Zitronenfalter 3.2009

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Was Kirche für morgen heute bewegt 3.2009 Endlich leben Ein 12-Schritte-Programm für Gemeindekreise Segen und Hinken Dr. Beate Weingardt über Gesegnete und Gezeichnete Heilsame Begegnungen Auf dem Weg zu einer Gemeinde, die gut tut Heilsame Gemeinde www.kirchefuermorgen.de

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Thema: Heilende Begegnungen - Zitronen

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Was Kirche für morgen heute bewegt

3.2009

Endlich lebenEin 12-Schritte-Programm für Gemeindekreise

Segen und HinkenDr. Beate Weingardt über Gesegnete und Gezeichnete

Heilsame BegegnungenAuf dem Weg zu einer Gemeinde, die gut tut

Heilsame Gemeinde

www.kirchefuermorgen.de

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Editorial & Inhaltsverzeichnis

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Liebe Leserinnen und Leser,

Vor über 30 Jahren habe ich zum ersten Mal in einem Sal­bungsgottesdienst mit Prof. Hollenweger erlebt, welch heil­same Wirkung eine Segnung und Salbung in uns entfalten kann. Gleichzeitig wurde mir damals bewusst, wie weit eine solche Praxis vom normalen Ge­

meindeleben unserer Landeskirche entfernt ist. Das Gebet um Heilung ist in unseren Gemein­

den vielfach zu einem Randphänomen gewor­den. Wir haben zugelassen, dass man das fast nur noch in charismatischen Freikirchen erleben kann.

Der Heilungsauftrag Jesu aber ist ein Auftrag an die ganze Kirche. Deshalb muss – wenn wir nahe bei den Menschen sein wollen ­ bei allem, was wir tun, stets die Frage mitschwingen: Kommt das Thema Heilung bei uns vor? Und können Menschen bei uns überraschend heil­same Erfahrungen machen?

Welche heilsame Wirkung haben unsere Got­tesdienste, unsere Abendmahlsfeiern? Tragen Hauskreise dazu bei, dass Unheiles zur Sprache kommt und heilende Prozesse ermöglicht wer­den? Gibt es bei uns Formen, in denen auch für und mit Kranken gebetet wird? – Oder umge­kehrt: Wie hoch ist die Gefahr, dass Bedürftige mit ihren Anliegen bei uns gar keinen Raum fin­den?

Natürlich wird nicht jede Krankheit durch Gebet und Handauflegung geheilt. Aber Erfahrungen dieser Art können unseren Alltag heilsam unter­brechen und uns einen zeichenhaften Vorge­schmack auf das Reich Gottes geben. Es soll sie auch in unseren landeskirchlichen Gemeinden geben.

„Jesus sah einen Menschen.“ Mit dieser Notiz beginnen vielen Heilungsgeschichten der Evan­gelien. Dass wir diesen heilsamen Blick Jesu auf uns selbst ruhen sehen und ihn auch an andere weitergeben können, das wünsche ich Ihnen, liebe Leserin und lieber Leser, ganz persönlich – und dazu mögen Sie in diesem Zitronenfalter angeregt werden. Wenn möglich, schicken Sie uns doch eigene Beispiele, wo man in Ihrem Um­feld heilende Gemeinde erleben kann. Gerne werden wir Ihre Beiträge unter www.kirchefuer­morgen.de veröffentlichen.

Die Zitronen spritzen weiter!Mehr zitronengetränkte Infos und Kom­mentare finden sich auf unserer Home­page: Neben aktuellen Reportagen, einem Zitat der Woche und Berichten von den zurück­liegenden Synoden gibt es regelmäßig neue Zitronenspritzer zu aktuellen Auffäl­ligkeiten aus Kirche und Gesellschaft. Auch das Archiv der Zitronenspritzer lohnt sich durchzuklicken und sich zu Gemüte zu führen. Ergänzungen zu einzelnen Heft­artikeln findet man unter www.kirchefuer­morgen.de/zitronenfalter, wo der aktuelle Zitronenfalter und die bisher erschienenen Ausgaben online zur Verfügung stehen.

Heftthema: Heilsame Gemeinde

Editorial Seite 2

Heilsame Begegnungen Seite 3

Segen und Hinken Seite 6

Nehmt einander an!? Seite 8

Abschied vom Gemeindestress Seite 9

Bausteine

Selbsthilfegruppen in der Gemeinde Seite 10

Segnen und Salben in der Klinik Seite 12

Segnungsgottesdienst Bad Boll Seite 14

Huddles: wie Glaube praktisch wird Seite 15

Gemeindeporträt

Heilsame Prozesse in der Gemeinde Seite 16

Kfm intern

Aus der Landessynode Seite 18

Impressum Seite 19

Zu guter Letzt Seite 20

Ihr

Friedemann Stöffler

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will die denn hier?“ An diesem Tag will es für sie nicht so richtig Sonntag werden.

Beinahe wäre sie an dieser Gemeinde verzweifelt. Weil der Glaube sie aber nicht mehr losließ, ist sie dabei geblie­ben – trotz aller menschlichen Enttäu­schungen.

Heilsam wirken heißt „erbaulich“ leben

Der Apostel Paulus hat für alle Gaben in der Gemeinde ein wichtiges Kriterium entwickelt: „… trachtet danach, dass ihr die Gemeinde erbaut“ (1. Kor 14,12). Ei­nander „erbauen“? – Nein, es geht nicht um frömmelndes Gerede. Das grie­chische Wort meint: ein Haus bauen, aufbauen; dann in übertragenem Sinne auch stärken, ermutigen. Im Bild: Eine heilsame Gemeinde baut dem anderen ein Haus. Sie schaff t dem anderen Raum. Wo? Zuerst im eigenen Herzen: Raum für den anderen Menschen mit sei­nen ganz anderen Erfahrungen, seiner Herkunft und Geschichte. Und dann einen Platz in der Gemeinschaft.

Auf das obige Beispiel übertragen: Wie könnte es gelingen, Frau M. spürbar Raum zu schaffen? Sie nicht nur durch den Begrüßungsdienst an der Kirchentü­re willkommen zu heißen, sondern zu ihr eine Beziehung aufzubauen?

Im Grimmschen Deutschen Wörter­buch findet man zum Stichwort „heil­sam“ u.a. folgende Hinweise: Heilsam (lat. salutaris) meint heilbringend, hei­lend. Ein Ort kann heilsam sein; man kennt aber auch die heilsamen Hände des Arztes und den heilsamen Rat.

Beim theologischen Nachdenken fragt man zunächst: Wer bringt denn das Heil? Sicher ist, dass die christliche Gemeinde aus dem von Gott geschenkten Heil lebt und es nicht selber macht. Gemeinde ist die Gemeinschaft derer, die Heil erfahren haben und die durch die Liebe Gottes in Christus miteinander verbunden sind. Heiligung meint dann das Bemühen, das erkannte und erfahrene Evangelium im Leben konkret umzusetzen. Heilsame Ge­meinde wird so zu einem Raum von Men­schen, die die Liebe Gottes zum Men­schen in ihren Beziehungen nach innen und nach außen konkret leben wollen.

Soweit der theologische Anspruch. Doch die Realität sieht oft anders aus.

Eine unheilsame Gemeindeerfahrung

Frau M., 48jährig, verwitwet, findet durch einen Glaubenskurs neue Motiva­tion, sich Gott zuzuwenden und ihn in ihr Leben einzubeziehen. Sie besucht die Gottesdienste der Gemeinde, sehnt sich aber nach mehr Kontakt. Doch schon die Wahl des Platzes in den Kir­chenbänken birgt Stolperfallen. Bewusst will sie sich zu einer Gruppe von drei Frauen setzen. Keine schenkt ihr einen Blick – vielmehr spürt sie die kalte Schul­ter. Dennoch setzt sie sich mit ein paar Zentimeter Abstand zu dieser Gruppe. Die Frauen tuscheln weiter, beziehen sie aber nicht mit ein. Nach dem Gottes­dienst gibt es wenigstens einen flüch­tigen Blickkontakt zu der mittleren der drei Frauen – mehr nicht. Draußen sieht sie lauter Grüppchen. Sie nähert sich einer Gruppe mit fünf Personen. Offen­bar kennen sich diese gut. Sie versucht, zur Gruppe hinzuzukommen, aber der Kreis schließt sich enger. Die Frau hört die unausgesprochene Botschaft: „Was

Die Sehnsucht nach heilsamer Gemeinschaft ist groß. Manche haben schon resig­niert. Ist eine „heilsame Gemeinde“ Utopie? Wilfried Veeser, Pfarrer und Leiter der christlichen „Bildungsinitiative e.V.“, sucht Antworten.

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Sich investierenSich mit anderen auf den Weg heilsamer Gemeinschaft zu begeben, erfordert von Christen die Bereitschaft, Kraft, Zeit und Geld zu investieren, um die von Gott ge­schaf fenen Gesetzmäßigkeiten des menschlichen Erlebens und Verhaltens besser verstehen zu lernen.

Zuhören und sich für den andereninteressierenDas klingt leicht, ist in der Praxis aber nicht so einfach. Sich für den anderen interessieren heißt, von eigenen The­men Abstand zu nehmen und sich auf den anderen einzustellen. Es ist selten, dass uns ein Mensch wirklich zuhört, ohne uns sofort zu bewerten oder zu korrigieren. Wenn jemand erlebt, dass ein anderer ihm einfach „nur“ zuhört, ist dies „heilsam“, hilfreich. Es tut der Seele wohl.

Sich um gelingende BeziehungenkümmernDurch einen beziehungsorientierten Le­bensstil kann man leichter auf Menschen zugehen. Nur, was macht Beziehung aus?

Hierzu gibt es verschiedene Erkennt­nisse aus der modernen Hirnforschung1. Alle Ziele, die wir im Rahmen unseres Alltags verfolgen, die Ausbildung oder den Beruf betreffend, finanzielle Ziele, Anschaffungen usw. haben aus der Sicht unseres Gehirns ihren tiefen, uns meist unbewussten „Sinn“. Er besteht darin, dass wir dadurch zwischenmenschliche Beziehungen aufbauen oder erhalten wollen. Jede Form zwischenmensch­licher Resonanz und erlebter Gemein­

1 Vgl. z.B. Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit, Hoffmann und Campe 2006

Oder jemand in der Krise: Wie können wir die Person ermutigen? Sie stärken?Oder ein Ehepaar im Streit: Wo darf es sich zeigen mit seiner Not? Wo findet das Paar Christen, die es versteht?Oder ein Geschiedener: Wo geschieht Annahme trotz des offensichtlichen Scheiterns? Wo findet er einen verurtei­lungsfreien Raum?Oder ein behinderter Mensch: Wo wird er nicht nur beäugt und bedauert? Aber auch geistlich: Wo findet ein nach Gott fragender Mensch plausible Anlei­tung zur Sinnfindung, zum Bibellesen, zur Vertiefung in Gottes Wort?

Wie wird eine Gemeinde heilsam?Frau M. hätte mehr Zuwendung und Be­

ziehung gebraucht. Wie lernt man das?

Den „Sinn“ ändern„Stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, damit ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“ (Röm 12,2). Sinn bedeutet vom Grie­chischen her: Vernunft, Verstand, Den­ken; aber auch Sinneswahrnehmung, Meinung. Es geht darum, sich durch Gottes Geist im eigenen Denken und in der Haltung umgestalten zu lassen und an dieser Veränderung auch aktiv mitzu­wirken. Daraus entsteht die Kompetenz, den Zeitgeist von Christus her kritisch zu prüfen und ihn am Evangelium zu messen. Durch diesen Umgestaltungs­prozess beginnen wir, unser Leben und die Menschen um uns herum neu zu sehen. Nur so können wir einen alterna­tiven Lebensstil entwickeln.

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naus Strukturen schafft, durch die Kon­flikte eingedämmt bzw. geklärt und Ent­wicklungsmöglichkeiten eröffnet wer­den, dann wird sie immer mehr zu einem heilsamen Ort für Menschen.

Schritte zu einer heilsamen Gemeinde

• Erzählen Sie anderen in Ihrer Gemeinde von der Möglichkeit, zu einer heilsamen Gemeinde zu werden.

• Suchen Sie das Gespräch mit verant­wortlichen Mitarbeitern, damit diese Ihr Anliegen erkennen und dann mit Ihnen teilen können.

• Gewinnen Sie andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für einen Vortrag oder eine Informationsveranstaltung in Ihrer Gemeinde, durch die geistliche und weisheitliche Impulse für eine heilsame Gemeinde gesetzt werden.

• Beten Sie für offene Herzen und Türen, damit sich Mitarbeiterinnen und Mitar­beiter aus allen Bereichen seelsorger­lich weiterbilden lassen, um mehr über menschliches Verhalten und Erleben zu lernen und das Verständnis für die Mitmenschen zu vertiefen.

schaft scheint die Motivationssysteme des Gehirns zu erfreuen. Das Hormon für dauerhafte Bindung, aber auch für zwischenmenschliches Vertrauen ist Oxytozin. Es hat ein ausgeprägtes Glücks­ und Genusspotenzial. Wir organisieren mehr oder weniger unser Verhalten so, dass dieser Botenstoff ausgeschüttet wird. Menschen, mit denen wir gute Er­fahrungen machen konnten, wirken des­halb auf uns wie ein positiver Reiz: So­bald sie real oder auch in unserer Vor­stellung auftauchen, aktivieren sie unse­re Motivationssysteme. Sie rufen die Sehnsucht nach mehr hervor. Wir fühlen uns zu ihnen hingezogen oder halten uns zumindest gerne in ihrer Gegenwart auf.

Verhaltensweisen, die unmittelbar Beziehung stiftenInsbesondere drei Dinge lösen die Aus­schüttung des Hormons Oxytozin aus: • Anerkennung: einen Menschen wert­

schätzen – ob jung oder alt – und dies ausdrücken, ihn loben, achten, Kom­plimente machen usw.

• Zugewandtheit: sich einem Menschen auf Augenhöhe zuwenden, ihm zeigen, dass ich ihn wahrnehme, mich für ihn interessiere; oder ich wende mich zu­sammen mit dem anderen einer ge­meinsamen Aufgabe, einem gemein­samen Ziel zu usw.

• Vertrauen: einem Menschen vertrauen und dies zeigen; vor allem dem ande­ren etwas zutrauen, ihm das Gefühl geben, dass ich davon überzeugt bin, dass er es richtig macht usw.

Solche Verhaltensweisen motivieren den anderen und schaffen gute Bezie­hung. Wenn eine Gemeinde darüber hi­

Wilfried Veeser, Pfarrer in Dettingen unter Teck,fachlicher Leiter der Bildungsinitia-tive für Seelsorge und Lebensbera-tung (www.bildungsinitiative.net), Autor des Erziehungsprogramms PEP4Teens (www.pep4teens.de), seit 28 Jahren verheiratet, 4 Kinder.BildungsinitiativeWeiler Schafhof 32 73230 Kirchheim unter Teck Tel.: 07021-75717

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In Gen 32,23­32 wird eine geheimnis­volle Geschichte erzählt. Sie schildert die Begegnung zwischen Jakob und einem Unbekannten. Jakob hatte sich in jungen Jahren von seinem Vater den Erst­geburtssegen erschlichen und musste darauf hin vor der Wut seines älteren Zwillingsbruders Esau fliehen. Jahrzehnte

später wollte er sich, inzwischen reich ge­worden, mit seinem Bruder versöhnen. Jakob fädelte diese Begegnung wohl­überlegt ein und schickte eine Vorhut mit Geschenken voraus, die Esau gnädig stimmen sollten. Er selbst wollte in ge­messenem Abstand mit seiner Familie samt Hab und Gut folgen.

Jakob hinktIn der Nacht vor der Begegnung ereig­

net sich ein unerwarteter Zwischenfall. Jakob wird an einem Fluss von einem Fremden aufgehalten. Dieser beginnt, mit ihm zu ringen. Jakob leistet erbit­terte Gegenwehr, so dass der Fremde, der offenbar nur im Schutz der Dunkel­heit agieren kann, von ihm ablässt. Bevor er geht, verpasst er Jakob einen Schlag auf die Hüfte. Jakob hält ihn fest und sagt: „Ich lasse dich nur gehen, wenn du mich segnest.“ Der Fremde fragt nach Jakobs Namen und ändert ihn in den Namen Israel, weigert sich jedoch, sei­nen eigenen Namen zu nennen. Er segnet Jakob und verschwindet. Jakob erschauert – und gibt dem Ort den Namen „Angesicht Gottes“, weil er überzeugt ist, dass er mit Gott selbst gekämpft hatte. Und: Jakob hinkt.

Was fasziniert, ist das einmalige Bild von Gott, das an dieser Stelle gezeichnet wird. Ein Gott, der persönlich mit dem Menschen kämpft und dabei der Schwä­chere ist. Ein Gott, der den Menschen verletzen kann und sich unserem Zugriff entzieht. Und ein Gott, der segnet.

Vier Spannungen enthält diese Ge­schichte – sie bestimmen auch unser Leben mit Gott.

1. Spannung: Wer kämpft?Es wird offen gelassen, ob es sich bei

dem Unbekannten um Gott, einen Engel oder um sonst jemanden handelt. Wie ist es bei uns? Wir haben ein Ziel vor Augen – und etwas oder jemand tritt uns in den Weg, bekämpft uns oder be­schädigt uns. Wir wollen in Frieden mit anderen leben, erfahren aber Wider­

Gesegnete Menschen sind glücklich und erfolgreich. Alles läuft wie am Schnürchen. Wirklich? Dr. Beate Weingardt bringt uns eine Geschichte aus dem AT näher, die uns etwas anderes lehrt.

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– und sie sind sehr schmerzhaft. Warum müssen wir so leiden? Als Folge eigener Fehler und Fehlentscheidungen? Oft, aber nicht immer. Auch in unserer Ge­schichte wird offen gelassen, weshalb Jakob den Hieb verpasst bekam und vermutlich den Rest seines Lebens hink­te. Ich persönlich glaube, dass es für unser seelisches Wachstum, unsere per­sönliche Entwicklung unentbehrlich ist, auch Enttäuschungen, Leid, Scheitern und Begrenzungen zu erleben. Genau genommen ist alles Wertvolle im Leben über weite Strecken auch mühselig und anstrengend. Das gilt nicht nur im Sport. Es gibt keine Arbeit, die dauernd Spaß macht, auch die Aufgaben in der Ge­meinde nicht. Keine Partnerschaft ist immer leicht, und Kindererziehung ist oft mit Frustrationen verbunden. Es ist auch nicht ständig ein Freudenfest, mit Gott zu leben!

4. Spannung: Was ist Segen?Jakob bittet den Fremden, ihn zu seg­

nen. Dieser erfüllt seine Bitte. Doch die Verletzung bleibt. Jakob bleibt gezeich­net. Damit stellt sich die Frage: was ist das eigentlich – „Segen“? Segnen kommt von signare = bezeichnen. Gesegnete sind häufig auch Gezeichnete – aber nicht unbedingt Ausgezeichnete! Ge­zeichnete, das sind Menschen, deren Leben alles andere als unkompliziert verlief oder verläuft. Aber ist es nicht genau das, was sich die meisten unter Segen vorstellen: erst räumen einem die Eltern alle Steine aus dem Weg, dann übernimmt Gott diese Aufgabe?

Wer das erwartet, kann nur enttäuscht werden. Wenn Gott sagt, ‚Ich will dich segnen’, dann bedeutet dies laut Bibel eher folgendes: „Ich gehe mit dir, ich lasse dich nicht einfach laufen. Ich gehe mit dir durch Höhen und Tiefen, durch sonnige Bergwiesen und dunkle Tränen­täler. Wenn du strahlend auf dem Gipfel stehst, bin ich dabei, und wenn du ab­stürzt und am Boden liegst, bin ich auch dabei und helfe dir auch wieder auf. Und wenn du weitergehst, wirst du anders sein als vorher – nämlich ein Gezeichne­ter. Segen – das heißt: ich hinterlasse in deinem Leben Spuren und auch du wirst durch dein Leben Spuren hinterlassen.“

stand und Angriffe. Wir haben Vertrauen in unsere Stärke – und kommen plötz­lich in eine Krise. Nie wissen wir sicher: Ist das Gott, der sich mir in den Weg stellt? Kämpfe ich jetzt mit Gott, mit Menschen, mit mir selber? So wie Jakob sich nach dem Kampf mutig dazu ent-schied, in diesem Fremden Gott selbst zu sehen, so müssen auch wir uns nach jeder schönen oder schweren, freudigen oder bitteren Erfahrung entscheiden, ob wir sie mit Gott in Verbindung bringen wollen oder nicht.

2. Spannung: Allmächtiger Gott?Gott ist nicht immer der Sieger. Wäre

das einfach, wenn man sagen könnte: „Gott ist mächtiger als alles. Deshalb ge­schieht nichts, was er nicht will.“ Aber es passiert so viel Böses und Schlimmes, dass man eher versucht ist, zu sagen: „Gott ist dafür nicht verantwortlich, er ist machtlos, denn er hat alle Macht komplett an die Menschen abgegeben.“ Das stimmt aber auch nicht. Die Wahr­heit liegt dazwischen, und das macht unseren Glauben etwas kompliziert. Gott lässt vieles zu, obwohl es ihm nicht gefallen kann. Aber er greift auch ein. Er kann große und kleine Dinge und Wun­der nach seinem Willen fügen und ge­schehen lassen. Und obwohl wir auf Erden nie durchschauen werden, nach welcher „Logik“ er von seiner Macht Ge­brauch macht oder nicht, bezeugt Jesus, dass wir uns auf diesen Gott verlassen können. Dass wir bei ihm in besten Hän­den sind. Wenn das keine Herausforde­rung ist!

3. Spannung: Immer in der Balance?Bevor der Fremde Jakob segnete, ver­

letzte er ihn mit einem Schlag auf die Hüfte. Der Grund wird nicht genannt. Sollte Jakob ein Denkzettel verpasst werden, den dieser nie vergessen würde? Zumindest die Stelle, an der er verletzt wurde, ist sehr symbolisch. Damals gin­gen die Menschen fast immer zu Fuß. Kamele als Reittiere gab es noch nicht. Und immer war Jakob bis dahin zielstre­big seinen Weg gegangen. Nun wird er an der Schaltstelle des „Fortschritts“ verletzt. Als Hinkender kommt man müh­sam voran, steht man nicht mehr fest und sicher, ist aus der Balance gebracht und macht keine so gute Figur mehr.

Die Verletzungen und Beschädigungen in unserem Leben sind so. Sie bringen uns aus dem Gleichgewicht. Sie rauben uns etwas von unserer Energie, unserem Stehvermögen, unserem Selbstvertrauen

Dr. Beate M. Weingardt, Tübingen, ist Referentin, Autorin und psychologische Beraterin und kennt Gezeichnet- und Gesegnetsein aus ihrem eigenen Leben.

Alles Wertvolle

im Leben ist über

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auch mühselig

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Was war dabei das Schlimmste für Dich?

Dass sich niemand Zeit für mich nahm und ich mich anstrengte, aber alles um­sonst war. Dass ich von der Gemeinde nicht akzeptiert wurde und mich dort auch nicht engagieren durfte. Dass Gott mich damals nicht geheilt hat. Selbst Jesus hat gesagt: „Kommet her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich möchte Euch erquicken“ (Mt. 11,28). Er selbst hat sich um Randgruppen be­müht, um Aussätzige, Blinde, Lahme… und hat sich um diese gekümmert und gesund gemacht. Jesus ist für alle da, auch für Randgruppen und für Außen­seiter. Aber für mich eben nicht. So habe ich das damals empfunden.

Du hast ja viel erlebt. Was, meinst Du, muss sich ändern, damit Gemeinde „heilsame Gemeinde“ sein kann?

Im Evangelischen Bezirksjugendwerk fand ich Freunde und Menschen, die mich akzeptierten, so wie ich war. Sie haben Zeit für mich gehabt und mich in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Das veränderte mich.

Heute habe ich keine Probleme mehr, mich zu unterhalten und erlebe, wie ich Verantwortung für einen großen Arbeits­bereich übertragen bekam. Ich habe keine Scheu mehr davor, meinen Namen in einer Runde zu sagen und eine Unter­haltung mit fremden Menschen macht mir heute sogar Freude. Meine Mitarbeit in größeren Verantwortungsbereichen hat mich stark gemacht. Heute fühle ich mich dazugehörig.

Danke für dieses offene Gespräch!

Erzählst Du kurz, wie es Dir früher in Deiner Gemeinde gegangen ist?

Damals erlebte ich es am eigenen Leib, wie es ist, Außenseiter zu sein. Ich konnte nicht richtig sprechen und bekam, besonders bei Fremden, kein Wort he­raus. Da ich stotterte und lispelte, war es für mich ganz schwierig, mich mitzu­teilen und oft gab man mir nicht mal die Chance, etwas zu sagen. Selbst beim Bi­belaustausch ließ man mir keine Mög­lichkeit, mich einzubringen. „Da kommt ja sowieso nichts Rechtes raus – da kann er es ja gleich lassen.“

Zusätzlich habe ich damals in der Ge­meinde öfters von Kindern gehört: „Du Papa, der da lispelt, der ist doch behin­dert. Du Mama, der da drüben stottert, der ist doch dumm, oder?“ Ich habe mir dann bei Vorstellungen in der Runde zig­mal im Stillen vorgesagt, was ich sagen wollte. Und als ich an der Reihe dran war und stotterte, merkte ich schon an den Blicken, dass ich nicht erwünscht

war. Wenn man Helfer für Aufgaben suchte, wurde

ich of t übergangen – höchstens für die

Aufgaben, die sonst niemand wollte wie Spülen, Hof kehren etc.Auch nach dem Gottesdienstbe­such wollte nie­mand mit mir reden, denn wie ein Wasserfall zu reden, davon war ich Jahre entfernt. Man musste die

Worte fast aus mir rausprügeln.

Nicht jeder erlebt die christliche Gemeinschaft als heilsame Gemeinde. Manch einer hat echte Probleme, dort so angenommen zu sein, wie er ist. Claudia Bieneck hat mit einem Mann gesprochen, dem es so erging. Er möchte verständlicherweise nicht namentlich genannt werden.

Nehmt einander an!?

Heilsame Gemeinde

Claudia Bieneck ist es wichtig, dass auch unterschiedliche Menschen ihren Platz in der Gemeinde finden.

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wird es nicht das Ende einer Kirchenge­meinde bedeuten, wenn sich in einer Besprechung drei Mitarbeiter auf einmal entschuldigen. Auch nicht, wenn eine Veranstaltung mangels Mitarbeiter erst gar nicht zustande kommt. In einer Zeit, in der alle vom Entrümpeln und Verein­fachen reden, sollten wir vielleicht ein­mal unsere vielen Veranstaltungen auf den Prüfstand stellen. Vielleicht würde dann manch „alter Zopf“ abgeschnitten und es wäre Zeit und Kraft für Neues – oder auch nicht. Vielleicht brauchen Mit­arbeiter und Mitarbeiterinnen die Rück­besinnung auf ihr eigenes geistliches Leben ohne den ständigen Druck: „Du musst aber noch …!“ oder „Da sollte man dringend …!“

Mündigkeit im GlaubenGelassenheit in der Gemeinde heißt

für mich auch, dem anderen seine Art der Frömmigkeit zuzugestehen. Das ist mitunter anstrengend! Wir hätten ja schon gerne, dass alle ungefähr gleich ticken. Aber ist es nicht für alle entspann­ter, wenn Gemeindeglieder mündig im Glauben werden dürfen und eben nicht ins gemeindeeigene Schema gepresst werden? Denn das schafft nur Frustrati­onen und Druck. Trauen wir doch dem Heiligen Geist einfach zu, dass er wirkt! Und dann singt der eine eben gerne Tai­zélieder, während der andere lieber die Hände zum Anbetungslied erhebt. Oder jemand ist begeistert von den „Perlen des Glaubens“, andere schütteln darü­ber den Kopf und verstehen nicht, wieso man einen „evangelischen Rosenkranz“ braucht ...

LoslassenGelassenheit in der Gemeinde heißt

deshalb für mich: Loslassen und un­serem Herrn ganz viel zutrauen. Das ist ein bewusster Entschluss und sicher nicht einfach zu leben. Aber ich denke, es lohnt sich! Claudia Bieneck

Man kann die eigene Kirchengemein­de aber auch als sehr fordernd erleben: „Wo warst du gestern Abend bei der Bi­belwoche? Wenn schon die eigenen Leute nicht kommen…“. Oder: „Warum gehen eigentlich ausgerechnet deine Kinder nicht zum Kindergottesdienst?“ Oder an den Pfarrer: „Die Predigt war ja schon gut, aber es waren nicht alle As­pekte dieses Textes beleuchtet!“

Solche Sätze treffen! Sie appellieren an mein Pflichtgefühl, berühren das große Thema „Verbindlichkeit“ und streifen ganz leicht die anderen großen Themen „Freiheit“ und „Mündigkeit“. Mit diesem Widerstreit in mir verteidige ich mich entweder oder rebelliere still in mich hin ein. Oder ich schreibe ein Plä­doyer für mehr Gelassenheit in der Ge­meinde!

Jesus - Herr der Gemeinde Nein, ich möchte nicht dem Schlendri­

an das Wort reden. Ich bin auch nicht der Meinung, man sollte einfach alles laufen lassen, wie es läuft. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass wir viel Druck von unseren Schultern nehmen können, indem wir uns immer wieder klar machen, wer der Herr der Gemeinde ist: Jesus Christus. Und weil das so ist,

Abschied vom Gemeindestress

Die örtliche Kirchengemeinde sollte im Idealfall ein Ort des Miteinanders sein. Dort leben Christen, die sich ermutigen und gegenseitig helfen, um ihr Leben mit Jesus Christus im Alltag leben zu können. Wenn das bei Ihnen so ist, brauchen Sie nicht weiter zu lesen …

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Bausteine

können ihre Lebensmuster, die sie meist schon aus ihrer Ursprungsfamilie als Kinder übernom­men haben, nicht einfach so nur mit gutem Wil­len ändern. Es bleibt für sie alles kompliziert, zu kompliziert.

In Gemeinden und GefängnissenHier greift das in Deutschland noch junge An­

gebot der Endlich­Leben­Gruppen. Dieses Mo­dell hat sich seit 1994 in unterschiedlichen Ge­meindetypen verschiedenster Konfessionen be­währt. Über 16.000 Arbeitsbücher sind bisher verkauft worden mit jährlich mindestens 500 Gruppenteilnehmenden. Erstaunliches Feedback auf die Endlich­Leben­Gruppen kam selbst aus deutschen Gefängnissen zurück (Näheres unter www.presse.endlich­leben.net).

Hintergründe des KonzeptesEndlich­Leben­Gruppen sind ein christliches,

überkonfessionelles Angebot. Die theologische Basis ist die allen christlichen Kirchen gemein­same Überzeugung, dass Gottes Gnade rettet (Umsetzung der Rechtfertigungslehre). Die grund­legende Methodik stammt von den 12­Schritte­Gruppen der Anonymen Alkoholiker. Diese hat­ten damals mit dem Symptom Alkoholabhängig­keit angefangen. In den 60er Jahren wurden viele Gruppen um viele andere Symptome herum gegründet. Endlich­Leben­Gruppen können un­terschiedlichste Probleme und Symptome in einer Gruppe vereinen. Das ist deshalb möglich, weil bei allen psychischen Veränderungen ähn­liche innere Prozesse ablaufen.

Als wir vor 15 Jahren in Lemgo eine christliche Kulturkneipe starteten, hatten wir plötzlich Kon­takt mit vielen Menschen und ihren Nöten und Problemen. Unterschiedlichste Süchte fielen uns ins Auge. Das war für uns die Motivation, das Gruppenprogramm „Endlich Leben!“ zu entwi­ckeln. Es ist für Christen wie auch für interes­sierte Nichtchristen ein Lichtblick hin zu tiefgrei­fenden Lebensänderungen.

Zwänge, Süchte, LebensmusterKennen Sie das? Im Hauskreis fallen immer

wie der Leute auf, die notorisch nicht mit ihrem Alltag zurechtkommen… Nennen wir sie mal Hans und Sabine. Wo gibt es in Ihrer Gemeinde die christliche Gruppe, die tragfähig genug ist, um Menschen mit psychischen Problemen zu begleiten? Esszwang, Putzsucht, überzogene Trägheit, notorische klassische Süchte (Alkohol, Internet, Nikotin, Sex), das Helfersyndrom (sehr beliebt in christlichen Kreisen!) oder auch unbe­kanntere Abhängigkeitsformen wie Beziehungs­ und Romanzensucht stellen Laien vor große Pro­bleme.

Hauskreise überfordertNormalerweise gibt es wohlmeinende Haus­

kreismitglieder, die mit schlichten Ratschlägen versuchen, seelsorgerliche Hilfe zu geben.

Das kann streckenweise auch helfen, aber oft stehen Hans oder Sabine nach kurzer Zeit wie­der vor der Tür. Oft immer noch mit dem gleichen Dilemma. Hans und Sabine

Die Not zeigt sich vor der Haustür. Gemeinden sind geneigt, sie Fachkräften zu über­weisen. Wie mit Selbsthilfegruppen jede Gemeinde „niederschwellige“ Diakonie selbst anbieten kann, berichtet Helge Seekamp, Initiator der Endlich­Leben­Gruppen.

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Die theologische Hauptlinie buchstabiert, wie Gott gnädig mit Sündern umgeht. Darum haben wir die Endlich­Leben­Gruppe auch „Grundkurs Barmherzigkeit“ oder „Lebensschule in der Ge­meinde“ bezeichnet.Gemeinden, die sich mit hoher Qualität diakonisch­missionarisch vor Ort en­gagieren wollen, werden durch das Endlich­Leben­Netzwerk unterstützt. Als gemeinnützig anerkannter Verein organisiert es durch das Koordinierungsbüro mit Sitz in Lemgo ein deutsch­ und französischsprachiges Netzwerk. Es arbeitet für Gemeinden in Deutsch­land, der Schweiz, Österreich und Frankreich. Gründer und Verantwortliche sind Personen aus unterschiedlichen Kirchen und mit verschie­denen beruflichen Hintergründen.

Wie geht das praktisch?Gründen Sie neben Hauskreisen in Ihrer Ge­

meinde Selbsthilfegruppen nach dem Endlich­Leben­Modell! Motivieren Sie Ihre „Problem­kinder“ so:

„Geht in eine Endlich­Leben­Gruppe und be­schäftigt euch schrittweise mit den psycholo­gisch und geistlich tiefgreifenden Prozessen zur Lebensveränderung. Trefft euch regelmäßig mit anderen in einer Gruppe. Dort sind alle mit ähn­lichen Lebensmustern – aber ganz unterschied­lichen Symptomen – dabei, sich mit ihren Proble­men gegenseitig bei der Lösung zu unterstützen.“

Wie arbeitet man genau?1. Material: Jedes Gruppenmitglied arbeitet mit dem fundierten Arbeitsbuch „Endlich Leben“ in der Gruppe und zu Hause.2. Jeweils zwei GruppenleiterInnen übernehmen die Moderation für die Kleingruppe. Sie haben zuvor schon eigene Veränderungen reflektiert und können aus persönlicher Erfahrung reden.3. Gruppengröße: 7–12 Personen. Unser Tipp: Männer und Frauen in getrennten Gruppen – so fällt es vielen leichter, persönlich und offen zu sprechen. Intime und schambesetzte Themen können ehrlich besprochen werden.4. Zeit! Gruppen benötigen ungefähr ein Jahr. In dieser Zeit ereignet sich ein Prozess, der 12 „Schritte“ umfasst. Es geht um eine geordnete Veränderung bezüglich des jeweiligen Problem­feldes, die schrittweise mit vielen praktischen Übungen erfolgt.

Vernetzung der ErfahrungDurch eine geregelte Kommunikation (Werte,

Ziele, Ansprechpartner sind klar definiert) und Unterstützungsmöglichkeiten wie Gruppenlei­tungsschulungen oder Gruppenleitungsaus­tausch per Telefon und Internet profitieren viele Gemeinden von den 15jährigen Erfahrungen des Endlich­Leben­Netzwerks und können ihre Fra­gen oder Lernerfahrungen mit anderen teilen.

Helge Seekamp ist Öffentlichkeits beauftragter des Endlich-Leben-Netzwerks und Pfarrer in Lemgo (www.endlich-leben.net).

Unter www.kirchefuermorgen.de/zitronenfalter finden sich zwei weitere Artikel zum Download: 1. in der Datei Vorwort-Endlich-Leben.pdf die ersten Seiten des Arbeitsbuches mit einem sehr aufschlussreichen Vorwort (S. 5-7) und 2. ein eher wissenschaftlich gehaltener Artikel über die Hintergründe des Endlich-Leben-Programms: Datei Endlich-Leben-Programm.pdf

Das sorgt für Qualität und Wissenstransfer. Damit ist gesichert, dass nicht jede Gemeinde das Rad noch einmal erfindet. Ressourcen wer­den gebündelt, Synergien genutzt.

Grenzen der GruppenarbeitWie kann dafür gesorgt werden, dass Grup­

penleiterInnen sich nicht übernehmen, zumal sie nicht speziell weitergebildet sind, um therapeu­tische Prozesse zu überblicken?

Die notwendigen Grenzen werden nur einge­halten, wenn die Leitung sich streng an den Selbsthilfegruppen­Regeln orientiert. Dazu ge­hört immer die Option der Überweisung zu Fach­ärzten oder BeraterInnen.

Jede Gemeinde muss (mit Unterstützung des Netzwerks) eine Form der aufmerksamen Be­gleitung der GruppenleiterInnen in die Arbeit einbauen (Supervision, Intervision).

Wichtig ist: Die Gruppenteilnehmenden be­kommen keine »Diagnose», sondern finden in geschütztem Rahmen selbst heraus, ob und wie ihnen diese Gruppe eine Hilfe sein kann.

Jede Gruppe ist durch die anwesenden Men­schen unterschiedlich tragfähig und muss diese Grenze ernst nehmen.

Max

Spr

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Ihr Leben?“ In den allermeisten Fällen haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Patienten sehr dankbar sind, wenn sie auch über solche Themen in ein Ge­spräch kommen können.

Gibt es bei den Menschen vielleicht sogar ein Bedürfnis nach einer am christlichen Menschenbild orientierten Medizin?

Jakob: Ich war vor etwa drei Jahren in Herrenberg bei einer „Nacht des Hei­lens“, die auf großes Interesse bei dem Publikum gestoßen ist. Es waren zwei Gruppen von Menschen anwesend: Die einen waren vom Medizinbetrieb ent­täuscht, und die anderen sagten: „In der Kirche, da kommt mein Leben gar nicht vor!“ Christen sagten: „Wir suchen etwas, wo wir als Menschen angenommen sind.“

Wer sich dann jedoch präsentierte, waren viele Gruppen aus der esote­rischen Szene. Deshalb ist es ganz wich­tig, dass sich die verfasste Kirche mit diesem Thema auseinandersetzt. Also ich denke, wir als Menschen wissen in­tuitiv, dass zur Heilung mehr als die Me­dizin gehört, so dankbar wir der Schul­medizin sind. Tief in uns wissen wir, dass Beziehungen heilen, dass die Be­

1916 wurde die Tropenklinik für kranke Missionare gegründet. Heute ist dieses Krankenhaus die zweitgrößte tropenme­dizinische Einrichtung in Deutschland. Auch als geriatrische Fachklinik hat das Krankenhaus für die Region eine große Bedeutung. Träger der Klinik ist das „Deutsche Institut für ärztliche Mission“ (Difäm). Das Difäm ist in vielen Projekten – etwa auf dem Gebiet der Aidspräven­tion – weltweit tätig. Die Ärztin und The­ologin Dr. Beate Jakob ist im Difäm zu­ständig für die theologische Begleitung der Gesundheitsarbeit.

Im Oktober 2009 veranstalten Sie im Difäm in Tübingen eine Fortbildung zum Thema „Christliche Heilkunde“. Was kann man da lernen?

Jakob: Wir wollen uns damit auseinan­dersetzen, was es bedeutet, als Christ oder Christin in einem medizinischen Beruf zu arbeiten. Welches Menschen­bild haben wir? Wie rede ich mit den Pa­tienten über den Glauben. Was bedeutet es, eine spirituelle Anamnese zu ma­chen. Beispielsweise, dass man dabei nicht mit der Tür ins Haus fällt und fragt: „Glauben Sie an Gott?“ sondern eher: „Was bedeutet diese Krankheit für

Zum Heilen braucht es mehr als nur gute Medizin, so dankbar wir der Medizin auch sind. Thomas Hoffmann­Dieterich im Gespräch mit Dr. Beate Jakob aus Tübingen.

Segnen und Salben in der Klinik

Bausteine

Wir suchen

etwas, wo

wir als

Menschen

angenommen

sind

Dr. Beate JakobÄrztin und Theologin, Difäm

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ke alte Patienten, die manchmal einem Gespräch gar nicht mehr zugänglich sind. Es ist erstaunlich, wie auch dieser Patientenkreis offen und positiv auf die Segnung und die Berührung durch die Salbung reagiert.

Wer arbeitet bei diesen Gottesdiensten mit?

Jakob: Wir haben unser Segnungs­team ganz bewusst aus vielen Arbeits­bereichen zusammengestellt. Mitarbei­tende sind etwa Ärztinnen und Ärzte, der Psychologe, die Physiotherapeuten und die Klinikseelsorgerin.

Wie ist dieser Gottesdienst inhaltlich ausgerichtet?

Jakob: Wir wollen uns dem Wirken Gottes öffnen, dieser heilenden Nähe Gottes, die jeden auf ganz unterschied­liche Weise berührt, und auf ganz unter­schiedliche Weise etwas bewirkt: sei es Kraft zum Durchhalten, sei es Trost, sei es Versöhnung mit der Lebensgeschich­te oder Besserung von körperlichen Be­schwerden. Die Salbung ist ja auch nichts Magisches, was in sich wirkt, sondern ein spürbares Zeichen für den Segen Gottes und seine Nähe.

Was passiert nach solch einem Gottes-dienst? Welche Reaktionen haben Sie erlebt?

Jakob: Es sind oft sehr bewegende Momente: Eine Frau etwa berichtete mir, die Krankheit habe ihre ganze Familie durcheinander gebracht: „Wir haben ei­gentlich geplant, nächste Woche in Ur­laub zu fahren und jetzt ist gar nichts mehr klar, vielleicht lebe ich nicht mehr lange“. Und dann sagte sie mir: „Dieser Zuspruch beim Segnen hat mir eine in­nere Zuversicht und Ruhe wiedergege­ben, und jetzt sehe ich, dass es weiter­geht!“ Also da geschieht schon etwas bei den Patienten. Frau Dr. Jakob,ich danke Ihnen für das Interview.

ziehung zu Gott heilt. Daher hat die Kir­che auch ein großes Potential im Ge­sundheitsbereich.

Wie ist die Idee, Segnungs- und Salbungsgottesdienste in der Tropen-klinik zu feiern, entstanden?

Jakob: Traditionell wollten wir eine qualitativ hochwertige Medizin betrei­ben und das christliche Profil hatte sich ein bisschen versteckt. Aber seit fünf oder sechs Jahren fragen wir uns: Was heißt es eigentlich, ein christliches Kran­kenhaus zu sein? Wie können wir dieses christliche Profil leben? Da gibt es unter­schiedliche Bereiche. Eine Möglichkeit war, einen Gottesdienst anzubieten, der die Erfahrung des Heilenden und Heili­gen ermöglicht, und wir haben uns mit der biblischen Tradition beschäftigt. Segnung und Salbung war ja in der Ur­kirche durchaus üblich. Seit drei Jahren feiern wir nun diese Salbungs­ und Seg­nungsgottesdienste viermal im Jahr.

Gab es Vorbehalte oder Bedenken dagegen?

Jakob: Am Anfang gab es sowohl von der Leitung als auch von den Mitarbei­tenden Bedenken. Man befürchtete, den Eindruck zu erwecken, dass die Mitar­beitenden in der Tropenklink die Hände auflegen, anstatt ordentliche Medizin zu betreiben. Aber die Patienten haben diese Gottesdienste ohne Bedenken und Vorbehalte angenommen.

Wir sind ja ein Fachkrankenhaus für Tropenmedizin und Geriatrie, zu 70 Pro­zent sind unsere Patienten ältere und sehr alte Patienten, auch schwerstkran­

Dr. Thomas Hoffmann-Dieterich ist überzeugt, dass Segnen und Salben in der evangelischen Kirche immer mehr an Bedeutung gewinnen wird.

Ein Arzt, der erst

die Visite abnimmt

und dann die

Hände auflegt,

und segnet

Beim Segnen

und Salben –

da geschieht

schon etwas

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unter der Dominanz des Wortes „ver­kopft“ worden. Heute haben wir die herrliche Möglichkeit, aus verschie­denen Quellen und Traditionen neu zu schöpfen.

Ich habe 15 Jahre in einer christlichen Familien­Kommunität gelebt („Linden­hof“ in Geislingen/Steige). Eine Stärke von uns war, dass wir Gottesdienst­formen (wieder) entdecken und auspro­bieren konnten (z. B. auch die Fußwa­schung). Besonders waren wir an „Heil und Heilung“ interessiert und in diesem Zusammenhang an Segnungsgottes­diensten. Diese Erfahrungen brachte ich in die Dorfgemeinde mit, in der ich nun seit 1994 bin.

Klar war mir, dass eine solche Gottes­dienstform die Zusammenarbeit von Nachbargemeinden braucht und eine große Mitarbeiterschar aus PfarrerInnen und „Laien“ – also Dinge, die in unserer Kirche ohnehin auf der Agenda stehen und zukunftsweisend sind. Seit dem Jahr 2000 feiern wir zweimal im Jahr „Salbungs­ und Segnungsgottesdienst“ in der romanischen Stiftskirche in Bad Boll. Die Grundstimmung ist ruhig, viele Kerzen erleuchten den alterwürdigen Raum, Musik und Gesang „erheben die Seele“. Im Mittelpunkt des Gottes­dienstes steht der Segen unter Handauf­legung oder in Verbindung mit einer Sal­bung. An fünf Stationen, die nicht im di­rekten Blickfeld liegen, wird dies vollzo­gen. Die Erfahrungen sind „berührend“. Heilsame Berührung – in Gottes Namen. Welch eine Verheißung und Erfahrung: „Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein“ (1.Mose 12,2).

Im Sommer 1944 notiert Dietrich Bon­hoeffer in seiner Gefängniszelle in Tegel: „Vom Segen Gottes und der Gerechten lebt die Welt und hat sie eine Zukunft. Segnen, d.h. die Hand auf etwas legen und sagen: Du gehörst trotz allem Gott. Wir verlassen sie nicht, wir verwerfen, verdammen sie nicht, sondern wir rufen sie zu Gott, wir geben ihr Hoffnung, wir legen die Hand auf sie und sagen: Gottes Segen komme über dich, er er­neuere dich, sei gesegnet, du von Gott geschaffene Welt, die du deinem Schöp­fer und Erlöser gehörst.“

Der Welt und dem Menschen die Hand auflegen: ein eindrückliches Bild und Geschehen! Nicht Hand an die Welt und den Menschen legen und so Lebens­möglichkeiten beschneiden oder ganz zunichte machen. Vielmehr segnend die Hand auflegen und so die Welt und die Menschen mit den unerschöpf lichen Möglichkeiten Gottes bereichern.

Das alttestamentliche „Barach“, das wir mit Segen übersetzen, steht unge­fähr 400mal im Alten Testament und be­deutet: mit heilvoller Kraft begaben. Im Neuen Testament ist „Handauflegen“ bzw. „Berühren“ Ausdruck für Segnen („Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre“, Markus 10,13). Vieles, was für die ersten Christen noch selbst­verständlich war, ist im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten oder (besonders in unserer protestantischen Tradition)

Wie wird Gemeinde heilsam und berührend erfahrbar? Pfr. Klaus Steiner­Hilsenbeck gibt Einblick in die Segnungs­ und Salbungsgottesdienste, die seit 9 Jahren in Bad Boll von einem Team aus Ehrenamtlichen und PfarrerInnen verantwortet werden.

Segnungsgottesdienst Bad Boll

Bausteine

Klaus Steiner-Hilsenbeck, Pfarrer in Dürnau und Gammelshausen bei Göppingen.

Segnend die Hand

auflegen und so

die Welt und die

Menschen mit den

unerschöpflichen

Möglichkeiten

Gottes bereichern

Unter www.kirchefuermorgen.de/zitronen-falter findet sich ein Artikel über den Segnungs- und Salbungsgottesdienst in der Jakobusgemeinde Tübingen.

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Dann geht es los. Alle bekommen fünf bis acht Minuten. Kurz beschreiben sie, wo sie weiterkommen möchten. Die Gruppe stellt nur Fragen. Ratschläge – die fromme Form von Schlägen – sind verboten. Die Fragen helfen dabei klarer zu erkennen, was die Wurzeln, Hinter­gründe, Lebensmuster, Sehnsüchte sind hinter dem eigenen „Kairos“­Punkt; und herauszufinden, wie ein erster (oft klei­ner) Schritt des Glaubens, als Antwort auf Gottes Reden aussehen könnte. Die Betreffenden formulieren aber selbst, was sie ändern, angehen, tun wollen.Eine Gebetsrunde für die konkret benann­ten Glaubensschritte steht am Schluss.

In der Praxis lernenWer einen Huddle leiten will, sollte

selbst einmal Teil einer solchen Coa­ching­Gruppe gewesen sein. Manche Gruppen führen ein Huddle­Tagebuch, in dem festgehalten wird, was sich die Einzelnen vornehmen, auch Erinne­rungen per Mail sind hilfreich. An geist­lichem Wissen und lehrmäßigem Input fehlt es uns heute kaum – auch das In­ternet ist voll davon. Aber sehr wohl am Umsetzen und an einer Nachfolge, die alltagsrelevant ist. Huddle­Gruppen sind dabei eine wirksame Hilfe.

Dagegen wirken normale Hauskreise wie Kuschelgruppen: Huddles sind he­rausfordernd. Sie sind Trainingsgruppen für die praktische Umsetzung des Christ­seins. Alle vierzehn Tage treffen sich bis zu acht Menschen, die im Glauben und Leben weiterkommen wollen.

Auszeit als geistliche Strategie-besprechung

„Huddle“ heißt übersetzt schlicht „Hau­fen“, steht aber als terminus technicus für kurze Auszeiten im Sport. Ein Team nimmt sich z.B. beim Basketball eine Auszeit und bildet dann einen Huddle, einen engen Kreis, die Arme wechselsei­tig auf den Schultern. Und es geht sofort zur Sache: Was läuft gut im Spiel, was muss sich ändern? Eine neue Strategie wird vereinbart um das Spiel zu gewin­nen.

Das „Spiel des Glaubens“ im Alltag zu gewinnen, dazu sollen Huddle­Gruppen helfen. Nicht biblisches Austauschen, son­dern geistliche Strategien, Eingeständnis von Fehlern und konkrete Neuausrich­tung stehen im Zentrum. Huddles sind Coaching­Gruppen. Wer dazu gehört, er­laubt anderen nachzufragen, zu ermuti­gen und zu ermahnen.

So kann ein Huddle ablaufenLänger als 90 Minuten sollte er nicht

dauern. Das Treffen kann mit einem ein­fachen Essen beginnen. Oder gleich der Rückblick auf das letzte Treffen: Was hat sich bei mir seither verändert?

Ein Lied und ein Gebet führen hin zu einer kurzen Stille. Ausgehend von einem kurzen Impuls oder Fragen­Katalog über­legt jeder für sich: Was treibt mich, po-sitiv oder negativ, gerade um? Wo redet Gott in mein Leben hinein? Wo war ein Kairos, ein göttlicher Augenblick in den letzten Tagen?

Fragen stellen und füreinander beten – das sind die Bausteine eines „Huddle“. Wie in den Huddles Nachfolge Christi praktisch wird, entfaltet Reinhold Krebs.

Huddles: wie Glaube praktisch wird

Bausteine

Reinhold Krebs, ejw-Landesreferent und im Vorstand von Kirche für mor-gen, hat durch Huddle-Gruppen bei sich und anderen Veränderungen gesehen und ist deshalb von diesem Konzept überzeugt.

Unter www.kirchefuermor-gen.de/zitronenfalter findet sich eine kleine Arbeitshilfe zu Huddles.

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Gruppen

für eine

Nachfolge die

alltagsrelevant

ist

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Gemeindeporträt

Auch die christliche Gemeinde ist verschiedenen Entwicklungsprozessen ausgesetzt. Diese sind oft von Konflikten und dem gemeinsamen Ringen um den richtigen Weg ge ­prägt. Günther Kreis lässt uns an einem solchen Prozess seiner Gemeinde teilhaben.

Heilsame Prozesse in der Gemeinde

Gemeindepflanzung in ThüringenNach der Wende pflanzte die Evang.­Luth.

Landeskirche in Thüringen bzw. die Kirchenge­meinde Sonneberg eine Gemeinde in ihrer Plat­tenbausiedlung Wolkenrasen. Bis dahin waren kirchliche Aktivitäten unmöglich in der „roten Funktionärs­Siedlung“ im Sperrgebiet. Aber jetzt: Ein charismatischer Pionier und begabter Jugendevangelist wurde als Pfarrer in den Wol­kenrasen entsandt. Mit Gitarre und Plakatstän­der, auf der Straße und im Gymnasium wurden Kontakte geknüpft. Aus diesen Aktionen ent­stand die erste Jugendgruppe. Die Erweckung in Pensacola wurde zum Leitbild. Jetzt wurden Räume nötig, denn die Eltern der Jugendlichen besuchten die ersten Glaubenskurse. Der Befrei­ungsdienst erlöste Menschen von dunklen Ge­bundenheiten.

Die Jugendgemeinde war gepflanzt, und sie wuchs und etablierte einen jugendlich­unkon­ventionellen Gottesdienst mit Rockmusik.

Und „die ersten Christen“ hielten alles ge­meinsam und ver brachten „alle Zeit der Welt“ zusammen.

1. Wenn eine Landeskirche Gemein den pflanzt, dann kann sie was erleben.

Die Kehrseite: Es hagelte Beschwerden in der Kirchenleitung, besorgt um das lutherische Erbe – oder was? Die kirchliche und die säkulare Umge­bung spottete über „die Sekte vom Wolkenrasen“.

Als mein Vorgänger 1999 nach Berlin wechsel­te, äußerten einige Kollegen erleichtert: „End­lich hat der Spuk ein Ende!“ Aber es kam ganz anders. Mit mir – dem Nachfolger aus Württem­berg – setzte ein Prozess der Konsolidierung ein, wenn auch nur mühsam und mit erheb­lichen Problemen.

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Immer wieder musste ich betonen: • Ihr müsst eure Hausaufgaben machen: Unver­

söhntes versöhnen, Lebensmuster ändern.• Ihr müsst euch selbst geistlich ernähren: Stille

Zeiten einüben und die Bibel lesen.• Ihr müsst die Neuen liebevoll aufnehmen und

begleiten, sie sind eure Aufgabe.

Im Frühjahr 2009 gab es eine Reihe von Ge­sprächen mit den Christen der Anfangszeit. Trau­er, Enttäuschung und der Verlust der ersten Be­geisterung wurde beklagt. Der Zuwachs war be­drohlich und die Aufnahme von Schwachen und Bedürf tigen wurde bedauert. Und beklagt wurde, dass jetzt „Unbekehrte“ bei uns mitwir­ken dürfen. „Ich fühle mich nicht mehr zugehö­rig. Es ist nicht mehr meine Gemeinde. Die Pre­digt gibt mir nichts und unter den vielen neuen Leuten fühle ich mich fremd. Alles ist so saft­ und kraftlos. Befreiungsdienst, Sündenerkennt­nis und Beichte kommen zu kurz. Wo ist die Power des Aufbruchs? Ich bin kurz davor meinen Glauben zu verlieren.“

Ich trauerte mit und bedauerte ausdrücklich die Verlusterfahrungen. Ich verteidigte nichts und versuchte auch keinerlei Rechtfertigungen. Es ist mir bekannt, dass es im Leben einer Ge­meinde auch Wüstenzeiten und Durststrecken gibt. Nach Pensacola kann man fliegen, aber nicht ins gelobte Land.

Und dann geschah etwas ganz Ungewöhn­liches: Nach der zweiten Aussprache war auf einmal alles anders. Dieselben Personen waren wie verwandelt. Ich weiß nicht wirklich, was sich innerlich ereignete. „Die alte Herzlichkeit ist wiedergekehrt. Die Besucher gehen jetzt auf ei­nander zu. Ich fühle mich wieder wohl!“ Und auf einmal war das leidenschaftliche Engagement wieder da und der praktische Einsatz lohnte sich wieder. Plötzlich waren die Predigten anspre­chend und wertvoll.

Und es entwickelte sich eine neue Identifika­tion mit der Gemeinde, mit ihrer Berufung und ihrem Auftrag. Das war deshalb wichtig, weil wir kurz vor dem Umzug in das neue Gemeindezen­trum und damit vor neuen großen Herausforde­rungen standen. Und seither treffen sie sich wie­der regelmäßig im Lagerraum der Zoohandlung zum Beten. Dort hatten sie zuvor die Stühle für den neuen Andachtsraum gepolstert. Heilsame Prozesse in der Gemeinde? Ja! – und ich weiß nicht, wie es geschah.

2. Wenn eine Gemeindepflanzung in die Jahre kommt, dann kann der Pfarrer was erleben.

Zunächst waren – trotz Abstand und Va kanz von einem Jahr – die Enttäusch ungen übergroß. Eine verantwortliche Mitarbeiterin stellte bald enttäuscht fest: „Jesus ist nicht mehr da!“ Und dabei gab ich mir alle Mühe, das Vertraute zu schützen. Aber es war mir selbst vieles fremd. Und ihre Vorstellung von einem Pfarrer wurde kräftig enttäuscht. Da kommt eine Schülerin zu mir in die Seelsorge: „Ich brauche jetzt dringend Befreiungsdienst!“ Sie war irritiert, dass ich nach ihrer Lebensführung und ihren Beziehungen fragte. Die Welt des Glaubens war für viele eine Fluchtburg ohne wirkliche Bodenhaftung. Zur Ju­gend fand ich innerlich keinen Zugang. Ich konn­te ihre Erwartungen an einen geistlichen Leiter nicht erfüllen. Viele wanderten ab und 2002 gab es einen Bruch: Auf einen Schlag zogen zwölf Mitarbeiter von Sonneberg weg zum Studium. Auch Erwachsene kehrten der Gemeinde den Rü­cken. Es war für mich eine schmerzliche Zeit.

3. Wenn eine Pflanzung konsolidiert wird, können die ersten Christen was erleben.Heilsame Prozesse brauchen Zeit. Weil mir

das Wort Gottes unverzichtbares Heilmittel war, führte ich einen Bibel­ und Gebetsabend ein. Die Heilige Schrift sollte umfassender studiert und das Fundament des Glau­bens gründlicher be ­festigt werden.

Und immer wieder fragte ich mich: Wie kann das

Vertrauen zum Pfarrer weiter wach­sen? Du kommst nie weiter, als dein Ver­

trauen reicht.

Die Einstellung gegenüber Kirche und Kir­chenmusik oder gar Liturgie und Tradition war ziemlich schief. Trotzdem haben viele im Ver­trauen auf Gottes Zusagen und das Wirken des Heiligen Geistes durchgehalten, trotz Krise.

Aber es gab weitere Probleme. Mit dem Dienst des neuen Pfarrers kamen auch neue Leute in die Gemeinde und viele von ihnen waren noch nicht gründlich bekehrt. Durch die neuen Ar­beitsfelder, wie das offene „Kinderhaus Kunst und Spiel“, das „Freizeitgelände Abenteuerland“ entstanden neue Kontakte und durch die neuen Glaubenskurse kamen viele zum Gottesdienst.

Günther und Eva Kreis leben seit 10 Jahren in Sonneberg. Günther Kreis ist Pfarrer in Sonne-berg-Wolkenrasen und leiden-schaftlicher Gemeindeentwickler.

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Kirche für morgen setzt AkzenteIn Anbetracht der Wirtschaftskrise ist

zu erwarten, dass die Kir chen steuer­einnahmen sinken werden. Darum ist es Kirche für morgen wichtig, Akzente für freifinanzierte Stellen, sowie Konzepte zur Akquirierung von Spendengeldern aus Kirchengemeinden weiterzuentwi­ckeln. So soll das finanzielle Eigenenga­gement der Gemeinden von der Landes­kirche dadurch unterstützt werden, dass jeder gespendete Euro aus Kirchensteuer­mittel verdoppelt wird. (s. Kfm –Impuls­papier Finanzen).

Zum Bericht des Landesbischofs unter dem Thema „Unser tägliches Brot gib uns heute“, forderte Kerstin Leuz die Kir­chengemeinden auf, ihr diakonisches En­gagement auszubauen. Der gemeinsame Antrag aller Gesprächskreise auf Erhö­hung der Pfarrstellen­Besoldung fand einmütige Zustimmung und wurde an den Rechtsausschuss verwiesen. Markus Munzinger formulierte zu dem die Überle­gung, ob nicht mehr kirchliche Rücklagen in “Oikocredit“ investiert werden kön­nten. Markus Brenner forderte ein Wahl­recht für kirchliche Gremien ab der Kon­firma tion, und Martin Allmendinger mehr Transparenz in Stellenbesetzungsverfah­ren. Die Vorstellung der Konfirmanden­Studie nutzte Matthias Böh ler zu der Bitte, Jugendlichen Räume für eine eige­ne Gottesdienstkultur zu schaffen.

... aus der Landessynode

kfm intern

IMPrESSuM

Der Zitronenfalter wird herausgegeben von Kirche für morgen e.V., Am Auchtberg 1, 72202 NagoldFon: 0700­36693669 Fax: 0721­151398429 [email protected] www.kirchefuermorgen.de

Erscheinungsweise3 x jährlich. Bestellung (auch weitere Exemplare) bei der Geschäftsstelle. Die Zusendung ist kostenlos.

BankverbindungEKK Stuttgart, BLZ 520 604 10, Konto 419 435Wir danken allen, die durch ihre Spende die kostenlose Weitergabe des Zitronenfalters ermöglichen.

RedaktionsteamMarc Stippich, Grunbach (sti) (ViSdP), Claudia Bieneck, Malmsheim (cb), Pina Gräber­Haag, Gronau (pg), Markus Haag, Gronau (mh), Tabea Hieber, Markgröningen (th), Thomas Hofmann­Dieterich, Haigerloch (thd), Cornelia Kohler, Ostfildern (ck) Werner Lindner, Winnenden (wl), Johannes Stahl, Eschenbach (js).

Layout: AlberDESIGN, FilderstadtDruck: Druck + Medien Zipperlen GmbH, DornstadtVersand: Tobias und Magdalene Zipperlen, WeissachRedaktionsadresse: [email protected] und über die GeschäftsstelleAnzeigenpreisliste: lindner­[email protected]: 07195­979759

Bildnachweis Titel: © Anton Derbushev ­ Fotolia.com

in Siedlungen, Fußgängerzonen, auf Spielplätze, Straßen- oder Gemeindefestein Schulen & Kindergärten in Zusammenarbeit mit ihrer Gemeinde vor Ort

Mobile Kindertreffs mit dem Geschichtenmobil

Infos: KEB-Tübingen • Waldenbucher Weg 82 72141 Walddorfhäslach • Tel.: 07127 33489E-Mail: [email protected]

Kerstin Leuz, Landessynodale, arbeitet alsBezirksjugendreferentin & Religionslehrerin in Oedheim

Kfm Synodale haben Ideen und formulieren Forderungen

Ein ausführlicher Bericht findet sich unter www.kirchefuermorgen.de/14LS.html.

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Dorothee KrämerOrientierung – Jahreslosung 2010

Den Karten liegt eine Meditation von Gottfried Heinzmann bei.

Postkarte 10 im Set 4,10 €Mengenpreise: ab 5 Sets 3,40 €; ab 10 Sets 3,20 €; ab 25 Sets 3,00 €; ab 50 Sets 2,80 €

Faltkarte DIN lang 10 im Set 10,30 €Mengenpreise: ab 5 Sets 9,30 €; ab 10 Sets 8,70 €; ab 25 Sets 8,40 €

Lesezeichen 10 im Set 2,60 €Mengenpreise: ab 5 Sets 2,10 €; ab 10 Sets 2,00 €; ab 25 Sets 1,90 €; ab 50 Sets 1,80 €

Kunstblatt A4 Stück 2,10 €

Kunstblatt A3 Stück 4,70 €

Kunstblatt 40 x 66 cm Stück 6,50 €

ejw-service gmbhHaeberlinstraße 1–370563 Stuttgart-VaihingenTel.: 07 11 / 97 81 - 410Fax: 07 11 / 97 81 - [email protected]

Reinhold Krebs (Hg.)Junge Gemeinden –Experiment oder Zukunftsmodell?Einsichten – Ansichten – Aussichtenca. 160 Seiten, kartoniert14,95 €

Die Entstehung von Jugendgemeinden ist eine faszinierende Entwicklung. Junge Menschen fi nden Gelegenheiten, Formen und Orte, wie sie gemeinsam am Evangelium teilhaben, Gottesdienst feiern und sich in einer Gemeinde versammeln können. Erfahrungen von sechs Jugendgemeinden geben Einblick. Beiträge von Dr. Hempelmann, Jürgen Baron, Reinhold Krebs und andere erläutern die Geschichte von Jugendgemeinden, theologische Hintergrün-de, englische und europäische Einfl üsse.

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Zu guter Letzt

„ Der Schrei der Wildgänse“

Autoren: Wayne Jacobsen und Dave ColemanVerlag: GloryWorld­Medien Bruchsal, 2007

Die beiden Autoren nehmen den Leser in eine spannende Geschich­te mit hinein. Jake Colsen ist am Beginn des Buches Co­Pastor einer amerikanischen Gemeinde und damit fest eingespannt in ein religiöses Mammutprogramm. In einer familiären Notsituation trifft er auf einen Fremden. Dieser redet mit dem frustrierten Pastor über Jesus – aber so, wie er es noch nie gehört hat. Über eine längere Zeit hin treffen sich die beiden zu Gesprächen.Das Buch beschreibt in dreizehn Begegnungen diese Gespräche mit dem Fremden und die Aus­wirkungen auf das Leben von Jake Colsen, seiner Familie und Gemeinde.Der englische Originaltitel „Wa­rum Sie nicht mehr in die Kirche gehen wollen“ weist die Richtung des Buches: Es geht um Freude und Freiheit im Glauben und um das Hinterfragen von Zwängen, die wir uns oft selber auferlegen.Ich habe den „Schrei der Wild­gänse“ zuerst überflogen und dann noch einmal in Ruhe gele­sen. Mich hat es aufgerüttelt, manches gelassener zu sehen und tief durchzuatmen. Es ist ein inspirierendes Buch!

Claudia Bieneck

Jahrestagung von „Kirche für morgen“Fr. 26. bis Sa. 27. Februar 2010

in Herrenberg

Bonhoeffers Bild einer Kirche der Zukunft

„ Kirche für andere“

Christiane Tietzist Professorin für Systematische Theologie an der Universität Mainz und Vorsitzende der Inter­nationalen Bonhoeffergesell­schaft (Sektion Deutschland). Gastdozenturen in Heidelberg, Cambridge und New York

Freitag 26. Februar

17.15 Uhr Mitgliederversammlung „Kirche für morgen“ anschl. Imbiss Gäste sind willkommen!

20.00 Uhr öffentlicher Vortrag

„Kirche für andere“ Bonhoeffers Entwurf

einer Kirche der Zukunft als Herausforderung für die evangelische Kirche heute

Prof. Dr. Christiane Tietz (Universität Mainz)

Moderation und Musik: Kathrin Messner Mutterhauskirche der Diakonieschwesternschaft Herrenberg

Eintritt frei – Kostenbeitrag erbeten

Samstag 27. Februar

8.30 Uhr Abendmahlsfeier

9.15 Uhr Thematische Einführung anschl. Arbeitsgruppen Arbeitsgruppe A:

Geld, Besitz, Berufsbeamtentum und Kirchenfinanzierung (Friedemann Stöffler und Kathrin Messner)

Arbeitsgruppe B:

Die Rolle des Pfarrers in der Kirche der Zukunft

(Stefan Taut und Michael Beck)

Arbeitsgruppe C:

Die Rolle der Kirche in der Gesellschaft

(Tabea Hieber und Karfriedrich Schaller)

Arbeitsgruppe D:

Gemeindestruktur in der Kirche der Zukunft

(Simone Heimann, Prof. Heiko Hörnicke, Jens Plinke)

10.30 Uhr Pause

11.00 Uhr Podiumsgespräch:

Kirche 2020: In welche Richtung soll sich die Kirche der Zukunft verändern?

Falk Schöller (Evangelium und Kirche) Tabea Dölker (Lebendige Gemeinde) Axel Ehrmann (Offene Kirche) Friedemann Stöffler (Kirche für morgen) Prof. Dr. Christiane Tietz (Uni Mainz) Moderation: Manfred Graf

12.30 Uhr Mittagessen

Nähere Infos und Anmeldung unter www.kirchefuermorgen.de