48060226 Dahl Roald Sophiechen Und Der Riese

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  • Roald Dahl

    Sophiechen und der Riese

    Deutsch von

    Adam Quidam

    Bilder von Quentin Blake

  • rororo rotfuchs Herausgegeben von Ute Blaich und Renate Boldt

    32.41. Tausend Januar 1992 Verffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH,

    Reinbek bei Hamburg, Februar 1990 Copyright 1984 by Rowohlt Verlag GmbH,

    Reinbek bei Hamburg Text: Copyright der unter dem Titel The BFG bei

    Jonathan Cape, London, erschienenen Originalausgabe 1982 by Felicity Dahl

    and the other Executors of the Estate of Roald Dahl Illustrationen: Copyright 1982 by Quentin Blake

    Umschlagillustration: Quentin Blake rotfuchs-comic Jan P. Schniebel

    Copyright 1990 by Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

    Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten Gesetzt aus der Garamond (Linotronic 500) Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck

    Printed in Germany 980-ISBN 3 499 20582 3

  • Fr Olivia 20. April 195517. November 1962

  • In diesem Buch kommen folgende Personen vor: Menschen Die Knigin von England Mary, die Kammerzofe der Knigin Mister Tibbs, der Oberhofmeister Der Oberkommandierende der Landstreitkrfte Der Oberkommandierende der Luftstreitkrfte und natrlich Sophiechen, ein Waisenkind Riesen Der Fleischfetzenfresser Der Knochenknacker Der Menschenpresser Der Kinderkauer Der Hackepeter Der Klumpenwrger Der Mdchenmanscher Der Blutschlucker Der Metzgerhetzer und natrlich Der gute Riese GuRie

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    Geisterstunde

    Sophiechen konnte nicht einschlafen. Helles Mondlicht fiel schrg durch einen Spalt zwischen den Fenstervorhngen und schien direkt auf ihr Kopfkis-sen. Die anderen Kinder im Schlafsaal schliefen schon seit Stunden tief und fest. Sophiechen machte ihre Augen zu und lag ganz still da. Sie gab sich wirklich groe Mhe, endlich einzuschlafen. Aber es ging nicht. Der Mondstrahl war wie eine Schwert-klinge aus Silber, die durch den Raum schnitt bis mitten auf ihr Gesicht. Im ganzen Haus herrschte tiefstes Schweigen. Kein Stim-mengewirr drang von unten herauf. Und von oben war auch nichts zu hren, nicht ein einziger Schritt. Das Fenster hinter dem Vorhang stand weit offen, aber drauen auf der Strae war kein Mensch unterwegs. Nicht ein einziges Auto brummte vorber. Es gab einfach ber-haupt nichts zu hren, nicht einmal das allerleiseste Ge-rusch. So eine lautlose Stille hatte Sophiechen noch nie erlebt. Vielleicht, dachte sie, ist das jetzt die Geisterstunde, von der ich schon mal gehrt habe. Die Geisterstunde, hatte ihr jemand ins Ohr geflstert, das ist eine bestimmte Zeit um Mitternacht, wenn alle Kinder

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    und alle Erwachsenen ganz tief schlafen. Dann kommen all die unheimlichen Wesen aus ihren Schlupfwinkeln hervor und bevlkern die Welt, als gehre sie ihnen allein. Der Mondstrahl war inzwischen noch heller geworden auf Sophiechens Kopfkissen. Sie wollte aufstehen und den Spalt zwischen den Vorhngen zuziehen. Man wurde bestraft, wenn man nach dem Lichtausmachen noch auerhalb seines Bettes erwischt wurde. Es ntzte gar nichts, wenn man dann sagte: Ich mu mal aufs Klo. Diese Entschuldigung wurde einem einfach nicht ge-glaubt, und man bekam seine Strafe trotzdem. Aber jetzt pate niemand mehr auf, das wute Sophiechen genau. Sie tastete mit der Hand nach ihrer Brille, die auf dem Stuhl neben ihrem Kopfende lag. Die Brille hatte ein Drahtgestell und sehr dicke Glser. Ohne ihre Brille konnte Sophiechen fast gar nichts erkennen. Deswegen setzte sie sie sich auf, schlpfte aus dem Bett und lief auf Zehenspitzen zum Fenster.

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    Als sie bei den Vorhngen angekommen war, hielt Sophie-chen inne. Sie hatte pltzlich wahnsinnige Lust, unter dem Vorhang durchzutauchen und aus dem Fenster zu schauen. Wie wohl die Welt da drauen aussah, wenn die Geisterstunde gekommen war? Sie strengte ihre Ohren an. Nichts. Alles lag totenstill da. Nun konnte sie ihre Neugier nicht lnger beherrschen. Sie mute einfach nach drauen gucken. Ruckzuck duckte sie sich unter dem Vorhang durch und beugte sich aus dem Fenster. Im silbrigen Mondlicht kam ihr die Dorfstrae, die sie ganz genau kannte, vllig verwandelt vor. Die Huser sa-hen schief und krumm aus wie die Huschen in Mrchen-bchern. Alles sah so bleich aus, so gespenstisch und mil-chig wei. Auf der anderen Straenseite konnte sie den Laden von Ellen Keller erkennen, wo man Sachen wie Knpfe, Wolle und Gummiband kaufen konnte. Aber jetzt sah der Laden irgendwie komisch aus. Alles war so schummerig und so nebelschleierhaft da drben. Sophiechen lie ihre Blicke weiter und immer weiter die Strae hinunterwandern. Pltzlich bekam sie einen eisigen Schreck. Da kam etwas auf der Strae, drben auf der anderen Seite, nher und nher. Etwas Schwarzes kam da immer nher Etwas Groes und Schwarzes Etwas sehr Groes, sehr Schwarzes und sehr Dnnes

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    Wer?

    Ein Mensch war das nicht. Das war unmglich ein Mensch. Es war nmlich viermal so gro wie der aller-grte Mensch, den es gibt. Es war so gro, da sein Kopf hher war als die Fenster im ersten Stock der Huser an der Dorfstrae. Sophiechen ri den Mund auf, um laut zu schreien, aber sie konnte keinen einzigen Ton heraus-bringen. Ihre Kehle war wie zugeschnrt und ihr ganzer Krper starr vor Schreck. Es war ja doch die Geisterstunde! Die groe schwarze Gestalt kam auf Sophiechen zu. Sie bewegte sich, die langgezogene Gestalt, ganz dicht an den Husern auf der anderen Straenseite entlang und ver-steckte sich in den schattigen Winkeln, wo das Mondlicht nicht hinkam. Die Gestalt schlich sich immer nher und nher und nher heran. Aber sie kam nur ruckartig vorwrts. Sie hielt an, dann ging sie wieder ein Stckchen weiter, dann machte sie wieder halt. Und was machte das groe dunkle Ding da drauen? Aha! Jetzt endlich konnte Sophiechen erkennen, was dieses Wesen da eigentlich trieb. Vor jedem Haus hielt es an und spionierte durch die Fenster in das obere Stock-werk. Es mute sich herunterbcken, um in die oberen Fenster hineinsehen zu knnen. So gro war dieses Wesen. Das Wesen hielt vor einem Haus an und spionierte herum. Dann glitt es zum nchsten Haus und hielt wieder an und

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    spionierte wieder herum. Und so ging es die ganze Huser-zeile entlang. Mittlerweile war die Gestalt schon sehr viel nher gekom-men, so da Sophiechen sie etwas besser erkennen konnte. Je mehr sie erkennen konnte, desto klarer wurde ihr: Es mute sich um eine Art von Lebewesen handeln. Zwar nicht um ein menschliches Lebewesen, das sah man deut-lich. Aber ein Lebewesen war das auf jeden Fall. Vielleicht war das ein RIESENLEBEWESEN! Sophiechen sphte angestrengt ber die neblige, mond-scheinerleuchtete Strae hinber. Der Riese (wenn man das, was da zu sehen war, einen Riesen nennen konnte), der Riese hatte einen langen SCHWARZEN MANTEL an. In der einen Hand hielt er etwas, das sah aus wie eine sehr LANGE, DNNE TROMPETE. In der anderen Hand trug er einen GROSSEN KOFFER. Der Riese hatte jetzt gerade haltgemacht vor dem Haus von Herrn und Frau Ganting. Die Gantings hatten einen Gemseladen an der Hauptstrae. Im ersten Stock ber dem Laden lag ihre Wohnung. Die beiden Kinder der Gantings schliefen in dem Zimmer zur Strae hin. Das wute Sophiechen. Der Riese sphte durch das Fenster in das Zimmer, in dem Michael und Anne Ganting schliefen. Von der anderen Straenseite konnte Sophiechen das genau beobachten und hielt den Atem an. Sie sah, wie der Riese einen Schritt nach hinten tat und

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    seinen Koffer auf das Straenpflaster stellte. Er bckte sich und klappte den Koffer auf. Er holte etwas daraus hervor. Das sah aus wie ein viereckiges Glasgef mit einem Dek-kel zum Zuschrauben. Der Riese schraubte den Deckel ab und kippte das Glas in den Trichter seiner langen Trom-pete. Sophiechen sah alles mit an und zitterte vor Aufregung. Sie sah, wie der Riese sich wieder aufrichtete und dann das Trompetendings in das offene Fenster hineinschob, hinter dem die Gantings-Kinder schliefen. Sie sah, wie der Riese ganz tief Luft holte und Pffffffff in die Trompete hineinpu-stete. Es war kein Ton zu hren, aber Sophiechen konnte sich denken, da jetzt das, was vorher in dem Glas gewesen war, durch die Trompete mitten in das Kinderschlafzim-mer der Gantings hineingeblasen worden war. Was das wohl sein mochte? Als der Riese seine Trompete aus dem Fenster wieder her-auszog und sich nach seinem Koffer bckte, drehte er zu-fllig den Kopf herum und warf einen Blick ber die Strae. Im gleienden Mondlicht erkannte Sophiechen blitz-schnell ein ellenlanges, bleiches, runzliges Gesicht mit un-geheuer groen Segelohren. Der Nasenrcken war scharf wie eine Messerklinge, und rechts und links von der Nase funkelten zwei Augen hervor. Und diese Augen richteten sich haargenau auf die kleine Sophie. Das sah irgendwie unheimlich aus, als wren es Teufelsaugen. Sophiechen schrie auf und flchtete sich weg vom Fenster.

  • Sie flitzte quer durch den Schlafsaal, hechtete in ihr Bett und krabbelte unter die Decke. Da ringelte sie sich zusam-men, mucksmuschenstill, und zitterte und bibberte.

    Grapsch!

    Sophiechen lag unter ihrer Bettdecke und wartete. Nach ungefhr einer Minute hob sie die Decke ein ganz klein bichen hoch und linste nach drauen. um zweitenmal in dieser Nacht erstarrte ihr das Blut in den Adern, und sie wollte losschreien. Aber sie brachte keinen Pieps heraus. Da drben am Fenster, wo jetzt die Vorhnge beiseite geschoben waren, da zeigte sich das el-lenlange, bleiche, runzlige Gesicht des gigantischen We-sens und starrte herein. Die blitzenden schwarzen Augen waren genau auf Sophiechens Bett gerichtet. Und schon schob sich eine unheimlich groe Hand mit blei-chen Fingern wie eine Schlange durch die Fensterhhle.

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    Dahinter kam ein Arm, so dick wie ein Baumstamm. Und der Arm, die Hand und die Finger reckten und streckten sich quer durch den Saal nach dem Bett von Sophiechen aus. In dieser Sekunde mute Sophiechen wirklich losschreien, aber nur einmal und ganz, ganz kurz, weil nmlich die un-heimlich groe Hand sofort die Bettdecke zusammen-krallte, wodurch der Schrei erstickt wurde. Sophiechen, die ja doch unter dieser Bettdecke lag, fhlte pltzlich, wie kraftvolle Finger sie packten, wie sie mit der Decke und allem Drum und Dran aus dem Bett hochgeho-ben und durch das Fenster nach drauen geholt wurde. Mitten in der Nacht auf diese schaurige Weise aus seinem eigenen Bett herausgerissen zu werden kann man sich berhaupt etwas Entsetzlicheres vorstellen? Das Furchtbare war, da Sophiechen ganz genau wute, was mit ihr passierte, obwohl sie gar nichts sehen konnte. Sie wute, da ein Monster (oder ein Riese) mit einem el-lenlangen, bleichen, runzligen Gesicht und mit unheim-lichen Augen sie aus ihrem Bett herausgegrapscht hatte mitten in der Geisterstunde und nun in einem Bettdecken-knuel durchs Fenster nach drauen holte. Und dann passierte folgendes: Als der Riese Sophiechen drauen hatte, zupfte er die Bettdecke so zurecht, da er sie mit einer Hand an den vier Zipfeln anfassen konnte, und Sophiechen war in ihrer Decke wie in einer Hnge-matte gefangen. Mit der anderen Hand griff er sich den Koffer und das lange Trompetendings und rannte da-von.

  • Sophiechen zappelte und turnte so lange in dem Bettek-ken-Beutel herum, bis sie mit Ach und Krach durch eine Ritze direkt unter der Hand des Riesen nach drauen guk-ken konnte. Sie schaute nach links und nach rechts. Da sah sie, wie zu beiden Seiten die Huser des Dorfes vorberflitzten. Der Riese rannte die Hauptstrae hinun-ter. So schnell rannte er, da sein schwarzer Mantel hinter seinem Rcken wie die Flgel eines Vogels flatterte. Ein einziger Schritt von ihm war so gro, wie ein Schwimm-becken lang ist. Das Dorf war bald zu Ende, und schon sausten die beiden quer ber die mondhellen Felder. Die Bsche und Bume zwischen den Feldern waren keine Hrde fr den Riesen. Er sprang einfach ber sie hinweg. Ein breiter Flu kam ihm in den Weg ein Satz, und er war drben. Sophiechen kuschelte sich in ihre Decke und guckte nach drauen. Hin und wieder pendelte sie gegen das Bein des Riesen wie ein Sack mit Kartoffeln. Es ging ber Felder und Wlder und Bsche und Flsse im Sause-

  • schritt immer weiter und weiter. Bis nach einer Weile ein grauenhafter Verdacht bei Sophiechen auftauchte. Der Riese rennt so schnell, sagte sie sich, weil er Hunger hat. Darum will er so schnell wie mglich nach Hause, und da wird er mich dann zum Frhstck auffressen.

    Die Hhle

    Der Riese rannte und rannte. Aber mit einemmal wurde die Art und Weise, wie er rannte, irgendwie anders. Es war so, als ob er einen hheren Gang eingelegt htte. Seine Ge-schwindigkeit wurde immer schneller, immer schneller, und dann ging es so schnell vorwrts, da die Umgebung

  • nur noch vorberhuschte. Der Fahrtwind tat ihr im Ge-sicht weh. Sophiechens Augen trnten. Ihr Kopf wurde nach hinten gedrckt, in den Ohren sauste und fauchte es. Sie merkte nichts mehr davon, da die Fe des Riesen den Boden berhrten. Sie hatte das unheimliche Gefhl, da sie durch die Luft flogen. Ob unter ihnen festes Land war oder das Meer, konnte man nicht sagen. Dieser Riese mute Zauberbeine haben. Aber nun wurde der Wind richtig schmerzhaft im Gesicht, so da Sophiechen sich niederduckte in ihrer Bettdecke, damit ihr der Kopf nicht weggeweht wurde.

    Ob sie wohl wirklich bers Meer hinwegflogen? Fr So-phiechen fhlte sich alles genau danach an. Sie kuschelte sich in die Decke und lauschte auf das Brausen des Windes. Stundenlang ging das so, schien es Sophiechen.

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    Auf einmal lie das Brausen des Windes nach. Das Tempo wurde langsamer. Sophiechen sprte, wie der Riese jetzt wieder mit den Fen auf den Erdboden stampfte. Sofort streckte sie ihren Kopf oben aus der Decke heraus und guckte sich um. Sie waren in ein Land gekommen, in dem es undurchdringliche Wlder gab und rauschende Flsse. Der Riese war nun ganz deutlich langsamer ge-worden und lief jetzt ziemlich normal, obwohl normal ein verrckter Ausdruck ist, um damit einen rasenden Riesen zu beschreiben. Er sprang ber ein Dutzend Flsse hinweg. Er preschte prasselnd durch einen groen Wald, dann nach unten in ein Tal und wieder nach oben und ber eine felsige, baumlose Gebirgskette hinweg, und dann rannte er durch eine so gottverlassene Gegend, wie es sie auf Erden gar nicht geben konnte. Topfeben war das Land und hatte eine blagelbe Farbe. berall lagen groe Felsbrocken verstreut, und die waren blau. Allenthalben ragten abgestorbene Bume empor wie blei-che Skelette. Inzwischen war der Mond lngst unter-gegangen, und das Morgengrauen dmmerte zgernd her-auf. Sophiechen, die immer noch oben aus ihrer Bettdecke herauslugte, erblickte pltzlich vor sich einen hohen Fel-senberg. Dunkelblau war dieser Berg, und darber fun-kelte und glitzerte ein leuchtender Himmel. Goldene Pnktchen schimmerten zwischen hauchzarten, schnee-weien Schfchenwolken. Und da brach an einer Stelle die Morgensonne hervor eine feurige Kugel so rot wie Blut.

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    Am Fue des Berges machte der Riese halt. Er schnaufte gewaltig. Sein mchtiger Brustkasten pumpte und keuch-te. Er brauchte dringend eine Verschnaufpause. Genau vor ihnen lag, wie Sophiechen erkennen konnte, ganz dicht an der Flanke des Berges ein wuchtiger runder Stein. So gro wie ein Haus war der. Der Riese streckte die Hand aus und rollte den Stein so leicht auf die Seite, als ob es ein Fuball wre: Wo vorher der Stein gelegen hatte, tat sich nun ein ungeheures schwarzes Loch auf. Das Loch war so gro, da der Riese nicht einmal den Kopf einzie-hen mute, als er da hineinging. Er schritt in die schwarze ffnung hinein und hatte noch immer in der einen Hand das Bndel mit Sophiechen und in der andern die Trom-pete und den Koffer. Kaum war er drinnen, machte er kehrt und wlzte den groen Stein wieder an die alte Stelle zurck, so da der Eingang zu seiner versteckten Hhle von auen nicht zu entdecken war. Jetzt war der Hhleneingang dicht zugeschlossen. Im Bauch des Berges herrschte kohlrabenschwarze Nacht. In der Hhle war es vollkommen dunkel. Sophiechen merkte, wie sie auf den Boden niedergelassen wurde. Dann lie der Riese die Deckenzipfel ganz los. Seine Schritte entfernten sich. Sophiechen sa im Dunkeln da und zitterte vor Angst. Jetzt wird er mich gleich auffressen, sagte sie sich. Wahr-scheinlich verschlingt er mich roh, grad so wie ich bin. Oder kocht er mich vorher?

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    Oder brt er mich etwa? Wirft er mich etwa wie eine Brat-wurst in seine riesige Pfanne, in der das brutzelnde Fett nur so zischt? Pltzlich ging das Licht an. Alles war hell erleuchtet, so da Sophiechen blinzeln mute. Schlielich konnte sie erkennen, wo sie war. Sie sah eine gigantische Hhle, die hoch, hoch oben eine Decke aus Felsgestein hatte. Ringsherum an den Wnden standen endlose Regale, und auf den Regalen standen endlose Reihen von Glsern. Gl-ser, Glser, berall Glser. In den Ecken waren ganze Trme von Glsern aufgestapelt. In jeder Ecke, in jedem Winkel standen sie. Mitten in der Hhle erhob sich fast vier Meter hoch ein klobiger Tisch und daneben ein ebenso klobiger Stuhl. Der Riese zog seinen schwarzen Mantel aus und hngte ihn an die Wand. Sophiechen sah, da er unter seinem Mantel so etwas wie ein Hemd ohne Kragen anhatte, darber eine gammelige alte Lederweste, die anscheinend smtliche Knpfe verlo-ren hatte. Seine Hose war wohl einmal grn gewesen und hing viel zu kurz an seinen Beinen herunter. Seine nackten Fe staken in vllig verrckten Sandalen, die aus irgend-einem Grunde auf beiden Seiten Lcher hatten und vorne ein groes Loch, aus dem die Zehen herausschauten. So-phiechen hockte in ihrem Nachthemd auf dem Hhlenbo-den und starrte durch ihre dicke Nickelbrille den Riesen-

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    kerl an. Sie zitterte am ganzen Leib wie Espenlaub, und ein eisiger Schauder kroch ihr den Rcken hinauf und hinun-ter. Ha! brllte der Riese, kam nher und rieb sich die Hnde. Was ist das da? Seine drhnende Stimme brach sich an den Wnden der Hhle wie Donnergrollen.

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    Der GuRie

    Der Riese schnappte sich mit einer Hand die bibbernde kleine Sophie, trug sie quer durch die Hhle und legte sie auf den Tisch. Jetzt ist es soweit, jetzt frit er mich auf, dachte Sophie-chen. Der Riese setzte sich auf den Stuhl und besah sich Sophiechen ganz genau. Er hatte wirklich wahnsinnig groe Ohren. So gro wie das Rad eines Lastwagens. Und anscheinend konnte er sie nach vorne und nach hinten klappen, wenn er wollte. Hunger! brllte der Riese. Ein Grinsen verzog sein Ge-sicht und lie starke breite Zhne aufblitzen. Diese Zhne waren sehr wei und sehr breit und bevlkerten seinen Mund wie riesengroe Toastbrotscheiben. B b bitte, bitte, fri mich nicht auf! stotterte Sophiechen. Der Riese brach in krachendes Lachen aus. Weil ich ein Riese bin, denkst du, ich bin ein Menschenfresser, ich bin ein Kanniballer, denkst du, schrie er. Hast recht! Riesen sind alle Kanniballer, sind alle richtige Totmacher! Ja, sie fressen wrglich menschliche Leberwesen. Wir sind jetzt im Riesenland! Hier ist alles voll von Riesen! Drauen da ist ein Riese mit dem bekannten Namen Knochenknacker-riese! Der Knochenknackerriese knackt jeden Abend zwei leckrige schleckrige menschliche Leberwesen. Das Kra-chen tut weh in den Ohren! Das Krachen vom Knochen-knacken, immer kchch, kchch, kannst du von ganz weit weg hren!

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    Ojemine! sagte Sophiechen. Der Knochenknackerriese mag nur menschliche Leber-wesen aus Spanien, sagte der Riese. Jede Nacht geht der Knochenknackerriese galoppgalopp nach Spanien und holt sich Spanier. Sophiechen fhlte sich pltzlich in ihrer Ehre gekrnkt durch diese Worte. Beleidigt platzte sie heraus: Wieso Spanier? Und warum nicht wir? Der Knochenknackerriese sagt, Spanier schmecken im-mer viel mehr saftig und delikatebar. Der Knochen-knacker sagt, spanische Leberwesen haben einen ersteklas-se Geschmack. Er sagt, Spanier schmecken nach Spanfer-kel. Sehr wahrscheinlich schmecken sie wirklich so, sagte Sophiechen. Na klar tun sie das! brllte der Riese. Alle mensch-lichen Leberwesen sind verschieden. Manche sind schlek-kerlecker, und manche sind igittigitt. Griechische Leber-wesen sind voll mit Igittigitt. Kein Riese mag griechische Leberwesen fressen. Niemals. Und warum nicht? fragte Sophiechen. Griechische Leberwesen aus Griechenland schmecken grlich nach Griebenschmalz, sagte der Riese. Ja, das knnte wohl so sein, sagte Sophiechen. Insgeheim fragte sie sich (und zitterte dabei), warum der Riese soviel ber Menschenfresserei redete und was er da-mit am Ende im Sinn hatte. Aber egal, was kam sie mute einfach mitmachen bei allem, was dieser komische Riese tat, und mute seine Witze witzig finden.

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    Aber waren seine Witze denn berhaupt witzig gemeint? Und was, wenn der groe Kerl andauernd vom Essen re-dete, um Appetit zu kriegen? Das sage ich dir, fuhr der Riese fort, alle menschlichen Leberwesen haben verschiedene Geschmcker. Zum Bei-spiel schmecken menschliche Leberwesen aus Panama ganz doll nach Strohhut. Warum das denn? fragte Sophiechen. Du bist aber nicht sehr viel klug, sagte der Riese und wedelte dabei mit seinen gewaltigen Ohren. Ich hab im-mer gedenkt, alle menschlichen Leberwesen sind voll Grips. Aber dein Kopf ist leer wie ein Luftballon. Magst du Kinder gern? fragte Sophiechen und wollte ganz vorsichtig das Gesprch auf weniger gefhrliche Dinge bringen. Du willst ja nur von was anderem reden, sagte der Riese tadelnd. Wir diskutieren jetzt das interessante Thema: Wie schmecken menschliche Leberwesen? Ob ich Kinder gern mag, hat doch damit nichts zu tun, wie menschliche Leberwesen schmecken! Aber Kinder sind doch auch menschliche Lebewesen, sagte Sophiechen. Aber nie im Leben sind Kinder menschliche Leberwe-sen! sagte der Riese. Menschliche Leberwesen sind doch viel grer als Kinder. Sophiechen sagte jetzt lieber nichts mehr. Denn in Wut bringen wollte sie den Riesen auf gar keinen Fall. Menschliche Leberwesen, fuhr der Riese fort, die gibt es in Tausendmillionen Geschmckern, und alle sind ver-

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    schieden. Zum Beispiel sind menschliche Leberwesen aus Berlin schn weich und fett und haben innen drinnen einen Klacks rote Mammilade. Berliner sind ganz was Ses. Ach, du meinst Berliner Pfannkuchen! sagte Sophie-chen. Die Berliner sind aber doch nicht dasselbe wie die Leute aus Berlin! Berlin bleibt Berlin, und Berliner bleibt Berliner, sagte der Riese. Du redest Quatsch und Quark. Jetzt gebe ich dir aber ein anderes Beispiel. Menschliche Leberwesen aus Salzburg sind nicht s wie Berliner, sondern schmecken entsalzlich nach Setz. Entsetzlich nach Salz, meinst du, sagte Sophiechen. Die Salzburger schmecken salzig. Wieder Quatsch und Quark, was du da redest! rief der Riese aus. Das darfst du nicht! Dieses Thema ist sehr, sehr ernst und sehr, sehr wichtig. Darf ich vielleicht mal zu Ende reden? Oh, aber bitte! sagte Sophiechen. Hamburger aus Hamburg schmecken nach Frikadelle, sprach der Riese. Das mute ja kommen, seufzte Sophiechen. Hmbr-ger schmecken nach Buletten, natrlich. Falsch! brllte der Riese und klatschte sich auf die Schenkel. Hamburger aus Hamburg schmecken nach Fri-kadelle, Schlu, aus, basta, Punkt! Und wonach schmecken die Frikadellen? fragte Sophie-chen. Hack! rief der Riese. Nach Hackfleisch! Genau wie Buletten, sagte Sophiechen.

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    Nein, gar nicht wie Toletten! sagte der Riese. Hambur-ger schmecken gar nicht wie Briketten, sondern wie Fre-gatten! Bringst du da nicht etwas durcheinander? fragte Sophie-chen. Ja, ich bin ein ganz durcheinanderer Riese, sagte der Riese. Aber ich gebe mir die grte Mhle. Die anderen Riesen sind noch viel, viel durcheinanderer als ich. Einen Riesen kenne ich, der rennt jeden Tag sogar bis nach Tu-nisch zum Armbrot. Tunisch? fragte Sophiechen. Wo liegt Tunisch? Du hast aber im Kopf keinen Grips, sondern Gips! sagte der Riese. Tunisch liegt doch in Afrika. Und die Leber-wesen in Tunisch schmecken ganz warmsinnig schlecker-lecker, sagt der Tunischesser-Riese. Und wonach schmecken die Menschen aus Tunisch? fragte Sophiechen. Nach Thunfisch, sagte der Riese. Natrlich, sagte Sophiechen. Htte ich mir wirklich selber denken knnen. Aus Tunis also nach Thunfisch. Aus Frankfurt also nach Frankfurter Wrstchen. Aus Wien also nach Wiener Wrstchen. Aus Linz nach Lin-sen. Aus Rumnien nach Rum. Aus Bern nach Himbeern. Aus Sylt nach Slze. Aus der Schweiz nach Kse. Und aus Leipzig nach allerlei. Sophiechen wollte den Bogen nicht berspannen und hrte lieber auf. Das Gesprch mit dem Riesen zog sich schon lange genug hin. Wenn sie unbedingt aufgefressen werden sollte, dann sollte das nicht mehr auf die lange

  • Bank geschoben werden, sondern mglichst sofort gesche-hen. So etwas sollte man immer ruckzuck hinter sich brin-gen und nicht erst lange drum herumreden. Welche Sorte it du denn am liebsten? fragte sie und zitterte dabei. Ich? brllte der Riese so laut, da die Glser auf den Regalen klirrten und klingelten. Ich und Leberwesen es-sen? Das tue ich nie! Die andern: ja! Die anderen Riesen fressen jede Nacht menschliche Leberwesen. Aber ich nie und nimmer nicht! Ich bin ein komischer Riese. Ich bin

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    ein lieber und freundlicher Riese. Ich bin der einzige liebe und freundliche Riese in Riesenland. Ich bin der GUTE RIESE. Ich heie GuRie. Und wie hei bist du? Ich heie Sophiechen, sagte Sophiechen und konnte kaum glauben, was sie soeben vernommen hatte, so freute sie sich darber.

    Die Riesen

    Aber wenn du so lieb und freundlich bist, sagte Sophie-chen, warum hast du mich dann aus dem Bett geholt und bist mit mir hierhergelaufen? Der Grund war: Du hast mich geseht! antwortete der Gute Riese. Wenn jemand einen Riesen sieht, dann mu er sofort mitgenommen werden. Und warum? fragte Sophiechen. Erstens, erklrte der GuRie, menschliche Leberwesen glauben nicht an Riesen, nicht so richtig, verstehst du? Die menschlichen Leberwesen glauben einfach nicht, da es uns gibt. Aber ich glaube das, sagte Sophiechen. Du ja! Aber nur, weil du mich hast geseht! rief der Gu-Rie. Niemand darf mich sehen und trotzdem zu Hause bleiben, auch ein kleines Mdchen nicht. Du wrdest ja sofort hierhin rennen und dahin und berall die groe Neuigkeit herumposaunen, da du wirklich mit deinen ei-genen Augen einen Riesen gesehen hast. Und dann wrde

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    es eine riesige Riesenjagd geben auf der ganzen Welt. Die menschlichen Leberwesen wrden berall herumwhlen und herumschnffeln nach dem groen Riesen, den du ge-sehen hast, und alle werden dann ganz verrckt nach mir. Sie jagen mich, sie fangen mich, sie sperren mich in einen Kfer und zeigen mich den neugierigen Zuschraubern. In einen Zirkus tun sie mich oder in einen Tierpark, wo es all diese Wabbelfettklumpen von Nilpferden gibt und diese widerlichen Krokodilleriche. Sophiechen mute dem Riesen recht geben: Wenn jemand daherkme und wrde sagen, er htte wahr und wahrhaftig mit eigenen Augen gesehen, wie da drauen auf der Strae mitten in der Nacht ein richtiger Riese herumspukte, dann wrde es ganz bestimmt einen Riesenspektakel geben auf der ganzen Welt.

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    Ich wette, sagte der GuRie, du httest diese tolle Neu-igkeit in der ganzen Welt herumerzhlt, das wette ich, wenn ich dich nicht ruckzuck gepackt und weggebracht htte. Ja, wahrscheinlich, mute Sophiechen zugeben. Und das darf nieniemals passieren, sagte der GuRie. Und was passiert jetzt mit mir? fragte Sophiechen. Wenn du nach Hause zurckgehst, dann verrtst du ja doch alles und redest darber im Fernsehen und im Radio. Darum mut du hier bei mir bleiben dein ganzes Leben lang. Nein! rief Sophiechen mit trnenerstickter Stimme. Doch! sagte der GuRie. Aber ich warne dich: Geh nie-niemals alleine aus dieser Hhle nach drauen, ohne da ich dabei bin. Denn sonst ist es aus und vorbei mit dir! Ich

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    zeige dir jetzt, wer dich auffressen wird, wenn er auch nur das allerkleinste Fitzelchen von dir zu sehen kriegt. Der Gute Riese nahm Sophiechen vom Tisch und trug sie zum Eingang der Hhle. Den groen Stein rollte er auf die Seite und sprach: Schau mal da drben hin, meine Kleine, und sag mir, was du da siehst. Sophiechen hockte auf der Hand des GuRie und guckte nach drauen. Die Sonne war inzwischen aufgegangen und strahlte hei und wei auf das weite wste Land herab mit all den blauen Felsen und den abgestorbenen Bumen. Kannst du sie sehen? fragte der GuRie. Sophiechen schielte durch das grelle Sonnenlicht und er-kannte schlielich mehrere ungeheuer groe Gestalten, die ein paar hundert Meter entfernt zwischen den Felsen um-herliefen. Drei oder vier hatten sich auf einen Stein gesetzt, und da hockten sie nun regungslos. Das hier ist das Riesenland, erklrte der GuRie. Das sind alles Riesen, die du da siehst. Der Anblick war einfach umwerfend. Die Riesen hatten nichts an auer einem kurzen Lendenschurz. Ihre Haut war von der Sonne schwrzlich verbrannt. Aber was So-phiechen am meisten verblffte, war ihre unwahrschein-liche Gre. Sie waren einfach riesig gro, viel riesiger noch als der Gute Riese, in dessen Hand sie hockte. Und hlich waren sie! Viele hatten einen feisten Wanst. Bei allen waren die Arme elend lang und die Fe elend gro. Sie waren so weit weg, da man ihre Gesichter nicht klar erkennen konnte. Und das war vielleicht auch besser so.

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    Was machen die denn da? fragte Sophiechen. Gar nichts machen die, antwortete der GuRie. Die schlurfen und schnarchen da herum und warten, bis es dunkel wird. Dann machen sie sich auf und sausen los da-hin, wo die menschlichen Leberwesen wohnen, und su-chen sich ihr Armbrot. Nach Spanien, nicht wahr? sagte Sophiechen. Der Knochenknackerriese galoppiert natrlich nach Spa-nien, sagte der GuRie. Aber die anderen gehen nach berallhin nach Panama wegen Strohhutgeschmack und nach Tunisch wegen Thunfischgeschmack. Jeder Riese hat sein eigenes Gebiet. Kommen sie auch in unser Land? fragte Sophiechen. Aber ja, ganz oft, sagte der GuRie. Weil nmlich da die menschlichen Leberwesen ganz warmsinnig lecker nach Mampfdideldidampf schmecken. Es knnte sein, da ich dich eben nicht so ganz verstan-den habe, sagte Sophiechen. Ist egal, sagte der GuRie. Ich kann nicht immer recht haben. So bin ich nun mal: mal recht und mal schlecht. Und diese ekligen Riesen da, laufen die heute abend wirk-lich wieder los und fressen Leute auf? fragte Sophie-chen. Jeden Abend knabbern und knacken die menschliche Le-berwesen, erwiderte der GuRie. Alle tun das, nur ich nicht. Aber das sage ich dir: Du bist sofort mausetot, wenn auch nur ein einziger von denen seine Glubschaugen auf dich richtet! Wegputzen wrden sie dich wie ein Marzi-panschweinchen ratzeputz!

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    Aber das ist ja etwas Entsetzliches: Menschen aufessen! schluchzte Sophiechen. Wie grauenvoll! Und warum verbietet ihnen das keiner? Wer kann denen schon was verbieten? fragte der Gu-Rie. Warum tust du das nicht? fragte Sophiechen. Kommt gar nicht in die Tte! rief der GuRie. Diese Menschenfresser-Riesen sind alle warmsinnig gro und warmsinnig bse! Die sind ja mindestens doppelt so breit wie ich und mindestens doppelt so lange Lulatsche wie ich! Doppelt so lang wie du! rief Sophiechen. Aber dicke! sagte der GuRie. Du siehst sie doch nur von weitem. Aber pa mal auf, wenn du sie aus der Nhe siehst! Diese Riesen sind nmlich mindestens fnfzehn Meter lang und haben jede Menge Muskeln. Dagegen bin ich nur eine halbe Portion. Ein Heinzelmnnchen bin ich gegen die. Acht Meter ist gar nichts im Riesenland. Deswegen brauchst du dich aber nicht zu schmen mit deinen acht Metern, sagte Sophiechen. Ich finde, du bist einfach ganz groe Klasse. Deine Fuzehen mssen ja so gro wie Bratwrste sein. Grer, sagte der GuRie geschmeichelt. Wie Salami-wrste! Wie viele Riesen sind das da drben? fragte Sophie-chen. Alle zusammen sind das neun, antwortete der Gu-Rie. Das heit aber doch, sagte Sophiechen, da irgendwo

  • auf der Welt jede Nacht neun arme, arme Menschen ent-fhrt und aufgegessen werden bei lebendigem Leibe. Mehr, sagte der GuRie. Kommt drauf an, wie gro das menschliche Leberwesen ist. Japanische Leberwesen sind klein. Mindestens sechs Japaner mu ein Riese verdrk-ken, sonst wird er nicht satt. Aber die Norweger und die Amerikaner sind viel, viel grer, und darum brauchen die Riesen von denen auch nur zwei oder drei, und schon sind sie pappsatt. Machen diese widerlichen Riesen das denn in jedem Land der Welt? fragte Sophiechen.

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    Ja, in jedem auer Griechenland, antwortete der Gu-Rie. In welches Land der Riese geht, hngt davon ab, wie er sich fhlt. Wenn es hei ist und der Riese schwitzt wie ein Wildschwein, dann wird er hchstwahrscheinlich in die Gegend vom Nordpol rennen und einen oder zwei Es-kimos zu sich nehmen zur Abkhlung. So ein kugelrun-der Eskimo ist fr einen Riesen so schn wie fr dich eine Kugel Erdbeereis. Das glaube ich dir ohne weiteres, sagte Sophiechen. Und umgekehrt: Wenn es drauen eisekalt ist und der Riese zittert und bibbert vor Klte, dann luft er wahr-scheinlich schnurstracks nach Feuerland und verspeist ein paar Feuerlnder, damit er wieder warm wird. Das ist ja frchterlich, sagte Sophiechen. Ein kalter Riese braucht unbedingt einen Feuerlnder zum Warmwerden, sagte der GuRie. Was wrde passieren, wenn du mich jetzt absetzt und ich wrde dann zu ihnen hinberspazieren, fragte Sophie-chen. Ob die mich wirklich aufessen wrden? Totsicher. Ein Haps, und du bist weg! rief der GuRie. Und bei dir brauchen sie nicht einmal zu kauen, so klein bist du. Der erste, der dich sieht, wrde dich mit den Fin-gern aufpicken und runterschlucken wie nix! La uns hineingehen, sagte Sophiechen. Ich mag sie nicht einmal sehen.

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    Die Wunderohren

    Im Inneren der Hhle stellte der Gute Riese das kleine Sophiechen wieder auf die Platte des gewaltigen Tisches. Fhlst du dich denn auch schn kuschelig warm in dei-nem Nachtgewand? fragte er. Oder frierst du zhne-klapperbibberzitter? Mir gehts gut, sagte Sophiechen. Ich mu immer auf und immer zu an deine arme Mutter denken, sagte der GuRie. Und an deinen armen Vater. Die werden jetzt im ganzen Haus herumrennen und rufen und rufen: Sophiechen, wo bist du? Sophiechen, wo bist du? Ich habe aber gar keine Mutter und auch keinen Vater, sagte Sophiechen. Die sind beide gestorben, als ich noch ein Baby war. Ach, du armes kleines Dingelchen! rief da der GuRie. Und fehlen sie dir nicht schrecklich? Nein, eigentlich nicht, sagte Sophiechen. Ich hab sie ja gar nicht gekannt. Das macht mich so traurig, sagte der GuRie und rieb sich die Augen. Sei nicht traurig, sagte Sophiechen. Um mich macht sich kein Mensch groe Sorgen. Das Haus, aus dem du mich mitgenommen hast, ist nmlich ein Waisenhaus. Die Kinder in dem Haus sind alles Waisenkinder. Weise Kinder? Bist du auch ein weises Kind? Ja, ich bin auch ein Waisenkind. Wie viele seid ihr da in dem weisen Haus?

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    Zehn, sagte Sophiechen. Zehn Mdchen. Bist du da gern gewesen? fragte der GuRie. O nein, sehr ungern! sagte Sophiechen. Die Heimlei-terin heit Frau Hauerbatz. Und wenn die einen erwischt bei etwas Verbotenem zum Beispiel wenn man nachts aus dem Bett aufsteht oder wenn man seine Anziehsachen nicht schn ordentlich zusammenlegt , dann bekommt man eine Bestrafung. Und was hast du gekriegt, wenn du von ihr eine Bestra-fung bekommen hast? Sie hat uns fr einen Tag und eine Nacht eingesperrt in den stockdunklen Keller, und wir bekamen dann nichts zu essen oder zu trinken. So eine gemeine Hexe! rief der GuRie. Das war wirklich grausam, sagte Sophiechen. Wir hatten schreckliche Angst davor. Da unten gibt es nm-lich Ratten! Man konnte hren, wie sie da herum-huschten. Diese dreckigen Ekelflitzviecher! rief der GuRie aus. Das ist das Widerlichste, was ich seit Jahren gehrt habe. Du machst mich so traurig, wie ich noch nie gewesen bin. Als er das sagte, kullerte ihm eine riesige Trne, die einen ganzen Eimer gefllt htte, ber die Backe und fiel mit einem Platsch auf den Boden, wo sich eine richtige Pftze bildete. Sophiechen sah das mit Verwunderung. Was fr ein komischer Riese das doch ist, dachte sie, und wie schnell seine Laune sich ndert. Eben sagt er noch zu mir, ich htte Gips statt Grips im Kopf und rede Quatsch und

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    Quark, und nun weint er dicke Trnen um mich, weil Frau Hauerbatz mich in den Keller eingesperrt hat. Was mir am meisten Sorgen macht, sagte Sophiechen, ist, da ich in dieser schaurigen Hhle nun anscheinend mein ganzes Leben bleiben soll. Das Waisenhaus war ja schlimm genug, aber da mute ich ja nicht fr immer blei-ben, verstehst du? Das ist meine Schuld, sagte der GuRie. Denn ich habe dich ja mitgenommen. Dabei quoll ihm eine neue eimer-fllende Trne aus dem Auge und platschte zu Boden. Aber jetzt fllt mir ein, da ich ja gar nicht so lange hier-bleiben werde, sagte Sophiechen. Doch, das geht leider nicht anders, sagte der GuRie. Doch, das geht leider ganz und gar anders, sagte Sophie-chen. Die Muskelprotze da drauen werden mich ja doch einmal erwischen und zum Kaffeetrinken vernaschen. Das la ich niemals zu! sagte der GuRie. Fr eine Weile war es mucksmuschenstill in der Hhle. Dann sagte Sophiechen: Darf ich dich etwas fragen? Der GuRie wischte sich mit der Hand die Trnen aus den Augen und schaute Sophiechen aufmerksam an. Schie los! sagte er. Erzhl mir doch bitte, was du letzte Nacht bei uns im Dorf gemacht hast. Warum hast du das lange Trompeten-dings bei den Gantings ins Kinderzimmer hineingehalten und dann durchgepustet? Aber hoppla! rief der GuRie und richtete sich in seinem Stuhl auf. Da ist aber jemand neugierig wie ein Nasewei-senkind!

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    Und der Koffer, den du bei dir hattest? fragte Sophie-chen. Wozu hast du den gebraucht? Der GuRie musterte argwhnisch das kleine Mdchen, das im Schneidersitz vor ihm auf der Tischplatte hockte. Du fragst mich aber nach den allergeheimsten Sachen aus, sagte er. Das sind Geheimnisse, die noch nie jemand gehrt hat. Ich erzhls auch keinem weiter, sagte Sophiechen. Keiner Menschenseele! Ehrenwort! Ich knnte es ja auch gar nicht verraten. Weil ich doch mein ganzes Leben lang hier bei dir sein mu. Aber vielleicht erzhlst du es den andren Riesen. Auch nicht, sagte Sophiechen. Du hast selber gesagt, sie fressen mich auf, sowie sie mich entdeckt haben. Das tun sie auch, sagte der GuRie. Du bist ja auch ein menschliches Leberwesen, und menschliche Leberwesen schmecken den Riesen wie Erdbeeren mit Sahne. Aber wenn die mich auffressen, sobald sie mich entdeckt haben, dann htte ich doch gar keine Zeit mehr, ihnen ir-gendwas zu verraten, oder? sagte Sophiechen. Das stimmt, sagte der GuRie. Warum sagst du dann aber, ich knnte es ihnen doch verraten? Weil ich bis oben hin voll bin von Quarkksequatsch-kram, sagte der GuRie. Wenn du dir alles anhrst, was ich sage, bekommst du bestimmt bald Ohrenschmerzen. Bitte, bitte, sag mir, was du bei uns im Dorf gemacht hast, bettelte Sophiechen. Ich schwre, du kannst dich auf mich verlassen.

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    Kannst du mir mal verraten, wie man einen Edelfant macht? fragte der GuRie. Wie kommst du denn darauf? fragte Sophiechen. Ich wnsch mir so, so sehr einen Edelfant, auf dem ich reiten kann, sagte der GuRie sehnsuchtsvoll. Ich wrde ja so gerne einen schnen dicken groen Jumboedelfanten haben. Auf dem wrde ich dann durch den schnen dich-ten groen Urwald reiten und den ganzen Tag schne dicke rote Pfirsiche pflcken. Wo wir hier leben, das ist ein glutheies, staubtrocknes, furchtbar unfruchtbares Land. Hier wchst nichts auer Kotzgurken. Ich wrde gern wo-andershin gehen, wo ich morgens auf meinen Edelfant steige, in den Urwald reite und dicke rote Pfirsiche pflcke. Diese seltsame Rede des Riesen ging Sophiechen zu Her-zen. Eines Tages finden wir vielleicht einen Elefanten fr dich, sagte sie. Und schne dicke rote Pfirsiche. Aber jetzt erzhl mir doch, was du in unsrem Dorf gemacht hast. Wenn du wirklich wissen willst, was ich in eurem Dorf gemacht habe, sagte der GuRie, ich habe in das Kinderzimmer einen Traum gepustet. Einen Traum gepustet? fragte Sophiechen. Was meinst du damit? Ich bin der Traum-Riese, sagte der GuRie. Wenn die anderen Riesen losbrausen, um menschliche Leberwesen zu fressen, schleiche ich mich still und leise woandershin und puste Trume in die Zimmer, wo die Kinder schlafen.

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    Schne bunte Trume, die den, der sie trumt, glcklich machen. Langsam, langsam, sagte Sophiechen. Und woher hast du diese Trume? Die sammel ich, sagte der GuRie und zeigte dabei auf seine vielen, vielen Glasgefe an den Wnden. Es gibt Millionen und aber Millionen! Aber sammeln kann man Trume doch gar nicht, sagte Sophiechen. Ein Traum ist doch nichts, was man irgend-wie festhalten kann. Du verstehst eben nichts davon, sagte der GuRie. Und darum erzhle ich dir auch lieber gar nichts darber. Ach, bitte, bitte, erzhls mir doch! sagte Sophiechen. Ich verstehs auch ganz bestimmt. Nun mach schon, bitte! Erzhl mir, wie du Trume sammelst. Erzhl mir al-les und alles und alles darber! Da setzte sich der GuRie schn gemtlich auf seinen Stuhl und schlug die Beine bereinander. Trume, begann er, sind etwas sehr Geheimnisvolles. Sie schweben durch die Lfte wie kleine hauchzarte Seifenschillerblschen. Sie schweben hierhin, und sie schweben dahin und suchen nach einem, der schlft. Kann man die zarten Seifenblasen sehen? fragte Sophie-chen. Zuerst sieht man gar nichts von ihnen. Und wie fngst du sie, wenn du sie nicht sehen kannst? fragte Sophiechen. Ojemine! sthnte der GuRie. Da kommen wir jetzt aber auf die allergeheimsten Geheimnisse zu sprechen.

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    Ich sag es auch nienieniemand weiter. Ich glaube, ich kann dir vertrauen, sagte der GuRie. Mit geschlossenen Augen sa er eine Weile da und sagte nichts. Sophiechen wartete gespannt. Wenn so ein Traum, fing er an, bei Nacht durch die schwarze Finsternis fliegt, macht er dabei einen ganzganz schwachen Ton, ein sirrendes Schwirren oder ein schwir-rendes Sirren. Dieses Sirren und Schwirren ist so zart und fein, da kein menschliches Leberwesen es hren kann. Und du? Kannst du das denn hren? fragte Sophie-chen. Der GuRie zeigte auf seine ungeheuer groen Segelohren, mit denen er nun hin und her wedelte. Voller Stolz machte er dieses Kunststck vor, das sah man an dem L-cheln in seinem Gesicht. Siehst du die hier? fragte er. Die kann man gar nicht bersehen, sagte Sophie-chen. Vielleicht findest du, sie sehen ziemlich verrckt aus, sagte der GuRie. Aber du kannst mir glauben, das sind wirklich ganz auergewhnliche Ohren. ber die darf man sich nicht lustig machen. Mach ich auch bestimmt nicht, sagte Sophiechen. Mit denen kann ich nmlich absolut alles hren, und wenn es noch so wisperflsterleise ist. Etwa auch Sachen, die ich nicht hren kann? fragte So-phiechen. Gegen mich bist du auf beiden Ohren taub wie eine Taubnessel, rief der GuRie. Du kannst ja nur die rein-

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    sten Donnerbumsknallkrachereien hren mit deinen niedlichen kleinen Ohrmschelchen. Aber ich hre alles, auch die heimlichsten Flisperflstergerusche auf der Welt. Was fr welche zum Beispiel? fragte Sophiechen. In deinem Heimatland zum Beispiel, sagte er, hre ich das Getrappel, wenn ein Marienkfer auf einem Blatt spa-zierengeht. Ehrlich? fragte Sophiechen ba erstaunt. Und ob! Ich hre das Getrappel eines Marienkfers sogar sehr laut, sagte der GuRie. Wenn ein solches rotes K-ferlein auf einem Blatt spazierengeht, dann klingt das in meinen Ohren wie das Stampfen und Trampeln, das die Riesen beim Rennen machen: Holterdiepolterdiebumpf, holterdiepolterdiebumpf.

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    Donnerwetter! sagte Sophiechen. Und was kannst du sonst noch hren? Ich kann die winzigen kleinen Ameisen hren, wie sie miteinander quisseln und quasseln, whrend sie auf dem Erdboden umeinander kribbeln und krabbeln. Die Ameisen kannst du reden hren? Jedes Wrtchen hre ich, sagte der GuRie. Obwohl ich die Ameisensprache nicht so ganz genau verstehen kann. Und was noch? fragte Sophiechen. Manchmal, bei Nacht, wenn der Himmel wolkenlos klar ist, sagte der GuRie, und wenn ich meine Ohren richtig drehe und bei diesen Worten klappte er seine riesigen Ohren so, da sie mit der offenen Seite zur Hhlendecke zeigten also wenn ich sie so herum drehe und die Nacht ganz still und klar ist, dann hre ich manchmal von weit, weit her eine leise Musik, die kommt von den Sternen am Himmel. Sophiechen fhlte, wie sie am ganzen Krper eine Gnse-haut bekam. Mucksmuschenstill hockte sie da auf dem Tisch und wartete gespannt, was jetzt wohl kommen wrde. Letzte Nacht haben meine Ohren entdeckt, da du mich vom Fenster aus beobachtet hast, sagte der GuRie. Aber ich habe nicht das leiseste Gerusch gemacht, sagte Sophiechen. Ich habe gehrt, wie dein Herz gepocht hat, sagte der GuRie. Das drhnte ber die Strae wie eine dumpfe Trommel. Erzhl mir noch mehr, sagte Sophiechen. Bitte!

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    Ich kann auch die Pflanzen hren, die Kruter und die Bume. Knnen die denn reden? fragte Sophiechen. Reden eigentlich nicht, sagte der GuRie. Aber sie ge-ben Laute von sich. Wenn ich zum Beispiel eine schne Blume pflcken will und am Stengel ziehe und rupfe, dann schreit die Blume. Ich kann hren, wie sie schreit, ganz deutlich hre ich sie schreien. Ist das wahr? rief Sophiechen. Wie schrecklich! Doch, sie schreit genauso, wie du schreien wrdest, wenn jemand dir den rechten Arm ausreit. Meinst du das wirklich ernst? fragte Sophiechen. Glaubst du etwa, ich vergackeier dich? Das kann man aber wirklich kaum glauben. Also gut, dann sag ich eben gar nichts mehr, sagte der GuRie gekrnkt. Ich will doch kein Lgenbeutel genannt werden. Nein, nein, nein! Von mir wirst du gar nichts genannt! rief Sophiechen. Ich glaube dir doch! Wirklich und ehr-lich! Bitte, bitte, erzhl mir weiter! Der GuRie warf ihr einen langen, strengen Blick zu. So-phiechen schaute ihm geradeaus in die Augen und sagte leise: Ich glaube dir. Sie merkte, da sie ihn beleidigt hatte. Dich wrde ich niemals anlgen, sagte er. Das wei ich doch, sagte Sophiechen. Aber du mut mich auch verstehen: Wenn man solche merkwrdigen Dinge zum erstenmal hrt, kann man sie einfach nicht so ohne weiteres glauben.

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    Das verstehe ich schon, sagte der GuRie. Dann verzeih mir bitte und erzhl weiter, sagte sie. Nach einer kleinen Pause setzte er seine Erzhlung fort. Bei den Bumen ist es genauso wie bei den Blumen. Wenn ich mit der Axt in den Stamm eines groen Baumes hineinhacke, dann hre ich einen schrecklichen Ton, der aus dem tiefsten Kern des Baumes hervordringt. Was fr einen Ton? fragte Sophiechen. Es klingt wie Seufzen oder Sthnen, sagte der GuRie. Es hrt sich so an wie das chzen und Sthnen eines al-ten Mannes, der mit dem Tode ringt. Hier verfiel der Gute Riese in Schweigen, und in der Hhle herrschte tiefste Stille. Dann fuhr er fort: Die Bume sind lebendig wie du und ich. Sie wachsen und welken, sie grnen und blhen. Wie die Tiere und die Menschen sind auch die Bume leben-dige Wesen und haben ihre Gefhle. Und nicht nur die Bume, sondern alle Pflanzen. Jetzt sa er ganz aufrecht auf seinem Stuhl und hielt die gefalteten Hnde hoch. Sein Gesicht strahlte, seine Augen leuchteten wie Sterne. Was ich hre, sind so wunderschne und auch so schreckliche Tne! sagte er. Einige davon wrdest du selber nie im Leben hren wollen. Aber einige sind wie die schnste Musik! Whrend er an diese geheimnisvollen Dinge dachte, schien er wie verzaubert und verwandelt: Sein Gesicht leuchtete freundlich und warm, weil schne Gefhle ihn erfllten.

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    Erzhl mir noch mehr darber, sagte Sophiechen sanft. Du mtest unbedingt mal die kleinen Muschen reden hren! sagte er. Ohne Pause reden die kleinen Muschen miteinander, und ich hre ihre Stimmen so laut wie meine eigene Stimme. Und worber sprechen die? fragte Sophiechen. Das wissen nur die Muschen selbst, sagte er. Auch die Spinnen sind dauernd am Reden. Ob dus glaubst oder nicht, aber die Spinnen sind frchterliche Quasseltanten. Und wenn die ihre Spinnweben bauen, singen sie dabei. Und zwar singen sie schner als Nachtigallen. Und was kannst du sonst noch hren? fragte Sophie-chen. Die Raupen, das sind die grten Klatschbasen, die es gibt, sagte der GuRie. Und worber reden die? Die streiten sich ewig, wer wohl mal der schnste Flatter-ling wird von ihnen. Sie reden ber nichts andres. Ob wohl jetzt gerade ein Traum hier durch die Hhle fliegt? wollte Sophiechen wissen. Der GuRie verdrehte seine groen Ohren in alle Richtun-gen und lauschte angestrengt. Schlielich schttelte er den Kopf. Zur Zeit ist hier kein Traum unterwegs, sagte er. Bis auf die Glser da sind natrlich viele drin. Wenn ich Trume fangen will, gehe ich an eine bestimmte Stelle. Denn ins Riesenland verirren sich die Trume nur sel-ten. Und wie fngst du die Trume?

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    Genauso wie man Flatterlinge fngt, antwortete der Gu-Rie. Mit einem Netz. Er stand auf und ging quer durch die Hhle in eine Ecke, wo eine Stange an der Wand lehnte. Die Stange war ungefhr zehn Meter lang und hatte am Ende ein Netz. Das ist mein Traumfnger, sagte er und hielt die Stange in der Hand. Jeden Morgen ziehe ich los und hole neue Trume, die ich in meine Glser einmache. Aber urpltzlich schien das Thema ihn berhaupt nicht mehr zu interessieren. Ich kriege einen Warmsinnshun-ger, sagte er. Wir mssen etwas essen sofortissimo!

    Kotzgurken

    Aber wenn du kein Menschenfresser bist wie die anderen Riesen alle, sagte Sophiechen, wovon ernhrst du dich dann? Das ist ein Problem in dieser Gegend, antwortete der GuRie. In diesem verflixten Malefizland der Riesen wachsen all die guten Sachen nicht: keine Heidelbeeren, keine Stachelbeeren, keine Erd-, keine Brom- und keine Himbeeren, einfach nichts wchst hier, gar nichts auer einem einzigen widerlichen Gemse. Dieses Igittigittge-mse heit Kotzgurke! Kotzgurke? rief Sophiechen. So was gibts doch gar nicht! Der Riese schaute lchelnd auf Sophiechen herunter und

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    zeigte dabei mindestens zwanzig von seinen Toastbrot-scheibenzhnen. Gestern, sagte er, gestern hast du noch geglaubt, so was wie Riesen gibts doch gar nicht, nicht wahr? Heute glaubst du, es gibt keine Kotzgurken. Nur weil du zufllig so ein Ding noch nie gesehen hast mit deinen kleinen blanken Augelchen, meinst du, so was gibts doch gar nicht. Und was ist zum Beispiel mit dem groen Gaspedalhpfer? Mit dem wie bitte? fragte Sophiechen. Und mit dem Kugelschreiberfisch? Was ist das denn? fragte Sophiechen. Und mit dem Plastikttenknguruh? Wo gibts denn so was? Und mit dem Marmeladenmaulwurf? Sollen das Tiere sein? fragte Sophiechen. Das sind doch ganz gewhnliche Tiere, die beralle vor-kommen, sagte der GuRie herablassend. Ich bin be-stimmt kein Geistesriese, der alles wei, aber du bist, glaube ich, ein menschliches Leberwesen, das berhaupt nichts wei. Du bist ein richtiger Kohlkopf. Hohlkopf, meinst du, sagte Sophiechen. Was ich meine und was ich sage, sind zwei verschiedene Dinge, verkndete der GuRie stolz. Und jetzt zeige ich dir eine Kotzgurke. Der GuRie ffnete einen hohen Schrank und holte daraus das scheulichste Ding hervor, das Sophiechen jemals ge-sehen hatte. Es war etwa halb so lang wie ein ausgewachse-ner Mann, aber viel dicker. In der Mitte war es so dick wie eine Mlltonne. Das Ding war schwarz mit weien Lngs-

  • streifen. Und was am schlimmsten war: von oben bis unten und rundherum war das Ding berst mit garstigen War-zen. Das hier ist also eine solche ekelerregende Kotzgurke! rief der GuRie und schwenkte das scheuliche Ding durch die Luft. Sie ekelt mich an! Ich kann sie nicht ausstehen! Sie dreht mir den Magen um! Aber weil ich es ablehne, menschliche Leberwesen zu essen wie die anderen Riesen, mu ich mich leider von diesen Igittigittdingern von Kotz-

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    gurken ernhren. Wenn ich die nicht htte, wre ich nur noch Kraut und Rben. Du meinst: Haut und Knochen, sagte Sophiechen. Ja, ich wei: es mu Haut und Knochen heien, sagte der GuRie. Aber du mut bitte Geduld mit mir haben. Ich kann nichts dafr, wenn ich manchmal ein bichen schief und krumm daherrede: Ich gebe mir immer die al-lergrte Mhle. Der Riese sah mit einemmal so arm und traurig aus, da Sophiechen Mitleid bekam. Es tut mir ja so leid, sagte sie. Ich wollte nicht unhf-lich sein. Es gibt hier keine Schule im Riesenland, wo ich richtig reden lernen konnte, sagte der GuRie bekmmert. Aber httest du das nicht von deiner Mutter lernen kn-nen? fragte Sophiechen. Von meiner Mutter? schrie der GuRie. Riesen haben doch keine Mutter! Sag blo, das weit du nicht. Das wute ich wirklich noch nicht, sagte Sophie-chen. Es heit doch der Riese und nicht die Riese, brllte der GuRie und lie seine Kotzgurke durch die Luft krei-sen wie ein Lasso. Riesinnen hat es noch nie gegeben und wird es auch nie geben. Riesen sind immer Mn-ner! Sophiechen begriff jetzt gar nichts mehr. Wenn das so ist, sagte sie, wer hat dich dann geboren? Riesen werden nicht geboren, erwiderte der GuRie. Riesen gehen auf. Sie gehen einfach so auf, wie die Sonne aufgeht oder die Sterne.

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    Und wann bist du aufgegangen? fragte Sophiechen. Woher soll ich das wissen? sagte der GuRie. Das ist so lange her, da ich es gar nicht zhlen kann. Willst du damit sagen, da du nicht einmal weit, wie alt du bist? Das wei kein einziger Riese, sagte der GuRie. Ich wei nur, da ich sehr alt bin sehr, sehr alt und sehr, sehr verschrumpelt. Vielleicht bin ich so alt wie die Erde. Und wenn ein Riese stirbt, was passiert dann? fragte Sophiechen. Riesen sterben nie, antwortete der GuRie. Manchmal verschwindet ganz pltzlich ein Riese, und keiner wei, wo er abgeblieben ist. Aber meistens leben wir Riesen im-mer weiter und immer weiter und hren nie auf. Der GuRie hatte noch immer die grliche Kotzgurke in der rechten Hand. Jetzt schob er sich das eine Gurken-ende in den Mund und bi ein groes Stck ab. Als er darauf herumkaute, hrte sich das an, als ob er mit den Zhnen dicke Eisbrocken zertrmmerte. So ein Dreckskram! sagte er prustend mit vollem Mund und spuckte dabei groe Brocken Kotzgurke wie Wurf-geschosse in die Gegend. Sophiechen rannte im Zickzack ber die Tischplatte, um nicht getroffen zu werden. So etwas Widerliches! stie der GuRie hervor. So etwas Magenumdrehendes, so was Schimmelverfaultes, so was Wrmerzerfressenes, so was Stinkschleimverwe-stes! Probier selber mal ein Stck von der brechreizerre-genden Kotzgurke!

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    O nein, danke vielmals, sagte Sophiechen und tat ein paar Schritte rckwrts. Du bekommst aber hier nichts anderes zu essen. Also ist es besser, wenn du dich gleich daran gewhnst, sagte der GuRie. Na los, du Fliegengewicht, hau rein! Sophiechen nahm sich ein klitzekleines Krmelchen und steckte es in den Mund. Sofort schrie und wrgte sie: Iiiii-gittigittigitt! Ah! h! Ih! Oh! Uh! Hilfe! Sofort spuckte sie alles aus. Das schmeckt ja nach Stinkmorcheln, keuchte sie, und nach verfaultem Fisch! Ich finde, noch schlimmer, rief der GuRie und schttete sich aus vor Lachen. Ich finde, das schmeckt nach Kacker-lakacke und nach schleimigen Schnecken. Mssen wir das essen? Unbedingt? fragte Sophiechen. Ja, das mut du, oder du wirst so spindeldrr, da du dich schlielich in eine Grtze voll Grind verwandelst. In eine Mtze voll Wind meinst du wohl, sagte Sophie-chen. Eine Grtze voll Grind ist etwas ganz anderes. Schon wieder kam dieser traurige, rhrende Blick in Gu-Ries Augen. Die Wrter, sagte er, sind fr mich immer eine kitzlige Sache. Deswegen mut du Geduld haben mit mir und nicht an mir herumverbessern. Ich hab dir ja schon vorhin gesagt, ich wei genau, was ich sagen will, aber ir-gendwie gehen bei mir manchmal die Wrter durcheinan-der. Das passiert doch jedem mal, sagte Sophiechen. Aber nicht so doll wie mir, sagte der GuRie. Ich rede andauernd ein bichen meschugge. Ich finde, du redest sehr schn, sagte Sophiechen.

  • Ja? schrie der GuRie und strahlte pltzlich. Findest du das wrglich? Sehr schn redest du, finde ich, wiederholte Sophie-chen. Oh, das ist das wunderbastelste Geschenk, das ich in mei-nem Ganselebern bekommt habe! jubelte der GuRie. Und du machst dich auch bestimmt nicht lustig ber mich? Aber nein, sagte Sophiechen. Ich hab das sehr gerne, wie du redest. Das ist ja so wunderwunderlich! rief der GuRie aus und strahlte immer noch. Das ist ja hopsassa! Ach, ich bin ja so berglucksig, da ich ganz aus dem Muschen bin! Aber hr doch mal zu, sagte Sophiechen. Wir mssen

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    doch keine Kotzgurken essen. Auf den Feldern bei unse-rem Dorf gibt es die besten Gemsesorten in rauhen Men-gen. Blumenkohl zum Beispiel und Mohrrben. Warum bringst du dir nicht davon etwas mit, wenn du das nchste Mal in diese Gegend kommst? Da reckte der GuRie seinen groen Kopf voller Stolz in die Hhe und sprach: Ich bin ein ehrlicher Riese. Lieber Kotzgurken kauen als andern was klauen. Aber mich hast du doch auch gestohlen, sagte Sophie-chen. Dich habe ich aber nicht sehr doll gestohlen, sagte der GuRie mit einem feinen Lcheln. Du bist ja doch nur ein menschlicher Winzling oder ein winziger Menschling.

    Der Blutschlucker

    In diesem Moment brach drauen vor der Hhle ein unge-heures Getse los, und eine Stimme wie Donnergepolter war zu hren: He, Ferkel! Bist du zu Hause, Ferkel? Ich hr dich doch brabbeln. Mit wem brabbelst du, Fer-kel? Achtung! warnte der GuRie. Der Blutschlucker! Aber noch bevor er mit dem Wort Blutschlucker zu Ende gekommen war, wurde der Stein vom Hhleneingang bei-seite geschleudert und ein wahrhaft riesiger Riese stampfte in die Hhle herein. Er war wohl mindestens doppelt so gro und zweimal so dick wie der GuRie ber fnfzehn

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    Meter hoch! Er hatte nichts an auer einem verdreckten Lappen, der unter seinem Hngebauch herumschlab-berte. Sophiechen befand sich oben auf der Tischplatte. Direkt neben ihr lag die kolossal groe angebissene Kotzgurke. Hinter der ging sie sofort in Deckung. Der Unhold trampelte in die Hhlenmitte und blieb dro-hend vor dem sehr viel kleineren GuRie stehen. Mit wem hast du eben gebrabbelt hier drinnen? brllte er los. Mit mir selber hab ich gebrabbelt, antwortete der Gu-Rie. Quatschematsche! grlte der Blutschlucker. Bli-bla-bldsinn! johlte er. Du hast mit einem menschlichen Le-berwesen gesprecht, das hab icht sofort gemorkt! Nein, hab ich nicht! schrie der GuRie. Hast du doch! grunzte der Blutschlucker. Ich glaub, du hast dir ein menschliches Leberwesen geklaut und hierher-gebringt in deine Hlle als Haustier! Das fang ich mir jetzt und fre es auf. Ha, lecker, lecker Ahmbrot! Der arme GuRie zuckte zusammen. In m-m-meiner H-H-Hhle ist kein leberliches Menschenwesen, stotterte er sich zusammen. Warum lt du mich nicht in Frihie-den? Da zeigte der Blutschlucker mit seinem Finger, der so gro war wie ein Baumstamm, auf den GuRie. Du kleines dreckiges Schweineferkel! rief er. Du elender kleiner Lgenverzapfer! Du ekliger kleiner Warzenbrzel! Du stinkiger kleiner Mistklumpen! Ich geh jetzt und suche mir den Leberwesenhapps! Dabei packte er den GuRie am

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    Arm und brllte: Und du wirst mir helfen! Du und ich, wir beide zusammen, wir finden ganz bestimmt dieses gut-schmeckerliche kleine Menschenleberwesen. Der GuRie hatte den Plan gehabt, Sophiechen so schnell wie mglich von der Tischplatte wegzunehmen und hinter seinem Rcken zu verstecken. Aber dafr war es jetzt zu spt. Sophiechen linste vorsichtig um die Ecke der abge-bissenen Kotzgurke herum und sah, wie die beiden Rie-sen weiter in die Hhle hineingingen. Der Blutschlucker sah schauerlich aus. Seine Haut war braun verbrannt. Schwarze Haare wucherten bei ihm auf Brust, Armen und Bauch. Die Haare auf seinem Schdel waren lang und schwrzlich und vllig verstruwwelt. Sein fieses Gesicht war rund und glitschig glnzend. Die Augen waren bei ihm nur winzige schwarze Lcher. Seine Nase war kurz und platt. Dafr war sein Maul gewaltig gro: Es reichte quer ber das Gesicht vom einen Ohr zum andern, und die Lippen waren rosig, wulstig und prall wie zwei aufeinan-dergeprete berdimensionale Frankfurter Wrstchen. Hauerartige gelbe Zhne ragten zwischen diesen rosigen Frankfurtern hervor, und ber das Kinn rannen Bche von Spucke. Man konnte sich wirklich ganz leicht vorstellen, da dieser scheuliche Wterich jeden Abend Menschen verspeiste: Mnner, Frauen, Kinder. Der Blutschlucker hielt den armen GuRie immer noch am Arm gepackt, als er sich die langen Reihen der Traumo-theksglser beschaute. Du mit deinen bldsinnigen Glas-dingern! schimpfte er. Was tust du da blo rein?

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    Nix, was du haben willst, sagte der GuRie. Du willst ja immer nur menschliche Leberwesen haben. Und du bist ein Knallkopp mit deiner Flaschensamm-lung, erwiderte der Blutschlucker. Sophiechen sagte sich, da der Blutschlucker sehr bald zu-rckkommen und dann unweigerlich die Tischplatte ge-nauestens absuchen wrde. Aber herunterspringen konnte sie unmglich: der Tisch war nmlich vier Meter hoch. Da wrde sie sich ja die Knochen brechen. Die Kotzgurke, die war zwar so dick wie eine Mlltonne, aber dahinter konnte Sophiechen sich nicht verstecken, falls der Blutschlucker sich das Gurkenende grapschen wrde. Sie sah sich die an-gebissene Stelle genauer an. Da waren in der Mitte groe Kerne, jeder etwa so gro wie eine Melone. Diese Kerne waren eingebettet in eine glibschige schleimige Frucht-fleischmasse. Um nur ja nicht entdeckt zu werden, angelte Sophiechen ganz, ganz vorsichtig mit dem Arm um die Ecke und holte ein halbes Dutzend von diesen Samenker-nen heraus. Auf diese Weise entstand mitten im Fleisch der Kotzgurke ein Loch, das gerade gro genug war, so da Sophiechen, wenn sie sich ganz eng zusammenrollte, darin Platz fand. Huschhusch krabbelte sie hinein. Das war aber ein matschiges und glitschiges Versteck! Doch das war jetzt egal. Hauptsache, da sie nicht aufgefressen wurde. Der Blutschlucker kam jetzt mit dem GuRie an den Tisch zurck. Der GuRie wurde fast ohnmchtig vor Angst, weil ja doch Sophiechen in jeder Sekunde gefunden und dann sofort aufgegessen werden konnte.

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    Da griff sich der Blutschlucker die angebissene Kotzgurke. Der GuRie starrte entsetzt auf die leere Tischplatte. Wo war Sophiechen geblieben? Sophiechen, dachte er ver-zweifelt, du kannst doch unmglich von diesem hohen Tisch heruntergesprungen sein! Wo bist du, Sophie-chen? Huahhh! Das ist also der eklige faulige Schweinefra, den du immer in dich reinrsselst! krakeelte der Blutschluk-ker und fuchtelte mit der halbgegessenen Kotzgurke durch die Luft. Du bist ein Schweineferkel, da du so einen Gammelschleimdreck in den Mund nimmst! Einen Augenblick schien es so, als ob der Blutschlucker ganz vergessen htte, weiter nach Sophiechen zu suchen. Der GuRie wollte ihn natrlich sofort noch mehr ablen-ken. Oh, das ist meine schleckerleckerste Kotzgurke, sagte er. Ach, das ist mein Delikatessichgern, den lutsch ich jeden Tag und jede Nacht. Hast du noch nie Kotzgurke gekostet, Blutschlucker? Leberwesen sind viel saftiger, voll mit Blut, sagte der Blutschlucker. Du redest Firlefanz, sagte der GuRie, der von Sekunde zu Sekunde mutiger wurde. Er dachte nmlich, wenn er den Blutschlucker dazu bringen knnte, auch nur einen einzigen Bissen von dem widerlichen Gemsezeug in den Mund zu nehmen, dann wrde ihn der magenumstlpende Kotzgurken-Geschmack sofort schreiend aus der Hhle rennen lassen. Es ist mir ein Vergngen, dich ein Stck-chen probieren zu lassen, sprach der GuRie weiter. Aber eine Bitte: Wenn du geschmeckt hast, wie umwerfend gut

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    das schmeckt, dann verschling nicht gleich die ganze kst-liche Frucht, sondern la mir noch ein Hppchen brig. Der Blutschlucker glotzte mitrauisch mit seinen kleinen Schweinsuglein auf die Kotzgurke. Sophiechen kauerte in dem angebissenen Gurkenstck und zitterte am ganzen Leib. Du vergackeierst mich doch nicht, oder? sagte der Blut-schlucker drohend. Niemals! rief der GuRie theatralisch. Nimm mal einen Happen, und ich bin sicher, du schreist gleich begeistert los, was fr ein schleckerlecker Delikatessichgern dieses Zaubergemse ist. Der GuRie konnte sehen, wie dem Blutschlucker vor lauter Gier das Wasser im Maul zusam-menlief, weil jetzt eine Extramahlzeit in Aussicht stand. Gemse ist ja soo gesund, sagte der GuRie. Es ist nicht gut fr dich, wenn du immer nur Fleisch it. Nur dieses eine Mal, sagte der Blutschlucker, will ich deinen vergammelten Fra probieren. Aber ich warne dich: Wenn das Zeug ein Mist ist, dann knall ich dir das Ding mitten auf deine blde kleine Matschbirne! Jetzt hob er die Kotzgurke hoch. Es war ein weiter Weg durch die Luft bis hinauf zu seinem Maul immerhin ir-gendwo da oben in fnfzehn, sechzehn Meter Hhe. Sophiechen war drauf und dran, NEIN!!! zu schreien. Aber das htte nur noch todsicherer ihren Tod zur Folge gehabt. Zusammengekrmmt zwischen den glitschigen Gurkenkernen fhlte sie, wie sie immer hher und hher gehoben wurde. Pltzlich machte es KRACH!, und der Blutschlucker hatte

  • ein gewaltiges Stck abgebissen. Sophiechen sah die gelben Hauerzhne direkt neben ihrem Kopf zusammenschlagen. Und dann wurde es stockdunkel ringsherum. Sie war jetzt in seiner Mundhhle drin und rang nach Atem in dem ekel-haften Gestank, der dort herrschte. Es stank nach verfaul-tem Fleisch. Gleich muten die Hauerzhne noch einmal knirschen und krachend alles zermalmen. Darauf wartete Sophiechen jetzt und betete, es mge doch bitte recht schnell mit ihr zu Ende gehen. Uuaachch! gurgelte der Blutschlucker. Grroaatsch! Iigittigittigitt! Pfui Teufel! Und spuckte alles in hohem Bogen wieder aus. Die Kotzgurkenbrocken, die er im Maul hatte, flogen zusammen mit der kleinen Sophie quer durch die ganze Hhle.

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    Wenn Sophiechen gegen die Felswand geprallt wre, htte sie das nicht berlebt. Aber zum Glck wurde sie gegen das weiche Tuch von GuRies schwarzem Mantel geschleu-dert, der an der Wand hing. So schnell sie konnte, krab-belte sie unter den Saum des Mantels und verkroch sich irgendwo in den dunklen Falten. Du Schweinigel, du! grlte der Blutschlucker. Du elen-der kleiner Dreckfresser, du! Damit sprang er auf den GuRie zu und haute ihm den Rest der Kotzgurke ber den Schdel. Die Trmmer der alten Stinkgurke spritzten und flitzten durch die ganze Hhle. Schmeckt dir das etwa nicht? fragte der GuRie schein-heilig und rieb sich den Kopf. Schmecken? kreischte der Blutschlucker. Das ist der al-lerekelafterlichste Geschmack, der mir jemals zwischen die Zhne gekommen ist. Du hast ja ne Ameise, da du Schweidreck wie das da runterwrgst. Dabei kannst du jeden Abend losgaloppieren und frank und frei wie Fran-kenstein die saftigsten Leberwesen vernaschen! Menschliche Leberwesen darf man aber nicht essen, sagte der GuRie. Das schmeckt doch wunderwunder und ersteklasse-klasse! schmetterte der Blutschlucker. Und heute abend galoppiere ich nach Norden und knabber da ein paar menschliche Leberwesen. Willst du wissen, warum ich nach Norden geh? Nein, davon mchte ich gar nichts wissen, sagte der GuRie voller Wrde. Nach Norden geh ich, sagte der Blutschlucker, weil ich

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    den Geschmack von Eiskimos satt habe. In diesem Affen-hitzewetter mu man mglichst viel kalte Sachen essen. Und wenn man Eiskimos nicht mehr ausstehen kann, dann mu man sich einen von den groen Khlen aus dem Nor-den holen, der tut so richtig gut. Pfui Deibel, sagte der GuRie. Du solltest dich sch-men. Die andern Riesen sagen alle, sie galoppieren heute abend nach Schrottland, um da in den Schulen ein paar menschliche Lehrerwesen abzustauben, sagte der Blut-schlucker. Schrottlndische Lehrerwesen mag ich ja auch so gerne. Die schmecken so lecker nach Wandtafel-kreide hmm! Vielleicht geh ich doch lieber mit nach Schrottland. Du bist widerlich, sagte der GuRie. Und du? Du bist eine Schande fr das ganze Riesenvolk! schnauzte der Blutschlucker. Du schaffst es einfach nicht, ein richtiger Riese zu sein! Ein quietschiges Stinktier! Ein dreckleckerer Schlammschlrfer bist du! Weit du, was du bist? Du bist ein Schlotz du bist ein schlotzrotziger Pup-sernickel, das bist du, und wie! Mit diesen starken Worten trollte sich der grausliche Blut-schluckerriese aus der Hhle hinaus. Der GuRie eilte zum Hhleneingang und wlzte den Stein wieder davor. Sophiechen? flsterte er. Sophiechen? Wo bist du, So-phiechen? Sophiechen whlte sich unter dem Saum des schwarzen Mantels hervor. Hier bin ich, sagte sie. Der GuRie hob sie hoch und trug sie behutsam in der

  • Hand. Ach, ich bin ja so glcksig, da ich dich ganz heil wiedergefindet habe und nicht kaputt, sagte er. Ich bin in seinem Mund gewesen, sagte Sophiechen. Wo bist du gewesen? schrie der GuRie. Da erzhlte ihm Sophiechen, was mit ihr passiert war. Und ich sag ihm auch noch, er soll die olle Kotzgurke essen, wo du die ganze Zeit da drinnen gehockt hast! sthnte der GuRie. Witzig war das nicht gerade, sagte Sophiechen. Aber wie siehst du denn aus, du armes Kind! klagte der GuRie. Du bist ja von oben bis unten voll Kotzgurke und

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    Riesenspucke. Und er begann sie sauberzumachen, so gut er es vermochte. Jetzt hasse ich die anderen Riesen noch viel mehr als sonst, sagte er. Weit du, was ich jetzt gern tun tte? Na was? fragte Sophiechen. Ich wrde sie am liebsten alle verschwundibus gehen las-sen, einen nach dem andern. Dabei wrde ich dir aber von Herzen gerne behilflich sein, sagte Sophiechen. La mich mal nachdenken, ob mir nicht etwas einfllt, wie man das hinkriegen knnte.

    Blubberwasser und Furzelbume

    Inzwischen war Sophiechen nicht nur sehr, sehr hungrig geworden, sondern auch sehr, sehr durstig. Zu Hause im Waisenhaus htte sie nmlich um diese Zeit schon lngst gefrhstckt gehabt. Weit du eigentlich ganz genau, da es hier nichts anderes zu essen gibt als diese widerlichen, belriechenden Kotz-gurken? fragte sie. Nicht das kleinste Krmelchen, antwortete der Gute Riese. Wenn das so ist, knnte ich dann bitte etwas Wasser be-kommen? fragte sie. Wasser? Einfach nur Wasser? fragte der GuRie und legte das Gesicht in tausend Falten. Wozu Wasser?

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    Das trinken wir, sagte Sophiechen. Was trinkt ihr denn? Blubberwasser, verkndete der GuRie. Alle Riesen trinken nur Blubberwasser. Schmeckt das auch so scheulich wie Kotzgurke? fragte Sophiechen. Scheulich? rief der GuRie. Nie und nimmer schmeckt das scheulich! Blubberwasser ist s und schluckerlut-schig! Er stand von seinem Stuhl auf und ging zu einem zweiten groen Schrank hinber. Den machte er auf und holte eine Flasche daraus hervor, die war aus Glas und an die hundert Zentimeter hoch. Diese Flasche war zur Hlfte mit einer grnlichen Flssigkeit gefllt. Das ist Blubberwasser! rief er und hielt die Flasche stolz in die Hhe, als ob es sich um einen kostbaren alten Wein handelte. Ahh, dieses kstliche, zischbizzelige Blubber-wasser! schwrmte er. Dabei schttelte er die Flasche, und der grne Saft bizzelte los wie verrckt. Aber schau dir das an! Es bizzelt falsch herum! stie So-phiechen aufgeregt hervor. Und das stimmte genau: Die Silberblschen stiegen nicht nach oben und zersprhten an der Oberflche, sondern sie rieselten nach unten und zer-gingen beim Aufprall auf dem Flaschenboden. Was meinst du denn mit falsch herum? fragte der Gu-Rie. In unserer Brause, sagte Sophiechen, gehen die Bls-chen immer nach oben und zerplatzen dann. Vllig falsch! betonte der GuRie. Die Blubberblasen darfst du niemals nach oben steigen lassen. Das ist doch

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    der falschflunkerigste Umpfsinn, den ich jemals gehrt habe! Wie kommst du denn darauf? fragte Sophiechen. Wie ich darauf komm? fragte der GuRie zurck und fuchtelte dabei mit der Flasche herum wie ein Dirigent vor einem Symphonieorchester. Du willst doch wohl nicht behaupten, du weit nicht, warum es vlliger Quatsch und Quark wre, wenn man die Blubberblasen nach oben statt nach unten gehen lt. Erst sagst du, das ist falschflunkerig. Und jetzt sagst du, es ist vlliger Quatsch und Quark. Was ist es denn nun? fragte Sophiechen hflich. Beides! antwortete der GuRie triumphierend. Es ist falschflunkerig und vlliger Quatsch und Quark, die Blubberblschen nach oben steigen zu lassen. Wenn du

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    nicht mal das kapierst, mut du blind sein wie eine Fleder-laus! Ach du meine Tte, dein Kopf hat ja ein Rad ab. Ich kriege das groe Zittern, wenn ich hre, da du dir so was berhaupt ausdenken kannst. Und warum drfen denn die Blschen nicht nach oben steigen? fragte Sophiechen. Das will ich dir sagen, verkndete der GuRie. Aber sag du mir erst mal, wie heit Blubberwasser denn bei euch? Das heit bei uns Cola, sagte Sophiechen, oder Selters oder Limo oder Brause. Das ist ganz verschieden. Und bei allen steigen die Blubberblasen nach oben? Ja, bei allen, sagte Sophiechen. Knatterstrofal! sthnte der GuRie. Aufsteigende Blub-berblasen sind eine einzige Knatterstrofe! Und warum, bitte? fragte Sophiechen. Wenn du gut zuhrst, will ich es dir verklren, sagte der GuRie. Aber du hast ja Gips statt Grips im Kopf. Des-halb kannst du das wohl kaum verstehen. Ich werde mich bemhen, sagte Sophiechen geduldig. Na gut. Dann also. Wenn du euern Colasaft da trinkst, sagte der GuRie, dann gluckert der doch direkt nach un-ten in deinen Bauch. Stimmts oder hab ich recht? Genau, sagte Sophiechen. Und diese Blubberblasen, die gehen doch mit nach unten in deinen Magen. Stimmts oder hab ich recht? Genau, sagte Sophiechen. Und die Blubberblasen bizzeln nun nach oben? Natrlich tun sie das, antwortete Sophiechen.

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    Das heit ja, sagte der GuRie, sie zischprickeln im Hals nach oben und raus aus dem Mund und machen dabei einen ekelmigen rpelrlpshaften Brpp! Das kann schon mal vorkommen, sagte Sophiechen. Aber ab und zu ein kleines Rlpserchen ist doch nichts Schlimmes. Das ist doch lustig. Brllpsen ist schweinlich, sagte der GuRie. Wir Riesen tun so was nie und Null. Aber was ihr immer trinkt, sagte Sophiechen, wie war noch der Name? Blubberwasser, sagte der GuRie. Also, wenn man euer Blubberwasser trinkt, sagte So-phiechen, dann gehen doch die Blschen im Bauch nach unten, und das knnte ja noch viel peinlichere Folgen ha-ben. Wieso peinlich? wollte der GuRie wissen. Weil, sagte Sophiechen und wurde ein bichen rot, wenn sie nach unten gehen statt nach oben, dann kom-men sie an einer ganz anderen Stelle heraus, und das klingt wesentlich lauter und unanstndiger. Ein Furzelbaum! rief der GuRie und strahlte vor Freu-de. Wir Riesen lassen dauernd Furzelbume sausen. Furzeln ist ein Zeichen von Zufriedenheit. In unseren Oh-ren ist das Musik! Du willst doch wohl nicht behaupten, da so ein kleines Furzelbumchen verboten ist bei den menschlichen Leberwesen. Es gilt als uerst unanstndig, sagte Sophiechen. Aber manchmal mut du doch selber auch furzeln oder etwa nicht? fragte der GuRie.

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    Furzeln, oder wie du das nennst, mssen alle, sagte So-phiechen. Knige mssen furzeln, und Kniginnen ms-sen auch furzeln. Staatsprsidenten mssen furzeln. Be-rhmte Filmstars mssen furzeln. Und die kleinen Babies mssen auch furzeln. Aber in meinem Heimatland ist es ungezogen, darber zu reden. Ist ja krcherlich! sagte der GuRie. Wo doch alle ihre Furzelbume in die Luft gehen lassen, warum darf man dann nicht darber reden? Jetzt trinken wir erst mal einen anstndigen Schluck von diesem kstlichen Blubberwas-ser, und dann wirst du sehen, was dabei herauskommt. Und nun schttelte der GuRie krftig die Flasche, da der grnliche Inhalt nur so blubberte und bizzelte, dann zog er den Korken heraus und tat einen gewaltigen glucksenden Schluck. Das schlotzt nur so runter! sagte er. Ich mag das so gerne. Ein paar Augenblicke lang verharrte der Gute Riese im Ste-hen, immer deutlicher zeichnete sich auf seinem langgezo-genen Faltengesicht so etwas wie ein seliges Lcheln ab. Pltzlich tat sich ihm das Himmelreich auf, und er lie eine Folge von Tnen ab, wie sie Sophiechen so laut und so unanstndig noch nie in ihrem Leben gehrt hatte. Das Donnergrollen brach sich an den Hhlenwnden und lie die Glser auf den Regalen klirren. Was aber am strksten war: die Explosionen rissen den baumlangen, stmmigen Riesen aus dem Stand in die Lfte wie eine Rakete. Juhuu! jauchzte er, als er wieder auf dem Boden landete. Da siehst du mal, wie schn ein Furzelbaum ist.

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    Sophiechen prustete vor Lachen. Sie konnte es einfach nicht unterdrcken. Trink du auch mal was! rief der GuRie und hielt ihr den gewaltigen Flaschenhals hin. Knntest du mir bitte einen Becher geben? bat Sophie-chen. Becher nein. Nur Flasche. Sophiechen sperrte den Mund auf, und der GuRie hielt die Flasche schn schrge und trpfelte ihr ein wenig von dem tollen Blubberwasser ein. Und das schmeckte vielleicht gut! So s und erfrischend! Nach Vanille schmeckte es und nach Sahne mit einem zarten Hauch von Himbeeren. Aber das schnste waren die Blubberblschen. Sophiechen fhlte, wie sie in ihrem Bauch sprudelten und sprhten ein wahnsinnig komisches Gefhl. Es war ein Gefhl, als ob Hunderte von winzigen Tnzern Hopsasa tanzen und sie von innen mit ihren noch viel winzigeren Fchen kit-zeln wrden. Und das war herrlich. Herrlich ist das! rief sie. Abwarten! sagte der GuRie und wedelte mit den Segel-ohren. Sophiechen sprte, wie die Blschen in ihrem Bauch im-mer tiefer nach unten rieselten, immer weiter nach unten, bis es pltzlich und unvermeidlich losknallte. Die Posaune erscholl, und auch bei Sophiechen gab es ein Echo in der Hhle teils Orgelgetn, teils Donnergedrhn. Ja bravo! rief der GuRie und schwenkte die Flasche. Fr einen Anfnger kannst du das ausgezeichnet! Komm, wir nehmen noch mal einen Schluck!

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    Die Reise ins Traumland

    Als die ausgeflippte Blubberwasserparty vorbei war, lie Sophiechen sich wieder auf dem kolossalen Tisch nieder. Gehts dir jetzt besser? fragte der GuRie. Ja, danke: viel besser, sagte Sophiechen. Immer wenn ich mich ein bichen schrottig fhle, sagte der GuRie, la ich mir ein paar Schluck Blubberwasser reingluckern, und schon bin ich wieder quietschmops-fidel. Ich finde auch: das mu man einfach erlebt haben, sagte Sophiechen. Das ist so was Ratzfetziges! sagte der GuRie. So was Klassegeiles! Damit drehte er sich um und klabasterte durch die Hhle, um sein Traumfangnetz zu holen. Ich galoppier jetzt mal los, sagte er, und fang mir ein paar neue Schickerschocker Trume fr meine Traumothek. Das tu ich jeden Tag. Hast du Lust zum Mitkommen? Oh, nein danke: ich doch nicht, sagte Sophiechen. Drauen lauern doch die anderen Riesen auf mich! Ich verkuschel dich ganz, ganz gemtlich in meiner Westentasche, sagte der GuRie. Dann sieht dich kei-ner. Sophiechen konnte sich gar nicht dagegen wehren, so schnell hatte der Gute Riese sie von der Tischplatte geholt und in seine Westentasche geschoben. Da gab es schn viel Platz. Hast du Lust auf ein kleines Linse-Loch zum Hin-auslinsen? fragte er sie. Ich habe schon eins gefunden, sagte sie. Tatschlich

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    hatte sie in der Tasche ein winziges Loch entdeckt, durch das sie mit einem Auge sehr gut hinauslinsen konnte. Sie sah, wie der GuRie sich bckte und seinen Koffer mit lee-ren Glsern vollpackte. Dann klappte er den Deckel zu, ergriff mit der einen Hand den Koffer, mit der anderen Hand die Stange mit dem Fangnetz und ging zum Hhlen-ausgang. Sobald er unter freiem Himmel war, trabte er ber das weite, heie, gelbe Wstenland mit seinen blauen Felsen und abgestorbenen Bumen, wo die anderen Riesen her-umlungerten. Sophiechen hockte in der Tasche der Lederweste und prete ihr eines Auge gegen das kleine Loch. So konnte sie die Horde der kolossalen Riesen in einer Entfernung von ungefhr dreihundert Metern erkennen. Jetzt halt die Luft an! flsterte ihr der GuRie zu. Drck uns die Flaumen! Jetzt wirds aber hoppla! Denn jetzt ge-hen wir haarscharf an diesen Riesen vorbei. Siehst du den einen rasend Groen da, der am nchsten ist zu uns? Ja, den seh ich, flsterte Sophiechen zurck, wobei sie zitterte. Das ist der Schlimmste von allen. Und der Grte. Er heit Fleischfetzenfresser. Von dem will ich kein Sterbenswrtlein hren! sagte So-phiechen. Er ist sechzehn Meter dreiundzwanzig gro, murmelte der GuRie, whrend er weiterzockelte. Und der putzt menschliche Leberwesen weg, wie andre Leute Wrfel-zucker essen: immer gleich zwei oder drei auf einmal.

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    Du machst mich nervs, sagte Sophiechen. Nervs bin ich auch, wisperte der GuRie. Ich kriege immer das groe Hopsen wie eine Heuschrecke, wenn der Fleischfetzenfresser in der Gegend ist. La ihn blo nicht zu nahe kommen! flehte Sophie-chen. Geht nicht, sagte der GuRie. Der galoppiert nmlich lssig doppelt so schnell wie ich. Und wenn wir umkehren? bat Sophiechen. Umkehren ist noch schlimmer, sagte der GuRie. Wenn die mich wegrennen sehen, dann machen sie erst recht Hetzjagd auf mich und schmeien mit Felsbrocken. Aber fressen wrden sie dich nicht, oder? wollte Sophie-chen wissen. Riesen essen keine Riesen, sagte der GuRie. Sie streiten und zanken und hauen sich auch. Aber essen? Nie! Menschliche Leberwesen haben viel besseren Geschmack fr sie. Die Riesen hatten den GuRie lngst gesichtet. Alle hatten den Kopf nach ihm herumgedreht und beobachteten ihn, wie er da entlangschlenderte. Er legte es darauf an, in wei-tem Abstand rechts an der Horde vorbeizukommen. Durch ihr winziges Guckloch konnte Sophiechen erken-nen, da der Fleischfetzenfresser sich seitwrts trollte, um dem GuRie den Weg abzuschneiden. Er lie sich schn Zeit. Ganz gemtlich trabte er ausgerechnet auf eine Stelle zu, an der auch der GuRie vorbeikommen mute. Und die anderen Riesen trabten hinterdrein. Es waren insgesamt neun, wie Sophiechen zhlen konnte. Blutschlucker war

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    auch dabei. Sie langweilten sich. Sie wuten nicht, was sie tun sollten bis zum Dunkelwerden. Etwas Bedrohliches ging von ihnen aus, als sie da so schleppend ber das platte Land trabten mit groen, schlaksigen Schritten genau auf den GuRie zu. Da kommt ja unser Schweineknirps! grlte der Fleisch-fetzenfresser. Hey, du da! Schweineferkel, du! Wohin verdrckst du dich? Warum so eilig? Er streckte seinen gigantischen Arm aus und packte den GuRie bei den Haa-ren. Der GuRie wehrte sich nicht. Er hielt einfach an, blieb stehen und sagte: Sei so lieb und la meine Haare los, Fleischfetzenfresser. Da lie der Fleischfetzenfresser ihn los und trat einen Schritt zurck. Die anderen Riesen standen rundherum und warteten, wann der Spa endlich losgehen wrde. Also, du kleine Gurkengurgel, du! brllte der Fleisch-fetzenfresser. Wir wollen wissen, wo du jeden Morgen hingaloppierst. Keiner darf losgaloppieren, bevor es dun-kel wird. Die menschlichen Leberwesen knnen dich leicht entdecken und fangen eine Riesenjagd an, und das haben wir gar nicht gern, oder? Nein, gar nicht! brllten die anderen Riesen. Zurck in deine Hhle, Schweineferkel! Aber ich galoppier doch gar nicht zu den menschlichen Leberwesen, sagte der GuRie. Ich geh ja ganz woan-dershin! Ich glaub, sagte der Fleischfetzenfresser, du fngst dir schnuckelige kleine menschliche Leberwesen und nimmst sie als Haustiere mit in deine Hhle.

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    Richtig! schrie da der Blutschlucker. Vorhin hab ich selber gehrt, wie er mit einem von ihnen in seiner Hhle gebrabbelt hat! Ihr seid alle herzlich eingeladen und drft meine ganze Hhle durchwhlen, sprach der GuRie. Guckt doch selber nach in allen Winkeln und Enkeln! Da sind keine menschlichen Leberwesen und keine unmenschlichen Le-berwesen, sondern berhaupt keine Leberwesen! Sophiechen kauerte mucksmuschenstill beim GuRie in der Westentasche. Sie wagte kaum zu atmen. Wenn sie

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    jetzt nur nicht niesen mute! Das leiseste Gerusch oder die geringste Bewegung wrde sie verraten. Durch das kleine Guckloch sah sie, wie die Riesen sich um den armen GuRie zusammenrotteten. Wie abscheulich die aussahen! Alle hatten kleine Schweinsuglein und malose Muler und wulstige Wurstlippen. Wenn der Fleischfetzenfresser sprach, konnte sie manchmal seine Zunge sehen. Die war kohlrabenschwarz wie ein riesiges verkohltes Schnitzel. Und alle diese Riesen waren mindestens doppelt so gro wie der GuRie.

  • 84

    Ruckzuck lie der Fleischfetzenfresser seine gewaltigen Pranken durch die Luft sausen und packte damit den GuRie in der Mitte. Er schleuderte ihn hoch empor und schrie: Fang ihn, Menschenpresser! Und der Menschenpresser fing ihn hchst unsanft auf. Die brigen Riesen stellten sich sofort in einem groen Kreis auf, immer im Abstand von rund zwanzig Metern. So konnten sie ihr Spielchen spielen, das ihnen soviel Freude machte. Und dann schmi der Menschenpresser den GuRie in hohem Bogen durch die Luft und brllte: Los, Knochenknacker, fang ihn! Der Knochenknacker rannte los und schnappte sich den GuRie im Fluge, schleuderte ihn sofort wieder hoch und rhrte dazu: Fang ihn dir, Kinderkauer! Und so ging es die ganze Zeit. Die Riesen spielten Ball mit dem GuRie, und sie wetteiferten miteinander, wer ihn wohl am hchsten werfen konnte. Sophiechen krallte sich krampfhaft am Taschenfutter fest, um nicht herauszufal-len, wenn sie koppheister durch die Luft flog. Sie hatte das Gefhl, als ob sie in einer Tonne den Rheinfall bei Schaff-hausen hinunterpolterte. Und natrlich war jeden Mo-ment zu befrchten, da mal ein Riese nicht richtig fngt und der GuRie dann ganz bel auf den Boden kracht. Fang ihn, Hackepeter! Fang ihn, Klumpenwrger! Fang ihn, Mdchenmampfer! Fang ihn, Blutschlucker! Fang ihn! Fang ihn! Fang ihn auf! Und dann hatten sie pltzlich keine Lust mehr zu diesem

  • 85

    Ballspiel. Den armen GuRie lieen sie einfach auf die Erde plumpsen. Da lag er nun: ganz benommen und zerzaust. Die Riesen stupsten ihn ein paarmal an und riefen: Los, steh auf und hau ab, du kleiner Schweineknilch! La mal sehen, wie schnell du galoppieren kannst! Und da rannte der GuRie, so schnell er konnte. Was htte er denn sonst auch tun sollen? Die Riesen hoben Felsbrocken auf und warfen sie hinter ihm her. Zum Glck konnte er ihnen im-mer gerade noch ausweichen. Sauber, sauber, kleiner Sau-kerl! johlten sie. Tricky, tricky, kleiner Trottel! Knallig, krallig, kleine Krabbe! Bedripster Dreckzwerg! Beknack-ter Knallkopp! Behmmerter Hampelmann! Schlielich kam der GuRie auer Reichweite, und ein paar Minuten spter war die Riesen-Meute auch schon hinter dem Horizont verschwunden. Sophiechen streckte ihren Kopf oben aus der Tasche heraus und sagte: Das hat mir aber gar nicht gefallen. Puh! keuchte der GuRie. Das war knapp! Die haben vielleicht eine Laune heute! Ganz bse! Tut mir leid, da du in so einem Wirbel mitgezwirbelt bist. Du hast ja dasselbe durchgemacht, sagte Sophiechen. Wrden die dich denn auch mal richtig fallen lassen, so da du verletzt wirst? Kann man nie wissen, sagte der GuRie. Wie fangen sie denn eigentlich die Menschen, die sie auf-essen? fragte Sophiechen. Meistens langen sie mit einem Arm durch das Schlafzim-merfenster und schnappen sich einen aus dem Bett, sagte der GuRie.

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    Genau wie du es mit mir gemacht hast. Na ja, aber ich e dich doch nicht, sagte der GuRie. Und wie fangen sie sich sonst noch welche? fragte So-phiechen. Manchmal, sagte der GuRie, schwimmeln sie im Meer wie Fische, nur die Kpfe gucken raus. Und pltzlich taucht eine haarige Pranke auf und grapscht sich einen vom Strand weg. Auch Kinder? Kinder sehr oft, sagte der GuRie. Sogar kleine Kinder, die im Sand spielen und eine Burg bauen. Die Riesen, die im Meer schwimmeln, sind ganz wild darauf. Kleine Kin-der, sagt der Kinderkauer, sind nicht so zh wie alte Omas. Whrend die beiden so miteinander sprachen, galoppierte der GuRie mit hoher Geschwindigkeit dahin. Sophiechen stand jetzt aufrecht in seiner Westentasche und hielt sich mit beiden Hnden an der Oberkante fest. Kopf und Schultern schauten heraus, und in ihren Haaren pfiff der Wind. Und wie fangen sie sonst noch welche? fragte sie. Jeder hat seine Spezialmethode, wie er sich Leberwesen angelt, sagte der GuRie. Der Hackepeter zum Beispiel tut am liebsten so, als ob er ein groer Baum wre, der in einem Park wchst. Wenn es dunkel wird, stellt er sich auf eine Wiese und hlt sich viele ste und Zweige ber den Kopf. So wartet er ab, bis ein paar frhliche Familien an-spaziert kommen und unter seiner schnen Baumkrone ein Picknick veranstalten. Der Hackepeter beobachtet genau,

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    wie die da unten all die guten Sachen zum Essen und zum Trinken ausbreiten. Und dann strzt er sich auf die Leber-wesen, und weg sind sie. Das ist ja furchtbar! rief Sophiechen. Der Klumpenwrger geht gern in die Stadt, erzhlte der GuRie weiter. Hoch oben zwischen den Huserdchern legt er sich auf die Lauer und glotzt in aller Ruhe nach unten auf die Strae, wo die menschlichen Leberwesen herumlaufen. Und wenn er welche sieht, die appeltitlich aussehen, dann schnappt er sich die. Er streckt einfach den Arm aus und holt sich so ein Leberwesen von der Strae wie Affen eine Kokosnu aus dem Sand. Er sagt, es macht Spa, wenn man sich aussuchen kann, was man am liebsten mag. Er nennt das: Allah karrte Essen. Sieht ihn denn keiner, wenn er das tut? fragte Sophie-chen. Nein, keiner. Du mut ja denken, da es dann schon schummrig ist. Auerdem hat der Klumpenwrger einen schnellen Arm. Der zuckt so schnell hin und her wie ein gelter Blitz. Aber wenn jeden Abend so viele Menschen verschwin-den, dann fllt das doch auf! sagte Sophiechen. Die Welt ist ganz schn gro, sagte der GuRie. Da gibt es ber hundert verschiedene Lnder. Und die Riesen sind schlau. Sie passen auf, da sie nicht zu oft in dasselbe Land gehen. Mal sind sie hier und mal sind sie da. Aber trotzdem sagte Sophiechen. Und nicht vergessen, sagte der GuRie, die mensch-lichen Leberwesen verschwinden berall und immerzu,

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    auch wenn die Riesen sie nicht fressen. Die menschlichen Leberwesen machen sich ge