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Übungen im Öffentlichen Recht III

(Gruppen D–F und Q–S)

Fall 9

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Vorbemerkungen

Ziele:

• Allgemein: Erkennen und Herausarbeiten von Grundfragen des

Allgemeinen Verwaltungsrechts u. des öffentlichen Verfahrens-

rechts unter dem Dickicht einer spezialgesetzlichen Regelung

(hier: des Altlastenrechts)

Beachte: Probleme des Allgemeinen Verwaltungsrechts u. des öffent-

lichen Verfahrensrechts kommen in der Realität meistens nicht auf

dem "Präsentierteller" daher, sondern verstecken sich auf solche oder

ähnliche Weise in einem spezialgesetzlichen Kontext

• Im Besonderen: Üben der Abgrenzung zw. Allgemeinverfügung und

Erlass bzw. der Begriffsmerkmale des Erlasses, der Verfügung und

der Allgemeinverfügung sowie der damit zusammenhängenden pro-

zessualen Fragen anhand einer etwas eigenartigen, aber realen

"Allgemeinverfügung"

• Nicht: Behandlung altlastenrechtlicher (d.h. spezialgesetzlicher)

Fragestellungen

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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)

Lokalisierung des Problems:

Ist der Regelungsgegenstand der fraglichen "Allgemeinverfügung"

konkret, d.h. regelt diese einen Einzelfall?

• Begriffsmerkmale der Allgemeinverfügung:

generell-konkreter Hoheitsakt

– richtet sich (wie eine Rechtsnorm) an eine unbestimmte Vielzahl von

Personen generell

– regelt (wie eine Verfügung) einen Einzelfall konkret

Hier:

– "Allgemeinverfügung" richtet sich an einen offenen, unbestimmten

Adressatenkreis (nämlich: alle Eigentümer von in der Allgemeinver-

fügung nach abstrakten Kriterien umschriebenen Grundstücken)

– Aber: Regelung (konkret) eines Einzelfalles oder (abstrakt) einer un-

bestimmten Vielzahl von Fällen?

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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)

• Konkretheit des Regelungsgegenstandes:

Allgemeinverfügung des VBS erteilt dem jeweiligen Eigentümer die

Bewilligung nach Art. 32dbis Abs. 3 lit. a USG zur Veräusserung oder

Teilung eines Grundstücks,

– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 5 Abs. 4 lit. a

AltlV handelt (von vornherein keine schädlichen oder lästigen Ein-

wirkungen zu erwarten) oder

– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 8 Abs. 2 lit. c

AltlV handelt (weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig)

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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)

• Konkretheit des Regelungsgegenstandes:

Allgemeinverfügung des VBS erteilt dem jeweiligen Eigentümer die

Bewilligung nach Art. 32dbis Abs. 3 lit. a USG zur Veräusserung oder

Teilung eines Grundstücks

– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 5 Abs. 4 lit. a

AltlV handelt (von vornherein keine schädlichen oder lästigen Ein-

wirkungen zu erwarten) oder

– wenn es sich um einen belasteten Standort i.S. von Art. 8 Abs. 2 lit. c

AltlV handelt (weder überwachungs- noch sanierungsbedürftig)

Bewilligungserteilung erfolgt in genereller Weise, also ohne Gesuch

der betroffenen Eigentümer.

– Weder ein einzelnes Grundstück betroffen

– noch eine grössere zusammenhängende Fläche, die aus mehreren

Grundstücken besteht

– sondern: eine Vielzahl einzelner Grundstücke

Frage: Worauf bezieht sich das Kriterium "konkret" (Einzelfall)?

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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)

Mögliche Anknüpfungspunkte für das Kriterium "konkret":

– Vorgang der Veräusserung bzw. der Teilung eines Grundstücks

• pro?

• contra?

Würde sich das Kriterium Regelungsgegenstand darauf beziehen,

so wären sämtliche Rechtsnormen, die einen bestimmten Vorgang

oder eine bestimmte Tätigkeit regeln, ebenfalls als "konkret" (und

damit als Allgemeinverfügung) zu qualifizieren

Massgebend: Objekt der Veräusserung bzw. Teilung (betroffene

Grundstücke)

– Betroffensein einer bestimmten Kategorie von Grundstücken

(genauer: von zwei Kategorien)

• pro?

• contra?

Diesfalls wären sämtliche Normen, welche Kategorien bilden und

daran unterschiedliche Rechtsfolgen anknüpfen, als "konkret" zu

betrachten

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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)

Massgebend:

– ob mehrere bestimmte Grundstücke oder eine unbestimmte

Vielzahl von Grundstücken von der Regelung erfasst werden

• pro "mehrere bestimmte Grundstücke"?

• pro "unbestimmte Vielzahl von Grundstücken"?

Grundstücke i.S. von Art. 5 Abs. 4 lit. a AltlV "bestimmbar" (sofern

u. soweit der KbS des VBS bereits vorliegt und vollständig ist)

Aber: Grundstücke i.S. von Art. 8 Abs. 2 lit. c AltlV nicht einmal

"bestimmbar"; denn: Qualifikation als "weder überwachungs- noch

sanierungsbedürftig" setzt eine altlastenrechtliche Voruntersuchung

voraus (zu einem grossen Teil gar noch nicht durchgeführt)

ungewiss und auch nicht feststellbar, welches gesamthaft die Menge

der Grundstücke ist, die von der "Allgemeinverfügung" erfasst werden

generell-abstrakte Struktur Rechtssatz

Regelungsgegenstand kongruent mit dem offenen Adressatenkreis:

pro (unbestimmten) Eigentümer ein (unbestimmtes) Grundstück

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Qualifikation der "Allgemeinverfügung" (Frage 1)

• Ergebnis:

nicht Allgemeinverfügung, sondern Rechtssatz

Vollziehungsbestimmung

möglicherweise materiell gesetzwidrig (weil inhaltlich in Bezug auf

Art. 8 Abs. 2 lit. c AltlV überschiessend) und vom unzuständigen Organ

erlassen (hier nicht zu prüfen)

Könnte wie folgt (um-)formuliert werden:

"Die Bewilligung gemäss Art. 32dbis Abs. 3 lit. a USG gilt

generell, d.h. ohne entsprechendes Gesuch, als erteilt."

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Anfechtbarkeit der "Allgemeinverfügung" (Frage 2)

Lokalisierung des Problems:

Prozessuale Behandlung von Allgemeinverfügungen I: Anfechtbarkeit

Fragestellung!

"Könnte diese mit einem Rechtsmittel angefochten werden?" ≠ "Wird das

…gericht darauf eintreten?"

Frage, ob taugliches Anfechtungsobjekt vorliegt

• Anfechtbarkeit:

Art. 44 VwVG: "Die Verfügung unterliegt der Beschwerde."

Allgemeinverfügungen wegen ihres konkreten Regelungsgegen-

standes prozessual – hinsichtlich Anfechtbarkeit – den Individual-

verfügungen gleichgestellt

Rechtsmittelbelehrung erforderlich (vgl. BBl 2014 9194)

Im Übrigen teils Behandlung wie Verfügungen (gesetzl. Grundlage erforderlich; mit-

tels verwaltungsrechtlicher Sanktionen vollstreckbar), teils wie Erlasse (kein Anspruch

auf vorgängige, individuelle Anhörung; Publikation, aber keine individuelle Mitteilung)

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Anfechtbarkeit der "Allgemeinverfügung" (Frage 2)

• Rechtsmittelinstanz:

Massgebend in erster Linie: spezialgesetzliche Regelung;

hier keine allgemeine Rechtsmittelordnung massgebend

Verfügungen von Bundesverwaltungsbehörden typischerweise beim

Bundesverwaltungsgericht anfechtbar

Anfechtungsobjekt vor BVGer:

Art. 31 VGG Verfügungen i.S. von Art. 5 VwVG

Hier: Allgemeinverfügung gestützt auf Art. 32dbis Abs. 3 lit. a

USG, also auf öffentl. Recht des Bundes

Ausnahmetatbestand gemäss Art. 32 VGG: keiner

Vorinstanz: Art. 33 lit. d VGG Departement des Bundes (hier:

VBS)

Ergebnis: BVGer = zuständige Rechtsmittelinstanz

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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)

Lokalisierung des Problems:

Prozessuale Behandlung von Allgemeinverfügungen II: akzessorische

Überprüfbarkeit

Fragestellung! Gefragt ist nicht nach den materiellen Erfolgs-

aussichten bzw. nach der materiellen Begründetheit der Rüge von

Nachbar A

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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)

• Akzessorische Prüfung der Allgemeinverfügung:

Rüge von Nachbar A zielt auf Rechtmässigkeit der Allgemein-

verfügung des VBS u. stellt diese in Frage

"Einsprache" von A (korrekt: Einwendung; warum?) richtet sich

jedoch gegen das Baugesuch

Baugesuch = "Anfechtungsobjekt" (genauer: Einwendungsobjekt)

Rechtmässigkeit des Bauvorhabens = Hauptfrage

Rechtmässigkeit der Allgemeinverfügung = Vorfrage

vorfrageweise Überprüfung der Allgemeinverfügung zulässig?

Grundsätzlich zu bejahen, jedenfalls dann, wenn eine (direkte)

Anfechtung für die Betroffenen faktisch nicht möglich oder nicht

zumutbar war

Allgemeinverfügung in dieser Hinsicht nicht wie Individualver-

fügung (Grundsatz des einmaligen Rechtsschutzes), sondern wie

Erlass behandelt

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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)

Hier: akzessorische Überprüfbarkeit der "Allgemeinverfügung" des

VBS (bei der es sich bei Lichte besehen ohnehin um einen Erlass

handelt) zu bejahen,

weil Nachbarn von belasteten Grundstücken im Zeitpunkt des

Erlasses der Allgemeinverfügung in vielen Fällen nicht erkennen

konnten, dass es sich um ein von dieser erfasstes Grundstück

handelt, oder

weil ihnen eine "abstrakte" Anfechtung jedenfalls nicht zuzu-

muten gewesen wäre

Gemäss Unterscheidung von T/Z/M, § 28 N. 55:

• solche Betroffene = "Normaladressaten"

• betroffene Grundeigentümer = "Spezialadressaten", für welche

die Frage der akzessorischen Überprüfbarkeit u.U. anders zu

beurteilen wäre (vgl. T/Z/M, § 30 N. 60)

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Prüfungsbefugnis der Baubehörde (Frage 3)

• Ergebnis:

Baubehörde darf die Rüge vorfrageweise auf ihre Begründetheit

prüfen, weil dies zu einer vollständigen Rechtsanwendung gehört

(sonst u.U. fehlerhafte Anwendung der höherrangigen Norm des

USG)

Dürfen oder Müssen? Prüfung nur auf Antrag oder von Amtes

wegen?

Grundsätzlich:

– Pflicht zur Prüfung (ausser, wenn Rüge offensichtlich unbe-

gründet)

– Prüfung von Amtes wegen (Ausnahme: vor BGer, soweit das

qualifizierte Rügeprinzip zur Anwendung kommt)

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