Was ist Schreibkompetenz? · PDF file• Becker-Mrotzek, Michael/Schindler, Kirsten (2007)....

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1 Was ist Schreibkompetenz? Michael Becker-Mrotzek (Köln) Joachim Grabowski (Heidelberg) Becker Becker-Mrotzek / Grabowski (2007) Mrotzek / Grabowski (2007) 2 Übersicht Einsichten und Erkenntnisse Kompetenzbegriff im Wandel Schreiben und Schreibprozess Entwicklungsverlauf Aktuelle Entwicklungen Kompetenzmodellierung in der Bildungstheorie Kompetenzmodellierung in der Fachdidaktik Offene Fragen Spezifisch sprachliche vs. allgemeine Aspekte? Textsorten und die Anbindung an Prozessmodelle Transfer aus der Mündlichkeit? Bildung, Erziehung, Sozialisation als Kompetenzquellen?

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Was ist Schreibkompetenz?

Michael Becker-Mrotzek (Köln)Joachim Grabowski (Heidelberg)

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Übersicht

• Einsichten und Erkenntnisse– Kompetenzbegriff im Wandel– Schreiben und Schreibprozess– Entwicklungsverlauf

• Aktuelle Entwicklungen– Kompetenzmodellierung in der Bildungstheorie– Kompetenzmodellierung in der Fachdidaktik

• Offene Fragen– Spezifisch sprachliche vs. allgemeine Aspekte?– Textsorten und die Anbindung an Prozessmodelle– Transfer aus der Mündlichkeit?– Bildung, Erziehung, Sozialisation als Kompetenzquellen?

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Kompetenzbegriff im Wandel (1)

• a) Sachverstand, Fähigkeit; b) Zuständigkeit

• Umgangssprachlich: Fähigkeit, Aufgaben und Probleme in einem bestimmten Bereich zu bewältigen (H. Günther)

• Chomsky spricht von einer allg. Sprachfähigkeit als conditio humana und grenzt diese gegen die Performanz ab.

• Del Hymes sieht in der kommunikativen Kompetenz die Fähigkeit zum angemessenen sprachlichen Handeln.

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Kompetenzbegriff im Wandel (2)

• In Bildungstheorien versteht man darunter:– Basisqualifikationen wie Lesen, Schreiben,

mathematisches Denken etc.– auch als „literacy“ bezeichnet– nicht identisch mit „Literalität“– stark funktional und kognitiv ausgerichtet– vor allem in TIMSS und PISA entwickelt– „cultural literacy“ als Kompetenz zur

Kulturteilhabe

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Kompetenzbegriff im Wandel (3)

• Dabei versteht man unter Kompetenzen „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereit-schaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungs-voll nutzen zu können“ (Weinert, 2001, 28f).

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Schreiben

• Unter Schreiben wollen wir die Fähigkeit zur Produktion von Texten verstehen - und damit die Fähigkeit zur zerdehnten, schriftlichen Kommunikation (Ehlich 1983).

⇔ ⇔• Schreiben erfordert wegen der besonderen

Bedingungen spezifische Fähigkeiten.

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„Klassisches“ und erweitertes Modell des Schreibprozesses (Hayes & Flower, 1980; Hayes, 1996)

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Schreibentwicklung (1)

0) Startphase: Erste Schreibversuche (5 - 7)– Qualitativer Einschnitt– Verschriften im Fokus – Umbau des sprachlichen Wissen:

from conversation to compositionI) Orientierung am Erlebten (7 - 10)

– Knowledge telling: Schreiber orientieren sich an den Strukturen des Selbsterlebten

– Erzählen als dominierende Schreibaufgabe, als teilweise eigenständige Entwicklung

– Wenig Leserorientierung - kaum Überarbeitungen

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Schreibentwicklung (2)

II) Orientierung am Leser und der Sache (10 - 14)– knowledge transforming: Wissen wird für die

Textproduktion umstrukturiert– Orientierung an Textmustern– Entwicklung in dieser Phase ist stark von äußeren

Faktoren, vor allem vom Unterricht abhängig.III) Literale Orientierung (ab 14)

– Handeln im Medium der Schrift– Ausbalancieren zwischen den Erfordernissen der

Sache - des Lesers - des Textes– Heuristisches, wissen-bildendes Schreiben

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Kompetenzen und Standards

• In der fachdidaktische Diskussion werden aus zwei Gründen Kompetenzmodelle benötigt:– Für die Bestimmung der zu einem bestimmten

Zeitpunkt zu erreichenden Fähigkeiten, wie sie die Standards festlegen

– Für die Überprüfung der Standards: Output-Überprüfung anstelle von Input-Vorschriften

• Aus diesen Gründen werden in der Fachdidaktik entsprechende Modelle entwickelt.

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Fachdidaktisches Kompetenzmodell

(Ossner 2006)

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Kompetenzmodell Schreiben

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Offene Fragen(1): Spezifität vs. Generalität von Schreibkompetenz

• Vier Facetten der Schreibkompetenz– Kommunikativ-pragmatische Kompetenzen

(z. B. Grice; Informativität/Instrumentalität; kulturabhängige Angemessenheit)

– Sozial-kognitive Kompetenzen(z. B. Legitimation; Partner- und Adressatenorientierung)

– Strategische Kompetenzen(z. B. Medienwahl; Herangehensweise an die Textproduktion; Revision; Gestaltung)

– Sprachliche Kompetenzen(„rhetorischer Problemraum“; Sprachproduktion im engeren Sinne + Textmusterwissen)

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Offene Fragen(2): Alternative Ordnungsgesichtspunkte

• Textmustererfüllung als Selbstzweck vs. Schreiben als Mittel der eigenen Handlungsregulation

• Art der Beeinflussung des Rezipienten– Etwas wissen/kennen/erfahren

dabei vorrangig informiert werden (→ Bericht)dabei vorrangig unterhalten werden (→ Erzählung)

– Etwas können (→ Bedienungsanleitung, Wegbeschreibung)– Etwas glauben/bewerten (→ Argumentation, Pamphlet)– ...– Etwas erinnern/merken (→ Protokoll, Einkaufszettel)

• Kognitionstransformierendes vs. intertextuelles Schreiben– Abschreiben/Kopieren– Exzerpieren– Zusammenfassen– Paraphrasieren– Zitieren– Kommentieren/Kritisieren– Übersetzen

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Offene Fragen(3): Schreibkom-petenz als Problemlösekompetenz

• Textmuster als „geronnene Problemlösungen“

• Instruktion einer Sequenz von Textmustern („didaktisches Brauchtum“) vs.entdecken/erfahrbar machen von mehr oder weniger gelungenen Problemlösungen

• Flexibilisierung in Abhängigkeit von Zielkriterien(z. B. schnell, ökonomisch, akzeptabel, überzeugend)

• Beispiel: SMS (bzw. Chat) und paraverbale Markierungszeichen– Schriftverkehr an Mündlichkeit orientiert– Konventionalisierung der Zeichen zur Verständnissicherung (lol,

SHOUT, 8-) etc.)– Ungesteuerte Erkennung und Bewältigung bei klaren Handlungszielen

• Beispiel: Handeln nach Texten– Warum stehen bei Kochrezepten die Mengenangaben separat?– Rijlaarsdam: Schreiben lernen durch Zusehen

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Beispiel: Couzijn (2004)

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Offene Fragen(4): Transfer• Denkbare Transfereffekte

– Kognitive Entwicklung → Schreibkompetenz– Soziale Entwicklung → Schreibkompetenz– Mündliche/kommunikative Kompetenz → Schreibkompetenz– L1-Schreibkompetenz → L2-Schreibkompetenz– Rezeptionserfahrung → Schreibkompetenz

• Denkbare Transferbarrieren– Allgemeine Intelligenz– Sprachspezifität– Normative Willkür– Kulturspezifität

• Leistungsfähigkeit der Didaktik: Vermittlung von „Produktherstellungskompetenz“ in relevanten/ ausgewählten Fällen auch bei mangelnden/fehlenden Voraussetzungen für Transfer und Flexibilisierung?

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Offene Fragen(5): Vermischtes• Mediale Kompetenzen

– Handschrift, Tastatur und Kulturverfall– Motivationale Quellen von Tastaturen– Motorische Automatisierung– Editoren: Stimulierung von Revisionsprozessen vs. Verhinderung von

Planungsprozessen

• Quellen der Schreibkompetenz– Sozialisation– Mediale/kulturelle Teilhabe– Erziehung– Schule und Bildungseinrichtungen

• Latente Fragen– Rolle der Orthographie– Rolle der Interpunktion– Woher kommen die Voraussetzungen für „academic writing“?– Stimulierung von Revisionsprozessen

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Literatur

• Becker-Mrotzek, Michael/Schindler, Kirsten (2007). Schreibkompetenz modellieren. In Michael Becker-Mrotzek/Kirsten Schindler (Hrsg.), Texte Schreiben (S. 7–26). Köln: Gilles & Francke.

• Grabowski, Joachim/Blabusch, Cora/Lorenz, Thorsten (2007). Welche Schreibkompetenz? – Handschrift und Tastatur in der Hauptschule. In Michael Becker-Mrotzek/Kirsten Schindler (Hrsg.), Texte Schreiben (S. 41–61). Köln: Gilles & Francke.

Zum Download unter www.koebes.uni-koeln.de