„Wir müssen den Schulen helfen, Praxisbezug zu organisieren“ · 17 IHK: Herr Dr. Thormeyer,...

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17 IHK: Herr Dr. Thormeyer, Sie haben stets Auszu- bildende in Ihrem Unternehmen beschäftigt und übernommen. Derzeit sind es ein eigener und sechs fremde – wie schwer war es, diese Azubis zu bekommen und wie entwickeln sie sich? Dr. Detlev Thormeyer: Wir haben uns dazu entschlossen, einen Haupt- schüler zum Zerspanungs- facharbeiter auszubilden. Wir waren zunächst skep- tisch, aber das erste Jahr ging bisher gut. Für zwei soziale Einrichtungen des Landkreises organisieren wir die praktische Ausbil- dung für sechs Azubis. Auch das geht bisher gut, weil diese von Anfang an in den Produktionsprozess integriert wurden und so die nötige soziale und fachli- che Kompetenz erworben haben. Ich denke, dass bei der drastisch verringerten Zahl der Schüler Kompro- misse bei der Auswahl von Azubis einfach nötig sind. IHK: Viele Unternehmen beklagen die mangelnde Ausbildungsreife eines Teils der Schulabgänger. Wo genau liegen nach Ihrer Erfahrung die Defizite? Dr. Detlev Thormeyer: Zunächst einmal in fachlicher Hinsicht sind es fehlende, ungenaue oder unrichtige Kenntnisse in den Naturwissenschaften und in Deutsch. Hier muss man abwarten, wie die Orientie- rung des Kultusbereiches auf mehr Phasen der Festi- gung in der Sekundarschule sich auswirken wird. Bis dahin müssen wir Unternehmer gemeinsam mit solchen Einrichtungen wie Teutloff Bildungszentrum in Wernigerode in den ersten vier Monaten Nachhil- feunterricht organisieren. Viel schwerer wirken aber Mängel in der Haltung zur Berufsausbildung, in einfa- chen Dingen wie Pünktlichkeit, Höflichkeit, Aufmerksamkeit und Leistungswillen. Zu oft habe ich den Eindruck, als würde mancher Jugendliche seine Arbeitszeit nur als Abwesenheit von Freizeit betrach- ten. Diese Persönlichkeitseigenschaften zu verändern ist das viel größere Problem und an dieser Stelle liegt auch die Ursache für die vielen Lehrabbrüche. IHK: Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregie- rung ist beispielsweise zu lesen, dass das „techni- sche und wirtschaftliche Aufgabenprofil“ von Sekundarschulen gestärkt werden soll. Was verste- hen Sie darunter bzw. was können Sie mit solch einer Formulierung anfangen? Dr. Detlev Thormeyer: Eine praxisorientierte Schul- ausbildung mit Fächern wie Wirtschaftskunde, Tech- nik und Haustechnik, einem fundierten Werkunter- richt und in den oberen Klassen richtiger Arbeit in einem Unternehmen– das verstehe ich darunter und das fordert die IHK Magdeburg schon längere Zeit. Das bedeutet auch, dass wir Unternehmer den Schu- len helfen müssen, solchen Praxisbezug zu organisie- ren, wir sinnvolle Praktikumsplätze zur Verfügung stellen, im Unterricht auftreten, Weiterbildung für Lehrer organisieren, bei der Ausrüstung von Technik- kabinetten helfen. Es kommt schließlich unseren zukünftigen Lehrlingen zugute. IHK: Die Landesregierung möchte die Eigenver- antwortung der allgemeinbildenden und berufsbil- denden Schulen insbesondere auch bei der Auswahl der einzustellenden Lehrer und bei deren individueller Weiterbildung stärken – ein richtiger Ansatz? Dr. Detlev Thormeyer: Unbedingt! Die Schulleiter müssen endlich die finanziellen, personellen und organisatorischen Rechte eines Leiters erhalten. Dann kann man sie auch an ihren Pflichten messen. Bei den Privatschulen funktioniert das zum Teil hervorragend. Und wenn den einen Lehrer oder die andere Lehrerin keiner haben will – vielleicht setzt dann ein Denkpro- zess über die eigenen Defizite ein. Der Markt in Mitteldeutschland 7/2011 „Wir müssen den Schulen helfen, Praxisbezug zu organisieren“ Die WPG legt großen Wert auf die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses. Qualitativ hochwertiger Werkzeugbau hat im Harz eine über 50-jährige Tradition. Ein Unternehmen, das diesen Anspruch heutzu- tage beispielhaft verkörpert, ist die WGP Werkzeugbau GmbH aus Wernigerode. Im Unternehmen sind aktuell 31 Mitarbeiter beschäftigt, mehr als 90 Prozent davon mit Diplom-, Techniker- oder Facharbeiter- abschluss. Sie verfolgen konsequent die Firmenphilosophie: innovativ, termingetreu, qualitätsgerecht und kostengünstig die Wünsche der Kunden umzusetzen. Zu dieser vielfältigen und anspruchsvollen Kundschaft gehören Finalproduzenten aus der Automobil- branche genauso wie Firmen des Maschinen- und Anlagenbaus sowie der Elektromotorenin- dustrie. Mit Einsatz modernster Technik stellt WGP unter anderem Folgeverbundwerkzeuge für Schneid- und Umformprozesse her, Druck- gießwerkzeuge für den Elektromotorenbau, Vorrichtungen und Präzisionsmaschinenteile. Das Unternehmen übernimmt zudem Lohn- aufträge für Dreh-, Fräs-, Drahterodier- und Schleifarbeiten. Die hochwertige Anlagentechnik trägt jedoch nur einen Teil zur Erfüllung des hohen Quali- tätsanspruchs bei. Die zweite, wesentlichere Komponente sind motivierte und fachlich qualifizierte Mitarbeiter – so sieht es der Geschäftsführende Gesellschafter der WGP Werkzeugbau GmbH, Dr. Detlev Thormeyer. Seit der Neugründung im August 2003 leitet er die Geschicke der Firma. Ursprünglich sollte er als externer Berater die Vorgängerfirma, die in Schwierigkeiten geraten war, umstrukturie- ren. Das Engagement der Mitarbeiter vor Ort überzeugte ihn letztendlich, dauerhaft einzu- steigen und das neu aufgestellte Unternehmen selbst zu führen – er übernahm 16 Mitarbeiter (davon zwei Auszubildende) und wagte den Neuanfang. Dieser sei schwer gewesen, erinnert sich der Geschäftsführer zurück. Die Kreissparkasse Wernigerode und die Investi- tionsbank halfen mit Krediten, die von der Bürgschaftsbank und der Mittelständischen Beteiligungsgesellschaft abgesichert wurden, um wichtige Anlageninvestitionen zu tätigen. Mittlerweile hat sich die WGP mit festem Mitarbeiterstamm gut etabliert, auch das Krisenjahr 2009 wurde überstanden. Dr. Thor- meyer schaut längst wieder nach vorn: „Wenn die Finanzierung klappt, werden wir in diesem Jahr noch unser durchgehendes CAD/CAM- System erneuern und mit einem weiteren CNC-Fräszentrum unsere Produktionsge- schwindigkeit erhöhen. Parallel schließen wir ein Forschungsprojekt ab und haben die Unterlagen für ein neues bereits fertig. Für sieben Mitarbeiter sind Weiterbildungsmaß- nahmen geplant.“ Die WGP war von Beginn an Ausbildungsbe- trieb – eine Tatsache, auf die Dr. Detlev Thor- meyer großen Wert legt. Für ihn ist es eine Selbstverständlichkeit, den benötigten Fach- kräftenachwuchs im Unternehmen selbst heranzuziehen. Gegenwärtig wird dieses Unterfangen jedoch immer schwieriger – die im Rahmen der aktuellen Fachkräftedebatte oft beklagte Tatsache, dass neben der Quantität auch die Qualität der regionalen Schulabgän- ger stark nachgelassen hat, ist für Dr. Thor- meyer Alltagsrealität. Aus seiner Sicht liegen entscheidende Ansatzpunkte zur Verbesserung der Situation denn auch in der Schulbildung. Als fachkundiges Mitglied des IHK-Ehrenamts (Mitglied der Vollversammlung, Vorsitzender des Weiterbildungsausschusses, Mitglied des Industrieausschusses sowie des Regionalaus- schusses Harz) hat Dr. Detlev Thormeyer insbesondere der bildungspolitischen Arbeit der IHK Magdeburg entscheidende Impulse gegeben und wird dies auch weiterhin tun. Im nebenstehenden Interview gibt er Auskunft darüber, wo nach seiner Ansicht die aktuellen Handlungsschwerpunkte im (Aus-)Bildungs- bereich liegen. Fotos (2): WGP Werkzeugbau GmbH

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IHK: Herr Dr. Thormeyer, Sie haben stets Auszu-bildende in Ihrem Unternehmen beschäftigt undübernommen. Derzeit sind es ein eigener und sechsfremde – wie schwer war es, diese Azubis zubekommen und wie entwickeln sie sich?

Dr. Detlev Thormeyer:Wir haben uns dazuentschlossen, einen Haupt-schüler zum Zerspanungs-facharbeiter auszubilden.Wir waren zunächst skep-tisch, aber das erste Jahrging bisher gut. Für zweisoziale Einrichtungen desLandkreises organisierenwir die praktische Ausbil-dung für sechs Azubis.Auch das geht bisher gut,weil diese von Anfang an in den Produktionsprozessintegriert wurden und so die nötige soziale und fachli-che Kompetenz erworben haben. Ich denke, dass beider drastisch verringerten Zahl der Schüler Kompro-misse bei der Auswahl von Azubis einfach nötig sind.

IHK: Viele Unternehmen beklagen die mangelndeAusbildungsreife eines Teils der Schulabgänger.Wo genau liegen nach Ihrer Erfahrung die Defizite?

Dr. Detlev Thormeyer: Zunächst einmal in fachlicherHinsicht sind es fehlende, ungenaue oder unrichtigeKenntnisse in den Naturwissenschaften und inDeutsch. Hier muss man abwarten, wie die Orientie-rung des Kultusbereiches auf mehr Phasen der Festi-gung in der Sekundarschule sich auswirken wird. Bisdahin müssen wir Unternehmer gemeinsam mitsolchen Einrichtungen wie Teutloff Bildungszentrumin Wernigerode in den ersten vier Monaten Nachhil-feunterricht organisieren. Viel schwerer wirken aberMängel in der Haltung zur Berufsausbildung, in einfa-chen Dingen wie Pünktlichkeit, Höflichkeit,Aufmerksamkeit und Leistungswillen. Zu oft habe ichden Eindruck, als würde mancher Jugendliche seineArbeitszeit nur als Abwesenheit von Freizeit betrach-ten. Diese Persönlichkeitseigenschaften zu verändernist das viel größere Problem und an dieser Stelle liegtauch die Ursache für die vielen Lehrabbrüche.

IHK: Im Koalitionsvertrag der neuen Landesregie-rung ist beispielsweise zu lesen, dass das „techni-sche und wirtschaftliche Aufgabenprofil“ vonSekundarschulen gestärkt werden soll. Was verste-hen Sie darunter bzw. was können Sie mit solcheiner Formulierung anfangen?

Dr. Detlev Thormeyer: Eine praxisorientierte Schul-ausbildung mit Fächern wie Wirtschaftskunde, Tech-nik und Haustechnik, einem fundierten Werkunter-richt und in den oberen Klassen richtiger Arbeit ineinem Unternehmen– das verstehe ich darunter unddas fordert die IHK Magdeburg schon längere Zeit.Das bedeutet auch, dass wir Unternehmer den Schu-len helfen müssen, solchen Praxisbezug zu organisie-ren, wir sinnvolle Praktikumsplätze zur Verfügungstellen, im Unterricht auftreten, Weiterbildung fürLehrer organisieren, bei der Ausrüstung von Technik-kabinetten helfen. Es kommt schließlich unserenzukünftigen Lehrlingen zugute.

IHK: Die Landesregierung möchte die Eigenver-antwortung der allgemeinbildenden und berufsbil-denden Schulen insbesondere auch bei derAuswahl der einzustellenden Lehrer und bei derenindividueller Weiterbildung stärken – ein richtigerAnsatz?

Dr. Detlev Thormeyer: Unbedingt! Die Schulleitermüssen endlich die finanziellen, personellen undorganisatorischen Rechte eines Leiters erhalten. Dannkann man sie auch an ihren Pflichten messen. Bei denPrivatschulen funktioniert das zum Teil hervorragend.Und wenn den einen Lehrer oder die andere Lehrerinkeiner haben will – vielleicht setzt dann ein Denkpro-zess über die eigenen Defizite ein.

Der Markt in Mitteldeutschland 7/2011

„Wir müssen den Schulen helfen,Praxisbezug zu organisieren“

Die WPG legt großen Wert auf die Ausbildung des Fachkräftenachwuchses.

Qualitativ hochwertiger Werkzeugbau hatim Harz eine über 50-jährige Tradition. EinUnternehmen, das diesen Anspruch heutzu-tage beispielhaft verkörpert, ist die WGPWerkzeugbau GmbH aus Wernigerode.

Im Unternehmen sind aktuell 31 Mitarbeiterbeschäftigt, mehr als 90 Prozent davon mitDiplom-, Techniker- oder Facharbeiter -abschluss. Sie verfolgen konsequent dieFirmenphilosophie: innovativ, termingetreu,qualitätsgerecht und kostengünstig dieWünsche der Kunden umzusetzen. Zu dieservielfältigen und anspruchsvollen Kundschaftgehören Finalproduzenten aus der Automobil-branche genauso wie Firmen des Maschinen-und Anlagenbaus sowie der Elektromotorenin-dustrie. Mit Einsatz modernster Technik stelltWGP unter anderem Folgeverbundwerkzeugefür Schneid- und Umformprozesse her, Druck-gießwerkzeuge für den Elektromotorenbau,Vorrichtungen und Präzisionsmaschinenteile.Das Unternehmen übernimmt zudem Lohn-aufträge für Dreh-, Fräs-, Drahterodier- undSchleifarbeiten.Die hochwertige Anlagentechnik trägt jedochnur einen Teil zur Erfüllung des hohen Quali-tätsanspruchs bei. Die zweite, wesentlichereKomponente sind motivierte und fachlichqualifizierte Mitarbeiter – so sieht es derGeschäftsführende Gesellschafter der WGPWerkzeugbau GmbH, Dr. Detlev Thormeyer.Seit der Neugründung im August 2003 leitet erdie Geschicke der Firma. Ursprünglich sollteer als externer Berater die Vorgängerfirma, diein Schwierigkeiten geraten war, umstrukturie-ren. Das Engagement der Mitarbeiter vor Ortüberzeugte ihn letztendlich, dauerhaft einzu-steigen und das neu aufgestellte Unternehmenselbst zu führen – er übernahm 16 Mitarbeiter(davon zwei Auszubildende) und wagte denNeuanfang. Dieser sei schwer gewesen,erinnert sich der Geschäftsführer zurück. DieKreissparkasse Wernigerode und die Investi-

tionsbank halfen mit Krediten, die von derBürgschaftsbank und der MittelständischenBeteiligungsgesellschaft abgesichert wurden,um wichtige Anlageninvestitionen zu tätigen.Mittlerweile hat sich die WGP mit festemMitarbeiterstamm gut etabliert, auch dasKrisenjahr 2009 wurde überstanden. Dr. Thor-meyer schaut längst wieder nach vorn: „Wenndie Finanzierung klappt, werden wir in diesemJahr noch unser durchgehendes CAD/CAM-System erneuern und mit einem weiterenCNC-Fräszentrum unsere Produktionsge-schwindigkeit erhöhen. Parallel schließen wirein Forschungsprojekt ab und haben dieUnterlagen für ein neues bereits fertig. Fürsieben Mitarbeiter sind Weiterbildungsmaß-nahmen geplant.“

Die WGP war von Beginn an Ausbildungsbe-trieb – eine Tatsache, auf die Dr. Detlev Thor-meyer großen Wert legt. Für ihn ist es eineSelbstverständlichkeit, den benötigten Fach-kräftenachwuchs im Unternehmen selbstheranzuziehen. Gegenwärtig wird diesesUnterfangen jedoch immer schwieriger – dieim Rahmen der aktuellen Fachkräftedebatte oftbeklagte Tatsache, dass neben der Quantitätauch die Qualität der regionalen Schulabgän-ger stark nachgelassen hat, ist für Dr. Thor-meyer Alltagsrealität. Aus seiner Sicht liegenentscheidende Ansatzpunkte zur Verbesserungder Situation denn auch in der Schulbildung.Als fachkundiges Mitglied des IHK-Ehrenamts(Mitglied der Vollversammlung, Vorsitzenderdes Weiterbildungsausschusses, Mitglied desIndustrieausschusses sowie des Regionalaus-schusses Harz) hat Dr. Detlev Thormeyerinsbesondere der bildungspolitischen Arbeitder IHK Magdeburg entscheidende Impulsegegeben und wird dies auch weiterhin tun. Im nebenstehenden Interview gibt er Auskunftdarüber, wo nach seiner Ansicht die aktuellenHandlungsschwerpunkte im (Aus-)Bildungs-bereich liegen.

Fotos (2): WGP Werkzeugbau GmbH