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Niedrige Zinsen in der Schweiz: Die Rolle von Geldpolitik, Demographie und des
internationalen Umfelds
Megatrends in der Immobilienwirtschaft –Werte im Wandel, Baden 12. März 2019
Peter Kugler
Universität Basel, WW-Fakultät
Übersicht
• Aktuelle Ausgangslage
• Abriss der Zinsgeschichte
• Realzinsen in der Schweiz, 1988-2018 und 1900-2016
• Ursachen für niedrige Realzinssätze
• Empirische Ergebnisse zur Wirkung von Demographie, Geldpolitik und Wirtschaftswachstum
• Der internationale Zinszusammenhang: Offene Zinsparität (UIP) und empirische Ergebnisse (1997-2018)
• Schlussfolgerungen
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Aktuelle Ausgangslage
• Niedrige reale Zinssätze am Geldmarkt und Renditen von Staatsanleihen seit Ende der 1990er Jahre in allen fortgeschrittenen und auch bis zur Finanzkrise «Emerging Market» Volkswirtschaften.
• Illustration für UK und USA anhand von nominalen und inflationsgeschützten Anleihen, Bean/Broda/Ito/Kroszner (2015). Spanne zwischen Nominal und Realrendite bleibt nahezu konstant: implizite längerfristige Inflationserwartung stabil.
• Ein ähnlicher Verlauf der Franken-Nominalzinsätze in der Periode 1988-2018. Zinssätze fallen tendenziell mehr als die Inflationsrate.
• Bauinvestitionen die Ausgabenkomponente des BIPs, deren Kapitalkosten am stärksten von Zinsveränderung betroffen sind: Niedrige Abschreibungsrate im Vergleich zu Ausrüstungsinvestitionen.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Realzinssatz und Inflationsprämie, Inflationsgeschützte Anleihen (TIPS) und Nominalzinsanleihen, 10 Jahre, Staatsschuld US, UK
Quelle: Bean, Broda, Ito, Kroszner (2015)
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Nominalzinssätze (Libor 3M, Bund 2, 10 Jahre) und Inflationsrate (INF), 1988-2018, Monatsdaten
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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1990 1995 2000 2005 2010 2015
RL3 RY2 RY10 INFPY
Abriss der Zinsgeschichte
• Kurz- und langfristige Zinsentwicklung seit 1200 aus «History ofinterest rates» von Homer and Sylla (2005), vergleiche auch Kugler (2017).
• Nominalzinsen, aber Inflation ist ausser im 20. Jahrhundert keine gravierendes Problem: Es werden immer die Daten aus den Ländern mit den niedrigsten Zinssätzen und stabilsten Währungen genommen.
• Ausser dem Inflations-bedingten Anstieg im 20. Jahrhundert stellen wir eine sinkende Tendenz des Nominalzinsniveaus fest, aber die Verhältnisse der letzten 25 Jahre sind historisch singulär.
• Der Verlauf der Rendite langfristiger Bundesanleihen (5 Jahre) von 1900-2016 bestätigt diese Diagnose: Stark schwankendes Nominalniveau von 1900-1990, singulär fallender Trend danach.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Langfristzinssätze 13. – 20. JahrhundertNiedrigstwerte
Rendite von CH-Bundesanleihen, Inflation; 1900-20161900-1937 SBB, bis 1987 Mittel aus Restlaufzeit bis zu 7 Jahren, danach 5 Jahre
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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1900 1925 1950 1975 2000
RY5 INFGRAPH
Realzinsen in der Schweiz, 1988-2018 und 1900-2016
• Theoretische einfach: 𝑅𝑅 = 𝑅 − 𝜋𝑒
RR: Realzins, R: Nominalzins, 𝜋𝑒: Inflationserwartungen über die Laufzeit des Zinses.
• Praktische Komplikation: Inflationserwartungen meist nicht beobachtbar.
• Lösungen: Ex ante Realzinssatz aufgrund einer Modellprognose über die Laufzeit, Auto-Regressionen oder Vektor-Auto-Regressionen, eventuell mit Strukturbrüchen.
• Üblicherweise wird aufgrund der Daten-Verfügbarkeit und –Qualität der Konsumentenpreisindex (CPI), aber je nach Optik könnte auch ein anderer Index (z. B: BIP-Deflator, Produzentenpreise) verwendet werden.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Realzinssätze für Bundesanleihen (1, 3 und 10 Jahre), ex ante (AR(1) mit Bruch 1994), 1988 2018
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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1990 1995 2000 2005 2010 2015
RRY1 RRY3 RRY10
Reale Rendite von CH-Bundesanleihen; 1900-20161900-1937 SBB, bis 1987 Mittel aus Restlaufzeit bis zu 7 Jahren, danach 5 Jahre, AR(1) mit Strukturbrüchen
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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1900 1925 1950 1975 2000
RRY5
Ursachen für niedrige Realzinssätze
• Demographische Ursache mit einem weltweit hohem Anteil der «mittelalterlichen» Bevölkerungsgruppen (40-64) mit hoher Sparneigung, insbesondere auch in China und auch anderen EMs.
• Abnehmende Wachstumserwartungen führen über erhöhte Ersparnisse zu niedrigeren Realzinsen (Konsumglättung über die Zeit).
• Super-expansive Geldpolitik als Verstärker.
• Integration von China in die internationalen Kapitalmärkte mit seinem enormen Sparüberschuss (Sparen minus Investitionen).
• Erhöhte Nachfrage nach «risikolosen» Anlagen als zusätzlicher Verstärker des Drucks auf reale Renditen von Staatsanleihen von fortgeschrittenen VWs seit 2007/9.
• Schweiz passt in diese Bild: Demographisch nahe bei der Weltentwicklung und extrem expansive Geldpolitik.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Bevölkerungsanteile mittlere (40-65) und alte (>65) Bevölkerungsgruppe
Quelle: Bean, Broda, Ito, Kroszner (2015)
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Anteil der 40-64 und 20-39 Jährigen an der Schweizer Wohnbevölkerung (%), 1988-2018
Niedrige Zinsen in der Schweiz
26
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1990 1995 2000 2005 2010 2015
SA20T39 SA40T64
Verhältnis Bilanzsumme SNB und BIP (RBSSNBY), 1988-2018
Niedrige Zinsen in der Schweiz
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
1.2
1.4
88 90 92 94 96 98 00 02 04 06 08 10 12 14 16 18
RBSSNBY
Verhältnis Bilanzsumme SNB und BIP, 1907- 2016
Niedrige Zinsen in der Schweiz
0.0
0.2
0.4
0.6
0.8
1.0
1900 1925 1950 1975 2000
RBSSNBY
Empirische Ergebnisse zur Wirkung von Demographie, Geldpolitik und Wirtschaftswachstum, 1988-2018
Ökonometrische Schätzungen zeigen zwei hoch signifikante Effekte für die realen Renditen der Bundesanleihen (1-4 Jahre):
• Ein 1% Anstieg des Anteils der 40-64-jährigen ist mit einer Senkung der realen Renditen von -0.58 % (Standardfehler se 0.10%) der Bundesanleihen verbunden.
• Ein Anstieg des Verhältnis Bilanzsumme SNB und BIP um 10%: ist mit einer Senkung der realen Renditen von 0.14% (se 0.062) verbunden.
• Hingen lässt sich kein signifikanter positive Zusammenhang mit den Wachstumserwartungen nachweisen.
• Somit haben Demographie und Geldpolitik seit 1990 zu einer Senkung der Realzinsen von 2.3% beziehungsweise 1.5% geführt.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Der internationale Zinszusammenhang: Offene Zinsparität (UIP)
• Schweiz voll integriert in internationale Kapital- und Geldmärkte, «Safe Haven» mit im internationalen Vergleich niedrigsten Zinssätze (real und wechselkurskorrigiert, Baltensperger/Kugler (2016, 2017)
R = R* + Δ𝑠𝑒 + Risikoprämie
R, R*: Nominalzins In- und Ausland, Δ𝑠𝑒: Erwartete Veränderungsrate des Wechselkurses
über die Laufzeit der Zinssätze
• Euro-Geldmarkt und Deutsche Bundesanleihen sind statistisch relevant für den Franken Geld- bzw. Obligationenmarkt.
• Die Schätzungen für die langfristige Anhängigkeit (Kointegrationsanalyse) beträgt
Geldmarkt: 0.80 (se 0.011), Bund 2 Jahre: 0.65 (se 0.018),
Bund 5 Jahre 0.62 (se 0.013)
• Unvollständige Übertragung der ausländischen Zinssätze auf die Frankensätze.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
3M-LIBOR für Franken, Euro und Dollar, 1989M1-2018M2
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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1990 1995 2000 2005 2010 2015
RL3 RL3EUR RL3US
Rendite der Bundesobligationen 2 Jahre; CH, DE
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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6
1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
RY2 RY2DE
Rendite der Bundesobligationen 5 Jahre; CH, DE
Niedrige Zinsen in der Schweiz
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1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018
RY5 RY5DE
Schlussfolgerungen
• Demographie (erhöhte Sparneigung der mittleren Altersgruppe) und extrem expansive Geldpolitik im In- und Ausland sind die zentralen Ursachen für die extrem niedrigen Realzinsen in der Schweiz.
• Es lässt sich kein stabiler und signifikanter Zusammenhang zwischen Realzins und Wirtschaftswachstum mit Schweizer Daten feststellen (wie auch meist für andere Länder, vgl. für die USA Hamilton/Harris/Hatzius/West, 2016, UK Kugler/Lengwiler, 2018).
• Der internationale Zinszusammenhang vermag die CH-Zinsentwicklung zu 60-80% erklären.
• Weltweit ist in den kommenden Jahren mit einer langsamen Abnahme der mittleren Altersgruppe zwischen 40 und 64 zu rechnen. Die bis 2045 in der Schweiz zu erwarte Senkung dieses Anteils um ca. 3% sollte mit einem Realzinsanstieg von ca. 1.8% verbunden sein.
• Eine Normalisierung der Geldpolitik (durch Bilanzabbau oder Inflation und Nominalwachstum) hat auch ein Realzinssteigerungspotential von bis zu 1.5%. Allerdings ist das «Timing» des Normalisierungsprozesses sehr ungewiss.
Niedrige Zinsen in der Schweiz
Literatur
• Baltensperger, E. und Kugler, P. (2016). The Historical Origin of the Safe Haven Status of the Swiss Franc, in: Aussenwirtschaft, 2016II (http://www.siaw.unisg.ch/de/journal/ausgaben/2016-ii).
• Baltensperger, E. und Kugler, P. (2017). Swiss Monetary History since the Early 19th Century, Cambridge University Press.
• Bean, C., Broda, C., Ito, T. and Kroszner, R. (2015). Low for Long? Causes and Consequences of Presently Low Interest rates, Geneva Reports on the World Economy 17, 2015. [http://voxeu.org/sites/default/files/file/Geneva17_28sept.pdf]
• Hamilton, J. D., Harris, E. S. Hatzius, J. and West, K. D. (2016). The Equlibrium Real Fund Rate: Past , Present, and Future, IMF Economic Review, 64, 4, 660-707.
• Homer, S. und R. Sylla (2005). History of Interest Rates, 4th Edition, John Wiley.
• Kugler, P.. Sinkende Zinsen im Lauf der Geschichte, Die Volkswirtschaft, 5/2017, 6-11.
• Kugler, P. und Lengwiler Y. (2018). Low Interest Rates: The Role of Nominal Investors and Demographics, mimeo, University of Basel.
Niedrige Zinsen in der Schweiz