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    Auf denWolf gekommenMit demWolf hatte Wölfis in seiner 1235 Jahre langen Geschichte eher nichts zu tun. Nur im Dorfbewusstsein spielt das Raubtier eine große Rolle

    Von Frank Schauka

    „Ich hatte noch nie im LebenGlück gehabt“, sagt WolfgangWeigand. Dann kam jener 13.Juni 2009. Der Ballon bewegtesich auf Wölfis zu. Dass HerrWeigand in der Gondel stand,die am späten Nachmittag beiUelleben den Boden verlassenhatte, war purer Zufall. „Ichwollte bei dem Firmenfest nureinBierchen trinken; dannhatteich diese Ballonfahrt gewonnen.Die Sicht war toll, es war glo-ckenklar, eswarwunderbar.“Nach zwei Stunden, der Trup-

    penübungsplatz bei Ohrdrufwar soeben überquert, bereiteteder Kapitän die Landung vor.„Bei Wölfis wollten wir runter-gehen. Ich blickte über die Brüs-tung und rief zu den anderen:Guck mal hier, das sind dochWölfe. Das gibt’s doch nicht!“Auch Ronny Kotwan konnte

    sehen, wie die Tiere über eineWiese liefen und dann – nach et-wa 30 Sekunden – im Dickichtverschwanden. „Ich hatte daseinfach abgetan und auch nichtweiter rumerzählt“, sagte er ges-tern. „Das war doch nichts Be-sonderes, dass da unten zweiWölfe rumgehüpft sind.“Dass dies heute in etwas ande-

    rem Licht erscheinen mag, liegtvielleicht nicht ganz unwesent-lich daran, dass kürzlich ein na-turbegeisterter Fotograf bei derPirsch auf Orchideen einenWolf ablichtete – naheWölfis.„Nein, nein“, wehrt Bürger-

    meister Thomas Reinhardt ab.„WirwerdendenWolf nicht ver-markten. Das wäre natürlicheine Attraktion für den Ort, undmanch ein Gastwirt würde sichfreuen. Aber was nützt das demWolf. Uns genügt es zu wissen,dass er da ist. Am besten ist es,ihm sein Gebiet zu überlassenund ihn zu ignorieren.“Wölfis undderWolf – das sind

    im Grunde zwei Welten. „DieHerleitung des OrtsnamensWölfis, der in Deutschland nurein einziges Mal vorkommt, isteine der schwierigsten in ganzOstdeutschland“, betont Orts-

    namenforscher Roland Fischeraus Ohrdruf. Nach seinen Stu-dien steht jedenfalls eines fest:„Der Ortsname Wölfis hatnichtsmit demWolf zu tun.“Legenden umWölfe inWölfis

    gibt es ebenfalls nicht. Und eswar auch nicht in Wölfis, son-dern nebenan in Ohrdruf, woseinerzeit, vor knapp 400 Jah-ren, mitten im Ort am Rasen-teich, ein Wolf ein Mädchen imjugendlichen Alter angegriffenund getötet hat.„Das ist durch das Kirchbuch

    von Gräfenhain belegt“, versi-chert Forscher Fischermit gebo-

    tener wissenschaftlicher Vor-sicht. „Zudem ist verbürgt, dassBürger vonOhrdruf vonWölfenangegriffenwurden.“Das war im Dreißigjährigen

    Krieg. Der Tod ging massenhaftum, und so liegt die Annahmenicht fern, dass Wölfe auch dieToten fraßen und so die Scheuvor dem Menschen verlorenging.Das sindFakten, dochdie sind

    längst nicht alles. „Im Dorfbe-wusstsein von Wölfis spielt derWolf eine große Rolle“, betontBürgermeister Reinhardt. DieKita in Wölfis heißt deshalbnicht Spatzennest oder Sonnen-blume, sondern, seit 2006: Klei-neWölfe.Und als 1991 derWölfiser Ge-

    meinderat dem Ort – nach derwappenlosen DDR-Zeit – einWappen geben wollte, fiel dieWahl auf einen Vorschlag mitWolf, selbstverständlich. „Esgab auch Vorschläge ohne denWolf als Wappentier“, erinnertsich der Bürgermeister. „Die ka-men aber gar nicht gut an.“

    TypischWölfiser:Nachtsein Sofa auf demRücken

    Dabei wären Füchse, weil sieGänse stehlen, und Elstern, weilsie diebisch sind, auch keine un-passenden Wappentiere gewe-sen.„Wölfis hat ja nicht nur den

    Beinamen ‚Das singende undklingende Dorf‘, sondern auchRäwerschhusen, auf Hoch-

    deutsch: Räubershausen“,scherzt Bürgermeister Rein-hardt.„Es gibt bei uns zwei Sprich-

    wörter: Was der Wölfiser umzwölfe sieht, das hat er mittags.Und: Wölfiser, die nachts schla-fen, sind faule Schweine.“Legendär ist das Musterex-

    emplar des fleißig-nachtaktivenWölfisers, der in den 60er-Jah-ren am Interhotel „Panorama“inOberhofmitbaute. „DieAnek-dote klingt merkwürdig“, sagtReinhardt, „sie ist aber absolutwahr. Der Mann wurde nachtsauf demWeg von Oberhof nachWölfis erwischt –mit einemSofaauf demRücken.Er habe seiner Frau so sehr

    von den Sofas im Hotel vorge-schwärmt, dass er ihr mal eineszeigen wollte, erzählt er. Unddass er es am nächsten Tag zu-rückbringen wollte. Von WölfisnachOberhof: Das sind 15 Kilo-meter, bei 400 Metern Höhen-anstieg. Das ist Fleiß.Heutzutage gibt es den nicht

    mehr. „Wenn Sie jetzt ein geöff-netes Auto im Ort abstellen, istes amMorgen noch da.“Bürgermeister Reinhardt ist

    der Humor nicht abhanden ge-kommen – obwohl die Zeitennicht leichter wurden. Die be-rühmten Narva-Werke, die inihremWerk inWölfis die gesam-te Weihnachtsbaumbeleuch-tung für dieDDRhergestellt hat-ten, gibt es seit Langem nichtmehr. Damit gingen auch etwa150Arbeitsplätze verloren.Arbeit bietet in Wölfis heute

    noch ein Hersteller von Groß-

    küchentechnik. Daneben gibt eskleinere Handwerksbetriebe:Schreiner, Tischler, Maurer,Zimmermänner.Die Gewerbesteuereinnah-

    men halten sich somit in Gren-zen. Hinzu kommt, dass Ent-scheidungen der hohen Politikdas Leben in der Kommunemanchmal zusätzlich erschwe-ren. Auch aus solchen Gründenliegt das Gemeindedefizit aktu-ell bei etwa 190 000Euro.Als besonders belastend, sagt

    Bürgermeister Reinhardt, habesich das Kita-Gesetz von 2010ausgewirkt. „Um das Gesetz zuerfüllen, mussten wir drei Erzie-herinnen zusätzlich einstellen.“Seither verfügt die Gemeindeüber etwa 100 000 Eurowenigerpro Jahr.Aber leicht war das Leben in

    dem„Armeteufeldorf“ nie. „DenWölfisern ist nie etwas ge-schenkt worden“, weiß Heimat-forscher Fischer.„Wölfis hat die schlechtesten

    Bodenwerte weit und breit. Dasliegt am Muschelkalkboden.Früher mussten die Wölfiserihre Hausbrunnen bis zu 15Me-ter in die Tiefe treiben, durchschwerstes Gestein. Auch die

    mit Steinen übersäten Äckermussten sie ablesen.“ DerSchritt von solchen Strapazenzum singenden und klingendenDorf liegt für den Forscher nichtfern. „Die Menschen sucheneben etwas, was jenseits des har-ten Alltags das Leben lebens-wertmacht.“Heute gibt es drei Blasorches-

    ter samt der „Kapelle ohne Na-men“ im Dorf, und die aus Wöl-fis stammende Band „EmaRo-cken“hat 2013beim„ThüringenGrammy“ sogar den Ehrenpreisfür den besten eigenkomponier-ten Song erhalten.In den 15 Jahren, die Thomas

    Reinhardt nun als ehrenamtli-cher Bürgermeister amtiert, hater vieles erlebt. Doch obwohldas Dorf in dieser Zeit etwa 400Einwohner verlor, gibt er dieHoffnung nicht auf.„Vor einigen Jahren standen

    noch etliche Sterbehäuser leer,jetzt sind sie alle bewohnt“, be-richtet er. – Und wenn das nichtreicht? Schon einmal hatteWöl-fis Glück, zuletzt vor etwa 500Jahren. Aus der Nähe derWach-senburg zogdamals einHerrUn-bereit – der Name war Täu-schung – nachWölfis. Bis heute,weiß der Heimatforscher, lautetder inWölfis verbreitetsteName„Umbreit“.Wie tief der Wolf wirklich im

    Wölfiser Dorfbewusstseinsdi-ckicht steckt, könnte sich baldzeigen. „Ich muss meinen Leutewohl mal sagen, dass der Wolfeine Reproduktionsrate von 30Prozent im Jahr hat.“ Bürger-meister Reinhardt strahlt.

    Die Thüringer SerengetiWisente statt Panzer: Mutige Visionäre sehen in einigen Jahren Ökotourismus auf dem einstigen Truppenübungsplatz Ohrdruf

    VonMatthias Thüsing

    Eleonore Mühlbauer gerät mitBlick auf den Truppenübungs-platz Ohrdruf ins Schwärmen.„Seit über hundert Jahren gibt eshier keine wirtschaftliche Nut-zungmehr.Die Offenlandschaft ist Rück-

    zugsraum für eine Vielzahl vongefährdeten Arten. Und auchder Wald wurde komplett sichselbst überlassen. Was hier anseltenen Insekten im Totholzsteckt, dürfte selbst inThüringenseinesgleichen suchen.“Die SPD-Umweltpolitikerin

    aus Arnstadt verfolgt seit Jahrenden Plan, hier auf der Kreisgren-ze zwischen Ilmkreis undGothaein Naturreservat für wildleben-de Pferde- und Großrindrassenzu formen: Wisent, Heckrinderund Wasserbüffel könnten hierneben Wildpferden die Land-schaft offen halten. „Die Rück-

    kehr desWolfs auf ausgerechnetdieser Fläche hilft uns hier unge-mein“, zeigt sie sich überzeugt.Denn zuletzt stand es um die

    Pläne nicht allzu gut. Die Bun-deswehr schießt und bewirt-schaftet den Platz zwar nichtmehr, will ihn als militärischeLiegenschaft jedoch nicht ganzaufgeben. Das Kalkül dahinterist einfach: Was einmal militä-risch entwidmetwurde,wird derArmee als Übungsgelände niewieder zur Verfügung gestelltwerden. Nur noch in Ohrdrufwird derzeit ein Areal von weni-gen Hektar mit einem Schieß-stand genutzt.Aus ökologischer Sicht wäre

    der aktuelle Zustand einer, mitdem der Naturschutz lebenkönnte. Der Wolf könnte hierungestört leben und jagen, dieWildkatze ebenso. Fuchs undHase könnten einander auf demGelände „Gute Nacht“ sagen.

    Dann und wann führe die Bun-deswehr im Jeep auf Patrouillevorbei. Ansonsten würde Ruheherrschen.Doch die Naturschützer wol-

    lenmehr.Wisente undAueroch-sen als die Urahnen der nachge-züchteten Heckrinder bevölker-ten einst große Teile Mitteleuro-pas. Bis zu 20 Prozent derFlächen sollten die großen Wei-detiere im Mittelalter offen vonBüschen und Wald gehalten ha-ben. Und auf genau diese Weisekönnten wildlebende Herdenden heutigen Truppenübungs-platz auch künftig wieder freivon Pflanzen halten, sagt etwaauch Edgar Reisinger von derLandesanstalt für Umwelt undGeologie.Geschützt ist die Fläche

    schon heute. Der Truppen-übungsplatz wurde in das euro-päische Schutzprogramm Natu-ra 2000 aufgenommen. Demzu-

    folge ist Deutschland verpflich-tet, die Lebensbedingungen fürdie jeweils bedeutsamen Arten-vorkommen zu bewahren. Allesechs Jahre ist hierüber an dieEU-Kommission Bericht zu er-statten.Der nächste Bericht steht

    2015 an. Und schon heute deu-tet sich an, dass – trotz desWolfs– eine Veränderung zumSchlechten nach Brüssel gemel-detwerdenmuss.

    Bei der FotosafariWildpferde beobachten

    DenndieArbeit derWeiderin-der erledigtenüber die vergange-nen Jahrzehnte hinweg die Pan-zerketten. Die Landschaft blieboffen. „Nachdem die Bundes-wehr das Gelände nicht mehrnutzt, erobern sich die Büsche

    die Fläche zurück“, sagt Mühl-bauer. Zuletzt wurde zwar ver-sucht, mit Brandrodungen dieseEntwicklung zurückzudrängen,doch Ende des Jahres zieht dieFeuerwehr vomÜbungsplatz ab.Dann wird der Landschafts-

    pflege auch diese Möglichkeitgenommenwerden.Wisente und Wildpferde

    könnten die Arbeit der Panzerfortsetzen. Nicht mehr die Bun-deswehr, sondern Touristen – sodie Vision –würden bei Sonnen-aufgang in ihren Jeeps die Was-serstellen im Reservat ansteu-ern. Die Hoteliers und Gastro-nomen im Umland könnten –ähnlich wie im Hainich – vonÖkotourismus und Fotosafariprofitieren. DenWolf würde dieEntwicklung sichernicht stören.Die Jäger haben schon immerhalboffene Weidelandschaftenzu ihren bevorzugten Jagdgrün-den gezählt.

    a Redaktion dieser Seite:BrittaHinkel

    Bürgermeister Thomas Reinhardt. Der Terracotta-Wolf aus der nahenGartenzwergmanufaktur schmückt in der Regel seinen Schreibtisch. Foto: Frank Schauka

    Der Truppenübungsplatz Ohrdruf – hier ein Teil desAreals in RichtungMühlberg. Foto: A. Volkmann

    Ortsnamensforscher Roland Fischer mit einer altenFlurkarten-Urkunde vonWölfis. Foto: Schauka

    D

    Der Wolfin Orts- und

    StraßennamenThüringer Flurnamenmit demWort „Wolf“

    Ortsnamen:

    e Bairoda-Wolfsberge Wolfmannsgehaue Wolfsbehringene Wolfsburg-Unkerodae Wolferschwendae Wolfmannshausene Wolftale Wolfersdorfe Wolfshaine Teichwolframsdorfe Wolfsgefärthe Wolfsberggemeindee Wölferbütte Wölfershausene Wölfis

    Straßennamen:

    e Wolfsgarten (Waltershausen)e Wolfsstein (Elgersburg)e Wolfental,Wolfswiese (Brei-

    tenworbis)e Wolfskuhle (Buhla)e Wolfskuhle (Dingelstädt)e AmWolfswege, Auf der

    Wolfsscheere,Wolfsweg(Geisleden)

    e AmWolfsgrabenweg,Wolfs-graben (Gerbershausen)

    e ZumWolfental (Großbart-loff)

    e Wolfstraße, Auf demWolfen-tale, ImWolfental (Heiligen-stadt)

    e Wolfsanger (Heuthen)e AmWolfsgraben,Nach dem

    Wolfsgraben (Hohengan-dern)

    e AmWolfhagen, AmWolfsie-chen, AmFischwege, BeiWolfsiechen (Leinefelde-Worbis)

    e Wolfsgasse (Lenterode)e Auf demWolfsberge,Wolfs-

    winkel (Sonnenstein)e ImWolfstal,Wolfsberg, Am

    Wolfsanger (Eisenach)e AmWolfsbrunnen (Erfurt)e In derWolfsgrube (Ballstädt)e SogenannterWolfsacker

    (Emsetal)e AmWolfsgraben (Eschenber-

    gen)e Wolfsgasse (Friedrichroda)e AmWolfsgrund (Gotha)e AmWolfsgalgen (Hörsel)e AmWolfstal (Leinatal)e ImWolfsholz (Ohrdruf)e ImWolfstale (Arnstadt)e ImWolfsbache (Dornheim)e Wolfsgrube (Suhl)e DerWolfsgraben,DieWolfs-

    grube (Gera)e AmWolfsgraben (Berga)e Wolfswiese (Masserberg)e Wolfstal (Kloster Veßra)e DerWolfsgraben (Selka)

    Truppenübungs-platz Ohrdruf

    THÜRINGEN

    Grafik: AndreasWetzel