Vorlesung Philosophische Anthropologie : WS 2009/10 ... · PDF filePD Dr. Dirk Solies,...
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PD Dr. Dirk Solies, Arbeitsbereich Praktische Philosophie, JGU Mainz, [email protected] 1
Vorlesung „Philosophische Anthropologie“: WS 2009/10 – PD Dr. Dirk Solies
Begleitendes Thesenpapier – nur für Studierende gedacht!
Friedrich Nietzsche (1844-1900)
„und“ die Philosophische Anthropologie?!
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„Einzige“ (Schloßberger 2009, in: Nietzsche-Lexikon 24) Nennung von „Anthropologie“ bei N.: Alle Naturwissenschaft ist nur ein Versuch, den Menschen, das Anthropologische zu verstehen: noch richtiger, auf den ungeheuersten Umwegen immer auf den Menschen zurückzukommen. Das Aufschwellen des Menschen zum Makrokosmos, um am Ende zu sagen: ‚du bist am Ende, was du bist‘“. NF Sommer 1872-Anfang 1883, 19 [91]
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Nietzsches Begriff von Anthropologie
Die Anthropologen unter den Kriminalisten sagen uns, daß der typische Verbrecher häßlich ist: monstrum in fronte, monstrum in animo. Aber der Verbrecher ist ein décadent. War Sokrates ein typischer Verbrechers - Zum mindesten widerspräche dem jenes berühmte Physiognomen-Urteil nicht, das den Freunden des Sokrates so anstößig klang. Ein Ausländer, der sich auf Gesichter verstand, sagte, als er durch Athen kam, dem Sokrates ins Gesicht, er sei ein monstrum - er berge alle schlimmen Laster und Begierden in sich. Und Sokrates antwortete bloß: »Sie kennen mich, mein Herr!« -
(Nietzsche: GD 3) Bezug auf Lambroso, Cesare: Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung, Hamburg 1889)
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Kontext eines Zitats: Mensch als „nicht festgestelltes Thier“:
Es giebt bei dem Menschen wie bei jeder andern Thierart einen Überschuß von Mißrathenen, Kranken, Entartenden, Gebrechlichen, notwendig Leidenden; die gelungenen Fälle sind auch beim Menschen immer die Ausnahme und sogar in Hinsicht darauf, dass der Mensch das noch nicht festgestellte Thier ist, die spärliche Ausnahme. Aber noch schlimmer: je höher geartet der Typus eines Menschen ist, der durch ihn dargestellt wird, um so mehr steigt noch die Unwahrscheinlichkeit, dass er geräth: das Zufällige, das Gesetz des Unsinns im gesamten Haushalte der Menschheit zeigt sich am erschrecklichsten in seiner zerstörerischen Wirkung auf die höheren Menschen, deren Lebensbedingungen fein, vielfach und schwer auszurechnen sind. Wie verhalten sich nun die genannten beiden grössten Religionen zu diesem Überschuss der mißlungenen Fälle? Sie suchen zu erhalten, im Leben festzuhalten, was sich nur irgend halten lässt, ja sie nehmen grundsätzlich für sie Partei, als Religionen für Leidende, sie geben allen denen Recht, welche am Leben wie an einer Krankheit leiden, und möchten es durchsetzen, daß jede andre Empfindung des Lebens als falsch gelte und unmöglich werde.
„schonende und erhaltende Fürsorge“ „sie *die Religionen, D.S.] erhielten zu vielvon dem, was zu Grunde gehen sollte“. [JGB 62]
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Die anthropologische Perspektive des frühen Nietzsche
(in: Ueber Wahrheit und Lüge im aussermoralischen Sinne, 1872)
In irgend einem abgelegenen Winkel des in zahllosen Sonnensystemen flimmernd
ausgegossenen Weltalls gab es einmal ein Gestirn, auf dem kluge Thiere das Erkennen
erfanden. Es war die hochmüthigste und verlogenste Minute der „Weltgeschichte“: aber
doch nur eine Minute. Nach wenigen Athemzügen der Natur erstarrte das Gestirn, und
die klugen Thiere mussten sterben. – 1
„kosmische“, tragische Perspektive
Mensch als „kluges Thier“
Menschen als „Erdflöhe“ 2
1 U e b e r W a h r h e i t u n d L ü g e … , KSA 1, S. 875. 2 KSA 7, 29 [74], S. 662.
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Der Intellekt, als ein Mittel zur Verstellung, entfaltet seine Hauptkräfte in der
Verstellung; denn diese ist das Mittel, durch das die schwächeren, weniger robusten
Individuen sich erhalten, als welchen ein Kampf um die Existenz mit Hörnern oder
scharfem Raubthier-Gebiss zu führen versagt ist.3
„Verstellung“ bzw. „Lüge“ als einzige Tätigkeitsform des Intellekts
kompensatorisches Bewusstseinsmodell (unspezifische biologische Ausstattung des
Menschen als Begründung und Erklärung einer kognitiven Leistung)
Intellekt nicht zweckfrei, sondern an konkrete Zweckhaftigkeit der Selbstbehauptung
des Individuums und damit an den Zweck der Erhaltung des Individuums gebunden
(noch nicht Steigerung)4
3 U e b e r W a h r h e i t u n d L ü g e … , KSA 1, S. 876. 4 Den Gedanken der Steigerung wird Nietzsche erst zu Beginn der 80er Jahre, also dem Beginn seiner intensiven Auseinandersetzung mit dem Darwinismus, in den Vordergrund
stellen. Erst hier beginnt auch Nietzsches Kritik an der darwinistischen Konzeption der „Selbsterhaltung“.
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Selbstverborgenheit des Menschen:
Was weiss der Mensch eigentlich von sich selbst! Ja, vermöchte er auch nur sich einmal
vollständig, hingelegt wie in einen erleuchteten Glaskasten, zu percipiren? Verschweigt
die Natur ihm nicht das Allermeiste, selbst über seinen Körper, um ihn, abseits von den
Windungen der Gedärme, dem raschen Fluss der Blutströme, den verwickelten
Fasererzitterungen, in ein stolzes gauklerisches Bewusstsein zu bannen und
einzuschliessen!5
Funktioneller Begriff von Täuschung: Notwendigkeit von Täuschung
5 U e b e r W a h r h e i t u n d L ü g e … , KSA 1, S. 877.
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Erkenntnis als Metaphernbildung:
Zwischen zwei absolut verschiedenen Sphären wie zwischen Subjekt und Objekt giebt es
keine Causalität, keine Richtigkeit, keinen Ausdruck, sondern höchstens ein ästhetisches
Verhalten, ich meine eine andeutende Uebertragung, eine nachstammelnde
Uebersetzung in eine ganz fremde Sprache.6
Entstehung von Sprache
→ Begriffsbildung als „Residuum einer Metapher“7
→ Mensch „vergisst also die originalen Anschauungsmetaphern als Metaphern und nimmt
sie als die Dinge selbst“.8
6 U e b e r W a h r h e i t u n d L ü g e … , KSA 1, S. 884. 7 U e b e r W a h r h e i t u n d L ü g e … , KSA 1, S. 882. 8 U e b e r W a h r h e i t u n d L ü g e … , KSA 1, S. 883.
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Der Mensch als tragische Kreatur:
Es geht die alte Sage, dass König Midas lange Zeit nach dem weisen Silen, dem Begleiter
des Dionysus, im Walde gejagt habe, ohne ihn zu fangen. Als er ihm endlich in die Hände
gefallen ist, fragt der König, was für den Menschen das Allerbeste und Allervorzüglichste
sei. Starr und unbeweglich schweigt der Dämon; bis er, durch den König gezwungen,
endlich unter gellem Lachen in diese Worte ausbricht: „Elendes Eintagsgeschlecht, des
Zufalls Kinder und der Mühsal, was zwingst du mich dir zu sagen, was nicht zu hören für
dich das Erspriesslichste ist? Das Allerbeste ist für dich gänzlich unerreichbar: nicht
geboren zu sein, nicht zu sein, nichts zu sein. Das Zweitbeste aber ist für dich – bald zu
sterben“.9
Mensch als ephemeres Wesen
Weltverneinung nicht ethisches, sondern existenzielles Prinzip!
Ermächtigung des Menschen
9 D i e G e b u r t d e r T r a g ö d i e , KSA 1, S. 35.
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Das Dionysische:
Im dionysischen Rausche, im ungestümen Durchrasen aller Seelen-Tonleitern bei
narkotischen Erregungen oder in der Entfesselung der Frühlingstriebe äußert sich die
Natur in ihrer höchsten Kraft: sie schließt die Einzelwesen wieder aneinander und läßt
sie sich als eins empfinden; so daß das principium individuationis gleichsam als
andauernder Schwächezustand des Willens erscheint. Je verkommener der Wille ist,
desto mehr zerbröckelt alles in’s Einzelne, je selbstischer willkürlicher das Individuum
entwickelt ist, um so schwächer ist der Organismus, dem es dient. In jenen Zuständen
bricht daher gleichsam ein sentimentalischer Zug des Willens hervor, ein „Seufzen der
Kreatur“ nach dem Verlorenen: aus der höchsten Lust heraus tönt der Schrei des
Entsetzens, die sehnenden Klagelaute eines unersetzlichen Verlustes.10
Dionysische als Resultat des Rausches (i. Ggs. z. Apollinischen)
Aufhebung des principii individuationis (Schopenhauer)
10 D i e d i o n y s i s c h e W e l t a n s c h a u u n g , KSA 1, 557f.
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Nietzsche und die Naturwissenschaften:
Menschliches, Allzumenschliches rückblickend als „Denkmal einer rigorösen Selbstzucht“11
gesehen:
Zehn Jahre hinter mir, wo ganz eigentlich die Ernährung des Geistes bei mir
stillgestanden hatte [...]. Ein geradezu brennender Durst ergriff mich: von da an habe ich
in der That nichts mehr getrieben als Physiologie, Medizin und Naturwissenschaften.12
Selbstcharakterisierung, übertrieben, fragwürdig, aber:
Beschäftigung mit Naturwissenschaften als philosophische Selbstzucht
Mittel gegen „Idealismus“ in der Philosophie
11 E c c e h o m o , KSA 6, S. 327. 12 E c c e h o m o , KSA 6, 325.
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Analogisierung Erkenntnis – „organische Welt“
Alles Organische unterscheidet sich vom Anorganischen <dadurch>, daß es Erfahrungen
aufsammelt: und niemals sich selber gleich ist, in seinem Prozesse. – Um das Wesen des
Organischen zu verstehen, darf man nicht seine kleinste Form für die primitivste halten:
vielmehr ist jede kleinste Zelle jetzt Erbe der ganzen organischen Vergangenheit.13
Erfahrung zu machen setzt eine Fähigkeit voraus
Diese F. ist nur dem Organischen eigen!
Fähigkeit zur Veränderung
Erkenntnis als Überformung organischer Prozesse
ethische Konsequenzen
13 KSA 10, 12 [31], S. 406.
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Der Prozeß des Lebens ist nur dadurch möglich, daß viele Erfahrungen nicht immer
wieder gemacht werden müssen, sondern in irgend einer Form einverleibt werden – das
eigentliche Problem des Organischen ist: wie ist Erfahrung möglich?14
Bedeutung des Instinkts:
als Einverleibung
auf individueller Ebene
auf kollektiver / gesellschaftlicher Ebene
In jedem Sinnes-Urtheil ist die ganze organische Vorgeschichte thätig: „das ist grün“ z. B.
Das Gedächtniß im Instinkt, als eine Art von Abstraction und Simplification, vergleichbar
dem logischen Prozeß: das Wichtigste ist immer wieder unterstrichen worden, aber
auch die schwächsten Züge bleiben. Es giebt im organischen Reiche kein Vergessen;
wohl aber eine Art Verdauen des Erlebten.15
Analogisierung Vergessen – Verdauen
„Der Geist ist ein Magen“ (Zara)
14 KSA 11, 26 [156], S. 190. 15 KSA 11, 34 [167], S. 476f.
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Die Genese der Wahrheit:
z. B. wenn ein Protoplasma von verschiedenen Kräften (Licht Elektricität Druck) immer nur
Einen Reiz empfängt und nach dem Einen Reiz auf Gleichheit der Ursachen schließt: oder
überhaupt nur Eines Reizes fähig ist und Alles Andere als Gleich empfindet – und so muß
es wohl im Organischen der tiefsten Stufe zugehen. Zuerst entsteht der Glaube an das
Beharren und die Gleichheit außer uns – und später erst fassen wir uns selber nach der
ungeheuren Einübung am Außer-uns als ein Beharrendes und Sich-selber-Gleiches, als
Unbedingtes auf. Der Glaube (das Urtheil) müßte also entstanden sein vor dem Selbst-
Bewußtsein: in dem Prozeß der Assimilation des Organischen ist dieser Glaube schon da –
d. h. dieser Irrthum!16
Wahrheit setzt Irrtum voraus: im wertfreien Sinne!
Irrtum v. d. Gleichheit
später: Simplifikation als „das Hauptbedürfniß des Organischen“17
Analogisierung Erkenntnis – „organische Welt“
16 KSA 9, 11 [268], S. 544f. 17 KSA 9, 11 [315], S. 563 (Hervorh. hinzugef.).
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Ein starker freier M<ensch> empfindet gegen alles Andere die Eigenschaften des Organismus
1) Selbstregulirung: in der Form von Furcht vor allen fremden Eingriffen, im Haß gegen den
Feind, im Maaßhalten usw.
2) überreichlicher Ersatz: in der Form von Habsucht Aneignungslust Machtgelüst
3) Assimilation an sich: in der Form von Loben Tadeln Abhängigmachen Anderer von sich,
dazu Verstellung List, Lernen, Gewöhnung, Befehlen Einverleiben von Urtheilen und
Erfahrungen
4) Sekretion und Excretion: in der Form von Ekel Verachtung der Eigenschaften an sich, die
ihm nicht mehr nützen; das Überschüssige mittheilen Wohlwollen
5) metabolische Kraft: zeitweilig verehren bewundern sich abhängig machen einordnen, auf
Ausübung der anderen organischen Eigenschaften fast verzichten, sich zum „Organe“
umbilden, dienen-können
6) Regeneration: in der Form von Geschlechtstrieb, Lehrtrieb usw.18
Versuch einer Transformation biologischer Kategorien auf Verhaltensebene
ethische Relevanz
18 KSA 9, 11 [182], 509f.
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Physiologie der Kunst:
[D]ie höhere Physiologie wird freilich die künstlerischen Kräfte schon in unserem
Werden begreifen, ja nicht nur in dem des Menschen, sondern des Thieres: sie wird
sagen, daß mit dem Organischen auch das Künstlerische beginnt.19
Motiv der Täuschung (Verstellung)
„höhere Physiologie“ als Nietzsches spätes Projekt einer Theorie des Menschen
nicht nur Ästhetik, sondern
umfassende Theorie des Fremd- und Selbstverstehens:…
19 KSA 7, 19 [50], S. 436.
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Jede Erhöhung des Lebens steigert die Mittheilungs-Kraft, insgleichen die Verständniß-
Kraft des Menschen. Das Sichhineinleben in andere Seelen ist urspr<ünglich> nichts
Moralisches, sondern eine physiologische Reizbarkeit der Suggestion: die „Sympathie“
oder was man „Altruismus“ nennt, sind bloße Ausgestaltungen jenes zur Geistigkeit
gerechneten psychomotorischen Rapports (induction psycho-motrice meint Ch. Féré)
Man theilt sich nie Gedanken mit, man theilt sich Bewegungen mit, mimische Zeichen,
welche von uns auf Gedanken hin zurück gelesen werden…20
Suggestion / Suggestibilität als ästhetisches Vermögen
Korrespondenzphänomen
Nachrangigkeit sprachlicher Mitteilungen
Bezug auf Charles Féré
Bedeutung von „Physiologie“ bei Nietzsche
20 KSA 13, 14 [119], S. 297.
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„Fundament aller Aesthetik“: „daß die aesthetischen Werthe auf biologischen Werthen
ruhen, daß die aesthetischen Wohlgefühle biologische Wohlgefühle sind“.21
Nicht im Sinne eines Reduktionismus, sondern
Zurückführung auf naturwissenschaftliche Kategorien
Kampf gegen „Idealismus“ in der Philosophie
21 KSA 13, 16 [75], S. 511.
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Schönheit als „Gattungseitelkeit“22 des Menschen:
Nichts ist schön, nur der Mensch ist schön: auf dieser Naivetät ruht alle Aesthetik, sie ist
deren erste Wahrheit. Fügen wir sofort noch deren zweite hinzu: Nichts ist hässlich als
der entartende Mensch, – damit ist das Reich des ästhetischen Urtheils umgrenzt. –
Physiologisch nachgerechnet, schwächt und betrübt alles Hässliche den Menschen. Es
erinnert ihn an Verfall, Gefahr, Ohnmacht; er büsst thatsächlich dabei Kraft ein. Man
kann die Wirkung des Hässlichen mit dem Dynamometer messen.23
Ästhetik als Naivität / Täuschung
Entartung als zentrale Kategorie von Nietzsches „anthropologischer“ Ästhetik
Nicht im rassehygienischen Sinne, sondern
Steigerung von Leben durch Suggestibilität
22 Grätzel 1989. 23 G ö t z e n - D ä m m e r u n g , KSA 6, S. 124.