ZBVR ISSN 1862-6610 - dbbDec 11, 2013  · ZBVR online Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht...

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5/2014 ZBVR online ISSN 1862-6610 Zeitschrift für B E T R I E B S V E R F A S S U N G S R E C H T Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht 02 Verwertung rechtwidrig erlangter Informationen und Beweismittel im Kündigungs- schutzprozess BAG, Urteil v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12 06 Auskunftsanspruch des Betriebsrats bezüglich erteilter und beabsichtigter Abmahnungen BAG, Beschluss v. 17.9.2013 – 1 ABR 26/12 08 Innerbetriebliche Ausschreibung von Arbeitsplätzen bei Einsatz von Leiharbeitnehmern BAG, Beschluss v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12 11 Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds/Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus Personalakte BAG, Beschluss v. 4.12.2013 – 7 ABR 7/12 14 Berichtigung eines Einigungsstellenspruchs BAG, Beschluss v. 10.12.2013 – 1 ABR 45/12 16 Zuständigkeit der Einigungsstelle für betriebliche Regelung zur Wärmeentlastung LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 1.10.2013 – 1 TaBV 33/13 Rechtsprechung zum Tarifrecht 19 Konstitutive Entgeltregelung im Arbeitsvertrag BAG, Urteil v. 21.8.2013 – 4 AZR 656/11 22 Diskriminierung von Schwerbehinderten wegen frühzeitigen Ausscheidens aus der Altersteilzeit BAG, Urteil v. 12.11.2013 – 9 AZR 484/12 25 Berücksichtigung der Wünsche eines im Schichtbetrieb tätigen Arbeitnehmers zur Lage der Arbeitszeit bei Teilzeitbegehren LAG Köln, Urteil v. 10.1.2013 – 7 Sa 766/12 Rechtsprechung in Leitsätzen Aufsätze und Berichte 31 Personalplanung in der Praxis des Betriebsrats 2014 Dr. Magnus Bergmann, Münster

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5/2014

ZBVR online

ISSN 1862-6610

Zeitschrif t für B E T R I E B S V E R F A S S U N G S R E C H T

Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht02 Verwertung rechtwidrig erlangter Informationen und Beweismittel im Kündigungs-

schutzprozessBAG, Urteil v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12

06 Auskunftsanspruch des Betriebsrats bezüglich erteilter und beabsichtigter AbmahnungenBAG, Beschluss v. 17.9.2013 – 1 ABR 26/12

08 Innerbetriebliche Ausschreibung von Arbeitsplätzen bei Einsatz von LeiharbeitnehmernBAG, Beschluss v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12

11 Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds/Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus PersonalakteBAG, Beschluss v. 4.12.2013 – 7 ABR 7/12

14 Berichtigung eines Einigungsstellenspruchs BAG, Beschluss v. 10.12.2013 – 1 ABR 45/12

16 Zuständigkeit der Einigungsstelle für betriebliche Regelung zur WärmeentlastungLAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 1.10.2013 – 1 TaBV 33/13

Rechtsprechung zum Tarifrecht19 Konstitutive Entgeltregelung im Arbeitsvertrag

BAG, Urteil v. 21.8.2013 – 4 AZR 656/11

22 Diskriminierung von Schwerbehinderten wegen frühzeitigen Ausscheidens aus der AltersteilzeitBAG, Urteil v. 12.11.2013 – 9 AZR 484/12

25 Berücksichtigung der Wünsche eines im Schichtbetrieb tätigen Arbeitnehmers zur Lage der Arbeitszeit bei TeilzeitbegehrenLAG Köln, Urteil v. 10.1.2013 – 7 Sa 766/12

Rechtsprechung in Leitsätzen

Aufsätze und Berichte31 Personalplanung in der Praxis des Betriebsrats 2014

Dr. Magnus Bergmann, Münster

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1. Die Zivilprozessordnung kennt für rechtswidrig er-langte Informationen oder Beweismittel kein – aus-drückliches – prozessuales Verwendungs- bzw. Ver-wertungsverbot. Aus § 286 ZPO i.V.m. Art. 103 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil die grundsätzliche Verpflich-tung der Gerichte, den von den Parteien vorgetrage-nen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Be-weise zu berücksichtigen. Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindern soll, einer besonderen Legitimation in Gestalt einer gesetzlichen Grundlage. 2. Der persönliche Schrank eines Arbeitnehmers und dessen Inhalt sind Teil der Privatsphäre. Sie sind gleichwohl nicht unter allen Umständen einer Kon- trolle durch den Arbeitgeber entzogen. Betroffen ist nicht der absolut geschützte Kernbereich privater Le-bensgestaltung, sondern der nur relativ geschützte Bereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Stellt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen abschließ-baren Schrank zur Verfügung, berührt diese Überlas-sung auch seine eigenen Belange. 3. Arbeitnehmer müssen darauf vertrauen können, dass ihnen zugeordnete Schränke nicht ohne ihre Einwilligung geöffnet, dort eingebrachte persönli-che Sachen nicht ohne ihr Einverständnis durchsucht werden. Geschieht dies dennoch, liegt regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in ihre Privatsphäre vor. Er kann nur bei Vorliegen zwingender Gründe ge-rechtfertigt sein. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und zählt der Arbeitnehmer zu dem anhand objektiver Kriterien eingegrenzten Kreis der Verdächtigen, kann sich zwar aus dem Arbeitsvertrag i.V.m. § 242 BGB eine Verpflichtung ergeben, Aufklä-rungsmaßnahmen zu dulden. Erforderlich i.S.d. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bzw. verhältnismäßig im Sinne einer Beschränkung des allgemeinen Persönlich-keitsrechts kann eine Schrankkontrolle aber nur sein, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist. 4. Sowohl die Gerichte für Arbeitssachen als auch die ordentlichen Gerichte sind befugt, Erkenntnisse zu verwerten, die sich eine Prozesspartei durch Eingrif-fe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschafft hat, wenn eine Abwägung der beteiligten Belange ergibt, dass das Interesse an einer Verwertung der Beweise trotz der damit einhergehenden Rechtsver-letzung das Interesse am Schutz der Daten überwiegt. Das allgemeine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechtspflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zivilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinte- resse den Vorzug zu geben. (Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Urteil v. 20.6.2013 – 2 AZR 546/12 –

Aus den Gründen

Die Revision der Beklagten ist begründet. (…)

I. (…) Der Beklagten ist es, anders als das Landesar-beitsgericht angenommen hat, nicht aus betriebsver-fassungsrechtlichen Gründen verwehrt, sich auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung als Kündigungsgrund zu berufen.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kün-digenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zuge-mutet werden kann. Dabei sind vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Vermögensdelik-te regelmäßig geeignet, eine außerordentliche Kündi-gung aus wichtigem Grund zu rechtfertigen, und zwar auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur ge-ringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat.

2. Auch der Verdacht einer schwerwiegenden Pflicht-verletzung kann einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB bilden. (…)

3. Die kündigungsrechtliche Beurteilung des in Rede stehenden Verhaltens hängt – auch soweit es Grund-lage eines Verdachts ist – nicht von der strafrecht- lichen Bewertung des mitgeteilten Kündigungssach-verhalts ab. Entscheidend ist der mit dem Verhal- ten oder dem Verdacht einhergehende Vertrauensver-lust.

(…) 5. Danach ist die fristlose Kündigung vom 17. März 2011 nicht deshalb gerechtfertigt, weil dem Kläger eine strafbare Handlung oder eine ähnlich schwerwie-gende Pflichtverletzung zum Nachteil der Beklagten vorzuwerfen wäre.

a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein sol-cher Tatvorwurf könne dem Kläger deshalb nicht ge-macht werden, weil die Beklagte nicht nachgewiesen habe, dass er sich Waren aus ihrem Bestand tatsäch-lich angeeignet habe. (…) Ihre Kenntnis vom Inhalt des Spinds beruhe auf einem unverhältnismäßigen und damit rechtswidrigen Eingriff in das allgemeine Per-sönlichkeitsrecht des Klägers. Das schließe die gericht-liche Beweiserhebung über das Ergebnis der Spindkon-trolle aus.

Verwertung rechtwidrig erlangter Informationen und Beweismittel im Kündigungsschutzprozess

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b) Dagegen wendet sich die Beklagte ohne Erfolg. (…) Die Verwertung von Beweismitteln, die die Beklagte aufgrund der in Abwesenheit des Klägers und inso-weit für ihn heimlich erfolgten Durchsuchung gewon-nen hat, ist im Streitfall ausgeschlossen. Dies folgt – sofern sich ein entsprechendes Verbot nicht bereits unmittelbar aus § 32 BDSG ergibt – daraus, dass mit der prozessualen Verwertung der Beweismittel durch Beweiserhebung ein – erneuter bzw. fortgesetzter – Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers einherginge, ohne dass ein solcher Eingriff durch überwiegende Interessen der Beklagten ge-rechtfertigt wäre. Das Verwertungsverbot impliziert ein Erhebungsverbot und schließt es aus, Personen, die die Schrankkontrolle selbst durchgeführt haben oder zu ihr hinzugezogen wurden, als Zeugen zu ver-nehmen.

aa) Die Zivilprozessordnung kennt für rechtswidrig er-langte Informationen oder Beweismittel kein – aus-drückliches – prozessuales Verwendungs- bzw. Ver-wertungsverbot. Aus § 286 ZPO iVm. Art. 103 Abs. 1 GG folgt im Gegenteil die grundsätzliche Verpflich-tung der Gerichte, den von den Parteien vorgetrage-nen Sachverhalt und die von ihnen angebotenen Be-weise zu berücksichtigen. Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwer-tungsverbots, das zugleich die Erhebung der angebotenen Beweise hindern soll, einer besonderen Legitimation in Gestalt einer gesetzlichen Grundlage.

bb) Im gerichtlichen Verfahren tritt der Richter den Verfahrensbeteiligten in Aus-übung staatlicher Hoheitsgewalt gegen-über. Er ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteils-findung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrens-gestaltung verpflichtet. Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG An-forderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich be-schafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. (…)

cc) Die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung im BDSG konkretisieren und ak-tualisieren den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe in dieses Recht zulässig sind. (…)

dd) Gemäß (…) § 32 Abs. 1 Satz 1 BDSG dürfen perso-nenbezogene Daten eines Beschäftigten für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses erhoben, verarbeitet

oder genutzt werden, wenn dies für die Entscheidung über die Begründung eines Beschäftigungsverhältnis-ses oder nach dessen Begründung für seine Durch-führung oder Beendigung erforderlich ist. Nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung dürfen zur Aufdeckung von Straf-taten personenbezogene Daten eines Beschäftigten nur dann erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunk-te den Verdacht begründen, dass der Betroffene im Be-schäftigungsverhältnis eine Straftat begangen hat, die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung zur Aufdeckung erforderlich ist und das schutzwürdige Interesse des Beschäftigten am Ausschluss der Erhebung, Verarbei-tung oder Nutzung nicht überwiegt, insbesondere Art und Ausmaß im Hinblick auf den Anlass nicht unver-hältnismäßig sind.

ee) Es spricht viel dafür, dass es sich bei der in Rede ste-henden Schrankkontrolle tatbestandlich um eine Da-tenerhebung iSv. § 32 Abs. 1 BDSG handelt. Nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 Satz 1 BDSG sind per-sonenbezogene Daten Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder be-stimmbaren natürlichen Person. Um die Gewinnung und Verwertung solcher Daten geht es hier. Die Durch-suchung des dem Kläger zugeordneten Spinds hatte

zum Ziel, Erkenntnisse über dessen Inhalt zu gewin-nen, um festzustellen, ob der Kläger im Besitz nicht bezahlter Waren aus dem Bestand der Beklagten war. § 32 BDSG setzt nicht voraus, dass die Datenerhebung zum Zwecke ihrer Nutzung und Verarbeitung in auto-matisierten Dateien erfolgt. Durch § 32 Abs. 2 BDSG wird die grundsätzliche Beschränkung der Anwendung des dritten Abschnitts des BDSG auf dateigebundene bzw. automatisierte Verarbeitungen (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 27 Abs. 1 BDSG) ausdrücklich aufgehoben. Die Vor-schrift erfasst damit sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach ihrem Regelungsgehalt die Datenerhebung durch rein tatsächliche Handlungen.

ff) Im Streitfall kann offen bleiben, ob § 32 BDSG ein-schlägig ist. Für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Durchsuchung des Spinds ergeben sich aus § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG gegenüber einer unmittelbar an Art. 2 Abs. 1 GG orientierten Überprüfung der Recht-mäßigkeit des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht des Klägers keine anderen Vorgaben. Entsprechendes gilt mit Blick auf die Frage, ob der durch § 32 BDSG oder unmittelbar durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Schutz des Persönlichkeitsrechts die prozessuale Ver-

Für die Annahme eines Beweis-

verwertungsverbotes, das auch die Erhebung

des angebotenen Beweises hindern soll,

bedarf es einer gesetzlichen Grundlage.

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dass das Interesse an einer Verwertung der Beweise trotz der damit einhergehenden Rechtsverletzung das Interesse am Schutz der Daten überwiegt. Das allge-meine Interesse an einer funktionstüchtigen Rechts-pflege und das Interesse, sich ein Beweismittel für zi-vilrechtliche Ansprüche zu sichern, reichen dabei für sich betrachtet nicht aus, dem Verwertungsinteresse den Vorzug zu geben. Dafür bedarf es zusätzlicher Um-stände. (…)

gg) Nach diesen Grundsätzen ist die vom Landesar-beitsgericht vorgenommene Interessenabwägung fehlerfrei. Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass zum Zeitpunkt der Schrankkontrolle ein durch objektive – im Anwendungsbereich des § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG zu dokumentierende – Tatsachen begründeter Verdacht gegen den Kläger bestand, sich Unterwäsche aus dem Bestand der Beklagten rechts-widrig zugeeignet oder zu einer solchen Tat zumindest unmittelbar angesetzt zu haben. Der Eingriff erweist sich auch dann als unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte den Kläger zur Kontrolle seines Schranks hinzu-ziehen müssen. Ein Grund, der unter Berücksichtigung der Intensität des Eingriffs eine „heimliche“ Durchsu-chung hätte rechtfertigen können, liegt nicht vor. (…)

6. Auch wenn die Beklagte den Beweis fällig geblieben ist, dass der Kläger tatsächlich Unterwäsche entwen-det hat, folgt daraus nicht notwendig, dass ein wich-tiger Grund zur Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB nicht vorliegt. Die Beklagte hat die Kündigung auch auf den Verdacht der rechtswidrigen Entwendung gestützt. Dies war ihr prozessual – anders als das Landesarbeits-gericht angenommen hat – nicht deshalb verwehrt, weil sie den Betriebsrat zu diesem Kündigungsgrund nicht ordnungsgemäß angehört hätte. (…)

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Anmerkung

Das vorstehend abgedruckte Urteil des Bundesarbeits-gerichts vom 20. Juni 2013 – 2 AZR 546/12 – ist daten-schutzrechtlich und hieraus resultierend beweisrecht-lich bemerkenswert. Die Entscheidung besagt, dass eine betriebliche Spindöffnung durch den Arbeitge-ber dem Bundesdatenschutzgesetz unterliegt. Erfolgt die Öffnung des verschlossenen Spinds ohne Beisein des Betreffenden, verstößt dies gegen die Verhältnis-mäßigkeit. Diese rechtliche Sichtweise mag zunächst verblüffen, entspricht aber den Schutzbestimmungen des Datenschutzrechts, insbesondere des § 32 BDSG. Wird gegen den Datenschutz verstoßen, so die hieraus resultierende und weiter interessante Schlussfolge-rung des Gerichts, tritt ein Beweisverwertungsverbot ein. Dies schließt es auch aus, die an der Spindöffnung – das Gericht spricht hier auch von Schrankkontrolle bzw. Schranköffnung – beteiligten Personen, darunter

wertung der durch die Spindkontrolle gewonnenen Er-kenntnisse und Beweismittel ausschließt. (…)

(1) (…) Dementsprechend setzt § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG voraus, dass die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der Daten zur „Aufdeckung [einer Straftat] erforderlich ist“. Das verlangt eine am Verhältnismäßigkeitsprinzip orientierte, die Interessen des Arbeitgebers und des Beschäftigten berücksichtigende Abwägung im Ein-zelfall, so wie sie u.a. bei der heimlichen Videoüber-wachung eines Arbeitnehmers vorzunehmen ist. Auch körperliche und sonstige Untersuchungen wie die Kon-trolle des persönlichen Schranks des Arbeitnehmers, mitgeführter Taschen oder von Kleidungsstücken stel-len grundsätzlich einen Eingriff in das Persönlichkeits-recht des Arbeitnehmers dar. Da das Persönlichkeits-recht im Arbeitsverhältnis – jedenfalls außerhalb des unantastbaren Kernbereichs privater Lebensführung – nicht schrankenlos gewährleistet ist, können solche Eingriffe aufgrund überwiegender schutzwürdiger In-teressen des Arbeitgebers gerechtfertigt sein. Das ist im Rahmen einer Güterabwägung festzustellen. Mit-entscheidend ist die Intensität des Eingriffs. In diesem Zusammenhang gibt auch das Unionsrecht nichts an-deres vor.

(2) Der persönliche Schrank eines Arbeitnehmers und dessen Inhalt sind Teil der Privatsphäre. Sie sind gleich-wohl nicht unter allen Umständen einer Kontrolle durch den Arbeitgeber entzogen. (…)

(3) Arbeitnehmer müssen gleichwohl darauf vertrauen können, dass ihnen zugeordnete Schränke nicht ohne ihre Einwilligung geöffnet, dort eingebrachte persön-liche Sachen nicht ohne ihr Einverständnis durchsucht werden. Geschieht dies dennoch, liegt regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in ihre Privatsphäre vor. Er kann nur bei Vorliegen zwingender Gründe gerecht-fertigt sein. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und zählt der Arbeitnehmer zu dem anhand objektiver Kriterien eingegrenzten Kreis der Verdächti-gen, kann sich zwar aus dem Arbeitsvertrag iVm. § 242 BGB eine Verpflichtung ergeben, Aufklärungsmaß-nahmen zu dulden. Erforderlich iSd. § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG bzw. verhältnismäßig im Sinne einer Beschrän-kung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann eine Schrankkontrolle aber nur sein, wenn sie geeignet, er-forderlich und angemessen ist. Dem Arbeitgeber dür-fen keine ebenso effektiven, den Arbeitnehmer we-niger belastenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen. Außerdem muss die Art und Weise der Kontrolle als solche den Verhält-nismäßigkeitsgrundsatz wahren.

(4) Sowohl die Gerichte für Arbeitssachen als auch die ordentlichen Gerichte sind befugt, Erkenntnisse zu verwerten, die sich eine Prozesspartei durch Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht verschafft hat, wenn eine Abwägung der beteiligten Belange ergibt,

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ein Mitglied des Betriebsrats, als Zeugen zu verneh-men.

Im Ergebnis hat aber das Bundesarbeitsgericht nicht abschließend entschieden. Es kam vielmehr zu einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht, da ver-bleibend noch die Möglichkeit einer Verdachtskündi-gung zweitinstanzlich zu überprüfen ist. Insofern folg-te das Bundesarbeitsgericht mit seiner Entscheidung nicht der zweitinstanzlichen Entscheidung des LAG Hessen – 18 Sa 1474/11 –, sondern sah die Möglichkeit einer Verdachtskündigung ausdrücklich für gegeben an. Die Rechtmäßigkeit der Verdachtskündigung muss nun wieder zweitinstanzlich geprüft werden.

Hinsichtlich der bemerkenswerten datenschutzrecht-lichen Thematik der Entscheidung gilt: Befremdend erscheint auf den ersten Blick, dass das Bundesar-beitsgericht eine Spindöffnung anhand der Maßstäbe des Bundesdatenschutzgesetzes misst und in diesem Vorgehen eine Datenerhebung erkennt. Das Bundes-arbeitsgericht bestätigt diesen Befund zwar nicht ausdrücklich. Unter Randnummer 24 der Entschei-dungsgründe wird dies aber letztlich so gesehen, wenn es dort heißt: „Es spricht viel dafür, dass es sich bei der in Rede stehenden Schrankkontrolle tatbestandlich um eine Datenerhebung im Sinne von i.S.v. § 32 Abs. 1 BDSG handelt.“ Blickt man hierzu in einschlägige da-tenschutzrechtliche Definitionen, so bestätigt sich die-ser Befund. So heißt es in der Definition bei Franzen:1 „Datenerhebung ist das Beschaffen von Daten über den Betroffenen.“ Die Wahrnehmung dessen, was nun in dem Spind aufbewahrt wird, stellt somit Beschaffen von Daten dar, wie dem Bundesarbeitsgericht beizu-pflichten ist. Das Bundesdatenschutzgesetz sieht also das Erheben von Daten nicht als deren Verarbeitung an, aber als Beschaffen der Daten über den Betroffe-nen insofern als Vorphase hierzu. Daher gilt, dass in den auch für das Arbeitsverhältnis einschlägigen Nor-men neben dem Verarbeiten auch das Erheben („Be-schaffen“) von Daten unter den Schutz des Bundesda-tenschutzgesetzes gestellt wird. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze schlussfolgert das Bundesarbeits-gericht im Hinblick auf die Spindöffnung dann: „Die Durchsuchung des dem Kläger zugeordneten Spinds hatte zum Ziel, Erkenntnisse über dessen Inhalt zu gewinnen, um festzustellen, ob der Kläger im Besitz nicht bezahlter Waren aus dem Bestand der Beklagten war.“ Dies reicht nach Auffassung des Bundesarbeits-gerichts aus, um in den Schutzbereich des § 32 BDSG zu gelangen.

Hieran anknüpfend greift das Bundesarbeitsgericht zu einer Verhältnismäßigkeitskontrolle. Es sei – so das Bundesarbeitsgericht – unverhältnismäßig, die Spind-öffnung ohne persönliche Anwesenheit des angebli-

1 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. 2014, § 3 BDSG unter Rn. 4.

chen Täters und späteren Klägers durchzuführen. Hier sieht das Bundesarbeitsgericht, wobei es allerdings dann „von dem persönlichen Schrank eines Arbeitneh-mers und dessen Inhalt“ spricht, den verschlossenen Spind im Betrieb als Teil der Privatsphäre, des absolut geschützten Kernbereichs privater Lebensgestaltung und damit als in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts fallend an. Kurz gefasst bedeu-tet dies: Das Bundesarbeitsgericht hält dem Arbeitge-ber vor, dass er die Spindöffnung zwar in Gegenwart anderer Zeugen, sogar eines Betriebsratsmitglieds vor-genommen hatte, aber eben nicht in Gegenwart des Betreffenden selbst. Hierzu habe es – allerdings hatte der Betreffende selbst den Ort bereits verlassen – kei-nen Grund gegeben, der Betreffende hätte daher bei der Spindöffnung hinzugezogen werden und anwe-send sein müssen, um die Verhältnismäßigkeitsmaß-stäbe einzuhalten. Eine Notwehrsituation oder eine notwehrähnliche Lage, worauf das Bundesarbeitsge-richt unter Randnummer 29 der Entscheidungsgrün-de unter Verweis auf andere zurückliegende Recht-sprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht hinweist, sei nicht erkennbar gewesen. Hinzu komme, dass der Arbeitgeber laut seiner eigenen Darstellung – was sein Vorgehen für das Bundesarbeitsgericht auch unverhältnismäßig erscheinen ließ – noch eine geson-derte Taschen- und Personenkontrolle beabsichtigte. Auch dies hätte doch nach eigener Darstellung des Ar-beitgebers ausgereicht, um den Betreffenden zu über-führen, wenn er Eigentum seines Arbeitgebers habe entwenden wollen. Das Bundesarbeitsgericht sieht dieses zielgerichtete Vorgehen des Arbeitgebers daher als rechtswidrig an, wenn es hierzu unter Randnum-mer 33 ausführt: „Die Schrankdurchsuchung sollte lediglich dazu dienen, die Grundlage für eine passge-naue Taschenkontrolle zu schaffen.“ Mit „passgenau“ meint das Bundesarbeitsgericht hier wohl das Auffin-den des Diebesgutes im Spind im ersten Schritt, um das Diebesgut im zweiten Schritt erneut bei der Ta-schenkontrolle anlässlich des Verlassens des Betriebs-geländes bei dem dann auf frischer Tat ertappten Tä-ter zu finden. Hierzu kam es allerdings deshalb nicht, weil der Betreffende schon den Ort des Geschehens zuvor verlassen hatte, der Plan des Arbeitgebers ging nicht auf.

Bezüglich der ebenso bemerkenswerten beweisrecht-lichen Stoßrichtung des Urteils ist hervorzuheben: Die somit rechtswidrig, da jedenfalls unverhältnismäßig erlangten Erkenntnisse dürfen arbeitsgerichtlich nicht verwertet, die beteiligten Personen nicht als Zeugen einvernommen werden. Zwar gibt es, wie das Bun-desarbeitsgericht eingangs betont, kein gesetzlich fi-xiertes Beweisverwertungsverbot. Allerdings, so die Entscheidungsgründe weiter, sei prozessuale Folge der Unverhältnismäßigkeit der Spindöffnung – warum hat man den Betreffenden nicht hinzugezogen – die da-hingehende Beweiserhebung deswegen der Arbeitsge-richtsbarkeit verwehrt.

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1. Der Ausspruch von Abmahnungen unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats. 2. Ein Globalantrag des Betriebsrats auf Vorlage aller ab einem bestimmten Zeitpunkt erteilten Abmahnun-gen in anonymisierter Form, mit Ausnahme des Be-reichs der leitenden Angestellten und der Geschäfts- führung, ist abzulehnen. Ob bei Darlegung der Not-wendigkeit der Vorlage der Abmahnung zur Erfüllung einer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgabe ein Auskunftsanspruch besteht, war nicht zu entscheiden. (Leitsätze der Schriftleitung)BAG, Beschluss v. 17.9.2013 – 1 ABR 26/12 –

Zum Sachverhalt

A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Be-triebsrats auf Vorlage erteilter Abmahnungen.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der metallver-arbeitenden Industrie. Antragsteller ist der im Betrieb N gebildete Betriebsrat. Dieser verlangt von der Ar-beitgeberin die Übergabe von Kopien bereits erteilter Abmahnungen sowie die Vorlage beabsichtigter Ab-mahnungen vor Übergabe an den betreffenden Ar-beitnehmer.

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, er benötige die Abmahnungen, um vor dem Ausspruch von Kündigun-gen regulierend und arbeitsplatzerhaltend eingreifen und auf die Arbeitgeberin einwirken zu können. Die Vorlage sei auch erforderlich, um bestehende Mitbe-stimmungsrechte nach § 87 BetrVG ausüben zu kön-nen. Den ihm von Arbeitnehmern in der Vergangen-

heit übergebenen Abmahnungen sei zu entnehmen, dass die Arbeitgeberin u.a. wegen der Weigerung, Überstunden zu leisten, des Nichtbeachtens der An-weisung, nur bestimmte Toilettenräume aufzusuchen, sowie wegen Verstößen gegen Rauchverbote und das angeordnete Verbot von Radiohören im Betrieb Ab-mahnungen erteilt habe, ohne zuvor den Betriebsrat bei Erlass dieser Anweisungen beteiligt zu haben.

(…)

Aus den Gründen

B. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Vorinstan-zen haben den Anträgen zu Unrecht entsprochen. Der Betriebsrat hat keinen Anspruch auf die begehrte Aus-kunft. Der Antrag zu 2. fällt dem Senat deshalb nicht zur Entscheidung an.

I. Der Antrag zu 1. ist zulässig.

1. Das Auskunftsverlangen des Betriebsrats betrifft in der gebotenen Auslegung nur schriftlich erteilte Ab-mahnungen der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Arbeitnehmer mit Ausnahme der leitenden Angestell-ten und Mitglieder der Geschäftsführung. In zeitlicher Hinsicht reicht der Antrag bis zum 1. September 2010 zurück und enthält darüber hinaus ein zeitlich unbe-fristetes Dauerbegehren für die Zukunft. Anhaltspunk-te für eine gewollte zeitliche Beschränkung lassen sich weder dem Wortlaut noch der Begründung ent-nehmen. Nach dem Vortrag des Betriebsrats ist mit „anonymisierter Form“ gemeint, dass die den abge-

Auskunftsanspruch des Betriebsrats bezüglich erteilter und beabsichtigter Abmahnungen

Offen bleibt die Frage, was gerade für die Praxis der Betriebsratsarbeit relevant ist, was bei einer beste-henden Betriebsvereinbarung zu Spindkontrollen gegolten hätte. Denn nach § 28 BDSG ist die Erhe-bung personenbezogener Daten rechtens, wenn eine Rechtsvorschrift dies vorsieht. Als Rechtsvorschrift wiederum ist auch eine Betriebsvereinbarung aner-kannt.2 Wäre die Entscheidung daher anders ausge-fallen, wenn eine Betriebsvereinbarung die Möglich-keit der Spindöffnung gestattet hätte, sofern nur ein Betriebsratsmitglied zugegen gewesen wäre? Wohl nicht, denn diese Regelungsmöglichkeit geht nicht so weit, dass eine Verletzung des allgemeinen Persönlich-keitsrechts damit gerechtfertigt wäre. Auf den umfas-senden Schutz des Persönlichkeitsrechts weist das

2 Franzen in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. 2014, § 4 BDSG Rn. 2.

Bundesarbeitsgericht gerade in seiner angesproche-nen Entscheidung hin. Der Fall wäre also auch nicht anders zu lösen, wenn es bei diesem Arbeitgeber eine Betriebsvereinbarung gegeben hätte, die Spindöff-nungen ohne Gegenwart des Betreffenden und ohne dessen Einwilligung erlaubten, auch in Gegenwart ei-nes Betriebsratsmitgliedes. Denn auch in diesem Fall wäre das allgemeine Persönlichkeitsrecht verletzt, so weit ginge die Regelungsbefugnis der Betriebspartei-en daher nicht. Es ist also keineswegs ein zutreffender Rückschluss, nun zum Schutz der Arbeitnehmerschaft von Betriebsvereinbarungen mit dieser Regelungs-materie abzuraten, Betriebsvereinbarungen in dieser Regelungsmaterie erfüllen weiterhin ihren Sinn und Zweck, müssen aber von nun an umso mehr das all-gemeine Persönlichkeitsrecht der Belegschaft berück-sichtigen und schützen.

Dr. Martin Pröpper, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Köln

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mahnten Arbeitnehmer unmittelbar identifizierenden Merkmale (Name und Adresse) unkenntlich gemacht werden sollen.

2. So verstanden ist der Antrag hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es handelt sich hierbei um einen Globalantrag, der alle denkbaren schriftlichen Abmahnungen der im Antrag bezeichneten Personen-gruppe erfasst. Dies steht der Bestimmtheit des An-trags jedoch nicht entgegen. Ob der Antrag in allen Fällen berechtigt ist, betrifft seine Begründetheit und nicht seine Zulässigkeit.

3. Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass der An-trag auch die Verpflichtung zur Vorlage solcher Ab-mahnungsschreiben einschließt, die erst künftig nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens erteilt wer-den. Ein auf künftige Leistungen gerichteter Antrag

ist nach dem auch im arbeitsgerichtlichen Beschluss-verfahren anwendbaren § 259 ZPO zulässig, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, der Schuldner werde sich der rechtzeitigen Leistung ent-ziehen. Dies ist hier der Fall. Die Arbeitgeberin hat sich in der Vergangenheit und in dem gesamten Rechts-streit geweigert, die begehrten Auskünfte zu erteilen. Es ist daher zu besorgen, dass sie sich auch in Zukunft einer rechtzeitigen Leistung iSd. § 259 ZPO entziehen werde. Die Auskunft und Vorlage von Unterlagen nach § 80 Abs. 2 BetrVG kann vom Betriebsrat „jederzeit“ ohne besonderen Anlass verlangt werden.

II. Der Antrag zu 1. ist unbegründet. Der vom Betriebs-rat erhobene Anspruch besteht nicht.

1. Nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG hat der Arbeitgeber den Betriebsrat zur Durchführung seiner Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und nach Satz 2 Halbs. 1 dieser Bestimmung auf Verlangen die zur Durchführung der Aufgaben erforderlichen Un-terlagen zur Verfügung zu stellen. Hieraus folgt ein entsprechender Anspruch des Betriebsrats, wenn die begehrte Information zur Aufgabenwahrnehmung er-forderlich ist. Anspruchsvoraussetzung ist damit zum einen, dass überhaupt eine Aufgabe des Betriebsrats gegeben ist und zum andern, dass im Einzelfall die be-gehrte Information zur Wahrnehmung dieser Aufgabe erforderlich ist. Dies hat der Betriebsrat darzulegen. Anhand seiner Angaben kann der Arbeitgeber und im Streitfall das Arbeitsgericht prüfen, ob die Vorausset-zungen der Vorlagepflicht vorliegen.

2. Nach diesen Grundsätzen besteht der vom Betriebs-rat geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht. Es ist keine betriebsverfassungsrechtliche Aufgabe des Betriebsrats ersichtlich, die die Vorlage aller Abmah-nungsschreiben erforderlich machen könnte.

a) Aus der individualrechtlichen Bedeutung der Abmah-nung ergibt sich eine solche Aufgabe des Betriebsrats nicht. Dieser ist außerhalb des Mitwirkungsverfahrens bei Kündigung nach § 102 BetrVG bei der Erteilung von Abmahnungen nicht zu beteiligen. Mitwirkungsrechte des Betriebsrats entstehen erst dann, wenn der Arbeit-geber das Unterrichtungsverfahren nach § 102 Abs. 1 BetrVG einleitet. Der Ausspruch von Abmahnungen unterliegt dagegen nicht der Mitbestimmung des Be-triebsrats. Da sich der Globalantrag des Betriebsrats jedoch auch auf die Fälle der Erteilung von Abmahnun-gen vor Einleitung des Mitwirkungsverfahrens nach

§ 102 Abs. 1 BetrVG bezieht, ist schon die individualrechtliche Wirkung der Ab-mahnung nicht geeignet, den Antrag des Betriebsrats zu begründen.

b) Soweit der Betriebsrat geltend macht, die Wahrnehmung betriebsverfassungs-rechtlicher Aufgaben erfordere die Vor-lage aller Abmahnungsschreiben, führt

auch dies nicht zur Begründetheit des Antrags. Der Betriebsrat hat nicht aufgezeigt, für welche Aufgaben er die Abmahnungsschreiben benötigt. Der allgemeine Hinweis auf Mitbestimmungsrechte aus § 87 BetrVG ist unzureichend. Dem steht bereits entgegen, dass Abmahnungen keineswegs notwendig Sachverhalte betreffen, in denen diese Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats betroffen sind. So sind etwa bei Arbeits-vertragsverletzungen wie Tätlichkeiten oder Beleidi-gungen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 BetrVG offensichtlich nicht berührt.

c) Der Betriebsrat hat auch nicht dargelegt, dass die Vorlage der Abmahnungen zur Aufgabenwahrneh-mung erforderlich ist. Er hat vielmehr eine Vielzahl von Abmahnungen vorgelegt, aber nicht aufgezeigt, aus welchen Gründen er ungeachtet dessen die Vorlage weiterer Abmahnungen zur Wahrnehmung und Aus-übung der auf diese Sachverhalte bezogenen Mitbe-stimmungsrechte benötigt. Sollte der Betriebsrat der Auffassung sein, dass die den Abmahnungen zugrun-de liegenden Anweisungen der Arbeitgeberin nach § 87 Abs. 1 BetrVG mitbestimmungspflichtig waren und diese ihn gleichwohl nicht beteiligt hat, kann er die seiner Auffassung nach gebotenen Maßnahmen ohnehin ergreifen. Es ist weder vorgetragen noch of-fenkundig, dass hierzu ein weitergehender Informati-onsbedarf des Betriebsrats besteht. Als Globalantrag erweist sich der Antrag des Betriebsrats auch deshalb als unbegründet.

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Der Betriebsrat hat einen Anspruch

auf Unterrichtung durch den Arbeitgeber,

wenn die begehrte Information zur Aufgaben-

wahrnehmung erforderlich ist.

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Die Auswahl erfolgt auf der Basis der vereinbarten Auswahlrichtlinien und der zu vereinbarenden Beur-teilungsgrundsätze.“

In der Betriebsvereinbarung „Auswahlrichtlinien“ vom 14. November 2003 (BV 2003) ist geregelt:

„1. Geltungsbereich

Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer/innen der H GmbH, Werk G mit Ausnahme der leiten-den Angestellten nach § 5 III BetrVG und der Auszubil-denden.…

6. Vorrang innerbetrieblicher Bewerbungen

Soweit keine Auswahl nach Ziffer 5 erfolgt, ist nach folgender Reihenfolge zu entscheiden:

6.1Innerbetriebliche Bewerber/innen haben Vorrang vor externen Bewerbern/innen, wenn die innerbetriebli-chen Bewerber/innen eine für die Ausführung der aus-geschriebenen Position befriedigende Qualifikation haben.…

10. Stellenbedarf und Nichtbesetzung von Stellen

10.1Die Besetzung freier Stellen orientiert sich an der Per-sonalplanung. Wenn Stellen ausgeschrieben worden sind, so muss die Besetzung dieser ausgeschriebenen Stellen erfolgen, wenn innerbetriebliche Bewerber/in-nen vorhanden sind, die für die Besetzung der Stelle eine zumindest befriedigende Qualifikation haben.

10.2Von der Besetzung der Stelle kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn nach der Ausschreibung erfolgte sachliche und von den Bewerbern/innen un-abhängige Überlegungen Stellensperren oder Stellen-streichungen erforderlich gemacht haben.…“

Der Betriebsrat hat die Auffassung vertreten, die Ar-beitgeberin habe die Stellen, auf denen Leiharbeitneh-mer beschäftigt würden, unabhängig von deren Über-nahmezeit innerbetrieblich auszuschreiben. (…)

Aus den Gründen

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbe-gründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem zuletzt zu

Der Arbeitgeber ist, wenn der Betriebsrat die innerbe-triebliche Stellenausschreibung verlangt hat, hierzu auch dann verpflichtet, wenn es sich um Arbeitsplät-ze handelt, die vorübergehend, mindestens aber für vier Wochen mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen.(Leitsätze der Schriftleitung)BAG, Beschluss v. 15.10.2013 – 1 ABR 25/12 –

Zum Sachverhalt

A. Die Beteiligten streiten über die Verpflichtung der Arbeitgeberin zur Ausschreibung von Arbeitsplätzen, die vorübergehend mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen.

Die Arbeitgeberin stellt Bremsbeläge für Pkw, Lkw und Schienenfahrzeuge her. In ihrem Werk in G beschäftigt sie über 900 Arbeitnehmer. Antragsteller ist der bei der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat.

Die Arbeitgeberin setzte im Zeitraum von Juni bis Au-gust 2010 mehr als 100 Leiharbeitnehmer zur Siche-rung ihrer Produktion ein. Ebenso beschäftigte sie ab dem 2. Januar 2012 in den Bereichen Scheibenbrems-belagfertigung, Schiene, Sinter und Mischerei 30 Leiharbeitnehmer als Maschinenarbeiter im Schicht-betrieb. Der Einsatz dieser Leiharbeitnehmer war zu-nächst nur bis zum 31. März 2012 vorgesehen, ist je-doch bis zur Jahresmitte 2012 verlängert worden. Eine innerbetriebliche Stellenausschreibung vor der Über-nahme der Leiharbeitnehmer erfolgte in beiden Fällen nicht. In den genannten Produktionsbereichen waren auch Arbeitnehmer aufgrund von befristeten Arbeits-verträgen tätig, deren Arbeitsverhältnisse entweder zum 14. November 2011 von der Arbeitgeberin vorzei-tig gekündigt oder nicht über den 31. Dezember 2011 hinaus fortgesetzt wurden.

Im Betrieb der Arbeitgeberin besteht eine Betriebsver-einbarung „Stellenausschreibungen“ vom 9. Dezember 1994 (BV 1994), in der es heißt:

„2. Umfang der Ausschreibung

Jeder neue oder freiwerdende Arbeits- und Ausbil-dungsplatz ist innerhalb des Betriebs auszuschreiben. Der Betriebsrat erhält eine Kopie der Stellenausschrei-bung.

Im Einvernehmen mit dem Betriebsrat kann von einer Stellenausschreibung abgesehen werden, wenn über die Besetzung der Stelle mit einer bestimmten Person zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat Einvernehmen erzielt worden ist.

Innerbetriebliche Ausschreibung von Arbeitsplätzen bei Einsatz von Leiharbeitnehmern

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2. gestellten Hauptantrag zu Recht entsprochen. Die Arbeitgeberin ist verpflichtet, auch solche Arbeitsplät-ze innerbetrieblich auszuschreiben, die sie nur vorü-bergehend mit Leiharbeitnehmern besetzen will. Der Hilfsantrag fällt dem Senat nicht zur Entscheidung an.

I. Der Hauptantrag des Betriebsrats ist zulässig.

1. (…)

2. Die Anträge bedürfen der Auslegung.

a) Gegenstand der in der Rechtsbeschwerde angefalle-nen Anträge des Betriebsrats ist nur der Inhalt der sich aus § 93 BetrVG ergebenden Ausschreibungspflicht. (…)

b) Nach dem Wortlaut des Hauptantrags zu 2. ist die-ser darauf gerichtet, die Ausschreibungspflicht von Ar-beitsplätzen festzustellen, die – unabhängig von der Dauer – mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sollen. Ein solches Antragsverständnis würde auch Beschäf-tigungsmöglichkeiten erfassen, die nur für einen Tag oder nur unwesentlich länger bestehen. In diesem Sinn

kann der Antrag jedoch nicht verstanden werden. Die Arbeitgeberin hat im Jahr 2010 Leiharbeitnehmer zwi-schen vier Wochen bis zu vier Monaten beschäftigt. Daneben hat sie in ihrem Betrieb zu Beginn des Jahres 2012 Leiharbeitnehmer für einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten eingesetzt. Nur um diese Einsatzzeiten geht letztlich der Streit der Beteiligten.

3. Der so verstandene Antrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. (…)

II. Der Hauptantrag ist begründet. Die Arbeitgeberin ist schon wegen des in Nr. 6.1 BV 2003 vereinbarten Vorrangs von innerbetrieblichen Stellenbewerbern nach § 93 BetrVG zur Ausschreibung von Arbeitsplät-zen verpflichtet, die sie mit Leiharbeitnehmern zu be-setzen beabsichtigt, deren Einsatzzeit voraussichtlich vier Wochen übersteigt.

1. Nach § 93 BetrVG kann der Betriebsrat verlangen, dass Arbeitsplätze, die besetzt werden sollen, allge-mein oder für bestimmte Tätigkeiten vor ihrer Beset-zung innerhalb des Betriebs ausgeschrieben werden. Die Vorschrift schreibt die Ausschreibung von Arbeits-plätzen nicht generell vor. Eine Verpflichtung hierzu besteht nur, wenn der Betriebsrat die Ausschreibung verlangt hat oder die Ausschreibung zwischen den

Betriebsparteien vereinbart ist. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts hat der Betriebsrat von der Ar-beitgeberin die innerbetriebliche Ausschreibung von Arbeitsplätzen verlangt. Dass sich dieses Ausschrei-bungsverlangen nur auf bestimmte Arten von Tätig-keiten bezogen hat, wird von der Arbeitgeberin nicht geltend gemacht.

2. Die Ausschreibungspflicht besteht auch für Arbeits-plätze, die mit Leiharbeitnehmern besetzt werden sol-len.

a) Nach der Senatsrechtsprechung besteht die Ver-pflichtung zur innerbetrieblichen Stellenausschrei-bung von Arbeitsplätzen auch dann, wenn der Arbeit-geber die in Betracht kommenden Arbeitsplätze mit Leiharbeitnehmern besetzen möchte. Zur Begründung hat der Senat auf den Wortlaut von § 93 BetrVG ver-wiesen, nach dem der Betriebsrat die innerbetriebliche Ausschreibung von sämtlichen Arbeitsplätzen verlan-gen kann, die der Arbeitgeber zu besetzen beabsich-tigt. Für eine solche Sichtweise sprechen zudem der

systematische Zusammenhang zwischen § 93 BetrVG und § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sowie der Normzweck der Vorschrift.

aa) Das Beteiligungsrecht des Betriebs-rats bei der Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG knüpft wie der in § 93 BetrVG verwandte Begriff an die Beset-zung eines „Arbeitsplatzes“ an. Nach § 99

Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG hat der Arbeitgeber die Zustimmung des Betriebsrats zu einer Einstellung ein-zuholen und dabei u.a. über den in Aussicht genomme-nen Arbeitsplatz zu unterrichten. Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu der Einstellung verweigern, wenn die nach § 93 BetrVG erforderliche Ausschreibung des Arbeitsplatzes im Betrieb unterblieben ist (§ 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG). Eine Einstellung iSv. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG liegt vor, wenn Personen in den Betrieb des Arbeitgebers eingegliedert werden, um zusam-men mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern des-sen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebun-dene Tätigkeit zu verwirklichen. Das Rechtsverhältnis, in dem diese Personen zum Betriebsinhaber stehen, ist dabei ohne Bedeutung. Zu den nach § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zustimmungspflichtigen Einstellungen gehört daher auch der Einsatz von Leiharbeitnehmern im Ent-leiherbetrieb. Das stellt § 14 Abs. 3 Satz 1 AÜG klar.

bb) Die Vorschrift des § 93 BetrVG soll es dem Betriebs-rat im Interesse der von ihm vertretenen Belegschaft ermöglichen, durch die Bekanntmachung der freien Beschäftigungsmöglichkeiten den innerbetrieblichen Arbeitsmarkt zu aktivieren. Die im Betrieb beschäftig-ten Arbeitnehmer sollen die Gelegenheit erhalten, sich auf die zu besetzenden Arbeitsplätze zu bewerben. Daneben soll das Stellenbesetzungsverfahren für die

Eine Verpflichtung zur innerbetrieblichen

Ausschreibung besteht nur, wenn der Betriebsrat

die Ausschreibung verlangt hat oder sie zwischen

den Betriebsparteien vereinbart ist.

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verfügbaren Arbeitsplätze durch die innerbetriebliche Stellenausschreibung transparent ausgestaltet wer-den.

b) Nach der Senatsrechtsprechung besteht die Aus-schreibungspflicht auch dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitsplatz mit einem Leiharbeitnehmer beset-zen will. Allein hierdurch wird der Arbeitsplatz dem in-nerbetrieblichen Stellenmarkt nicht entzogen.

Zur Begründung hat der Senat u.a. angeführt, dass die Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers bei der Besetzung von freien Arbeitsplätzen gegenüber be-stimmten besonders geschützten Arbeitnehmergrup-pen eingeschränkt ist. So gewährt § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX den im Betrieb beschäftigten schwerbe-

hinderten Arbeitnehmern und den ihnen Gleichge-stellten gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf eine Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwi-ckeln können. Kann der schwerbehinderte Arbeitneh-mer die bisher zugewiesenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, kann dieser unter den in § 81 Abs. 4 SGB IX genannten Vorausset-zungen eine anderweitige Beschäftigung und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungs-möglichkeit nicht erfasst, eine entsprechende Ver-tragsänderung verlangen und durchsetzen. Dies kann zu einem Vorrang des durch § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX geschützten Arbeitnehmers bei der Besetzung des einem Leiharbeitneh-mer zugedachten Arbeitsplatzes führen. Ebenso kann der Arbeitgeber aufgrund der Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) gehalten sein, Arbeitnehmern, die aus in ihrer Person liegenden Gründen nicht mehr imstande sind, die ihnen nach § 106 Satz 1 GewO zugewiesene Arbeits-leistung zu erbringen, innerhalb des arbeitsvertraglich vereinbarten Rahmens eine Tätigkeit zu übertragen, zu deren Erbringung sie noch in der Lage sind. Daher kann der Arbeitgeber auch insoweit verpflichtet sein, einen freien Arbeitsplatz mit einem bereits beschäf-tigten leistungsgeminderten Arbeitnehmer zu beset-zen, wenn ihm die Neubestimmung der auszuübenden Tätigkeit rechtlich möglich und zumutbar ist.

3. Danach ist die Arbeitgeberin verpflichtet, Arbeits-plätze auszuschreiben, die sie mit Leiharbeitnehmern

besetzen will, wenn deren Einsatzzeit zumindest vier Wochen betragen soll. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde besteht zu einer teleologischen Reduktion von § 93 BetrVG kein Anlass. Das Aus-schreibungsverlangen des Betriebsrats erweist sich auch nicht deshalb als unbegründet, weil mit Bewer-bungen von im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern auf die in Frage kommenden Arbeitsplätze offenkun-dig nicht zu rechnen ist. Der innerbetriebliche Stel-lenmarkt für die von der Ausschreibungspflicht er-fassten Arbeitsplätze im Produktionsbereich ist nicht verschlossen.

a) Der Senat kann aufgrund der fehlenden Feststel-lungen des Landesarbeitsgerichts und einer hierauf bezogenen tatrichterlichen Würdigung nicht beur-

teilen, ob Bewerbungen von schwerbe-hinderten oder leistungsgeminderten Arbeitnehmern auf Arbeitsplätze, auf denen die Arbeitgeberin den Einsatz von Leiharbeitnehmern beabsichtigt, aus-geschlossen sind. Das Landesarbeitsge-richt ist dem Vortrag der Arbeitgeberin nicht nachgegangen, wonach die mit Leiharbeitnehmern besetzten Stellen im

Produktionsbereich nicht für die Beschäftigung von schwerbehinderten oder leistungsgeminderten Ar-beitnehmern in Betracht kommen, weil die geringen Anforderungen an die Fähigkeiten und die niedrige Eingruppierung von vornherein dazu führen, dass mit innerbetrieblichen Bewerbungen nicht zu rechnen sei.

b) Einer hierauf gestützten Zurückverweisung bedarf es indes nicht. Der Normzweck von § 93 BetrVG wird durch eine innerbetriebliche Stellenausschreibung für die in Frage kommenden Arbeitsplätze nicht offenkun-dig verfehlt. Die Stellen sind dem innerbetrieblichen Stellenmarkt nicht entzogen. Die Arbeitgeberin muss

auch bei der Besetzung von Stellen in der Produktion, auf denen nur vorübergehend Leiharbeitnehmer ein-gesetzt werden sollen, aufgrund der BV 2003 Bewer-bungen ihrer Arbeitnehmer vorrangig berücksichtigen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass solche Bewerbungen für die zu besetzenden Stellen abgegeben werden. (…)

III. (…)

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Die Entscheidungsfreiheit des Arbeit-

gebers bei Besetzung freier Arbeitsplätze

ist gegenüber bestimmten schutzwürdigen

Arbeitnehmergruppen eingeschränkt.

Ein durch § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX

geschützter Arbeitnehmer kann Vorrang bei

der Besetzung des einem Leiharbeitnehmer

zugedachten Arbeitsplatzes haben.

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1. Der Betriebsrat hat keinen aus § 78 Satz 1 BetrVG folgenden Anspruch auf Entfernung einer Abmah-nung aus der Personalakte eines seiner Mitglieder. 2. Nach § 48 Abs. 1 ArbGG gelten u.a. für die Zuläs-sigkeit der Verfahrensart die §§ 17 bis 17b GVG – mit bestimmten Maßgaben – entsprechend. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zuläs-sigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Be-tracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. In entsprechender Geltung des § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG kommt damit den Gerichten für Arbeitssachen ggf. eine verfahrensüberschreitende Sachentscheidungs-kompetenz zu. Diese setzt voraus, dass Gegenstand des Verfahrens ein einheitlicher Streitgegenstand im Sinne eines einheitlichen prozessualen Anspruchs ist. Liegt eine Mehrheit prozessualer Ansprüche vor, ist für jeden dieser Ansprüche die Verfahrensart geson-dert zu prüfen. 3. Stützt ein Betriebsratsmitglied in einem Beschluss-verfahren einen Anspruch auf Entfernung einer Ab-mahnung aus seiner Personalakte auf § 78 Satz 1 und Satz 2 BetrVG, sind die Gerichte für Arbeitssachen nicht gehindert, den Anspruch auch unter dem recht-lichen Gesichtspunkt der §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beurteilen. (Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Beschluss v. 4.12.2013 – 7 ABR 7/12 –

Aus den Gründen

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbe-gründet. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsratsvor-sitzenden hat hinsichtlich des Antrags zu 3. Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist unbe-gründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats gegen den seine Hauptanträge zu 1. und zu 2. abweisenden arbeitsgerichtlichen Beschluss im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Anträge sind bereits unzulässig. Auch die Hilfsanträge zu 3. und zu 4. hat das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der mit einer zulässigen Antragserwei-terung in der Beschwerdeinstanz angebrachte Hilfs-antrag zu 3. ist zwar zulässig, aber unbegründet. Der Hilfsantrag zu 4. ist unzulässig.

1. Der Betriebsrat verfolgt sämtliche Anträge in der zutreffenden Verfahrensart des Beschlussverfahrens. Anders als das Arbeitsgericht – hinsichtlich der Anträge zu 1. und zu 2. – hat das Landesarbeitsgericht die Frage der Verfahrensart nicht problematisiert. Zu Recht hat es im Beschlussverfahren entschieden. Bei den vier er-hobenen Ansprüchen des Betriebsrats handelt es sich

um „Angelegenheiten aus dem Betriebsverfassungs-gesetz“ iSv. § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG, bei denen nach § 2a Abs. 2, § 80 Abs. 1 ArbGG das Beschlussverfah-ren stattfindet. Der Betriebsrat beruft sich auf seine Rechte als Träger der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung. Es geht ihm um Feststellungen der Rechts-beziehungen zwischen den Betriebsparteien und um betriebsverfassungsrechtliche (Leistungs-)Ansprüche. Eine betriebsverfassungsrechtliche Streitigkeit entfällt nicht schon deshalb, weil es in diesem Zusammenhang um eine dem Betriebsratsvorsitzenden als Arbeitneh-mer erteilte Abmahnung geht. Entscheidend ist, ob sich das Verfahren auf das betriebsverfassungsrecht-liche Verhältnis der Betriebspartner bezieht. Das ist hier der Fall. Ein Urteilsverfahren könnte der Betriebs-rat mangels Parteifähigkeit gar nicht betreiben. Nur im Beschlussverfahren ist er nach § 10 Satz 1 Halbs. 2 ArbGG beteiligtenfähig.

2. Die (Haupt-)Anträge zu 1. und zu 2. sind unzulässig.

a) Allerdings fehlt es dem Betriebsrat für diese Anträge nicht an der erforderlichen Antragsbefugnis iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG.

aa) Im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren ist ein Beteiligter antragsbefugt iSv. § 81 Abs. 1 ArbGG, wenn er eigene Rechte geltend macht. Ebenso wie die Pro-zessführungsbefugnis im Urteilsverfahren dient die Antragsbefugnis im Beschlussverfahren dazu, Popu-larklagen auszuschließen. Im Beschlussverfahren ist die Antragsbefugnis gegeben, wenn der Antragsteller durch die begehrte Entscheidung in seiner kollektiv-rechtlichen Rechtsposition betroffen sein kann. Das ist regelmäßig der Fall, wenn er eigene Rechte geltend macht und dies nicht von vornherein als aussichtslos erscheint.

bb) Danach ist der Betriebsrat für die Hauptanträge antragsbefugt. Er stützt beide Feststellungsbegehren auf eine (behauptete) Störung und Behinderung seiner Arbeit. Nach seinem Vorbringen in der Antragsbegrün-dung nimmt er Bezug auf die Schutzbestimmung des § 78 Satz 1 BetrVG, der er – jedenfalls auch – eine gre-mienschutzbezogene Intention beimisst. Damit macht er ein eigenes Recht geltend. Es erscheint nicht „auf der Hand liegend“ ausgeschlossen, die begehrten Fest-stellungen auf § 78 Satz 1 BetrVG zu stützen.

b) Der Feststellungsantrag zu 1. ist aber unzulässig, weil er nicht die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO erfüllt.

(…) bb) Die begehrte Feststellung, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 unwirksam ist, betrifft kein fest-

Abmahnung eines Betriebsratsmitglieds/Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus Personalakte

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stellungsfähiges Rechtsverhältnis. Der Antrag ist auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer Erklärung gerichtet. Der Sache nach erstrebt der Betriebsrat mit ihm die rechtliche Begutachtung einer Vorfrage für ei-nen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte.

c) Der Feststellungsantrag zu 2. ist unzulässig, weil er bereits nicht hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist. Zudem liegt auch ihm kein Rechtsverhält-nis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO zugrunde.

aa) Nach der im Beschlussverfahren entsprechend an-wendbaren Vorschrift des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Antragsschrift die bestimmte Angabe des Gegen-stands und des Grundes des erhobenen Anspruchs so-wie einen bestimmten Antrag enthalten. Das ist erfor-derlich, um zu klären, worüber das Gericht entscheidet und wie der objektive Umfang der Rechtskraft einer Sachentscheidung iSv. § 322 Abs. 1 ZPO ist.

bb) Diesem Erfordernis wird der Antrag zu 2. nicht ge-recht. Würde ihm stattgegeben, bliebe unklar, worin genau die „Behinderung“ und „Störung“ der Arbeit des Betriebsrats und seines Vorsitzenden durch die Ab-mahnung vom 13. Januar 2010 liegt.

cc) Außerdem betrifft der Antrag zu 2. kein Rechts-verhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO. Er zielt auf die Fest-stellung, dass eine bestimmte Maßnahme der Arbeit-geberin eine Behinderung und Störung der Arbeit des Betriebsrats und seines Vorsitzenden ist. Damit um-fasst er die Dokumentation einer Tatsache und deren rechtliche Bewertung, die allenfalls mögliche Vorfra-

gen oder Elemente von Leistungs- und Unterlassungs-ansprüchen sein können. Es ist aber nicht Aufgabe der Feststellungsklage oder des Feststellungsantrags, Vor-fragen etwa für eine künftige Leistungs- oder Unter-lassungsklage zu klären.

3. Der damit zur Entscheidung anfallende Hilfsantrag zu 3. ist zulässig, aber unbegründet.

a) Der Betriebsrat hat diesen – echten – Eventualan-trag erstmals in der Beschwerdeinstanz angebracht. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt darin keine unzulässige Antragserweiterung.

b) Der Zulässigkeit der Antragserweiterung in der Be-schwerdeinstanz steht nicht entgegen, dass die Arbeit-

geberin in ihrer Rechtsbeschwerdeerwiderung eine entsprechende Beschlussfassung des Betriebsrats in Frage gestellt hat. (…)

(…) d) Der Antrag ist unbegründet. Entgegen der An-sicht des Betriebsrats kann der geltend gemachte An-spruch nicht auf § 78 Satz 1 BetrVG gestützt werden.

aa) Zu Gunsten des Betriebsrats kann unterstellt wer-den, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 sei-nem Vorsitzenden zu Unrecht erteilt worden ist und der Betriebsrat – und sein Vorsitzender – damit in der Ausübung ihrer Tätigkeit entgegen § 78 Satz 1 BetrVG gestört oder behindert worden sind. Jedenfalls trägt § 78 Satz 1 BetrVG die vom Betriebsrat erstrebte Rechtsfolge nicht.

(1) Allerdings ist der Betriebsrat vom Schutz des § 78 Satz 1 BetrVG erfasst. Zwar dürfen nach dem Wortlaut von § 78 Satz 1 BetrVG die „Mitglieder“ u.a. des Be-triebsrats in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. § 78 Satz 1 BetrVG schützt aber (auch) den Betriebsrat als Gremium. Die Norm be-zweckt einen Schutz der Tätigkeit der Betriebsverfas-sungsorgane und ihrer Mitglieder. Dies folgt deutlich aus der Gesetzesbegründung, wonach der Schutzbe-reich des § 78 BetrVG gegenüber dem der Vorgänger-regelung des § 53 BetrVG 1952 – in der der Betriebsrat genannt war – erweitert und nicht beschränkt werden sollte. In der Gesetzesbegründung heißt es (BT-Drucks. VI/1786 S. 47):

„Die Schutzbestimmung des § 78 entspricht im we-sentlichen § 53 des geltenden Rechts. Sie dehnt jedoch

ihren Geltungsbereich auf die Mitglieder aller nach dem Betriebsverfassungsge-setz möglichen Institutionen aus, da in-soweit eine gleiche Schutzbedürftigkeit besteht.“

Dass der Betriebsrat als Gremium ge-schützt wird, zeigt außerdem ein syste-matischer Vergleich mit § 119 Abs. 1 Nr. 2

BetrVG, nach dem die Behinderung und Störung der Tätigkeit u.a. „des Betriebsrats“ strafbewehrt ist.

(2) Auch ist der Begriff der Behinderung in § 78 Satz 1 BetrVG umfassend zu verstehen. Er erfasst jede unzu-lässige Erschwerung, Störung oder gar Verhinderung der Betriebsratsarbeit. Ein Verschulden oder eine Be-hinderungsabsicht des Störers ist nicht erforderlich.

bb) Es muss aber letztlich nicht entschieden werden, ob eine Behinderung der Betriebsratsarbeit in dem Um-stand liegen kann, dass der Arbeitgeber ein Betriebs-ratsmitglied unzulässig abmahnt. Jedenfalls folgt aus § 78 Satz 1 BetrVG kein Anspruch des Betriebsrats auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ei-nes seiner Mitglieder.

Nicht nur die einzelnen Betriebsrats-

mitglieder, sondern auch der Betriebsrat

als Gremium wird von der Schutz-

bestimmung des § 78 BetrVG erfasst.

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4. Der Hilfsantrag zu 4., mit dem der Betriebsrat die Verpflichtung der Arbeitgeberin zu einem näher be-zeichneten Unterlassen begehrt, ist unzulässig. (…)

a) Ein Unterlassungsantrag muss – bereits aus rechts-staatlichen Gründen – eindeutig erkennen lassen, was vom Schuldner verlangt wird. Nur wenn die danach gebotenen Verhaltensweisen hinreichend erkenn-bar sind, kann eine der materiellen Rechtskraft zu-gängliche Sachentscheidung ergehen. Eine Entschei-dung, die eine Unterlassungspflicht ausspricht, muss grundsätzlich zur Zwangsvollstreckung geeignet sein. Die Prüfung, welche Verhaltensweisen der Schuldner unterlassen soll, darf nicht durch eine ungenaue An-tragsformulierung und einen dem entsprechenden gerichtlichen Titel aus dem Erkenntnis- in das Zwangs-vollstreckungsverfahren verlagert werden. Genügt ein Antrag – ggf. nach einer vom Gericht vorzunehmen-den Auslegung – diesen Anforderungen nicht, ist er als unzulässig abzuweisen.

b) Danach ist der Hilfsantrag zu 4. nicht hinreichend bestimmt. (…) Die Formulierung „Handlungen …, die als Betätigung des Betriebsratsmandats anzusehen sind“ ist vage und interpretationsbedürftig. Sie lässt man-

gels näherer Beschreibung nicht annä-hernd erkennen, um welche Sachverhal-te es dem Betriebsrat geht. (…)

II. Die Rechtsbeschwerde des Betriebs-ratsvorsitzenden ist teilweise unbegrün-det. Hinsichtlich der Anträge zu 1., 2. und 4. hat das Landesarbeitsgericht die Be-schwerde im Ergebnis zu Recht zurück-

gewiesen. Bezogen auf den Antrag zu 3. ist die Rechts-beschwerde begründet. Der Betriebsratsvorsitzende hat einen – im Beschlussverfahren zu prüfenden – An-spruch auf Entfernung der Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte.

1. Der Betriebsratsvorsitzende verfolgt seine Anträge in der zulässigen Verfahrensart des Beschlussverfah-rens.

(…) 3. Hingegen ist der zulässige Antrag zu 3. begrün-det. Das hat das Landesarbeitsgericht verkannt.

a) Der Antrag ist zulässig. (…)

b) Der Antrag ist begründet. Es braucht nicht entschie-den zu werden, ob der Betriebsratsvorsitzende nach § 78 Satz 1 und Satz 2 BetrVG von der Arbeitgeberin verlangen kann, die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte zu entfernen. Der streitbe-fangene Anspruch folgt jedenfalls aus einer entspre-chenden Anwendung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Eine Prüfung dieses – individualrechtlichen – An-spruchs kann (auch) im vorliegenden Beschlussverfah-ren erfolgen. Nach § 48 Abs. 1 ArbGG iVm. § 17 Abs. 2

(1) Eine Rechtsfolge ist in § 78 Satz 1 BetrVG nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts steht dem Betriebsrat bei einer Störung oder Behinderung seiner Arbeit durch den Ar-beitgeber ein Unterlassungsanspruch zu. Ein solcher Anspruch folgt aus dem Zweck der Vorschrift, die Er-füllung von Betriebsratsaufgaben zu sichern. Auch kann im Einzelfall etwa eine Zutrittsverweigerung durch die Arbeitgeberin eine unzulässige Behinderung der Amtstätigkeit des Betriebsrats darstellen und ei-nen Anspruch des Betriebsrats nach § 78 Satz 1 BetrVG auf Duldung des Zutritts begründen. Im Schrifttum wird ebenso ganz überwiegend angenommen, dass aus § 78 BetrVG Handlungs-, Duldungs- und Unterlas-sungsansprüche des Betriebsrats und seiner Mitglie-der folgen können.

(2) Der Betriebsrat hat jedoch keinen aus § 78 Satz 1 Be-trVG folgenden Anspruch auf Entfernung einer Abmah-nung aus der Personalakte eines Betriebsratsmitglieds. Hierbei handelt es sich um ein höchstpersönliches Recht des betroffenen Betriebsratsmitglieds. Personal-akten – auch von Betriebsratsmitgliedern – sind eine Sammlung von Urkunden und Vorgängen, die die per-sönlichen und dienstlichen Verhältnisse eines Mitarbei-

ters betreffen und in einem inneren Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Entsprechend kann der Betriebsrat – wie sich mittelbar aus § 83 BetrVG ergibt – nicht die Vorlage der gesamten Personalakte verlangen. Würde man dem Betriebsrat ein eigenstän-diges Recht auf „Bereinigung“ der Personalakte zuer-kennen, tangierte dies das durch Art. 1 und Art. 2 GG gewährleistete allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Betriebsratsmitglieds. Das allgemeine Per-sönlichkeitsrecht dient in erster Linie dem Schutz ideel-ler Interessen, insbesondere dem Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs der Persönlichkeit. Insoweit ste-hen dem Träger des Persönlichkeitsrechts Ansprüche zu und nicht einem dritten Gremium. Dem Betriebsrat kommt kein – im Wege der Rechtsfortbildung anzuneh-mendes – kollektivrechtlich begründetes Recht zu, hin-ter dem die Individualrechte der Betriebsratsmitglie-der zurückzutreten hätten. Es besteht schließlich kein unabweisbares Bedürfnis für eine richterliche Rechts-fortbildung zur Begründung eines Abmahnungsentfer-nungsanspruchs des Betriebsrats. Der Betriebsrat ist im Fall einer Störung oder Behinderung seiner Tätigkeit verfahrensrechtlich nicht rechtlos gestellt. Er kann dem mit Unterlassungsbegehren – ggf. auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – begegnen.

Einer Störung oder Behinderung

der Betriebsratstätigkeit kann der Betriebsrat

mit einem Unterlassungsantrag – ggf. auch im

Wege einstweiligen Rechtsschutzes – begegnen.

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ZBVR online 5/2014 | Seite 14 von 34

fenen – rechtlichen Wertungen des Verhaltens des Betriebsratsvorsitzenden während des Gesprächs mit der Arbeitnehmerin L am 9. Dezember 2009. Im Text der Abmahnung sind keine konkreten Tatsachen – zum konkreten Gesprächsverlauf oder zu getätigten Äuße-rungen – angegeben. Für den abgemahnten Betriebs-ratsvorsitzenden ist damit nicht ersichtlich, auf welche Tatsachen und welchen Sachverhalt die Arbeitgeberin ihre formulierten Vorwürfe stützt, er habe „in unzu-lässiger Weise versucht, Frau L zu veranlassen, ihre Beobachtungen zu dem Vorfall am 02.12.2009 – B/… – zugunsten des Herrn B zu korrigieren“ und es bestehe „der dringende Verdacht“, er habe „aus strafrechtlicher Sicht in unzulässiger Weise versucht …, Druck auf Frau L auszuüben, um diese zu veranlassen, ihre tatsächli-chen Wahrnehmungen anders darzustellen, als wie sie sie wahrgenommen hat“. Bei einer derartigen „Ab-mahnung“ ist es dem Abgemahnten gar nicht möglich, sein Verhalten einzurichten und zu erkennen, bei wel-chen Handlungen er im Wiederholungsfall mit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen muss.

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Satz 1 GVG ist die Sache in der zulässigen Verfahrens-art des Beschlussverfahrens unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entschei-den.

aa) Arbeitnehmer können in entsprechender Anwen-dung von §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB die Entfer-nung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, und auch dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht.

bb) Danach kann der Betriebsratsvorsitzende als Ar-beitnehmer verlangen, dass die Abmahnung vom 13. Januar 2010 aus seiner Personalakte entfernt wird. Die Abmahnung ist bereits inhaltlich unbestimmt. Sie erschöpft sich in – von der Arbeitgeberin getrof-

Berichtigung eines Einigungsstellenspruchs 1. Ein den Betriebsparteien in Form einer pdf-Datei übermittelter Einigungsstellenspruch genügt den Anforderungen des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG auch dann nicht, wenn sich die Unterschrift des Einigungs-stellenvorsitzenden darin in eingescannter Form be-findet. 2. Der Einigungsstellenvorsitzende kann einen den Betriebsparteien zugeleiteten Einigungsstellenspruch nicht durch eine inhaltlich von ihm veränderte Spruch-fassung ersetzen. Dabei kann offenbleiben, ob der für die Berichtigung von Schiedssprüchen in schieds-richterlichen Verfahren geltende § 1058 ZPO analog angewendet werden kann. Auch wenn man hiervon ausginge, wäre der Vorsitzende der Einigungsstel-le nicht allein befugt, einen zugeleiteten Spruch zu berichtigen, da nach § 1058 Abs. 3 ZPO über einen Berichtigungsantrag das Schiedsgericht entscheidet. Bei einer entsprechenden Anwendung des § 1058 ZPO müsste daher über den Berichtigungsantrag die Einigungsstelle und nicht deren Vorsitzender alleine befinden. 3. Entsprechendes gilt für die analoge Anwendung des § 319 ZPO. Dem steht nicht entgegen, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster und zweiter In-stanz die Urteilsberichtigung durch den Vorsitzenden allein erfolgt. Dies beruht auf der besonderen Verfah-rensvorschrift des § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, die nach § 64 Abs. 7 ArbGG auch im Berufungsverfahren gilt. Die Rechtsstellung des Kammervorsitzenden und der

ehrenamtlichen Richter einerseits und die des Vorsit-zenden einer Einigungsstelle und deren Beisitzer an-dererseits sind jedoch nicht vergleichbar.(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Beschluss v. 10.12.2013 – 1 ABR 45/12 –

Zum Sachverhalt

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines Einigungsstellenspruchs.

Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Maschi-nen- und Industrieanlagenbaus. Aus Anlass einer Be-triebsänderung beschloss eine bei ihr gebildete Ei-nigungsstelle am 30. Mai 2011 einen Sozialplan. Der Einigungsstellenvorsitzende leitete den von ihm un-terzeichneten Spruch der Arbeitgeberin mit dem Pro-tokoll der letzten Einigungsstellensitzung am 2. Juni 2011 als pdf-Datei im Anhang einer E-Mail zu.

Am 28. Juni 2011 rügte der Verfahrensbevollmächtigte des Betriebsrats gegenüber dem Einigungsstellenvor-sitzenden einen Fehler in der Niederschrift des zugelei-teten Spruchs. Die Einigungsstelle habe als Entgeltaus-gleich für eine Vergütungsdifferenz in einem neuen Arbeitsverhältnis nicht – wie in der Niederschrift ent-halten – den 12-fachen, sondern den 15-fachen mo-natlichen Unterschiedsbetrag beschlossen.

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ZBVR online 5/2014 | Seite 15 von 34

Nach einem umfangreichen Schriftwechsel, in dem die Arbeitgeberin eine derartige Beschlussfassung bestrit-ten hatte, änderte der Einigungsstellenvorsitzende am 21. August 2011 die Niederschrift des Einigungsstel-lenbeschlusses vom 30. Mai 2011 ab und leitete einen von ihm im Original unterzeichneten „berichtigten“ Einigungsstellenspruch, der die vom Betriebsrat gefor-derte Änderung enthielt, der Arbeitgeberin zu.

Diese hat die Auffassung vertreten, der Einigungsstel-lenvorsitzende habe den Spruch vom 30. Mai 2011 nach Zustellung an die Betriebsparteien nicht mehr ändern können.

Die Arbeitgeberin hat zuletzt beantragt festzustellen, dass der korrigierte Einigungsstellenspruch vom 21. August 2011 unwirksam ist. (…)

Aus den Gründen

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der „berich-tigte Spruch der Einigungsstelle“ vom 21. August 2011 ist unwirksam.

I. Das Einigungsstellenverfahren war mit der Zuleitung des Spruchs vom 30. Mai 2011 abgeschlossen.

1. Nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG sind die Beschlüsse der Einigungsstelle schriftlich niederzulegen, vom Vor-sitzenden zu unterschreiben und Arbeitgeber und Be-triebsrat zuzuleiten.

a) Das gesetzliche Formerfordernis des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG dient in erster Linie der Rechtssicherheit. Die Unterschrift des Vorsitzenden beurkundet und do-kumentiert den Willen der Einigungsstellenmitglie-

der. Für die Betriebsparteien und für die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer wird damit rechtssicher bestätigt, dass das vom Vorsitzenden unterzeichnete Schriftstück das von der Einigungsstelle beschlossene Regelwerk enthält. Die Beurkundung und Dokumenta-tion ist erforderlich, weil der Einigungsstellenspruch die fehlende Einigung zwischen Arbeitgeber und Be-triebsrat ersetzt und ihm erst dann die gleiche nor-mative Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) zukommt wie einer von den Betriebsparteien geschlossenen Be-triebsvereinbarung. Die Einhaltung der gesetzlichen Schriftform ist daher Wirksamkeitsvoraussetzung ei-nes Einigungsstellenspruchs. Fehlt es hieran, ist der von der Einigungsstelle zuvor beschlossene Spruch wirkungslos.

b) Die Unterzeichnung des Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden kann nach dem Rechtsgedan-ken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form (§ 126a BGB) und auch nicht durch die Textform (§ 126b BGB) ersetzt werden. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG ist eine auf dem Normcharakter des Einigungsstellen-spruchs beruhende Sonderregelung. Ein in Form einer pdf-Datei übermittelter Einigungsstellenspruch ge-nügt diesen Anforderungen deshalb auch dann nicht, wenn sich die Unterschrift des Einigungsstellenvorsit-zenden darin in eingescannter Form befindet.

c) Maßgeblich für die Beurteilung der Formwirksam-keit ist der Zeitpunkt, in dem der Einigungsstellen-vorsitzende den Betriebsparteien den Spruch mit der Absicht der Zuleitung iSd. § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermittelt. Mit dem Zugang des mit Zuleitungswillen den Betriebsparteien übermittelten Einigungsstellen-spruchs ist das Einigungsstellenverfahren grundsätz-lich abgeschlossen. Nur bei einer durch das Arbeitsge-richt festgestellten Unwirksamkeit des Spruchs ist das Einigungsstellenverfahren fortzusetzen.

2. Nach diesen Grundsätzen war das Einigungsstellen-verfahren mit der Zuleitung des formunwirksamen Spruchs vom 30. Mai 2011 durch E-Mail des Vorsitzen-den vom 2. Juni 2011 zunächst abgeschlossen. Hier-in heißt es, er übersende in der Anlage das Protokoll der Einigungsstellensitzung und leite gleichzeitig den Spruch der Einigungsstelle zu. Abschließend bedankte sich der Vorsitzende für die „in der Sache teilweise har-te aber dennoch immer sachliche und inhaltlich fun-dierte Verhandlung“. Dies macht hinreichend deutlich, dass aus Sicht des Vorsitzenden das Einigungsstellen-verfahren abgeschlossen war und er den Beteiligten den Spruch der Einigungsstelle mit dem Willen der

Zuleitung nach § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG übermitteln wollte. Dies wird von den Verfahrensbeteiligten auch nicht in Fra-ge gestellt.

II. Der Vorsitzende der Einigungsstelle konnte die Formunwirksamkeit des Ei-nigungsstellenspruchs nicht durch eine

§ 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG entsprechende Zuleitung der von ihm inhaltlich korrigierten Spruchfassung vom 21. August 2011 beseitigen.

1. Eine nachträgliche, rückwirkende Heilung der Ver-letzung der Formvorschriften des § 76 Abs. 3 Satz 4 BetrVG ist nicht möglich. Dagegen spricht bereits die unmittelbare und zwingende Wirkung des Einigungs-stellenspruchs, der vom Arbeitgeber ungeachtet einer Anfechtung durchzuführen ist und damit sowohl das betriebsverfassungsrechtliche Rechtsverhältnis der Betriebsparteien gestaltet als auch Rechte und Pflich-ten der normunterworfenen Arbeitnehmer unmit-telbar bestimmt. Diese normative Wirkung erfordert aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit

Ein Einigungsstellenspruch, der nicht die

gesetzliche Schriftform erfüllt, ist wirkungslos,

eine nachträgliche Heilung nicht möglich.

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ZBVR online 5/2014 | Seite 16 von 34

grundsätzlich einen von Anfang an formwirksamen Beschluss der Einigungsstelle.

2. Der Einigungsstellenvorsitzende konnte den for-munwirksam zugeleiteten Einigungsstellenspruch vom 30. Mai 2011 auch nicht durch eine inhaltlich von ihm veränderte Spruchfassung ersetzen. Dabei kann offenbleiben, ob der für die Berichtigung von Schieds-sprüchen in schiedsrichterlichen Verfahren geltende § 1058 ZPO analog angewendet werden kann. Auch wenn man hiervon ausginge, wäre der Vorsitzende der Einigungsstelle nicht allein befugt, einen zugeleiteten Spruch zu berichtigen, da nach § 1058 Abs. 3 ZPO über einen Berichtigungsantrag das Schiedsgericht ent-scheidet. Bei einer entsprechenden Anwendung des § 1058 ZPO hätte daher über den Berichtigungsan-trag die Einigungsstelle und nicht deren Vorsitzender alleine entscheiden müssen. Entsprechendes gilt für die von der Rechtsbeschwerde geforderte analoge An-wendung des § 319 ZPO. Auch hier entscheidet nicht

der Vorsitzende allein, sondern derselbe Spruchkör-per, der das Urteil gefällt hat. Dem steht nicht entge-gen, dass im arbeitsgerichtlichen Verfahren erster und zweiter Instanz die Urteilsberichtigung durch den Vor-sitzenden allein erfolgt. Dies beruht auf der besonde-ren Verfahrensvorschrift des § 53 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, die nach § 64 Abs. 7 ArbGG auch im Berufungsverfah-ren gilt. Die Rechtsstellung des Kammervorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter einerseits und die des Vorsitzenden einer Einigungsstelle und deren Beisitzer andererseits sind jedoch nicht vergleichbar. Im Übri-gen wäre auch bei einer entsprechenden Anwendung des § 319 ZPO die erfolgte Berichtigung des Beschlus-ses vom 30. Mai 2011 nicht zulässig gewesen, da der zugeleitete Beschluss nicht offenkundig unrichtig war. Weder aus dem Spruch noch aus dem Protokoll der Ei-nigungsstellensitzung ergibt sich die vom Vorsitzen-den behauptete Unrichtigkeit.

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Zuständigkeit der Einigungsstelle für betriebliche Regelung zur Wärmeentlastung1. Im Verfahren nach § 98 ArbGG muss der Regelungs-gegenstand der Einigungsstelle im Antrag hinrei-chend bestimmt bezeichnet sein, anderenfalls ist der Antrag wegen Verstoßes gegen § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig.2. Der Antrag ist nach allgemeinen Grundsätzen der Auslegung zugänglich.3. Bei § 3 a ArbStättVO handelt es sich um eine hinrei-chend konkrete Rahmenvorschrift, bei deren Ausfül-lung dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG zusteht. Daher ist eine Eini-gungsstelle, die eine konkrete betriebliche Regelung zur Wärmeentlastung finden soll, nicht offensichtlich unzuständig.LAG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 1.10.2013 – 1 TaBV 33/13 –

Zum Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Einsetzung einer Eini-gungsstelle. Antragsteller ist der für den Betrieb der An-tragsgegnerin (Arbeitsgeberin) gebildete Betriebsrat. Dieser legte im Juni 2012 den Entwurf einer Betriebs-vereinbarung „Wärmebelastung“ vor. Ausweislich § 1 des Entwurfs ist Ziel dieser Betriebsvereinbarung, der Erhöhung der Raumtemperaturen, insbesondere wäh-rend der Sommerzeit, in den Arbeitsräumen durch ge-eignete Maßnahmen zu begegnen. Auf einer Sitzung des Arbeitssicherheitsausschusses der Arbeitgeberin am 25.07.2012 stellte die Fachkraft für Arbeitssicher-

heit ausweislich des Protokolls fest, dass die von der Ar-beitgeberin bislang abgeleiteten und ergriffenen Maß-nahmen dem Richtlinienkatalog aus der Technischen Regel für Arbeitsstätten Raumtemperatur (ASR A 3.5) erfüllten. Mit Schreiben vom 30.07.2012 teilte die Ar-beitgeberin mit, sie lehne die Unterzeichnung der vor-geschlagenen Betriebsvereinbarung ab. Mit Schreiben vom 11.04.2013 teilte die Arbeitgeberin dem Betriebs-rat mit, sie beabsichtige weiterhin nicht, mit dem Be-triebsrat in Verhandlungen über eine Betriebsverein-barung zum Thema Wärmeentlastung zu treten, da die bereits ergriffenen Maßnahmen im Sinne der ASR A 3.5 gut und ausreichend seien. Am 22.04.2013 rief darauf der Betriebsrat die Einigungsstelle an. Der Ar-beitgeber lehnte die Bildung einer Einigungsstelle mit Schreiben vom 29.04.2013 ab. Nach der ASR A 3.5 sind bei Überschreitung von Temperaturen von 26 °C, 30 °C und 35 °C jeweils Maßnahmen zur Wärmeentlastung vorzusehen. Bei einer in den Arbeitsräumen der Arbeit-geberin im Juni 2013 vorgenommenen Temperatur-messung ergaben sich an mehreren Tagen an verschie-denen Messpunkten Temperaturen von über 30 °C. Auf die entsprechende Aufstellung wird Bezug genommen.

Der Betriebsrat ist der Auffassung, es sei eine Eini-gungsstelle zum Thema Maßnahmen zur Wärmeent-lastung einzurichten. Er hat vorgetragen, sein entspre-chendes Mitbestimmungsrecht folge aus § 87 Abs. 1 Ziff. 7 BetrVG. Vorliegend sei der Arbeitgeber nach § 3 a ArbStättVO verpflichtet dafür zu sorgen, dass Ar-

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ZBVR online 5/2014 | Seite 17 von 34

beitsstätten so eingerichtet und betrieben würden, dass von ihnen keine Gefährdungen für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten ausgingen. Diese Vorschrift werde in Ziff. 3.5 des Anhangs zur Arbeits-stättenverordnung (ASR A 3.5) konkretisiert. Dabei sei-en dem Arbeitgeber Handlungsspielräume eröffnet, die ihrerseits dem Mitbestimmungsrecht des Betriebs-rats unterlägen. Insoweit stehe ihm auch ein Initiativ-recht zu.

Die Arbeitgeberin lehnt die Einsetzung einer Eini-gungsstelle ab. (…)

Das Arbeitsgericht hat die Anträge auf Einsetzung ei-ner Einigungsstelle zurückgewiesen. (…) Gegen diesen dem Betriebsrat am 26.06.2013 zugestellten Beschluss hat dieser am 02.07.2013 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet. Er wiederholt zunächst sein Vorbringen aus der ersten Instanz. Gemäß § 3 a Arb- StättVO i.V.m. Ziff. 3.5 des Anhangs sei der Arbeitgeber verpflichtet in Arbeitsräumen während der Arbeits-zeit für eine gesundheitlich zuträgliche Raumtempe-ratur zu sorgen. Er sei verpflichtet Maßnahmen zur Wärmeentlastung zu ergreifen, sofern die in der ASR A 3.5 genannten Temperaturstufen von 26 °C, 30 °C und 35 °C überschritten seien. Hierbei handele es sich um die vom Arbeitsgericht in seiner Entscheidung ver-missten ausfüllungsbedürftigen Rahmenregelungen. Die angestrebten Regelungen zur Wärmeentlastung sollten sich auf sämtliche Bereiche im Betrieb erstre-cken, in denen die Temperaturstufen 26 °C, 30 °C und 35 °C überschritten würden. Es gehe darum, dass die Arbeitgeberseite nunmehr ihren gesetzlichen Ver-pflichtungen zur Ergreifung effektiver Maßnahmen zur Wärmeentlastung nachkomme. Dass aktuell Hand-lungsbedarf bestehe, ergebe sich aus den vorgelegten Messergebnissen für Juni 2013.

(…)

Aus den Gründen

II. Die gemäß § 98 Abs. 2 Satz 1 ArbGG statthafte und innerhalb der Fristen des § 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG formgerecht eingelegte und begründete und damit zulässige Beschwerde des Betriebsrats ist begründet. Der nach Auslegung des Antragsbegehrens und dessen Konkretisierung zulässige Antrag des Betriebsrats auf Einsetzung einer Einigungsstelle ist begründet.

1. Der Antrag des Betriebsrats ist jedenfalls nach ent-sprechender Auslegung hinreichend bestimmt im Sin-ne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und damit zulässig.

a) Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist Voraussetzung ei-ner zulässigen Klage die Angabe von Grund und Gegen-stand des Anspruchs sowie eines bestimmten Antrags. Diese Norm gilt im Beschlussverfahren gleichermaßen wie im Urteilsverfahren. Sie gilt auch für einen Antrag

auf Bestellung einer Einigungsstelle gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2, Satz 3 BetrVG i.V.m. § 98 ArbGG als Gestal-tungsantrag. Im Verfahren nach § 98 ArbGG wird nicht nur die Person des Vorsitzenden und erforderlichen-falls die Zahl der Beisitzer festgelegt, sondern auch der Kompetenzrahmen der Einigungsstelle bestimmt. Die gerichtliche Vorgabe des Regelungsgegenstands aus dem Bestellungsverfahren kann nicht durch eine strei-tige Entscheidung der Einigungsstelle, sondern nur von beiden Betriebspartnern einvernehmlich abgeändert werden. Dementsprechend muss der Antragsteller im Bestellungsverfahren zwar nicht den Inhalt der von ihm angestrebten Regelung darlegen, wohl aber hin-reichend konkret angeben, über welchen Gegenstand in der Einigungsstelle verhandelt werden soll.

b) Ein derartiger hinreichend konkreter Regelungsge-genstand lässt sich jedenfalls durch Auslegung dem Begehren des Betriebsrats entnehmen. Ihm geht es (…) darum, Regelungen zur Wärmeentlastung für sämtli-che Bereiche im Betrieb zu treffen, in denen die Tem-peraturstufen 26 °C, 30 °C und 35 °C überschritten werden. Damit nimmt der Betriebsrat Bezug auf Ziff. 4.2 Abs. 3 sowie insbesondere 4.4 Abs. 1 und Abs. 3 der ASR A 3.5. Sein Begehren ist darüber hinaus beschränkt auf die Arbeitsräume, wie sich der vom Betriebsrat vor-gelegten Anlage 1 zur Betriebsvereinbarung Wärme-entlastung entnehmen lässt. Dort sind ausschließlich Arbeitsräume, nicht aber Sozial-, Pausen- und sonstige in § 4.2 Abs. 4 ASR A 3.5 genannte Räume erwähnt.

Damit stehen der räumliche Geltungsbereich der durch die Einigungsstelle zu findenden Regelung und deren Gegenstand ausreichend bestimmt fest. Ent-sprechend klarstellend ist der Regelungsgegenstand im Einigungsstellenverfahren im Tenor dieser Ent-scheidung eingegrenzt worden. Inhaltlicher Vortrag zu den von ihm angestrebten Regelungen ist seitens des Antragstellers im Verfahren nach § 98 ArbGG nicht er-forderlich. Welche Maßnahmen bei welcher Hitzebe- lastung zu treffen sind, ist Gegenstand der von der Ei-nigungsstelle zu findenden Regelung.

2. Mit diesem Inhalt ist der Antrag auch begründet. Gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bestellt das Arbeits-gericht den Vorsitzenden der Einigungsstelle und ent-scheidet nach Satz 3 der Vorschrift auch, wenn kein Einverständnis über die Zahl der Beisitzer erzielt wird. Wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle kann ein Antrag nur zurückgewiesen werden, wenn die Einigungsstelle offensichtlich unzuständig ist, § 98 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.

a) Die Einigungsstelle ist für den Inhalt des im Tenor festgelegten Regelungsgegenstandes nicht offensicht-lich unzuständig.

aa) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat unter anderem mitzubestimmen bei Regelungen über

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ZBVR online 5/2014 | Seite 18 von 34

den Gesundheitsschutz im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Betriebsrat danach bei betrieblichen Regelun-gen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen, die der Arbeitgeber zwar aufgrund einer öffentlich recht-lichen Rahmenvorschrift zu treffen hat, bei deren Ge-staltung ihm aber Handlungsspielräume verbleiben. Mitzubestimmen hat der Betriebsrat bei der Ausfül-lung dieses Spielraums. Dadurch soll im Interesse der betroffenen Arbeitnehmer eine möglichst effiziente Umsetzung des gesetzlichen Arbeitsschutzes im Be-trieb erreicht werden. Das Mitbestimmungsrecht setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungs-pflicht objektiv besteht und wegen Feh-lens einer zwingenden Vorgabe betrieb-liche Regelungen verlangt, um das vom Gesetz vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Ob die Rahmenvorschrift dem Gesundheits-schutz mittelbar oder unmittelbar dient, ist unerheblich. Keine Rolle spielt auch, welchen Weg oder welche Mittel die dem Gesundheitsschutz dienende Rahmenvorschrift vorsieht. Als derartige Rahmenvorschrift zum Gesund-heitsschutz kommt hier § 3 a ArbStättVO (früher § 3) in Betracht. Nach § 3 a Abs. 1 ArbStättVO hat der Ar-beitgeber dafür zu sorgen, dass Arbeitsstätten so ein-gerichtet und betrieben werden, dass von ihnen keine Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten ausgehen. Dabei hat er den Stand der Technik und insbesondere die vom Bundesministe-rium für Arbeit und Soziales nach § 7 Abs. 4 ArbStätt-VO bekannt gemachten Regeln und Erkenntnisse zu berücksichtigen. Bei Einhaltung der gerade genannten Regeln und Erkenntnisse ist nach Satz 3 der Vorschrift davon auszugehen, dass die in der Verordnung gestell-ten Anforderungen diesbezüglich erfüllt sind. Bei § 3 a ArbStättVO handelt es sich um eine Rahmenvorschrift. Sie schreibt dem Arbeitgeber keine konkreten Maß-nahmen vor, auch nicht über den Hinweis auf die im

Anhang veröffentlichten Regeln. Um eine solche tech-nische Regel für Arbeitsstätten handelt es sich bei der ASR A 3.5. Diese gibt aber ebenfalls dem Arbeitgeber keine konkreten Vorgaben, welche Maßnahmen er er-greift, sondern schreibt nur vor, dass bei Überschreiten bestimmter Raumtemperaturen Maßnahmen ergrif-fen werden müssen. So heißt es in § 4.4 Abs. 1 ASR A 3.5 ausdrücklich: „Wenn die Außenlufttemperatur über 26 °C beträgt und unter der Voraussetzung, dass ge-

eignete Sonnenschutzmaßnahmen nach 4.3 verwen-det werden, sollen beim Überschreiten einer Lufttem-peratur im Raum von + 26 °C zusätzliche Maßnahmen, z.B. nach Tabelle 4, ergriffen werden.“ Aus dieser For-mulierung zeigt sich ganz deutlich, dass in der ASR A 3.5 nur Handlungsempfehlungen oder Vorschläge ge-macht werden. Welche Maßnahme zu ergreifen ist, entscheidet der Arbeitgeber, in Betrieben mit Betriebs-rat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG unter dessen Mit-bestimmung.

bb) Derzeit bereits bestehende Maßnahmen zur Wär-meentlastung schließen die Einsetzung der Einigungs-stelle nicht aus. Auch das Mitbestimmungsrecht nach

§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG gewährt dem Betriebsrat ein Initiativrecht zum Erlass entsprechender betrieblicher Arbeits- und Gesundheitsschutzregelungen. Das Initi-ativrecht muss auf eine konkrete Ausfüllung der Rah-menvorschrift zielen. Diese liegt nicht vor, wenn der Betriebsrat selbst wiederum nur eine ausfüllungsbe-dürftige Rahmenregelung anstrebt. Danach ist vor-liegend für den Betriebsrat ein Initiativrecht eröffnet. Dass die Arbeitgeberin im Vorfeld des gerichtlichen Verfahrens gemeint hat, da sie die Anforderungen der ASR A 3.5 erfülle, bestehe kein Mitbestimmungsrecht, trifft nicht zu. Die ASR A 3.5 und die Arbeitsstättenver-ordnung lassen, wie gerade ausgeführt, offen, welche Maßnahmen ergriffen werden sollen. Der Betriebsrat kann auch weitergehende Maßnahmen als die bereits ergriffenen verlangen; ob er sie in der Einigungsstelle durchsetzen kann, wenn die Anforderungen der ASR A 3.5 bereits erfüllt sind, spielt für die Entscheidung

keine Rolle. Ausgeschlossen wäre das Mitbestimmungsrecht nur dann, wenn es bereits eine mitbestimmte Regelung gäbe. Das ist bei der Arbeitgeberin nicht der Fall.

Bedenken bestehen allerdings, ob der vom Betriebsrat vorgelegte Entwurf der

Betriebsvereinbarung auf eine hinreichend konkre-te Ausfüllung der Rahmenvorschrift zielt. Ziff. 6 der vorgelegten Betriebsvereinbarung i.V.m. der Anlage 3 enthält keine auf die betriebliche Situation bezogenen Handlungsanweisungen. Deswegen ist aber die Eini-gungsstelle nicht offensichtlich unzuständig. Deren Aufgabe ist es, eine wirksame Regelung zu treffen. Es ist nicht erkennbar, dass der Betriebsrat sich konkreten Regelungen von vornherein verschließt. Nur weil die

… zu treffen hat, bei deren

Gestaltung ihm aber Handlungs-

spielräume verbleiben.

Der Betriebsrat hat bei betrieblichen

Regelungen über den Gesundheitsschutz

mitzubestimmen, die der Arbeitgeber zwar

aufgrund einer öffentlich-rechtlichen

Rahmenvorschrift …

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ZBVR online 5/2014 | Seite 19 von 34

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Konstitutive Entgeltregelung im Arbeitsvertrag

vom Betriebsrat vorgeschlagene Betriebsvereinbarung den gesetzlichen Anforderungen nicht genügt, entfällt nicht das Mitbestimmungsrecht.

cc) Dem steht auch die von der Arbeitgeberin zitier-te Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 17.08.2007 – 6 TaBV 9/07 – nicht entgegen. (…)

Die hier in Rede stehenden Handlungspflichten der Arbeitgeberin nach § 3 a Abs. 1 ArbStättVO i.V.m. ASR A 3.5 legen dem Arbeitgeber ganz bestimmte Hand-lungspflichten auf, nämlich einzuschreiten bei Über-

schreiten der Raumtemperaturen in Arbeitsräumen von 26 °C, 30 °C und 35 °C. Es handelt sich bei dieser Regelung nicht um eine umfassende Generalklausel, sondern eine konkrete Rahmenvorschrift, die dem Ar-beitgeber Handlungspflichten auferlegt. Nur die Erfül-lung dieser Handlungspflichten ist zwischen Betriebs-rat und Arbeitgeber zu regeln. Das Beschwerdegericht sieht sich damit in Übereinstimmung mit der von der Arbeitgeberin zitierten Entscheidung des LAG Ham-burg und der Rechtsprechung des BAG. (…)

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Kann im Zeitpunkt eines Vertragsschlusses die im Arbeitsvertrag angegebene Entgeltgruppe für die vereinbarte Tätigkeit nicht anhand der dort in Bezug genommenen Eingruppierungsregelungen zutreffend ermittelt werden, ist für den Arbeitnehmer als Erklä-rungsempfänger grundsätzlich nicht mehr von einer lediglich „deklaratorischen“ Angabe in Form einer sog. Wissenserklärung, sondern von einer „konstituti-ven“ vertraglichen Entgeltregelung auszugehen. BAG, Urteil v. 21.8.2013 – 4 AZR 656/11 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über die zutreffende Eingruppie-rung der Klägerin.

Die Klägerin, die ihr Hochschulstudium als Diplom-Mathematikerin abgeschlossen und kein Lehramtsstu-dium mit anschließendem Vorbereitungsdienst absol-viert hat, ist seit dem 3. Januar 2006 bei der Beklagten als Lehrkraft für Mathematik beschäftigt und an der Bundeswehrfachschule Hamburg tätig. In dem am 21. Dezember 2005 geschlossenen Arbeitsvertrag ist u.a. vereinbart:

㤠2

Das Arbeitsverhältnis bestimmt sich nach dem Tarif-vertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) einschließ-lich der besonderen Regelungen für die Verwaltung (TVöD – Besonderer Teil Verwaltung) und den diesen ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifver-trägen in der für den Bereich des Bundes jeweils gel-tenden Fassung sowie des Tarifvertrages zur Überlei-tung der Beschäftigten des Bundes in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-Bund).

… § 4

Die Beschäftigte ist gemäß TVöD i.V.m. der Anlage 4 des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten des Bundes in den TVöD und zur Regelung des Über-gangsrechts (TVÜ-Bund) i.V.m. den ‚Richtlinien über die Eingruppierung der im Angestelltenverhältnis be-schäftigten Lehrkräfte im Fachschuldienst (Bundes-wehrfachschulen, Grenzschutzfachschulen) des Bun-des in die Entgeltgruppe 12 eingruppiert. Bis zum In-Kraft-Treten der neuen Entgeltordnung sind alle Eingruppierungs- und Einreihungsvorgänge vor-läufig und begründen keinen Vertrauensschutz und keinen Besitzstand (§ 17 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund).“

Nach Abschnitt B Nr. 3 der genannten Richtlinien wer-den Lehrkräfte mit abgeschlossener Hochschulausbil-dung in der Tätigkeit von Fachschuloberlehrern ohne volle Lehrbefähigung nach der VergGr. IIb des Bundes-Angestelltentarifvertrags (BAT) vergütet. Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses enthielt die Anlage 4 zum TVÜ-Bund – „Vorläufige Zuordnung der Vergütungs- und Lohngruppen zu den Entgeltgruppen für zwischen dem 1. Oktober 2005 und dem In-Kraft-Treten der neu-en Entgeltordnung stattfindende Eingruppierungs- und Einreihungsvorgänge (Bund)“ – keine Regelung zur Überleitung der VergGr. IIb BAT in das Entgeltgruppen-system des TVöD. Die Klägerin wurde seit Beginn des Arbeitsverhältnisses nach der Entgeltgruppe 12 TVöD vergütet.

Durch § 1 Nr. 7 Buchst. a des Änderungstarifvertrags Nr. 2 zum TVÜ-Bund (vom 6. Oktober 2008) wurde die VergGr. IIb („ohne Aufstieg nach IIa“) BAT zum 1. Au-gust 2008 der Entgeltgruppe 11 TVöD zugeordnet. Mit Schreiben vom 25. Januar 2010 teilte die Beklagte der Klägerin u.a. mit: „…

hiermit ordne ich Sie rückwirkend zum 3. Januar 2006 vorläufig der Entgeltgruppe 11 TVöD zu.

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ZBVR online 5/2014 | Seite 20 von 34

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Begründung:

… Nach § 17 Absatz 7 TVÜ-Bund i.V.m. Anlage 4 zum TVÜ-Bund in der Fassung des 2. Änderungstarifver-trags vom 6. Oktober 2008 ist die Vergütungsgruppe II b BAT vorläufig der Entgeltgruppe 11 TVöD zuzuord-nen.

Bedauerlicherweise wurden Sie jedoch bereits anläss-lich Ihrer Einstellung fehlerhaft vorläufig der Entgelt-gruppe 12 TVöD zugeordnet.

Ich bin daher gehalten, diese vorläufige Zuordnung nunmehr zu korrigieren. Eine Änderung des Arbeits-vertrages ist hierzu nicht erforderlich. …“

Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin eine Vergütung nach Entgeltgruppe 12 TVöD. Sie hat die Auffassung vertreten, der Arbeitsvertrag enthalte eine sog. kons-titutive Entgeltvereinbarung, nach der die Entgeltgrup-pe 12 TVöD maßgebend sei. Die Voraussetzungen für eine korrigierende Rückgruppierung lägen nicht vor. (…)

Aus den Gründen

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die zuläs-sige Klage ist begründet.

I. Der Klägerin steht für die von ihr erhobene sog. Ein-gruppierungsfeststellungsklage das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche und von Amts wegen auch noch in der Revisionsinstanz zu prüfende Feststellungsinteres-se zu. (…)

II. Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Parteien haben in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags eine eigenstän-dige vertragliche Regelung über die der Klägerin zu-stehende Vergütung nach der Entgeltgruppe 12 TVöD getroffen. Das ergibt die Auslegung des Formularar-beitsvertrags, die in der Revisionsinstanz ohne Ein-schränkung überprüft werden kann.

1. Bei einer arbeitsvertraglichen Vereinbarung ist grundsätzlich davon auszugehen, dass übereinstim-mende Willenserklärungen vorliegen. Soll der Nen-nung einer Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag daher keine rechtsgeschäftlich begründende Wirkung zu-kommen, sondern es sich nur um eine deklaratorische Angabe in Form einer sog. Wissenserklärung handeln, muss dies im Arbeitsvertrag deutlich zum Ausdruck gebracht worden sein. 2. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsge-richts kann ein Arbeitnehmer aufgrund der Nennung einer Vergütungs-, Lohn- oder Entgeltgruppe (nach-folgend Entgeltgruppe) in einem Arbeitsvertrag im öffentlichen Dienst unter Berücksichtigung ihrer dort nach § 22 Abs. 3 BAT vorgesehenen Angabe ohne das

Hinzutreten weiterer Umstände regelmäßig nicht da-von ausgehen, ihm solle ein eigenständiger, von den tariflichen Eingruppierungsbestimmungen oder ande-ren in Bezug genommenen Eingruppierungsregelun-gen unabhängiger Anspruch auf eine Vergütung nach der genannten Entgeltgruppe zustehen.

Erforderlich ist allerdings, dass sich aus dem Inhalt des Arbeitsvertrags deutlich ergibt, allein die bezeichne-ten (tariflichen) Eingruppierungsbestimmungen sol-len für die Ermittlung der zutreffenden Entgelthöhe maßgebend sein und nicht die angegebene Entgelt-gruppe.

3. Nach den vorgenannten Voraussetzungen kann je-denfalls dann nicht von einer sog. deklaratorischen Nennung der Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag ausge-gangen werden, wenn zum Zeitpunkt der vertraglichen Vereinbarung die in Bezug genommenen (tariflichen) Regelungswerke keine Eingruppierungsbestimmungen für die arbeitsvertraglich vereinbarte Tätigkeit enthal-ten, aus denen sich die zutreffende Vergütung ermit-teln ließe.

Dann fehlt es regelmäßig für den Arbeitnehmer als Erklärungsempfänger an den erforderlichen Anhalts-punkten, der Arbeitgeber wolle ihn nach einem Ein-gruppierungswerk vergüten, aus dem sich die zutref-fende Entgeltgruppe allein aufgrund der vertraglich vereinbarten Tätigkeit ermitteln lässt und bei der genannten Entgeltgruppe handele es sich nicht um eine Willens-, sondern ausnahmsweise nur um eine sog. Wissenserklärung. In der Folge kann der Arbeit-nehmer, wenn ein Vergütungssystem mit abstrakten Tätigkeitsmerkmalen für die von ihm auszuübende Tätigkeit nicht besteht oder insoweit lückenhaft ist, die Nennung einer Entgeltgruppe im Arbeitsvertrag grundsätzlich als ausdrücklichen Antrag auch in Bezug auf die Ermittlung der maßgebenden Vergütungshöhe verstehen. Nimmt der Arbeitnehmer diesen Antrag an, ist die Entgeltgruppe damit vertraglich – „konstitutiv“ – festgelegt.

4. Danach kann die Klägerin ein Entgelt nach der Ent-geltgruppe 12 TVöD aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags bean-spruchen. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

a) Im Zeitpunkt des Vertragsschlusses konnte aus den in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags genannten Regel-werken keine „zutreffende“ Eingruppierung, also eine Entgeltgruppe „gemäß TVöD“ ermittelt werden. Die Richtlinien der Beklagten sahen für Lehrkräfte mit ab-geschlossener Hochschulausbildung in der Tätigkeit von Fachschuloberlehrern ohne volle Lehrbefähigung lediglich eine Vergütung in Anwendung der Vergü-tungsgruppen des BAT – vorliegend für die Klägerin die VergGr. IIb BAT – vor. Da die Parteien eine Eingruppie-

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rung nach dem zum Vertragsschluss bereits in Kraft getretenen TVöD und damit nach den hierzu ergan-genen Entgelttabellen vereinbart haben, wäre es, um von einer deklaratorischen Vereinbarung ausgehen zu können, zumindest erforderlich gewesen, die in den Richtlinien genannte Eingruppierung „VergGr. IIb BAT“ dem Entgeltgruppensystem des TVöD zuzuordnen. Hierzu konnten aber bei Vertragsschluss weder der TVöD noch die Anlage 4 zum TVÜ-Bund herangezo-gen werden. Beide Tarifregelungen ordneten die Verg-Gr. IIb BAT nicht dem Entgeltgruppensystem des TVöD zu. Deshalb gab es für die Klägerin auch keinen Anlass,

davon auszugehen, bei der vertraglichen Nennung der Entgeltgruppe 12 TVöD handele es sich um eine Wis-senserklärung, die lediglich diejenige Entgeltgruppe des TVöD – „deklaratorisch“ – bezeichnete, welche sich unter Heranziehung der in § 4 Abs. 1 des Arbeitsver-trags in Bezug genommenen Bestimmungen ergibt. Vielmehr erfolgte die erforderliche Zuordnung zu ei-ner Entgeltgruppe des TVöD erst durch die Angabe in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags, die daher als überein-stimmende vertragliche („konstitutive“) Vergütungs-abrede zu verstehen ist.

b) Die Klägerin war auch nicht gehalten, etwaigen Mo-tiven der Beklagten hinsichtlich einer möglichen wei-tergehenden Bedeutung der genannten Anlage 4 zum TVÜ-Bund nachzugehen, soweit diese nach dem Ver-tragstext nicht erkennbar sind.

Allgemeine Geschäftsbedingungen wie die hier im Streit stehende Vertragsbestimmung sind grundsätz-lich nach einem objektivierten Empfängerhorizont auszulegen. Dabei haben die Motive des Erklärenden, soweit sie nicht in dem Wortlaut der Erklärung oder in sonstiger, für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbaren Weise ihren Niederschlag finden, außer Betracht zu bleiben. Es besteht keine Verpflichtung des Erklärungsempfängers, den Inhalt oder den Hin-tergrund des ihm formularmäßig gemachten Antrags durch Nachfragen aufzuklären. Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Aus-druck, gehört dies zu dessen Risikobereich.

c) Die Beklagte kann sich nicht darauf stützen, ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes wolle dem Ar-beitnehmer nur dasjenige gewähren, was ihm tarif- lich oder nach in Bezug genommenen Richtlinien zu-steht.

Dem steht vorliegend schon entgegen, dass die Kläge-rin aus den in § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags genann-ten Regelungen gerade keine einschlägige tarifliche Entgeltgruppe entnehmen konnte. Soweit der Senat bisher für das Vorliegen einer lediglich „deklaratori-schen“ Nennung der Entgeltgruppe unterstützend angenommen hat, ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes wolle im Zweifel nur eine bestehende (tarif-liche) Eingruppierungsregelung vollziehen, setzt dies eine solche voraus. Der Arbeitgeber als Verwender von Allgemeinen Geschäftsbedingungen muss nicht nur im Vertragswortlaut zum Ausdruck bringen, allein die

in Bezug genommenen Regelungswer-ke sollen für die Ermittlung der zutref-fenden Entgeltgruppe maßgebend sein, sondern er muss zugleich dafür Sorge tragen, dass sich diese hieraus auch ohne weiteres ermitteln lässt.

d) Entgegen dem Vorbringen der Revi-sion fehlt es an Anhaltspunkten im Ar-beitsvertrag oder sonstigen Umständen,

die Parteien seien sich der Regelungslücke in der Anla-ge 4 zum TVÜ-Bund bei Vertragsschluss bewusst ge-wesen, weshalb vorliegend deren Schließung durch die Tarifvertragsparteien des TVöD im Jahr 2008 maßge-bend sei. (…)

5. Die Parteien haben schließlich entgegen der Auf-fassung der Beklagten keinen Änderungsvorbehalt für den Fall vereinbart, dass es zu einer Lückenschließung der Anlage 4 zum TVÜ-Bund kommen sollte.

a) Dem Wortlaut von § 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags ist ein solcher Vorbehalt nicht zu entnehmen.

b) Soweit die Beklagte sich auf § 4 Abs. 2 des Arbeits-vertrags stützt, ist dies unergiebig.

aa) Die Vorläufigkeit der Eingruppierung des in § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags wörtlich wiedergegebenen § 17 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund bezieht sich auf „Eingruppie-rungsvorgänge“ bis zum Inkrafttreten einer neuen Entgeltordnung. Eine solche haben die Tarifvertrags-parteien des TVöD bisher nicht vereinbart. Schon deshalb kann der vertraglichen Abrede keine Ände-rungsbefugnis für die vorliegende Fallgestaltung ent-nommen werden.

Darüber hinaus fehlt es vorliegend an einem Eingrup-pierungsvorgang iSd. § 17 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund. Die Tarifvertragsparteien des TVöD unterscheiden zwischen den Begriffen „Eingruppierung“ und „Zu-ordnung“, wie bereits § 17 Abs. 7 TVÜ-Bund zeigt. Die Anwendung von § 17 Abs. 3 Satz 1 TVÜ-Bund setzt vor-aus, dass eine Eingruppierung in Anwendung der §§ 22, 23 BAT/ BAT-O vorgenommen worden ist. Daran fehlt es vorliegend schon deshalb, weil die Eingruppierungs-regelungen der §§ 22, 23 BAT aufgrund der Vorbemer-

Der Arbeitgeber kann nicht argumentieren,

ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes wolle

dem Arbeitnehmer nur dasjenige gewähren,

was ihm tariflich oder nach in Bezug

genommenen Richtlinien zusteht.

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Die Tarifvorschrift des § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ ist gemäß § 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 AGG insoweit unwirk-sam, als sie dazu führen würde, dass ein schwer-behinderter Arbeitnehmer, der Altersteilzeit im Blockmodell leistet, nach einer im Vergleich mit der Arbeitsphase wesentlich kürzeren Freistellungsphase aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis ausscheidet. (Leitsatz der Schriftleitung)BAG, Urteil v. 12.11.2013 – 9 AZR 484/12 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien streiten über den Zeitpunkt, zu dem ihr Altersteilzeitarbeitsverhältnis endet.

Die Beklagte respektive ihre Rechtsvorgängerin be-schäftigen die am 29. Juni 1951 geborene Klägerin seit dem 1. Oktober 1996. Diese ist seit dem Jahr 2005 schwerbehindert. Mit Änderungsvertrag vom 21. Sep-tember 2005 vereinbarten die Parteien u.a. Folgendes: „… auf der Grundlage des Altersteilzeitgesetzes ... vom 23. Juli 1996 … und des Tarifvertrages zur Regelung der Altersteilzeitarbeit (TV ATZ) vom 5. Mai 1998 in der je-weils geltenden Fassung [wird] folgender Änderungs-vertrag geschlossen:

§ 1

Das Arbeitsverhältnis wird nach Maßgabe der folgen-den Vereinbarungen ab 01.07.2006 als Altersteilzeitar-beitsverhältnis fortgeführt.

Das Arbeitsverhältnis endet unbeschadet des § 9 Abs. 2 TV ATZ am 30.06.2016.

§ 2

Die Altersteilzeit wird im Blockmodell geleistet Arbeitsphase vom 01.07.2006 bis 30.06.2011 Freistellungsphase vom 01.07.2011 bis 30.06.2016

…“

Der von der Rechtsvorgängerin der Beklagten (Bundes-versicherungsanstalt für Angestellte [BfA]) mit der zu-ständigen Gewerkschaft abgeschlossene Tarifvertrag zur Regelung der Altersteilzeitarbeit vom 5. Mai 1998 – Tarifvertrag Nr. 671 – idF des Zweiten Änderungsta-rifvertrags vom 30. Juni 2000 – Tarifvertrag Nr. 708 – (TV ATZ), der am 1. Juli 2000 in Kraft trat, lautet aus-zugsweise wie folgt:

Diskriminierung von Schwerbehinderten wegen frühzeitigen Ausscheidens aus der Altersteilzeit

kung Nr. 5 zu allen Vergütungsgruppen der Anlage 1a BAT bei Lehrkräften nicht eingreifen.

bb) Aus § 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags kann ferner nicht geschlossen werden, die im vorstehenden Abs. 1 vereinbarte Entgeltgruppe 12 TVöD sei nur vorläufig, solange eine Regelungslücke in der Anlage 4 zum TVÜ-Bund besteht. Hierfür fehlt es an Anhaltspunkten im Vertragstext.

c) Die Rüge der Revision, das Landesarbeitsgericht habe den „Gesamtzusammenhang“ der vertraglichen Regelungen in § 2 und § 4 des Arbeitsvertrags unbe-achtet gelassen, ist unzutreffend.

Treffen die Vertragsparteien wie vorliegend unabhän-gig von der allgemeinen Bezugnahmeregelung in § 2 des Arbeitsvertrags eine eigenständige Entgeltrege-lung über die maßgebende Entgeltgruppe in dessen § 4 Abs. 1, ist diese Entgeltvereinbarung insoweit grundsätzlich vorrangig. Allein aus der allgemeinen In-bezugnahme des TVöD und des TVÜ-Bund in § 2 des Arbeitsvertrags kann deshalb nicht geschlossen wer-den, nachträgliche Ergänzungen der Anlage 4 zum TVÜ-Bund sollten vermittelt über § 2 des Arbeitsver-

trags für die Entgeltregelungen in dessen § 4 maßge-bend sein.

d) Schließlich kann sich die Beklagte nicht auf Nr. 8 der Anlage 5 (zu § 23) TVÜ-Bund – „Für Lehrkräfte des Bun-des erfolgt am 1. Oktober 2005 vorerst die Fortzah-lung der bisherigen Bezüge als zu verrechnender Ab-schlag auf das Entgelt, das diesen Beschäftigten nach der Überleitung zusteht.“ – stützen.

§ 4 Abs. 1 des Arbeitsvertrags, der sich mit der arbeits-vertraglichen Entgeltregelung befasst, bezieht ledig-lich die Anlage 4 zum TVÜ-Bund mit ein, nicht aber dessen Anlage 5. Darüber hinaus ist das Landesarbeits-gericht zutreffend davon ausgegangen, Nr. 8 der An-lage 5 (zu § 23) TVÜ-Bund gelte lediglich für Beschäf-tigte, die bereits vor dem 1. Oktober 2005 in einem Arbeitsverhältnis standen. Die tarifliche Bestimmung will die Fortzahlung der bisherigen Bezüge regeln. Dies setzt – was bei der Klägerin nicht der Fall ist – ein am 30. September 2005 bereits bestehendes Arbeitsver-hältnis voraus. (…)

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„Präambel Die Tarifvertragsparteien wollen mit Hilfe dieses Ta-rifvertrages älteren Beschäftigten einen gleitenden Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand ermög-lichen und dadurch vorrangig Auszubildenden und Ar-beitslosen Beschäftigungsmöglichkeiten eröffnen.

§ 4 Höhe der Bezüge

(1) Der Arbeitnehmer erhält als Bezüge die sich für ent-sprechende Teilzeitkräfte bei Anwendung der tarifli-chen Vorschriften (z. B. § 34 MTAng-BfA/MTAng-BfA-O) ergebenden Beträge mit der Maßgabe, dass die Bezü-gebestandteile, die üblicherweise in die Berechnung des Aufschlags zur Urlaubsvergütung/Zuschlags zum Urlaubslohn einfließen, sowie Wechselschicht- und Schichtzulagen entsprechend dem Umfang der tat-sächlich geleisteten Tätigkeit berücksichtigt werden.

§ 5 Aufstockungsleistungen

(1) Die dem Arbeitnehmer nach § 4 zustehenden Bezü-ge werden um 20 v. H. dieser Bezüge aufgestockt (Auf-stockungsbetrag). …

(2) Der Aufstockungsbetrag muss so hoch sein, dass der Arbeitnehmer 83 v. H. des Nettobetrages des bis-herigen Arbeitsentgelts erhält (Mindestnettobetrag). …

...

(4) Neben den von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte als Arbeitgeber zu tragenden Sozial-versicherungsbeiträgen für die nach § 4 zustehenden Bezüge entrichtet die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) des Al-tersteilzeitgesetzes zusätzliche Beiträge zur gesetzli-chen Rentenversicherung für den Unterschiedsbetrag zwischen den nach § 4 zustehenden Bezügen einer-seits und 90 v. H. des Arbeitsentgelts im Sinne des Ab-satzes 2 …

§ 9 Ende des Arbeitsverhältnisses

(1) Das Arbeitsverhältnis endet zu dem in der Alters-teilzeitvereinbarung festgelegten Zeitpunkt.

(2) Das Arbeitsverhältnis endet unbeschadet der sons-tigen tariflichen Beendigungstatbestände (z.B. §§ 53 bis 60 MTAng-BfA/MTAng-BfA-O)

a) mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalender-monat, für den der Arbeitnehmer eine Rente wegen Al-ters … beanspruchen kann; dies gilt nicht für Renten, die vor dem für den Versicherten maßgebenden Renten- alter in Anspruch genommen werden können oder ...“

Die Beklagte teilte der Klägerin in einem Schreiben vom 14. Januar 2011 unter Hinweis auf die Regelung in § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ mit, das Altersteilzeitar-beitsverhältnis ende mit Ablauf des 30. Juni 2014.

Die Klägerin hat gemeint, das Altersteilzeitarbeitsver-hältnis ende erst mit Ablauf des 30. Juni 2016. Die Re-gelung in § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ diskriminiere sie wegen ihrer Behinderung und sei deshalb unwirksam. (…)

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihr Ziel der Klageabweisung weiter.

Aus den Gründen

Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Lan-desarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten ge-gen das klagestattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen.

I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Die Klägerin hat bereits vor der Vollendung ihres 63. Lebensjahres ein rechtliches Interesse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO an der be-gehrten Feststellung, nachdem über die Wirksamkeit der Regelung in § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ und damit über den Zeitpunkt der Beendigung des Altersteilzeit-arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien Streit be-steht.

II. Die Klage ist begründet. Das Altersteilzeitarbeits-verhältnis der Parteien endet nicht gemäß § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ mit Ablauf des Kalendermonats vor dem Kalendermonat, für den die Klägerin eine Rente wegen Alters beziehen kann, und damit nicht am 30. Juni 2014, sondern erst mit Ablauf des 30. Juni 2016. Die Tarifvorschrift ist jedenfalls insoweit unwirksam (§ 7 Abs. 2 iVm. Abs. 1 AGG), als sie dazu führen würde, dass ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, der Alters-teilzeit im Blockmodell leistet, nach einer im Vergleich mit der Arbeitsphase wesentlich kürzeren Freistel-lungsphase aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis ausscheidet.

1. § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ ist am Maßstab des AGG zu messen. Dem steht nicht entgegen, dass der TV ATZ und der Altersteilzeitarbeitsvertrag der Parteien vor dem Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 geschlossen wurden. Verbotsgesetze können Dauer-schuldverhältnisse in der Weise erfassen, dass diese für die Zukunft („ex nunc“) unwirksam werden. Gilt ein Verbotsgesetz – wie das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG – ohne Übergangsregelung, erstreckt sich das Verbot auf alle Sachverhalte, die sich seit sei-nem Inkrafttreten in seinem Geltungsbereich verwirk-lichen. Bestimmungen in Kollektiv- und Individualver-einbarungen, die gegen § 7 Abs. 2 AGG verstoßen, sind

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ungeachtet des Zeitpunkts ihres Abschlusses unwirk-sam, sofern sie nach dem 17. August 2006 liegende Sachverhalte regeln. Da die Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst ab Juli 2014 bezie-hen kann, ist diese Voraussetzung erfüllt.

2. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon aus-gegangen, dass eine mit § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ einhergehende Verkürzung der Freistellungsphase bei Altersteilzeitarbeitnehmern, die die Arbeitsphase ungekürzt abgeschlossen haben, diese wegen ihrer Schwerbehinderung unmittelbar benachteiligt.

a) Eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt u.a. vor, wenn ein schwerbehinderter Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung eine weniger günstige Behandlung erfährt, als ein nicht schwerbe-hinderter Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Lage. Eine Benachteiligung ist unmittelbar, wenn die sich nachteilig auswirkende Maßnahme direkt an das ver-botene Merkmal anknüpft. Von § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wird auch eine sog. verdeckte unmittelbare Ungleich-behandlung erfasst. Bei dieser erfolgt die Differenzie-rung zwar nicht ausdrücklich wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Vielmehr wird an ein in dieser Vorschrift nicht enthaltenes Merkmal angeknüpft, das jedoch in einem untrennbaren Zusammenhang mit ei-nem in dieser Vorschrift genannten Grund steht. Auch eine zukünftige Maßnahme unterfällt dem Benachteiligungsverbot, wenn eine konkrete Gefahr für eine Benachteili-gung besteht.

b) Diese Voraussetzungen einer verdeck-ten unmittelbaren Ungleichbehandlung liegen vor. § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ knüpft nicht unmittelbar an die Schwer-behinderteneigenschaft, sondern an die gesetzlichen Voraussetzungen für den Bezug einer abschlagsfreien Altersrente an. Dies führt, wenn der Schwerbehinder-te Altersteilzeit im Blockmodell leistet und die Freistel-lungsphase kürzer wird als die bereits zurückgelegte Arbeitsphase, zu einer Schlechterstellung. Vollendet ein vor dem 1. Januar 1952 geborener schwerbehin-derter Arbeitnehmer das 63. Lebensjahr, hat er ab dem Folgemonat Anspruch auf eine abschlagsfreie Alters-rente (§ 236a Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VI), während dies bei einem nicht schwerbehinderten Arbeitneh-mer gleichen Alters, der Altersteilzeit leistet, erst zwei Jahre später der Fall ist (§ 236 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB VI).

c) Wäre die Klägerin nicht schwerbehindert, würde das Altersteilzeitarbeitsverhältnis und damit auch die Frei-stellungsphase nach der tariflichen Regelung nicht am 30. Juni 2014, sondern erst zum 30. Juni 2016 enden. Die mit einem zwei Jahre früheren Ausscheiden ver-bundenen Einkommenseinbußen der Klägerin würden durch den abschlagsfreien Rentenbezug nicht ausge-

glichen. Aufgrund der im Änderungsvertrag der Par-teien vom 21. September 2005 vereinbarten Freistel-lungsphase vom 1. Juli 2011 bis zum 30. Juni 2016 ist die Beklagte gemäß § 5 Abs. 1 TV ATZ verpflichtet, die Bezüge der Klägerin iSd. § 4 TV ATZ um 20 vH aufzu-stocken, wobei der Aufstockungsbetrag so hoch sein muss, dass die Klägerin 83 vH des Nettobetrags des bisherigen Arbeitsentgelts erhält (§ 5 Abs. 2 TV ATZ). Dieser sog. Mindestnettobetrag liegt deutlich über den Rentenbezügen, die der Klägerin nach den renten-rechtlichen Vorschriften der §§ 254b ff. SGB VI zuste-hen.

d) Soweit die Beklagte geltend macht, infolge der un-terschiedlichen Rentenberechtigung sei die Situation der Klägerin mit der Situation nicht schwerbehinderter Arbeitnehmer nicht vergleichbar, verhilft dies der Revi-sion nicht zum Erfolg. Der finanzielle Vorteil, der einem schwerbehinderten Arbeitnehmer aus dem früheren Rentenbeginn erwächst, hat nicht zur Folge, dass seine Situation eine andere ist als die eines nicht schwerbe-hinderten Arbeitnehmers.

3. Selbst wenn man mit der Revision davon ausgeht, dass § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ nicht zu einer unmit-telbaren Benachteiligung der Klägerin führt, sondern lediglich eine mittelbare Ungleichbehandlung bewirkt, hat dies nicht die Beendigung des Altersteilzeitar-

beitsverhältnisses am 30. Juni 2014 zur Folge. Auch bei Anwendung des in § 3 Abs. 2 AGG normierten Prü-fungsmaßstabs stellt § 9 Abs. 2 Buchst. a TV ATZ ei-nen schwerbehinderten Arbeitnehmer wegen seiner Behinderung in unzulässiger Weise schlechter als nicht schwerbehinderte Arbeitnehmer, wenn die Freistel-lungsphase kürzer wird als die bereits zurückgelegte Arbeitsphase.

a) Eine mittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen wegen eines in § 1 genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, die betref-fenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels ange-messen und erforderlich (§ 3 Abs. 2 AGG). Rechtmäßige Ziele im Sinne der Vorschrift können alle nicht ihrer-seits diskriminierenden und auch sonst legalen Ziele sein. Die differenzierende Maßnahme muss allerdings zur Erreichung des rechtmäßigen Ziels geeignet und

Das Benachteiligungsverbot des

§ 7 AGG gilt für alle Sachverhalte, die

sich seit dem Inkrafttreten in seinem

Geltungsbereich verwirklichen.

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erforderlich sein und einen im Verhältnis zur Bedeu-tung des Ziels noch angemessenen Eingriff in die Rech-te der Beteiligten darstellen.

b) Daran gemessen ist die Regelung in § 9 Abs. 2 Buch- st. a TV ATZ, der zufolge das Altersteilzeitarbeitsver-hältnis eines schwerbehinderten Arbeitnehmers auch während der Freistellungsphase mit Ablauf des Ka-lendermonats vor dem Kalendermonat endet, für den eine abschlagsfreie Altersrente bezogen werden kann, weder durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerecht-fertigt, noch ist eine Verkürzung der Freistellungspha-se zur Erreichung der mit dem TV ATZ verfolgten Ziele erforderlich.

aa) Der Umstand, dass schwerbehinderte Arbeitneh-mer eine abschlagsfreie Rente früher in Anspruch nehmen können als nicht schwerbehinderte Arbeit-nehmer, ist nicht geeignet, eine Ungleichbehandlung von schwerbehinderten und nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern zu rechtfertigen. Dies gilt im Streitfall umso mehr, als ein Ausscheiden der Klägerin dazu führ-te, dass die Freistellungsphase lediglich drei Jahre be-trüge und damit zwei Jahre kürzer als die Arbeitspha-se wäre. Dies hätte zur Folge, dass die Klägerin zwar fünf Jahre in Vollzeit gearbeitet hätte, aber nicht zehn, sondern nur acht Jahre Bezüge und Aufstockungsleis-tungen erhalten würde. Die Vergütung der Klägerin läge damit trotz gleicher Arbeitsleistung deutlich un-ter der eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers gleichen Alters mit einer zwei Jahre längeren Freistel-lungsphase.

bb) Sinn und Zweck der tariflichen Regelung erfordern die Verkürzung der Freistellungsphase nicht. Der TV ATZ verfolgt ausweislich seiner Präambel zwei Ziele. Zum einen soll älteren Beschäftigten ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand er-möglicht werden. Zum anderen bezweckt er, vorran-gig Auszubildenden und Arbeitslosen Beschäftigungs-möglichkeiten zu eröffnen. Keines der beiden Tarifziele wird durch eine Verkürzung der Freistellungsphase be-fördert. Der gleitende Übergang eines schwerbe-hinderten Arbeitnehmers vom Erwerbsleben in den Ruhestand ist auch dann sichergestellt, wenn die Frei-stellungsphase nicht verkürzt wird und ihre Dauer der bereits zurückgelegten Arbeitsphase entspricht. Eben-so verlangt der beschäftigungspolitische Zweck des TV ATZ nicht eine im Vergleich zur Arbeitsphase verkürzte Freistellungsphase. Denn die Möglichkeit der Beschäf-tigung eines anderen Arbeitnehmers wird bei Alters-teilzeit im Blockmodell bereits mit dem Ende der Ar-beitsphase eröffnet.

4. Rechtsfolge der unzulässigen Ungleichbehandlung ist, dass die Klägerin von der Beklagten verlangen kann, wie eine nicht schwerbehinderte Arbeitneh-merin behandelt zu werden. Dies hat zur Folge, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis der Klägerin, wie in § 2 des Änderungsvertrags der Parteien vom 21. Sep-tember 2005 vereinbart, erst mit Ablauf des 30. Juni 2016 endet.

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Berücksichtigung der Wünsche eines im Schichtbetrieb tätigen Arbeitnehmers zur Lage der Arbeitszeit bei Teilzeitbegehren

1. Ein Rechtsstreit, in dem der Arbeitnehmer bean-tragt, den Arbeitgeber zu verurteilen, einer Verringe-rung der Arbeitszeit auf der Grundlage des § 8 TzBfG zuzustimmen, erledigt sich in der Hauptsache, wenn die Parteien währenddessen einen neuen, unbefris-teten und nicht auflösend bedingten Arbeitsvertrag abschließen, welcher – neben weiteren nicht streit-gegenständlichen Vertragsänderungen – den Arbeits-zeitwünschen des Arbeitnehmers in vollem Umfang Rechnung trägt.2. Zu den Anforderungen an „betriebliche Gründe“ im Sinne von § 8 Abs. 4 TzBfG, die dem familiär bedingten Teilzeitbegehren eines Maschinenführers im Mehr-Schicht-Betrieb entgegengesetzt werden sollen. LAG Köln, Urteil v. 10.1.2013 – 7 Sa 766/12 –

Zum Sachverhalt

Die Parteien haben ursprünglich um eine Forderung des Klägers gestritten, nach Abschluss seiner Elternzeit das arbeitsvertraglich vereinbarte Vollzeitarbeitsver-hältnis auf der Grundlage des § 8 TzBfG in ein solches mit einer Arbeitszeitverpflichtung von 20 Wochen-stunden umzuwandeln, wobei die dann vierstündige tägliche Arbeitszeit in der Frühschicht zwischen 09:00 Uhr und 14:00 Uhr liegen sollte. In der Berufungsin- stanz streiten die Parteien in erster Linie darum, ob sich der Rechtsstreit durch Abschluss eines neuen Ar-beitsvertrages vom 22.08./01.09.2012 im Rechtssinne erledigt hat. (…)

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ZBVR online 5/2014 | Seite 26 von 34

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Aus den Gründen

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Ar-beitsgerichts Bonn vom 18.07.2012 ist zulässig. (..)

II. Die Berufung der Beklagten konnte jedoch keinen Erfolg haben. Der Rechtsstreit der Parteien um den Arbeitszeitverringerungswunsch des Klägers ist durch Abschluss des Arbeitsvertrages vom 22.08./01.09.2012 in der Hauptsache erledigt. (..)

1. Mit Abschluss des Arbeitsvertrages vom 22.08./ 01.09.2012 haben die Parteien dem Wunsch des Klä-gers auf Verringerung seiner Arbeitszeit bei bestimm-ter Verteilung der Arbeitsstunden auf die Arbeitstage der Frühschicht uneingeschränkt und dauerhaft Rech-nung getragen. (…)

2. Dagegen kann die Beklagte nicht damit gehört wer-den, dass der Abschluss des Arbeitsvertrages vom 22.08./01.09.2012 nur der Abwehr einer Zwangsvoll-streckung aus dem Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 18.07.2012 habe dienen sollen.

a. Eine solche Interpretation des Arbeitsvertrages vom 22.08./01.09.2012 kommt schon deshalb nicht in Be-tracht, weil das erstinstanzliche Urteil vom 18.07.2012 keinerlei vollstreckbaren und schon gar nicht einen vor-läufig vollstreckbaren Inhalt aufweist und somit eine Zwangsvollstreckung des Klägers aus diesem Urteil gar nicht drohen konnte. Das auf § 8 TzBfG gestützte Klagebegehren des Klägers ist auf Zustimmung der Be-klagten zu einer Arbeitsvertragsänderung und damit auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet. Der Voll-zug eines solchen Urteils richtet sich nach§ 894 Satz 1 ZPO. Dies bedeutet, dass mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils die streitige Willenserklärung als abgege-ben fingiert wird. Darüberhinausgehende Folgerungen sind aus einem solchen Urteil nicht abzuleiten. Insbe-sondere hätte der Kläger auf der Grundlage dieses Ur-teils auch nicht im Wege der Zwangsvollstreckung eine vorläufige Beschäftigung zu den geänderten Arbeits-bedingungen erzwingen können.

b. Nun erscheint es zwar grundsätzlich anerkennens-wert, wenn die Beklagte gewillt war, den Kläger, dem Ergebnis des erstinstanzlichen Urteils folgend, schon vor Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils seinem Kla-gebegehren entsprechend zu behandeln. Wenn die Be-klagte sich dabei aber ihre Rechte aus einer etwaigen späteren Abänderung des erstinstanzlichen Urteils hätte vorbehalten wollen, hätte sie mit dem Kläger eine entsprechende, für die Dauer des Rechtsstreits befristete oder durch die etwaige Aufhebung des er-stinstanzlichen Urteils auflösend bedingte Regelung treffen können und müssen.

c. Dies ist jedoch gerade nicht geschehen.

aa. Die Parteien haben gerade nicht eine auf den Streit-gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits beschränk-te Regelung der Arbeitszeit getroffen, sondern einen komplett neuen Arbeitsvertrag abgeschlossen und ihr Arbeitsverhältnis damit insgesamt auf eine vollständig neue Grundlage gestellt.

bb. Der Arbeitsvertrag vom 22.08./01.09.2012 enthält auch weder eine Befristung noch eine auflösende Be-dingung. Der gesamte Wortlaut des mehrseitigen Ar-beitsvertrages enthält nicht einmal andeutungsweise eine Aussage, die dafür sprechen könnte, dass der Ar-beitsvertrag nur vorübergehend gültig sein sollte. Die Befristung eines Arbeitsvertrages bedarf aber ebenso wie die Vereinbarung einer auflösenden Bedingung gemäß §§ 14 Abs. 4, 21 TzBfG der Schriftform. Hieran fehlt es jedoch.

cc. Im Gegenteil: Indem die Parteien in Ziffer 2 des Arbeitsvertrages ausdrücklich bestimmt haben, dass der Vertrag vom 22.08./01.09.2012 „alle zwischen Ih-nen und uns geschlossenen früheren Arbeitsverträge ersetzt“, haben sie ausdrücklich verdeutlicht, dass sie ihr gesamtes Arbeitsverhältnis auf eine vollständig neue Grundlage stellen wollten. Auch die in Ziffer 2 des Arbeitsvertrages weiter enthaltene Anrechnungs-klausel über die seit dem 01.07.2006 zurückgelegten Vordienstzeiten wäre bei einer Vereinbarung über eine zeitlich befristete bzw. auflösend bedingte Änderung der Arbeitszeitregelung gänzlich überflüssig gewesen. Ferner haben die Parteien sich auch nicht auf eine Ab-änderung der Arbeitszeitregelungen beschränkt, son-dern diverse andere Punkte ihrer bis dahin bestehen-den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen abgeändert, die zum Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits in keinem Bezug stehen.

d. Aus alledem folgt zwingend, dass sich die arbeits-vertraglichen Rechte und Pflichten der Parteien aus ihrem Arbeitsverhältnis seit Abschluss des Vertrages vom 22.08./01.09.2012 nunmehr bis auf weiteres unbefristet und ausschließlich nach diesen Vertrags-regeln richtet. Da dieser Vertrag die vom Kläger ge-wünschte Arbeitszeitverringerung und die dazuge-hörige Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage enthält, ist dem Klagebegehren des Klä-gers genüge getan.

3. Die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits, verbunden mit der für die Beklagte nachteiligen Kos-tenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO, setzt desweiteren voraus, dass die Klage im Zeitpunkt des erledigenden Ereignis-ses, also dem Abschlusses des Arbeitsvertrages vom 22.08./01.09.2012, auch zulässig und begründet war. Auch dies ist der Fall.

a. Die zweite Kammer des Arbeitsgerichts Bonn hat in ihrem Urteil vom 18.07.2012 die streitigen Standpunk-

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ZBVR online 5/2014 | Seite 27 von 34

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te der Parteien umfassend und angemessen gewür-digt. (…)

b. Konzentriert zusammengefasst begründet das Ar-beitsgericht seine Entscheidung letztlich damit, dass das Arbeitszeitbegehren des Klägers der Beklagten zwar gewisse organisatorische Anstrengungen abver-langt, dass diese aber keine für die Beklagte nicht mehr zumutbare Intensität erreichen. (…)

aa. So führt die Teilzeitbeschäftigung des Klägers nicht zu unzumutbaren zusätzlichen Schichteinweisungs-zeiten. Die Schichteinweisung besteht darin, dass der Schichtführer dem einzelnen Mitarbeiter bei Schicht-beginn jeweils konkret und aktuell mitteilt, was er in der folgenden Schicht zu tun hat. Eine solche Einwei-sung musste dem Kläger auch im Rahmen seiner Voll-zeitbeschäftigung erteilt werden, nur zu einem ande-ren Zeitpunkt. Zudem hat der Kläger nachvollziehbar und letztlich unwidersprochen ausgeführt, dass die entsprechende Einweisung nur wenige Sekunden Dau-er in Anspruch nimmt. Die Behauptung der Beklagten, dass durch eine solche Einweisung des Klägers wäh-rend der für die anderen Maschinenfüh-rer bereits laufenden Schicht die Gefahr eines Produktionsstillstandes hervorge-rufen werde, entbehrt jeglicher Substan-tiierung.

bb. Die Ausführungen der Beklagten zu der mit der Arbeitszeitreduzierung an-geblich verbundenen Pausenproblematik liegen ersichtlich neben der Sache. Auch die im Tenor des arbeitsgerichtlichen Urteils genannte tägliche Ar-beitszeitspanne „zwischen 09:00 Uhr und 14:00 Uhr“ ließ bei verständiger Auslegung schon ohne weiteres einen täglichen Einsatz des Klägers von 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr zu. Bei einer Schichtdauer von nur vier Stun-den schreibt das Arbeitszeitgesetz bekanntlich keine zwingende Arbeitspause vor.

cc. Auf die Ausführungen der Beklagten dazu, dass es ihr nicht möglich sei, den Kläger in der sogenannten Tagesschicht im Lager einzusetzen, kommt es schon deshalb nicht mehr an, weil die Parteien mit Abschluss des Arbeitsvertrages vom 22.08./01.09.2012 offenbar einen Weg gefunden haben, den Kläger auch teilzeit-beschäftigt als Maschinenführer zu beschäftigen.

dd. Ebenso erscheint es unerheblich, ob im Lager Mit-arbeiter beschäftigt werden, die persönlich in der Lage wären, den Kläger im Schichtbetrieb der Maschinen-führer zu ersetzen oder das dort durch den Kläger frei-gemachte Arbeitszeitkontingent im Umfang eines hal-ben Arbeitsplatzes auszufüllen. Diese Frage braucht nicht weiter vertieft zu werden. Anzumerken bleibt aber, dass die Beklagte nicht erklärt, warum der eben-falls nicht einschlägig ausgebildete Mitarbeiter, der den Kläger während seiner Elternzeit erfolgreich ver-

treten hat, dies nicht auch im Teilzeitumfang weiter verwirklichen könnte.

ee. Schließlich vermag das Berufungsgericht auch nicht nachzuvollziehen, warum die Urlaubs- und/oder Krankheitsvertretung des Klägers im Rahmen ei-ner Vollzeittätigkeit ohne weiteres bewältigt werden konnte, dies aber bei einer Teilzeittätigkeit nicht mehr der Fall sein soll.

c. Bei alledem verkennt das Berufungsgericht wie schon das Arbeitsgericht keineswegs, dass die vom Kläger gewünschte Arbeitszeitänderung auf Seiten der Beklagten gewisse organisatorische Anstrengun-gen erfordert und dass dabei auch die unmittelbar mit dem Kläger zusammen arbeitenden Kollegen gehalten sind, sich an die dadurch für sie ergebenden Neuerun-gen zu gewöhnen. Auch wenn im Ausgangspunkt au-ßer Frage steht, dass der Beklagten grundsätzlich die Organisationshoheit für ihren Betrieb zukommt, ist bei dessen Ausübung die gesetzgeberische Intention des § 8 TzBfG zu beachten. Aus objektiver Sicht ist nicht er-kennbar, dass die von der Beklagten vorzunehmenden

Umstellungen für diese selbst und die mit betroffenen Kollegen des Klägers ein unzumutbares Maß anneh-men.

d. Aus der Sicht des Berufungsgerichts bleibt abschlie-ßend noch Folgendes hinzuzufügen:

aa. Das Arbeitsgericht hat in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung angeführt, dass es für die Be-urteilung der Voraussetzungen des § 8 TzBfG nicht auf die Gründe ankommt, die den Mitarbeiter dazu veran-lassen, seinen Wunsch nach Arbeitszeitverringerung vorzubringen.

bb. Das Berufungsgericht ist demgegenüber der Auf-fassung, dass bei der Bestimmung des Maßes der An-strengungen, die einem Arbeitgeber noch zumutbar sind, um einen Arbeitszeitverringerungswunsch rea-lisieren zu können, die Gründe, die den Arbeitnehmer zu seinem Wunsch veranlasst haben, nicht völlig außer Betracht bleiben können.

cc. Im vorliegenden Fall geht es bei dem Wunsch des Klägers nach Verringerung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit ersichtlich um die Problematik der Verein-barkeit von Familie und Erwerbstätigkeit. Diese Ver-einbarkeit zu fördern, entspricht einer dringenden ge-

Für die Beurteilung der Voraussetzungen

des Teilzeitantrags kommt es nicht auf die

Gründe für den Wunsch des Mitarbeiters

nach Arbeitszeitreduzierung an.

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ZBVR online 5/2014 | Seite 28 von 34

ZBVR online Rechtsprechung zum Tarifrecht

samtgesellschaftlichen Zielsetzung, der auch § 8 TzBfG Rechnung tragen will. Das individuelle Anliegen des Klägers ist somit als Ausfluss einer aktuell drängenden Problematik in der Arbeitswelt insgesamt anzusehen. Diese Problematik zu bewältigen liegt nicht nur in ei-nem subjektiv-individuellen Interesse eines Einzelnen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit. Vor die-sem Hintergrund vorgebrachte Wünsche nach Anpas-sung der Arbeitszeit rechtfertigen zur Überzeugung des Berufungsgerichts deshalb auch erhöhte Anforde-rungen an den Maßstab der Unzumutbarkeit. (…)

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Anmerkung

Gemäß § 8 TzBfG können Arbeitnehmer, die in einem Betrieb mit mehr als 15 Arbeitnehmern beschäftigt sind und deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Mo-nate bestanden hat, verlangen, dass die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit verringert wird. Der Arbeitge-ber kann den Teilzeitantrag des Arbeitnehmers gemäß § 8 Abs. 4 Satz 1 TzBfG zurückweisen, wenn dem Teil-zeitwunsch betriebliche Gründe entgegenstehen. Ein solcher Ablehnungsgrund liegt gemäß § 8 Abs. 4 Satz 2 TzBfG insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisati-on, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt oder unverhältnismäßige Kosten verursacht.

Im vorliegenden Fall hat ein Maschinenführer ge-gen seinen Arbeitgeber ge-klagt. Er verlangte nach Ab-schluss seiner Elternzeit das arbeitsvertraglich vereinbarte Vollzeitarbeitsverhält-nis auf der Grundlage des § 8 TzBfG in ein solches mit einer Arbeitszeitverpflichtung von 20 Wochenstunden umzuwandeln, damit er sich weiterhin um sein Kind kümmern kann. Zuvor hatte er im Dreischichtbetrieb gearbeitet und beantragte nun eine Verteilung sei-ner täglichen Arbeitszeit in der Frühschicht zwischen 9 Uhr und 14 Uhr. Der Arbeitgeber hat den Teilzeit-wunsch des Klägers unter anderem aus dem Grund ab-gelehnt, dass zusätzliche Schichtübergaben eingeführt werden müssten, was zu einem zeitlichen Verzug bei der Produktion und damit zu wirtschaftlichen Nach-teilen führen würde. Nachdem der Arbeitgeber in der ersten Instanz unterlegen ist, schlossen die Parteien ei-nen neuen unbefristeten Arbeitsvertrag, der dem Teil-zeitwunsch des Arbeitnehmers entsprach. In der Beru-fungsinstanz stritten die Parteien nur noch darum, ob sich dadurch der Rechtsstreit erledigt hat.

Das LAG Köln hat festgestellt, dass sich der Rechts-streit durch den Abschluss des neuen Arbeitsvertrages in der Hauptsache erledigt hat und bestätigte in seiner Urteilsbegründung das erstinstanzliche Urteil. Auch wenn das Arbeitszeitbegehren des Klägers der Beklag-ten gewisse organisatorische Anstrengungen abver-langt, können diese im Betrieb ohne unzumutbare Ein-schränkungen bewältigt werden. Nach Ansicht beider Instanzen haben auch Arbeitnehmer, die im Schicht-betrieb arbeiten, einen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Sie können auch eine solche Verteilung ihrer verringerten Arbeitszeit verlangen, dass sie im Ergebnis nur noch zu einer bestimmten Schicht am Tag eingeteilt werden können. Im vorliegenden Fall müsse der Arbeitgeber den erhöhten Planungsaufwand und die Änderung der zeitlichen Arbeitsorganisation akzeptieren. Be-merkenswert in dem Urteil des LAG Köln ist, dass das Gericht in seiner Beurteilung die Gründe, die den Ar-beitnehmer zu seinem Wunsch nach Verringerung und Neuverteilung seiner Arbeitszeit veranlasst haben, mitberücksichtigt. Nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. BAG v. 9.12.2003 – 9 AZR 16/03) ist es für den An-spruch nach § 8 TzBfG unerheblich, aus welchen Grün-den der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit verringern möchte. Persönliche Belange des Arbeitnehmers sind im Gesetz nicht erwähnt. Auch die in § 8 Abs. 4 Satz 2

TzBfG aufgezählten Beispielsfälle stellen allein auf die betriebliche Situation, nicht auf die des Arbeitnehmers ab. Nach Auffassung des LAG Köln ist es jedoch eine dringende gesamtgesellschaftliche Zielsetzung, die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit zu för-dern. Diese Problematik zu bewältigen, liegt nicht nur in einem subjektiv-individuellen Interesse eines Einzel-nen, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit. Vor diesem Hintergrund vorgebrachte Wünsche nach An-passung der Arbeitszeit rechtfertigen nach Ansicht des LAG Köln erhöhte Anforderungen an den Maßstab der Unzumutbarkeit. Das Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie rückt immer mehr in den Fokus der öffent-lichen Debatte. Es ist zu begrüßen, wenn dieser Aspekt im Rahmen des Beurteilungsspielraums der Gerichte ebenfalls Berücksichtigung findet und die nötige Ge-wichtung bekommt.

Albena Chipkovenska, Rechtsanwältin, Berlin

Konsequenzen für die Praxis

1. Auch Arbeitnehmer im Schichtdienst haben einen Anspruch auf Teil-zeitarbeit und können eine solche Verteilung ihrer täglichen Arbeitszeit verlangen, dass sie nur noch einer bestimmten Schicht zugeteilt werden können.2. Die Motive des Arbeitnehmers, die dem Teilzeitwunsch zugrunde liegen, sind nach Auffassung des LAG Köln zu berücksichtigen. Dabei kommt der Vereinbarkeit von Beruf und Familie eine besondere Bedeu-tung zu.

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ZBVR online 5/2014 | Seite 29 von 34

ZBVR online Rechtsprechung in Leitsätzen

Rechtsstellung der Betriebsratsmitglieder

Nachtzuschläge bei Betriebsratstätigkeit in der Tag-schichtDas Landesarbeitsgericht Köln hat in einem jetzt ver-öffentlichten Urteil entschieden, dass Betriebsrats-mitglieder – auch ohne nachts zu arbeiten – Nachtzu-schläge erhalten, wenn vergleichbare Arbeitnehmer für ihre Arbeit Nachtzuschläge erhalten haben und das Betriebsratsmitglied ohne die Übernahme der Be-triebsratstätigkeit ebenso in der Nacht gearbeitet hät-te.

Geklagt hatte ein Arbeitnehmer eines Möbelhau-ses, der zum Betriebsratsvorsitzenden gewählt wor-den war. Er war in Vollzeit in der Abteilung Logistik eingesetzt gewesen. Die Arbeitszeit der Vollzeitkräfte in dieser Abteilung beginnt spätestens um 4:00 Uhr morgens. Nach der Wahl vereinbarten das Unterneh-men und der Betriebsrat, dass der Kläger täglich für 3,5 Stunden für Betriebsratsarbeit von der Arbeit be-freit wurde. Gleichzeitig wurde der Arbeitsbeginn für den Kläger einvernehmlich auf 6:00 Uhr verschoben, um für die Mitarbeiter die Kontaktaufnahme zu ver-bessern.

Das LAG Köln sprach dem Kläger die ihm in der Zeit von 4:00 Uhr bis 6:00 Uhr dadurch entgangenen Nacht-zuschläge zu und begründete das im Wesentlichen mit § 37 Abs. 4 Betriebsverfassungsgesetz. Danach darf das Arbeitsentgelt von Betriebsratsmitgliedern nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt ver-gleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruf-licher Entwicklung. Das Betriebsratsmitglied müsse daher so gestellt werden, als ob es keine Amtstätigkeit ausgeübt hätte.(Pressemitteilung LAG Köln v. 28.1.2014)LAG Köln, Urteil v. 13.12.2013 – 12 Sa 682/13 – (n.rkr.)

Arbeits- und Arbeitsvertragsrecht

Anspruch einer Krankenschwester, nicht für Nacht-schichten eingeteilt zu werden Kann eine Krankenschwester aus gesundheitlichen Gründen keine Nachtschichten im Krankenhaus mehr leisten, ist sie deshalb nicht arbeitsunfähig krank. Sie hat Anspruch auf Beschäftigung, ohne für Nacht-schichten eingeteilt zu werden.

Die Beklagte betreibt ein Krankenhaus der sog. Voll-versorgung mit etwa 2.000 Mitarbeitern. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 1983 als Krankenschwester im Schichtdienst tätig. Arbeitsvertraglich ist sie im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wech-selschicht- und Schichtarbeit verpflichtet. Nach einer Betriebsvereinbarung ist eine gleichmäßige Planung

u.a. in Bezug auf die Schichtfolgen der Beschäftigten anzustreben. Das Pflegepersonal bei der Beklagten ar-beitet im Schichtdienst mit Nachtschichten von 21.45 Uhr bis 6.15 Uhr. Die Klägerin ist aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, Nachtdienste zu leis-ten, weil sie medikamentös behandelt wird.

Nach einer betriebsärztlichen Untersuchung schickte der Pflegedirektor die Klägerin am 12. Juni 2012 nach Hause, weil sie wegen ihrer Nachtdienstun-tauglichkeit arbeitsunfähig krank sei. Die Klägerin bot demgegenüber ihre Arbeitsleistung – mit Ausnahme von Nachtdiensten – ausdrücklich an. Bis zur Entschei-dung des Arbeitsgerichts im November 2012 wurde sie nicht beschäftigt. Sie erhielt zunächst Entgeltfortzah-lung und bezog dann Arbeitslosengeld.

Die auf Beschäftigung und Vergütungszahlung für die Zeit der Nichtbeschäftigung gerichtete Klage war beim Zehnten Senat des Bundesarbeitsgerichts, eben-so wie in den Vorinstanzen, erfolgreich. Die Klägerin ist weder arbeitsunfähig krank noch ist ihr die Arbeits-leistung unmöglich geworden. Sie kann alle vertrag-lich geschuldeten Tätigkeiten einer Krankenschwester ausführen. Die Beklagte muss bei der Schichteintei-lung auf das gesundheitliche Defizit der Klägerin Rück-sicht nehmen. Die Vergütung steht der Klägerin unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs zu, weil sie die Arbeit ordnungsgemäß angeboten hat und die Be- klagte erklärt hatte, sie werde die Leistung nicht an-nehmen. (Pressemitteilung BAG Nr. 16/2014)BAG, Urteil v. 9.4.2014 – 10 AZR 637/13 –

Bindung des Arbeitgebers an die Einsatzbeschrän-kung des BetriebsarztesSpricht der Betriebsarzt des eigenen medizinischen Dienstes des Arbeitgebers für eine Arbeitnehmerin eine zeitlich befristete Einsatzbeschränkung aus (hier: Einsatz einer Flugbegleiterin für sechs Monate nur auf Langstreckenflügen), so verhält sich der Arbeitgeber er-messensmissbräuchlich, wenn er sich hieran nicht hält, es sei denn, die Einschränkung seines Direktionsrechts ist ihm aus triftigen sachlichen Gründen unzumutbar oder er kann triftige sachliche Indizien anführen, die das Votum des Betriebsarztes ungerechtfertigt er-scheinen lassen. Dass der schriftlichen Verfügung des Betriebsarztes keine medizinische Begründung beige-fügt ist, ist dabei unerheblich.

Kündigt der Arbeitgeber an, die betriebsärztliche Verfügung nicht befolgen zu wollen, so kann die Ar-beitnehmerin ihren Anspruch auf Beschäftigung nach Maßgabe der betriebsärztlich verfügten Einsatzbe-schränkung auch im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes durchsetzen.LAG Köln, Beschluss v. 14.8.2013 – 7 Ta 243/13 –

Rechtsprechung in Leitsätzen

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ZBVR online 5/2014 | Seite 30 von 34

ZBVR online Rechtsprechung in Leitsätzen

Arbeitszeitrecht

Vergütung von Pausen bei Nichtbeteiligung des Be-triebsratsOrdnet ein Arbeitgeber Pausen ohne Wahrung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG an, so sind die Pausen unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges auch dann zu vergüten, wenn sie § 4 ArbZG entsprechen.LAG Köln, Urteil v. 26.4.2013 – 4 Sa 1120/12 – (n.rkr.)

Fortschreibung des Arbeitszeitkontos bei Schichtar-beit nach KrankheitWar der Arbeitnehmer für die Zeit der krankheitsbe-dingten Arbeitsunfähigkeit in einem Schichtplan zur Arbeit eingeteilt, dann ist ein Arbeitszeitkonto ent-sprechend den Einsätzen, die der Arbeitnehmer nach dem Schichtplan zu leisten gehabt hätte, fortzufahren.LAG Köln, Urteil v. 22.11.2013 – 6 Sa 701/12 –

Arbeitsschutzrecht

Kein Initiativrecht des Betriebsrats zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses§ 11 Satz 1 ASiG verpflichtet den Arbeitgeber in Betrie-ben mit mehr als 20 Beschäftigten einen Arbeitsschut-zausschuss zu bilden. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann sich der Betriebsrat nach § 89 Abs. 1 Satz 2 BetrVG an die zuständige Arbeitsschutzbehörde wenden. Diese hat die Errichtung eines Arbeitsschutz-ausschusses nach § 12 ASiG anzuordnen und kann im Weigerungsfall eine Geldbuße verhängen (§ 20 ASiG). Dem Betriebsrat steht kein Initiativrecht zur Bildung eines Arbeitsschutzausschusses zu.

Die Arbeitgeberin ist ein Einzelhandelsunterneh-men mit Sitz in Hamburg und Filialen im gesamten Bundesgebiet. Bei ihr ist auf Unternehmensebene ein Arbeitsschutzausschuss errichtet, in den vom Gesamt-betriebsrat Mitglieder entsandt werden. Die Stuttgar-ter Filiale gilt wegen ihrer räumlichen Entfernung vom Hauptbetrieb als selbständiger Betrieb im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes. Der dort bestehende Be-triebsrat hält die Bildung eines unternehmenseinheit-lichen Arbeitsschutzausschusses für unzureichend und hat von der Arbeitgeberin die Bildung eines solchen für die Filiale verlangt. Die Vorinstanzen haben den Antrag des Betriebsrats abgewiesen. Dessen Rechts-beschwerde blieb vor dem Ersten Senat des Bundesar-beitsgerichts ohne Erfolg. § 11 ASiG regelt zugunsten des Betriebsrats keinen Anspruch auf Errichtung eines Arbeitsschutzausschusses.

Vielmehr handelt es sich um eine öffentlich-recht-liche Verpflichtung des Arbeitgebers. Hierbei steht ihm kein Handlungsspielraum zu. Das schließt nach dem Eingangshalbsatz des § 87 Abs. 1 BetrVG auch ein Mitbestimmungsrecht in Angelegenheiten des Ar-beits- und Gesundheitsschutzes aus. Es bedurfte daher keiner Entscheidung, ob die Arbeitgeberin ihrer Ver-

pflichtung aus dem Arbeitssicherheitsgesetz dadurch genügt, dass sie im Hauptbetrieb unter Beteiligung des Gesamtbetriebsrats einen Arbeitsschutzausschuss errichtet hat.(Pressemitteilung Nr. 17/2014)BAG, Beschluss v. 15.4.2014 – 1 ABR 82/12 –

Kündigungsrecht

Außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist infolge Fremdvergabe von TätigkeitenEin wichtiger Grund für eine betriebsbedingte außer-ordentliche Kündigung eines ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers kann sich auch aus dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetriebli-cher Maßnahmen des Arbeitgebers ergeben.

Davon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Sonderkündigungsschutz auf einer tarifvertraglichen Regelung beruht, die den Ausschluss der ordentlichen Kündigung an die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers knüpft.

Etwas anderes kann gelten, wenn der (befristete) Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen die Ge-genleistung des Arbeitgebers für einen Verzicht auf bestimmte Rechtsansprüche durch die Arbeitnehmer darstellt.(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG)BAG, Urteil v. 20.6.2013 – 2 AZR 379/12

Verdachtskündigung/Hemmung der Zwei-Wochen-Frist zwecks SachverhaltsaufklärungErfährt der Arbeitgeber von Tatsachen, die als wichti-ge Gründe für den Ausspruch einer außerordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung in Frage kommen, ist die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB gehemmt, solange der Arbeitgeber zügig Ermittlungen zur wei-teren Sachverhaltsaufklärung durchführt, die er für notwendig und sinnvoll halten darf. Die Anhörung des Arbeitnehmers zu den potentiellen Kündigungstatsa-chen ist Bestandteil der Sachverhaltsaufklärung.

Solche sorgfältigen Ermittlungen können und dür-fen, wenn sie zügig durchgeführt werden, deutlich mehr als zwei Wochen in Anspruch nehmen.

Geraten die Aufklärungsbemühungen jedoch ohne sachlichen Grund für Zeiträume von mehr als zwei Wo-chen ins Stocken, ist die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB im Hinblick auf die schon bekannten Kündi-gungsgründe verletzt und kann damit eine Weiterbe-schäftigung des betroffenen Arbeitnehmers jedenfalls bis zum Ablauf einer ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr als unzumutbar erscheinen.

Zum notwendigen Inhalt der Informationen des Betriebsrats vor dem Ausspruch einer außerordentli-chen Kündigung gehören auch die Tatsachen, aus de-nen sich ergibt, dass die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten ist. LAG Köln, Urteil v. 22.3.2012 – 7 Sa 1022/11 –

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ZBVR online Rechtsprechung zum Betriebsverfassungsrecht

ZBVR online 5/2014 | Seite 31 von 34

ZBVR online Aufsätze und Berichte

2014, das Jahr der Wahl. In ganz Deutschland werden Betriebsratsgremien neu gewählt. Manche Betriebs-ratsmitglieder wurden das erste Mal in das Gremium hineingewählt. Insofern ist das Gremium häufig neu zusammengesetzt und man überlegt sich, welche Schwerpunkte in der Betriebsratsarbeit gesetzt wer-den sollen. Gedacht wird an die typischen Klassiker wie Arbeitszeit, Einstellungen, Lohn und Umstrukturie-rung – regelmäßig aber nicht an die Personalplanung, die in den §§ 92 ff BetrVG geregelt ist. Zu Unrecht: Im nachstehenden Beitrag werden die Grundzüge der Beteiligung des Betriebsrats bei der Personalplanung aufgezeigt und zugleich neue Perspektiven für die Be-triebsratsarbeit eröffnet.

I. Personalplanung – ein Wesen aus Loch Ness oder gibt es das wirklich?

Zunächst stellt sich die Frage: Was ist das eigentlich, die „Personalplanung“? Viele haben davon schon ein-mal gehört. Aber in der betrieblichen Realität ist es oftmals so eine Sache mit der Personalplanung. Die meisten Arbeitgeber wissen zwar von den Beteili-gungsrechten des Betriebsrats aus den §§ 92ff BetrVG. Getreu dem Motto: „Wo nichts ist, muss keine Beteili-gung stattfinden“ … wird dann jedoch behauptet: „Per-sonalplanung? Gibt es bei uns nicht, so etwas machen wir nicht“. Und schon ist der Betriebsrat ausgebremst (?). Hand aufs Herz: Wer als Arbeitgeber behauptet, es gebe keine Personalplanung, verliert schnell an Glaub-würdigkeit. Denn ohne Personalplanung funktioniert keine Arbeitsorganisation.

Merke: Weder das Gesetz noch die Rechtsprechung unterscheiden danach, ob die Personalplanung von langer Hand oder eher situativ betrieben wird.1 Pla-nung bleibt dabei Planung und diese ist beteiligungs-pflichtig.2

Das Gesetz selber definiert nicht, was unter Personal-planung zu verstehen ist. Nach der Gesetzesbegrün-dung soll der Betriebsrat rechtzeitig über die perso-nelle Lage des Betriebs und deren Entwicklung anhand von Unterlagen umfassend informiert werden. Ent-sprechende Maßnahmen sollen beraten werden, um nicht zuletzt auch Härten für die Arbeitnehmer zu ver-meiden. Hieraus folgerte das Bundesarbeitsgericht3,

* Dr. jur. Magnus Bergmann, Spezialkanzlei Bergmann/ Lappe aus Münster, zu erreichen unter www.bergmann-lappe.de.

1 MünchArbR-Matthes, § 346 Rd. 6.2 Zu den Beteiligungsrechten vgl. unten II.3 BAG v. 6.11.1990 AP Nr. 3 zu § 92 BetrVG = DB 1991,

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umfasst sei jede Planung, die sich bezieht auf den ge-genwärtigen und künftigen Personalbedarf, in quanti-tativer und qualitativer Hinsicht, auf dessen Deckung im weiteren Sinne und auf den abstrakten Einsatz der personellen Kapazität. Hiernach sei umfasst die Pla-nung

• des Personalbedarfs, • von Personalbeschaffung und -abbau, • des Personaleinsatzes sowie • der Personalentwicklung.

1. Personalbedarfsplanung

Die Planung des Personalbedarfs, auch Personalbe-darfsplanung, bildet den Kernbereich, sie ist praktisch der erste Dominostein, der fällt, und aus der sich al-les weitere ableiten lässt. Die Personalbedarfsplanung lässt sich in vier Unterfallgruppen aufteilen:

• quantitativ (Wie viele Arbeitnehmer?)• qualitativ (Welche Ausbildung, Erfahrung müssen

die Arbeitnehmer haben?)• zeitlich (Zu wann? Wie lange?) und• örtlich (Wo? Nur dort? Oder auch woanders?)

Im Wesentlichen geht es bei der Personalbedarfspla-nung um die Frage, wie viele Arbeitnehmer mit wel-chen Qualifikationen an welchen Orten und für welche Zeit benötigt werden. Das wiederum erfordert eine Gegenüberstellung einerseits des aktuellen Personal-stands im Verhältnis zum zukünftigen Personalbedarf, erforderlich ist mithin ein Abgleich zwischen IST und SOLL. Im Rahmen gegebener Möglichkeiten sind dabei vorhersehbare Veränderungen zu berücksichtigen, wie z.B. Elternzeit, Altersteilzeit, Eintritt in die Rente, Aus-lauf befristeter Verträge, aber auch Rationalisierungs-vorhaben und Betriebsänderungen.

Merke: Bei dem IST – SOLL–Abgleich ist, ganz egal, ob ein Bedarf oder ein Überhang besteht, stets danach zu fragen, ob die zukünftige Arbeitsmenge von den Ar-beitnehmern innerhalb der Bandbreite zumutbarer Be-lastungen bewerkstelligt werden kann. An dieser Stelle kann sich ein Brückenschlag hinein in den betrieblichen Gesundheitsschutz (§ 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG) ergeben. Stichwort: physische und psychische Belastungsanaly-sen eines jeden Arbeitsplatzes.

Fehler und Mängel in diesem Bereich können weitrei-chende Folgen haben. Wird der Bedarf zu hoch ein-geschätzt, entsteht ein Personalüberhang, der dann kostenpflichtig unter Berücksichtigung der Vorgaben des Kündigungsschutzgesetzes abgebaut werden muss. Ist der Bedarf hingegen zu niedrig angesetzt,

Personalplanung in der Praxis des Betriebsrats 2014 Dr. Magnus Bergmann, Münster*

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entstehen Personalengpässe mit Folgen für die Un-ternehmensziele und die Arbeitsbelastung der Mitar-beiter.

Einmal Planung … immer Planung?

Aus dem Vorstehenden wird eines deutlich: Die Per-sonalplanung ist kein einmaliger Prozess, sondern ein ständiger.4 Denn der künftige Personalbedarf kann eben nicht sicher vorausgesagt werden. Nicht immer treten planbare und vorhersehbare Entwicklungen ein. Man denke nur an Konjunkturdellen und Eigenkündi-gungen. Das kann nur schwer bis gar nicht vorhergese-hen werden. Kurzum: Regelmäßig bedarf es der Über-prüfung, inwieweit die angenommenen Prämissen noch richtig sind.

Tipp: Es bietet sich an, das Thema der Personalplanung zu einem festen Tagesordnungspunkt bei den Monats-gesprächen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zu machen.

2. Personalbeschaffung und -abbau

Konnte man sich also im Zuge der Personalbedarfs-planung einen Überblick über den zukünftigen Bedarf verschaffen, schließt sich daran die Personalbeschaf-fungsplanung an. Dies folgt der Überlegung, wie und wodurch die mit Hilfe der Personalbedarfsplanung ermittelten Bedarfe (Anzahl und Qualifikation) be-schafft werden können. Kann auf interne Beschaf-fungsmaßnahmen zurückgegriffen werden? Etwa Überstunden, Urlaubsverschiebungen, Umwandlung von Teilzeit- in Vollzeitarbeitsverhältnisse? Oder muss auf externe Beschaffungskanäle zurückgegriffen wer-den, z.B. Leiharbeitnehmer oder gar die Fremdvergabe von Arbeiten?

Merke: Den innerbetrieblichen Beschaffungsmaßnah-men ist stets der Vorrang gegenüber den externen Be-schaffungskanälen einzuräumen. Arbeitsplätze kön-nen auch durch den Abbau von Überstunden erhalten oder geschaffen werden.

Aber nicht immer stellt sich heraus, dass zukünftig Be-darf an weiteren Arbeitnehmern besteht. Denn auch eine systematische Personalplanung kann grundsätz-liche Arbeitsplatzrisiken nicht ausschließen. Diese kön-nen aus konjunkturellen oder strukturellen Gründen entstehen, z.B. Auftragsrückgängen, Auswirkungen neuer Technologien, Konzentrationsvorgängen. Dabei besteht die Herausforderung der Personalabbaupla-nung darin, nicht nur die geänderten Herausforderun-gen für den Betrieb im Blick zu haben, sondern die so-zialen Folgen für die Arbeitnehmer möglichst gering zu halten.

4 So auch BAG v. 17.3.1987 AP Nr. 29 zu § 80 BetrVG 1972 = DB 1987, 1491.

Merke: In diesem Bereich sollte auch an vorbeugen-de Maßnahmen gedacht werden. Stichwort: Flexibi-lität der Produktionsplanung, optimierte Gestaltung der Arbeitsabläufe und -plätze. Ggf. kommt auch die Möglichkeit der Arbeitsplatzreduzierung in Betracht, wie der Abbau von Überstunden, die Einführung von Altersteilzeit, Fortbildung, Kurzarbeit, etc. Kündigun-gen und Aufhebungsverträge sollten nur das äußerste Mittel sein.

3. Personaleinsatzplanung

Im Bereich der Personaleinsatzplanung geht es um den Einsatz, aber auch um den Abbau von Arbeitsplätzen. Maßgebliche Frage dabei ist: Wie ist der künftige per-sonelle Bedarf abzudecken? Die Antwort hierauf ergibt sich aus den Überlegungen rund um die Vergabe von Arbeiten an Fremdfirmen, Einsatz von Leiharbeitern, Übernahme von Auszubildenden etc.

Merke: Der Schwerpunkt der Einsatzplanung liegt in der angemessenen Zuordnung der Arbeitnehmer zu den Stellen, z.B.: auf Dauer oder befristet? Zuteilung zu den Schichten, Umsetzung zur Überbrückung von Fehlzeiten bedingt durch Urlaub und Krankheit, Ver-setzung, Umgruppierung, kapazitätsorientierter vari-abler Arbeitszeit oder Gruppenarbeit.

4. Personalentwicklungsplanung

Hierbei geht es darum, die Qualifikation der Arbeit-nehmer an die Bedarfsziele des Betriebs anzupassen. Natürlich geht es nicht darum, dass – bildlich gespro-chen – der Schwanz mit dem Hund wackelt. Aber im Rahmen bestehender Möglichkeiten soll versucht wer-den, die Arbeitnehmer an die zukünftigen Anforderun-gen im Betrieb anzupassen. Gesichtspunkte wie Aus-bildung, Fortbildung und Umschulung spielen hierbei eine große Rolle.

II. Beteiligung des Betriebsrats

1. Unterrichtung

Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Personal-planung, insbesondere über den gegenwärtigen und künftigen Personalbedarf sowie über die sich daraus ergebenden personellen Maßnahmen anhand von Un-terlagen rechtzeitig und umfassend zu unterrichten sowie mit ihm auch Beratungen über Art und Um-fang der notwendigen personellen Maßnahmen sowie über das Vermeiden von Härten zu führen (§ 92 Abs. 1 BetrVG). Hieraus folgt zunächst, dass der Betriebsrat zunächst lediglich ein Unterrichtungs- und Beratungs-recht hat. Er hat kein Mitbestimmungsrecht.

In nahezu jedem Fall gibt es Reibungspunkte hinsicht-lich des Merkmals „rechtzeitig“. Davon kann nur dann die Rede sein, wenn der Betriebsrat die Möglichkeit

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hat, auf den Prozess der Entscheidungsfindung des Ar-beitgebers Einfluss auszuüben. Dahingehend darf also noch nichts feststehen.

Die Unterrichtung muss auch noch umfassend erfol-gen. Auch dies ist ein konfliktanfälliger Punkt. Um-fassend ist eine Information nach der blanken Lehre nur dann, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat alle Daten und Fakten mitteilt, die ihm die umfassende Unterrichtung über die Personalplanung vermitteln und ihn zugleich in die Lage versetzen, sachgemäß mit dem Arbeitgeber zu beraten und gegebenenfalls personalplanerische Vorschläge zu machen. Beispiel-haft geht es dabei um folgende Informationen bzw. Unterlagen:5

• Planungen zu Personalbedarf, Personalbeschaf-fung, Personalentwicklung, Personaleinsatz, Per-sonalabbau und Personalkosten;

• Stellenbeschreibungen, Stellenpläne und Anforde-rungsprofile;

• Arbeitszeitvolumen und Einsatzzeiten der Arbeit-nehmer;

• technisch-organisatorische Rationalisierungsmaß-nahmen;

• Personalveränderungen resultierend z.B. aus altersbedingtem Ausscheiden, Elternzeit oder Ableistung des Wehrdienstes;

• Personalstatistiken, wie z.B. Krankheits- und Unfallstatistiken, Fluktuationsstatistiken und Qualifikationsübersichten;

• Statistiken zu Belegschaftsstruktur, wie etwa die altersmäßige Zusammensetzung, Gliederung nach Beschäftigungsarten, Zahl der weiblichen, männli-chen, jugendlichen und ausländischen Beschäftig-ten sowie der schwerbehinderten Menschen.

Wie denn konkret: Nur Information? Oder Einsicht? Oder Aushändigung von Unterlagen?

Ebenso wie bei anderen Angelegenheiten stellt sich auch bei der Personalplanung die Frage, ob der Arbeit-geber den Betriebsrat nur informieren muss oder ob er ihm vorliegende Unterlagen zumindest zur Einsicht zur Verfügung stellen muss. Kaum überraschend, dass es nicht nur in der Praxis, sondern auch in der Kommen-tarliteratur dazu unterschiedliche Meinungen gibt. Die vorzugswürdige Meinung stellt ab auf die General-klausel in § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Dort heißt es, dass dem Betriebsrat die zur Erledigung seiner Aufgaben nach dem Betriebsverfassungsgesetz erforderlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen sind.6 Dem ent-sprechend kann also der Betriebsrat mindestens die

5 Vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, Komm. 27. Aufl. 2014, § 92 Rn. 31.

6 Übersicht bei Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier, BetrVG, Komm. 27. Aufl. 2014, § 92 Rn. 32 m.w.N.

Einsicht in bestehende Unterlagen verlangen. Dies be-zieht sich auf vorhandene Unterlagen, aber auch auf solche, die ausgedruckt oder über Lesegerät oder Mo-nitor sichtbar gemacht werden können.7

2. Beratung

An die Information schließt sich die Beratung an. Die Betriebsparteien haben über Art und Umfang der er-forderlichen Maßnahmen und über die Vermeidung von Härten zu beraten. Nach einer differenzierenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. No-vember 19908 muss der Arbeitgeber nicht von sich aus schon über die Personalbedarfsplanung mit dem Be-triebsrat beraten, sondern erst dann, wenn aus dieser im Rahmen der Personaldeckungsplanung konkrete Maßnahmen folgen sollen. Diese Sichtweise ist ab-zulehnen. Sie läuft auf eine gekünstelte Zweiteilung zwischen Information einerseits und Beratung ande-rerseits hinaus. Eine solche Differenzierung lässt sich dem Gesetzestext nicht entnehmen.

3. Vorschlagsrecht des Betriebsrats

Der Betriebsrat hat über sein Informations- und Bera-tungsrecht hinaus die Möglichkeit, eigene Vorschläge zu einer Personalplanung (Einführung und Durchfüh-rung) zu unterbreiten. Denkbare Vorschläge können sein: Vorschlag, ein Programm für ein Personalinfor-mationssystem zu entwickeln, Einführung einer me-thodischen Personalplanung oder Einführung einer Fluktuationsanalyse. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, sich mit den Vorschlägen des Betriebsrats ernsthaft zu beschäftigen.

4. Was passiert, wenn es Streit gibt?

Kommt es im Zusammenhang mit der Personalpla-nung zum Streit zwischen den Betriebsparteien, so ist zugunsten des Betriebsrats zunächst auf die Mög-lichkeit eines Verfahrens nach § 23 Abs. 3 BetrVG oder nach § 101 BetrVG zu verweisen. Das Problem daran ist, dass es erstens lange dauert und zweitens im Mo-ment der Nichtinformation nicht viel nützt. Ein ande-rer Weg kann helfen:

Tipp: Oftmals kann der Betriebsrat dem Arbeitgeber auf die Sprünge helfen, indem herausgestellt wird, dass es durchaus Verknüpfungen gibt zwischen den Spielregeln bei der Personalplanung einerseits und an-dererseits denen bei Entlassungen. Zeigt sich beispiels-weise, dass der Arbeitgeber bei geplanten einzelnen Entlassungen oder gar bei Sozialplanverhandlungen im Vorfeld dazu nie über Themen der Personalplanung (vgl. oben) den Betriebsrat informiert hat, so läuft er

7 Vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier, BetrVG, Komm. 27. Aufl. 2014, § 92 Rn. 31.

8 AP Nr. 3 zu § 92 BetrVG 1972 = DB 1991, 654.

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– Arbeitgeber – Gefahr, einen „Zuschlag“ zu erhalten. Viele Einigungsstellenvorsitzende lassen sich bei der Festlegung von Sozialplanvolumina auch davon leiten, ob und in welchem Umfang sich der Arbeitgeber im Vorfeld einer Betriebsänderung regelkonform verhal-ten hat.

III. Tipps zur optimalen Umsetzung

Flankierend zu den obigen rechtlichen Möglichkeiten können die nachstehenden Gesichtspunkte dabei be-hilflich sein, die Personalplanung effektiv auszugestal-ten:

• Der Betriebsrat sollte die Personalplanung aktiv angehen. Die wenigsten Arbeitgeber spielen den Betriebsrat in der gesetzlich vorgesehenen Art und Weise an. Dabei sollte der Betriebsrat nicht untä-

tig sein. „Sprechenden Menschen wird geholfen“ ist ein Grundsatz, der auch hierbei gilt.

• In Betriebsratsgremien mit einer Größe ab neun Mitgliedern bietet sich an, einen „Personalpla-nungsausschuss“ zu etablieren. Da sich die Mit-glieder in diesem Ausschuss regelmäßig mit Perso-nalplanungsthemen beschäftigen, kann solch ein Ausschuss auch als eine Art Kompetenzzentrum angesehen werden.

• Alternativ könnte auch angedacht werden, gemeinsam mit dem Arbeitgeber einen Co- Ausschuss zu gründen. Der Vorteil dabei besteht darin, dass unterschiedliche Interessen frühzeitig offengelegt werden und konsensorientierte, prak-tikable Lösungen gefunden werden können.

• Zur Vertiefung des erworbenen Wissens sollten Betriebsratsschulungen besucht werden, die sich speziell der Personalplanung widmen.

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