Weltausstellung EXPO 2000

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21 STANDORT – Zeitschrift für Angewandte Geographie 1/1997 © Springer-Verlag Weltausstellung EXPO 2000 Rainer Krüger Vom Festival zur nachhaltigen Stadt- und Regionalent- wicklung? a99999 Prof. Dr. Rainer Krüger Forschungsinstitut Region und Um- welt an der Carl von Ossietzky-Uni- versität (FORUM) GmbH Ammerländer Heerstraße 67-69 26111 Oldenburg Polarisierung der Meinungen Auf der Seite der Kritiker wird ausge- führt, daß die EXPO 2000 lediglich ein Festival mit „hohlem Kathedralenef- fekt” sei. Auch wird zu bedenken gege- ben, ob man bei angedachten 40 Mio. Besuchern in 153 Tagen täglich 260.000 Besucher und 35.000 EXPO-Bedienstete, also rund 300.000 Menschen, in Hanno- ver verkraften könne. Ist das Massener- eignis nicht eine untragbare Belastung durch Verkehr und Dienstleistungsver- sorgung und eine Überforderung der natürlichen Ressourcen und Lebenswelt der Einheimischen? Die Befürworter erwarten dagegen, wenn zum Teil auch mit einer gewissen gesellschaftskritischen Meinung verse- hen, daß die EXPO 2000 zu einer neuen Qualität nachhaltiger Stadt- und Regio- nalentwicklung führen wird: „Es kann bei der EXPO 2000 nicht mehr darum gehen, diesem Geschäftsbetrieb des Fortschritts seine ideellen Weihen zu verleihen. ... Deshalb muß das Motto der EXPO 2000 für uns als Aufforderung verstanden werden, die Komplexität und Problematik der Welt unter dem Gesichtspunkt des vorgegebenen Mot- tos ,Mensch, Natur, Technik’ zumindest ansatzweise zu erfassen. Deshalb müs- sen gerade die kritischen Potentiale der EXPO 2000 entfaltet werden, die EXPO 2000 muß sich der Aufgabe stellen, die epochalen Probleme der Welt so zu be- fragen, daß die Chance gemeinsamen Lebens und Überlebens sichtbar wird” (WEIBERG, zitiert nach SELLE 1994, S. 73 f.). Neben dieser deutlichen inhaltlichen Positionsbestimmung erwuchs der An- spruch der betroffenen Bevölkerung und städtischen/regionalen Akteursbe- reiche auf umfassende Teilhabe an der Gestaltung der EXPO 2000: „Ein zentra- ler Leitgedanke der Weltausstellung ist das Prinzip der Partizipation. Die Vor- bereitung der Weltausstellung muß eine politische Kultur demokratischer Aus- einandersetzung schaffen” (WEIBERG, zitiert nach SELLE 1994, S. 74). Durch- leuchtet man in einem ersten Schritt den bisherigen Planungs- und Entschei- dungsprozeß der EXPO-Vorbereitung, kann man sehr leicht konstatieren, daß eine „Mißerfolgsgeschichte” schnell er- zählt ist. Die Weltausstellung im Jahr 2000 in Hannover, die EXPO 2000, soll eine „EXPO neuen Typs” sein. Ist die Er- wartung an das Konzept des Großer- eignisses erst einmal mit diesem An- spruch hochgeschraubt, werden sich um so leichter Kritiker finden, die der EXPO-Planung serienweise Miß- erfolge vorhalten können. So ist es um so erklärlicher, daß Urteile über die EXPO-Planung schnell zu einer Polarisierung der Meinungen führ- ten. Eine „Mißerfolgs- geschichte” Nachdem bereits 1987 die niedersächsi- sche Finanzministerin BREUEL und der Vorstand der Messe AG über die Zu- kunft des Messestandortes Hannover nachgedacht hatten, wurde die Bewer- bungsabsicht Hannovers erstmals am 11. Mai 1988 bekannt, als der damalige Bundeswirtschaftsminister BANGEMANN das „Bureau Internationale des Exposi- tion” (BIE) in Paris darüber verständig- te. Außer der kurzen Unterrichtung ei- nes Ausschusses des niedersächsischen Landtages am 22. März 1988 und einer nicht-öffentlichen Befassung durch den Verwaltungsausschuß der Landeshaupt- stadt blieb die Initialphase der EXPO- Planung zunächst Kommandosache weniger Eingeweihter von Politik und Messe AG. Auch wurde die Stadt Han- nover gleichsam vom Vollzug der Be- werbung überfahren, da das Bewer- bungsschreiben der Bundesregierung bereits 14 Tage vor dem entsprechen- den Stadtratsbeschluß nach Paris abge- schickt worden war. Nach der Bewerbung im November 1988 - und vor allem, nachdem Hanno- ver am 14. Juni 1990 in knapper Ent- scheidung des BIE (21 zu 20 Stimmen Angewandte Geographie

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WeltausstellungEXPO 2000Rainer Krüger

Vom Festival zurnachhaltigen Stadt-und Regionalent-wicklung?

a99999Prof. Dr. Rainer KrügerForschungsinstitut Region und Um-welt an der Carl von Ossietzky-Uni-versität (FORUM) GmbHAmmerländer Heerstraße 67-6926111 Oldenburg

Polarisierung derMeinungen

Auf der Seite der Kritiker wird ausge-führt, daß die EXPO 2000 lediglich einFestival mit „hohlem Kathedralenef-fekt” sei. Auch wird zu bedenken gege-ben, ob man bei angedachten 40 Mio.Besuchern in 153 Tagen täglich 260.000Besucher und 35.000 EXPO-Bedienstete,also rund 300.000 Menschen, in Hanno-ver verkraften könne. Ist das Massener-eignis nicht eine untragbare Belastungdurch Verkehr und Dienstleistungsver-sorgung und eine Überforderung dernatürlichen Ressourcen und Lebensweltder Einheimischen?Die Befürworter erwarten dagegen,wenn zum Teil auch mit einer gewissengesellschaftskritischen Meinung verse-hen, daß die EXPO 2000 zu einer neuenQualität nachhaltiger Stadt- und Regio-nalentwicklung führen wird: „Es kannbei der EXPO 2000 nicht mehr darumgehen, diesem Geschäftsbetrieb desFortschritts seine ideellen Weihen zuverleihen. ... Deshalb muß das Motto derEXPO 2000 für uns als Aufforderungverstanden werden, die Komplexitätund Problematik der Welt unter demGesichtspunkt des vorgegebenen Mot-tos ,Mensch, Natur, Technik’ zumindestansatzweise zu erfassen. Deshalb müs-sen gerade die kritischen Potentiale derEXPO 2000 entfaltet werden, die EXPO2000 muß sich der Aufgabe stellen, dieepochalen Probleme der Welt so zu be-fragen, daß die Chance gemeinsamenLebens und Überlebens sichtbar wird”(WEIBERG, zitiert nach SELLE 1994, S. 73 f.).Neben dieser deutlichen inhaltlichenPositionsbestimmung erwuchs der An-spruch der betroffenen Bevölkerungund städtischen/regionalen Akteursbe-reiche auf umfassende Teilhabe an derGestaltung der EXPO 2000: „Ein zentra-

ler Leitgedanke der Weltausstellung istdas Prinzip der Partizipation. Die Vor-bereitung der Weltausstellung muß einepolitische Kultur demokratischer Aus-einandersetzung schaffen” (WEIBERG,zitiert nach SELLE 1994, S. 74). Durch-leuchtet man in einem ersten Schrittden bisherigen Planungs- und Entschei-dungsprozeß der EXPO-Vorbereitung,kann man sehr leicht konstatieren, daßeine „Mißerfolgsgeschichte” schnell er-zählt ist.

Die Weltausstellung im Jahr 2000 inHannover, die EXPO 2000, soll eine„EXPO neuen Typs” sein. Ist die Er-wartung an das Konzept des Großer-eignisses erst einmal mit diesem An-spruch hochgeschraubt, werden sichum so leichter Kritiker finden, dieder EXPO-Planung serienweise Miß-erfolge vorhalten können. So ist esum so erklärlicher, daß Urteile überdie EXPO-Planung schnell zu einerPolarisierung der Meinungen führ-ten.

Eine „Mißerfolgs-geschichte”

Nachdem bereits 1987 die niedersächsi-sche Finanzministerin BREUEL und derVorstand der Messe AG über die Zu-kunft des Messestandortes Hannovernachgedacht hatten, wurde die Bewer-bungsabsicht Hannovers erstmals am11. Mai 1988 bekannt, als der damaligeBundeswirtschaftsminister BANGEMANN

das „Bureau Internationale des Exposi-tion” (BIE) in Paris darüber verständig-te. Außer der kurzen Unterrichtung ei-nes Ausschusses des niedersächsischenLandtages am 22. März 1988 und einernicht-öffentlichen Befassung durch denVerwaltungsausschuß der Landeshaupt-stadt blieb die Initialphase der EXPO-Planung zunächst Kommandosacheweniger Eingeweihter von Politik undMesse AG. Auch wurde die Stadt Han-nover gleichsam vom Vollzug der Be-werbung überfahren, da das Bewer-bungsschreiben der Bundesregierungbereits 14 Tage vor dem entsprechen-den Stadtratsbeschluß nach Paris abge-schickt worden war.Nach der Bewerbung im November1988 - und vor allem, nachdem Hanno-ver am 14. Juni 1990 in knapper Ent-scheidung des BIE (21 zu 20 Stimmen

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gegen Toronto) den Zuschlag erhaltenhatte - formierte sich der Widerstandgegen die EXPO 2000, der sich inhalt-lich auf den Vorwurf mangelnder Um-welt- und Sozialverträglichkeit und zugroßer Technologieakzeptanz des Aus-stellungskonzepts sowie die Möglich-keit der Verteuerung der Lebenshal-tungskosten in Hannover konzentrierte.Noch ehe sich diese Anti-EXPO-Bewe-gung konsolidiert hatte, war mit derStandortentscheidung am 11. April 1991für das Kronsberggelände ohne Bürger-beteiligung ein weiteres Faktum ge-schaffen worden. Immerhin hätte dasknappe Resultat der Bürgerbefragungvom Juni 1992 (51,5% zu 48,5%) für dieEXPO 2000 den Planungsablauf nochanhalten oder verändern können. Da-nach waren die Weichen für eineEXPO-Vorbereitung unter maßgebli-

chem Einfluß der deutschen Wirtschaftgestellt. Der Widerstand der EXPO-Geg-ner zerbröckelte. Als dann im Juli 1994die EXPO GmbH die Zuständigkeit fürdie Planung und Durchführung über-nommen hatte, war auch klar, wo dieGewichte der Entscheidungssteuerungliegen würden: bei der Bundes- undLandesregierung und vor allem bei derWirtschaft, welcher die beiden erstge-nannten Gesellschafter zusätzliche Auf-sichtsratssitze abgetreten haben. Vonzehn Mitgliedern kommen fünf aus derWirtschaft, ebenso der Vorsitzende desAufsichtsrates, je zwei von Bund undLand und nur ein Vertreter aus Stadtund Umland (Abb. 1).Stadt und Region Hannover sind alsobei der EXPO-Planung unterrepräsen-tiert. Dies ist keine gute Startvorausset-zung für die Zielvorgabe einer nachhal-

tigen Stadt- und Regionalentwicklung,zumal, da auch der Bundeskanzlerschon frühzeitig, im Frühjahr 1993,deutlich werden ließ, daß er „von Rot-Grünen Hippieplänen” (DIE ZEIT nachSELLE 1994, S. 29) nichts halte und diePlanung der EXPO 2000 bei der Wirt-schaft in besseren Händen läge.Hinzu kommt ein weiterer bedenkli-cher Aspekt: das Land Niedersachsenund die Region Hannover könnten fi-nanziell einem Strohfeuer, genannt„warmer Regen”, mit unangenehmenNachfolgen aufsitzen. Denn bei der För-derung seitens der Bundesrepublikhandelt es sich nicht um zusätzlicheMittel, sondern um einen Vorschuß aufBundesmittel, die Niedersachsen undder Kommune bis zum Jahr 2000 so-wieso zuständen. Hannover erhält dieZusatzmittel bis zum Jahr 2000 abernur auf Kosten anderer Regionen inNiedersachsen, die nicht in dieEXPO 2000 eingebunden sind und de-nen die Mittel folgerichtig fehlen wer-den. Das heißt, die Durchführung derEXPO 2000 wird nur durch ein Ver-schieben von Bundesmitteln ermög-licht, und zwar ein Verschieben in zeit-licher Richtung (Vorschuß) und miträumlicher Konzentration auf Hanno-ver und EXPO-Projekte. Damit kannangenommen werden, daß im Anschlußan die EXPO 2000 für Hannover mage-re Jahre folgen werden.Um die Mißerfolgsgeschichte abzurun-den, sei noch auf die Stichworte „Perso-nalquerelen”, „Personalkarussell” und„Planungsrückstand” verwiesen. Somöchte man am Ende der Geschichteim allgemeinen Rundumschlag den Stabüber die EXPO 2000 brechen, denn● die Planung ist schleichend privati-

siert worden und bietet wenig an de-mokratischen Partizipartionsmög-lichkeiten und

● die gesamtstädtische und regionaleGestaltungsperspektive scheint in denHintergrund gerückt zu sein.

Dreht sich die „EXPO neuen Typs” alsoaus dem Wind ihres eigenen Anspruchs,nachhaltige Entwicklungsprozesse anzu-regen?

Abb. 1Die Institutionen der EXPO 2000(Quelle: NordLB)

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Gestaltungsperspek-tiven der EXPO 2000

Man sollte vorsichtig den Versuch ma-chen, auf der Grundlage einer genaue-ren Analyse von konzeptionellen Ansät-zen und ersten Umsetzungsmaßnahmensowie dem Wissen aus zahlreichen Ge-sprächen mit Akteuren aus der RegionHannover und dem EXPO-Manage-ment, positive Chancen der EXPO 2000aufzuspüren. So soll unter mehrerenAspekten gezeigt werden, daß dieEXPO 2000 Gestaltungschancen vermit-teln kann, die dem Qualitätsanspruchdes Mottos „Mensch, Natur, Technik”gerecht werden können.Nebenbei bemerkt: Dem neuen „Regio-nalen Raumordnungsprogramm 1996für die Hannover-Region” (RROP) soll-te ein „Gesamträumliches Leitbild” vor-angestellt werden; die mit der Erstellungund Moderation des Leitbildes beauf-tragte FORUM GmbH hat in diesemZusammenhang insbesondere eine Rei-he intensiver Gespräche nicht nur mitden Kommunen, sondern mit Vorstän-den von Unternehmen, mit Gewerk-schaften, Verbänden und Hochschulein-richtungen geführt, in denen die Rolleder EXPO 2000 für eine konstruktiveWeiterentwicklung von Stadt und Regi-on angesprochen wurde (FORUM 1996).

Ansätze normativerQualität

Unter diesem Kriterium werden kon-zeptionelle Beiträge verstanden, diesich aufklärend und bewußtseinsbil-dend um gesellschaftliche Zukunftslö-sungen wichtiger zivilisatorischerÜberlebensbereiche bemühen und vontheoretischer Reflexion zu praxisbezo-gener bzw. pädagogischer Konkretisie-rung reichen. Die folgenden Beispielesind programmatischen Bereichen desEXPO-Konzepts entnommen (Abb. 2).

Vom Motto zum„Themenpark”

Im Themenpark soll „der Blick in dieglobalen Zusammenhänge von Mensch,Natur und Technik zum didaktischenSchwerpunkt” werden (EXPO 2000HANNOVER 1995a, S. 10). Abbildung 3 zeigtdie vorhandenen Darstellungsbereiche,deren didaktische Präsentation in soge-nannten „Denkräumen”, den „Häusern”,erfolgen soll.

lung in Hannover zu inszenieren, son-dern gleichzeitig als dezentrale Ent-wicklungsimpulse in unterschiedlichenRegionen Niedersachsens mit jeweilspointierter Leitthematik wirksam wer-den zu lassen. Von ursprünglich (bisMärz 1995) 183 eingereichten Projekt-vorschlägen hat eine Jury im Mai 199545 Projekte vorausgewählt, von denenschließlich die besten die offizielle Re-gistrierung erhalten sollen.Tabelle 1 gibt die zur Registrierungempfohlenen Projekte wieder und ver-mittelt einen Eindruck von der inhaltli-chen Reichweite. Sofern die angespro-chenen Projekte erfolgreich angebahntund umgesetzt werden, können sie Bau-steine einer nachhaltigen Landesent-wicklung sein, die exemplarisch dieKompetenz und Kreativität von Akteu-ren aus Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft,Planung und Verwaltung nutzt.

Abb. 2Das EXPO-Motto “Mensch-Natur-Technik” (Quelle: EXPO-Beteiligungsgesellschaft der Deutschen Wirtschaft mbH & Co. KG)

Abb. 3Die “Zellen” des Themenparks(Quelle: EXPO 2000 Hannover GmbH, Januar 1996)

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Ansätze lebens-räumlicher Qualität

In einem zweiten Anlauf soll nun ge-zeigt werden, daß die EXPO 2000 außerden genannten konzeptionell-normati-ven Schwerpunkten der Weltausstel-lung auch - und trotz der vorab allge-mein geäußerten Kritik - Ansätze einer

Vom Motto zu „Stadt undRegion als Exponat”

Hier liegt der anspruchsvolle Versuchvor, ökologische, ökonomische und kul-turelle Innovationsansätze nicht nurpunktuell ereignishaft als Großausstel-

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bemerkenswerten lebensräumlichenQualitätsverbesserung für den Groß-raum Hannover insgesamt in sichbirgt.

Hannover: Neue Stadtent-wicklungsstrukturen

Im Hannoverprogramm 2001 (vgl. LAN-DESHAUPTSTADT HANNOVER 1996) sind vonder Stadt über 100 Projekte beschlossenund in unterschiedlichen Modellendurchfinanziert worden, die im Zusam-menhang mit der EXPO 2000 zu sehensind: „Hannover hat sich für dieEXPO 2000 nicht zuletzt deshalb ent-schieden, weil sie die Chance beinhaltet,die Stadtqualität weit über das Jahr2000 hinaus zu verbessern. Das ist derSinn des Hannoverprogramms 2001. Esumfaßt Projekte, die im Vorfeld derEXPO realisiert werden, ihre positiveWirkung auf das Stadtleben aber erst abdem Jahr 2001 richtig entfalten werden.Es ist ein Plan für Hannover im Zusam-menhang mit der EXPO, aber keine Pla-

Die von der Jury zur Registrierung empfohlenenProjekte (Auswahl)

● Öffentliche Dialogforen sollen einge-richtet werden, in denen Politik, Ver-waltung, Fachleute und die betroffeneBevölkerung sowohl gesamtstädtischals auch auf teilstädtischer Ebene indie Stadtentwicklungsplanung einbe-zogen werden.

● Diese Stadtentwicklungsdiskursewerden von einem Moderator, dessenStelle die Stadt finanziert, unterstützt.

● Für den von der EXPO 2000 beson-ders betroffenen Bereich des Süd-ostens der Stadt bzw. Kronsbergs solleine Anwaltsplanung eingerichtetwerden.

● Der Begleitung der eigentlichenStandortplanung der EXPO 2000 sollein EXPO-Forum als Beirat dienen.

Wenn im Hinblick auf Planungs- undEntscheidungspartizipation an derSchnittstelle EXPO 2000/Stadtentwick-lung nur von „Pflänzchen” gesprochenwird, geschieht dies aus einer allgemei-nen Reserve heraus: Können die Ziel-setzung einer Weltausstellung, könnenihre Megaform, ihre starke Außenori-entierung über Interessen der Regionhinaus sowie die notwendige Planungs-geschwindigkeit und die stärkere natio-nale denn regionale Entscheidungs-kompetenz überhaupt Raum für wei-tergehende Beteiligungsformen derBevölkerung lassen?

Tab. 1

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Verbund-Projekt „Kreislaufwirtschaft“

Biologisch-pflanzliche Abwasserbehandlung

Erzbergwerk Rammelsberg und Altstadt Goslar

Wissenschaft und Technik im Otto-Hahn-Zentrum

„ErlebnisWald“ - Waldforschung im Solling

Lebensraum - Gefährdung - Perspektiven

Hofanlage Brombeerweg, Holzminden

Seedorf Northeim

Naturnaher Wasserkreislauf Einbeck

Weltkulturerbe - eine globale Herausforderung

Aqua Bad Pyrmont

Modellprojekt Wohngebiet Rotenberg Ost

Ökologische Siedlung „Am Ohrberg“, Emmertthal

Lebensgarten Steyerberg

Geothermie - Wärme ohne Schadstoffe

Holzheizkraftwerk Rotenburg, Lüneburger Heide

Weltforum Wald

Boden - gesund ernähren und gesund leben

Nordwolle Delmenhorst

Technologiezentrum Fagus-Werk

Präventiver Gesundheitschutz in der Arbeitsumwelt

Stadt als Garten

Kommunaler Klimaschutz

Stadt als sozialer Lebensraum

Das umweltfreundliche Krankenhaus

Wohnsiedlung mit Brennstoffzellen-BHKW

Biomasse in Hannover

Das Einsparkraftwerk der Stadtwerke Hannover AG

Regionaler Landschaftsraum und Leinetal

Klimaschutzprogramm EXPO-Region Hannover

Verkehrsmanagement in der Region Hannover

Der Hannover Zoo als Exponat

Revitalisierung des Scheunenviertels in Steinhude

Innovative Kältetechnik

Regeneration des Toten Moores bei Neustadt

Brut- und Rastgebiet Meebruch

Landwirtschaft und Regionale Vermarktung

Strohheizwerk Hildesheim

nung für die EXPO” (EXPO 2000 HAN-NOVER 1995b, S. 5).Konzeptionell dürfte das Programm-bündel auch deshalb ein wichtiger Im-pulsgeber einer nachhaltigen Stadtent-wicklung sein, weil es vernetzte Lösun-gen sind, die „... in ein und demselbenVorhaben Klimaschutz mit Sozialarbeit,Abfallvermeidung mit neuen Wohnfor-men oder gesunde Ernährung mitStadtbildverschönerung verbinden- und allesamt der Stärkung des Wirt-schaftsstandortes dienen” (EXPO 2000HANNOVER 1995b, S. 5) und dem städti-schen Lebensalltag neue Attraktivitätverleihen können. Im folgenden wirdversucht, die Projektfülle schematischzu ordnen (vgl. Abb. 4).

Partizipatorische PflänzchenMit der inhaltlich-konzeptionellen Ver-klammerung von EXPO 2000 und Stadt-entwicklung sind nun doch einigeSchritte in Richtung einer allgemeine-ren Bürgerbeteiligung verbunden:

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Nachhaltige Nutzungsoptio-nen und innovative Entwick-lungsimpulse für die Stand-ortregion

Wenn also die Betroffenenperspektiveim städtischen Bezugsraum der EXPO2000 nur eine ergänzende Rolle spielendürfte, stellt sich die Frage, ob nichtdoch mit der EXPO 2000 geschaffeneoder indirekt durch sie zu aktivierendePotentiale sich zu neuen ökonomischattraktiven Entwicklungsmustern ar-rondieren, die den Großraum Hanno-ver vor allem als Standortregion stärkenund dadurch die Existenzgrundlage derregionalen Bevölkerung festigen helfen.

Das Problem der Nachnut-zungsfähigkeit von EXPO-Infrastrukturen

Auf etwa zwei Drittel der EXPO-Flächewerden die z.T. architektonisch-ästhe-tisch aufgewerteten Hallenkomplexedurch die Messe AG ebenso wie dasentstehende Geländeinformationssy-stem weiter genutzt werden können

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● Das Mehrzweckgebäude soll in Trä-gerschaft von Bund, den 16 Ländernund der Wirtschaftsbeteiligungsge-sellschaft erhalten werden und dieessentiellen Bausteine des Themen-parks als Dauerausstellung beheima-ten.

● Das Telekomgebäude wird von derTelekom AG selbst nachgenutzt.

Der Teil der Nationenpavillons, der imOsten des Geländes in Richtung Krons-berg entsteht, soll als Gewerbepark er-halten bleiben. Interessant ist die Ab-sicht, zu Planungs- und Baubeginn In-

vestoren für die Nachnutzung der Pavil-lons zu gewinnen, die sich mit den aus-stellenden Nationen so zu arrangierenhaben, daß funktional wie ästhetischdie Interessen der Nationenrepräsen-tanz mit denen der gewerblich/dienst-leistungsorientierten Nachnutzer kom-patibel gehalten werden. Die Freiraum-gestaltung (EXPO-Südpark, Alleen-Bepflanzung, experimentelle Gartenge-staltung) soll weitgehend erhalten blei-ben.Die Dauernutzung der Kronsbergsied-lung ist prinzipiell gewollt, in ihrer Rea-lisierung aber noch problematisch. Vonden 4.000 bis zum Jahr 2000 geplantenWohneinheiten sind nur 1.500 Wohn-einheiten zur vorübergehenden EXPO-Nutzung mit Mietausfallgarantie derEXPO GmbH gedacht. Die Vermietbar-keit des gesamten Wohnbestandes wäh-rend der EXPO-Vorbereitungs- undDurchführungszeit, vor allem aber nachdem Jahr 2000 (wobei endgültig 6.500Wohneinheiten in Aussicht gestelltsind), bleibt offen.Eine dauerhafte Verbesserung der Nah-verkehrssituation durch die neuenS-Bahnlinien Wunstorf-Lehrte undFlughafen-Laatzen sowie durch dieStadtbahnlinie D vom Hauptbahnhofzum Kronsberg dürfte unbestrittensein, ebenso die bessere Anbindung anden Fernbahnhof (Messebahnhof Laat-zen).Offen bleibt, ob das Volumen des neuenFahrzeugparks für die S-Bahn undStadtbahn (40 plus 144 neue Züge) nichtebenso für die Nutzung nach der EXPOüberdimensioniert ist wie der Bau desdritten Flughafenterminals in Langen-hagen (Steigerung der Abfertigungska-pazität von 5,4 Mio. auf 7,5 Mio. Fluggä-ste pro Jahr).Beim Verkehrsmanagement RegionHannover (MOVE-Projekt), dem Aus-bau des Zoos, der Steigerung der Beher-bergungskapazitäten um ca. 50% undanderen EXPO-bedingten Sonderent-wicklungen stellt sich die Frage, inwie-weit nach dem Jahr 2000 rentable Aus-lastungen zu erwarten sind.Noch spannender als das Problem derNachnutzungsfähigkeit der EXPO-be-dingten Strukturen dürfte jedoch dieFrage sein, ob und inwieweit durch dieEXPO 2000 im Großraum Hannoverinnovative Entwicklungsimpulse füreine nachhaltig entwickelbare Standort-region entstehen.

Abb. 4EXPO 2000: Qualitative Nachhaltigkeit der Stadtentwicklung

und damit die Attraktivität Hannoversals internationaler Messeplatz festigen(vgl. Abb. 5).Für die EXPO-Plaza als Entree und Ge-lenkstück zwischen Messe und Krons-bergsiedlung ist - mit Ausnahme derArena, deren Realisierung noch offenist, und des Forums der Weltregionen -die Nachnutzung geklärt:● Der Deutsche Pavillon als Haus des

Gastgebers wird nach der EXPO 2000zum Multi-Media-Zentrum umge-baut und von Siemens als Investorgetragen.

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Abb. 5Das Weltausstellungsgelände (Quelle: EXPO 2000 Hannover GmbH)

SchlußbemerkungDer Ausblick auf die Anregungsfähig-keit neuer Innovationen in der RegionHannover, die durch die Konzeptionund Demonstration der EXPO 2000 inHannover entstehen könnten, führenzur Aufforderung: ein Aufbruch zu ei-ner neuen unvoreingenommenen Dis-kursqualität über die Zukunft der Regi-on Hannover tut not. Die Erfahrungen,die der Kommunalverband GroßraumHannover und das „ForschungsinstitutRegion und Umwelt an der Carl von Os-sietzky-Universität (FORUM) GmbH”bei der Leitbildentwicklung anläßlichder Aufstellung des neuen „RegionalenRaumordnungsprogramm 1996 für dieHannover-Region” (RROP) schranken-übergreifend in vielen Gesprächen mitVertretern der Kommunen, Wirtschaft,Verbänden und EXPO-Vertretern ge-macht haben, geben dazu etwas Hoff-nung. Was hierbei die Rolle derEXPO 2000 angeht, läßt sich sagen: dieRegion Hannover hätte ohne dieEXPO 2000 weiterleben können, jetztmuß alles gelingen, damit die Regionmit der EXPO 2000 besser weiter lebenkann. Chancen sind gegeben (FORUM1996).

Das Problem des Innova-tionsgewinns der Standort-region

Dem Wirtschaftsraum Hannover wer-den gute Standortbedingungen atte-stiert - angefangen von der guten geo-graphischen Lage und Verkehrsanbin-dung über bereits vorhandene Gewerbe-und Dienstleistungsstrukturen, qualifi-zierte Arbeitskräfte, eine breit gefä-cherte Forschungslandschaft bis hin zuseiner kulturellen Attraktivität.Dennoch gelingt es der Region Hanno-ver bisher nur mühsam, sich unter denderzeitigen Rahmenbedingungen derWeltwirtschaft zu einer besonders in-novationsfähigen Standortregion zuprofilieren. Die daraus resultierendeFrage ist also: Kann die EXPO 2000 -direkt oder induzierend - neue regio-nalökonomische Entwicklungsmusterstimulieren?Im folgenden soll am Beispiel der „Mo-bilitätskompetenz“ eine derartige Ent-wicklungschance diskutiert werden.

MobilitätskompetenzDie in Ansätzen gegebene und viel in-tensiver nutzbar zu machende Kataly-satorfunktion der EXPO 2000 für einEntwicklungsmuster „Mobilitätskom-petenz” könnte in der Zusammenfüh-rung folgender Impulse liegen:● EXPO-spezifische Verbesserungen der

Mobilitätsstrukturen (leistungsfähi-ges ÖPNV-Netz und gute überregio-nale Anbindung, ATM-Netz der I+K,Verkehrsmanagement MOVE)

● EXPO-bedingtes Pioniermarketing:die EXPO 2000 als „Weltschaufenster”für praktizierte Mobilität, intelligenteSteuerungsleistung, UmsteuerungMIV zu ÖPNV, Prototypen technischinnovativer Verkehrsmittel

● Als Standort EXPO Attraktionsfaktorzur Verdichtung des Entwicklungs-musters: attraktives regionales Milieu

● EXPO als Katalysator von Kooperati-onsallianzen unterschiedlicher Teil-strukturen (Unternehmens-/F+E-Ko-operationen, regionale Diskurse, PPPs).

Angewandte Geographie

LiteraturEXPO 2000 HANNOVER (1995a): Einladung zur

Beteiligung am Themenpark der Weltausstel-lung. - Hannover.

EXPO 2000 HANNOVER (1995b): Dokumentationdes Verfahrens Stadt und Region als Exponat.- Hannover.

FORUM (1996): Gesamträumliches Leitbild fürdie Hannover-Region. - Entwurf, Oldenburg.

LANDESHAUPTSTADT HANNOVER (1996): Vorwärtsnach weit - Das Hannoverprogramm 2001.- Hannover.

SELLE, K. (1994) EXPOsitionen. - ABG, Werk-stattbericht, 32, Dortmund.

Prof. Dr. Rainer Krüger, Jahrgang 1939, istProfessor für Geographie an der Universi-tät Oldenburg und WissenschaftlicherDirektor des Forschungsinstituts Regionund Umwelt (FORUM) GmbH.