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Prof. A. Griffel - Übungen im Öffentlichen Recht III - Frühjahrssemester 2017 Folie 1
Übungen im Öffentlichen Recht III
(Gruppen D–F und Q–S)
Fall 9
Vorbemerkungen
Ziele:
• Allgemein: Erkennen und Herausarbeiten von Grundfragen des
Allgemeinen Verwaltungsrechts u. des öffentlichen Verfahrens-
rechts unter dem Dickicht einer spezialgesetzlichen Regelung
(hier: des Altlastenrechts)
Beachte: Probleme des Allgemeinen Verwaltungsrechts u. des öffent-
lichen Verfahrensrechts kommen in der Realität meistens nicht auf
dem "Präsentierteller" daher, sondern verstecken sich auf solche oder
ähnliche Weise in einem spezialgesetzlichen Kontext
• Im Besonderen: Üben der Abgrenzung zw. Allgemeinverfügung und
Erlass bzw. der Begriffsmerkmale des Erlasses, der Verfügung und
der Allgemeinverfügung sowie der damit zusammenhängenden pro-
zessualen Fragen anhand einer etwas eigenartigen, aber realen
"Allgemeinverfügung"
• Nicht: Behandlung altlastenrechtlicher (d.h. spezialgesetzlicher)
Fragestellungen
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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)
Lokalisierung des Problems:
Ist der Regelungsgegenstand der fraglichen "Allgemeinverfügung"
konkret, d.h. regelt diese einen Einzelfall?
• Begriffsmerkmale der Allgemeinverfügung:
generell-konkreter Hoheitsakt
– richtet sich (wie eine Rechtsnorm) an eine unbestimmte Vielzahl von
Personen generell
– regelt (wie eine Verfügung) einen Einzelfall konkret
Hier:
– "Allgemeinverfügung" richtet sich an einen offenen, unbestimmten
Adressatenkreis (nämlich: alle Eigentümer von in der Allgemeinver-
fügung nach abstrakten Kriterien umschriebenen Grundstücken)
– Aber: Regelung (konkret) eines Einzelfalles oder (abstrakt) einer un-
bestimmten Vielzahl von Fällen?
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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)
• Konkretheit des Regelungsgegenstandes:
Allgemeinverfügung des VBS erteilt dem jeweiligen Eigentümer die
Bewilligung nach Art. 32dbis Abs. 3 lit. a USG zur Veräusserung oder
Teilung eines Grundstücks,
– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 5 Abs. 4 lit. a
AltlV handelt (von vornherein keine schädlichen oder lästigen Ein-
wirkungen zu erwarten) oder
– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 8 Abs. 2 lit. c
AltlV handelt (weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig)
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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)
• Konkretheit des Regelungsgegenstandes:
Allgemeinverfügung des VBS erteilt dem jeweiligen Eigentümer die
Bewilligung nach Art. 32dbis Abs. 3 lit. a USG zur Veräusserung oder
Teilung eines Grundstücks
– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 5 Abs. 4 lit. a
AltlV handelt (von vornherein keine schädlichen oder lästigen Ein-
wirkungen zu erwarten) oder
– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 8 Abs. 2 lit. c
AltlV handelt (weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig)
Bewilligungserteilung erfolgt in genereller Weise, also ohne Gesuch
der betroffenen Eigentümer.
– Weder ein einzelnes Grundstück betroffen
– noch eine grössere zusammenhängende Fläche, die aus mehreren
Grundstücken besteht
– sondern: eine Vielzahl einzelner Grundstücke
Frage: Worauf bezieht sich das Kriterium "konkret" (Einzelfall)?
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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)
Mögliche Anknüpfungspunkte für das Kriterium "konkret":
– Vorgang der Veräusserung bzw. der Teilung eines Grundstücks
• pro?
• contra?
Würde sich das Kriterium Regelungsgegenstand darauf beziehen,
so wären sämtliche Rechtsnormen, die einen bestimmten Vorgang
oder eine bestimmte Tätigkeit regeln, ebenfalls als "konkret" (und
damit als Allgemeinverfügung) zu qualifizieren
Massgebend: Objekt der Veräusserung bzw. Teilung (betroffene
Grundstücke)
– Betroffensein einer bestimmten Kategorie von Grundstücken
(genauer: von zwei Kategorien)
• pro?
• contra?
Diesfalls wären sämtliche Normen, welche Kategorien bilden und
daran unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen, als "konkret" zu
betrachten
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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)
Massgebend:
– ob mehrere bestimmte Grundstücke oder eine unbestimmte
Vielzahl von Grundstücken von der Regelung erfasst werden
• pro "mehrere bestimmte Grundstücke"?
• pro "unbestimmte Vielzahl von Grundstücken"?
Grundstücke i.S. von Art. 5 Abs. 4 lit. a AltlV "bestimmbar" (sofern
u. soweit der KbS des VBS bereits vorliegt und vollständig ist)
Aber: Grundstücke i.S. von Art. 8 Abs. 2 lit. c AltlV nicht einmal
"bestimmbar"; denn: Qualifikation als "weder überwachungs- noch
sanierungsbedürftig" setzt eine altlastenrechtliche Voruntersuchung
voraus (zu einem grossen Teil gar noch nicht durchgeführt)
ungewiss und auch nicht feststellbar, welches gesamthaft die Menge
der Grundstücke ist, die von der "Allgemeinverfügung" erfasst werden
generell-abstrakte Struktur Rechtssatz
Regelungsgegenstand kongruent mit dem offenen Adressatenkreis:
pro (unbestimmten) Eigentümer ein (unbestimmtes) Grundstück
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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)
• Ergebnis:
nicht Allgemeinverfügung, sondern Rechtssatz
Vollziehungsbestimmung
möglicherweise materiell gesetzwidrig (weil inhaltlich in Bezug auf
Art. 8 Abs. 2 lit. c AltlV überschiessend) und vom unzuständigen Organ
erlassen (hier nicht zu prüfen)
Könnte wie folgt (um-)formuliert werden:
"Die Bewilligung gemäss Art. 32dbis Abs. 3 lit. a USG gilt
generell, d.h. ohne entsprechendes Gesuch, als erteilt."
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Anfechtbarkeit der "Allgemeinverfügung" (Frage 2)
Lokalisierung des Problems:
Prozessuale Behandlung von Allgemeinverfügungen I: Anfechtbarkeit
Fragestellung!
"Könnte diese mit einem Rechtsmittel angefochten werden?" ≠ "Wird das
…gericht darauf eintreten?"
Frage, ob taugliches Anfechtungsobjekt vorliegt
• Anfechtbarkeit:
Art. 44 VwVG: "Die Verfügung unterliegt der Beschwerde."
Allgemeinverfügungen wegen ihres konkreten Regelungsgegen-
standes prozessual – hinsichtlich Anfechtbarkeit – den Individual-
verfügungen gleichgestellt
Rechtsmittelbelehrung erforderlich (vgl. BBl 2014 9194)
Im Übrigen teils Behandlung wie Verfügungen (gesetzl. Grundlage erforderlich; mit-
tels verwaltungsrechtlicher Sanktionen vollstreckbar), teils wie Erlasse (kein Anspruch
auf vorgängige, individuelle Anhörung; Publikation, aber keine individuelle Mitteilung)
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Anfechtbarkeit der "Allgemeinverfügung" (Frage 2)
• Rechtsmittelinstanz:
Massgebend in erster Linie: spezialgesetzliche Regelung;
hier keine allgemeine Rechtsmittelordnung massgebend
Verfügungen von Bundesverwaltungsbehörden typischerweise beim
Bundesverwaltungsgericht anfechtbar
Anfechtungsobjekt vor BVGer:
Art. 31 VGG Verfügungen i.S. von Art. 5 VwVG
Hier: Allgemeinverfügung gestützt auf Art. 32dbis Abs. 3 lit. a
USG, also auf öffentl. Recht des Bundes
Ausnahmetatbestand gemäss Art. 32 VGG: keiner
Vorinstanz: Art. 33 lit. d VGG Departement des Bundes (hier:
VBS)
Ergebnis: BVGer = zuständige Rechtsmittelinstanz
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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)
Lokalisierung des Problems:
Prozessuale Behandlung von Allgemeinverfügungen II: akzessorische
Überprüfbarkeit
Fragestellung! Gefragt ist nicht nach den materiellen Erfolgs-
aussichten bzw. nach der materiellen Begründetheit der Rüge von
Nachbar A
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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)
• Akzessorische Prüfung der Allgemeinverfügung:
Rüge von Nachbar A zielt auf Rechtmässigkeit der Allgemein-
verfügung des VBS u. stellt diese in Frage
"Einsprache" von A (korrekt: Einwendung; warum?) richtet sich
jedoch gegen das Baugesuch
Baugesuch = "Anfechtungsobjekt" (genauer: Einwendungsobjekt)
Rechtmässigkeit des Bauvorhabens = Hauptfrage
Rechtmässigkeit der Allgemeinverfügung = Vorfrage
vorfrageweise Überprüfung der Allgemeinverfügung zulässig?
Grundsätzlich zu bejahen, jedenfalls dann, wenn eine (direkte)
Anfechtung für die Betroffenen faktisch nicht möglich oder nicht
zumutbar war
Allgemeinverfügung in dieser Hinsicht nicht wie Individualver-
fügung (Grundsatz des einmaligen Rechtsschutzes), sondern wie
Erlass behandelt
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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)
Hier: akzessorische Überprüfbarkeit der "Allgemeinverfügung" des
VBS (bei der es sich bei Lichte besehen ohnehin um einen Erlass
handelt) zu bejahen,
weil Nachbarn von belasteten Grundstücken im Zeitpunkt des
Erlasses der Allgemeinverfügung in vielen Fällen nicht erkennen
konnten, dass es sich um ein von dieser erfasstes Grundstück
handelt, oder
weil ihnen eine "abstrakte" Anfechtung jedenfalls nicht zuzu-
muten gewesen wäre
Gemäss Unterscheidung von T/Z/M, § 28 N. 55:
• solche Betroffene = "Normaladressaten"
• betroffene Grundeigentümer = "Spezialadressaten", für welche
die Frage der akzessorischen Überprüfbarkeit u.U. anders zu
beurteilen wäre (vgl. T/Z/M, § 30 N. 60)
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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)
• Ergebnis:
Baubehörde darf die Rüge vorfrageweise auf ihre Begründetheit
prüfen, weil dies zu einer vollständigen Rechtsanwendung gehört
(sonst u.U. fehlerhafte Anwendung der höherrangigen Norm des
USG)
Dürfen oder Müssen? Prüfung nur auf Antrag oder von Amtes
wegen?
Grundsätzlich:
– Pflicht zur Prüfung (ausser, wenn Rüge offensichtlich unbe-
gründet)
– Prüfung von Amtes wegen (Ausnahme: vor BGer, soweit das
qualifizierte Rügeprinzip zur Anwendung kommt)
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