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Peter Gallmann, Universität Jena Marburg, März 2014 Zur Flexionsmorphologie von ein Zusammenfassung In der deutschen Standardssprache kann man ein einziges Lexem ein mit vielen Ge- brauchsweisen ansetzen: indefiniter Artikel, Kardinalzahl, quantifizierendes Adjektiv … In regionalen Varietäten kam es zu Lexemspaltungen; in der Standardsprache gibt es da- für nur geringe Anzeichen, und zwar bei Verbindungen mit so und bei den suppletiven Obliquusformen von man. Das Lexem ein bleibt in der NP teilweise unflektiert (= partielle Flexionslosigkeit), aber nur, wenn eine Reihe von Bedingungen eingehalten werden: Die partielle Flexionslosigkeit ist in der heutigen Standardsprache lexemgebunden: ein, kein und die 6 Possessiva. Die Flexionslosigkeit betrifft nur die KNG-Merkmale (Kasus, Numerus, Genus) mit der niedrigsten Markiertheit. Flexionslosigkeit heißt hier auch Merkmallosigkeit – was sonst keineswegs immer der Fall ist, wie man mit geeigneten Proben zeigen kann. Die Flexionslosigkeit ist an die Determiniererposition gebunden (keine Flexionslosigkeit in den inneren Bereichen der NP, etwa beim Gebrauch als quantifizierendes Adjektiv). Die Flexionslosigkeit ist an die syntaktischen Regeln der Nominalgruppenflexion gebun- den: (i) Eine NP muss mindestens einen Hauptmerkmalträger aufweisen. (ii) Wenn die NP kein (sichtbares) Nomen aufweist, muss die letzte Wortform der Kate- gorien D oder A ein Merkmalträger sein. Wenn diese Bedingungen nicht anderweitig eingehalten werden können, erzwingen sie gegebenenfalls Flexion von ein. Bei adjektivisch flektierten Lexemen (eigentliche Adjektive sowie flexionsmorphologisch verwandte Determinierer und Pronomen) zeigt sich relativ viel flexivische Homonymie, die auch durch Unterspezifikation nicht wegerklärt werden kann. Beim Lexem ein (und seinen 7 Verwandten) wird die Homonymie durch die oben genannte Flexionslosigkeit sowie durch partielle Allomorphie (-s neben -es) reduziert (partiell meint hier: nur in be- stimmten syntaktischen Kontexten). Das Lexem ein folgt im Genitiv noch sehr zögerlich, im Dativ (zumindest in konzeptio- nell mündlicher Sprache) schon recht deutlich dem allgemeinen Trend, die kasusspezifi- schen Flexionsformen auf -em und -es durch die allgemeine (schwache) Kontrastform auf -en zu ersetzen. Gegenläufig lässt sich eine Ausbreitung des Gebrauchs der ursprünglichen Dativform ei- nem auf akkusativische Kontexte beobachten – aber offenbar eher nur dann, wenn die Form die Semantik von man aufweist (suppletiver Gebrauch).

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Peter Gallmann, Universität Jena Marburg, März 2014

Zur Flexionsmorphologie von ein

Zusammenfassung

In der deutschen Standardssprache kann man ein einziges Lexem ein mit vielen Ge-brauchsweisen ansetzen: indefiniter Artikel, Kardinalzahl, quantifizierendes Adjektiv …

In regionalen Varietäten kam es zu Lexemspaltungen; in der Standardsprache gibt es da-für nur geringe Anzeichen, und zwar bei Verbindungen mit so und bei den suppletiven Obliquusformen von man.

Das Lexem ein bleibt in der NP teilweise unflektiert (= partielle Flexionslosigkeit), aber nur, wenn eine Reihe von Bedingungen eingehalten werden:

– Die partielle Flexionslosigkeit ist in der heutigen Standardsprache lexemgebunden: ein, kein und die 6 Possessiva.

– Die Flexionslosigkeit betrifft nur die KNG-Merkmale (Kasus, Numerus, Genus) mit der niedrigsten Markiertheit. Flexionslosigkeit heißt hier auch Merkmallosigkeit – was sonst keineswegs immer der Fall ist, wie man mit geeigneten Proben zeigen kann.

– Die Flexionslosigkeit ist an die Determiniererposition gebunden (keine Flexionslosigkeit in den inneren Bereichen der NP, etwa beim Gebrauch als quantifizierendes Adjektiv).

– Die Flexionslosigkeit ist an die syntaktischen Regeln der Nominalgruppenflexion gebun-den:

(i) Eine NP muss mindestens einen Hauptmerkmalträger aufweisen. (ii) Wenn die NP kein (sichtbares) Nomen aufweist, muss die letzte Wortform der Kate-gorien D oder A ein Merkmalträger sein.

Wenn diese Bedingungen nicht anderweitig eingehalten werden können, erzwingen sie gegebenenfalls Flexion von ein.

Bei adjektivisch flektierten Lexemen (eigentliche Adjektive sowie flexionsmorphologisch verwandte Determinierer und Pronomen) zeigt sich relativ viel flexivische Homonymie, die auch durch Unterspezifikation nicht wegerklärt werden kann. Beim Lexem ein (und seinen 7 Verwandten) wird die Homonymie durch die oben genannte Flexionslosigkeit sowie durch partielle Allomorphie (-s neben -es) reduziert (partiell meint hier: nur in be-stimmten syntaktischen Kontexten).

Das Lexem ein folgt im Genitiv noch sehr zögerlich, im Dativ (zumindest in konzeptio-nell mündlicher Sprache) schon recht deutlich dem allgemeinen Trend, die kasusspezifi-schen Flexionsformen auf -em und -es durch die allgemeine (schwache) Kontrastform auf -en zu ersetzen.

Gegenläufig lässt sich eine Ausbreitung des Gebrauchs der ursprünglichen Dativform ei-nem auf akkusativische Kontexte beobachten – aber offenbar eher nur dann, wenn die Form die Semantik von man aufweist (suppletiver Gebrauch).

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Allgemeines zur Flexion von Adjektiven und Determinierern/Pronomen

Stark, schwach und endungslos

Adjektive werden innerhalb von Nominalphrasen je nachdem stark oder schwach flektiert; die Steuerung erfolgt über die Regeln der Wortgruppenflexion (Duden-Grammatik 2009: Haupt- und Nebenmerkmalträger).

Determinierer und Pronomen fallen aus Perspektive der Flexionsmorphologie in zwei Gruppen:

– Die adjektivartigen werden (grosso modo) wie Adjektive stark (und eingeschränkt auch schwach) flektiert. Beispiele: dieser, mancher, welcher, einige. Bei einigen erscheinen auch endundungslose Formen, zum Beispiel: manch, welch.

Zu den adjektivartigen gehören auch die Lexeme ein und kein sowie die Possessiva. Bei diesen erscheinen ebenfalls endungslose Formen – aber unter anderen Bedingungen als bei der vorgenannten Gruppe des Typs manch.

Zur Frage der Merkmalhaltigkeit der endungslosen Formen siehe eingehend weiter unten.

– Bestimmte Determinierer und Pronomen werden »nominal« flektiert; außer im Genitiv (sofern überhaupt vorhanden) sind sie endungslos. Beispiele: etwas, nichts, genug, aller-lei, dreierlei.

Bei einigen wenigen Lexemen schwankt die Flexion zwischen adjektivisch und nominal, entweder frei (zum Beispiel bei jemand, niemand), teils mit semantischen Tendenzen (± distributive Lesart bei viel).

Zur Differenzierung der unterschiedlichen Arten von Endungslosigkeit siehe auch nachste-hend.

Hypothesen zu den starken und den schwachen Flexionendungen

Die starken Endungen sind Merkmalträger: Jede Endung steht für ein bestimmtes Bündel der Kategorien Kasus, Numerus und Genus (= KNG-Merkmale) und zeigen diese an. Sie sind also Portmanteau-Morpheme.

Zugrundeliegende Regeln (in OT-Formulierung): Treue (und Markiertheit → Sichtbar-keit).

Die schwachen Endungen sind keine Merkmalträger im eigentlichen Sinn, sie zeigen nur eine Palette von Kontrasten an (Carstairs-McCarthy 2008).

Zugrundeliegende Regeln (in OT-Formulierung): Kontrastgebote.

Das starke Paradigma ist defektiv, das heißt, es enthält Lücken. Abhilfe kommt auf zwei Wegen (alle sind seit je bekannt; der zweite und der dritte werden aber vor allem in der jüngeren Fachliteratur erstaunlich selten diskutiert):

– Reparatur I: minimierte Unterspezifikation

Die Lücke wird mit derjenigen Form gefüllt, deren Merkmalbündel am wenigsten vom geforderten Merkmalbündel abweicht. Bei Konkurrenz gleichwertiger Formen gibt eine Präferenzhierarchie den Ausschlag.

– Reparatur II:

Ersatz durch die Kontrastformen des schwaches Paradigma.

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Welche der beiden Reparaturstrategien zum Zuge kommt, ergibt sich ebenfalls aus der genannten Präferenzhierarchie.

Die Präferenzhierarchie ergibt sich teilweise »natürlich« (etwa durch universelle Mar-kiertheitshierarchien), teilweise muss sie aber erlernt werden (und ist damit tendenziell nicht ganz stabil).

Markiertheitsverhältnisse in der Deklination des Deutschen

Genus/Numerus (phi-Merkmale); im Deutschen gekoppelt, also im Gegensatz zu Spra-chen wie Latein nicht getrennt zu behandeln, linear:

(1) 0. Neutrum (»Nullgenus«) 1. Maskulinum ((in Bezug auf Maskulinum zu revidieren)) 2. Femininum 3. Plural

Kasus offenbar gegabelt:

(2) 0. Nominativ (»Nullkasus«) 1. Akkusativ 2a. Dativ 2b. Genitiv

Zur Erklärung der beiden Hierarchien sind in der Fachliteratur schon zahlreiche Vor-schläge mit Dekomposition in elementarere Merkmale gemacht worden. Da dies im vor-liegenden Zusammenhang zu keinen zusätzlichen Einsichten führt, wird darauf nicht nä-her eingegangen.

Am kompatibelsten scheinen die folgenden Vorschläge zu sein:

– Numerus/Genus (à la Bierwisch 1967):

(3) a. Neutrum = [ ] b. Maskulinum = [+ mask] c. Femininum = [+ fem] d. Plural = [+ mask, + fem].

– Kasus (à la Wunderlich 1997, 2001, 2003):

(4) a. Nominativ = [ ] b. Akkusativ = [+ regiert] c. Dativ = [+ regiert, + obliquus] d. Genitiv= [+ regiert, + adnominal] (und nicht etwa [+ obliquus] ).

Bei Wunderlich: [+hr] = [+ higher role] statt [+ regiert] [+lr] = [+ lower role] statt [+ obliquus]

Dafür, dass die Markiertheitsbeziehungen der obliquen Kasus nicht linearen Charakter haben, spricht unter anderem, dass Genitivformen nie durch Dativformen ersetzt werden (oder umgekehrt):

(5) a. in diesem Haus(e); der Eingang dieses Hauses b. in *dieses Haus(e); der Eingang *diesem Hauses

– Hingegen erscheinen sowohl in Genitiv- als auch in Dativ-NPs Flexionsformen mit -en, wie sie auch im Akkusativ üblich sind (mehr dazu siehe nachstehend):

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(6) a. am Ersten §diesen Monats ein Lieblingsthema der Sprachpflege

b. Alles was man in §diesen Haus vorfindet ist wohlbedacht und mit viel Gefühl fürs Detail ausgesucht. http://www.immowelt.de/suche/waging-a-see/haeuser; Febr. 2014 Die (angeblich) weiteren 203.000 Belege allein für die Sequenz "in diesen Haus" (gemäß Google, Febr. 2014) wären weit über der Tippfehlerquote (Nebeneinander von m und n auf der Tastatur).

Disclaimer für alle Zahlenangaben von Google (hier und im Rest des Papiers): Die Zah-len sind Hochrechungen und wegen werbeorientierter Algorithmen je länger, desto unzu-verlässiger. Sie haben also höchstens den Status von »Stichproben« und genügen den An-sprüchen korpuslinguistischer Genauigkeit nicht.

Markierungen: *Sterne stehen nur bei Ausdrücken, die (nach bestem Wissen des Schrei-benden) allgemein abgelehnt werden, also ungrammatisch im eigentlichen Sinn sind. Bei (mehr oder weniger) gut belegbaren Nonstandardmustern steht ein hochgestelltes §Para-grafzeichen.

– Die morphologisch nicht zu beobachtende flexionsmorphologische Vermischung von Ge-nitiv und Dativ darf nicht mit der sehr wohl zu beobachtenden Vermischung im Gebrauch verwechselt werden, vgl. etwa die labilen Verhältnisse bei der Rektion von Präpositionen und bei manchen Verben:

(7) a. trotz starkem Regen / trotz starken Regens b. trotz starken Regenfällen / trotz starker Regenfälle

(8) a. Man hat sich meines Anliegens / §meinem Anliegen angenommen b. Man hat sich meiner Anliegen / §meinen Anliegen angenommen

Reparatur von Defektivität I: Inkaufnahme von Unterspezifikation

Das starke Paradigma der Adjektive sowie der adjektivartigen Determinierer und Prono-men zeigt viel flexivische Homonymie, die sich – wie schon oben angesprochen – unter anderem damit erklären lässt, dass das Inventar der Flexive eigentlich defektiv ist, also nicht für alle Paradigmenzellen eine Flexionsform mit genau passendem Merkmalbündel bereitstellt.

Wenn man die Paradigmenzellen nach dem Markiertheitsgrad von Numerus/Genus und Kasus anordnet, ergeben sich Synkretismusfelder. Jedes solche Feld ist von einer Form geprägt, die jeweils exakt in eine der Paradigmenzellen passt. Diese Form wird dann un-ter Inkaufnahme von Unterspezifikation auf benachbarte leere Paradigmenzellen übertra-gen.

– Unterspezifikation: Ein bestimmtes Merkmal wird nicht berücksichtigt (oder mehrere).

– Bei Konkurrenz geben Präferenzen den Ausschlag (in OT-Formulierung: Treue-Gebote):

(9) Fem./Plural > Kasus > Rest (= Das Beachten der markierten Numerus/Genus-Merkmale mit Rang 2 oder

höher ist wichtiger als das Beachten der Kasusmerkmale.)

Erfasst (d.h. »beschreibt«, nicht »erklärt«), dass (*warum) keine Kasusformen aus dem Bereich Neutrum/Maskulinum auf Femininum/Plural übertragen werden.

(Historische Ausnahme: Genitiv-s artikelloser Eigennamen – nicht das Thema des vorliegenden Vor-trags.)

– Fehl- bzw. Überspezifikation ist ausgeschlossen.

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Bei den verbleibenden Homonymien fällt auf, dass sie bei bestimmten Pronomen durch den Vokalismus (er ≠ ihr; des ≠ das) und/oder Langformen (den ≠ denen) aufgehoben werden (meist gleich »felderweise«).

(10) a. dieser = dieser = dieser b. der = der = der (mit Nomen) c. der = der ≠ derer (ohne Nomen) d. er ≠ ihr ≠ ihrer

Reparatur von Defektivität II: Rückgriff auf die schwachen Formen

Das schwache Formeninventar zeichnet sich durch einen simplen Kontrast aus: e ≠ en.

These: Diese beiden Formen sind keine eigentlichen Träger von KNG-Merkmalen, son-dern Kontrastformen im Sinne von Carstairs-McCarthy (2008).

– Die Form auf -e ist Default; sie zeigt nur an, dass die Wortform ein NP-Bestandteil ist.

(11) Default ≠ Stamm

– Die Form auf -en wird durch drei sich überlappende Kontrastgebote ausgelöst:

(12) Schwache Kontrastgebote a. Plural ≠ Default b. Genitiv/Dativ ≠ Default c. Akkusativ Singular Maskulinum ≠ Default (Variante: Markierte Kasus des Maskulinums ≠ Default)

Dies ergibt das folgende Bild:

(13) Neutrum Mask. Fem. Plural

Nom. -e -e -e -en

Akk. -e -en -e -en

Dat. -en -en -en -en

Gen. -en -en -en -en

Die drei Kontrastgebote von (12) gelten auch in den syntaktischen Kontexten, in denen starke Flexionsformen erwartet werden können.

– Im Idealfall erfüllen die Flexionsformen sowohl die Treuegebote der starken Flexion als auch die Kontrastgebote.

– Für den Konfliktfall gibt es eine Präferenzhierarchie:

(14) a. Treue: Femininum/Plural b. Kontrast: Plural ≠ Default c. Kontrast: Genitiv/Dativ ≠ Default d. Kontrast: Akkusativ Singular Maskulinum ≠ Default e. Treue: Kasus f. Treue: Rest

Die schwache Adjektivflexion ist nicht das einzige Phänomen, das mit der Interaktion von merkmallosen Kontrastformen und Kontrastgeboten erklärt werden kann. Weitere Kandidaten (alle auch mit -en!):

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– Schwache Substantivflexion, sowohl Kasusformen im Singular als auch Pluralformen (Carstairs-McCarthy 2008)

– Verb, Plural der 3. (1.) Person

Es dürfte darüber hinaus sinnvoll sein, nach Vergleichbarem in anderen Sprachen zu su-chen. Kandidaten:

– s-Flexiv im Englischen (Genitiv Singular; Plural; vielleicht auch finites Verb) – r-Flexive in den nordischen Sprachen (Plural des Substantivs, finite Verbformen)

Eine ähnliche (aber nicht identische) Idee ist von Martin Neef (1998), Dieter Wunderlich (1999) und Richard Wiese (2009) für den e-Plural (vs. Endungslosigkeit) beim Substantiv vorgeschlagen worden. Das Plural-e ist bei diesem Ansatz nicht ein Merkmalträger und – im Gegensatz zu dem hier vorgeschlagenen Ansatz – auch nicht ein Flexiv, sondern ein bloßer Sprossvokal. Er ist das Resultat einer »minimalinvasiven« Anpassung an eine Wohlgeformtheitsanforderung (nämlich Plural = Trochäus).

Typische starke Paradigmen

Paradigmen sind bei dem vorangehend skizzierten Ansatz keine elementaren Einheiten des Lexikons oder der Grammatik, sondern das Resultat des Zusammenwirkens aus (i) dem In-ventar an Flexiven, (ii) Präferenzregeln bei Lücken:

– Die Pfeile zeigen Übernahme von Formen aus Nachbarzellen des Paradigmas an (Unter-spezifikation).

– Die eingegrauten Zellen geben an, wo stattdessen die schwache Kontrastform auf -en zum Zug kommt.

Achtung: Die synchron einheitlich als schwache Kontrastformen zu klassifizierenden Formen haben unterschiedliche Vorgeschichten.

Pronomen der/die/das und er/sie/es

(15) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. das es der er die sie →

1 Akk. ↓ den ↓ →

2a Dat. dem ihm → der ihr denen

2b Gen. dessen seiner → derer ihrer → Regional auch Langformen im Dativ Singular Femininum

der/die/das als Determinierer

(16) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. das der die →

1 Akk. ↓ den ↓ →

2a Dat. dem → der den

2b Gen. des → der → Regional auch als Determinierer Langformen im Dativ Singular Femininum und im Dativ Plural Zur Form der im Genitiv/Dativ Singular Femininum siehe Anhang.

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Pronomen/Determinierer dieser

(17) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. dieses, dies dieser diese →

1 Akk. ↓ diesen ↓ →

2a Dat. diesem → dieser diesen

2b Gen. dieses → dieser → Zur Genitivform diesen (zum Beispiel: am Ersten diesen Monats) siehe Adjektiv sowie nachstehend. Zum Genitiv/Dativ Singular Femininum siehe Anhang.

Adjektiv, standardsprachliche Norm

(18) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. gutes guter gute →

1 Akk. ↓ guten ↓ →

2a Dat. gutem → guter guten

2b Gen. guten guten guter → Zum Genitiv/Dativ Singular Femininum siehe Anhang.

Adjektiv, Tendenz: Zunahme von n-Formen (siehe nachstehend)

(19) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. gutes guter gute →

1 Akk. ↓ guten ↓ →

2a Dat. guten guten guter →

2b Gen. guten guten ↓ guten

Zum Lexem ein

Gebrauchsweisen

Formen des Lexems ein erscheinen in zahlreichen Verwendungsweisen. Im konkreten Fall ist der Gebrauch gar nicht immer einfach zu bestimmen. Die folgenden Tabelle gibt einen Über-blick (Duden-Grammatik 2009, Randziffer 447):

Beschreibung Beispiele

Indefiniter Artikel Ich habe das in einem Buch gelesen. Kommt ein Wölkchen angeflogen …

Indefiniter Artikel mit so Mit so einem Kaffee gewinnt man Freunde!

Indefiniter Artikel in Kombination mit einem anderen Artikelwort

Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen (W. Busch). In manch einem Vertrag verstecken sich horrende Gebühren. Welch ein Zufall!

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Beschreibung Beispiele

Indefinitpronomen in der tung ›jemand‹

Da soll noch einer drauskommen! Ich habe heute einen gesehen, der auf den Händen gehen kann.

Indefinitpronomen in Verbindung mit so

Mit so einer will Daniela nichts mehr zu tun ha-ben. Da hat mich irgend so einer angerufen und gefragt, ob …

Indefinitpronomen: suppletive Dativ- und Akkusativformen von man

Über solche Postkarten freut man sich. → Solche Postkarten freuen einen. So etwas benötigt man nicht. → So etwas fehlt einem nicht.

Indefinitpronomen in Kombination mit einem anderen Indefinitum

Denn das verheißt nichts Gutes, wie ein jeder weiß. Schon manch einer hatte am Abend ein paar Duzfreunde hinzugewonnen.

Indefinites Artikelwort, verstärkt mit irgend

Ich habe das in irgendeinem Buch gelesen. Wir wissen über den Mond wesentlich mehr als über irgendeinen anderen Himmelskörper. Da hat mich vorhin irgend so ein Typ angequatscht.

Indefinitpronomen, verstärkt mit irgend Hat irgendeiner eine Idee? Irgendeiner wird es schon wissen. Und schon kommt irgend so einer, der uns anschnauzt.

Kardinalzahl, attributiv Der Pirat hat nur noch ein Auge. Sein eines Auge blitzte tückisch. Zu diesem einen See wandern all-jährlich Tausende von Fröschen und Kröten.

Kardinalzahl, alleinstehend Die Antwort wusste nur einer. Dazu sage ich nur eins: Nein!

Unbestimmtes Zahladjektiv (indefinites Adjektiv), pluralfähig (oft in Oppositi-on zu andere), attributiv

Ich will die einen Tomaten sofort essen, die ande-ren zu Soße verarbeiten. Unsere eine Katze heißt Max, unsere andere Moritz.

Unbestimmtes Zahladjektiv (indefinites Adjektiv), pluralfähig (oft in Oppositi-on zu andere), substantiviert

Die einen sagen dies, die anderen das. Sie will das eine tun, aber das andere nicht lassen.

Diese Vielfalt wurde teilweise durch Lexemspaltung etwas transparenter gemacht, so etwa in der Schweiz (heute Dialekt, früher sogar regionaler Standard):

(20) a. Die einten fuhren mit dem Auto nach Arosa, die anderen wählten den Weg mit der Bahn. http://www.ssc-triengen.ch/dynasite.cfm?dsmid=98990

b. In dem einten Hause siehet man vielmals Kinder nur von dem einten, in einem andern Hause siehet man Kinder nur von dem andern Geschlechte Johann Friedrich Stapfer (1751): Grundlegung zur wahren Religion, Band 1, Seite 116 (http://books.google.ch; Febr. 2014; Stapfer war Pfarrer im Kanton Bern)

In der Mitte des deutschen Sprachraums gibt es Tendenzen, die Verbindung mit so zu ver-selbständigen, vgl. etwa Pluralformen:

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(21) a. Sorry aber sone Leute regen mich echt auf http://www.spieletipps.de/ps3/elder-scrolls-iv-oblivion/fragen/id-1213900/; Febr. 2014

b. Sie wird aber brülln: Sie olle Vogelscheuche, und lauter sone Sachen, wo ich jahnich hier wiederholn kann, Herr Rechtsanwalt Tucholsky

Allgemeine Charakterisierung der Flexion

Zu den Besonderheiten des Lexems ein und seinen flexionsmorphologischen Verwandten (kein und die Possessiva) gehört es, dass in einem Teil der Kontexte, in denen stark flektierte Formen zu erwarten sind, stattdessen partielle Endungslosigkeit erscheint.

Überblick (zu den Einzelheiten und den dahinter stehenden Regularitäten siehe nachstehend):

»Starkes« Paradigma I (tatsächlich ein Mix aus starken, schwachen und endungslosen Formen):

(22) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. ein eine → (k…)

1 Akk. einen ↓ → (k…)

2a Dat. einem → einer (keinen)

2b Gen. eines → einer → (k…)

Starkes Paradigma II (wie I, aber ohne endungslose Formen):

(23) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem. 3 Plur.

0 Nom. eines/eins einer eine → (k…)

1 Akk. ↓ einen ↓ → (k…)

2a Dat. einem → einer (keinen)

2b Gen. eines → einer → (k…) Nachstehend werden separat behandelt: – die Allomorphie eines/eins – die Nonstandardformen im Genitiv und Dativ auf -en – die Nonstandard-Kurzform ein auch im Akkusativ Singular Maskulinum – die Nonstandardform einem/eim

Paradigma II: schwach

– Ganz wie (13): Default -e; Kontrastform -en.

– Typische Gebrauchsweise: nach Determinierer. Auch beim Lexem ein in bestimmten Ge-brauchsweisen möglich; die Formen werden dann meist als Zahladjektiv (Semantik: Kar-dinalzahl oder unbestimmt quantifizierend) analysiert. Das erste Beispiel bietet gleich beides:

(24) a. Zwei Männer, die dieses Kind lieben: Der eine hat es gezeugt, der andere hat es aufgezogen, und jetzt wollen beide dieses eine Kind. http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-52494021.html; Febr. 2014

b. Die einen Kinder wollen lieber drinnen, die anderen lieber draußen spielen.

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Lexem ein: stark vs. endungslos

Die endungslosen Formen des Lexems ein und seiner flexionsmorphologischen Verwandten haben zwei Besonderheiten:

Die Endungslosigkeit ist partiell. Die Endungslosigkeit ist in bestimmten Verwendungsweisen ausgeschlossen.

Damit stellen sich drei Fragen:

Bei welchen Lexemen kommt partielle Endungslosigkeit überhaupt vor? Wie kommt die genaue Distribution der Formen mit und ohne Endungen zustande? Unter welchen Bedingungen wird Flexion erzwungen?

Lexeme mit partieller Endungslosigkeit

Die erste Frage, diejenige nach den Lexemen mit partieller Endungslosigkeit, ist vorangehend schon mehr oder weniger explizit beantwortet worden:

Partielle Endungslosigkeit ist in der heutigen Standardsprache auf eine geschlossene An-zahl von Lexemen beschränkt, nämlich auf die zwei Lexeme ein und kein sowie an die Possessiva.

Die genannten Lexeme folgen alle demselben Muster.

Das ist keine Selbstverständlichkeit:

Frühneuhochdeutsch (und dialektal) war das Muster weiter verbreitet (und damit noch produkativ), etwa auch in Konkurrenz zur starken Flexion beim Adjektiv. Siehe dazu auch nachstehend.

Zu beachten ist aber auch, dass der Parallelismus von ein und kein einerseits und der Pos-sessiva mein, dein, sein usw. andererseits nicht seit je gilt (→ frühere Sprachstufen) und auch nicht in allen Varietäten (→ Dialekte). Die Gründe für die (frühere) Differenz und die Gründe für die Angleichung wären noch gesondert zu untersuchen.

Zur Distribution der Formen mit und ohne Endung

Partielle oder paradigmatisch beschränkte Endungslosigkeit bedeutet, dass unflektierte For-men in einem Teil derjenigen syntaktischen Kontexte vorkommt, in denen eigentlich starke Flexion zu erwarten ist.

Grundlage der Endungslosigkeit:

Die Endungslosigkeit kann man damit erklären, dass die Flexions- und Kontrastgebote im niedrigsten Rang nicht zum Zug kommen. → Zwischen die Treue- und Kontrastgebote schiebt sich ein lexemgebundenes Flexionsverbot.

(25) a. Treue: Femininum/Plural b. Kontrast: Plural ≠ Default c. Kontrast: Genitiv/Dativ ≠ Default d. Kontrast: Akkusativ Singular Maskulinum ≠ Default e. *Flex(ein) = Flexionsverbot für die Lexemklasse ein, kein, mein … f. Treue: Kasus g. Treue: Rest

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Zum Vergleich: tendenziell freie Varianz bei den anderen Typen von Determinierern mit Endungslosigkeit (siehe aber auch nachstehend):

(26) a. Dieser Fehler ist schon manch erfahrenem Wissenschaftler unterlaufen. b. Dieser Fehler ist schon manchem erfahrenen Wissenschaftler unterlaufen.

(27) a. Mit solch großem Hunger vertilge ich fast alles. b. Mit solchem großen Hunger vertilge ich fast alles.

(28) a. Mich hat erstaunt, mit welch großem Budget das Projekt ausgestattet ist. b. Mich hat erstaunt, mit welchem großen Budget das Projekt ausgestattet ist.

Anmerkung I: Die Beispiele sind nicht ohne Hintergedanken ausgesucht worden. Bei ge-nauerer Betrachtung ist die Wahlfreiheit nämlich doch erheblich eingeschränkt – aber nicht durch Beschränkungen wie (25), sondern durch semantische (welch: interrogativ vs. exklamativ) oder pragmatische (solch: fast nur noch in konzeptioneller Schriftlichkeit üb-lich).

Anmerkung II: Die drei endungslosen Formen sind außerdem mit ein kombinierbar, was noch gesondert zu untersuchen wäre:

(29) manch einem erfahrenen Wissenschaftler, mit solch einem großen Hunger, welch ein großes Budget

Erzwungene Flexion I: Bedingungen der Wortgruppenflexion (Oder: Endungslos vs. merkmallos)

Wie oben schon angesprochen: Es gibt zwei Flexionstypen bei Determinierern und Pronomen: adjektivartige und nomenartige.

Adjektivartig flektierte Determinierer und Pronomen (sowie gewöhnliche Adjektive)

– These: Endungslose Formen solcher Lexeme tragen keine KNG-Merkmale (Kasus, Nu-merus, Genus). Sie sind also merkmallos.

– Aus diesem Grund können sie mit zwei Anforderungen der Wortgruppenflexion (Duden-Grammatik 2009) in Konflikt geraten:

(30) a. Jede NP hat einen Hauptmerkmalträger b. Wenn die NP kein (sichtbares) Nomen aufweist, muss die letzte Wortform der

Kategorien D oder A ein Merkmalträger sein.

Diese Bedingungen werden nötigenfalls über erzwungene Flexion erfüllt – die Gebote (30 a/b) übertrumpfen also (25 e):

(31) a. Sie trägt nicht das lila Kleid, sondern das rote. b. Sie trägt nicht das rote Kleid, sondern das *lila / §lilane.

(32) a. Sie trägt nicht das lila / §lilane, sondern das rote Kleid. b. Sie trägt nicht das rote, sondern das lila Kleid.

(33) a. Sie trägt nicht ein lila Kleid, sondern ein rotes. b. Sie trägt nicht ein rotes Kleid, sondern ein *lila / §lilanes.

(34) a. Er hat schon manches dicke Buch rezensiert. b. Er hat schon manch dickes Buch rezensiert. c. Ich habe schon manches wieder vergessen. d. Ich habe schon *manch wieder vergessen

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→ Die endungslosen Formen von ein, kein und den Possessiva verhalten sich ganz ana-log. Sie gehören also zum adjektivartigen Typ.

(35) a. Sie kaufte nicht drei Bücher, sondern nur *ein. b. Sie kaufte nicht drei Bücher, sondern nur eins / eines.

(36) a. Das ist nicht dein Fahrrad, sondern *mein. b. Das ist nicht dein Fahrrad, sondern meins / meines.

Nomenartige Determinierer und Pronomen

– These: Auch endungslose Formen solcher Lexeme tragen KNG-Merkmale.

– Diese können daher allein den Kern einer NP bilden (keine Verletzung der Regeln der Wortgruppenflexion):

(37) Was drei wissen, wissen bald dreißig.

– Dativbeschränkung: Neutra dieses Typs können zwar bei dativregierenden Präpositionen, nicht aber allein als Dativobjekte fungieren (Gallmann 1996; Bayer/Bader/Meng 2001; Bayer/Bader 2007):

(38) a. Das gleicht *nichts. b. Das ist mit nichts vergleichbar.

Es gibt auch einige wenige Lexeme, die zwischen adjektivartiger und nominaler Flexion schwanken (bei viel und wenig mit der Tendenz, dass die flektierte Variante eher distribu-tive Lesart hat):

(39) a. Ich habe niemanden gesehen. b. Ich habe niemand gesehen.

(40) a. Robert hat schon vieles erlebt. b. Robert hat schon viel erlebt.

Exkurs: Partielle Endungslosigkeit und erzwungene Flexion in anderen Varietäten des Deutschen

Partielle Endungslosigkeit war im Frühneuhochdeutschen verbreiteter (also nicht lexikalisch gebunden), Reste davon finden sich auch noch in der heutigen Standardsprache:

(41) a. Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied! Goethe, Faust I, Szene in Auerbachs Keller

b. Gut Ding will Weile haben. c. Doppelzimmer mit fließend warm und kalt Wasser

http://www.kirschbaumwasen.de/haus.html; Febr. 2014 (und angeblich weitere 78.000 Vorkommen von "fließend warm und kalt Wasser")

Wenn man versucht, sein bisher verborgen gebliebenes Sprachgefühl für das Frühneuhoch-deutsche zu wecken, ergibt sich ein ähnlicher Flexionszwang wie bei ein:

(42) a. Das ist nicht nur ein garstig Lied, sondern auch ein *politisch b. Das ist nicht nur ein garstig Lied, sondern auch ein politisches

Entsprechend auch dialektal (hier Nordschweiz: Schaffhausen, Landschaft):

(43) a. Da’sch nid e tick Buech, sondern e *tünn b. Da’sch nid e tick Buech, sondern e tünns

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 13

Wie schon oben angesprochen, waren teilweise andere Zellen des Paradigmas (bzw. andere KNG-Merkmale) betroffen. Die Einzelheiten können hier nicht weiter behandelt werden:

(44) a. Ein feste Burg ist unser Gott Luther

b. e feschti Burg (vs. di fescht Burg) Nordostschweiz

Die Äquivalente der endungslosen Formen waren im Althochdeutschen offenbar noch merk-malhaltig. Bei den eigentlichen Adjektiven galt das nicht nur für den attributiven, sondern auch für den prädikativen Gebrauch. Auf dem Weg zum (Früh-)Neuhochdeutschen hat also eine Reanalyse stattgefunden.

Erzwungene Flexion II: Position nach einem Determinierer

Starke Formen erscheinen auch, wenn ein nach einem endungslosen Determinierer steht, also selbst nicht die Determiniererposition einnimmt. Solche Syntagmen haben niedrigste Fre-quenz, sind also wohl nicht als lexemgebundene Muster gespeichert → Indiz für Regelwissen.

(45) a. Der Pirat hat nur noch ein / *eines Auge. b. Sein *ein / eines Auge blinzelte tückisch. b. Des Piraten *ein / eines Auge blinzelte tückisch.

(46) a. Die zweite Sache ist, dass sein einer Freund in der gleichen Stadt wie er stu-diert. http://mein-kummerkasten.de/162036/Ich-bin-kein-Mensch-fuer-eine-Fernbeziehung.html; Febr. 2014

b. aber findest du nicht, dass eine mutter auf ihr eines kind aufpassen kann, wenn sie merkt […] http://forum.gofeminin.de/forum/bebeestla/__f130653_bebeestla-Was-macht-ihr-wenn-fremde-eure-kinder-anmeckern-evil-evil-evil.html; Febr. 2014

c. Nun höre ich heute früh im Lehrerzimmer von einer Kollegin, in deren Klasse Peters einer Bruder geht, dass Meryem gesagt habe, dass […] http://kuhlpeppersschulgarten.blogspot.de/2012/03/kein-vertrauen-nirgends.html; Febr. 2014

d. Mein Herz wünscht sich noch ein Baby, mein Verstand sagt mir aber das un-ser eines Kind vollkommen ausreicht an Glück. www.urbia.de/archiv/forum/th-4302432/2-Kind-er-schiebt-es-immer-weiter-heraus.html; Febr. 2014

So gut wie keine Belege für starke Pluralformen (in der Semantik der Kardinalzahl sowieso ganz ausgeschlossen), daher stattdessen ein Test. Ist der Satz in Ordnung?

(47) Julias eine Freundinnen freuen sich mit ihr, die anderen sind neidisch.

Ausbreitung von partieller Endungslosigkeit

Der Kontrast Nominativ ≠ Akkusativ beim Maskulinum schwindet; Auslöser dürfte die Ver-schmelzung der Endung -en mit dem stammauslautenden n sein, so dass ein und einen in der gesprochenen Sprache nicht mehr unterscheidbar waren. Dies führte zu einer Reanalyse des Systems, nämlich zur Höherstufung von *Flex(ein) um eine Stufe, vgl. Ranking (25). Die im Akkusativ gebrauchte Form ist merkmallos (Rehn 2013).

Was die genaue Form betrifft, so ist zunächst ein zu erwarten und auch tatsächlich zu fin-den. Die Belegzahlen sind aber bei der Variante mit Vollvokal sehr viel kleiner als bei der proklitischen Form:

(48) a. Das ganze ist für ein Freund von mir. http://www.hifi-forum.de/viewthread-76-38661.html; Febr. 2014

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 14

b. Denn sie hat ’n Freund http://rapgenius.com/Cro-allein-lyrics; Febr. 2014

Deutlich höhere Fallzahlen bei vollvokalischem kein:

(49) "Mach kein Scheiß" Google-Zahl (siehe aber oben, Disclaimer): 223.000; Febr. 2014

Aber …

Bei den proklitischen Formen der gesprochenen Sprache ohne Vollvokal finden sich teil-weise etymologische Äquivalente von einen, und zwar auch im Nominativ Maskulinum und im Nominativ/Akkusativ Neutrum:

(50) a. Ich hab da nen kleines Problem Vogel (2006)

b. Lest mal nen Buch! de-de.facebook.com/events/530546017024488/; Febr. 2014

Erklärung (vgl. Vogel 2006): fakultative lautliche Verschmelzung → fakultative Variante ein’ neben einen bzw. ’n neben ’nen → Reanalyse des Flexionssystems (siehe oben) → Ausbreitung des Nebeneinanders auf Kontexte, in denen ursprünglich nur ’n stehen konn-te → Abbau der Varianz je nachdem zugunsten von ’nen oder von ’n.

Das Paradigma derjenigen, die ’nen generalisiert haben:

(51) 0 Neutr. 1 Mask. 2 Fem.

0 Nom. nen ne

1 Akk. ↓

2a Dat. nem → ner

Zur Dativform ’nem und ihren Alternativen siehe weiter unten.

Allgemeine Endungslosigkeit bei ein

In speziellen Verwendungsweisen, etwa Koordinationsstrukturen und Verbindungen mit Maßnomen, erscheinen endungslose Formen, und zwar ohne Beschränkung auf bestimmte Merkmalkombinationen.

(52) a. mit ein und demselben Ergebnis b. mit ein oder zwei Kindern, in ein bis zwei Tagen c. in ein drittel aller Fälle kann es zu körperlichen Angriffen oder Drohungen

kommen http://www.stalking-forum.de/forum/calendar.php?do=getinfo&c=1&day=2008-1-23; Febr. 2014 Achtung: niedrige Belegzahl; vgl. aber: einhundert, eintausend

Diese Konstruktionen werden hier nicht weiter behandelt.

Endungslosigkeit: Fazit

Im Deutschen gibt es die folgenden Typen von Endungslosigkeit bei Determinierern und Pronomen:

Flexionslosigkeit nur in NPs mit bestimmten KNG-Merkmalen (= partielle oder paradig-matisch begrenzte Flexionslosigkeit). Dieser Typ ist außer für das hier im Zentrum ste-hende Lexem ein auch für die Lexeme kein und die Possessiva charakteristisch.

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 15

Flexionslosigkeit frei wählbar, solange die Rahmenbedingungen der Nominalgruppenfle-xion eingehalten werden. Typisch für diesen Typ sind manch, welch, solch, also Formen, die zu sonst adjektivisch flektierten Lexemen gehören.

Hierher gehört wohl auch der zuletzt diskutierte Gebrauch bei ein in Verbindungen wie: in ein bis zwei Tagen.

Flexionslosigkeit wird nicht von der Nominalgruppenflexion beschränkt. Typisch für die-sen Typ sind »nominal« flektierte Indefinita wie viel, mehr, wenig, genug, allerlei, dreier-lei …

Entwicklungen im starken Paradigma von ein

-es ≠ -es

Zwei Phänomene: – Beschränkungen in der Allomorphie (Formen mit und ohne Schwa) – Störende Homonyme

Zur Allomorphie:

Lang oder kurz bei Funktion als (elliptischer) Determinierer und als Pronomen:

(53) a. ich weiß noch eines/eins, nämlich … b. Müller besitzt nicht zwei Motorräder, sondern nur eines/eins

Verselbständigt nur kurz (Vermutung: synchron merkmallos):

(54) a. eins, zwei, drei b. der Staatsfeind Nummer eins b. um ein Uhr / um eins d. Finanzminister und Investitionsbank-Chef waren sich eins in ihren Beiträgen.

http://www.mz-web.de/bitterfeld/das-ende-des-geldverschenkens,20640916,17734376.html; Febr. 2014

Nur lang als Zahladjektiv:

(55) a. des Kaisers eines neues Kleid b. sein eines Motorrad und sein anderes

Nur lang als Genitiv

(56) eines Tages

Aber verbauter Rest eines adverbialen Genitiv: einst (mit -t wie jetzt, §anderst). Google behauptet, fast 500.000 Belege für anderst zu haben; Febr. 2014.

→ Fazit: Es gibt mindestens drei teilhomonyme s-Endungen: (i) -es/-s als Nominativ/Akku-sativ Singular Neutrum in D-Position (hier im Wechsel mit null); (ii) -es als Nomina-tiv/Akkusativ Singular Neutrum in sonstiger starker Position; (iii) -es als Genitiv Singular Maskulinum/Neutrum.

Störende Homonymie bei -es:

Bei vielen Pronomen scheint die Homonymie von Nominativ/Akkusativ Singular Neut-rum und Genitiv Singular Maskulinum/Neutrum so sehr zu stören, dass die Genitivform pronominal nicht mehr erscheint (Duden-Grammatik 2009):

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 16

(57) a. * der Beitrag [jedes], der hier teilnimmt b. ? der Beitrag [jeder], die hier teilnimmt c. der Beitrag [aller], die hier teilnehmen

(58) a. * der Schatz, [welches] sich die Räuber bemächtigt haben b. die Prinzessin, [welcher] sich die Räuber bemächtigt haben c. die Schätze, [welcher] sich die Räuber bemächtigt haben

Beim Lexem ein ist dank Nebeneinander von Nichtflexion, Kurz- und Langformen das Ir-ritationspotenzial kleiner – und prompt sind determinierend-elliptische und pronominale Gebrauchsweisen üblich:

(59) a. Unternehmen profitieren dabei von den Erfahrungen eines der führenden An-bieter von systemnahen IT-Services. monitor.co.at; 2005

b. Mit dem Kauf eines der folgenden Produkte unterstützen Sie gleichzeitig Stra-ßenkinderprojekte. www.strassenkinder-archiv.de; 2005

Keine Probleme bei nominal flektierten Pronomen:

(60) a. Wer jedermanns Liebling sein will, darf nicht Umweltminister werden. www.erneuerbare-energien.de/inhalt/36351/; Juni 2007

b. Ist es moralisch jemandes Zuneigung auszunutzen? www.spin.de/hp/~Zeke~/page/1; Juni 2007

Genitiv: stark → schwach

Im Deutschen wird die starke Genitivendung -es immer weiter abgebaut. Steuernde Faktoren:

– störende Homonymien unter den s-Endungen (siehe vorangehend) – Tendenz zur Monoflexion (→ Abbau vor starken Nomen mit s-Genitiv) – Generelle Tendenz zur Vereinfachung des Flexionssystems (→ Abbau spezifischer Ka-

susformen zugunsten der allgemeinen Kontrastform auf -en)

Wie von (14) vorhergesagt, geschieht der Abbau der Genitivendung -es zugunsten der schwachen Kontrastform auf -en (und nicht etwa zugunsten der Dativ-Formen).

In der Standardsprache ist der Ersatz an zwei Rahmenbedingungen geknüpft:

Die Genitivphrase als Ganzes muss die Sichtbarkeitsregeln für den Genitiv (Duden-Grammatik 2009) einhalten.

(61) a. Das ist die Pflicht [jedes Schülers]. b. Das ist die Pflicht [jeden Schülers]. c. Das ist die Pflicht [jedes Studenten]. d. * Das ist die Pflicht [jeden Studenten].

Der Ersatz gilt bei bestimmten Determinierern/Pronomen als Nonstandard:

(62) a. am Ersten §diesen Monats b. Cyberfeminismus muß unseren Erachtens eine radikale Kritik neuer Medien

und Technologien leisten http://cyberfemin.janakorb.de/baba/text/einfuehr.html; Febr. 2014

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 17

Bei gewöhnlichen Adjektiven ist er völlig durchgedrungen:

(63) a. die erfrischende Wirkung kalten Wassers b. Hierdurch gehen wir sehenden Auges den Weg von der Währungsunion zur

Schuldenunion. http://www.deutsche-mittelstands-nachrichten.de/2011/09/24655/; Febr. 2014

Bei den Lexemen des Typs ein ist der Ersatz durch die schwache Endung -en erst in allerers-ten Ansätzen zu beobachten, auffallenderweise am ehesten in festen Verbindungen, etwa ad-verbialen Genitiven (Vermutung: geringere Sichtbarkeitsanforderungen). Präpositionale Ge-nitivphrase vs. Genitivattribut:

(64) a. Rot-Grün will binnen einen Monats Koalition schmieden http://www.virato.de/article/355981-rot-grun-rot-grun-will-binnen-einen-monats-koalition-schmieden/; Feb. 2014 Google-Stichprobe "binnen einen jahres": 71.000 (zur Zahl siehe oben, Disclaimer)

b. Seine Schulkameraden haben schon wieder den Verlust einen Freundes zu be-trauern http://www.rundschau-online.de/euskirchen/verkehrsunfaelle-17-jaehriger-starb-auf-der-rueckbank,15185862,15278824.html; Feb. 2014 Google-Stichprobe "verlust einen freundes": einstellig, also nicht von Tippfehlern unterscheidbar

Dativ: stark → schwach

Sobald man professionell redigierte oder korrigierte Texte ausblendet, findet man massenhaft Belege für schwache Dativformen. Für den Ersatz der starken Endung -em (Dativ Singular Maskulinum/Neutrum) durch -en können ähnliche Gründe geltend gemacht werden wie bei der Genitivendung -es:

– Tendenz zur Monoflexion – Generelle Tendenz zur Vereinfachung des Flexionssystems (→ Abbau spezifischer Ka-

susformen zugunsten der allgemeinen Kontrastform auf -en)

Es kommt aber noch ein lautlicher Faktor hinzu:

– Tendenz zur Neutralisierung von Nasalen im Auslaut

Und es gibt eine gegenläufige Bewegung zugunsten der Dativform, abhängig von der Seman-tik, nämlich beim suppletiven Obliquus von man (→ Tendenz zur Lexemspaltung).

Tendenz zur Monoflexion

Für die Ausbreitung von -en auf Kosten von -em wird in der Fachliteratur häufig die Tendenz zur Monoflexion als Grund genannt (Lit.). Dieser Faktor spielt sicher eine Rolle, er darf aber nicht überschätzt werden, wie der Vergleich mit NPs in einem anderen Kasus zeigt.

(65) a. hartes helles Holz / hartes ???helle Holz b. mit hartem hellem Holz / mit hartem hellen Holz

(66) a. harte, schlecht bezahlte Arbeit / harte, schlecht *bezahlten Arbeit b. mit harter, schlecht bezahlter Arbeit / mit harter, schlecht ?bezahlten Arbeit

Die Abfolge stark vor schwach wird immer eingehalten (siehe auch oben, Abschnitt stark vs. endunglos).

(67) a. mit *harten hellem Holz b. mit *harten, schlecht bezahlter Arbeit

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 18

Für den adjektivischen Gebrauch von ein finden sich so gut wie keine Belege. Konstruiertes Beispiel:

(68) Susi hatte schon wieder Streit mit Peters einem ?kleinem/?kleinen Bruder

Wenn ein als Determinierer fungiert, werden nachfolgende Adjektive sowieso schwach flek-iert (im vorliegenden Zusammenhang also irrelevant):

(69) Die Firma rechnet mit einem kleinen Verlust.

Genereller Verlust von -em

Hingegen lassen sich bei Neutrum und Maskulinum Nonstandardmuster mit ausschließlich Formen auf -en finden. Sie lassen sich damit erklären, dass die betreffenden Sprecher und Schreiber auf das Flexiv -em ganz verzichten (bzw. nicht mehr darüber verfügen). Der Ersatz durch die (schwache) Kontrastform -en wird vom oben postulierten Regelsystem richtig vor-hergesagt; → (14). Diese Form hat außerdem den Vorteil, dass sie sich in der Rezeption nur marginal von den altetablierten Dativformen unterscheidet.

(70) a. Der Strand besteht aus feinen, schwarzen Lavasand. http://www.myreisen.de/reisemagazin-urlaub/534/kanaren-fuerteventura-tarajalejo.html; Febr. 2014

b. Der Ausbau des Konzerns wurde von seinem Ende 1933 eingesetzten Auf-sichtsratsvorsitzenden Heinrich Koppenberg mit großen persönlichen Einsatz geführt. Auto Union und Junkers: Geschichte der Mitteldeutschen Motorenwerke GmbH; Febr. 2014

Vom gänzlichen Verlust von -em ist auch unser Lexem ein betroffen:

(71) a. "mit einen besseren" Google: 2.380.000 (???)

b. "mit einen anderen" Google: 2.730.000 (???)

(72) a. Mein Problem ist, dass ich mich nicht traue mit einen anderen Jungen zu schlafen. Bis jetzt habe ich nur mit einen Jungen geschlafen. http://sex.erdbeerlounge.de/sexforum/Ich-habe-angst-mit-einen-anderen-zu-schlafen--_t2232000s1; Febr. 2014

Zu beachten ist, dass die Hypothese, bei -en handle es sich um eine eigene, starke Akkusativ-form, die von der schwachen Form -en zu unterscheiden sei und sich momentan auf den Da-tiv ausbreite, von NPs mit Neutra widerlegen lässt (dort gibt es keine entsprechenden Akku-sativformen):

(73) a. "seit letzten jahr" Google: 1.800.000 Belege (vs. "seit letztem Jahr": 5.650.000) – vgl. aber oben den Disclaimer: alles Hochrechnungen!

b. Microsoft fixed Winphone Sicherheitslücke seit einen Jahr nicht. http://www.heise.de/newsticker/foren/…; Febr. 2014 Plus weitere 177.000 Belege (gemäß Google-Algorithmus)

Nach Verlust der m-Formen könnte erwartet werden, dass bei unserem Lexem ein die Ersatz-form in einem weiteren Schritt zumindest mündlich der oben beschriebenen Vermengung von ein/einen bzw. n/nen folgt. Das ist aber offenbar, wenn man sich auf sekundär verschriftete Texte verlassen will, nur minimal der Fall. Mit anderen Worten: Die oben postulierte Höher-stufung von (25 e), *Flex(ein), erfolgt wirklich nur um einen einzigen Schritt. Marginal:

(74) ja sry hab grad gesehen hab das von ein freund gekriegt http://www.ilch.de/forum-showposts-23642.html; Febr. 2014 Google: niedrige Frequenz (nicht über »Tippfehlerquote«); Febr. 2014

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 19

Bei denjenigen, die ’nen verallgemeinert haben, könnte sich allerdings gänzliche Formen-gleichheit ergeben. Mögliches Beispiel (wenn man nur wüsste, welche Form der Betreffende in Nominativ-NPs verwendet):

(75) moin, hatte gesten nen unfall mit nen freund hinten drauf http://www.rollertuningpage.de/38-scooterpics-tuningprojekte-more/153789-unfall-mit-meinen-speedy-totalschaden/; Febr. 2014

Ich kenne noch keine Untersuchung, die Zahlen zu den denkbaren Formenreihen geliefert hätte:

(76) Nom. Akk. Dat. a. ’n ’nen ’nem b. ’n ’nen ’nen c. ’n ’n ’nem d. ’n ’n ’nen e. ’n ’n ’n

f. ’nen ’nen ’nem g. ’nen ’nen ’nen

Fazit: Das Deutsche hält am Kontrast Dativ/Genitiv ≠ Nominativ fest, auch wenn die spezifi-schen Kasusformen (-es bzw. -em) teilweise oder ganz verschwinden; als Ersatz springt die allgemeine Kontrastform auf -en ein.

Die einzige potenzielle Abweichung sind die Sprecher mit der merkmallosen Form ’nen bei NPs im Nominativ/Akkusativ.

Zum lautlichen Faktor

Es gibt eine generelle Tendenz zur Neutralisierung von Nasalen im Auslaut, vor allem bei unbetonten Silben, wobei die genaue Natur des »Einheitsnasals« von Sprache zu Sprache schwankt:

– Deutsch, Altgriechisch: → [n] – Chinesisch, Ladinisch: → [ŋ] – Portugiesisch: → [m] – Französisch: → nasalierte Vokale

Vgl. für das Deutsche auch historische Entwicklungen: bodem → Boden, fadem → Faden. Außerdem Flexionsendungen (ursprüngliche m-Endungen im Dativ Plural von Nomen, Ad-jektiv und Determinierer/Pronomen; 1. Person Plural des Verbs; jetzt alle -en/-n).

Außerdem könnten bei der Realisierung der gesprochenen Äquivalente von -em und -en als silbische Konsonanten Assimilationen an den vorangehenden Konsonanten eine Rolle spielen, vgl. Mangold (Duden-Aussprachewörterbuch 2000: 37): haben → [habṇ] oder [habṃ]. Aus-wirkung in der Adjektivflexion: groben und grobem können beide als [gʀo:bṃ] realisiert und damit formal neutralisiert werden. Durch Übertragung auf andere Kontexte (wo nach der Norm zu unterscheiden wäre) kommt es zu weiteren Neutralisierungen, vgl. etwa klugen und klugem → [klu:gŋ].

Die gegenläufige Tendenz zu einem Einheitsobliquus einem

Das vorangehend gezeichnete Bild entspricht aber nicht immer dem Beobachtbaren. In einem auffallenden Gegensatz zur vorangehend beschriebenen Tendenz sind Formen auf -em in Ak-

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 20

kusativphrasen. Sie finden sich bei den zwei Gebrauchsweisen des Lexems ein als Indefinit-pronomen:

Generische Lesart, Suppletivformen zu man: m-Formen in Akkusativphrasen

(77) a. Was erwartet einem beim Betriebsarzt? http://www.gutefrage.net/frage/was-erwartet-einem-beim-betriebsarzt; Febr. 2014 "erwartet einem bei" = 81.000

b. "unterstützt einem bei" Angaben von Google: 13.100

c. "für unsereinem" Angaben von Google: 171

– Aber daneben auch umgekehrt n-Formen in Dativphrasen

(78) a. Leben ist das, was einen begegnet, während man auf seine Träume wartet. Mehrfach; Febr. 2014

b. Dass das Zeug erfunden wurde hilft einen ja noch nicht! http://www.photovoltaikforum.com/…; Febr. 2014 "hilft einen ja" = 2260

Spezifische Lesart (Nominativ: einer), m-Formen in Akkusativphrasen. Aber Belege in sehr geringer Zahl (wohl nicht über der Tippfehlerquote):

(79) Eigentlich ein Armutszeugnis für einem der sich der wahre Bibelausleger nennt. http://f3.webmart.de/f.cfm?id=1449553&r=threadview&t=3707291&pg=1; Febr. 2014

– n-Formen in Dativphrasen

(80) a. Zweitens, ich habe mit einen gesprochen der sich nur mit Benzinern auskennt und auch nicht soviel Ahnung von Dieseln hat! http://www.alfisti.net/alfa-forum/archive/t-98840.html; Febr. 2014 http://f3.webmart.de/f.cfm?id=1449553&r=threadview&t=3707291&pg=1; Febr. 2014

Lautlicher Grund für die Beibehaltung (und Ausbreitung) der m-Formen dürfte sein, dass das Pronomen in diesen Verwendungen keine Formen mit reduzierten Vokalen kennt und dass einem dann zu eim kontrahiert werden kann. Solche betonten Einsilbler sind gegen Neutrali-sierungen im Auslaut resistenter (vgl. auch lautlich relativ stabile Verbindungen wie beim, zum, vom, am, im).

Vgl. aber mittelhochdeutsch Heim → Adverb hein; nhd. rückgängig gemacht

Zu den Kontrastverhältnissen bei ein

Um zu einem Gesamtbild zu gelangen, sind die Kontrastregeln (12 b/c) beizuziehen und um den Gesichtspunkt des Kontrastes zwischen direktem und indirektem Objekt zu ergänzen. Insgesamt finden wir die folgenden Verhältnisse (mit Beispielen):

Starker Kontrast: ←→ Schwacher Kontrast: ↔ Synkretismus: =

(81) a. Nom. ←→ Akk. ↔ Dativ ich ←→ mich ↔ mir er ←→ ihn ↔ ihm

b. Nom. ←→ Akk. = Dativ wir ←→ uns = uns Student ←→ Studenten = Studenten

c. Nom. = Akk. ←→ Dativ sie = sie ←→ ihr Leute = Leute ←→ Leuten

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 21

Weitere Verhältnisse, die sowohl mathematisch als auch semantisch (etwa unter dem Ge-sichtspunkt der Belebtheit) denkbar sind, kommen nicht vor, zum Beispiel auch nicht der fol-gende Kontrast:

(82) Nom. = Dativ ←→ Akk.

Von den schwachen Kontrastregeln ist (12 b) mit (81 a/b/c) und (12 c) mit (81 a/b) kompati-bel; Inkomptibilitäten ergeben sich nicht.

Bei unserem Lexem ein zeigen sich unterschiedliche Tendenzen

– Gegenwärtiger Standard, beim Maskulinum alle Verwendungsweisen wie (81 a):

(83) a. ein ←→ einen ↔ einem b. einer ←→ einen ↔ einem c. man ←→ einen ↔ einem

Sonst wie (81 c):

(84) a. ein = ein ←→ einem b. eine = eine ←→ einer

– Indefiniter Artikel, vollvokalisch, beim Maskulinum Tendenz zu (81 b):

(85) ein ←→ einen = einen

– Indefiniter Artikel, Maskulinum (und Neutrum), reduziert: uneinheitlich, siehe (76). Auswahl:

(86) a. ’n = ’n ←→ ’nen/’nem b. ’nen = ’nen = ’nen

– Indefinitpronomen, Tendenz zu (81 b):

(87) a. einer ←→ einen/einem = einen/einem b. man ←→ einen/einem = einen/einem

Wenn oben bei Beispiel (79) geäußerte Verdacht stimmt, dass die m-Formen beim generi-schen Gebrauch (Suppletivformen für man) häufiger sind als im spezifischen Gebrauch (obli-que Formen zu einer), bahnt sich vielleicht eine Entwicklung an, die in vielen schweizerdeut-schen Dialekten schon abgeschlossen ist: die flexivische Spaltung des Lexems:

(88) spezifisch (›einer‹) generisch (›man‹)

Nom. äine me

Akk. äine äim

Dat. äim äim

Der Einheitsobliquus in der rechten Spalte ist in diesen Varietäten des Deutschen darum be-sonders auffällig, weil dort sonst der Kontrast Nominativ/Akkusativ ↔ Dativ sehr stabil ist (kein Abbau von m-Endungen). Ein Kontrast Nominativ ↔ Dativ/Akkusativ wie im generi-schen Gebrauch findet sich sonst nur bei im Plural der Personalpronomen (ganz wie in der Standardsprache): wir ↔ uns = uns; ihr ↔ euch = euch. Es gibt denn auch gute Gründe, man (unter Einschluss der Suppletivformen) zu den Personalpronomen zu stellen, vgl. für die Standardsprache Zifonun (2001a: 119; 2001b).

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 22

Auf das schweizerische Publikum zugeschnittene normative Grammatiken warnen explizit vor dem Gebrauch der Form einem in akkusativischen Kontexten (Heuer 2013, Randziffer 1718).

Bleibt die Frage, warum die m-Form und nicht die n-Form zum Einheitsobliquus geworden ist. Vermutlich spielt die Belebtheit eine Rolle. Es könnte sein, dass bei Personalpronomen, die sich vornehmlich oder so gut wie immer auf Belebtes bzw. Menschen referieren, diejeni-ge Form generalisiert wird, die ursprünglich für das indirekte Objekt gebraucht wurde, da in-direkte Objekte bei den meisten Verben ebenfalls auf Belebtes referieren. Das würde damit einhergehen, dass einem frequenter ist als einen.

Vgl. auch die Kasusformen der betonten höflichen Anrede im Bairischen: Sie ↔ Eahna = Eahna.

Vgl. auch Englisch: him, her, them (ursprüngliche Dativformen).

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Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 25

Appendix

Endungssätze

Endungssatz: alles doppelt, außer -em. Spezifischeres mit Tendenz zu Langformen (in der Standardssprache eng begrenzt; mehr in regionalen Varietäten). Es sind nur die markierten KNG-Merkmale aufgeführt:

gut- dies- ein- d- e-/i-

Dativ Plural -en, -enen guten diesen — denen ihnen

Genitiv Fem. -er, -erer guter dieser einer derer ihrer

Dativ Fem. -er guter dieser einer der ihr

Genitiv -es, -essen — dieses eines dessen seiner

Fem. -e gute diese eine die sie

Dativ -em gutem diesem einem dem ihm

Kontrast -en guten diesen einen den ihn

Mask. -er guter dieser einer der er

stark Default -es, -s gutes dieses eines, eins das es

Default -e gute — eine — —

Dasselbe in anderer Anordnung:

gut- dies- ein- d- e-/i-

Dativ -em gutem diesem einem dem ihm

Dativ Plural -en, -enen guten diesen — denen ihnen

Kontrast -en guten diesen einen den ihn

Genitiv Fem. -er, -erer guter dieser einer derer ihrer

Dativ Fem. -er guter dieser einer der ihr

Mask. -er guter dieser einer der er

Genitiv -es, -essen — dieses eines dessen seiner

stark Default -es, -s gutes dieses eines, eins das es

Fem. -e gute diese eine die sie

Default -e gute — eine — —

Zum Genitiv/Dativ Singular Feminin

Kontrast nur bei wenigen Lexemen:

(89) a. sich dieser Sache annehmen = sich dieser Sache widmen b. sich guter Gesundheit erfreuen = bei guter Gesundheit c. sich ihrer annehmen ≠ sich ihr widmen

Wenn man trotz (89 c) annehmen will, dass in (89 a/b) jeweils ein und dieselbe Form (und nicht etwa zwei zufälligerweise homonyme Formen) vorliegen, sind ein paar Zusatzannah-men nötig:

– Dekomposition der Kasus wie in (4). – Endung -er trägt Merkmale [+fem, +regiert]. – Es gibt ein Gebot Akk=Nom zwischen (25 d) und (25 e).

Peter Gallmann: Zur Flexionsmorphologie von ein 26

Die letztgenannte Regel ist in der Wirkung mit Verarmungsregeln bei Distributed Morpholo-gy vergleichbar. Das Ganze wirkt etwas aber bemüht.

In manchen Varietäten des Deutschen erscheinen auch im Dativ Singular Femininum Lang-formen. Das sind allerdings zugleich Varietäten, in denen so gut wie kein Genitiv mehr ge-braucht wird. Die Formen können also nicht als Beleg dafür verwendet werden, dass auch die Langformen in Bezug auf Genitiv/Dativ neutralisiert sein können.

Belege für Langformen im Dativ Singular Femininum

(90) unlängst sagt a freund, heasd in dera stadt gibt's an menschn, dea was hoagenau dei aussehn hod und der ausserdem noch die stirn besitzt dass er diese blöde ähnlichkeit mit dir benützt er tritt auf in der brigittenau und er singt dort jeden freitag - na was glaubst? "jö schau" oiso ehrlich, du, sowas tät mi stiern weu i lassert ma von dem doch ned mein ruf ruiniern - jo, jo

http://www.georgdanzer.at/songs/doppelgaenger.html; Jan. 2014 (lassert = lassat; direkt gebildeter Konjunktiv II)

(91) Merci fèr d'Üskunft, Vauban. Ich bén oï vu Mélhüsa, awer bén schu in 1974 üsgwandelt... Zerscht bi da Bêxer en Hawanau, und drno bi da Wîhandler na-wa St Emilion... Awer ich lés àlla Tàg d'r L'Alsace... und weiss was in Mil-hüsa los ésch. Enfin jo, hétestag viel mehr los als agebunda, in dara Stadt http://www.lavieamulhouse.com/mulhouse/index.php?topic=6081.70;wap2; Jan. 2014

(92) Folgendes Gedicht habe ich vom Ortsvorsteher Hans Heilmann, Ortsbeirat I – der das Gedicht auf der letzten Ortsbeiratssitzung 2005 vorgelesen hat – be-kommen. http://www.ichliebefrankfurt.de/?id=11522#11522

EIGEPLACKTE Es lebt sich schee in dere Stadt, die soviel fremde Landsleut hat, die lewe duht un lewe läßt, die Eigeborne un die Gäst.

(93) Was is do doch for en Menschewese in dere Stadt! Alle Strosse sin voll Mensche, un all sin in ere Hurry.

http://archive.org/stream/pennsylvaniagermv10p2leba/pennsylvaniagermv10p2leba_djvu.txt; offenbar von 1909