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    Bischof D. Dr. Otto Dibelius_________________________________Laudatio

    In dieser festlichen Versammlung bin ichgewi nicht der einzige, den es ein wenig be-fremdet hat, da um diese einleitende Laudatioein evangelischer Bischof gebeten worden ist.Ein Mann vom Range Paul Tillichs htte in die-ser Stunde doch eigentlich von einem unsererfhrenden Philosophen oder von einem syste-matischen Theologen gewrdigt werden sollen. -Wenn ich trotzdem die Bitte nicht abgeschlagenhabe, die an mich ergangen ist, so hat das seinenGrund nicht nur in meiner persnlichen Vereh-rung fr Paul Tillich; sondern es hat mich auchgelockt, einmal ffentlich auszusprechen, dasich Deutschland der Lebensarbeit Paul Tillichsin dankbarem Respekt verbunden wei.

    Sie mssen mir nur erlauben, da ich, wennich jetzt zu Ihnen spreche, ganz der bleibe, derich bin. Ich bin kein verhinderter Professor frsystematische Theologie. Ich bin auch keinTheologe, der in Muestunden, die er nicht hat,philosophische Werke studiert. Ich bin einschlichter Diener meiner Kirche und habe, zu-sammen mit allen anderen, die in demselbenDienst stehen, die christliche Botschaft auszuru-fen. Nur da ich mich dabei stndig fragen mu,mit welchen inneren Nten und Bedrfnissen dieMenschen meiner Zeit dieser Verkndigunggegenberstehen. Das ist fr mich Ausgangs-punkt und Anknpfungspunkt, wenn ich einWort ber Paul Tillich sage.

    Ich bilde mir ein, die Nte und Bedrfnissedes modernen Menschen ein klein wenig nach-empfinden zu knnen - und zwar deshalb, weilsie dem, was meine Generation vor vielen Jahr-zehnten durchgekmpft hat - und ich selber mitihr - nicht ganz unhnlich sind. Von dem, wasman in der Jugend durchgekmpft hat, bleibenNarben fhlbar bis ins Alter.

    Sie, lieber Herr Professor, sind 6 Jahre jn-ger als ich. Von unserem jetzigen Alter her ge-sehen, ist das eine sehr kurze Spanne Zeit. Wirsind Generationsgenossen. Wir haben beide zuden Fen derselben Universittslehrer gesessen.Wir haben beide die geistige Luft geatmet, die indem Berlin von damals herrschte. Und ich

    denke, wir haben damals beide unter dem Ein-druck gestanden, da mit der Jahrhundertwendeeine neue Epoche angebrochen sei - eine Epo-che, in der die geistigen Werte der Vergangen-heit in Frage gestellt schienen. Wir hatten dieIndustrialisierung Deutschlands und das sprung-hafte Anwachsen der Bevlkerung erlebt. Wirwaren als ltere Schler dabei, als GerhartHauptmanns Weber in Berlin aufgefhrt wur-den und die ganze gebildete Welt erregten. ImAugust 1910 war Friedrich Nietzsche gestorben;jetzt begann sein Einflu auf die junge Genera-tion sich zu entfalten. ber die bildende Kunstbrach der Jugendstil herein. Im Wandervogelkam ein neues Lebensgefhl der Jugend zumAusdruck. Auch im Leben der Kirche regte sichetwas vllig Neues. Friedrich Naumann schriebseine unvergeliche Andacht Im Eisenwerk:Gewilich ist der Herr an diesem Ort, und ichwute es nicht! Kurzum, es war schon allerleiUmbruch in der damaligen Zeit!

    Vor allem aber war in uns selber ein andererGeist lebendig als in den Generationen vor uns.Es war ein Geist der Kritik in uns, den unsereVter nicht gekannt hatten. Was bis dahinselbstverstndlich gewesen war, war uns nichtmehr selbstverstndlich. Gott, Ewigkeit, bibli-sche Berichte - hinter allem stand ein Fragezei-chen. Wir fhlten, um mich religionsphiloso-phisch auszudrcken, am Rande unseres Le-bensweges den Abgrund des Nichtseins undwollten doch in diesem Abgrund nicht versin-ken.

    Es ist hier nicht der Ort zu zeigen, wie wiraus dieser Konfrontation mit dem Nichtseinherausgerettet worden sind. Jedenfalls hat sichunsere Generation in einer Lage befunden, dieder geistigen Lage von heute nicht ganz unhn-lich gewesen ist. Denn welches ist die geistigeLage von heute? Lassen Sie mich das mit Stzensagen, die Paul Tillich geschrieben hat:

    Der Mensch von heute - so haben Siees ausgedrckt - hat das Nichtsein erlebt,das wie ein drohender Ozean alles Seiendeumsplt. Er hat sein Schicksal erlebt mit

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    seinen pltzlichen, unberechenbaren Ein-brchen in alles, was sicher schien in sei-nem Leben und in dem Leben der Vlker.Er hat den Tod erlebt als das Sterben Un-zhliger, denen die Natur ein volleres Lebenversprochen hatte, und er hat den Tod erlebtals stndliche Bedrohung seines eigenenSeins.

    Er hat gelernt zu zweifeln, nicht nur anden Urteilen der anderen, sondern auch andem, was ihm selbst das Sicherste war. Daist keine Festung des Glaubens geblieben, indie nicht Elemente des Zweifels eingedrun-gen sind. Und wenn die Frage in ihm auf-taucht, welches der Sinn seines Seins ist,dann tut sich ein Abgrund vor ihm auf, inden zu blicken nur der Mutigste wagt: derAbgrund der Sinnlosigkeit.Wer will bestreiten, da diese Diagnose

    richtig ist; Natrlich gilt sie nur fr eine kleineMinderheit der Menschen. Aber diese kleine,denkende Minderheit ist es doch, die einer Epo-che das geistige Geprge gibt. Und weil es so ist,darum fhlt die evangelische Kirche hier eineseelsorgerliche Verantwortung - nicht nur fr diewenigen, die bewut nach geistiger Hilfe verlan-gen, sondern fr die Gesamtheit unseres Volkes.Die groe Menge der Menschen fhlt eine gei-stige Krisis niemals unmittelbar. Wohl aber sprtsie ihre Auswirkungen. Sie sprt heute, da dieechten sittlichen Bindungen sich auflsen, daFestigkeit des Charakters Mangelware zu wer-den droht, da das alte deutsche Pflichtbewut-sein sprunghaft zurckgeht und dem Drang zumGeld und zu den materiellen Gtern weicht. Wasaber sind diese Erscheinungen anderes als eineFolge davon, da im inneren Leben der Nationein Proze der Auflsung begonnen hat. DieserProze der Auflsung bedroht nicht nur jedeneinzelnen in seiner Menschenwrde, sondern erwill auch die Nation als Ganzes um ihre innereKraft und um ihre Zukunft bringen.

    Hier sind wir alle gefordert. Hier gilt es,nicht Symptome zu kurieren, sondern nach denWurzeln zu sehen.

    Nun ist der Mensch nicht primr ein logi-sches Wesen. (Man hilft ihm nicht dadurch, daman ihn vor ein neues System von Begriffenstellt.) Speziell die religisen Zweifelsfragenwollen nicht beantwortet, sondern sie wollenberwunden sein. Das wei jeder Seelsorger. Intausend Fllen hilft man einem Menschen, derseinen inneren Halt verloren hat, am besten da-

    durch, da man nicht mit ihm diskutiert, sondernihn in eine selbstlose, etwa in eine karitativeArbeit hineinstellt, oder dadurch, da man ihnmit Vorbildern konfrontiert, aus Vergangenheitoder Gegenwart, an denen er sich aufrichtenkann, oder da man ihn dazu bringt, den Wegdes jungen Bismarck zu gehen, der in seinemersten Brief an den Schwiegervater schrieb: ichbeschlo, konsequenter und mit entschiedenerGefangenhaltung einstweilen des eigenen Urteilsin der Heiligen Schrift zu lesen. Es ist oft hilf-reicher, Antworten auf Fragen zu geben, die garnicht gestellt worden sind, als ber gestellteFragen nchtelang zu disputieren.

    Und doch kann das nicht alles sein. Erstensdeshalb nicht, weil es eben Menschen gibt, dienicht zur Ruhe kommen, wenn man ihrem zwei-felnden Verstande nicht einen neuen Weg kla-ren, logischen Denkens zeigt. Zweitens deshalbnicht, weil jede neue Epoche eine neue geistigeStrukturierung verlangt, wenn anders sie aus derGrung zur Abklrung durchdringen soll. Unddrittens deshalb nicht, weil auch die christlicheWahrheit danach verlangt, von jeder Generationneu durchdacht zu werden.

    Dies Letztere ist unter uns zwar keineswegsunbestritten. Zumal der evangelischen Kircheliegt eine gewisse Zurckhaltung gegenberallen philosophischen Bemhungen im Blut. DasNeue Testament ist voll von Warnungen vormenschlicher Weisheit. Martin Heidegger hatuns Theologen mit leisem, ironischem Untertonan das Anfangskapitel des I. Korintherbriefeserinnert, in dem es heit: Den Verstand desVerstndigen will ich verwerfen... Wo sind dieWeltweisen? Hat nicht Gott die Weisheit dieserWelt zur Torheit gemacht? Ich glaube, es be-durfte dieser Erinnerung kaum. Wir Theologenkennen diese und andere verwandte Stellen aus-wendig!

    Aber ganz abgesehen davon, da es imNeuen Testament auch Aussagen ber diemenschliche Vernunft gibt, die in einem anderenTone gehen - es ist vor allem schwer zu glauben,da Gott seinen Menschenkindern die Gabe derVernunft nur dazu gegeben hat, da er sie unter-drcken soll. Diese Funktion des menschlichenGeistes will respektiert sein, sie will auf ihreMglichkeiten hin abgetastet und dann voll aus-geschpft sein.

    Darum wird das, was wir Philosophie nen-nen, immer eine Grundfunktion des menschli-chen Geistes bleiben und als solche anerkannt

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    werden mssen. Und wo Menschen mit der gei-stigen Welt von frher zerfallen sind und zuneuer Sinngebung noch nicht haben durchstoenknnen, wird ihnen auch von der rationalen Seiteher Hilfe zuteil werden mssen. Und zwar wirdihnen nur der ein Seelsorger sein knnen, derbereit ist, die Probleme des Verstandes unerbitt-lich zu Ende zu denken und berlieferte Vor-stellungen rcksichtslos preiszugeben, sofern siesich nicht mit einem erneuerten Denken orga-nisch zusammenfgen lassen. Mit offensichtlichgewollten Kompromissen ist den Menschenunserer Zeit nicht geholfen.

    Wenn wir dies aber aussprechen, dannkommt uns der Name Paul Tillich von selbst aufdie Lippen.

    Was uns Theologen an dem LebenswerkTillichs zunchst erregt, ist der Eindruck, dahier von einem der Unsrigen mit unbedingterRedlichkeit und Energie philosophisch gedachtwird. Ich kann in dieser Stunde nicht versuchen,das philosophische System Tillichs auch nur imAufri wiederzugeben: wie da von dem Letztenund Unbedingten her, von Gott als dem Sein-Selbst, dessen Lebensproze sich in der Bewe-gung von Trennung und Wiedervereinigungvollzieht, ein neues Sein entsteht, in dem eineEinheit vom Endlichen und Unendlichen sichmanifestiert. Wie da in Korrelationen der ver-schiedensten Art alles vo