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ZBVR Zeitschrift für B E T R I E B S V E R F A S S U N G S R E C H T online ISSN 1862-6610 5/2017 Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht 02 Einheitliches Konsultations- und Anzeigeverfahren bei mehreren Massenentlassungen/Verhinderung von „Vorratsanzeigen“ BAG, Urteil v. 9.6.2016 – 6 AZR 638/15 – 04 Mitbestimmung bei Ein- und Umgruppierung bei mehreren im Betrieb bestehenden Vergütungsordnungen BAG, Beschluss v. 23.8.2016 – 1 ABR 15/14 – 07 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen anlässlich der Überleitung nach TVÜ-VKA BAG, Beschluss v. 19.10.2016 – 4 ABR 27/15 – 10 Unterrichtungsanspruch und Vorschlagsrecht des Betriebsrats bei der Personalplanung BAG, Beschluss v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 – 11 „Folgeleistungspflicht“ des Arbeitnehmers bei unbilliger Versetzung LAG Düsseldorf, Urteil v. 6.4.2016 – 12 Sa 1153/15 – Rechtsprechung zum Tarifrecht 16 Institutioneller Rechtsmissbrauch bei Befristung im Schulbereich BAG, Urteil v. 26.10.2016 – 7 AZR 135/15 – 20 Equal pay für Leiharbeitnehmer/Maßstab für die Festlegung des Vergleichsentgelts BAG, Urteil v. 23.11.2016 – 5 AZR 53/16 – 23 Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bezüglich Übertragung tariflichen Mehrurlaubs BAG, Urteil v. 14.2.2017 – 9 AZR 207/16 – Rechtsprechung in Leitsätzen Aufsätze und Berichte 26 Dienstplangestaltung – Wie ist der Betriebsrat zu beteiligen? Rezensionen

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ZBVR Zeitschrif t für B E T R I E B S V E R F A S S U N G S R E C H T

online

ISSN 1862-6610

5/2017

Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht02 Einheitliches Konsultations- und Anzeigeverfahren bei mehreren

Massenentlassungen/Verhinderung von „Vorratsanzeigen“ BAG, Urteil v. 9.6.2016 – 6 AZR 638/15 –

04 Mitbestimmung bei Ein- und Umgruppierung bei mehreren im Betrieb bestehenden VergütungsordnungenBAG, Beschluss v. 23.8.2016 – 1 ABR 15/14 –

07 Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen anlässlich der Überleitung nach TVÜ-VKABAG, Beschluss v. 19.10.2016 – 4 ABR 27/15 –

10 Unterrichtungsanspruch und Vorschlagsrecht des Betriebsrats bei der PersonalplanungBAG, Beschluss v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 –

11 „Folgeleistungspflicht“ des Arbeitnehmers bei unbilliger VersetzungLAG Düsseldorf, Urteil v. 6.4.2016 – 12 Sa 1153/15 –

Rechtsprechung zum Tarifrecht16 Institutioneller Rechtsmissbrauch bei Befristung im Schulbereich

BAG, Urteil v. 26.10.2016 – 7 AZR 135/15 –

20 Equal pay für Leiharbeitnehmer/Maßstab für die Fest legung des Vergleichsentgelts BAG, Urteil v. 23.11.2016 – 5 AZR 53/16 –

23 Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bezüglich Übertragung tariflichen MehrurlaubsBAG, Urteil v. 14.2.2017 – 9 AZR 207/16 –

Rechtsprechung in Leitsätzen

Aufsätze und Berichte26 Dienstplangestaltung – Wie ist der Betriebsrat zu beteiligen?

Rezensionen

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Einheitliches Konsultations- und Anzeigeverfahren bei mehreren Massenentlassungen/Verhinderung von „Vorratsanzeigen“ 1. Sollen in einem Betrieb nacheinander mehrere Mas-senentlassungen iSv. § 17 Abs. 1 KSchG durchgeführt werden, kann uU das Konsultationsverfahren ebenso wie das Anzeigeverfahren bezogen auf alle beabsich-tigten Kündigungen zusammengefasst werden. 2. Allerdings bedarf es nach § 18 Abs. 4 KSchG einer erneuten Anzeige, wenn die Entlassungen nicht inner-halb von 90 Tagen nach dem Ende der Sperrfrist „durch-geführt“, dh. erklärt werden. Auf diese Weise werden „Vorratsanzeigen“ verhindert, die dem Zweck des Ge-setzes zuwiderliefen, die Agentur für Arbeit über das tatsächliche Ausmaß der Beendigungen von Arbeits-verhältnissen ins Bild zu setzen.(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Urteil v. 9.6.2016 – 6 AZR 638/15 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer be-triebsbedingten Kündigung des beklagten Insolvenz-verwalters.

Der Kläger war bei der Firma D GmbH & Co. KG (im Folgenden Schuldnerin) seit dem 16. August 1982 als Produktionsmitarbeiter beschäftigt. Bei der Schuldnerin war ein Betriebsrat gebildet. Mit Beschluss des Insol-venzgerichts vom 1. Dezember 2013 wurde über das Ver-mögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Die-ser beschloss umgehend die Stilllegung des Betriebs und informierte hierüber den Betriebsrat. Am 4., 12. und 19. Dezember 2013 fanden Verhandlungen über einen Interessenausgleich statt. Am 19. Dezember 2013 wurde der Text des Interessenausgleichs ausformuliert und dem Vertreter des Betriebsrats zugeleitet. Dieser bestä-tigte am 20. Dezember 2013, dass der Interessenaus-gleich mit diesem Inhalt abgeschlossen werden könne. Am 23. Dezember 2013 wurde der Interessenausgleich unterzeichnet. Er lautet auszugsweise wie folgt: (…)

Am 27. Dezember 2013 erstattete der Beklagte formu-larmäßig bei der zuständigen Agentur für Arbeit eine Massenentlassungsanzeige. Angezeigt wurde die Ent-lassung aller 257 Beschäftigten, darunter 26 Schwerbe-hinderte bzw. diesen Gleichgestellte. Am 17. Januar 2014 erteilte die Agentur für Arbeit die Zustimmung zu den angezeigten 257 Entlassungen. Eine Verlängerung der Sperrfrist nach § 18 Abs. 2 KSchG wurde nicht vorge-nommen. Die Sperrfrist begann am 28. Dezember 2013 und endete am 27. Januar 2014. Noch Ende Dezember 2013 kündigte der Beklagte alle Arbeitsverhältnisse, die keinem Sonderkündigungsschutz unterfielen. Den

Schwerbehinderten und den Arbeitnehmerinnen, die sich in Mutterschutz befanden, kündigte er im Februar 2014. Es handelte sich hierbei um mehr als 30 Kündi-gungen.

Der Kläger ist schwerbehindert. Mit Schreiben vom 6. Februar 2014 wurde der Betriebsrat unter Angabe der Sozialdaten zur beabsichtigten Kündigung des Klägers angehört. Nach Zustimmung des Integrationsamts kün-digte der Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 22. Februar 2014 zum 31. Mai 2014.

Mit seiner am 25. Februar 2014 beim Arbeitsgericht ein-gegangenen Klage hat sich der Kläger gegen diese Kün-digung seines Arbeitsverhältnisses gewandt. (…)

Aus den Gründen

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Berufung des Klägers gegen das klage-abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Die streitgegenständliche Kündigung vom 22. Februar 2014 hat das Arbeitsverhältnis unter Wahrung der Kün-digungsfrist des § 113 Satz 2 InsO zum 31. Mai 2014 auf-gelöst.

1. Die Kündigung ist nicht sozial ungerechtfertigt. Sie ist durch dringende betriebliche Erfordernisse iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 Var. 3 KSchG bedingt, die einer Weiterbe-schäftigung des Klägers entgegenstehen. Der Kläger hat zuletzt nicht mehr in Abrede gestellt, dass der Be-klagte die Stilllegung des ganzen Betriebs und damit eine Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ge-plant hat und diesbezüglich ein formwirksamer Inte-ressenausgleich zustande kam, in dem die zu kündigen-den Arbeitnehmer namentlich bezeichnet sind. Zwi-schen den Parteien steht außer Streit, dass sich der Name des Klägers auf der entsprechenden Liste befin-det. Die Vorinstanzen haben rechtsfehlerfrei angenom-men, dass der Kläger die daraus gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO folgende Vermutung des Kündigungsgrundes nicht widerlegt hat. Die Revision erhebt insoweit keine Rügen. Gleiches gilt bezüglich der nicht zu beanstan-denden Auffassung der Vorinstanzen, die Kündigung sei auch nicht wegen grober Fehlerhaftigkeit der Sozi-alauswahl sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 3 KSchG iVm. § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO.

2. Eine Unwirksamkeit der Kündigung folgt nicht aus § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht hat die Betriebsratsanhörung wie das Arbeitsgericht als ordnungsgemäß angesehen. Dies greift die Revision nicht an. Ein Fehler ist auch nicht erkennbar.

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3. Die Kündigung ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 17 KSchG gemäß § 134 BGB nichtig.

a) Sie ist Teil einer anzeigepflichtigen Massenentlassung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG. Maßgeblich für die Zahl der in der Regel Beschäftigten ist im Stilllegungsfall auch bei einem sukzessiven Vorgehen des Arbeitgebers mit mehreren Entlassungswellen der Zeitpunkt, in dem zuletzt noch eine normale Betriebstätigkeit entfaltet wurde. Dies war hier vor der ersten Entlassungswelle im Dezember 2013 der Fall. Von den damals 257 Beschäf-tigten hat der Beklagte nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts im Februar 2014 mehr als 30 Ar-beitnehmer entlassen. Dies entsprach der nach dem Interessenausgleich beabsichtigten Vorgehensweise. Die im Februar 2014 erklärten Kündigungen von Arbeit-nehmern, deren Arbeitsverhältnisse einem Sonderkün-digungsschutz unterfielen, überschritten schon für sich genommen den Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KSchG.

b) Der Beklagte hat bezüglich der im Februar 2014 er-klärten Kündigungen kein eigenständiges Massenent-lassungsverfahren durchgeführt. Dies war auch nicht erforderlich, da sowohl das mit den Interessenaus-gleichsverhandlungen verbundene Konsultationsver-fahren (§ 17 Abs. 2 KSchG) als auch das Anzeigeverfahren (§ 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG) bezüglich aller wegen der be-absichtigten Betriebsstilllegung zu entlassenden Arbeit-nehmer zusammengefasst im Dezember 2013 durchge-führt wurde. Entgegen der Auffassung der Revision scheitert die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung nicht an einer Fehlerhaftigkeit des Konsul-tationsverfahrens.

aa) Der in § 17 KSchG geregelte besondere Kündigungs-schutz bei Massenentlassungen unterfällt in zwei ge-trennt durchzuführende Verfahren mit jeweils eigenen Wirksamkeitsvoraussetzungen, nämlich die in § 17 Abs. 2 KSchG normierte Pflicht zur Konsultation des Betriebs-rats einerseits und die in § 17 Abs. 1, Abs. 3 KSchG gere-gelte Anzeigepflicht gegenüber der Agentur für Arbeit andererseits. Das Konsultationsverfahren steht selbst-ständig neben dem Anzeigeverfahren. Beide Verfahren dienen in unterschiedlicher Weise der Erreichung des mit dem Massenentlassungsschutz verfolgten Ziels. Dies entspricht der mit § 17 KSchG umgesetzten Richt-linie 98/59/EG des Rates vom 20. Juli 1998 zur Anglei-chung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen. Jedes dieser beiden Verfahren stellt ein eigenständiges Wirksamkeitserfordernis für die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung dar.

bb) Sollen in einem Betrieb nacheinander mehrere Mas-senentlassungen iSv. § 17 Abs. 1 KSchG durchgeführt werden, kann uU das Konsultationsverfahren ebenso wie das Anzeigeverfahren bezogen auf alle beabsich-tigten Kündigungen zusammengefasst werden. Die

Massenentlassungen bedürfen nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 KSchG nicht zwingend gesonderter Verfahren nach § 17 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG. Im Gegenteil dient es der vollständigen Information des Betriebsrats und der Agentur für Arbeit, wenn im Rah-men eines einzigen Konsultations- und Anzeigeverfah-rens ein vollständiger Überblick über die beabsichtigten Kündigungswellen gegeben wird. Dies entspricht § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bzw. Abs. 3 Satz 4 KSchG, wonach die erforderlichen Angaben über den Zeitraum, in dem die Entlassungen vorgenommen werden sollen, zu machen sind. Gegebenenfalls bedarf es allerdings nach § 18 Abs. 4 KSchG einer erneuten Anzeige.

cc) Die Voraussetzungen einer Erfüllung der Konsulta-tionspflicht im Rahmen der Interessenausgleichsver-handlungen sind hier beachtet worden.

(1) Die Konsultationspflicht ist der Sache nach regelmä-ßig erfüllt, wenn der Arbeitgeber bei einer Betriebsän-derung iSv. § 111 BetrVG, soweit mit ihr ein anzeigepflich-tiger Personalabbau verbunden ist oder sie allein in einem solchen besteht, einen Interessenausgleich ab-schließt und dann erst kündigt. Soweit die ihm oblie-genden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann der Ar-beitgeber sie gleichzeitig erfüllen. Dabei muss der Be-triebsrat allerdings klar erkennen können, dass die statt-findenden Beratungen (auch) der Erfüllung der Konsul-tationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen.

(2) Die Betriebsparteien haben den Interessenausgleich in der dritten Verhandlungsrunde am 19. Dezember 2013 fertiggestellt. Der Interessenausgleich macht in § 10 die Verbindung mit dem Konsultationsverfahren deutlich. Spätestens am 19. Dezember 2013 war für den Betriebs-rat deshalb klar, dass die Interessenausgleichsverhand-lungen auch der Erfüllung der Konsultationspflicht aus § 17 Abs. 2 KSchG dienen sollten. Für den Betriebsrat war zweifelsfrei ersichtlich, dass sich das Konsultationsver-fahren auch auf die einem Sonderkündigungsschutz unterfallenden Beschäftigten beziehen und diesen erst zu einem späteren, noch ungewissen Zeitpunkt gekün-digt werden soll. Dies ergibt sich aus § 4 Abschnitt 4.1. des Interessenausgleichs, wonach etwaig erforderliche Zustimmungen von Behörden („zB nach SGB IX, BEEG, MuSchG“) vor den Kündigungserklärungen vom Beklag-ten einzuholen waren. In Kenntnis der gesetzlichen Vor-gaben, wie sie bezüglich der schwerbehinderten Men-schen in §§ 85 f. SGB IX enthalten sind, stand schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs fest, dass zwar alle Beschäftigten von der Betriebsstill-legung betroffen sein werden, die Kündigungen aber wegen der Abhängigkeit von Behördenentscheidungen nicht zeitgleich erklärt werden können. Dass die betrof-fenen Arbeitsverhältnisse von den Verhandlungen im Dezember 2013 schon erfasst werden sollten, ergibt sich zudem aus § 2 Abs. 2 und § 3 des Interessenausgleichs,

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wonach die Stilllegung die Kündigung aller 257 Beschäf-tigten zur Folge haben soll. Dementsprechend sind alle 257 Beschäftigten, das heißt auch die besonders ge-schützten Arbeitnehmer, auf der Namensliste ange-führt.

(3) Der Betriebsrat wurde durch den Entwurf des Inte-ressenausgleichs rechtzeitig iSd. § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unterrichtet. (…)

(4) Gleiches gilt bezüglich der Heilung eines eventuellen Verstoßes der Unterrichtung gegen das Schriftformer-fordernis des § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch die abschlie-ßende Stellungnahme des Betriebsrats in § 10 des Inte-ressenausgleichs.

(5) Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 KSchG muss der Betriebsrat über die Berufsgruppen der zu entlas-senden und der in der Regel beschäftigten Arbeitneh-mer unterrichtet werden. Entgegen der Auffassung der Revision bewirkt das Fehlen einer ausdrücklichen Un-terrichtung über die betroffenen Berufsgruppen hier nicht die Unwirksamkeit der Kündigung. Die insoweit fehlerhafte Unterrichtung ist durch die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats in § 10 des Interessen-ausgleichs jedenfalls geheilt worden. (…) Die übrigen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG erforderlichen Angaben wurden gemacht. Dies stellt die Revision nicht in Frage.

(6) Eine Frist von mindestens zwei Wochen zwischen der Unterrichtung des Betriebsrats und der Erstattung der Massenentlassungsanzeige war nicht einzuhalten.

dd) Die Massenentlassungsanzeige vom 27. Dezember 2013 bezieht sich auf alle 257 Beschäftigten und damit auch auf die erst im Februar 2014 gekündigten Arbeit-nehmer. Eine Fehlerhaftigkeit des Anzeigeverfahrens nach § 17 Abs. 3 KSchG rügt die Revision nicht.

4. Es bedurfte hinsichtlich der im Februar 2014 erklärten Kündigungen keiner erneuten Massenentlassungsan-zeige nach § 18 Abs. 4 KSchG.

a) Gemäß § 18 Abs. 4 KSchG bedarf es unter den Vor-aussetzungen des § 17 Abs. 1 KSchG einer erneuten An-zeige, wenn die Entlassungen nicht innerhalb von 90 Tagen nach dem Zeitpunkt, zu dem sie nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG zulässig sind, „durchgeführt“ werden. Damit ist nach allgemeinem Sprachgebrauch ein aktives Handeln, nämlich das „Umsetzen in die Tat“, bspw. die „Verwirklichung“, die „Ausführung“ oder die „Bewerk-stelligung“, gemeint. Die Regelung ist deshalb dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, die Kündigungen innerhalb der 90-Tage-Frist zu erklären. Er muss nach Ablauf der sog. Freifrist eine erneute An-zeige erstatten, wenn er von der Möglichkeit der Kün-digungserklärung bis dahin keinen Gebrauch gemacht hat. Auf diese Weise werden „Vorratsanzeigen“ verhin-dert, die dem Zweck des Gesetzes zuwiderliefen, die Agentur für Arbeit über das tatsächliche Ausmaß der Beendigungen von Arbeitsverhältnissen ins Bild zu set-zen.

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landes-arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die streitgegen-ständliche Kündigung des Klägers innerhalb der sog. Freifrist des § 18 Abs. 4 KSchG erklärt wurde. Die Frist von 90 Tagen schließt sich unmittelbar an das Ende der Sperrfrist nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 KSchG an. Die Sperr-frist endete hier mit dem 27. Januar 2014, das heißt die Freifrist begann am 28. Januar 2014. Die mit Schreiben vom 22. Februar 2014 erklärte Kündigung des Klägers ging diesem innerhalb der Freifrist zu. Dies belegt schon der Umstand, dass er bereits am 25. Februar 2014 die vorliegende Kündigungsschutzklage erhob.

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Mitbestimmung bei Ein- und Umgruppierung bei mehreren im Betrieb bestehenden Vergütungsordnungen 1. Ist der Arbeitgeber an zwei tarifliche Vergütungsord-nungen gebunden, die zu einer Tarifpluralität führen, werden seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten durch das Bestehen zweier, unabhängig voneinander geltenden Entgeltsysteme erweitert. Er ist dann grund-sätzlich verpflichtet, die Arbeitnehmer unter Beteili-gung des Betriebsrats den Entgeltgruppen der beiden betriebsverfassungsrechtlich geltenden Vergütungs-ordnungen zuzuordnen.2. Endet die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrags aufgrund seiner Kündigung, bleiben die im Betrieb geltenden Grundsätze der betreffenden ta-

riflichen Vergütungsordnung auch nach Eintritt der Nachwirkung iSd. § 4 Abs. 5 TVG das für den Betrieb maßgebliche kollektive Entgeltschema. Dazu ist es nicht erforderlich, dass die Vergütungsgrundsätze zuvor kol-lektivrechtlich durch Betriebsvereinbarung oder indivi-dualrechtlich, etwa durch Gesamtzusage oder vertrag-liche Einheitsregelungen, auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Der Eintritt der Nachwirkung hat lediglich zur Folge, dass das im Betrieb geltende kollektive, abstrakte Entgeltschema und die in ihm zum Ausdruck kommenden Vergütungsgrundsätze nicht mehr zwingend gelten. Das ändert jedoch nichts daran,

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dass diese Grundsätze bislang im Betrieb angewendet wurden und deshalb dort geltende Entlohnungsgrund-sätze sind. Bis zu einem wirksamen Änderungsakt sind sie grundsätzlich betriebsverfassungsrechtlich weiter gültig. 3. Eine betriebliche Vergütungsordnung, die auf einem nachwirkenden Tarifvertrag beruht, wird weder durch den Abschluss von Tarifverträgen mit einer anderen Gewerkschaft abgelöst noch durch das Günstig-keitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG verdrängt. Eine Ablösung setzt Tarifverträge identischer Normgeber voraus. Das Günstigkeitsprinzip regelt das Verhältnis von kollidie-renden individualvertraglich vereinbarten und kraft Tarifgebundenheit geltenden Arbeitsbedingungen. Es gilt nicht für das Verhältnis unterschiedlicher Tarifver-träge verschiedener Vertragsparteien.(Leitsätze aus den Gründen)BAG, Beschluss v. 23.8.2016 – 1 ABR 15/14 –

Zum Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Vergütungsordnung eines tarifpluralen Betriebs.

Die Arbeitgeberin ist eine Bank und Mitglied im Arbeit-geberverband der Deutschen Volksbanken und Raiffei-senbanken e.V. (AVR). Sie beschäftigt ca. 640 Arbeit-nehmer. Antragsteller ist der für den Betrieb der V eG gebildete Betriebsrat.

Am 18. April 1979 vereinbarte der AVR mit der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG), der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV), dem Deut-schen Bankangestellten-Verband e.V. (DBV) und der DHV – Die Berufsgewerkschaft e.V. (DHV) jeweils eigen-ständige und inhaltsgleiche Mantel- und Gehaltstarif-verträge ua. für die Volks- und Raiffeisenbanken. Diese Tarifverträge wurden sowohl mit ver.di – Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) als Rechtsnachfol-gerin von DAG und HBV als auch mit DBV und DHV am 8. Juli 2004 wiederum inhaltsgleich und eigenständig neugefasst.

Zum 31. Mai 2006 wurden die Gehaltstarifverträge von ver.di, DBV und DHV jeweils gekündigt. Den mit ver.di geschlossenen Manteltarifvertrag (MTV ver.di 2004) kündigte der AVR zum 28. Februar 2013. Er schloss so-wohl mit dem DBV als auch mit der DHV ab 2008 je-weils inhaltsgleiche Manteltarifverträge ua. für die Volks- und Raiffeisenbanken ab, die eine geänderte Vergütungsstruktur enthalten. Dies betrifft vor allem die Anrechnung von Berufsjahren und die Bildung von Berufsgruppen.

Die Arbeitgeberin verwendet seit Ende 2010 in ihren Formulararbeitsverträgen eine Bezugnahmeklausel, die wie folgt lautet: „Bei Tarifbindung des Arbeitgebers gel-

ten im Übrigen die ab dem Jahr 2008 vereinbarten Ta-rifverträge für Kreditgenossenschaften in der jeweils gültigen Fassung. Entfällt die Tarifbindung des Arbeit-gebers, finden die zu diesem Zeitpunkt gültigen Tarif-verträge bis auf Weiteres auf das Arbeitsverhältnis An-wendung. ...“

In der Folgezeit lehnte sie es gegenüber dem Betriebsrat ab, dessen Zustimmung zu Ein- oder Umgruppierungen nach den mit ver.di vereinbarten Tarifverträgen einzu-holen. Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin könne die betriebliche Vergütungsord-nung nicht einseitig ändern. Sie müsse Ein- und Um-gruppierungen anhand der repräsentativen Vergü-tungsordnung des MTV ver.di 2004 iVm. dem mit ver.di geschlossenen Gehaltstarifvertrag (GTV ver.di 2004) vornehmen. (…)

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen. Das Lan-desarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Be-triebsrats stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsge-richt zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Ar-beitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Aus den Gründen

Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat unter Verken-nung des Rechtsschutzziels des Betriebsrats dessen Feststellungsantrag zu Unrecht stattgegeben.

I. Der Feststellungsantrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. Der Antrag bedarf der Auslegung.

Der Wortlaut des Antrags bringt nicht mit der gebote-nen Eindeutigkeit zum Ausdruck, ob das Rechtsschutz-ziel des Betriebsrats darauf gerichtet ist, dass für Ein- oder Umgruppierungen auch oder nur die mit ver.di geschlossenen Tarifverträge zugrunde zu legen sind. Aus seinem Vorbringen ergibt sich aber, dass er gegen-warts- und zukunftsbezogen eine Pflicht der Arbeitge-berin festgestellt wissen will, im Rahmen von Zustim-mungsverfahren nach § 99 BetrVG die Ein- und Um-gruppierung der Arbeitnehmer ausschließlich auf die Vergütungsordnung nach dem MTV ver.di 2004 iVm. dem GTV ver.di 2004 zu stützen. Bereits in der Antrags-schrift führt er aus, es müsse, „wenn es verschiedene mögliche Schemata gibt, vom Arbeitgeber dasjenige genommen werden, das bisher galt, hilfsweise das, in dem die meisten Gewerkschaftsmitglieder sind, hier also das ver.di-Schema“. (…)

2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag hinreichend be-stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Das Bestehen einer solchen Verpflichtung kann Gegenstand eines Feststel-lungsantrags nach § 256 Abs. 1 ZPO sein.

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ZBVR online 5/2017 | Seite 6 von 31

II. Der Feststellungsantrag ist unbegründet. Die sich aus dem MTV ver.di 2004 iVm. dem GTV ver.di 2004 erge-bende Vergütungsordnung ist nicht die alleinige im Betrieb der Arbeitgeberin betriebsverfassungsrechtlich geltende. Bei Ein- und Umgruppierungen iSv. § 99 Be-trVG ist neben ihr zumindest die anzuwenden, die aus den mit dem DBV geschlossenen Tarifverträgen folgt.

1. Eine Vergütungsordnung iSd. § 99 Abs. 1 BetrVG ist ein kollektives, mindestens zwei Vergütungsgruppen enthaltendes Entgeltschema, das eine Zuordnung der Arbeitnehmer zu einer der Vergütungsgruppen nach bestimmten generell beschriebenen Merkmalen vor-sieht. Sie spiegelt die ihr zugrunde liegenden Vergü-tungsgrundsätze wider. Damit ist sie Ausdruck einer

Entscheidung über die Wertigkeit der jeweiligen Arbeit-nehmertätigkeiten im Verhältnis zueinander, die sich im relativen Abstand der mit den jeweiligen Vergü-tungsgruppen verbundenen konkreten Entgeltsätzen niederschlägt.

2. Im Betrieb eines tarifgebundenen Arbeitgebers stellt die im einschlägigen Tarifvertrag enthaltene Vergü-tungsordnung zugleich das im Betrieb geltende System für die Bemessung des Entgelts der Arbeitnehmer dar. Zwar handelt es sich bei tariflichen Vergütungsregelun-gen nicht um Betriebsnormen iSv. § 3 Abs. 2 TVG, die unabhängig von der Tarifgebundenheit der Arbeitneh-mer maßgeblich sind, sondern um Inhaltsnormen, die nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unmittelbar und zwingend nur zwischen dem Arbeitgeber und den ta-rifgebundenen Arbeitnehmern gelten. Nach der Recht-sprechung des Bundesarbeitsgerichts ist der tarifgebun-dene Arbeitgeber dennoch betriebsverfassungsrechtlich verpflichtet, die tarifliche Vergütungsordnung unge-achtet der Tarifgebundenheit der Arbeitnehmer im Be-trieb anzuwenden, soweit deren Gegenstände der er-zwingbaren Mitbestimmung des § 87 Abs. 1 Nr. 10 Be-trVG unterliegen. Dieses Verständnis geben die Funk-tion des Tarifvorbehalts in § 87 Abs. 1 Eingangshalbs. BetrVG sowie der Normzweck des § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG vor.

3. Ist der Arbeitgeber an zwei tarifliche Vergütungsord-nungen gebunden, die zu einer Tarifpluralität führen, werden seine betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten durch das Bestehen zweier, unabhängig voneinander geltenden Entgeltsysteme erweitert. Er ist dann grund-sätzlich verpflichtet, die Arbeitnehmer unter Beteili-gung des Betriebsrats den Entgeltgruppen der beiden betriebsverfassungsrechtlich geltenden Vergütungs-ordnungen zuzuordnen. Ob sie einen vertraglichen An-

spruch auf die Anwendung dieser Tarifverträge haben oder unmittelbar tarifgebunden sind, hat auf die ge-genüber dem Betriebsrat bestehende Pflicht des Arbeit-gebers aus § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG keinen Einfluss.

4. Die Arbeitgeberin war zumindest bis zum 31. Mai 2006 und bis zum 28. Februar 2013 an Tarifverträge unter-schiedlicher Gewerkschaften unmittelbar und zwingend gebunden. Das sind jedenfalls die mit ver.di und mit dem DBV getroffenen Vereinbarungen.

Zu Unrecht beruft sich der Betriebsrat auf eine Tarif-konkurrenz, bei der einer der miteinander konkurrie-renden Tarifverträge verdrängt wird. Die Existenz zwei-er tariflicher Vergütungsordnungen, die mit unter-

schiedlichen Gewerkschaften vereinbart worden sind, führt vielmehr zu einer Ta-rifpluralität, bei der die jeweiligen Tarif-normen unabhängig voneinander für die jeweils tarifgebundenen Arbeitnehmer gelten. Entgegen der Auffassung des Be-triebsrats werden die Tarifverträge des

DBV außerdem nicht von den – aus seiner Sicht – reprä-sentativen Tarifverträgen von ver.di gemäß § 4a TVG verdrängt. Die Vorschrift ist nach § 13 Abs. 3 TVG schon nicht auf Tarifverträge anzuwenden, die – wie vorlie-gend – am 10. Juli 2015 bereits galten. (…)

5. Endet die unmittelbare und zwingende Wirkung eines Tarifvertrags aufgrund seiner Kündigung, bleiben die im Betrieb geltenden Grundsätze der betreffenden ta-riflichen Vergütungsordnung auch nach Eintritt der Nachwirkung iSd. § 4 Abs. 5 TVG das für den Betrieb maßgebliche kollektive Entgeltschema.

a) Dazu ist es nicht erforderlich, dass die Vergütungs-grundsätze zuvor kollektivrechtlich durch Betriebsver-einbarung oder individualrechtlich, etwa durch Gesamt-zusage oder vertragliche Einheitsregelungen, auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt werden. Der Eintritt der Nachwirkung hat lediglich zur Folge, dass das im Betrieb geltende kollektive, abstrakte Entgeltschema und die in ihm zum Ausdruck kommenden Vergütungs-grundsätze nicht mehr zwingend gelten. Das ändert jedoch nichts daran, dass diese Grundsätze bislang im Betrieb angewendet wurden und deshalb dort geltende Entlohnungsgrundsätze sind. Bis zu einem wirksamen Änderungsakt sind sie grundsätzlich betriebsverfas-sungsrechtlich weiter gültig.

b) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin wird eine betriebliche Vergütungsordnung, die auf einem nach-wirkenden Tarifvertrag beruht, weder durch den Ab-schluss von Tarifverträgen mit einer anderen Gewerk-schaft abgelöst noch durch das Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG verdrängt. Eine Ablösung setzt Tarifver-träge identischer Normgeber voraus. Das Günstig-keitsprinzip regelt das Verhältnis von kollidierenden individualvertraglich vereinbarten und kraft Tarifge-

Nicht Tarifkonkurrenz, sondern Tarifpluralität ist bei Vorliegen zweier mit unterschiedlichen Gewerkschaften

vereinbarten Vergütungsordnungen gegeben.

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bundenheit geltenden Arbeitsbedingungen. Es gilt nicht für das Verhältnis unterschiedlicher Tarifverträge ver-schiedener Vertragsparteien. (…)

6. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die vom AVR mit dem DBV vereinbarte tarifliche Vergütungsordnung sei unbeachtlich, weil betriebsverfassungswidrig von der Arbeitgeberin eingeführt, ist unzutreffend. Das Lan-desarbeitsgericht verkennt, dass diese Tarifverträge ebenso Bestandteil der betrieblichen Vergütungsord-nung sind wie die mit ver.di vereinbarten. Die Tarifge-bundenheit der Arbeitgeberin beruht auf ihrer Mitglied-schaft im AVR. Dieser hat jedenfalls seit 1979 eigenstän-dige, wenn auch inhaltsgleiche Tarifverträge mit ver.di und dem DBV geschlossen. Diese sind Teil der betrieb-

lichen Vergütungsordnung unabhängig davon, ob sie inhaltsgleich sind oder nicht. Indem die Arbeitgeberin im Rahmen des Zustimmungsverfahrens nach § 99 Be-trVG Ein- und Umgruppierungen nach den mit dem DBV ab dem Jahr 2008 vereinbarten Tarifverträgen vor-nimmt, führt sie keine andere betriebliche Vergütungs-ordnung ein, sondern wendet eine bereits bestehende an.

7. Danach kommen im Betrieb der Arbeitgeberin als be-triebliche Vergütungsordnungen die vom AVR mit ver.di ebenso wie die mit dem DBV vereinbarten betriebs-verfassungsrechtlich zur Anwendung. (…)

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Mitbestimmung bei personellen Einzelmaßnahmen anlässlich der Überleitung nach TVÜ-VKA 1. Bei der Überleitung in die neue Entgeltordnung des TVöD/VKA nach den Vorschriften der §§ 3 bis 7 TVÜ-VKA handelt es sich um eine mitbestimmungspflichtige Um-gruppierung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. 2. Arbeitnehmer, die im Überleitungszeitpunkt nur auf-grund eines Aufstiegs eine Vergütung nach KR-Vergü-tungsgruppe VI BAT erhielten, waren in die KR-Entgelt-gruppe 8a TVöD/VKA überzuleiten. Die KR-Entgeltgrup-pe 9a TVöD/VKA war nur für Arbeitnehmer vorgesehen, die originär in die KR-Vergütungsgruppe VI BAT ein-gruppiert waren, ohne dass ein Aufstieg in die KR-Ver-gütungsgruppe VII BAT möglich war.(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Beschluss v. 19.10.2016 – 4 ABR 27/15 –

Aus den Gründen

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Umgruppierung der in den verbliebe-nen Anträgen benannten Beschäftigten in die Entgelt-gruppe KR 8a Stufe 6 nach § 99 Abs. 4 BetrVG zu Recht ersetzt.

I. Die Zustimmungsersetzungsanträge sind zulässig.

1. Die Anträge bedürfen der Auslegung. Soweit in ihnen die Arbeitgeberin als Datum der Rückgruppierung den 1. Dezember 2012 aufgenommen hat, ist dieses ohne eigenständige Bedeutung, da Gegenstand eines Verfah-rens auf Ersetzung der Zustimmung nach § 99 Abs. 4 BetrVG allein die Frage ist, ob die beabsichtigte perso-nelle Maßnahme angesichts der vom Betriebsrat gel-tend gemachten Verweigerungsgründe gegenwärtig

und zukünftig zulässig ist und nicht, ob die Maßnahme im Zeitpunkt der Antragstellung oder in einem anderen früheren Zeitpunkt zulässig war. Dafür, dass die Nen-nung des Datums in den Anträgen über die bloße Kon-kretisierung der personellen Maßnahme hinaus eine eigenständige Bedeutung haben sollte, ist nichts er-sichtlich.

2. Für die Zustimmungsersetzungsanträge der Arbeit-geberin nach § 99 Abs. 4 BetrVG besteht das erforder-liche Rechtsschutzbedürfnis. Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG bei der vom Arbeitgeber noch beabsichtigten personellen Ein-zelmaßnahme; diese bedarf daher der Zustimmung des Betriebsrats.

a) Bei der Zuordnung der im Antrag benannten Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer zu den KR-Entgeltgrup-pen der Anlage 4 zum TVÜ-VKA sowie zu den Entgelt-stufen handelt es sich um eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtige personelle Maßnahme.

aa) Die Arbeitgeberin beschäftigt in der Regel mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

bb) Bei der Überleitung in die neue Entgeltordnung des TVöD/VKA nach den Vorschriften der §§ 3 bis 7 TVÜ-VKA handelt es sich um eine mitbestimmungspflichtige Um-gruppierung iSd. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Diese erfasst als ein einheitliches Verfahren den gesamten Umgrup-pierungsvorgang, also sowohl die Überleitung in eine andere Entgeltgruppe als auch die Stufenzuordnung. Das gilt gleichermaßen, wenn die bisherige Überleitung als falsch angesehen wird und erneut im Zusammen-

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hang mit einer korrigierenden Rückgruppierung in Fra-ge steht. Auch insoweit erfolgt eine Richtigkeitskon-trolle des vom Arbeitgeber angenommenen Ergebnisses im Hinblick auf die Rechtsvorschriften des TVÜ-VKA und die tariflichen Regelungen der neuen Entgeltordnung. Dies begründet das Mitbeurteilungsrecht des Betriebs-rats iSd. § 99 Abs. 1 BetrVG.

b) Das Landesarbeitsgericht ist ohne erkennbare Rechts-fehler davon ausgegangen, dass die Arbeitgeberin das Zustimmungsersetzungsverfahren wirksam eingeleitet hat und dass die Zustimmungsverweigerung des Be-triebsrats form- und fristgerecht iSd. § 99 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG erfolgt ist. Dies wird von keinem der Be-teiligten in Abrede gestellt.

II. Die Anträge der Arbeitgeberin auf Ersetzung der Zu-stimmung des Betriebsrats nach § 99 Abs. 4 BetrVG sind begründet. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung zu den Umgruppierungen zu Unrecht verweigert. Zutref-fend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die Umgruppierungen in Form einer korrigierenden Rück-gruppierung der in den Anträgen benannten Beschäf-tigten weder gegen eine Bestimmung aus einem Tarif-vertrag verstoßen (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) noch die betroffenen Beschäftigten ungerechtfertigt benachtei-ligen (§ 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG). (…)

1. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ver-stößt die Rückgruppierung der in den Anträgen benann-ten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in die Ent-geltgruppe KR 8a Stufe 6 TVöD/VKA nicht gegen § 4 Abs. 1 TVÜ-VKA iVm. der Anlage 4 TVÜ-VKA (Kr-Anwen-dungstabelle). Der Betriebsrat hat seine Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG zu Unrecht verweigert. Die zuvor zutreffend in der VergGr. Kr. VI Fallgruppe 19 des Teils A der Anlage 1b zum BAT eingruppierten betroffe-nen Beschäftigten sind in Anwendung der Kr-Anwen-dungstabelle der Entgeltgruppe KR 8a TVöD/VKA zuzu-ordnen.

a) Die hier maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen des TVÜ-VKA in der zum Überleitungszeitpunkt gelten-den Fassung sowie die Kr-Anwendungstabelle lauten auszugsweise: (…)

b) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht erkannt, dass die noch in den Anträgen benannten Beschäftigten, die allesamt über den 30. September 2005 hinaus zur Arbeitgeberin, die Mitglied im kommunalen Arbeitge-berverband war, in einem ununterbrochen fortbeste-henden Arbeitsverhältnis standen, dem Geltungsbe-reich des TVÜ-VKA unterfielen (§ 1 Abs. 1 TVÜ-VKA) und gemäß § 3 TVÜ-VKA nach den Regelungen dieses Tarif-vertrags in den TVöD/VKA überzuleiten waren.

c) Die Zuordnung der Vergütungsgruppen nach der An-lage 1b zum BAT (Vergütungsordnung für Angestellte im Pflegedienst) der in den Anträgen benannten Be-

schäftigten zu einer Entgeltgruppe des TVöD/VKA er-folgte im Rahmen der Überleitung gemäß der Protokol-lerklärung zu § 4 Abs. 1 TVÜ-VKA nach der Kr-Anwen-dungstabelle. Trotz des insoweit missverständlichen Wortlauts der Protokollerklärung zu § 4 Abs. 1 TVÜ-VKA in der Fassung vom 13. September 2005, galt und gilt die Kr-Anwendungstabelle nicht nur für neu eingestell-te, sondern auch für übergeleitete Beschäftigte.

d) Hiernach erfolgt die Zuordnung entsprechend den Vergütungsgruppen, in denen die Beschäftigten im Sep-tember 2005 rechtlich zutreffend eingruppiert waren.

Nach der von der Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel gezogenen Auffassung des Landesarbeitsgerichts waren die in den Anträgen genannten Beschäftigten zum frag-lichen Zeitpunkt in der VergGr. Kr. VI Fallgruppe 19 des Teils A der Anlage 1b zum BAT auf der Grundlage der vom Landesarbeitsgericht getroffenen tatsächlichen Feststellungen zutreffend eingruppiert. (…)

e) Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht weiter davon ausgegangen, dass die VergGr. Kr. VI Fallgruppe 19 BAT nicht der der Entgeltgruppe KR 9a TVöD/VKA entspre-chenden BAT-Vergütungsgruppe „VI ohne Aufstieg“ zuzuordnen ist. Vielmehr entspricht sie der Entgeltgrup-pe KR 8a TVöD/VKA („V mit Aufstieg nach Va und VI“). Das ergibt eine Auslegung der Kr-Anwendungstabelle, die Inhaltsnormen iSd. § 1 TVG enthält. Die der Entgelt-gruppe KR 9 TVöD/VKA zugeordnete BAT-Vergütungs-gruppe „VI ohne Aufstieg“ erfasst Tätigkeiten, denen sich nach der Anlage 1b zum BAT kein Verlauf zuordnen lässt, der eine vorhergehende Tätigkeit in einer niedri-geren und/oder eine Aufstiegsmöglichkeit in eine hö-here Vergütungsgruppe vorsah. Demgegenüber bedeu-tet „mit Aufstieg nach“, dass der vom Beschäftigten ausgeübten Tätigkeit ein bestimmter tariflicher Auf-stiegsverlauf zugeordnet werden kann, dh. ein Aufstieg in eine oder mehrere bestimmte höherwertige Vergü-tungsgruppen zukunftsbezogen an sich möglich wäre und zwar unabhängig davon, an welchem Punkt dieses Verlaufs sich der Beschäftigte befindet. Für die Zuord-nung zu den KR-Entgeltgruppen der neuen Tarifordnung ist in diesen Fällen auf den Verlauf abzustellen, dem die Tätigkeit des Beschäftigten zuzuordnen ist. Es kommt damit nicht darauf an, ob der Beschäftigte einen Auf-stieg bereits vollzogen hat oder nicht; entscheidend ist, dass seine Tätigkeit die Anforderungsmerkmale eines im KR-System der Anlage 1b zum BAT geregelten Auf-stiegsverlaufs erfüllt. Damit ist er einem der in der drit-ten Spalte der Kr-Anwendungstabelle abgebildeten Aufstiegsverläufe hinreichend präzise zugeordnet, was zur Überleitung in die entsprechende in der zweiten Spalte bezeichnete Entgeltgruppe des TVöD/VKA führt.

aa) Das folgt aus dem Wortlaut und der Systematik der dritten Spalte der Kr-Anwendungstabelle gemäß Anla-ge 4 TVÜ-VKA, die nach ihrer Überschrift nicht nur auf die Vergütungsgruppe abstellt, sondern auch auf die

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„KR-Verläufe“. Damit haben die Tarifvertragsparteien eine andere Regelungstechnik verwandt als in der Über-leitungstabelle in der Anlage 1 TVÜ-VKA. Diese unter-scheidet bei den Angestellten danach, ob sich ein Auf-stieg aus einer bestimmten Vergütungsgruppe bereits vollzogen hat („nach Aufstieg aus“) oder ein Aufstieg in eine bestimmte Vergütungsgruppe noch aussteht („mit ausstehendem Aufstieg nach“), dh. sich noch nicht vollzogen hat, aber an sich möglich ist, oder aber ob ein Aufstieg in eine bestimmte Vergütungsgruppe nicht möglich ist („ohne Aufstieg nach“). Die Kr-Anwendungs-tabelle gemäß Anlage 4 TVÜ-VKA unterscheidet dage-gen sprachlich nicht nach dem bisherigen und dem künftigen Verlauf, sondern knüpft an den Verlauf an sich an. (…)

bb) Für die Auslegung der Formulierung, dass „ohne Aufstieg“ Tätigkeiten erfasst werden, denen sich nach der Anlage 1b zum BAT kein Verlauf zuordnen lässt und damit keine Aufstiegsmöglichkeit vorgesehen ist, spricht auch, dass nur bei dieser Auslegung die Kr-An-wendungstabelle eine weitgehend lückenlose Zuord-nung der von den Beschäftigten nach der Anlage 1b zum BAT auszuübenden Tätigkeit zu den KR-Entgeltgruppen des TVöD/VKA ermöglicht.

Folgte man hingegen der Auffassung des Betriebsrats, nach der die „KR-Verläufe“ in der dritten Spalte der Kr-Anwendungstabelle ausschließlich zukunftsgerich-tet und nicht vergangenheitsbezogen seien, würde die Anwendungstabelle all diejenigen Beschäftigten der Anlage 1b zum BAT nicht erfassen, die nach einem voll-zogenen Bewährungsaufstieg und ohne weitere Auf-stiegsmöglichkeit in den VergGr. Kr. II, III, IV, V, Va, VIII, IX, X, XI, XII und XIII des Teils A der Anlage 1b zum BAT eingruppiert waren. Demgegenüber führt eine Ausle-gung, die auf den Verlauf an sich abstellt, ohne danach zu unterscheiden, ob der Aufstieg bereits vollzogen ist oder noch aussteht, dazu, dass – lediglich die Fallgrup-pen 8 und 10 der VergGr. Kr. Va des Teils A der Anlage 1b zum BAT von der Kr-Anwendungstabelle nicht erfasst wäre. Nur letzteres lässt sich mit einem Redaktionsver-sehen erklären.

Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist die Kr-Anwendungstabelle im Übrigen im Hinblick auf ei-nen – angeblich fehlenden – KR-Verlauf „II mit Aufstieg in III“ nicht lückenhaft. (…)

cc) Dieses Auslegungsergebnis wird durch die tarifliche Systematik bestätigt. (…)

dd) Soweit der Betriebsrat weiter argumentiert, die „KR-Verläufe“ in der Kr-Anwendungstabelle dienten lediglich einer „Feinjustierung“ der Beschäftigten, die einen möglichen Bewährungsaufstieg nicht bereits un-ter der Geltung des BAT vollzogen hätten und es sei gerade der Sinn und Zweck des Bewährungsaufstiegs

nach dem BAT gewesen, Beschäftigte mit niedrigerer fachlicher Qualifikation Beschäftigten mit höherer fach-licher Qualifikation gleichzustellen, wenn der Qualifi-kationsunterschied durch langjährige Bewährung kom-pensiert worden sei, was die Überleitungsvorschriften nicht „rückgängig“ machen wollten, finden sich für ei-nen solchen Willen der Tarifvertragsparteien im Wort-laut und der Systematik der tariflichen Regelungen, insbesondere – speziell – in der Kr-Anwendungstabelle oder – allgemein – dem TVÜ-VKA, keine Anhaltspunkte. Zwar mag dies aus Sicht des Betriebsrats eine sachge-rechtere oder zweckmäßigere Lösung für eine Überlei-tung darstellen. Daraus folgt jedoch nicht, dass auch die Tarifvertragsparteien diesen Regelungszweck ver-folgt hätten. Sie müssen nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht die sachgerechteste oder zweckmäßigste Regelung wählen. Die Tarifauto-nomie schließt vielmehr auch die Befugnis der Tarifver-tragsparteien zu Entgeltregelungen ein, die den Betrof-fenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen.

Im Übrigen beinhaltet gerade eine Überleitung, die nicht darauf abstellt, ob der Aufstieg schon vollzogen wurde oder nicht, die Chance, auch ohne Fachausbil-dung aufgrund des Stufenaufstiegs mittel- oder lang-fristig ein höheres Entgelt zu erzielen. Ein Beschäftigter, der im Überleitungszeitpunkt nach VergGr. Kr. V BAT mit noch ausstehendem Aufstieg nach VergGr. Kr. VI BAT eingruppiert war, hätte nach der vom Betriebsrat vertretenen Auslegung der Kr-Anwendungstabelle kei-ne Möglichkeit mehr, ein Entgelt nach Entgeltgruppe KR 9a TVöD/VKA zu erzielen.

f) Das Berufen der Arbeitgeberin auf die Fehlerhaftigkeit der bisherigen tariflichen Bewertung verstößt nicht ge-gen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Der Betriebsrat hat keine besonderen Umstände geltend gemacht, die die Rechtsausübung als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. Solche Umstände sind auch sonst nicht ersicht-lich.

2. Das Landesarbeitsgericht hat weiter zutreffend er-kannt, dass die Rückgruppierungen die betroffenen Be-schäftigten nicht iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG unge-rechtfertigt benachteiligen und deshalb einen Zustim-mungsverweigerungsgrund des Betriebsrats zu Recht abgelehnt. In den Folgen richtiger Anwendung des gel-tenden Rechts liegt kein „Nachteil“ iSd. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG.

3. Schließlich haben die Vorinstanzen die Zustimmung des Betriebsrats auch hinsichtlich der beantragten Zu-ordnung zu Stufe 6 der Entgeltgruppe KR 8a TVöD/VKA ersetzt. Ein Rechtsfehler ist insoweit weder erkennbar noch wird er von den Beteiligten geltend gemacht.

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ZBVR online 5/2017 | Seite 10 von 31

Unterrichtungsanspruch und Vorschlagsrecht des Betriebsrats bei der Personalplanung 1. Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber nach § 92 Abs. 1 BetrVG die rechtzeitige und umfassende Unterrichtung über die Personalplanung anhand von denjenigen Un-terlagen verlangen, die jener seiner Personalplanung zugrunde legt. Dabei kann es sich auch um vom Arbeit-geber erstellte Daten handeln, mit denen er noch an-dere Zwecke verfolgt. Der Unterrichtungsanspruch über die Personalplanung des Arbeitgebers erstreckt sich aber nicht auf solche Daten, die für die Personalplanung nicht genutzt werden. 2. Verlangt der Betriebsrat vom Arbeitgeber Unterlagen, um Vorschläge zur Änderung einer bestehenden Perso-nalplanung erarbeiten zu können, hat er darzulegen, weshalb die begehrten Informationen zur Wahrneh-mung dieses Vorschlagsrechts nach § 92 Abs. 2 BetrVG erforderlich sind. 3. Tatbestandliche Feststellungen des Landesarbeitsge-richts können in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht mit Verfahrensrügen, sondern nur mit einem Tatbe-standsberichtigungsantrag nach § 320 Abs. 1 ZPO an-gegriffen werden.(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Beschluss v. 8.11.2016 – 1 ABR 64/14 –

Zum Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Ar-beitgeberin zur Vorlage von Stichtagserhebungen.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Gesund-heitswesens. Sie betreibt in G und T psychiatrische Fach-kliniken mit ca. 1.100 Arbeitnehmern. Antragsteller ist der für beide Kliniken gewählte Betriebsrat. Es besteht ein Wirtschaftsausschuss.

Die Arbeitgeberin erstellt nach § 4 Abs. 2 der Verordnung über Maßstäbe und Grundsätze für den Personalbedarf in der stationären Psychiatrie (Psychiatrie-Personalver-ordnung – Psych-PV) Stichtagserhebungen. § 4 Psych-PV lautet wie folgt: (…)

Bis Mitte des Jahres 2012 stellte die Arbeitgeberin dem Wirtschaftsausschuss diese Erhebungen zur Verfügung. Über nachfolgende Stichtagserhebungen wurden weder der Wirtschaftsausschuss noch der Betriebsrat unter-richtet.

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Ar-beitgeberin sei verpflichtet, ihm die jeweiligen Stich-tagserhebungen vorzulegen. (…)

Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbegründet.

Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Beschwerde der Arbeitgeberin stattgegeben.

I. Der Antrag ist in der gebotenen Auslegung zulässig. Der Betriebsrat verlangt keine dauerhafte Überlassung der Unterlagen über die Stichtagserhebungen, sondern lediglich, ihm die Ergebnisse der Stichtagserhebungen zeitweise zur Verfügung zu stellen. Dies hat er in der Anhörung vor dem Arbeitsgericht klargestellt. Eine nä-here zeitliche Präzisierung der Überlassungsdauer ist für die ausreichende Bestimmtheit des Antrags iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO nicht geboten.

II. Der Antrag des Betriebsrats ist unbegründet. Ein Un-terrichtungsanspruch anhand der geforderten Unterla-gen ergibt sich nicht aus § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Der Betriebsrat kann die beantragte Vorlage auch nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 iVm. § 92 Abs. 2 BetrVG beanspruchen.

1. Ein Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats folgt nicht aus § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG.

a) Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat über die Personalplanung, insbesonde-re über den gegenwärtigen und künftigen Personalbe-darf, anhand von Unterlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten. Zur Personalplanung gehören die Per-sonalbedarfsplanung, die Personaldeckungsplanung, die Personalentwicklungsplanung und die Personalein-satzplanung. Der Betriebsrat soll zu einem möglichst frühen Zeitpunkt über die personelle Situation des Be-triebs und deren Entwicklung umfassend anhand von Unterlagen unterrichtet werden. Die Unterrichtung hat aber anhand derjenigen Unterlagen zu erfolgen, die der Arbeitgeber selbst seiner Personalplanung zugrunde legt, unabhängig davon, in welchem Zusammenhang sie erhoben oder festgestellt wurden. Soweit ein Arbeit-geber mit den geforderten und von ihm erstellten Daten neben einer Personalplanung noch andere Zwecke ver-folgt, steht dies einem Auskunftsbegehren des Betriebs-rats nicht entgegen.

b) Danach kann der Betriebsrat nicht verlangen, anhand der geforderten Stichtagserhebungen unterrichtet zu werden.

aa) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verwendet die Arbeitgeberin die Stichtagserhebungen nicht für ihre Personalplanung, sondern „ausschließlich als Finanzierungsinstrument“ zur Erlangung möglichst hoher Zuwendungen der Kostenträger.

bb) Die von der Rechtsbeschwerde gegen diese Feststel-lungen erhobenen Rügen greifen nicht durch. (…)

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ZBVR online 5/2017 | Seite 11 von 31

cc) Soweit sich der Betriebsrat in der Rechtsbeschwerde erstmals darauf beruft, es bestünden zusätzliche An-haltspunkte, nach denen die Personalplanung der Ar-beitgeberin unter Beachtung der Stichtagserhebungen erfolge, handelt es sich um einen neuen Sachvortrag. Dieser ist in der Rechtsbeschwerde nach § 559 Abs. 1 ZPO unzulässig.

2. Der Betriebsrat kann die Vorlage der Stichtagserhe-bungen auch nicht nach § 80 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 iVm. § 92 Abs. 2 BetrVG verlangen.

a) Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und ihm nach Satz 2 Halbs. 1 der Bestimmung auf Verlangen die dazu erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stel-len. Hieraus folgt ein entsprechender Anspruch des Be-triebsrats, soweit die begehrte Informati-on zur Aufgabenwahrnehmung erforder-lich ist. Anspruchsvoraussetzung ist damit zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und zum an-deren, dass im Einzelfall die begehrte In-formation zur Wahrnehmung dieser Auf-gabe erforderlich ist. Dies hat der Betriebsrat darzule-gen. Erst anhand dieser Angaben können der Arbeitge-ber und im Streitfall das Arbeitsgericht prüfen, ob die Voraussetzungen der Vorlagepflicht vorliegen.

b) Nach diesen Grundsätzen besteht der vom Betriebs-rat geltend gemachte Vorlageanspruch nicht. Er kann sich für sein Begehren zwar auf ein Vorschlagsrecht nach § 92 Abs. 2 BetrVG stützen. Der Betriebsrat hat aber nicht dargetan, dass die fünf Stichtagserhebungen in den Monaten Juli 2012, Oktober 2012, Januar 2013, April 2013 sowie Juli 2013 für die Erledigung dieser Auf-gabe erforderlich sind.

aa) Nach § 92 Abs. 2 BetrVG kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber Vorschläge für die Einführung einer Perso-nalplanung und deren Durchführung machen. Hierzu gehören auch solche zur Änderung einer bestehenden und vom Arbeitgeber praktizierten Personalplanung.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde zählt es aber nicht zu den Aufgaben des Betriebsrats, „gleich-berechtigt“ neben dem Arbeitgeber „eine originäre“ Personalplanung durchzuführen. Für die Ausübung des gesetzlichen Vorschlagsrechts sind dem Betriebsrat nach § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG die erforderlichen Un-terlagen zur Verfügung zu stellen.

bb) Der Betriebsrat hat nicht ausreichend dargelegt, dass die Vorlage der fünf streitgegenständlichen Stich-tagserhebungen erforderlich ist, um eigene Vorschläge zur Änderung der bisherigen Personalplanung der Ar-beitgeberin machen zu können. Da die Arbeitgeberin nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts be-reits eine Personalplanung praktiziert, besteht für das Vorschlagsrecht zur Einführung einer Personalplanung schon kein Raum mehr. Vielmehr beschränkt sich die gesetzliche Aufgabe des Betriebsrats nach § 92 Abs. 2

BetrVG in einem solchen Fall darauf, Vorschläge zur Än-derung der Personalplanung zu unterbreiten. Dazu hat der Betriebsrat lediglich vorgetragen, zur qualifizierten Ausübung seines Vorschlagsrechts seien ihm „die Eck-daten, die im Betrieb bekannt sind, … zugänglich zu machen“. Inwieweit die an fünf Tagen nach § 4 Abs. 2 und Abs. 3 Psych-PV erfolgten Erhebungen der Jahre 2012 und 2013 für die Erarbeitung eigener Vorschläge zur Personalplanung zur Änderung einer tatsächlich im Betrieb bestehenden und nach anderen Kriterien durch-geführten Personalplanung gebraucht werden, wird aus diesem Vorbringen nicht ersichtlich. Eine solche Darle-gung wäre dem Betriebsrat anhand der bis zur Mitte des Jahres 2012 zur Verfügung gestellten Stichtagser-hebungen – soweit diese für sein Vorschlagsrecht über-haupt von Relevanz sein könnten – aber ohne Weiteres möglich gewesen.

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Es ist nicht Aufgabe des Betriebsrats, eine eigene Personalplanung zusätzlich zu der des Arbeitgebers

aufzustellen.

„Folgeleistungspflicht“ des Arbeitnehmers bei unbilliger VersetzungDer Arbeitnehmer ist nicht verpflichtet, einer unbilligen Versetzung an einen anderen Ort vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Verbindlichkeit der Versetzung zu befolgen (entgegen BAG 22.02.2012 – 5 AZR 249/11).LAG Düsseldorf, Urteil v. 6.4.2016 – 12 Sa 1153/15 –

Aus den Gründen

(…) A. (…) II. (…) 1. (…) Erweist sich eine vom Arbeitgeber vorgenommene Versetzung als unwirksam, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung in sei-ner bisherigen Tätigkeit am bisherigen Ort. Bei einer

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Versetzung handelt es sich um eine einheitliche Maß-nahme, die nicht in den Entzug der bisherigen Tätigkeit und die Zuweisung einer neuen Tätigkeit aufgespalten werden kann. Dies gilt auch dann, wenn Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag nicht abschlie-ßend festgelegt sind, sondern dem Weisungsrecht des Arbeitgebers (§ 106 GewO) unterliegen. Solange dieser nicht rechtswirksam von seinem Weisungsrecht erneut Gebrauch gemacht hat, bleibt es bei der bisher zugewie-senen Arbeitsaufgabe am bisherigen Ort und der Arbeit-nehmer hat einen dementsprechenden Beschäftigungs-anspruch. Damit wird (…) die künftige Beschäftigung nicht dauerhaft zementiert. Eine Entscheidung darüber, ob und ggf. in welchem Umfang der Arbeitgeber zukünf-tig, d.h. nach dem Zeitpunkt des Schlusses der mündli-chen Verhandlung in zweiter Instanz, von seinem Wei-sungsrecht rechtswirksam Gebrauch machen kann, ist mit diesem Urteil nicht getroffen.

2. (…) 3. Der Kläger kann die tatsächliche Beschäftigung in E. verlangen, weil die Versetzung (…) nach O. unwirk-sam ist, weil sie nicht billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) entspricht.

a) Für die umfassende Ausübungskontrolle nach § 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB in Bezug auf eine Versetzung ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

aa) Dem Inhaber des Bestimmungsrechts nach § 106 GewO, § 315 Abs. 1 BGB verbleibt auch im Falle der Ver-setzung für die rechtsgestaltende Leistungsbestim-mung ein – ggfs. auf betriebliche Gründe beschränkter – nach billigem Ermessen auszufüllender Spielraum. Innerhalb des Spielraums können dem Bestimmungs-berechtigten mehrere Entscheidungsmöglichkeiten zur

Verfügung stehen. Dem Gericht obliegt nach § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB die Prüfung, ob der Arbeitgeber als Gläubiger die Grenzen seines Bestimmungsrechts beachtet hat.

bb) Die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen (§ 106 Satz 1 GewO, § 315 BGB) verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach verfassungsrecht-lichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den all-gemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßig-keit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. In die Abwägung sind alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen. Hierzu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außer-vertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Ein-kommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen.

cc) Beruht die Weisung auf einer unternehmerischen Entscheidung, so kommt dieser besonderes Gewicht zu. Eine unternehmerische Entscheidung führt aber nicht dazu, dass die Abwägung mit Interessen des Arbeitneh-mers von vornherein ausgeschlossen wäre und sich die Belange des Arbeitnehmers nur in dem vom Arbeitgeber durch die unternehmerische Entscheidung gesetzten Rahmen durchsetzen könnten. Das unternehmerische Konzept ist zwar nicht auf seine Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen. Die Arbeitsgerichte können vom Arbeit-geber nicht verlangen, von ihm nicht gewollte Organi-sationsentscheidungen zu treffen. Wohl aber kann die Abwägung mit den Belangen des Arbeitnehmers erge-ben, dass ein Konzept auch unter Verzicht auf die Ver-setzung durchsetzbar war.

b) In Anwendung dieser Grundsätze entspricht die Ver-setzung mit Schreiben vom 05.02.2015 mit Wirkung zum 02.03.2015 nach O. nicht billigem Ermessen. Die Kammer unterstellt dabei, dass die Beklagte tatsächlich Ende 2014 die unternehmerische Entscheidung getroffen hat, die Führungskräfte am Standort O. zu bündeln. Es kann auch unterstellt werden, dass die Entscheidung – so sie denn getroffen wurde – entgegen dem Vorbringen des Klägers nicht aus rechtsmissbräuchlichen Gründen, al-leine um den Kläger aus dem Betriebs zu drängen, er-folgt ist. Darauf kam es nicht an, denn selbst bei unter-stellter nicht zu beanstandender unternehmerischer Entscheidung, die Führungskräfte in O. zu bündeln, entspricht die Versetzung mit Schreiben vom 05.02.2015 mit Wirkung zum 02.03.2015 nach O. nicht billigem Er-messen. (…) Im Hinblick auf die Entfernung zwischen E. und O. und die familiäre Situation des Klägers mit einer schwerbehinderten minderjährigen Tochter aus erster Ehe, die bei ihrer Mutter in N. lebt, war eine Situation

gegeben, welche die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessensausübung einstellen musste. (…) Hinzu kommt, dass keine Si-tuation gegeben ist, bei der die Berück-sichtigung der Interessen des Klägers das unternehmerische Konzept der Beklagten vollständig in Frage stellte. Die Aufgaben

des Klägers erlauben teilweise Heimarbeit. (…) Die Rechtsverteidigung der Beklagten in der Berufungsins-tanz setzt denn vornehmlich auch nicht daran an, dass die Versetzung ohne diese Einschränkungen billiges Ermessen wahre, sondern dass das Arbeitsgericht ihre Ausführungen hierzu nicht beachtet habe. Dies ist indes zunächst nicht zutreffend, denn das Arbeitsgericht hat diese Ausführungen gewürdigt, aber festgestellt, dass es an verbindlichen Zusagen fehle und die Angebote letztlich nicht mehr aufrechterhalten worden seien. (…) Da der Kläger sich darauf nicht eingelassen habe, sei nicht mehr ersichtlich, auf welche Modifikation er sich eingelassen hätte. Dies ist für eine einvernehmliche Lö-sung entscheidend. Kommt diese – wie vorliegend – nicht zustande, bleibt die Versetzung eine einseitige Maßnahme, bei welcher die Beklagte ihrerseits gehalten ist, einseitig bei der Ausübung des billigen Ermessens

Die Einzelfallprüfung muss neben vielen anderen Faktoren auch soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten

und Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigen.

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die Belange des Klägers zu beachten. Eine solche Ver-setzung hat die Beklagte bislang nicht ausgesprochen. (…) Der Kammer oblag alleine die Entscheidung über eine vollständige Versetzung des Klägers nach O.. Diese entspricht aufgrund der familiären Situation des Klägers auch unter Berücksichtigung der unterstellten unter-nehmerischen Entscheidung, etwaiger Flugverbindun-gen zwischen E. und O. und der Tatsache, dass dem Kläger in seiner Position durchaus Flexibilität abzuver-langen ist, nicht billigem Ermessen. Zur Klarstellung weist die Kammer – wie mit den Parteien im Termin erörtert – darauf hin, dass diese Entscheidung nur die-se Versetzung betrifft. Spricht die Beklagte eine erneu-te Versetzung des Klägers nach O. aus und schränkt diese (…) ein oder gestattet die Tätigkeit des Klägers an einem Tag pro Woche in E. bzw. im Homeoffice und gewährt eine Reisekostenpauschale, verändert dies nachträglich die Tatsachengrundlage. Ob die Verset-zung unter diesen Voraussetzungen billigem Ermessen entspricht, hat die Kammer nicht beurteilt. In Abwä-gung aller Umstände des Falles war es für die Beklagte auf der Tatsachengrundlage, so wie sie im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bestand, auch nicht unzumutbar, den Kläger in E. zu beschäftigen.

c) Da die Versetzung nicht billigem Ermessen entspricht, verbleibt es bei der bisherigen Weisungslage und der Kläger kann die tatsächliche Beschäftigung in E. verlan-gen. Der Leistungsausspruch ist nicht dahingehend ein-zuschränken, dass der Kläger erst ab Rechtskraft der Entscheidung tatsächlich in E. zu beschäftigen ist. (…) Es liegt kein Fall vor, in dem der Kläger durch längeres Zuwarten und Weiterarbeiten stillschweigend sein Ein-verständnis zu einer unbilligen Weisung erklärt. (…) Die erkennende Kammer folgt der Ansicht in der Rechtsleh-re, welche bei § 315 BGB davon ausgeht, dass eine un-billige Leistungsbestimmung allenfalls für den Bestim-mungsberechtigten, nicht aber für den anderen Teil verbindlich ist. Er muss der unbillig festgelegten Leis-tungsaufforderung nicht nachkommen. Dies gilt auch für den Arbeitnehmer. Bereits dem Wortlaut des § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB lässt sich eine vorläufige Bindung nicht entnehmen. Sie ist in der gesetzlichen Bestimmung nicht angeordnet. Vielmehr ist eine unbillige Leistungs-bestimmung unverbindlich. Andernfalls könnte die Ver-tragspartei, der das Leistungsbestimmungsrecht zu-steht, aus einer unbilligen Bestimmung Rechte herlei-ten, die sie bei gesetzesmäßigem Verhalten nicht hät-ten. (…) Eine sog. Folgeleistungspflicht im Rahmen des arbeitsrechtlichen Direktionsrechts ist nur noch be-reichsspezifisch gesondert geregelt, z.B. in §§ 32 Satz 2, 124 Abs. 1 Satz 1 SeeArbG. (…) Unter Beachtung grund-rechtlicher Wertungen, die im Rahmen unbilliger Wei-sungen eine Rolle spielen können – auch vorliegend geht es um das Elternrecht des Klägers aus Art. 6 Abs. 2 GG – würde die vom Fünften Senat vertretene Rechts-auffassung effektiven Rechtsschutz zumindest er-schweren. So geht der Zehnte Senat in Abgrenzung zu einer Entscheidung des Fünften Senats vom 24.01.2001

davon aus, dass effektiver Rechtsschutz zur Durchset-zung des Beschäftigungsanspruchs für den Zeitraum bis zu einer neuen Ausübung des Weisungsrechts durch den Arbeitgeber erforderlich ist. Diesen Begründungs-ansatz hält die erkennende Kammer für zutreffend. Er wird aber nur dadurch erreicht, dass man dem Arbeit-nehmer die Möglichkeit zur Klage auf tatsächliche Be-schäftigung zugesteht, mit der er bereits in erster In-stanz ein vorläufig vollstreckbares Urteil erstreiten kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 ArbGG) und nicht bis zur ggfs. lange dauernden Rechtskraft einer Entscheidung eine unbil-lige Weisung befolgen muss. Es ist auch nicht zu be-fürchten, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers bei der hier vertretenen Ansicht entwertet würde. Der Ar-beitnehmer trägt selbst das Risiko, ob er eine Weisung befolgt. Ist sie wirksam, muss er mit arbeitsrechtlichen Folgen rechnen. Im Ergebnis ist die Kammer der Über-zeugung, dass ein Arbeitnehmer eine unbillige Weisung nicht befolgen muss. (…)

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Anmerkung

Mit Urteil vom 6. April 2016 hat das LAG Düsseldorf ent-schieden, dass Arbeitnehmer nicht verpflichtet sind, eine unbillige Weisung des Arbeitgebers (hier: Verset-zung an einen anderen Ort) vorläufig zu befolgen. Der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts1 hatte in der Vergan-genheit noch anders entschieden: Ein Arbeitnehmer dürfe sich aufgrund seiner Weisungsgebundenheit zur Arbeitgeberin nicht ohne Weiteres über eine Weisung hinwegsetzen; der Weisung müsse Folge geleistet wer-den, bis deren Unverbindlichkeit durch ein Gericht rechtskräftig festgestellt worden sei. Dem hat das LAG Düsseldorf nunmehr eine klare Absage erteilt.

1. Zur Entscheidung des LAG DüsseldorfEine Arbeitgeberin beabsichtigte, einen Mitarbeiter künftig in einem anderen Betrieb einzusetzen. Der war hierzu nicht bereit, er hielt dies für eine Schikane, zumal er aufgrund seiner besonderen familiären Situation (u.a. Betreuung eines schwerbehinderten Kindes) die Ver-setzung als erhebliche bzw. unzumutbare Belastung betrachtete. Der Mitarbeiter klagte und bekam vor dem LAG Düsseldorf Recht. Die Düsseldorfer Richter entschie-den, dass rechtswidrigen Weisungen keine Folge geleis-tet werden müsse. Letztlich trage aber der Arbeitneh-mer das Risiko, rechtmäßige von rechtswidrigen Wei-sungen zu unterscheiden. Dieser müsse damit rechnen, arbeitsrechtliche Sanktionen zu erhalten, sofern er pflichtwidrig einer rechtmäßigen Weisung nicht nach-komme, auch wenn er diese für rechtswidrig gehalten habe.

1 BAG v. 22.2.2012 – 5 AZR 249/11, DB 2012, 1628 = LS ZBVR online 11/2012, S. 29.

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Beispiel: Mitarbeiter A soll vom Betrieb B in den Betrieb C versetzt werden. A weigert sich und nimmt trotz meh-rerer Abmahnungen des Arbeitgebers seine Arbeit im Betrieb C nicht auf. Schlussendlich kündigt der Arbeit-geber dem A verhaltensbedingt wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung.

Legt man die Grundsätze des LAG Düsseldorf zugrunde, wäre die Kündigung zu Recht ausgesprochen worden (zumindest dann, wenn die Versetzungsanordnung zu-lässig war). Denn A hätte sich mehrfach, trotz einschlä-giger Abmahnungen einer – rechtmäßigen – Anweisung des Arbeitgebers widersetzt und wäre seiner geschul-deten Arbeit nicht nachgekommen. Und hier liegt die Krux des Urteils des LAG Düsseldorf. Die oben zitierte BAG-Rechtsprechung macht es dem Arbeitnehmer zwar nicht angenehmer, aber juristisch doch einfacher. Nach dieser gilt das Prinzip: „Erst einmal der Weisung Folge leisten und ggf. später die Gerichte entscheiden lassen.“

Der Arbeitnehmer müsste demnach zwar zunächst in den „sauren Apfel“ beißen, läuft aber nicht Gefahr, be-rechtigterweise Repressalien durch den Arbeitgeber ausgesetzt zu sein. Die Düsseldorfer Ansicht erscheint dennoch vorzugs-würdig. In der Tat kann eine Arbeitgeberin nur dort ver-bindliche Weisungen erteilen, wo ihr entsprechende Befugnisse überhaupt zukommen. Der Fall des LAG Düs-seldorf zeigt zudem, dass ein „Augen zu und durch“ für die betroffenen Arbeitnehmer sehr belastend wirken kann. Denn der Mitarbeiter im besagten Fall hatte schon

aufgrund seiner familiären Situation schutzwürdige Interessen, der Versetzung zunächst nicht nachkommen zu müssen.

2. Möglichkeiten des BetriebsratsIn der Praxis bedenklich bleibt allerdings der Umstand, dass das komplette Risiko, einer womöglich doch recht-mäßigen Weisung nicht nachzukommen, letztlich beim Arbeitnehmer verbleibt. Hier sind die Betriebsräte ge-fragt. Diese können durch eine verantwortungsvolle Ausübung ihrer Mitbestimmungsrechte viel Druck von einem Arbeitnehmer nehmen, insbesondere im Bereich der Mitbestimmung nach § 87 BetrVG und § 99 BetrVG.

Beispiel: Mitarbeiter A soll immer noch vom Betrieb B in den Betrieb C versetzt werden. Der zuständige Be-triebsrat verweigert seine entsprechende Zustimmung nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG (hier: weil schutzwürdige familiäre Belange des Arbeitnehmers entgegenstehen

und somit ein unzumutbarer „Nachteil“ im Sinne der Nr. 4 drohen würde). Grundsätzlich muss der Mitarbeiter der Ver-setzung deshalb erst einmal nicht nachkommen. Auch im Bereich der sozialen Mitbestimmung nach § 87 Be-trVG kommt der Arbeitgeber am Betriebsrat bzw. dem nor-mierten Mitbestimmungsver-fahren nicht vorbei.

Beispiel: Der Arbeitgeber will in der Abteilung „Fertigung“ Überstunden anordnen. Auf-grund einer fehlenden Be-triebsvereinbarung muss der Arbeitgeber für jede einzelne Überstunde die Zustimmung des Betriebsrats einholen (die Anordnung von Überstunden unterliegt bekanntlich der Mit-bestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG). Verweigert der Betriebsrat seine Zustimmung,

so müsste der Arbeitgeber ein (ggf. kostspieliges) Eini-gungsstellenverfahren einleiten und versuchen, die Zu-stimmung des Betriebsrats in diesem ersetzen zu lassen. Ohne die Zustimmung des Betriebsrats bzw. eine Zu-stimmungsersetzung durch die Einigungsstelle braucht die Fertigung keine einzige Überstunde zu leisten.

Merke: Überall dort, wo dem Betriebsrat erzwingbare Mitbestimmung zusteht, braucht ein Arbeitnehmer (ohne Angst vor arbeitsrechtlichen Sanktionen) einer arbeitgeberseitigen Weisung nicht nachzukommen, bis das Mitbestimmungsverfahren ordnungsgemäß durch-

Konsequenzen für die Praxis

1. Ohne betriebsrätliche Intervention obliegt es allein dem Mitarbeiter, in sich zu gehen und zu hinterfragen, ob er eine arbeitgeberseitige Weisung als verbindlich anerkennen möchte oder nicht. Kommt er hier zu einer rechtlichen Fehleinschätzung, kann dies erhebliche arbeitsrecht-liche Konsequenzen nach sich ziehen (Abmahnung, Kündigung). 2. Wird ein Betriebsrat aktiv, kann dieser dem Arbeitgeber gesteigerten Aufwand abverlangen, um die Maßnahme überhaupt durchsetzen zu können. Ein Arbeitgeber wird daher vor „Schnellschüssen“ zurückschre-cken, da diese unter Umständen erhebliche Kosten, jedenfalls aber erheblichen Aufwand auslösen können. Der Betriebsrat wird zur Speerspitze und nimmt den Mitarbeiter selbst aus der unmittelbaren Konfrontation. Nur dort, wo kein Mitbestimmungstatbestand gegeben ist, würde es dann noch dem Mitarbeiter obliegen, entsprechend der Grundsätze des LAG Düsseldorf in sich zu gehen und die Rechtmäßigkeit einer arbeitgeberseitigen Weisung risikobehaftet zu hinterfragen. 3. Die Rechtsprechung möge sich aufgerufen fühlen, diese Grundsätze unter dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung zu überdenken. Wirklich haften (im Sinne von: Abmahnung, Kündigung) sollte der Mitarbeiter nur dann, wenn ihm mindestens mittlere Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, nicht aber bei einfacher Fahrlässigkeit (Analogie zur Haftungstrilogie).

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laufen wurde. Das Bundesarbeitsgericht nennt dies die „Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung“.2 Der Arbeit-geber soll nicht die Möglichkeit haben, die Mitbestim-mung des Betriebsrats zu umgehen, indem er dem ein-zelnen Arbeitnehmer mitbestimmungswidrige Weisun-gen erteilt. Schon zur Sicherung des Mitbestimmungs-rechts ist es nach dem Bundesarbeitsgericht deshalb geboten, solche Weisungen als unzulässig zu betrach-ten. Ihnen braucht seitens der Arbeitnehmerschaft so-mit nicht gefolgt zu werden. Um das vorgenannte Prin-

zip richtig zu verstehen, sollte man sich „zwei Ampeln“ vorstellen, welche beide auf „grün“ stehen müssen, ehe der Arbeitgeber eine Weisung verbindlich aussprechen darf. Ampel „1“ ist das Direktionsrecht, Ampel „2“ ist die betriebsrätliche Mitbestimmung.

Beispiel: Ist A laut Arbeitsvertrag als Personalsachbear-beiter zu beschäftigen, stellt sich oftmals die Frage, ob diesem im Wege des arbeitsgeberseitigen Direktions-rechts auch andere Tätigkeiten zugewiesen werden können. Um sich insoweit abzusichern, finden sich in den heutigen Arbeitsverträgen oftmals Klauseln wie: „Dem Mitarbeiter können auch andere gleichwertige Tätigkeiten zugewiesen werden, welche seinen Kennt-nissen und Fähigkeiten entsprechen.“ Eine solche Klau-sel im Arbeitsvertrag würde es der Arbeitgeberin folglich ermöglichen, dem A auch andere administrative Tätig-keiten zuzuweisen, sofern diese „gleich-wertig“ im benannten Sinne wären. Ein entsprechendes Direktionsrecht wäre ge-geben, „Ampel 1“ wäre grün geschaltet. Hingegen wäre es der Arbeitgeberin nicht möglich, den A zum Beispiel dauerhaft als Hausmeister zu beschäftigen, da dies kei-ne Grundlage im Arbeitsvertrag mehr hätte. Bereits das arbeitgeberseitige Direktionsrecht wäre nicht gegeben („Ampel 1“ stünde auf „rot“), hier kann nichts wirksam angeordnet werden. Dennoch bleibt die Beurteilung im Einzelfall für den Mitarbeiter schwierig.

Sofern ein entsprechendes Direktionsrecht besteht („Ampel 1 steht auf „grün“), bleibt die arbeitgeberseiti-ge Weisung dennoch solange unwirksam, bis das Mit-bestimmungsverfahren ordnungsgemäß durchlaufen ist. Sagt der Betriebsrat „nein“, so muss die Arbeitge-berin z.B. bei Mitbestimmungstatbeständen nach § 87 BetrVG die Einigungsstelle anrufen, um die fehlende

2 Hierzu grundlegend: BAG v. 22.6.2010 – 1 AZR 853/08, ZBVR online 1/2011, S. 9.

Zustimmung ersetzen zu lassen. Erst nach einer Zustim-mungsersetzung dürfte sie auf Einhaltung der Weisung bestehen (z.B. was das Leisten von Überstunden an-geht). Erst dann würde die „Ampel 2“ auf „grün“ stehen, bis dahin zeigt sie „rot“.

Aber: Bei Einstellungen und Versetzungen nach § 99 BetrVG ist das Mitbestimmungsverfahren dahingehend modifiziert, dass die Arbeitgeberin bei eiligen Sachver-halten selbst bei einer Zustimmungsverweigerung des

Betriebsrats nach § 100 BetrVG vorläufig umsetzen dürfte. Bestreitet aber der Be-triebsrat die „dringende Erforderlichkeit“ der vorläufigen Umsetzung, so muss die Arbeitgeberin zwingend binnen dreier Tage (Tage nicht Arbeitstage) beim Ar-beitsgericht beantragen, die fehlende Zu-

stimmung gem. § 99 Abs. 4 BetrVG ersetzen zu lassen und festzustellen, dass die vorläufige Maßnahme drin-gend erforderlich ist. Macht sie dies, so kann die Arbeit-geberin die Maßnahme bis zur rechtskräftigen Entschei-dung der Arbeitsgerichte vorläufig durchführen (die Ampel 2 stünde dann auch auf „grün“), macht sie dies nicht, so stünde die Ampel 2 auf „rot“ und die Arbeit-geberin müsste umgehend von der beabsichtigten Ein-stellung oder Versetzung Abstand nehmen.

Wichtig: Die Drei-Tage-Frist der Arbeitgeberin, um das Arbeitsgericht anzurufen, läuft erst an, wenn der Be-triebsrat die dringende Erforderlichkeit bestreitet. Der Betriebsrat sollte deshalb bei begründeten Zweifeln an einer solchen Erforderlichkeit jede etwaige Zustim-mungsverweigerung mit dem Zusatz versehen: „Sofern eine sofortige oder alsbaldige Umsetzung der personel-

len Maßnahme geplant sein sollte, weisen wir als Be-triebsrat darauf hin, dass wir weder eine Eilbedürftigkeit erkennen noch sonstige Umstände, welche eine sofor-tige oder alsbaldige Umsetzung gebieten würden. Es wird deshalb bestritten, dass sachliche Gründe vorlie-gen, welche eine sofortige oder alsbaldige Umsetzung dringend erforderlich erscheinen lassen.“

Dr. Magnus Bergmann/Stefan Teichert*

* Dr. Magnus Bergmann ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner der Kanzlei Bergmann|Lappe aus Münster ([email protected]), Stefan Teichert ist dort als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Associate der Kanzlei.

Die vom BAG vertretene Theorie der Wirk-samkeitsvoraussetzung lässt sich griffig wie folgt beschreiben:

Der Arbeitgeber darf eine Weisung ...

... erst dann verbindlich aussprechen, wenn sowohl die Ampel „Direktionsrecht“ als auch die Ampel

„Mitbestimmung des Betriebsrats“ auf grün steht.

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Institutioneller Rechtsmissbrauch bei Befristung im Schulbereich 1. Besteht ein Sachgrund für die Befristung eines Ar-beitsvertrags nach § 14 Abs. 1 TzBfG, ist eine umfassen-de Kontrolle nach den Grundsätzen eines institutionel-len Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) in der Regel geboten, wenn die Gesamtdauer des befristeten Arbeitsverhält-nisses acht Jahre überschreitet oder mehr als zwölf Verlängerungen des befristeten Arbeitsvertrags verein-bart wurden oder wenn die Gesamtdauer des befriste-ten Arbeitsverhältnisses sechs Jahre überschreitet und mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wur-den. Unter diesen Voraussetzungen hängt es von wei-teren, zunächst vom Kläger vorzutragenden Umständen ab, ob ein Missbrauch der Befristungsmöglichkeit an-zunehmen ist. 2. Von einem indizierten Rechtsmissbrauch ist in der Regel auszugehen, wenn die Gesamtdauer des Arbeits-verhältnisses zehn Jahre überschreitet oder mehr als 15 Vertragsverlängerungen vereinbart wurden oder wenn mehr als zwölf Vertragsverlängerungen bei einer Ge-samtdauer von mehr als acht Jahren vorliegen. In einem solchen Fall hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, die Annahme des indizierten Gestaltungsmissbrauchs durch den Vortrag besonderer Umstände zu entkräften. BAG, Urteil v. 26.10.2016 – 7 AZR 135/15 –

Aus den Gründen

Die Revision des beklagten Landes ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, zur Ab-änderung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abwei-sung der Klage. Die Vorinstanzen haben der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die Klage ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat aufgrund der im Ar-beitsvertrag vom 25. Juli 2013 vereinbarten Befristung am 7. Februar 2014 geendet.

I. (…) II. (…) 2. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht er-kannt, dass die im Arbeitsvertrag vom 25. Juli 2013 ver-einbarte Befristung durch den Sachgrund der Vertre-tung nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG iVm. § 21 Abs. 1 BEEG gerechtfertigt ist.

a) Ein sachlicher Grund für die Befristung eines Arbeits-vertrags liegt nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG vor, wenn der Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeitnehmers beschäftigt wird. Der Sachgrund der Vertretung wird durch § 21 Abs. 1 BEEG konkretisiert. Danach besteht ein sachlicher Grund, der die Befristung eines Arbeitsverhältnisses rechtfertigt, u.a. dann, wenn ein Arbeitnehmer zur Vertretung eines anderen Arbeit-nehmers für die Dauer eines Beschäftigungsverbots nach dem Mutterschutzgesetz, einer Elternzeit oder einer auf Tarifvertrag oder einzelvertraglicher Verein-barung beruhenden Arbeitsfreistellung zur Betreuung

eines Kindes eingestellt wird. Der Grund für die Befris-tung liegt in Vertretungsfällen darin, dass der Arbeit-geber bereits zu einem vorübergehend ausfallenden Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechnet. Damit besteht für die Wahrnehmung der an sich dem ausfallenden Mitarbeiter obliegenden Arbeitsaufgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich be-grenztes Bedürfnis.

Der Sachgrund der Vertretung setzt einen Kausalzu-sammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenen und der Einstellung der Vertretungskraft voraus. Es muss sichergestellt sein, dass die Vertre-tungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist. (…) Wird die Tätigkeit des zeitweise ausge-fallenen Mitarbeiters nicht von dem Vertreter, sondern von einem anderen Arbeitnehmer oder von mehreren anderen Arbeitnehmern ausgeübt (mittelbare Vertre-tung) und deren Tätigkeit dem Vertreter übertragen, hat der Arbeitgeber zur Darstellung des Kausalzusam-menhangs grundsätzlich die Vertretungskette zwischen dem Vertretenen und dem Vertreter darzulegen.

b) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts beruht die im Arbeitsvertrag vom 25. Juli 2013 verein-barte Befristung auf der mittelbaren Vertretung der Lehrerin W, die sich während der Dauer dieses Arbeits-vertrags in Elternzeit befand. (…)

c) (…) Danach besteht der erforderliche ursächliche Zu-sammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall der Lehrkraft W und der befristeten Einstellung des Klägers.

3. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenom-men, das beklagte Land sei nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs daran gehindert, sich auf den Sachgrund der Vertretung zu berufen.

a) Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sach-grunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrecht-lichen Gründen verpflichtet, durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsver-träge zurückgreifen. Die Beachtung von § 5 Nr. 1 Buch- st. a der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 verlangt, dass konkret geprüft wird, ob die Verlängerung aufeinan-derfolgender befristeter Arbeitsverträge oder -verhält-nisse der Deckung eines zeitweiligen Bedarfs dient und ob eine nationale Vorschrift nicht in Wirklichkeit ein-

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ZBVR online 5/2017 | Seite 17 von 31

gesetzt wird, um einen ständigen und dauerhaften Ar-beitskräftebedarf des Arbeitgebers zu decken. (…) Die dazu gebotene zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.

aa) Die Bestimmung der Schwelle eines institutionellen Rechtsmissbrauchs hängt maßgeblich von der Gesamt-dauer der befristeten Verträge sowie der Anzahl der Vertragsverlängerungen ab. Ist danach die Prüfung ei-nes institutionellen Rechtsmissbrauchs veranlasst, sind weitere Umstände zu berücksichtigen. (…)

bb) Der Senat hat sich in der Vergangenheit näherer quantitativer Angaben dazu enthalten, wo die zeitlichen und/oder zahlenmäßigen Grenzen für einen Missbrauch genau liegen. Er hat in den beiden grundlegenden Ent-scheidungen vom 18. Juli 2012 grobe Orientierungshilfen gegeben. Bereits in den Ausgangsentscheidungen ist ein dreistufiges System angelegt, das sich in der weite-ren Rechtsprechung des Senats konkretisiert hat.

(1) Zur Bestimmung der Schwelle einer rechtsmiss-bräuchlichen Gestaltung von Sachgrundbefristungen hat der Senat an die gesetzlichen Wertungen in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG angeknüpft. Die Vorschrift macht eine Ausnahme von dem Erfordernis der Sachgrundbe-fristung und erleichtert damit den Abschluss von be-fristeten Verträgen bis zu der festgelegten Höchstdau-er von zwei Jahren bei maximal dreimaliger Verlänge-rungsmöglichkeit. Sie kennzeichnet den nach Auf-fassung des Gesetzgebers unter allen Umständen unproblematischen Bereich. Ist ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 TzBfG gegeben, lässt erst das erhebliche Überschreiten dieser Grenzwerte den Schluss auf eine missbräuchliche Gestaltung zu. Bei Vorliegen eines die Befristung an sich rechtfertigenden Sachgrunds be-steht kein gesteigerter Anlass zur Missbrauchskontrol-le, wenn die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG für die sach-grundlose Befristung bezeichneten Grenzen nicht um ein Mehrfaches überschritten sind. Davon ist auszuge-hen, wenn nicht mindestens das Vierfache eines der in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG bestimmten Werte oder das Dreifache beider Werte überschritten ist. Liegt ein Sach-grund vor, kann also von der Befristung des Arbeitsver-hältnisses Gebrauch gemacht werden, solange das Arbeitsverhältnis nicht die Gesamtdauer von sechs Jahren überschreitet und zudem nicht mehr als neun Vertragsverlängerungen vereinbart wurden, es sei denn, die Gesamtdauer übersteigt bereits acht Jahre oder es wurden mehr als zwölf Vertragsverlängerungen vereinbart.

(2) Werden die Grenzen des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG al-ternativ oder kumulativ mehrfach überschritten, ist eine umfassende Missbrauchskontrolle geboten. Hiervon ist idR auszugehen, wenn einer der Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG mehr als das Vierfache beträgt oder beide Werte das Dreifache übersteigen. (…)

(3) Werden die in § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG genannten Grenzen alternativ oder kumulativ in besonders gravie-rendem Ausmaß überschritten, kann eine missbräuch-liche Ausnutzung der an sich eröffneten Möglichkeit zur Sachgrundbefristung indiziert sein. Von einem in-dizierten Rechtsmissbrauch ist idR auszugehen, wenn durch die befristeten Verträge einer der Werte des § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG um mehr als das Fünffache über-schritten wird oder beide Werte mehr als das jeweils Vierfache betragen. (…).

b) Bei Anwendung dieser Grundsätze kann sich das be-klagte Land entgegen der Auffassung des Landesarbeits-gerichts auf den Sachgrund der Vertretung berufen.

aa) Ein Rechtsmissbrauch ist nicht indiziert. Die Gesamt-dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses der Parteien beläuft sich auf sechs Jahre und (knapp) vier Monate. Der Prüfung des institutionellen Rechtsmissbrauchs sind 15 Verlängerungen, also insgesamt 16 befristete Arbeitsverträge zugrunde zu legen.(…) Nicht gesondert zu berücksichtigen ist ferner der Zeitraum vom 26. Juni 2008 bis zum 31. Juli 2008, in dem lediglich die Som-merferien des Klägers vergütet wurden, ohne dass dem ein gesonderter befristeter Arbeitsvertrag zugrunde gelegen hätte. Damit ist die Schwelle von mehr als 16 befristeten Arbeitsverträgen, ab deren Vorliegen ein Rechtsmissbrauch als indiziert gilt, nicht erreicht.

bb) Das Landesarbeitsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass eine Rechtsmissbrauchsprü-fung veranlasst ist, da die Gesamtdauer des Arbeitsver-hältnisses der Parteien sechs Jahre überschreitet und 15 Vertragsverlängerungen vorliegen. Entgegen der An-nahme des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger jedoch keine hinreichenden weiteren Gesichtspunkte vorge-tragen, die für einen Missbrauch sprechen.

(1) Die durchgängige Beschäftigung des Klägers als Leh-rer in nahezu unverändertem Stundenumfang an der-selben Schule im Fach Sport begründet keinen Rechts-missbrauch.

(a) Zwar kann der Umstand, dass ein Arbeitnehmer wie-derholt befristet über einen längeren Zeitraum in der-selben Dienststelle mit einem im Wesentlichen gleichen zeitlichen Umfang mit denselben Aufgaben beschäftigt wurde, als Indiz für den Bedarf an einer unbefristeten Beschäftigung auf diesem Arbeitsplatz anzusehen sein. (…)

(b) Die unveränderte Beschäftigung des Klägers als im Wesentlichen vollzeitbeschäftigter Sportlehrer an der-selben Schule lässt hier jedoch nicht auf einen dauer-haften Beschäftigungsbedarf und damit auf einen Rechtsmissbrauch schließen. (…)

(2) Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenom-men, es spreche für eine missbräuchliche Ausnutzung

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der Befristungsmöglichkeit, dass die vereinbarten Lauf-zeiten der befristeten Arbeitsverträge verschiedentlich auf das Ende des Schulhalbjahrs befristet worden sind, obwohl bei Vertragsschluss feststand, dass ein Vertre-tungsbedarf über diesen Zeitpunkt hinaus gegeben war.

(a) (…) (b) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die „schlichte Anknüpfung an das Schulhalbjahr“ besa-ge nichts über die tatsächliche Dauer des Vertretungs-bedarfs und könne deshalb nicht als eine die Befris-tungspraxis rechtfertigende Besonderheit des Schulbe-triebs anerkannt werden. Dass für die Schulleitung möglicherweise nicht absehbar gewesen sei, ob eine andere Lehrkraft zur Übernahme des vom Kläger erteil-ten Unterrichts zur Verfügung stehen würde, belege nur die Annahme, dass das Land kein hinreichend trag-fähiges, auf die Erfordernisse des Schulbetriebs abge-stelltes und die Annahme eines institutionellen Rechts-missbrauchs ausschließendes Vertretungskonzept ent-wickelt habe.

(c) Diese Beurteilung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Das Landesarbeitsgericht hat damit die Besonderheit einer auf das Schulhalbjahr bezogenen Personalplanung der Lehrkräfte, auf die sich das beklagte Land berufen hat, unzutreffend gewürdigt.

(aa) Zwar hat das Landesarbeitsgericht im Grundsatz zutreffend angenommen, die wiederholte Inkongruenz von Befristungsgrund und Befristungsdauer könne den Schluss darauf zulassen, dass das befristete Arbeitsver-hältnis genutzt werde, um in Wahrheit einen dauerhaf-ten Beschäftigungsbedarf abzudecken. Dieser Umstand ist bei einer Gesamtwürdigung aneinandergereihter befristeter Arbeitsverhältnisse regelmäßig von Bedeu-tung, selbst wenn die vereinbarte Vertragslaufzeit für sich betrachtet nicht mit dem prognostizierten Beschäf-tigungsbedarf für den befristet eingestellten Arbeitneh-mer übereinstimmen, sondern sich daran lediglich ori-entieren muss.

(bb) Das Landesarbeitsgericht hat jedoch nicht hinrei-chend gewürdigt, dass die Personalplanung im Schul-bereich eine komplexe Unterrichtsplanung voraussetzt, die sich nach den Anforderungen des jeweiligen Jahr-gangs und Lehrplans richtet. Das beklagte Land hat sich zu Recht auf die schultypische Besonderheit berufen, dass der Vertretungsbedarf an Schulen von verschiede-nen, sich ständig verändernden tatsächlichen Umstän-den abhängt, die eine schulhalbjahresbezogene Perso-nalplanung für den Unterricht durch die Bezirksregie-rungen und Schulen rechtfertigen. (…) Diese komplexen Planungsvorgaben rechtfertigen es, den jeweiligen Vertretungsbedarf im Schulbereich nicht nur am vor-aussichtlichen Ende des Vertretungsbedarfs (zB durch den Ablauf der Mutterschutzfrist, die Beendigung der Elternzeit oder das Ende eines Sonderurlaubs) zu orien-tieren, sondern in erster Linie am Ende eines Schulhalb-jahrs auszurichten. Angesichts dieser Besonderheiten

des Schulbereichs kann ein weiter gehendes Vertre-tungskonzept entgegen der Auffassung des Landesar-beitsgerichts nicht verlangt werden.

(cc) § 5 Nr. 1 Buchst. a der Rahmenvereinbarung gebietet keine andere Beurteilung. Der EuGH hat anerkannt, dass der Schulbereich von der Notwendigkeit besonderer Flexibilität zeugt, die den Rückgriff auf aufeinanderfol-gende befristete Arbeitsverträge objektiv rechtfertigen kann, um dem Bedarf der Schulen angemessen gerecht zu werden und um zu verhindern, dass der Staat als Arbeitgeber dem Risiko ausgesetzt wird, erheblich mehr feste Lehrkräfte anzustellen als zur Erfüllung seiner Ver-pflichtungen auf diesem Gebiet tatsächlich notwendig sind. Dabei zwingt das Recht auf Bildung als ein durch die Verfassung des Mitgliedstaats garantiertes Grund-recht den Staat, den Schuldienst so einzurichten, dass zwischen der Zahl der Lehrkräfte und der Zahl der Schü-ler ein stets angemessenes Verhältnis besteht. Dieses Verhältnis hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, von denen einige in gewissem Umfang schwer zu kon-trollieren oder vorherzusehen sind. Damit ist zwar eine Rechtsmissbrauchsprüfung im Schulbereich nicht ent-behrlich. Jedoch stellt die schulhalbjahresbezogene Per-sonalplanung eine nachvollziehbare branchentypische Besonderheit des Schulbetriebs dar, die es rechtfertigt, dass befristete Arbeitsverträge mit Vertretungslehrkräf-ten trotz eines darüber hinaus bestehenden konkreten Vertretungsbedarfs einer einzelnen Stammkraft schul-halbjahresbezogen abgeschlossen werden. (…)

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Anmerkung

1. Die EntscheidungLaut einer aktuellen Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers ist der öffentliche Dienst vom Fachkräftemangel mehr als andere Branchen betroffen. Im Jahr 2030 werden ins-gesamt 816.000 Stellen unbesetzt sein, davon 194.000 Stellen für Lehrkräfte. Schon seit einigen Jahren existiert ein Fachkräftemangel und eine zu knapp bemessene Personalplanung im Schulbereich, wie die vorliegende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts belegt.

Das Urteil erläutert und bestimmt anschaulich die Schwelle, ab wann ein institutioneller Rechtsmiss-brauch nach § 242 BGB bei Befristungen vorliegt. Nach § 5 Nr. 1 Buchst. a der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenverein-barung über befristete Arbeitsverträge im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG muss bei der Verlängerung von befristeten Arbeitsverträgen im Einzelfall zum einen geprüft werden, ob die Befristung kausal zur Deckung eines vorübergehenden Bedarfs erfolgt und zum ande-ren, ob das nationale Recht dazu missbraucht wird, um ständigen und dauerhaften Personalbedarf des Arbeit-gebers zu decken.

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ZBVR online Rechtsprechung zum Tarifrecht

ZBVR online 5/2017 | Seite 19 von 31

Für die Bestimmung der Schwelle zum institutionellen Rechtsmissbrauch dient der vom Gesetzgeber als un-problematisch bestimmte Bereich aus § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG als Basiswert, wonach sachgrundlose Befristun-

gen für eine Höchstdauer von zwei Jahren und maximal dreimaliger Verlängerung vorgenommen werden dür-fen. Ein institutioneller Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn einer der beiden Werte (zwei Jahre, drei Verlän-gerungen) um das mindestens Vierfache überschritten wurde, oder beide Werte um mehr als das Dreifache überschritten wurden.

Ein indizierter Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn einer der genannten Werte um mehr als das Fünffache über-schritten wurde oder beide Werte mehr als das Vierfa-che betragen.

Das Bundesarbeitsgericht wertet in seiner Prüfung je-doch nur 15 Arbeitsverträge, die an das erste befristete Arbeitsverhältnis anschließen, und nicht diejenigen Ar-beitsverträge, die zur Aufstockung der Stunden oder zur Vergütung der Sommerferien abgeschlossen wurden.

Ist diese quantitative Prüfung positiv, müssen in einer Gesamtschau anschließend weitere Umstände des Ar-beitsverhältnisses herangezogen und bewertet werden: - Handelt es sich fortgesetzt um denselben Arbeitsplatz

mit denselben Aufgaben? - Bestünde die Möglichkeit einer dauerhaften Einstel-

lung eines langjährig befristeten Beschäftigten? - Ist die Laufzeit der Arbeitsverträge mehrfach nicht

deckungsgleich mit dem Vertretungsbedarf?- I st kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers für die

wiederholten Befristungen erkennbar?- Bestehen branchenspezifische Gründe für die fortge-

setzten Befristungen?

2. StellungnahmeDas Urteil vermag in seiner Begründung, dass sich eine derart ausufernde Befristungspraxis im Rahmen der rechtlich zulässigen Anwendung des § 14 Abs. 1 TzBfG

bewegt, nicht zu überzeugen. Das Bundesarbeitsgericht kommt in seiner Rechtsmissbrauchsprüfung zu einem anderen Ergebnis als die Vorinstanz, da es im Wesent-lichen auf die Schwierigkeit der Personalplanung im

Schulbereich abstellt. Auf-grund veränderlicher Anforde-rungen des Jahrgangs und Lehrplans sei eine komplexe Unterrichtsplanung erforder-lich, die eine Planung über das Schuljahr bzw. über das Schul-halbjahr hinaus nicht zulasse.

Die Vorinstanz hat dagegen zu Recht erkannt, dass es dem Land an einem hinreichend tragfähigen Vertretungskon-zept fehle. Für die Beurteilung dieser wertenden Betrachtung ist maßgeblich, welche Anfor-derungen man an den Staat

zur Erfüllung des Rechts auf Bildung des Einzelnen stellt. Es erscheint erforderlich, dass das Land im Verhältnis von vorhandenem fest angestelltem Personal und Be-darf einen tendenziellen Personalüberhang schaffen muss, da erfahrungsgemäß immer einzelne oder meh-rere Beschäftigte zeitweilig oder längerfristig ausfallen. Elternzeitansprüche, Mutterschutzzeiten, Krankheits-tage, Reduzierung auf Teilzeitarbeit etc. sind Parameter, die statistisch erfasst und entsprechend gewürdigt wer-den können und müssen. Eine tragfähige Personalpla-nung berücksichtigt diese Faktoren.

Die fortgesetzte Beschäftigung des Klägers über mehr als sechs Jahre ist ein Indiz dafür, dass ein objektiver Bedarf im vorliegenden Fall vorhanden ist. Zwar ist es zutreffend, dass Schulen eine gewisse Flexibilität bei der Personalbedarfsplanung benötigen. Fraglich ist je-doch, ob dieses Bedürfnis nach personeller Flexibilität es legitimiert, dass eine konstante Unterbesetzung – wenn auch in geringem Ausmaß – existiert. Schließlich können die unbestritten vorhandenen Schwankungen im Personalbedarf mithilfe von Erfahrungswerten auf ein Mindestmaß minimiert werden.

Wie eingangs schon bemerkt, ist es die alleinige Aufga-be des Staates und nicht der Gerichte, ausreichende finanzielle und personelle Voraussetzungen für ein funktionierendes Schulwesen zu schaffen. Mit der mitt-lerweile gängigen Praxis aus befristeten Kettenarbeits-verträgen und der daraus für Beschäftigten resultieren-den permanenten Aussicht auf Arbeitslosigkeit wird das fehlende mittelfristige Personalkonzept der Länder of-fenkundig; auf Beschäftigtenschutz durch die Arbeits-gerichte können sich befristet angestellte Lehrer nicht verlassen.

Soo Maximilian HahnTarifreferent, dbb beamtenbund und tarifunion

Konsequenzen für die Praxis

1. Nach Auffassung des BAG lässt die aufgrund veränderlicher Anforde-rungen des Jahrgangs und Lehrplans erforderliche komplexe Unterrichts-planung eine Planung über das Schul(halb)jahr hinaus nicht zu. 2. Erfahrungsgemäß fallen jedoch regelmäßig einzelne oder mehrere Beschäftigte zeitweilig oder längerfristig aus. Dies hat das Land zur Erfüllung seines Bildungsauftrags in seiner Personalplanung für die Schulen zu berücksichtigen.3. Personalvertretungen sollten darauf hinwirken, dass im Rahmen der Personalplanung im Verhältnis von vorhandenem fest angestelltem Personal und Bedarf ein tendenzieller Personalüberhang geschaffen wird.

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ZBVR online 5/2017 | Seite 20 von 31

Equal pay für Leiharbeitnehmer/Maßstab für die Fest legung des Vergleichsentgelts Maßgeblich für das Vergleichsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG ist die Tätigkeit, die der Entleiher dem Leiharbeit-nehmer ausdrücklich oder konkludent durch Billigung oder Duldung zugewiesen hat.BAG, Urteil v. 23.11.2016 – 5 AZR 53/16 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über Differenzvergütung unter dem Gesichtspunkt des equal pay.

Die 1983 geborene Klägerin war vom 3. November 2008 bis zum 30. Juni 2010 bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, als Leiharbeitneh-merin beschäftigt und während des gesamten Zeit-raums der S AG (Entleiherin und Streitverkündete) über-lassen. Die Klägerin erhielt bei einer arbeitsvertraglich vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit von mindestens 35 Wochenstunden einen Bruttostundenlohn von zu-nächst 14,00 Euro, ab 2. März 2009 einen solchen von 15,00 Euro.

Dem Arbeitsverhältnis lag ein Formulararbeitsvertrag vom 22. Oktober 2008 zugrunde, in dem es ua. heißt:

㤠2 Anwendung eines Tarifvertrages

1. Die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien ergeben sich aus dem Arbeitgeberverband Mittelständi-scher Personaldienstleister e.V. (AMP) bestehenden Man-tel-, Entgeltrahmen-, Entgelt- und Beschäftigungssiche-rungstarifverträgen sowie etwaigen ergänzenden oder ersetzenden Tarifverträgen in der jeweils aktuell gültigen Fassung an. Dies gilt auch, wenn der Mitarbeiter nicht Mitglied einer der vorgenannten Gewerkschaften ist.

§ 3 Art der Tätigkeit

Frau K wird als: Administrator/in eingestellt.“

Im Anschluss an das Leiharbeitsverhältnis stand die Klä-gerin vom 1. Juli 2010 bis zum 30. Juni 2012 in einem Arbeitsverhältnis zur Entleiherin, in dem sie als „B-to-B-Consultant“ beschäftigt wurde. Bei einer regelmäßi-gen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erhielt sie neben einem Bruttomonatsgehalt von 2.700,00 Euro, einer monatlichen freiwilligen Leistungszulage von 200,00 Euro brutto und einem Weihnachtsgeld von 1.350,00 Euro brutto eine leistungsabhängige variable Vergütung (Bonus) nach einer bei der Entleiherin für Consultants geltenden Bonusregelung.

Nach vorangegangenem, am 31. Dezember 2012 anhän-gig gemachten Mahnverfahren hat die Klägerin mit ihrer Klage für den Zeitraum 1. Dezember 2008 bis 30.

Juni 2010 unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG Differenz-vergütung verlangt, die sie erstinstanzlich auf der Grundlage der im Arbeitsverhältnis mit der Entleiherin bezogenen Vergütung berechnet hat. Nach einem mit der Entleiherin geführten Prozess auf Auskunft nach § 13 AÜG hat sie im Laufe des Berufungsverfahrens als Vergleichsentgelt dasjenige herangezogen, das der bei der Entleiherin in der Funktion eines „Junior Consultant“ beschäftigte Arbeitnehmer S im Streitzeitraum erhalten haben soll.

Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 16.922,64 Euro brut-to nebst Zinsen hieraus iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen;

2. hilfsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin den Lohndifferenzbetrag zwischen der von der Beklagten an die Klägerin im Zeitraum 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2010 geleisteten Vergütung iHv. 50.805,76 Euro brutto und der von der S AG gezahl-ten Vergütung an einen im Zeitraum 1. Dezember 2008 bis 30. Juni 2010 bei ihr beschäftigten „Junior Consul-tant“ mit der Qualifikation „Dipl.-Wirtschaftsinforma-tiker/in (BA)“, dem die Aufgaben bzw. Teile von Aufga-ben eines Consultant oblagen, die da wären:- eigenverantwortliche Installation und Schulung der

Softwareprogramme der S AG per Remote oder beim Kunden vor Ort,

- Betreuung und Beratung der Kunden bei technischen Problemen sowie bei EDI-/EAI-bezogenen Fragestel-lungen,

- Erstellung von Converter-Mappings sowohl als S Stan-dardprodukt als auch kundenspezifisch,

- Erstellung von Produktdefinitionen und Produktein-führung,

zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gel-tend gemacht, die Klägerin sei als Administratorin ein-gestellt worden und bei der Entleiherin nicht, zumindest nicht von Beginn an, als „Junior Consultant“ eingesetzt gewesen. Ihre Tätigkeit sei mit der des Stammarbeit-nehmers S nicht vergleichbar. Zudem dürfe es nicht zu ihren Lasten gehen, sollte die Entleiherin die Klägerin höherwertig eingesetzt haben als im Überlassungsver-trag vorgesehen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Lan-desarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurück-gewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelas-senen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, während die Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt. (…)

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ZBVR online 5/2017 | Seite 21 von 31

Aus den Gründen

Die Revision der Klägerin ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung der Klage auf Urlaubsabgel-tung für die Jahre 2008 und 2009 wendet. Im Übrigen ist die Revision der Klägerin begründet und führt inso-weit zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurück-verweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

I. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage auf Abgeltung weiteren Urlaubs für die Jahre 2008 und 2009 tragend deshalb abgewiesen, weil Urlaub aus diesen Jahren je-denfalls verfallen sei. Das ist frei von Rechtsfehlern.

1. Urlaub ist ein in Art. 3 Abs. 1 Buchst. f, i der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Ra-tes vom 19. November 2008 über Leiharbeit (im Folgen-den RL) genannter Regelungsgegenstand und damit

eine wesentliche, dem Gebot der Gleichbehandlung unterliegende Arbeitsbedingung iSv. § 10 Abs. 4 AÜG. Für die Dauer der Überlassung steht dem Leiharbeit-nehmer ein Urlaubsanspruch in Höhe des (anteiligen) Jahresurlaubs zu, den der Entleiher vergleichbaren Stammarbeitnehmern gewährt.

2. Dieser (weitere) Urlaub unterliegt aber – wie bei den Stammarbeitnehmern – den gesetzlichen Regeln und etwaigen im Entleiherbetrieb geltenden ergänzenden Bestimmungen. Mithin ist er nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG befristet und verfällt am Jahresende, wenn der Arbeit-nehmer nicht aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert war und auch ein Übertra-gungsgrund nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG nicht vorlag.

Dass die Klägerin gehindert gewesen wäre, von der Be-klagten unter Berufung auf § 10 Abs. 4 AÜG in den Jah-ren 2008 und 2009 mehr Urlaub zu verlangen als ar-beitsvertraglich vereinbart war, lässt ihr Sachvortrag nicht erkennen. Machte sie den nach § 10 Abs. 4 AÜG entstandenen weiteren Urlaub nicht vor dessen Verfall geltend, steht dem weder § 9 Nr. 2 AÜG noch Unions-recht entgegen.

II. Im Übrigen hat die Revision der Klägerin Erfolg. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts kann ein Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach § 10 Abs. 4 AÜG nicht verneint werden.

1. Die Beklagte war nach § 10 Abs. 4 AÜG verpflichtet, der Klägerin für die streitgegenständliche Zeit der Über-lassung das gleiche Arbeitsentgelt zu zahlen, wie es die

Entleiherin vergleichbaren Stammarbeitnehmern ge-währte. Eine nach § 9 Nr. 2 AÜG zur Abweichung vom Gebot der Gleichbehandlung berechtigende Vereinba-rung haben die Parteien nicht getroffen. § 2 Arbeitsver-trag verweist – unabhängig davon, ob die sprachlich missglückte Klausel überhaupt dem Transparenzerfor-dernis des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB genügte – auf wegen der fehlenden Tariffähigkeit der CGZP unwirksame Ta-rifverträge. Das steht zwischen den Parteien auch außer Streit.

2. Der Anspruch des Leiharbeitnehmers auf gleiches Ar-beitsentgelt ist ein die vertragliche Vergütungsabrede korrigierender gesetzlicher Entgeltanspruch, dessen Höhe sich aus einem Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeitraum ermittelt. Dabei richtet sich das maßgebliche Vergleichsentgelt entgegen der Auffas-sung des Landesarbeitsgerichts nicht nach den zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer vereinbarten

Vertragsbedingungen, sondern nach den beim Entleiher geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen. Art. 5 Abs. 1 RL ge-bietet, das Vergleichsentgelt stets tätig-keitsbezogen zu bestimmen: Es ist das Arbeitsentgelt zugrunde zu legen, das ein vergleichbarer Stammarbeitnehmer er-

halten hat oder – gibt es einen solchen nicht – der Leih-arbeitnehmer erhalten hätte, wenn er für die gleiche Tätigkeit beim Entleiher eingestellt worden wäre.

Dem steht die Erwägung des Landesarbeitsgerichts, es dürfe nicht zu Lasten des Verleihers gehen, wenn der Entleiher den Leiharbeitnehmer anders als im Überlas-sungsvertrag vereinbart einsetzt, nicht entgegen. Ver-letzt der Entleiher den Überlassungsvertrag schuldhaft, indem er dem Leiharbeitnehmer eine höherwertige Tä-tigkeit zuweist, kann der Verleiher Ersatz des ihm da-durch entstehenden Schadens verlangen, § 280 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB.

3. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig. (…)

III. In welchem Umfang die Klage – mit Ausnahme der auf Abgeltung weiteren Urlaubs für die Jahre 2008 und 2009 – begründet ist, kann der Senat aufgrund der bis-herigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht entscheiden.

1. Zur Ermittlung der Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlas-sungszeitraum anzustellen. Dabei sind das im Betrieb der Entleiherin einem Stammarbeitnehmer gewährte Vergleichsentgelt und das dem Leiharbeitnehmer vom Verleiher gezahlte Entgelt miteinander zu saldieren. Darlegungs- und beweispflichtig für die Höhe des An-spruchs ist der Arbeitnehmer. Das maßgebliche Ver-gleichsentgelt kann der Senat aufgrund des bisherigen Vorbringens der Parteien nicht bestimmen.

Der Leiharbeitnehmer hat für die Dauer der Überlassung Anspruch auf Urlaub in Höhe des (anteiligen)

Jahresurlaubs der vergleichbaren Stammarbeitnehmer.

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ZBVR online Rechtsprechung zum Tarifrecht

ZBVR online 5/2017 | Seite 22 von 31

a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Klägerin sei im Leiharbeitsverhältnis von der Entleiherin als „Ju-nior Consultant“ eingesetzt gewesen, ist unbehelflich. Denn das Vergleichsentgelt ist tätigkeitsbezogen zu bestimmen und richtet sich nicht nach Funktionsbe-zeichnungen. Soweit die Klägerin sich im Berufungsver-fahren zuletzt auf den Stammarbeitnehmer S berufen hat, räumt sie selbst ein, dass sie „teilweise andere Tä-tigkeiten durchgeführt hat“.

Andererseits hat die Entleiherin in ihren Auskünften nach § 13 AÜG deutlich gemacht, dass sie die – anschei-nend für die vorgesehene Tätigkeit überqualifizierte – Klägerin nicht daran gehindert hat, überobligatorisch auch „die Behebung der Fehler in Angriff zu nehmen“. Dies spricht dafür, dass die Klägerin jedenfalls im Laufe der Überlassung eine höherwertige Tätigkeit als die im Arbeitsvertrag vereinbarte verrichtet hat. Diese ist für die tätigkeitsbezogene Bestimmung des Vergleichsent-

gelts ab dem Zeitpunkt maßgeblich, ab dem die Entlei-herin sie veranlasst, also aufgrund des ihr überlassenen Weisungsrechts zugewiesen hat, sei es ausdrücklich, sei es konkludent durch Billigung oder Duldung.

b) Das Landesarbeitsgericht hat auf eine Ergänzung des Sachvortrags nicht hingewirkt (§ 139 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Es ist deshalb geboten (Art. 103 Abs. 1 GG), der Klägerin in einem erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu ergänzendem Sachvortrag und ggf. Beweisantritt zu ge-ben. Sollte es zutreffen, dass – wie die Beklagte behaup-tet und die Streitverkündete geltend gemacht hat – die Entleiherin im Streitzeitraum bezogen auf die ausgeübte Tätigkeit keine vergleichba-ren Stammarbeitnehmer beschäftigte, muss die Klägerin darlegen, welches Ar-beitsentgelt sie erhalten hätte, wenn sie für die im Leiharbeitsverhältnis ausgeübte Tätigkeit bei der Entleiherin eingestellt worden wäre. Dazu kann sie von der Entleiherin entspre-chende Angaben verlangen, denn die Auskunft nach § 13 AÜG ist das gesetzlich vorgesehene Mittel, das dem Leih-arbeitnehmer ermöglichen soll, die Einhaltung des Ge-bots der Gleichbehandlung zu überprüfen und die Höhe des Anspruchs aus § 10 Abs. 4 AÜG zu berechnen. In ei-nem solchen Falle kann sich – wie bislang – die Entlei-herin nicht darauf zurückziehen, sie hätte die Klägerin nicht für die im Laufe der Überlassung ausgeübte höher-wertige Tätigkeit eingestellt. Vielmehr muss die Entlei-herin anhand der von ihr ausdrücklich oder konkludent durch Billigung bzw. Duldung zugewiesenen Tätigkeit fiktiv beurteilen, wie sie diese Tätigkeit im Arbeitsver-

hältnis vergütet hätte. Unterlässt sie dies, können Scha-densersatzansprüche der Leiharbeitnehmerin entstehen.

2. Zudem wird im erneuten Berufungsverfahren Folgen-des zu beachten sein:

a) Zur substantiierten Darlegung des Gesamtvergleichs gehört die schriftsätzliche Erläuterung, in welchem Um-fang im Überlassungszeitraum Differenzvergütung etwa für geleistete Arbeit, aufgrund krankheitsbeding-ter Arbeitsunfähigkeit, gewährten Urlaubs, Freizeitaus-gleichs oder Abgeltung von Stunden aus einem Arbeits-zeitkonto oder eines sonstigen Tatbestands, der eine Vergütungspflicht ohne Arbeit regelt, begehrt wird. Daran mangelt es bislang.

b) Haben die Stammarbeitnehmer ein Monatsgehalt bezogen, richtet sich der Anspruch aus § 10 Abs. 4 AÜG auf ein Monatsgehalt und verbietet sich dessen „Her-

unterrechnen“ auf einen fiktiven Stun-denlohn. Ausgangspunkt für die Berech-nung der Differenzvergütung ist vielmehr das – gegebenenfalls anteilige – Monats-gehalt, das die Klägerin im Überlassungs-zeitraum erhalten hätte, wenn sie unmit-telbar bei der Entleiherin beschäftigt ge-

wesen wäre. Hätte bei einer unmittelbaren Beschäfti-gung die Entleiherin der Klägerin auch einen Bonus ver-sprochen, ist dieser in die Vergleichsberechnung einzu-beziehen, sofern die Klägerin darlegen und im Streitfall beweisen kann, dass sie durch die ausgeübte Tätigkeit die Voraussetzungen für einen Bonus in bestimmter Höhe erfüllte.

c) Ob, wie die Beklagte meint, beim Gesamtvergleich gewährte Verpflegungskostenzuschüsse zu berücksich-tigen sind, bemisst sich danach, ob damit – wenn auch in pauschalierter Form – ein der Klägerin tatsächlich

entstandener Aufwand erstattet werden sollte (echter Aufwendungsersatz) oder die Leistung sich als „ver-schleiertes“ und damit steuerpflichtiges Entgelt dar-stellt.

d) Soweit die Klägerin die Abgeltung anteiligen Urlaubs für das erste Halbjahr 2010 verlangt, richtet sich dessen Berechnung nach § 7 Abs. 4, § 11 BUrlG. Maßgeblich ist das Entgelt, das die Klägerin in den letzten 13 Wochen vor der Beendigung des Leiharbeitsverhältnisses erzielte.

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Zur Ermittlung des Vergleichsentgelts ist ein Gesamtvergleich der Entgelte im Überlassungszeit-

raum anzustellen.

Das Stammarbeitnehmern vom Entleiher gewährte Vergleichsentgelt und das dem Leiharbeitnehmer

vom Verleiher gezahlte Entgelt sind zu saldieren.

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ZBVR online Rechtsprechung zum Tarifrecht

ZBVR online 5/2017 | Seite 23 von 31

Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien bezüglich Übertragung tariflichen Mehrurlaubs Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsab-geltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeits-zeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Diese Befug-nis beinhaltet auch die Möglichkeit zur Befristung des tariflichen Mehrurlaubs.BAG, Urteil v. 14.2.2017 – 9 AZR 207/16 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Ersatzurlaubsanspruch des Klägers.

Der Kläger ist seit dem 3. November 1975 bei der Beklag-ten als Betriebsschlosser beschäftigt. Im Arbeitsvertrag vom 31. Oktober 1975 vereinbarten die Parteien die An-wendung des Manteltarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer in der Papier, Pappe und Kunststoffe ver-arbeitenden Industrie in der jeweils gültigen Fassung (MTV). § 15 MTV lautet auszugsweise wie folgt:

㤠15 Urlaub, Urlaubsgeld

I. Allgemeine Urlaubsbestimmungen

1. Der Arbeitnehmer hat in jedem Urlaubsjahr Anspruch auf bezahlten Urlaub. Das Urlaubsjahr ist das Kalender-jahr.……

7. Der Urlaub muss im laufenden Urlaubsjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Urlaubsjahr ist nur ausnahmsweise statthaft. Urlaubsansprüche erlöschen, wenn sie nicht bis zum 31. März des folgenden Jahres geltend gemacht sind.

II. Urlaubsdauer

1. Der tarifliche Jahresurlaub aller Arbeitnehmer ein-schließlich der Jugendlichen beträgt 30 Urlaubstage.

…“

Im Jahr 2014 gewährte die Beklagte dem Kläger insge-samt 19 Urlaubstage. Der Kläger war ab dem 13. Oktober 2014 durchgehend bis einschließlich 7. April 2015 arbeits-unfähig krank. Mit seiner am 17. April 2015 beim Arbeits-gericht eingegangenen und der Beklagten am 22. April 2015 zugestellten Klage hat er zuletzt geltend gemacht, dass ihm noch elf Urlaubstage aus dem Jahr 2014 zu-stehen. Mit Teilvergleich vom 24. September 2015 ver-einbarten die Parteien vor dem Arbeitsgericht, dass dem

Kläger noch ein Tag gesetzlichen Urlaubs aus dem Jahr 2014 zusteht.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der noch offe-ne tarifliche Mehrurlaubsanspruch von zehn Tagen aus dem Jahr 2014 sei nicht mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen. Der MTV enthalte bezüglich des Fristenregi-mes keine von den gesetzlichen Regelungen des BUrlG abweichenden Bestimmungen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt festzustellen, dass ihm aus dem Jahr 2014 noch ein Resturlaubsanspruch von zehn Arbeitstagen zusteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der MTV enthalte ein ei-genes, vom BUrlG abweichendes Fristenregime. Die tariflichen Mehrurlaubstage des Klägers seien daher mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Lan-desarbeitsgericht hat die Klage auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Mit seiner Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Ent-scheidung.

Aus den Gründen

A. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Lan-desarbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass ihm aus dem Jahr 2014 weitere zehn Urlaubstage zu-stehen.

I. (…) II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Ersatzurlaub von zehn Tagen gemäß § 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 1, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Der noch im Streit stehende tarifliche Mehrurlaub aus dem Jahr 2014 war verfallen, bevor Ver-zug hätte eintreten können.

1. Zu Beginn seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfä-higkeit am 13. Oktober 2014 standen dem Kläger nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts gegen-über der Beklagten noch elf Urlaubstage zu. Nach dem gerichtlichen Teilvergleich vom 24. September 2015 wur-de ein Tag gesetzlichen Urlaubs bis längstens 31. März 2016 übertragen. Die Parteien streiten damit nur noch darüber, ob dem Kläger weitere zehn Tage tariflicher Mehrurlaub aus dem Jahr 2014 zustehen.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der tarifliche Mehrurlaub gemäß § 15 Abschn. I Ziff. 7 des kraft ein-zelvertraglicher Bezugnahme anwendbaren MTV mit Ablauf des 31. März 2015 verfallen.

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ZBVR online Rechtsprechung zum Tarifrecht

ZBVR online 5/2017 | Seite 24 von 31

a) Der aus dem Jahr 2014 stammende Urlaub hätte – soweit es den gesetzlichen Mindesturlaub betrifft – un-beschadet des Umstands, dass der gesetzliche Übertra-gungszeitraum grundsätzlich am 31. März 2015 endete (§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), fortbestanden. Aufgrund der Vorgaben des Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Eu-ropäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Arbeitszeitrichtlinie, ABl. EU L 299 vom 18. November 2003 S. 9) ist § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform da-hingehend auszulegen, dass der gesetzliche Mindestur-laub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertra-gungszeitraums krank und deshalb arbeitsunfähig ist. Da die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 13. Oktober

2014 bis zum 7. April 2015 und somit über den 31. März 2015 andauerte, wäre der gesetzliche Mindesturlaub aus dem Jahr 2014 nicht mit Ablauf des 31. März 2015 untergegangen.

b) Diese Grundsätze gelten nicht für den hier streitge-genständlichen tariflichen Mehrurlaub. Die Tarifver-tragsparteien haben ein vom BUrlG abweichendes, ei-genständiges Fristenregime vereinbart.

Dem Untergang des Resturlaubs aus dem Jahr 2014 am 31. März 2015 steht deshalb die bis zum 7. April 2015 andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht entgegen.

aa) Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Ur-laubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahres-urlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln.

bb) Für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, den tariflichen Mehrurlaub einem eigenen, von dem des gesetzlichen Mindesturlaubs abweichenden Fris-tenregime zu unterstellen, müssen deutliche Anhalts-punkte vorliegen. Fehlen solche, ist von einem Gleich-lauf des gesetzlichen Urlaubsanspruchs und des An-

spruchs auf tariflichen Mehrurlaub auszugehen. Ein Gleichlauf ist nicht gewollt, wenn die Tarifvertragspar-teien entweder bei der Befristung und Übertragung bzw. beim Verfall des Urlaubs zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub unterschie-den oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige, vom BUrlG abweichende Regelun-gen zur Befristung und Übertragung bzw. zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben.

cc) Die Tarifvertragsparteien des MTV haben den tarif-lichen Mehrurlaub einem eigenständigen, vom BUrlG abweichenden Fristenregime unterstellt.

Nach dem Wortlaut von § 15 Abschn. I Ziff. 7 MTV muss der Urlaub im laufenden Urlaubsjahr gewährt und ge-

nommen werden (Satz 1) und erlischt, wenn er nicht bis zum 31. März des folgen-den Jahres geltend gemacht worden ist (Satz 3). Daraus wird der Wille der Tarif-vertragsparteien deutlich, der Arbeitneh-mer könne seinen Urlaub ohne besondere Gründe vom 1. Januar eines Kalenderjah-

res bis zum 31. März des Folgejahres geltend machen. Nach § 15 Abschn. I Ziff. 7 Satz 2 MTV ist eine Übertra-gung „auf“ das Folgejahr zwar nur ausnahmsweise stat-thaft. Der MTV enthält aber keine Kriterien, wann ein solcher Ausnahmefall vorliegen soll. Es handelt sich daher lediglich um eine rechtsfolgenlose Aufforderung an die Tarifunterworfenen, den Urlaub im Regelfall im Bezugszeitraum zu nehmen und zu gewähren. Damit weicht der MTV vom Fristenregime des § 7 Abs. 3 Satz 1 bis Satz 3 BUrlG ab. Danach geht der nicht genommene Urlaub grundsätzlich am 31. Dezember des Kalender-jahres unter und wird nur bei Vorliegen der gesetzlichen Übertragungsgründe bis zum 31. März des Folgejahres übertragen. Die tarifliche Regelung unterscheidet sich vom BUrlG insoweit, als der Urlaubsanspruch auch ohne das Vorliegen von Übertragungsvoraussetzungen zu-mindest bis zum 31. März des Folgejahres besteht und bis zu diesem Zeitpunkt geltend gemacht werden kann.

c) Der Kläger machte den streitgegenständlichen Restur-laubsanspruch aus dem Jahr 2014 erst im April 2015 gel-tend. Zu diesem Zeitpunkt war der Urlaub gemäß § 15 Abschn. I Ziff. 7 Satz 3 MTV bereits verfallen. Ein Ersatz-urlaubsanspruch aus Verzug konnte nicht entstehen. (…)

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Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche oberhalb des vierwöchigen

Mindestjahresurlaubs frei regeln.

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ZBVR online Rechtsprechung in Leitsätzen

ZBVR online 5/2017 | Seite 25 von 31

Hinweis:Fehlt eine nähere Angabe, handelt es sich um die amtli-chen Leitsätze des erkennenden Gerichts. „Leitsätze der Schriftleitung“ wurden von der Redaktion oder dem Ein-sender der Entscheidung formuliert. „Leitsätze aus den Gründen“ sind von der Redaktion ausgewählte wörtliche bzw. nur in geringfügig veränderter Syntax zitierte Aus-züge aus den Entscheidungsgründen. „Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG“ sind als solche er-kennbar gemacht.

Rechtsprechung in LeitsätzenBeteiligungsrechte des Betriebsrats

Mitbestimmung bei Schulungsmaßnahmen für Arbeit-nehmer einer slowakischen Tochtergesellschaft Arbeitnehmer einer slowakischen Tochtergesellschaft werden bei Durchführung von Schulungsmaßnahmen auf dem Betriebsgelände der deutschen Muttergesell-schaft jedenfalls dann nicht zu Arbeitnehmern im Sin-ne der §§ 5, 1 BetrVG der Muttergesellschaft, wenn die Schulung außerhalb des normalen Produktionsablaufes an einer extra nur zu Schulungszwecken aufgebauten, der slowakischen Tochtergesellschaft gehörenden Fer-tigungsanlage durchgeführt wird.

An dem fehlenden Arbeitnehmerstatus im betriebs-verfassungsrechtlichen Sinne orientiert sich dann auch die negative Beantwortung der vom Betriebsrat aufge-worfenen Fragen nach dem Bestehen von Mitbestim-mungsrechten nach den §§ 87, 98 und 99 ff BetrVG. Eine Einbindung in den Produktionsablauf hat hier kon-kret nicht stattgefunden, so dass auch nicht von der Ausübung eines dem Regelfall im Arbeitsverhältnis be-stehenden arbeitgeberseitigen Weisungsrecht gem. § 106 GewO auszugehen war.LAG Saarland, Beschluss v. 7.12.2016 – 2 TaBV 6/15 –

Entgeltrecht

Vergütung von UmkleidezeitenVergütet der Arbeitgeber Arbeitnehmern, die sich wäh-rend einer Schicht umkleiden, nicht aber Arbeitneh-mern, die sich vor Antritt oder nach Beendigung der Schicht umkleiden, die Umkleidezeiten, kann dies gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, wenn der Arbeitgeber hierfür trotz vergleich-barer Lage der Arbeitnehmer keine hinreichenden Dif-ferenzierungsgründe anführen kann. (Leitsatz der Schriftleitung)BAG, Urteil v. 13.12.2016 – 9 AZR 574/15 –

Arbeitsrecht

Zulässigkeitsvoraussetzungen für Kopftuchverbot in privaten UnternehmenArt. 2 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines all-

gemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleich-behandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin aus-zulegen, dass das Verbot, ein islamisches Kopftuch zu tragen, das sich aus einer internen Regel eines privaten Unternehmens ergibt, die das sichtbare Tragen jedes politischen, philosophischen oder religiösen Zeichens am Arbeitsplatz verbietet, keine unmittelbare Diskrimi-nierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt.

Eine solche interne Regel eines privaten Unterneh-mens kann hingegen eine mittelbare Diskriminierung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78 darstellen, wenn sich erweist, dass die dem Anschein nach neutrale Verpflichtung, die sie enthält, tatsächlich dazu führt, dass Personen mit einer be-stimmten Religion oder Weltanschauung in besonderer Weise benachteiligt werden, es sei denn, sie ist durch ein rechtmäßiges Ziel wie die Verfolgung einer Politik der politischen, philosophischen und religiösen Neut-ralität durch den Arbeitgeber im Verhältnis zu seinen Kunden sachlich gerechtfertigt, und die Mittel zur Er-reichung dieses Ziels sind angemessen und erforderlich; dies zu prüfen, ist Sache des vorlegenden Gerichts. EuGH, Urteil v. 14.3.2017 – C 157/15 –Quelle: © Europäische Union, http://eur-lex.europa.eu/ , 1998–2017

Kündigungsrecht

Wiederholte ÄnderungskündigungDie vom Bundesarbeitsgericht zur unzulässigen Wie-derholungskündigung entwickelten Grundsätze gelten auch für die Änderungskündigung. Eine unzulässige Wiederholungskündigung liegt bei einer Änderungs-kündigung schon dann vor, wenn sich der Arbeitgeber zur Begründung der dringenden betrieblichen Erfor-dernisse für beide Änderungskündigungen auf diesel-be unternehmerische Entscheidung beruft. Nicht er-forderlich ist, dass die Änderungsangebote überein-stimmen.LAG Köln, Urteil v. 16.11.2016 – 5 Sa 1183/15 – (n. rkr.)Volltext unter www.nrwe.de

Betriebliches Eingliederungsmanagement

Unterlassung eines betrieblichen Eingliederungsma-nagements/Darlegungslast des ArbeitgebersIst ein eigentlich erforderliches betriebliches Eingliede-rungsmanagement (BEM) unterblieben, trägt der Ar-beitgeber die primäre Darlegungslast für dessen Nutz-losigkeit. Die Nutzlosigkeit des BEM wird nicht allein dadurch belegt, dass der Arbeitnehmer in einem frühe-ren Gespräch mitteilte, die vorherigen Erkrankungen seien schicksalhaft gewesen.LAG Mainz, Urteil v. 10.1.2017 – 8 Sa 359/16 –Quelle: Justiz Rheinland-Pfalz

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ZBVR online 5/2017 | Seite 26 von 31

Dienstplangestaltung – Wie ist der Betriebsrat zu beteiligen?Henning Meier, Köln*

I. Einführung

Längst ist es nicht nur in Betrieben, welche in Schicht-arbeit tätig sind, gang und gäbe, dass die Arbeit der Arbeitnehmer in Dienstplänen geregelt ist. Bei der Schichtarbeit liegt es auf der Hand, dass der Arbeitge-ber Pläne erstellen muss, um die Koordination der ein-zelnen Arbeitnehmer und der verschiedenen Schichten vorzunehmen. Aber auch abseits der Schichtarbeit werden Dienstpläne immer relevanter. Denn der Ar-beitgeber muss und möchte flexible Arbeitszeitmodel-le anbieten. Zudem ist das Interesse der Arbeitnehmer an Teilzeitarbeitsplätzen weiterhin groß. Um einen Betrieb dann aber gut zu strukturieren und erfolgreich zu führen, muss der Einsatz des Personals geplant wer-den. Hohe Flexibilität erfordert ein hohes Maß an Pla-nung.

Wenn in dem betroffenen Betrieb ein Betriebsrat be-steht, kommen diesem Mitbestimmungs- und Mitwir-kungsrechtsrechte bei der Gestaltung der Dienstpläne zu. Im Folgenden soll der Umfang dieser Rechte darge-stellt werden und dabei auf die wichtige Rechtspre-chung eingegangen werden.

II. Rechtliche Grundlage des Mitbestim-mungsrechts

Besonders stark ist der Betriebsrat dort, wo er tatsäch-lich mitbestimmen darf. Seine stärksten Rechte findet er in § 87 BetrVG. In den dort beschriebenen Bereichen hat der Betriebsrat mitzubestimmen. Kommen die Be-triebsparteien nicht zu einer Einigung, so hat in diesen Fällen die Einigungsstelle zu entscheiden.

Gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG steht dem Be-triebsrat insbesondere ein weitreichendes Mitbestim-mungsrecht im Bereich der Arbeitszeit zu.1 Gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG hat der Betriebsrat dabei mitzube-stimmen, wann im Betrieb von wem gearbeitet werden soll. Nicht mitzubestimmen hat der Betriebsrat hierbei aber über die Dauer der Arbeitszeit. Dabei ist stets der Grundsatz zu beachten, dass der Betriebsrat nie über den Umfang und Inhalt der Arbeitspflicht der Arbeit-nehmer mitentscheidet.2 Hintergrund des Rechts ist, dass der Betriebsrat die Interessen der Arbeitnehmer in der Festlegung der Arbeitszeiträume und damit verbun-

* Henning Meier ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Ulrich Weber & Partner mbB in Köln.

1 Wittenberg, Arbeitszeitrecht im Betrieb – Wo und wie sich der Betriebsrat einbringen kann, ZBVR online 3/2015, S. 30.

2 BAG v. 18.8.1987 – 1 ABR 30/86 = NZA 1987, 779.

den auch der Lage ihrer Freizeit schützen soll.3 Daher gehört zu dem Recht des Betriebsrats auch die Möglich-keit, über die Festlegung der unbezahlten Ruhepausen mitzubestimmen.

Daneben besteht auch das Recht des Betriebsrats, ge-mäß § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei vorübergehenden Ver-kürzungen oder Verlängerungen der betriebsüblichen Arbeitszeit mitzubestimmen. Teilweise wird dabei ver-treten, dass Nummer 3 ein Unterfall des Mitbestim-mungsrechts aus Nummer 2 sei. Beide Vorschriften vereint jedenfalls derselbe Begriff der Arbeitszeit.4 In dem Mitbestimmungsrecht geht es insbesondere um die vorübergehende Abweichung von der für diesen Wochentag eigentlich vorgesehenen jeweiligen be-triebsüblichen Arbeitszeit. Vorübergehend bedeutet, dass anschließend auch eine Rückkehr zur betriebsüb-lichen Dauer der Arbeitszeit stattfindet.5 Anders als das Mitbestimmungsrecht aus Nummer 2 dient das Mit-bestimmungsrecht der Nummer 3 jedoch dem Schutz der Arbeitnehmer vor besonderen – auch gesundheit-lichen – Belastungen durch eine Verlängerung der Ar-beitszeit.

Um die Rechte des Betriebsrats zu verstehen, muss man zunächst die Frage klären, was unter der Arbeitszeit im Sinne von § 87 BetrVG und dort insbesondere auch der betriebsüblichen Arbeitszeit zu verstehen ist. Zunächst ist klarzustellen, dass Arbeitszeit die Zeit ist, innerhalb derer die Arbeitnehmer die von ihnen geschuldete Ar-beitsleistung erbringen müssen. Soweit keine Bestim-mung des Umfangs der Arbeitszeit im Arbeitsvertrag vorgenommen wurde, ist von Vollzeit und somit einer 40-Stundenwoche auszugehen.6 Besonderes Augen-merk sollte darauf gelegt werden, wem die Tätigkeit nützt.7

Zu dem Begriff der Arbeitszeit gehören auch Bereit-schaftszeiten sowie die Zeiten für das An- und Ablegen der Dienstkleidung in den Betriebsräumen des Arbeit-gebers, als auch die Zeiten, die der Arbeitnehmer braucht, um von dem Ort seines Kleidungswechsels zu seinem Arbeitsort zu gelangen.8 Die oftmals gehand-habte Praxis, dass sich Arbeitnehmer zunächst umzie-

3 Wiese, in: GK BetrVG § 87 Rn. 270; BAG v. 25.2.2017 – 1 AZR 642/13, ZBVR online 1/2016, S. 2.

4 BAG v. 14.11.2006 – 1 ABR 5/06, ZBVR online 4/2007, S. 8. 5 BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, ZBVR online 11/2013, S. 16. 6 BAG v. 25.3.2015 – 5 AZR 602/13, NZA 2015, 1002. 7 BAG v. 30.6.2015 – 1 ABR 71/13, ZBVR online 2/2016, S. 2. 8 BAG v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13; dazu auch Lakies, Mitbestim-

mung des Betriebsrats bei Dienstkleidung und Umkleide-zeiten, ZBVR online 6/2016, S. 31.

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ZBVR online Aufsätze und Berichte

ZBVR online 5/2017 | Seite 27 von 31

hen und vorbereiten und anschließend „einstempeln“, dürfte mit der aktuellen Rechtsprechung des Bundes-arbeitsgerichts in vielen Fällen nicht vereinbar sein. Dies gilt besonders, wenn es sich um besonders auffällige Dienstkleidung handelt, die im Privaten nicht getragen werden kann.9

Hingegen ist die betriebsübliche Arbeitszeit die Arbeits-zeit, die auf bestimmten Arbeitsplätzen, von bestimm-ten Arbeitnehmer-Gruppen oder aber auch von einzel-nen Arbeitnehmern regelmäßig geleistet wird.10

Einer der wichtigsten Anwendungsfälle der Mitbestim-mung nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG ist daher die Aufstellung und auch die Abänderung von Dienst- und Schichtplänen. Dabei muss der Betriebsrat über die Festlegung der zeitlichen Lage der einzelnen Schichten, die Abgrenzung des Personenkreises, der Schichtarbeit

zu leisten hat, und dabei auch die Zuordnung der Ar-beitnehmer zu den einzelnen Schichten sowie die Än-derung von bereits aufgestellten Dienstplänen mitbe-stimmen.11 Aufgrund von § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG ist der Betriebsrat daher auch bei einer sehr kurzfristen Über-schreitung der im Dienstplan festgelegten Arbeitszeit, mithin bei der Anordnung von so genannten Überstun-den, zu beteiligen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers steht daher unter dem Vorbehalt des Einverständnisses des Betriebsrats.

Wichtige Einzelfälle der Mitbestimmung bei Dienstplä-nen sind unter anderem:

- Beginn und Ende von Schichten12 - Zuordnung der Arbeitnehmer zu den Schichten und

Änderung der Einteilung13 - Umsetzung eines Arbeitnehmers in eine andere

Schicht- Regelungen zu Sonn-, Feiertags- und Nachtschichten

III. Mitbestimmung in der Praxis

Nachdem die theoretischen Grundlagen dargestellt wurden, sollen nun die praktischen Fragen der Dienst-plangestaltung behandelt werden. Dabei soll darauf eingegangen werden, über wessen Einsatz der Betriebs-rat mitbestimmen darf. Des Weiteren sollen die Instru-

9 BAG v. 17.11.2015 – 1 ABR 76/13, ZBVR online 3/2016, S. 15. 10 BAG v. 24.4.2007 – 1 ABR 47/06, ZBVR online 10/2007, S. 8. 11 BAG v. 8.12.2015 – 1 ABR 2/14, juris. 12 BAG v. 3. 5. 2006 – 1 ABR 14/05, ZBVR online 1/2007, S. 2. 13 BAG v. 29.9.2004 – 5 AZR 559/03, ZBVR online 7/2005, S. 3.

mente dargestellt werden, die den Betriebsparteien zur Planung zur Verfügung stehen. Die Mitbestimmung unterliegt aber natürlich auch Grenzen, welche aufge-zeigt werden. Abschließend muss natürlich auch geklärt werden, welche rechtlichen Möglichkeiten für die Durchsetzung und im Streitfall bestehen.

1. Wer verplant wen? Bei Unternehmen mit mehreren Betrieben und in Kon-zernen mit einem Konzernbetriebsrat stellt sich natür-lich zunächst die Frage, welches Gremium überhaupt dazu befugt ist, die Dienstpläne mit dem Arbeitgeber auszuhandeln. Die Abgrenzung der Zuständigkeit er-folgt nach den allgemeinen Bestimmungen in den §§ 50, 58 BetrVG. Der Grundsatz lautet aber, dass der örtliche Betriebsrat grundsätzlich für die Ausübung der Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG zuständig ist. Der Gesamtbetriebsrat ist nur dann zuständig, wenn

mehrere Betriebe von der Angelegenheit betroffen sind und zudem ein objektiv zwingendes Erfordernis für eine unter-nehmenseinheitliche oder betriebsüber-greifende Regelung besteht. Es muss also in jedem Unternehmen konkret betrach-tet werden, ob die dortigen Umstände der

einzelnen Betriebe es zwingend erforderlich machen, dass eine einheitliche Regelung getroffen wird. Möglich ist nämlich, dass es gar keine betriebliche Arbeitszeit gibt. Dies ist der Fall, wenn die Arbeitszeit der Arbeit-nehmer nicht durch Arbeitsabläufe bestimmt wird, die sich nach auf den Betrieb beschränkten Vorgaben des Arbeitgebers richten. Betreffen die zu berücksichtigen-den betrieblichen Belange sämtliche oder mehrere Be-triebe, dann ist der Gesamtbetriebsrat nach § 50 Abs. 1 BetrVG zuständig.14 Vorangestelltes gilt in entsprechen-der Anwendung von § 58 BetrVG gegebenenfalls auch im Konzern. Wir halten hierzu also fest, dass im Zweifel zunächst der örtliche Betriebsrat für die Aufstellung der Dienstpläne zuständig ist. Nur, wenn es zwingend er-forderlich ist, dass eine unternehmens- oder konzern-weite beziehungsweise betriebsübergreifende Rege-lung stattfindet, können der Gesamtbetriebsrat oder der Konzernbetriebsrat zuständig sein.

Im modernen Arbeitsleben arbeitet in dem Betrieb oft-mals eine Vielzahl von Menschen, die keine Arbeitneh-mer des Arbeitgebers des Betriebes sind, so genanntes „Fremdpersonal“. Hierzu zählen natürlich Leiharbeit-nehmer, welche von dem Betriebsinhaber entliehen wurden. Seit Einführung des Mindestlohngesetzes (Mi-LoG) in Mode gekommen ist auch Personal, das im Rah-men von Werk- und Dienstverträgen zur Erfüllung der eigentlichen Hauptaufhabe des Betriebes tätig wird. Es muss abgewartet werden, ob durch die zum 1. April 2017 in Kraft getretene Änderung des Arbeitnehmerüberlas-sungsgesetzes (AÜG) die von der Bundesregierung ge-wünschte Verhinderung der Umgehung des Arbeitneh-

14 BAG v. 19.6.2012 – 1 ABR 19/11, ZBVR online 11/2012, S. 12.

Im Regelfall übt der örtliche Betriebsrat, nur unter be-sonderen Voraussetzungen der Gesamt- oder Konzernbetriebs-

rat die Mitbestimmung bei Aufstellung der Dienstpläne aus.

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ZBVR online 5/2017 | Seite 28 von 31

merüberlassungsgesetzes durch Werk- und Dienstver-träge gelingen wird. Zwar wird an mehreren Stellen im Betriebsverfassungsgesetz klargestellt, dass Informati-onsansprüche des Betriebsrats auch den Einsatz von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Ar-beitgeber stehen, umfassen. Eine Änderung hinsichtlich der starken Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats ist aber nicht erfolgt.

Hinsichtlich der Leiharbeitnehmer ist die Situation durch die Rechtsprechung weitestgehend geklärt. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass bei § 87 BetrVG danach unterschieden werden muss, ob der Vertragsarbeitgeber oder der Ent-leiher die mitbestimmungspflichtige Entscheidung trifft.15 Hieraus folgt, dass oftmals bei Aufstellung der Dienstpläne auch die Leiharbeitnehmer mitgeplant wer-den müssen.

Bei Personal, das in Ausführung eines Werk- oder Dienstvertrages im Betrieb tätig wird, sieht die Situati-on derzeit noch anders aus. Bislang geht die Rechtspre-chung davon aus, dass mangels Eingliederung in die Betriebsorganisation und mangels Wahlberechtigung der Betriebsrat kein Mandat für diese Arbeiter besitzt. Er sei daher auch nicht berechtigt, mit dem Vertragsar-beitgeber Verhandlungen zu führen.16 Hieraus folgt, dass dieses Personal im Rahmen der Dienstplangestal-tung nicht dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterliegt.

Es bleibt aber abzuwarten, ob der Gesetzgeber oder die Rechtsprechung hier noch aktiv werden. Insbesondere auch um den Mindestlohn zu umgehen, sind Vertrags-gestaltungen beliebt, in denen das „Fremdpersonal“ auf Dauer im Betrieb tätig wird, dabei Leistungen des Kernbereichs des Auftraggebers wahrnimmt und dies üblicherweise auch am Ort der Leistungserstellung des Auftraggebers erfolgt. Nach bisheriger Ansicht des Bun-desarbeitsgerichts sind für diese Arbeitnehmer nur die Betriebsräte ihrer eigentlichen Vertragsarbeitgeber zuständig.17 Die Bundesregierung hat aber auch erkannt, dass diese so genannten Onsite-Werkverträge oftmals einer Umgehung von Leiharbeitsverhältnissen oder rich-tigen Arbeitsverhältnissen dienen. Durch die Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes soll eine ent-sprechende Umgehung erschwert werden. Es bleibt aber abzuwarten, ob der Gesetzgeber oder die Recht-sprechung auch im Bereich der Mitbestimmung tätig werden wird. Denn es ist nicht von der Hand zu weisen, dass man bei diesen Onsite-Werkverträgen durchaus von einer Art „Eingliederung“ in den Betrieb sprechen kann. Setzt man hier die gleichen Maßstäbe an, die das Bundesarbeitsgericht für die Leiharbeit entwickelt hat,

15 S. u.a. BAG v. 19.6.2001 – 1 ABR 43/00, DB 2001, 2301. 16 Fitting, BetrVG, § 87 Rn. 10; BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03,

ZBVR 2004, 153. 17 BAG v. 26.1.2016 – 1 ABR 68/13, ZBVR online 4/2016, S. 6.

müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass insbeson-dere in den Fällen, in denen ein koordinierter Einsatz dieses Personals mit den eigentlichen Arbeitnehmern des Betriebes stattfinden muss, auch die Mitbestim-mung hinsichtlich der Arbeitszeit gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 BetrVG des Betriebsrats gegeben sein muss. Dann wäre das Fremdpersonal auch in die Mitbestim-mung zu den Dienstplänen einzubeziehen.18

Bislang muss man allerdings davon ausgehen, dass der Betriebsrat hierbei nicht mitbestimmungsberechtigt ist. Eine weitere Entwicklung ist allerdings genau zu beobachten.

2. Wie wird geplant? Es stellt sich natürlich die Frage, wie der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG in der Praxis tatsächlich wahrnehmen kann und sollte. Es ist ihm nicht vorgegeben, ob jeder Einzelfall gesondert entschieden und behandelt werden soll oder ob auch generelle Rahmenvereinbarungen getroffen werden sollen.

In jedem Fall bietet sich natürlich der Abschluss von Betriebsvereinbarungen oder Regelungsabreden an. Aus Praktikersicht kann zum Abschluss von Rahmen-vereinbarungen geraten werden, in denen die grund-sätzlichen Anforderungen an die Schichtarbeit oder die flexible Arbeitszeit geregelt sind. Dann muss nur noch für konkrete Zeitabschnitte eine Zuordnung der Arbeit-nehmer zu den einzelnen Schichten beziehungsweise den einzelnen Zeiten erfolgen. Bei diesen Rahmenver-einbarungen ist es durchaus möglich, dass eine Zuwei-sung nach sehr konkreten Anforderungen auch dem Arbeitgeber überlassen wird. Es ist aber nicht möglich, dass der Betriebsrat sein Gestaltungsrecht aufgibt und insofern der Arbeitgeber das alleinige Gestaltungsrecht erhält.19

Neben der Regelung zur Aufstellung der Dienst- und Schichtpläne sollten in jedem Fall auch Betriebsverein-barungen zu den Themen der Überstunden beziehungs-weise der Mehrarbeit geschlossen werden. Dabei sollte geregelt werden, wann und unter welchen Vorausset-zungen der Arbeitgeber kurzfristig von den festen Dienst- und Schichtplänen abweichen darf. Ein kurzfristiger Per-sonaleinsatz wird in den meisten Betrieben lebensnot-wendig sein. Dann kann es aber für eine Wahrung der Mitbestimmungsrechte unter Umständen zu spät sein. Hier hat also der Arbeitgeber ein sehr großes Interesse daran, eine Einigung mit dem Betriebsrat zu finden.

Wie oben dargestellt wurde, ist nicht nur der Bereich der Schichtarbeit für die Frage eines aufzustellenden Dienstplanes relevant. Insbesondere durch die verstärk-

18 Hamann/Rudnik, Mitbestimmung nach § 87 BetrVG bei Onsite-Werkverträgen, NZA 2016, 1368.

19 BAG v. 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, ZBVR 2004, 153.

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ZBVR online Aufsätze und Berichte

ZBVR online 5/2017 | Seite 29 von 31

te Zunahme an flexiblen Arbeitszeitmodellen werden Dienstpläne auch abseits der klassischen Schichtarbeit immer wichtiger. Der Wunsch, seine Arbeitszeit flexibel zu gestalten und gegebenenfalls in Teilzeit tätig zu wer-den, ist in der Arbeitswelt allgegenwärtig. Auch hier sollten sehr konkrete Betriebsvereinbarungen zur Ge-staltung der flexiblen Arbeitszeit vorgenommen wer-den.

Daneben bietet sich natürlich zur Wahrung der Infor-mationsrechte des Betriebsrats aus § 80 Abs. 2 BetrVG eine grundlegende Vereinbarung an, wie der Betriebsrat über die Einhaltung der Betriebsvereinbarungen infor-miert werden soll. Nur, wenn der Betriebsrat weiß, ob die Betriebsvereinbarungen auch eingehalten werden, kann er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen.

3. Welche Grenzen für die Vereinbarungen bestehen? Wie bei allen möglichen Vereinbarungen zwischen Ar-beitgeber und Betriebsrat muss natürlich beachtet werden, welche Grenzen den Betriebsparteien bei ihrem Handeln ge-setzt sind. Des Weiteren stellt sich aber auch die konkrete Frage, in welchen Be-reichen der Arbeitgeber autonom, also ohne Zusammenarbeit mit dem Betriebs-rat, entscheiden und handeln kann und ob dieser Be-reich durch Betriebsparteien erweitert werden kann.

Zunächst ist an den Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG zu denken. Selbstverständlich müssen die Betriebsparteien im Rahmen ihrer Betriebsverein-barung zu Dienst- und Schichtplänen darauf achten, dass keine Diskriminierung aufgrund der in § 75 Abs. 1 BetrVG genannten Merkmale stattfindet. In der Praxis ist dabei insbesondere eine mögliche Benachteiligung aufgrund des Geschlechts relevant. Besonderes Augen-merk gilt dabei den in Teilzeit Tätigen. Der Betriebsrat hat bei Ausübung seines Mitbestimmungsrechts darauf zu achten, dass die Vereinbarkeit von Familie und Er-werbstätigkeit gefördert wird. Dies ergibt sich aus § 80 Abs. 1 Nr. 2b BetrVG.20 Auch aus diesem Grund dürfen Teilzeitbeschäftigte bei Aufstellung oder Abänderung des Dienstplans nicht benachteiligt werden.

Ebenfalls klar dürfte sein, dass die Betriebsparteien den Vorrang von Gesetz und Tarifvertrag aus § 87 Abs. 1 BetrVG wahren müssen. Das heißt, sie sind bei der Ge-staltung der Dienstpläne insbesondere an die öffent-lich-rechtlichen Arbeitszeitregelungen gebunden. Zu denken ist dabei an die Vorschriften des Arbeitszeitge-setzes und dort insbesondere die Höchstarbeitszeit, die Pflichtpausen sowie die Sonn- und Feiertagsruhe.21 Aber auch aus Nebengesetzen können sich Begrenzungen des Spielraums der Betriebsparteien ergeben. In der Praxis ebenfalls ein wichtiger Anwendungsfall ist etwa

20 BAG v. 16.12.2008 – 9 AZR 893/07, DB 2009, 1242. 21 BAG v. 9.3.1993 – 1 ABR 41/92, ZTR 1993, 381.

§ 8 MuSchG, welcher die Einsetzbarkeit von werdenden und stillenden Müttern einschränkt. Tarifverträge sind natürlich ein besonderes Thema. Zum einen ist dabei zu berücksichtigen, dass gemäß § 87 Abs. 1 BetrVG ein Tarifvorrang besteht. Soweit eine tarifliche Regelung besteht, die die Angelegenheit bereits regelt, ist die Mit-bestimmung und eine Regelung durch die Betriebspar-teien ausgeschlossen. Daneben müssen natürlich auch tarifliche Normen berücksichtigt werden, die zwar die Mitbestimmung nicht sperren, ihr aber gleichwohl Grenzen setzen.

Nicht in allen Bereichen besteht ein Mitbestimmungs-recht des Betriebsrats. Teilweise kann der Arbeitgeber auch autonom entscheiden. Vorbereitende (Rahmen-)vereinbarungen sind sehr sinnvoll. Hier kann es sein, dass die Betriebsparteien dem Arbeitgeber gerade Frei-raum zu autonomen Entscheidungen schaffen bezie-hungsweise diesen erweitern wollen. Die Betriebspar-

teien setzten vorher Rahmenbedingungen und kreieren damit abstrakte und verbindliche Bestimmungen, in denen der Arbeitgeber dann selbstständig handeln darf. Die Zulässigkeit eines solchen Vorgehens ist von der Rechtsprechung bestätigt.22

Des Weiteren sehen viele Betriebsvereinbarungen auch ein System vor, in dem der Betriebsrat rechtzeitig vom Arbeitgeber über die geplante Gestaltung der Arbeits-zeit informiert wird und eine Nichtäußerung innerhalb einer gesetzten Frist zu einer „Fiktion“ der Zustimmung des Betriebsrats führt. In beiden Fällen müssen die Be-triebsparteien aber darauf achten, dass die Vorausset-zungen, in denen der Arbeitgeber tätig werden darf, klar und bestimmt sind. Eine Ankündigungsfrist etwa muss so lang sein, dass sowohl der Betriebsrat noch rechtzeitig reagieren kann, als auch die betroffenen Ar-beitnehmer die Lage der Arbeitszeit im Einzelfall im Voraus erkennen können. Es besteht jedoch ein Risiko bei diesem Vorgehen. Der Betriebsrat darf auf sein Mit-bestimmungsrecht nicht verzichten und somit das Heft vollständig aus der Hand geben. In diesem Fall wäre die getroffene Regelung nämlich unwirksam. Vor einer ent-sprechenden Entscheidung bedarf der Betriebsrat daher in jedem Fall einer umfassenden rechtlichen Beratung. 4. Durchsetzung der Rechte/Folgen von rechtswidrigem

Vorgehen § 87 BetrVG eröffnet beiden Betriebsparteien im Bereich der Arbeitszeitgestaltung ein Initiativrecht. Das heißt, beide Seiten können von sich aus tätig werden und die

22 BAG v. 9.7.2013 – 1 ABR 19/12, ZBVR online 11/2013, S. 16.

Mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz muss der Betriebsrat vor allem eine Benachteiligung der Teilzeit-

beschäftigten im Dienstplan verhindern.

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Gegenseite zu Verhandlungen zu diesem Thema auf-fordern. Sollten die Verhandlungen stocken oder sollte eine Seite blockieren, bietet das Gesetz eine Lösung. Für beide Seiten besteht die Möglichkeit, die Einigungsstel-le anzurufen und eine Entscheidung der Einigungsstel-le herbeizuführen. Der Spruch der Einigungsstelle er-setzt dann die Einigung zwischen Arbeitgeber und Be-

triebsrat und wirkt wie eine Betriebsvereinbarung. Das Problem daran ist aber, dass man den Ausgang des Verfahrens vor der Einigungsstelle natürlich nicht vor-aussehen kann. Auch hierbei können ungewollte Ergeb-nisse auftreten.

Eine ohne Einschaltung des Betriebsrats durchgeführte Maßnahme ist rechtswidrig und für die betroffenen Ar-beitnehmer nicht verbindlich. Aus Sicht der betroffenen Arbeitnehmer hat das Bundesarbeitsgericht hierzu die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung geschaffen, welche das Gericht in ständiger Rechtsprechung ver-tritt.23 Es geht davon aus, dass eine Maßnahme, die der Arbeitgeber unter Verstoß gegen das Mitbestimmungs-recht durchführt, unwirksam ist, wenn eine Verletzung des Mitbestimmungs-rechts gegeben ist und dies zu einer Belastung der Arbeitnehmer führt. Regel-mäßig sind daher nicht mitbestimmte Maßnahmen gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern unwirksam. Verlegt ein Arbeitgeber einseitig die Arbeitszeit eines Arbeitneh-mers, so ist die ausgefallene Arbeitszeit gemäß § 615 BGB im Rahmen des Annahmeverzugs zu vergüten.24

Der Betriebsrat hingegen kann, wenn der Arbeitgeber das Mitbestimmungsrecht verletzt, zum einen die Be-seitigung des unter Umständen noch andauernden be-triebsverfassungswidrigen Zustandes gem. § 23 BetrVG verlangen und zum anderen auch für die Zukunft eine Unterlassung geltend machen. Unter bestimmten Vo-raussetzungen kann dem Arbeitgeber auch im Rahmen einer einstweiligen Verfügung, also in einem Eilverfah-ren, aufgegeben werden, eine betriebsverfassungswid-rige Maßnahme wieder aufzuheben. Dabei muss aber berücksichtigt werden, dass die Ansichten der Landes-arbeitsgerichte zur Zulässigkeit einer entsprechenden einstweiligen Verfügung auseinandergehen.

23 BAG v. 3.9.2014 – 5 AZR 109/13, ZBVR online 2/2015, S. 4. 24 BAG v. 18.9.2002 – 1 AZR 668/01, BB 2003, 740.

Eine Möglichkeit eines solchen Eilverfahrens hat der Arbeitgeber unstreitig nicht. Der Arbeitgeber ist daher darauf angewiesen, dass er für Fälle, in denen der Be-triebsrat nicht erreichbar ist oder aufgrund der Kürze der Zeit keinen wirksamen Beschluss fassen kann, eine vorbereitende Rahmenvereinbarung geschlossen hat. Hierauf sollte der Arbeitgeber hinwirken. Der Betriebs-

rat kann den Abschluss einer solchen Ver-einbarung nicht verhindern, wenn die Vereinbarung zur Sicherung des Be-triebsablaufs notwendig ist.25 Hiervon zu unterscheiden sind so genannte Notfälle. Bei einem Notfall muss sofort gehandelt werden, damit vom Betrieb oder von der

Belegschaft Schaden abgewendet werden kann. In ei-nem solchen Notfall ist das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats eingeschränkt. Der Arbeitgeber kann grundsätzlich die Maßnahme ohne Beteiligung des Be-triebsrats durchführen. Er muss den Betriebsrat aller-dings unverzüglich anschließend ordnungsgemäß be-teiligen.26

IV. Fazit

Die Frage der Dienstplangestaltung ist eines der wich-tigsten Themen in der betriebsverfassungsrechtlichen Praxis. Es ist verbunden mit den weiteren Fragen der Regelung der Arbeitszeit im Betrieb. Ein vorausschau-

ender Arbeitgeber wird darauf drängen, vorbereitende Absprachen, insbesondere für Eilverfahren, zu treffen. Wie weit der Entscheidungsspielraum des Arbeitgebers ist, ist dabei Verhandlungssache und hängt teilweise von den tatsächlichen Erfordernissen im Betrieb ab.

Mit Blick in die Zukunft stellen sich noch mehrere Fra-gen, die derzeit gar nicht oder unbefriedigend beant-wortet sind. Zum einen betrifft dies mit Sicherheit den immer größer werdenden Wunsch der Arbeitnehmer nach flexiblen Arbeitszeitmodellen. Auch in diesem Be-reich werden in der Zukunft Dienstpläne immer wich-tiger werden. Der Einsatz von Fremdpersonal im Betrieb ist derzeit nicht abschließend geklärt, und auch hier erscheint es notwendig, dass Rechtsprechung oder Ge-setzgebung noch weiter aufklärend tätig werden.

25 BAG v. 17.11.1998 – 1 ABR 12/98, ZBVR 2000, 56. 26 BAG v. 19.2.1991 – 1 ABR 31/90, NZA 1991, 609.

Kann die Zustimmung des Betriebsrats in eilbedürftigen Fällen nicht schnell genug

erwirkt werden, darf der Arbeitgeber ...

... die mitbestimmungspflichtige Maßnahme – außer in Notfällen – nicht durchführen. Für solche Fälle empfiehlt sich

daher der Abschluss einer Rahmenvereinbarung.

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