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Zunehmende Aggressivität im Straßenverkehr Dipl.-Psych. Nina Pollack

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Zunehmende Aggressivität im Straßenverkehr

Dipl.-Psych. Nina Pollack

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Problemstellung

Seit 2002 nimmt die Zahl der Menschen die im VZR mit 1 oder mehr Punkten verzeichnet

sind kontinuierlich zu.

Bei einer grundsätzlichen Abnahme der Gesamtbevölkerung in Deutschland spricht das

dafür, dass immer mehr Verkehrsteilnehmer gegen Regeln im Straßenverkehr verstoßen.

Die Anzahl der Verkehrsverstöße liegt seit 2005 auf annähernd gleichbleibend hohem

Niveau.

Im Jahr 2011 wurden insgesamt etwa 10.000 Personen die Fahrerlaubnis entzogen, weil

18 Punkte im VZR erreicht bzw. überschritten wurden. Dabei handelt es sich um ca. 1.000

Frauen und ca. 9.000 Männer.

Quelle: www.kba.de

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Sag mir welches Auto Du fährst …

Jeder Mensch möchte das Bild, das er von sich selber hat, gerne aufrecht erhalten. Daher

versucht man, Informationen zu sammeln, die das eigene Selbstkonzept bestätigen. Die

Wahl einer bestimmten Automarke fällt auch darunter.

Die Studie:

Es wurden zwei Markengruppen gebildet: 1 – VW, Opel, Renault und Fiat, 2 – Audi, BMW, Mercedes

Mittels eines Fragebogens wurden dann verschiedene Persönlichkeitsmerkmale erfasst.

Quelle: Forschungsbericht von Hossiep und Sommer, Ruhr-Universität Bochum, 14.06.2013;

www.testentsicklung.de/veroeffentlichungen/forschungsberichte/

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Sag mir welches Auto Du fährst …

Ergebnisse:

Die Fahrer der 2. Gruppe zeigten sich leistungs- und führungsmotivierter, flexibler, durchsetzungsstärker

selbstbewusster und belastbarer als die Fahrer der Gruppe 1. Dagegen waren sie jedoch vergleichsweise

weniger harmoniebedürftig und weniger analyseorientiert.

Berücksichtigt man des Weiteren eine Studie des ADAC, nach der die Fahrer der Marken BMW und Mercedes die

Spitzenreiter im Drängeln sind, könnte man schließen, dass Personen, die Einfluss auf andere ausüben, dies auch im

Straßenverkehr tun.

Es kommt zu folgendem Prozess:

Jemand der sich gerne durchsetzt, wählt ein Auto, das dies auch symbolisiert. Auf der Straße wird der Fahrer durch sein

Auto als jemand identifiziert, der durchsetzungsstark ist. Also macht man ihm auf der Autobahn Platz. Dies wiederum

bestätigt den Fahrer in seinem Selbstkonzept – „Ich kann mich halt gut durchsetzen.“. Die anderen Verkehrsteilnehmer

werden in ihrem Selbstkonzept gestützt – „Lieber weiche ich aus, als einen Konflikt zu provozieren. Das ist nur gefährlich

und das will ich nicht riskieren.“

Quelle: Forschungsbericht von Hossiep und Sommer, Ruhr-Universität Bochum, 14.06.2013;

www.testentsicklung.de/veroeffentlichungen/forschungsberichte/; Motorwelt, 2000, 7, 32-34

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Formen aggressiven Verhaltens im Straßenverkehr

Rücksichtslosigkeit auf Autobahnen

• dichtes Auffahren

• Blockierung der linken Spur

• rechtes Überholen

• Lückenspringen

• mangelnde Bereitschaft, das

Reißverschlussprinzip zu

praktizieren

• unangemessene Geschwindigkeit

• Ausscheren nach links

• knappes Einscheren

• Überholen kurz vor der Ausfahrt

Rücksichtslosigkeit

auf Landstraßen

• riskantes Überholen

• zu schnelles Fahren

Rücksichtslosigkeit in der Stadt

• Rücksichtslosigkeit gegenüber

Schwächeren

• zu schnelles Fahren

• Parkplatzkonflikte (2. Reihe,

Gehweg, Radwege)

• an Ampeln hupen

• mangelnde Bereitschaft,

andere in den fließenden

Verkehr einfädeln zu lassen

• Spurwechsel / Lückenspringen

Quelle: Ellinghaus, 1986

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Was heißt das, Aggressivität?

Aggression: Bewusstes Schädigen einer anderen Person (ohne deren Zustimmung)

Aggressivität: Persönlichkeitsdisposition/ Neigung zu aggressivem Verhalten

Unterscheidung in:

Instrumentelle Aggressivität:

Bewusstes Schädigen einer Person zur Erreichung anderer Ziele. Geht einher mit ständiger Verletzung

impliziter oder expliziter sozialer oder gesetzlicher Regeln => DISSOZIALES VERHALTEN aufgrund von

mangelndem Respekt vor Regeln, mangelnder Einsicht oder mangelnder Empathie

Emotionale oder impulsive Aggressivität:

Schädigendes Verhalten wird durch Ärger verursacht. Das unmittelbare Schädigungsziel steht im Vordergrund.

Starke Emotionalität und Impulsivität. Mangelnde Impulskontrolle.

Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem

7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam

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Wodurch wird aggressives Verhalten begünstigt?

Quelle: Raithel, J., Widmer, A. Deviantes Verkehrsverhalten, Hogrefe 2012

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Verkehrsauffälligkeiten als Resultat

dauernder sozialer Belastungen

Elternhaus

• unharmonische

Familienstruktur

• unharmonisches

Familienleben

eigene Familie

• Partnerschafts-

probleme

• familiäre Konflikte

• Scheidung

ökonomische

Situation

• Arbeitslosigkeit

• finanzielle Probleme

Schulzeit

• kein Schulabschluss

• Leistungsschwächen

• gestörtes Verhältnis zu

Lehrern u. Mitschülern

beruflicher Werdegang

• Diskontinuität

• häufiger Arbeitsplatzwechsel

• Probleme mit Vorgesetzten

und Kollegen

• Arbeitsbelastung und

beruflicher Erfolg

Einflüsse auf das Verhalten

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Wodurch wird aggressives Verhalten begünstigt?

Quelle: Raithel, J., Widmer, A. Deviantes Verkehrsverhalten, Hogrefe 2012

- Aggressivität

- Langsamer Fahrer auf der linken Spur beim

Überholvorgang

„Ich muss pünktlich sein.“

„Wer nicht mindestens 140 km/h fährt, sollte

lieber rechts fahren.“

„Der hat gemerkt, dass ich es eilig habe und

fährt absichtlich langsam.“

„Der hat es doch verdient, dass ich jetzt mal

etwas Druck mache. Der hätte doch eben rechts

rüber fahren können.“

„Regeln sind doch nur für die da, die nicht so

gute Fahrer sind.“

- Dichtes Auffahren, Lichthupe

„Jetzt habe ich es dem aber gezeigt, wurde ja

auch Zeit, dass der rüber fährt.“

„Endlich geht es wieder voran.“

„Ich hatte die Situation zu jedem Zeitpunkt unter

Kontrolle.

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Ablauf einer aggressiven Handlung

1. Wahrnehmung erfolgt bereits selektiv

bei höherer Aggressivität größere Wahrscheinlichkeit für dementsprechende Wahrnehmung

2. Gelernte Verhaltensmuster werden aktiviert

Je eingeschliffener, vertrauter und erfolgreicher aggressive Verhaltensweisen sind, desto

wahrscheinlicher wird auf sie zurückgegriffen.

3. Vor Überspringen der Hemmschwelle findet eine Bewertung statt

Unter Berücksichtigung von Erfahrungen aus der Vergangenheit wird der mögliche Nutzen /

Schaden kalkuliert ja/nein

Dies ist ein unbewusster Prozess!

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Kriminalität und Verhalten im Verkehr

Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem

7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam

Kriminalität

Verhaltensdispositionen

- Aggressivität - Impulsivität/Selbstkontrolle

- Risikoneigung/Sensation Seeking

- Dissoziale Persönlichkeitsstörung

- Andere Störungen (Psychose)

Verhalten im Verkehr

Vorhersage möglich ?

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Sagen Verkehrverstöße kriminelles Verhalten vorher?

Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem

7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam

0,0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0

Strafbares Verkehrsdelikt

andere Straftaten

Gewaltdelikte

Vandalismus

Eigentumsdelikte

Kri

min

ell

e D

eli

kte

Odd's Ratio

Risikoverhalten

ohne

Alkoholeinflussalle Fälle mit

Risikoverhalten

Wer durch riskantes Verhalten im

Straßenverkehr aufgefallen ist, hat

eine ca. 2-fach erhöhte Wahrscheinlich-

keit auch durch ein allgemeinrecht-

liches Delikt aufzufallen.

Stand das Risikoverhalten im Verkehr

im Zusammenhang mit Alkohol, ist die

Wahrscheinlichkeit mit einem strafbarem

Verkehrsdelikt aufzufallen sogar

8-fach erhöht!

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Sagt kriminelles Verhalten Verkehrsverstöße vorher?

Quelle: Banse, R. (2011) Psychologische Ursachen für ein erhöhtes Aggressionspotenzial bei Kraftfahrern, Vortrag auf dem

7. Gemeinsamen Symposium der DGVP und DGVM am 08.-09.09.2011 in Potsdam

Wer durch ein Gewaltdelikt aufgefallen

ist, hat eine doppelte Wahrscheinlich-

keit auch durch einen Verkehrsunfall auf-

zufallen.

Wurden zwei oder mehr Eigentumsdelikte

begangen, ist die Wahrscheinlichkeit für

ein Auffallen durch einen Verkehrsunfall

4-fach erhöht!0,0 1,0 2,0 3,0 4,0 5,0

Ein Eigentumsdelikt

Zw ei oder mehr Eigentumsdelikte

Gew altdelikt im letzten Jahr

Jemals ein Gew altdelikt begangen

Kri

min

elle D

elikte

Odd's Ratio

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Aggressivität und Fahreignung

(3) Die Beibringung eines Gutachtens einer a. a. BfF (medizinisch-psychologisches Gutachten) kann zur Klärung von Eignungszweifeln für die Zwecke nach Absatz 1 und 2 angeordnet werden

• bei einer erheblichen Straftat, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung steht, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen oder die erhebliche Straftat unter Nutzung eines Fahrzeugs begangen wurde,

• bei Straftaten, die im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen, insbesondere wenn Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial bestehen,

Unberührt bleiben medizinisch-psychologische Begutachtungen nach § 2a Abs. 4 und 5 und § 4 Absatz 10 Satz 3 des StVG sowie § 10 Absatz 2 und den §§ 13 und 14 in Verbindung mit den Anlagen 4 und 5 dieser Verordnung.

§ 11 Eignung FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung)

Quellen: Fahrerlaubnis-Verordnung, zuletzt geändert am 17.12.2010, verkündet im Bundesgesetzblatt 2010 Teil I Nr. 67

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Begutachtungs-Leitlinien der Kraftfahreignung (Straftaten)

Leitsätze

„Wer Straftaten begangen hat, ist nach § 2 Abs. 4 StVG ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen:

wenn sie im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr oder im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung stehen oder

wenn sie auf ein hohes Aggressionspotenzial schließen lassen, sei es auf einer Neigung zu planvoller, bedenkenloser Durchsetzung eigener Anliegen ohne Rücksicht auf berechtigte Interessen anderer oder einer Bereitschaft zu ausgeprägt impulsivem Verhalten (z. B. bei Raub, schwerer oder gefährlicher Körperverletzung, Vergewaltigung) und dabei Verhaltensmuster deutlich werden, die sich so negativ auf das Führen von Kraftfahrzeugen auswirken können, dass die Verkehrssicherheit gefährdet wird.“

… Ursachen für Straftaten können auch Krankheiten sein.

Begründung

„Der Straßenverkehr ist ein soziales Handlungsfeld, welches von den Beteiligten “ständige Vorsicht und gegenseitige

Rücksicht” (§ 1 StVO) erfordert.

Wer auf Grund des rücksichtslosen Durchsetzens eigener Interessen, auf Grund seines großen Aggressionspotenzials

oder seiner nicht beherrschten Affekte und unkontrollierten Impulse in schwerwiegender Weise die Rechte anderer

verletzt, lässt nicht erwarten, dass er im motorisierten Straßenverkehr die Rechte anderer Verkehrsteilnehmer -

zumindest in den sehr häufig auftretenden Konfliktsituationen - respektieren wird.“

Quelle: Begutachtungs-Leitlinien zur Kraftfahrereignung, Berichte der BASt, Heft 115

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Einordnung nach den Beurteilungskriterien V1 bis V3

V1 Generalisierte Störung der Persönlichkeit oder der Entwicklung

Anpassungsstörung

Es wird bewusst und absichtlich in verschiedenen Lebensbereichen gegen Regeln verstoßen (Heterogene

Deliktstruktur, Aggressiviät)

Quelle: Beurteilungskriterien 3. Auflage, Kirschbaum 2013

V2 Emotionale Regulation durch Fehlverhalten

Verminderte Anpassungsfähigkeit

Es wird gegen Regeln verstoßen, weil sich das gut anfühlt (Spanungsabbau, Drängler, „Erzieher“)

V3 Fehleinstellungen zur Regelbeachtung

Verminderte Anpassungsbereitschaft

Es wird gegen Regeln verstoßen, die man nicht sinnvoll findet (Vielfahrer, stehen über den Regeln,

Sorglosigkeit, Nachlässigkeit)

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Ausblick - Zusammenfassung

Aggressivität ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die sich durch aggressives Verhalten in verschiedenen

Verhaltensbereichen äußert – sowohl im Straßenverkehr, als auch außerhalb.

Es besteht ein Zusammenhang zwischen kriminellem Verhalten im allgemeinen und dem Verhalten im

Straßenverkehr im Besonderen.

Aufgrund von Straftaten im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr kann die Fahrerlaubnisbehörde eine

Überprüfung der Kraftfahreignung anordnen, sofern diese im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr

stattfanden.

Die bisherigen Erkenntnisse dagegen weisen darauf hin, dass auch durch Straftaten mit

Aggressionspotenzial außerhalb des Straßenverkehr die Kraftfahreignung eingeschränkt sein kann, da

sie eine Vorhersage über das Verkehrsverhalten zulassen.

Vor diesem Hintergrund strebt die DGVP / DGVM an, eine Änderung der Fahrerlaubnisverordnung zu

bewirken, mit der der Zusatz „… im Zusammenhang mit der Kraftfahreignung…“ aus § 11 (3) entfällt.

Vielen Dank!