· Created Date: 9/16/2013 12:17:27 PM

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$rn nffir rt rr $l I 6 ru r i nr 1E 111 :\r] !:i1k trF.lr:15{:l"l l.,,tN l} 16.O9.2013 Der Minister und seine Frauen: Carsten, Sonja und Yolanda Foto Barbara Aumüller Flucht in die Karibik ,,Adieu, Herr Minister" von Jordi Galceran in Darmstadt Irgendwie wächst Furopa doch zusam- men. Zumindest auf der Bühne bedarf es nur einiger Namensänderungen und fein- dosierter aktueller Anspielungen, dann wird aus einem spanisch-katalanischen Stück über einen bestechlichen Minister ein durch und durch deutsches, dessen Schauplatz Berlin, Frankfui,t oder Han- nover heißen könnte. Kaum einen Satz des gerade zurückgetretenen Energiemi- nisters Carsten Lusch,hat man nicht schon irgendwo gehört oder gelesen. Eu- ropa, einig in Sachen Korruption. Schuldgefühle hat Carsten (Matthias Kleinert) nicht, als er am Abend nach sei- nem erzwungenen Rücktritt halbherzig erwägt, Selbstmord zu begehen. Weil die Eigenliebe überwiegt, bestellt er, ,,um es noch einmal richtig krachen zu lassen" zunächst ein Caligirl in seine Luxusvilla, die ihm ein befreundeter Bauunterneh- mer als Dank für ein paar Großaufträge errichtet hat. Doch ehe die vulgäre Yo- landa (Diana Wolf) ihre Dienste anbie- ten kann, begehrt eine weitere Frau Ein- lass, vorgeblich, um die Gasleitungen zu überprüfen. Sehr schnell wird klar, dass Carsten Gefallen an Sonja (Gabriele Drechsel) findet. Seine Lebenslust kehrt zunick, schon plant er eine Zukunft an ih- rer Seite. Zuvor aber muss Sonjas bruta- ler Ehemann (Tom Wild) beseitigt oder zum freiwilligen Verzicht überredet wer- den. Für den gewieften Politiker eine sei- ner leichtesten Ubungen. Auch Sonjas se- nilen und gelähmten Vater (Klaus Zie- mann) nimmt Carsten im Liebesüber- schwang bei sich auf, der zynische Ex-Mi- nister wird durch die Liebe zumindest vorübergehend zum Gutmenschen. Nach einer knappen Hälfte des Dramas sieht es so aus, als stünde einem fröhlichen Happy End irgendwo unter'karibischen Palmen nichts mehr imWeg. Welche verblüffende Wendung es ist, die aus der netten kleinen Politposse des 1964 In Barcelona geborenen Jordi Gal- ceran eine durchtriebene Farce über be- trogene Betrüger macht, soll hier nicht verraten werden. Ein nicht geringer Teil des Unterhaltungswerts von,,Adieu, Herr Minister" (das im Original sehr viel treffender ,,Fuga" heißt, also ,,Flucht") entsteht durch die vielen kleinen überra- schungen und Tricks, mit denen hier je- der versucht, den anderen aufs Kreuz zu legen. Keiner ist der, der er zu sein scheint, und natürlich geht es am Ende vor allem darum, wer das viele Geld des korrupten Politikers ergaunern kann. Mit seinem auch in Deutschland viel- gespielten Stück,,Die Grönholm-Metho- de" wurde Galceran vor zehn Jahren in- ternational bekannt. ,,Adieu, Herr Minis- ter", schon 2009 inMadrid uraufgeführt, ist nicht ganz so subtil, weswegen die deutsche Erstaufführung womöglich erst jetzt im Staatstheater Darmstadt Stattfin- det. Andrea Thiesens Inszenierung in den Kammerspielen nutzt den süffigen Boulevardcharakter der Vorlage für ei- nen hundert Minuten langeriTür-auf- Tür-zu-Spaß, in dem selbst das Klischee vom Versteck im Kleiderschrank nicht ausgespart wird, man aber gnädig ver- gisst, das man hier bisweilen auch unter Niveau unterhalten wird. Dies verdankt sich vor allem dem mit vielen dunkel funkelnden Wahrheiten über Politfilz durchsetzten und von Stefa- nie Gerhold mit Verweisen auf deutsche Verhältnisse angereicherten Text. Beson- ders Matthias Kleinert, der den Premie- renabend trotz stimmlicher Indispositi- on souverän dominierte, darf reichlich Pointen loswerden und dafür immer wie- der dankbaren Szenenapplaus ernten. Natürlich ahnt man, dass all das gnaden- los vereinfachendes, harmloses Politi- kerbashing ist, doch es kann kein völli- ger Zufall sein, dass der deutsche Mi- chel sich dabei genauso fröhlich auf die Schenkel klopft wie der spanische Pa- blo. MATTHIAS BISCHOFF Die nächsten Aufführungen folgen am 2'1. und 29. September sowie am 12. und 20. Oktober von jeweils 20 Uhr an.

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16.O9.2013

Der Minister und seine Frauen: Carsten, Sonja und Yolanda Foto Barbara Aumüller

Flucht in die Karibik,,Adieu, Herr Minister" von Jordi Galceran in DarmstadtIrgendwie wächst Furopa doch zusam-men. Zumindest auf der Bühne bedarf esnur einiger Namensänderungen und fein-dosierter aktueller Anspielungen, dannwird aus einem spanisch-katalanischenStück über einen bestechlichen Ministerein durch und durch deutsches, dessenSchauplatz Berlin, Frankfui,t oder Han-nover heißen könnte. Kaum einen Satzdes gerade zurückgetretenen Energiemi-nisters Carsten Lusch,hat man nichtschon irgendwo gehört oder gelesen. Eu-ropa, einig in Sachen Korruption.

Schuldgefühle hat Carsten (MatthiasKleinert) nicht, als er am Abend nach sei-nem erzwungenen Rücktritt halbherzigerwägt, Selbstmord zu begehen. Weil dieEigenliebe überwiegt, bestellt er, ,,um esnoch einmal richtig krachen zu lassen"zunächst ein Caligirl in seine Luxusvilla,die ihm ein befreundeter Bauunterneh-mer als Dank für ein paar Großaufträgeerrichtet hat. Doch ehe die vulgäre Yo-landa (Diana Wolf) ihre Dienste anbie-ten kann, begehrt eine weitere Frau Ein-lass, vorgeblich, um die Gasleitungen zuüberprüfen. Sehr schnell wird klar, dassCarsten Gefallen an Sonja (GabrieleDrechsel) findet. Seine Lebenslust kehrtzunick, schon plant er eine Zukunft an ih-rer Seite. Zuvor aber muss Sonjas bruta-ler Ehemann (Tom Wild) beseitigt oderzum freiwilligen Verzicht überredet wer-den. Für den gewieften Politiker eine sei-ner leichtesten Ubungen. Auch Sonjas se-nilen und gelähmten Vater (Klaus Zie-mann) nimmt Carsten im Liebesüber-schwang bei sich auf, der zynische Ex-Mi-nister wird durch die Liebe zumindestvorübergehend zum Gutmenschen. Nacheiner knappen Hälfte des Dramas siehtes so aus, als stünde einem fröhlichenHappy End irgendwo unter'karibischenPalmen nichts mehr imWeg.

Welche verblüffende Wendung es ist,die aus der netten kleinen Politposse des1964 In Barcelona geborenen Jordi Gal-ceran eine durchtriebene Farce über be-

trogene Betrüger macht, soll hier nichtverraten werden. Ein nicht geringer Teildes Unterhaltungswerts von,,Adieu,Herr Minister" (das im Original sehr vieltreffender ,,Fuga" heißt, also ,,Flucht")entsteht durch die vielen kleinen überra-schungen und Tricks, mit denen hier je-der versucht, den anderen aufs Kreuz zulegen. Keiner ist der, der er zu seinscheint, und natürlich geht es am Endevor allem darum, wer das viele Geld deskorrupten Politikers ergaunern kann.

Mit seinem auch in Deutschland viel-gespielten Stück,,Die Grönholm-Metho-de" wurde Galceran vor zehn Jahren in-ternational bekannt. ,,Adieu, Herr Minis-ter", schon 2009 inMadrid uraufgeführt,ist nicht ganz so subtil, weswegen diedeutsche Erstaufführung womöglich erstjetzt im Staatstheater Darmstadt Stattfin-det. Andrea Thiesens Inszenierung inden Kammerspielen nutzt den süffigenBoulevardcharakter der Vorlage für ei-nen hundert Minuten langeriTür-auf-Tür-zu-Spaß, in dem selbst das Klischeevom Versteck im Kleiderschrank nichtausgespart wird, man aber gnädig ver-gisst, das man hier bisweilen auch unterNiveau unterhalten wird.

Dies verdankt sich vor allem dem mitvielen dunkel funkelnden Wahrheitenüber Politfilz durchsetzten und von Stefa-nie Gerhold mit Verweisen auf deutscheVerhältnisse angereicherten Text. Beson-ders Matthias Kleinert, der den Premie-renabend trotz stimmlicher Indispositi-on souverän dominierte, darf reichlichPointen loswerden und dafür immer wie-der dankbaren Szenenapplaus ernten.Natürlich ahnt man, dass all das gnaden-los vereinfachendes, harmloses Politi-kerbashing ist, doch es kann kein völli-ger Zufall sein, dass der deutsche Mi-chel sich dabei genauso fröhlich auf dieSchenkel klopft wie der spanische Pa-blo. MATTHIAS BISCHOFF

Die nächsten Aufführungen folgen am 2'1. und29. September sowie am 12. und 20. Oktobervon jeweils 20 Uhr an.