener Europafest feierte 2011 seine 25. Ausrichtung. Über die Jahre wurde das Fest stets weiter aufge-wertet. Mittlerweile gibt es ein drei-stündiges Bühnenprogramm zum Basar mit kulinarischen Köstlichkeiten aus verschiedenen Ländern mit Auftritten von Musik- und Folkloretanzgruppen. Spannende Begegnungen gab es auf der

Freilichtbühne im Schlosspark, eine bunte Mischung aus Klezmer, Break-dance oder Folklore von Irish Folk bis Sirtaki.

In Zusammenarbeit mit dem Integra-tionsrat ist das Fest längst zu einem Höhepunkt im örtlichen Kulturka-lender avanciert. Die Geschichte des Europafestes beginnt im Frühjahr 1987: Damals beschließen Dr. Hans Georg Meyer und Manfred Gockel vom Vorstand der Europa-Union, am Lindenhof ein Fest zu veranstalten, bei dem sich die ausländischen Vereine aus Leverkusen präsentieren. Bereits im Folgejahr zieht die Veranstaltung in den Schlosspark um, weil der Ansturm auf die Stände mit den Spezialitäten der Türken, Serben, Griechen und anderen in Leverkusen beheimateten Landsleute enorm ist. Seit 1988 gibt es den europä-ischen ökumenischen Gottesdienst, der von Christen, Juden und Muslimen im Spiegelsaal begangen wird. „Die einzige Veranstaltung dieser Art in Deutsch-land“, erklärt Meyer stolz.

Wladimir Kaminer in der Stadtbibliothek Leverkusen. Bild: S. Andres

Eröffnen das 25. Leverkusener Europafest (v.l.):Dr. Hans Georg Meyer, Oberbürgermeister Rein-hard Buchhorn und Integrationsratsvorsitzender Sam Kofi Nyantakyi. Bild: A. Skrypzak

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überqueren. Es gibt keinen Ver-kehr, aber die Ampel zeigt Rot. Wir drücken auf den Knopf und warten auf Grün. In der Ukraine hätte ich das nie gemacht, aber sicher ist sicher.

Am Bahnhof kaufen wir ein „Schönes-Wochenende-Ticket“. Damit, das wissen wir schon, kann man überall hinfahren. Der Zug ist pünktlich. Wir stehen vor der Tür und war-ten, dass sie sich öffnet. Das tut sie aber nicht... Endlich kommt

jemand von innen und öffnet die Tür für uns. Gott sei Dank! Es sollte nicht die letzte Lehre für uns sein. Nach einer guten Stunde kommen wir in Leverkusen an. Die Station heißt allerdings „Op-laden“. Das Erste, was wir sehen, ist eine interessante Skulptur:

Das erste Wochenen-de in Deutschland. Wir – das sind meine Frau, unsere kleine Tochter und ich – sind im Juni 1999 im Auffanglager Unna-Massen aufge-nommen worden und wollen nun unsere Verwandten in Lever-kusen besuchen. Zum Bahnhof kann man mit dem Bus fahren, die Bushaltestelle ist in der Nähe. Dort gibt es einen Fahrplan. Dem entnehmen wir, ein Bus kommt am Wochen-ende nur ein Mal pro Stunde. Wir gehen zu Fuß zur Bahnstation. Eine Straße mit einer Ampel müssen wir

Eine Frau mit einem Kind und einem Kof-fer. Irgendwie ganz ähnlich wie bei uns.

Fußgängerzone. Viele Geschäfte. Beson-ders beeindruckt uns Woolworth und eine Buchhandlung gleich nebenan. Wir gehen weiter. Ich merke, dass der Weg rot mar-kiert ist und wundere mich noch. Plötzlich klingelt es laut. Ein Radfahrer rast an uns vorbei. Aha, rote Spur bedeutet: Fahrrad-weg!

Bald steht fest: Uns gefällt Leverkusen! Außerdem ist man mit der S-Bahn in 20 Minuten in Köln. Und bis Düsseldorf ist es auch nicht weit. Später sagen wir in Unna, dass wir nach Leverkusen möchten. Kein Problem! Wir lernen ein paar andere Leute kennen, die eigentlich nach Köln wollten. Aber sowohl Köln als auch Düs-seldorf sind ausgeschlossen: Dort sind alle Ankunftsheime voll. Also melden auch sie sich – wie wir – für Leverkusen.

Angekommen in Leverkusen

In der Ukraine hätte ich das nie gemacht

7. Leverkusener Kunstnacht

Ein internationa-les Künstlerdorf im LindenhofPremiere bei der 7. Leverkusener Kunstnacht im Oktober: zum ersten Mal lud der Integrationsrat mit einer eigenen „Station“ ein. Im Manforter Lindenhof öffnete ein internationales Künstlerdorf seine Tore, in dem Le-verkusener Künstler aus aller Welt ihre Werke präsentierten. Der Andrang war den ganzen Abend über groß, Integrati-onsratsvorsitzender Sam Kofi Nyantakyi begrüßte viele interessierte Besucher, darunter Oberbürgermeister Reinhard Buchhorn nebst Gattin Beate.

Kleine Tonfiguren sorgten für großes Aufsehen: Liebevoll von Oktai Kassou-mov modelliert, erkannten die Besucher drollig dreinschauende Karikaturen von Angela Merkel, Barack Obama und anderen Prominenten. Gleich gegenü-ber präsentierte Wiktor Chazkewitsch,

ausgebildeter „Monumentalkünstler“, seine großformatigen Bilder auf denen er mit Temperafarben dem Ringen zwi-schen Gut und Böse Form und Farbe gibt. Eine große Leinwand schreckt auch Rosa Böhm nicht: Mit Spachtel und Pinsel malt sie phantastische Moti-ve und abstrakte Strukturen, aber auch Gesichter und Stilleben. Rovshan Abdulov, der in seinen Bildern klassische und moderne Motive vereint, hat die Beteiligung am „Künstlerdorf“

sehr gut gefallen: „Es ist schön, dass so viele Menschen Interesse an dieser Ausstellung gezeigt haben“, resümiert er am Abend, „dank der Kunstnacht habe ich heute viele interessante Menschen kennengelernt.“ Über „viel interessiertes

Publikum“ im Lindenhof freute sich auch Künstlerin Anna Czempik.

Tamilische und peruanische Musik, Live Jazz und Rhythmen aus dem Kon-go und Senegal sorgten für Abwechs-lung. Auch Kleider machten Leute an diesem Abend: Einige Künstler präsen-tierten sich in traditionellen Trachten aus ihrer Heimat. Inderin Kamlesh Chandna präsentierte sich in einem prachtvollen Sari, Natalya Girivenko war nicht zuletzt dank ihres Kokosch-niks, einer traditionellen haubenförmi-gen Kopfbedeckung verheirateter Frau-en in Russland, unübersehbar. Fotograf Andreas Skrypzak bot den Besuchern die Möglichkeit, sich in fremdländi-schen Trachten fotografieren zu lassen: „Die Leute haben sich angezogen und sofort wohlgefühlt“, staunte er selbst.

Die Künstler im Künstlerdorf: Rovshan Abdulov, Effrosini Balambani, Rosa Böhm, Elena Büchel, Kamlesh Chandna,Wiktor Chazkewitsch, Anna Czempik, Doris Friedrichs, Natalya Girivenko, Oktai Kassoumov und Andreas Skrypzak.

Vadim Margolius berichtet in der VIELFALT in kleinen Episoden, wie er 1999 aus Dnjepropetrowsk in der Ukraine mit seiner Familie nach Leverkusen kam – und mit welchen Tücken sie hier zu kämpfen hatten.

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Die Save me-Kampagne unterstützt das Anliegen des Flüchtlingskommis-sars der Vereinten Nation (UNHCR), eine dauerhafte Aufnahme besonders schutzbedürftiger Personen in sicheren Ländern zu erreichen.VIELFALT sprach mit Rita Schillings, Geschäftsführerin des Flüchtlingsrates Leverkusen, einer Initiatorin der Leverkusener Kampagne.

Frau Schillings, wer hat diese Kampag-ne ins Leben gerufen und warum?

Rita Schillings: „Save me“ ist eine bun-desweite Kampagne, die von Pro Asyl und dem UNHCR ins Leben gerufen wurde, um die Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam zu machen, dass über 80 Prozent der Flüchtlinge von den unmittelbaren Nachbarstaaten aufgenommen werden und sich dort in einer ausweglosen Lage befinden. Sie können nicht zurück in ihre Heimat und die Nachbarländer sind mit der Aufnahme der Flüchtlinge völlig über-fordert. Für die schwächsten Flüchtlinge – Frauen und Kinder - sucht der UNH-

CR dringend Staaten, die bereit sind, sich am „Re-settlement-Programm“ zu beteiligen

und eine bestimmte Anzahl dieser Men-schen dauerhaft aufzunehmen. Hier in Leverkusen haben Caritasverband, Diakonie und Flüchtlingsrat beschlos-sen, die Bemühungen des UNHCR zu unterstützen und „Save me“ gestartet.

Wie funktioniert das konkret?

Schillings: Zunächst haben wir die Problematik in verschiedenen Veran-staltungen der Öffentlichkeit vorgestellt und aufgezeigt, dass es hier dringen-den Handlungsbedarf gibt. „Save me“ ermöglicht zunächst, dass jeder Einzelne die Bemühungen des UNHCRs unter-stützen kann, indem er sich im Internet unter save-me-leverkusen.de einträgt. Darüber hinaus haben wir natürlich auch in anderen Institutionen und

Organisationen um die Unterstützung von „Save me“ geworben. So haben sich Integrationsrat und Kulturausbes-serungswerk der Kampagne angeschlos-sen. Gemeinsam haben wir den Stadtrat Leverkusen aufgefordert, deutlich zu machen, dass Leverkusen bereit ist, diese Flüchtlinge aufzunehmen.

Wie sind die Erfolgsaussichten?Schillings: Im Februar hat der Stadtrat mit großer Mehrheit „Ja“ gesagt und an die Bundesregierung appelliert, regelmäßig Flüchtlinge aus dem Schutz-programm der Vereinten Nationen aufzunehmen. Mittlerweile gibt es in 45 Städten sowie von den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein diese Aufforderung an die Bundesregierung. Am 10. Dezember hat die Innenministerkonferenz die konti-nuierliche Teilnahme der BRD am Re-settlement beschlossen. Das ist wichtig, denn nur die Bundesregierung kann die Aufnahmebereitschaft gegenüber den Vereinten Nationen erklären.

Kann „Save me“ denn auch Flüchtlin-gen helfen, die z.Zt. aus Afrika fliehen?

Schillings: Leider nicht wirklich. Hier gibt es das Problem, dass die Europäi-sche Union nicht gemeinsam als Staa-tenverbund asylsuchende Flüchtlinge aufnimmt. Vielmehr hat sie festgelegt, dass immer das Land für die Aufnahme zuständig ist, in dem der Flüchtling zu ersten Mal EU-Gebiet betritt. In den Mittelmeerländern kommen die meis-ten Flüchtlinge an, allein Lampedusa hat in einem Monat drei Mal soviel Flüchtlinge aufgenommen wie die BRD im ganzen letzten Jahr. Die Flüchtlings-situatuion in den Mittelmeerstaaten ist dramatisch, weil es keine europaweite Verteilung der ankommenden Flücht-linge gibt. Die Zusage der Bundes-republik, 150 Flüchtlinge aus Malta aufzunehmen, kann das Problem nicht lösen. Überfüllte Flüchtlingslager, mehr als 1200 Tote im Mittelmeer zeigen den dringenden Handlungsbedarf.

Das Interview führte Michael Boden

Impressum

VIELFALT ist die Zeitschrift des Integrationsrates der Stadt Leverkusen.

Herausgeber: Integrationsrat der Stadt LeverkusenManforter Str. 18451373 LeverkusenTel. 02 14 / 4 06-33 66 Email: [email protected]

Verantwortlich: Sam Kofi Nyantakyi(V.i.S.d.P.)

Layout & Konzept:Bernd Wachtmeister

Redaktion:Stefan Andres

Bildbearbeitung:Andreas Skrypzak

Bilder:Stefan Andres, Britta Berg,Amir Dzeladini,Mohamed Elmahmudi, Jana Pega, Asli Sahin, Andreas Skrypzak

Beitragende:Michael Boden, Sineb El Masrar, Vadim Margolius, Anke Spiegel

Leverkusen im Dezember 2011

Schule & Beruf

Schulkompromiss für NRWIm Oktober hat der Landtag nach Jahren politischer Auseinandersetzung einen„historischen Schulkompromiss“ gefunden. Wichtigste Änderung wird die Einführung der „Sekundarschule“ für Schüler der Stufen 5 bis 10 sein, diedie Schüler in Kooperationen mit Ober-stufen anderer Schulen auch zum Abiturführen kann. In Leverkusen hatte bis November laut Claus Broscheid vomstädtischen Fachbereich Schulen noch keine Schule Interesse an einer Um-wandlung in eine Sekundarschule sig-nalisiert. Im Schulministerium erwartet man für 2013 eine Gründungswelle.

Spende für SprachförderungMit einer Spende über 10.000 Euro fördert der Lions Club Rhenania vierSprachfördergruppen aus dem Ruck-sack- bzw. Griffbereit-Programm derRegionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen ausZuwandererfamilien (RAA). Eltern werden mit den Programmen in ihrer mehrsprachlichen Kompetenz gefördert, um über ihre Fähigkeiten die Sprach-entwicklung der Kinder zu fördern.

Save me-Kampagne

Mit großer Mehrheit „Ja“ gesagt

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Offener Dialogam KieswegDas Türkisch-Islamische Kulturzen-trum am Kiesweg in Küppersteg bot 2011 Platz für verschiedene Veranstal-tungen, die einen offenen Dialog beför-dern: Im Februar feierten dort Kin-deund Jugendliche ein interkulturelles

Fest. Organisatoren waren neben der „Jugendszene Lev“, dem Dachverband der Kinder- und Jugendeinrichtungen der Stadt, dem Jugendamt, RAA und Caritas die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion „Ditib-Diya-net“. Das Fest soll zur festen Einrich-tung werden und die Organisationen, die in der Stadt Jugendarbeit leisten, vernetzen helfen. Ditib-Projektleiterin Meltem Yavuz freute sich, dass alle Leverkusener Jugendeinrichtungen mit dabei waren: „Das ist super! Es zeugt von der Offenheit, die hier herrscht!“Im April lasen im Rahmen des Lese-fests „Lev liest“ Leverkusener Vertreter großer Weltreligionen (Katholische

und Evangelische Kirche, Islam sowie Buddhismus). Und zum Qadr-Fest, Höhepunkt des muslimischen Fasten-monats Ramadan, versammelten sich

rund 1000 Gläubige zu einem Fest in der Halle neben der Moschee: Die 27. Nacht des Fastenmonats gilt für Mos-lems als die Nacht, in der der Prophet Mohammed die erste Offenbarung des Koran empfing. Zu dem Fest kamen neben dem Theologen und Ditib-Vor-sitzenden Prof. Ali Dere auch Reprä-sentanten anderer Religionen sowie Stadtdezernent Marc Adomat.

Rund 1000 Muslime feierten mit ihren Gästen die Qadr-Nacht. Bild: A. Dzeladini

Trommeln für Verständigung: Ein Jugendfest am Kiesweg. Bild: A. Skrypzak

Ilias Elouriaghli

Deutscher Meister im KickboxenAn der Universität Duisburg-Essen studiert Ilias Elouriaghli derzeit im 3. Semester Wirtschaftswissenschaften. Zu Meisterschaft gebracht hat es der 21-jährige Opladener be-reits in einem anderen Metier: Elouriaghli ist amtierender Deutscher Meister im Kickboxen. Im Juli errang er den Titel mit Heimvorteil und Unterstützung seiner Freunde bei einem Titelkampf in der Wiesdorfer Bürgerhalle. Mit sieben Jahren begann Elouriaghli mit verschiedenen Selbstverteidigungs-Sportar-ten, bis er schließlich zum Kickboxen kam. Fußball hat er auch gespielt, aber er kämpft lieber allein: „Mich reizt es, mich mit anderen zu messen“, verrät er der VIELFALT, „da weiß man, wo man mit seiner Leistung steht.“ Trainer Bartosz Koscielniak vom Team Energy Gym Leverkusen hat allen Grund, stolz auf seinen Schützling zu sein. Bis zum Sommer muss er seinen Titel verteidigen: „Mal sehen, vielleicht wieder hier in Leverkusen“, hofft er. Seine Fans wird’s freuen. Wir drücken die Daumen! (Bild: J. Pega)

„Integration. Gelingt spielend!“, versichert Leverkusens Mittelfeldspieler Sidney Sam in TV-Werbespots. Mit seinen Fußballerkollegen Gerald Asamoah, Mario Götze und Il-kay Gündogan hat sich der gebürtige Kieler, dessen Vater aus Nigeria stammt, für die Kampagne der Bundesliga-Stiftung zur Verfügung gestellt. Die Stiftung unterstützt Projekte für Menschen mit Migrati-onshintergrund. Die Spots sind im Internet abrufbar unterwww.integration-gelingt-spielend.de

Unsere Kundendienstbüros Haberstr. 45 Rennbaumplatz 2 Von-Ketteler-Str. 32 Lev.-Manfort Lev.-Opladen Lev.-Bürrig

Termine

Sitzungstermine des Integrationsrates:Dienstag, 17. Januar 2012Dienstag, 28. Februar 2012Dienstag, 17. April 2012Montag, 04. Juni 2012jeweils 18 Uhr, Ratssaal des Rathauses

02. und 03. Juni 2012Integratives Stadtteilfest RheindorfFriedenspark Solinger Straße

06. bis 10. Juni 2012Schützenfest RheindorfFriedenspark Solinger Straße

Sonntag, 17. Juni 2012Leverkusener Integrationspokal

Sonntag, 24. Juni 2012, 11 - 18 UhrLeverkusener EuropafestSchlosspark Morsbroich

Die folgenden Sponsoren haben das Erscheinen dieser Ausgabe der VIELFALT ermöglicht:

AktionsgemeinschaftRheindorfer Vereine