150 Psychologische Aha-Experimente (2011) 329

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 325 6 Motivation, Emotion und Persönlichke it 86 Gibt es Projektion? Motivation und Wahrnehmung Die Psychoanalyse 47  ist keine Wissenschaft. Sie ist dennoch von Interesse für einen forschenden Psychologen, da sie eine wahre Fundgrube für untersuchenswerte Hypothesen darstellt. Bei- spielsweise soll es Freud zufolge Mechanismen geben, die das Individuum vor „psychischen Konflikten“ bewahren sollen. Einer davon ist die „Projektion“. Dabei nimmt man an anderen das wahr, was man an sich selbst nicht sehen will. Ich nenne ein Bei- spiel: Vielleicht ist es Ihnen schon passiert, dass jemand Sie beschimpft und Ihnen dann noch vorgeworfen hat, Sie seien aggressiv. Nun, der Psychoanalyse zufolge „projiziert“ diese Per- son ihre eigene Aggressivität auf Sie. Es könnte spannend sein zu untersuchen, ob dieser Mechanismus tatsächlich existiert oder ob es sich einfach nur um Antipathie handelt. Also versuchten Psy- chologen diese Hypothese zu prüfen. Die Forscher erzeugten mithilfe zweier Filme (Thriller und Romanze) bei ihren studentischen Versuchspersonen zwei unterschiedliche Ge - fühle. Man weiß, dass die Gefühle funktionell mit verschiedenen Moti- vationen verknüpft sind. So weckt Angst das Bestreben, sich zu schützen. Liebesgefühle rufen den Antrieb hervor, auf Partnersuche zu gehen. 48  47  Das breite Publikum verwechselt häufig Psychologie und Psychoanalyse. Doch die Unterschiede sind beträchtlich. Die von Sigmund Freud begründete Psy choanalyse ist eine Therapiemethode (Patient auf der Couch, freie Assozia- tion, Arbeit an Trauminhalten etc.). Sie ist auch eine Theorie (Ödipuskom- plex, Abwehrmechanismen, das Unbewusste etc.), die jedoch nie wissen- schaftlich anerkannt worden ist. Obwohl zahlreiche psychoanalytische Begriffe in den Alltag eingesickert sind, weiß man also nicht, ob das, worauf sich diese Begriffe beziehen, tatsächlich existiert. Dies gilt vor allem für das Unbewusste und den Ödipuskomplex. 48  Um Angst zu induzi eren, sahen die Studenten die Szene aus Das Schweigen der Lämmer , in der Jodie Forster von Anthony Hopkins verfolgt wird. Der Film, der eine Motivation zur Partnersuche erzeugen sollte, war Das Leben nach dem T od in Den ver , genauer gesagt die Szene des ersten Rendezvous eines schönen Mannes und einer sehr hübschen jungen Frau.

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150 Psychologische Aha-Experimente (2011) 329

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  • 3256 Motivation, Emotion und Persnlichkeit

    86 Gibt es Projektion? Motivation und Wahrnehmung

    Die Psychoanalyse47 ist keine Wissenschaft. Sie ist dennoch von Interesse fr einen forschenden Psychologen, da sie eine wahre Fundgrube fr untersuchenswerte Hypothesen darstellt. Bei-spielsweise soll es Freud zufolge Mechanismen geben, die das Individuum vor psychischen Konflikten bewahren sollen. Einer davon ist die Projektion. Dabei nimmt man an anderen das wahr, was man an sich selbst nicht sehen will. Ich nenne ein Bei-spiel: Vielleicht ist es Ihnen schon passiert, dass jemand Sie beschimpft und Ihnen dann noch vorgeworfen hat, Sie seien aggressiv. Nun, der Psychoanalyse zufolge projiziert diese Per-son ihre eigene Aggressivitt auf Sie. Es knnte spannend sein zu untersuchen, ob dieser Mechanismus tatschlich existiert oder ob es sich einfach nur um Antipathie handelt. Also versuchten Psy-chologen diese Hypothese zu prfen.

    Die Forscher erzeugten mithilfe zweier Filme (Thriller und Romanze) bei ihren studentischen Versuchspersonen zwei unterschiedliche Ge -fhle. Man wei, dass die Gefhle funktionell mit verschiedenen Moti-vationen verknpft sind. So weckt Angst das Bestreben, sich zu schtzen. Liebesgefhle rufen den Antrieb hervor, auf Partnersuche zu gehen.48

    47 Das breite Publikum verwechselt hufig Psychologie und Psychoanalyse. Doch die Unterschiede sind betrchtlich. Die von Sigmund Freud begrndete Psychoanalyse ist eine Therapiemethode (Patient auf der Couch, freie Assozia-tion, Arbeit an Trauminhalten etc.). Sie ist auch eine Theorie (dipuskom-plex, Abwehrmechanismen, das Unbewusste etc.), die jedoch nie wissen-schaftlich anerkannt worden ist. Obwohl zahlreiche psychoanalytische Begriffe in den Alltag eingesickert sind, wei man also nicht, ob das, worauf sich diese Begriffe beziehen, tatschlich existiert. Dies gilt vor allem fr das Unbewusste und den dipuskomplex.

    48 Um Angst zu induzieren, sahen die Studenten die Szene aus Das Schweigen der Lmmer, in der Jodie Forster von Anthony Hopkins verfolgt wird. Der Film, der eine Motivation zur Partnersuche erzeugen sollte, war Das Leben nach dem Tod in Denver, genauer gesagt die Szene des ersten Rendezvous eines schnen Mannes und einer sehr hbschen jungen Frau.