5 Festigkeit und Festigkeitsentwick- lung von Beton · Bild II.5.1-1 zeigt die Ver- ......

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5 Festigkeit und Festigkeitsentwick- lung von Beton 5.1 Festigkeit 5.1.1 Festigkeitsarten Der Widerstand eines Körpers gegen verformende oder tren- nende mechanische Beanspruchungen wird als „Festigkeit“ bezeichnet. Die Festigkeit ist die wichtigste Bemessungsgröße für Baustoffe in tragenden Bauteilen. Sie wird an Probekörpern in Kraft-Verformungs-Versuchen ermittelt, wobei die erzielte Höchstlast die Festigkeit definiert und i. d. R. in der Einheit N/mm 2 angegeben wird. Die in Tafel II.5.1-1 aufgeführten wesentlichen Festigkeitsarten werden zur Charakterisierung des Baustoffs Beton häufig benötigt und durch Prüfungen ermittelt. In den folgenden Abschnitten II.5.1.2 und II.5.1.3 werden die Prüfung und die Bedeutung der aufgelisteten Festigkeiten für den Baustoff Beton näher erläutert. Neben der Art der Belastung hängt die Festigkeit auch von deren zeitlicher Entwicklung ab (Tafel II.5.1-2). Das übliche Belastungsspektrum für tragende Bauteile, das „unendlich oft“ oder „unendlich lange“ ertragen werden soll, besteht aus einem mittleren Belastungsniveau, zum Beispiel infolge Eigenlast, und aus wechselnden Beanspruchungen unterschiedlicher Größe, zum Beispiel infolge Verkehrs-, Schnee- oder Windlast. Da die wechselnden Beanspruchungen eines Bauteils in der Regel in unregelmäßiger Folge auftreten, spricht man von „Betriebs- festigkeit“ eines Bauteils. 5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 309

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5 Festigkeit und Festigkeitsentwick-lung von Beton

5.1 Festigkeit

5.1.1 Festigkeitsarten

Der Widerstand eines Körpers gegen verformende oder tren-nende mechanische Beanspruchungen wird als „Festigkeit“bezeichnet. Die Festigkeit ist die wichtigste Bemessungsgrößefür Baustoffe in tragenden Bauteilen. Sie wird an Probekörpernin Kraft-Verformungs-Versuchen ermittelt, wobei die erzielteHöchstlast die Festigkeit definiert und i. d. R. in der EinheitN/mm2 angegeben wird.

Die in Tafel II.5.1-1 aufgeführten wesentlichen Festigkeitsartenwerden zur Charakterisierung des Baustoffs Beton häufigbenötigt und durch Prüfungen ermittelt. In den folgendenAbschnitten II.5.1.2 und II.5.1.3 werden die Prüfung und dieBedeutung der aufgelisteten Festigkeiten für den Baustoff Betonnäher erläutert.

Neben der Art der Belastung hängt die Festigkeit auch von deren zeitlicher Entwicklung ab (Tafel II.5.1-2). Das üblicheBelastungsspektrum für tragende Bauteile, das „unendlich oft“oder „unendlich lange“ ertragen werden soll, besteht aus einemmittleren Belastungsniveau, zum Beispiel infolge Eigenlast, undaus wechselnden Beanspruchungen unterschiedlicher Größe,zum Beispiel infolge Verkehrs-, Schnee- oder Windlast. Da diewechselnden Beanspruchungen eines Bauteils in der Regel inunregelmäßiger Folge auftreten, spricht man von „Betriebs-festigkeit“ eines Bauteils.

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Der Widerstand des Baustoffs nimmt in der Rangfolge Kurz-zeitfestigkeit, Dauerstandfestigkeit, Betriebsfestigkeit ab. DieBemessung von Betonbauteilen erfolgt nach DIN 1045-1 auf derBasis der Betondruckfestigkeit (Kurzzeitdruckfestigkeit). Dauer-stand- und Betriebsfestigkeit werden dabei für übliche Bemes-sungen durch entsprechend gewählte Bemessungswerte derBetondruckfestigkeit berücksichtigt.

Im Folgenden wird nur auf die kurzzeitige Druck- und Zug-festigkeit von Beton unter einaxialer Beanspruchung eingegan-gen. Angaben zur mehraxialen Festigkeit von Beton sind bei-spielsweise in [CEB1, Kup1, Sch9, Guo1, Dia1] zu finden. DerEinfluss von Dauerbelastungen, Wechselbelastungen sowie vonhohen und niedrigen Temperaturen ist in [Hil1, Wes1] darge-stellt.

5.1.2 Druckfestigkeit von Beton

Für die Beurteilung der Betonfestigkeit ist im Allgemeinen die28-Tage-Druckfestigkeit maßgebend. In besonderen Fällen kann

310 II Beton

Tafel II.5.1-1: Festigkeitsarten zur Charakterisierung desBaustoffs Beton

Festigkeitsart Probekörper

Druckfestigkeit Würfel, Zylinder

zentrische Zugfestigkeit Zylinder

Biegezugfestigkeit Balken

Spaltzugfestigkeit Zylinder, Würfel, Balken

Haftzugfestigkeit bzw. kreisförmig freigebohrte Abreißfestigkeit Prüfflächen

auch die Festigkeit im Alter von einigen Stunden oder Tagen(Frühfestigkeit) maßgeblich sein. Dies ist zum Beispiel der Fallbei der Festlegung von Terminen zum Aufbringen der Vorspan-nung oder zum Ausschalen bzw. Aufbringen früher Belastungenoder zur Abschätzung eines ausreichenden Frostwiderstands imjungen Alter (s. Abschnitt II.5.5). Für Sicherheitsbetrachtungensowie für die nachträgliche Ermittlung der Betonfestigkeits-klasse, aber auch für Bauteile, für die eine bestimmte Festigkeiterst in späterem Alter gefordert wird, ist demgegenüber dieNacherhärtung bedeutsam (s. Abschnitt II.5.4.2).

Während die 28-Tage-Druckfestigkeit in der Regel an gesonderthergestellten Probekörpern nach normgemäßer Lagerung be-stimmt wird, ist für den Nachweis der Frühfestigkeit der tatsäch-liche Erhärtungszustand des Betons im Bauteil zu ermitteln.Dies kann an gesondert hergestellten Probekörpern erfolgen,deren Lagerungstemperatur entsprechend der Bauwerkstempera-tur gesteuert wird, oder durch zerstörende oder zerstörungsfreiePrüfungen am Bauwerk. Zu letzteren gehören zum Beispiel diemechanische Prüfung mit dem Rückprallhammer oder die

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 311

Tafel II.5.1-2: Festigkeitsarten von Beton in Abhängigkeitvon der zeitlichen Entwicklung der Belastung

Festigkeitsart Art der Belastung

Kurzzeitfestigkeit einmalige kurzzeitige Belastung

Dauerstandfestigkeit dauernde konstante Belastung

Dauerschwellfestigkeit von Null auf einen Höchstwert ständig wechselnde Belastung

Dauerschwingfestigkeit um einen Mittelwert schwingende Lastwechsel zwischen Ober- und Unterlast unter Druckbelastung

Ermittlung der Festigkeit in Abhängigkeit von dem am Bauteilgemessenen Temperaturverlauf (s. Abschnitt II.5.4.1).

In DIN EN 206-1/DIN 1045-2 erfolgt die Einteilung der Betonein Festigkeitsklassen, denen die 28-Tage-Druckfestigkeit zu-grunde liegen (s. Tafeln IV.3-8 und IV.3-9).

Die Druckfestigkeit fc von Beton wird in der Regel an gesonderthergestellten Probekörpern bestimmt. Üblich sind Würfel von150 mm Kantenlänge (fc,cube) oder Zylinder mit 150 mm Durch-messer und 300 mm Höhe (fc,cyl), die nach in DIN 1048 genorm-tem Verfahren hergestellt und geprüft werden. Die Festigkeit bei Prüfung im Alter von 28 Tagen, d. h. das 5 % Quantil nachstatistischer Auswertung der Prüfergebnisse, wird als charakteri-stische Mindestdruckfestigkeit fck bezeichnet.

Die im einachsialen Druckversuch ermittelte Festigkeit fc wirdberechnet nach

fc = max σ D = [Gl.II.5.1-1]

max σ D = größte Druckspannungmax F = HöchstdruckkraftA = Ausgangsquerschnitt

Das Versagen von Beton unter einachsialer Druckbeanspruchungwird durch Zugspannungen zwischen Matrix und Gesteins-körnung verursacht (s. Abschnitt II.3). Das Maß einer Quer-dehungsbehinderung bei der Prüfung beeinflusst deshalb dasMessergebnis, beispielsweise den Unterschied zwischen Würfel-und Zylinderdruckfestigkeit.

Wenn nicht anders vereinbart, wird die Druckfestigkeit an Pro-bewürfeln mit 150 mm Kantenlänge fc, dry, cube ermittelt, die nachdem nationalen Anhang zur DIN EN 12390-2 einen Tag in ihrerForm verbleiben, sechs Tage wassergelagert und anschließend

lmax Fl

A

312 II Beton

bis zum Prüftermin luftgelagert werden (bisherige Lagerung nachDIN 1048-5). Die Druckfestigkeit an Probewürfeln mit 150 mmKantenlänge fc, cube, die entsprechend dem ReferenzverfahrenDIN EN 12390-2 bis zum Prüftermin wassergelagert werden,kann aus der Druckfestigkeit fc, dry, cube berechnet werden. DieUmrechnungsfaktoren sind von der Betonfestigkeitsklasseabhängig:

Normalbeton bis zur Festigkeitsklasse C55/67 fc, cube = 0,92 · fc, dry, cube [Gl.II.5.1-2]

Hochfester Normalbeton ab Festigkeitsklasse C60/75 fc, cube = 0,95 · fc, dry, cube [Gl.II.5.1-3]

Die Druckfestigkeit kann auch an 100-mm-Würfeln ermitteltwerden. Der durch die Würfelabmessungen bedingte Unter-schied der ermittelten Druckfestigkeit wird dabei mit Hilfe einesin DIN EN 1045-2 enthaltenen Gestaltfaktors berücksichtigt.

fc, dry (150 mm) = 0,97 · fc, dry (100 mm) [Gl.II.5.1-4]

Die Festigkeit im Bauwerk, die durch zerstörende Prüfverfahrennach DIN 1048-4 an Bohrkernen ermittelt wird, kann bis zu ca. 15 % niedrigere Festigkeitswerte liefern als die an gesonderthergestellten Prüfkörpern bestimmte Festigkeit. Ursache dafürsind unter anderem die häufig geringere Verdichtung oder beimassigen Bauteilen die erhöhte Erhärtungstemperatur. Bei denaus Bauteilen entnommenen Prüfkörpern soll die geringste Prüf-körperabmessung das 3fache des Größtkorns der Gesteinskör-nung nicht unterschreiten.

Durch zerstörungsfreie Prüfverfahren nach DIN 1048 Teil 2 undTeil 4 mit dem Rückprallhammer bzw. nach DIN ISO 8047 mitdem Ultraschallprüfgerät sind überschlägige Prüfungen der Bau-werkfestigkeit möglich. Diese Verfahren erlauben eine Erfas-sung der Festigkeitsänderungen und eine Abgrenzung verschie-dener Betonbereiche im Bauwerk.

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 313

5.1.3 Zugfestigkeit von Beton

Das Verhalten von Beton unter Zugbeanspruchung kann entwe-der im zentrischen Zugversuch oder alternativ im Spaltzug- bzw.Biegezugversuch bestimmt werden. Bild II.5.1-1 zeigt die Ver-fahren zur Bestimmung der Betonzugfestigkeit.

Die Festigkeit unter zentrischer Zugbeanspruchung fct wirdberechnet nach

fct = max σ z = [Gl.II.5.1-5]

max σ z = größte Zugspannungmax F = HöchstzugkraftA = Ausgangsquerschnitt

Für die Prüfung der zentrischen Zugfestigkeit ist es zweck-mäßig, den Querschnitt der Probekörper im mittleren Bereich zuverjüngen, um den Bruch in diesem Bereich zu erzwingen. Indiesem Bereich kann von einem nahezu einachsigen Spannungs-zustand ausgegangen werden. Die zentrische Zugfestigkeit vonBeton liegt etwa zwischen 1,5 und 4 N/mm2.

Zur Ermittlung der Spaltzugfestigkeit fct, sp werden Probekörperauf zwei gegenüberliegenden parallelen Linien ihrer Oberflächen-begrenzung bis zur Spaltung belastet. Dabei treten in Richtungder Lastebene Druck-, senkrecht dazu Zugspannungen, also einzweiachsiger Spannungszustand auf. Die so ermittelte Spalt-zugfestigkeit mit Werten zwischen 2 und 6 N/mm2 [Hil1] liegtdamit geringfügig über denen der zentrischen Zugfestigkeit.

Die Biegezugfestigkeit fct, fl ist die an Balken auf zwei Stützenbis zum Bruch erreichte Höchstbiegespannung, die in der Regeldurch eine mittige Einzellast (3-Punkt-Biegeversuch) oder durchzwei symmetrische Einzellasten (4-Punkt-Biegeversuch) erzeugtwurde. Bei Beton mit einer gegenüber der Druckfestigkeitwesentlich geringeren Zugfestigkeit tritt der Bruch durch Versa-

lmax Fl

A

314 II Beton

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 315

F

F

300

150Maße in mm

Zugσ

Zentrische Zugfestigkeit

fct =4 · F

π · d2

fct Zugfestigkeit in N/mm2

F Höchstlast in Nd Durchmesser des Zylinders in mm

F

Lastver-teilungs-streifen5 x 10

ZugσDruckσMaße in mm150

300

Spaltzugfestigkeit

fct,sp =2 · F

π · d · l

fct,sp Spaltzugfestigkeit in N/mm2

F Höchstlast in Nd Durchmesser des Zylinders in mml Länge des Zylinders in mm

mm2

F2

F2

Biegezugfestigkeit

fct,fl Biegezugfestigkeit in N/mm2

F Höchstlast in Nl Stützweite des Balkens in mmb Breite des Balkens im Bruchquer-

schnitt in mmh Höhe des Balkens im Bruchquer-

200 200 20050 50

150

Maße in mm

Zugσ

Druckσ

fct,fl =F · l

b · h2

schnitt in mm

Bild II.5.1-1: Verfahren zur Bestimmung der Betonzug-festigkeit

gen der Zugzone ein. Die Biegezugfestigkeit ist ungefähr dop-pelt so groß wie die zentrische Zugfestigkeit. Die Biegezug-festigkeit üblicher Betone liegt etwa zwischen 3 und 8 N/mm2

[Hil1] und ist maßgeblich für auf Biegezug beanspruchte, unbewehrte bzw. schwach bewehrte Betonbauteile, wie zumBeispiel Betonfahrbahnplatten, Estriche, Gehwegplatten.

Näherungsweise kann die mittlere Zugfestigkeit fctm von Normal-beton nach DIN 1045-1 aus der Druckfestigkeit berechnet werden:

fctm = 0,30 · fck2/3 [Gl.II.5.1-6]

bis Festigkeitsklasse C50/60 und

fctm = 2,12 · ln(1 + (fck + 8)/10)) [Gl.II.5.1-7]ab Festigkeitsklasse C55/67

Die mittlere Zugfestigkeit von Leichtbeton flctm kann unter Be-rücksichtigung des Beiwerts η 1 mit Gleichungen Gl.II.5.1-6 undGl.II.5.1-7 berechnet werden:

flctm = η 1 · fctm [Gl.II.5.1-7]wobei

η 1 = 0,40 + 0,60 · ρ / 2200 [Gl.II.5.1-8]mit ρ in kg/m3.

5.2 Einflüsse auf die FestigkeitsentwicklungEine Zusammenstellung der Einflüsse auf die Betondruckfestig-keit zeigt Bild II.5.2-1.

Fast alle Festbetoneigenschaften werden von der Zusammenset-zung der Matrix und dabei maßgebend vom Zementsteinporen-raum, d. h. insbesondere vom Wasserzementwert und vomHydratationsgrad, bestimmt. Bild II.5.2-2 zeigt beispielhaft denEinfluss des Wasserzementwerts auf die absolute und auf dierelative Festigkeitsentwicklung. Ein niedrigerer Wasserzement-wert führt nicht nur zu einer größeren Festigkeit nach 28 Tagen

316 II Beton

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 317

Betondruckfestigkeit

Gesteinskörnung

KornfestigkeitKornformKornoberflächeSieblinie

KontaktzoneMatrix-Gesteinskörnung

Matrix

Hydratationsgrad

Alter, Feuchtigkeit, Temperatur

Wasserzementwert

Betonzusatzstoffe

Art, Gehalt, Granulometrie

Zement

Art, Gehalt, Festigkeitsklasse

PorenraumGelporen, Kapillarporen und

Verdichtungsporen

künstlicheLuftporen

Poren infolgeBlutens

Bild II.5.2-1: Wesentliche Einflüsse auf die Betondruck-festigkeit

(Bild II.5.2-2 (a)), sondern auch zu einer schnelleren Festigkeits-entwicklung (Bild II.5.2-2 (b)) [Wis6, Mey2]. Die Druckfestig-keitsentwicklung wird weiterhin durch schnellere Hydratationbeschleunigt. Der Hydratationsfortschritt steigt beispielsweisedurch feinere Mahlung der Zemente, bei höherer Zementfestig-keitsklasse, durch höhere Reaktivität der Betonzusatzstoffe unddurch höhere Temperatur, zum Beispiel infolge Hydratations-wärme.

Zu den übrigen Einflussgrößen auf die Betondruckfestigkeitnach Bild II.5.2-1, z. B. zum Einfluss der Gesteinskörnung

318 II Beton

Alter in Tagen( -Maßstab)√

60

00 31 7 28 91

10

20

30

40

50

Druc

kfesti

gkeit

in N

/mm

2

w/z = 0,40w/z = 0,60w/z = 0,80

Alter in Tagen( -Maßstab)√

120

00 31 7 28 91

20

40

60

80

100

Druc

kfesti

gkeit

nac

h 28

d in

%

w/z = 0,40w/z = 0,60w/z = 0,80

a) b)

Bild II.5.2-2: Festigkeitsentwicklung von Betonen mit ver-schiedenen Wasserzementwerten ( CEM I 32,5 R, Zement-gehalt 200, 270 und 400 kg/m3) [Wis6]a) Absolute Werte b) Relative Werte (28 Tage entspricht 100 % Druckfestigkeit)

siehe Abschnitt II.3. Hinweise zum Porenraum sind in Ab-schnitt II.3.3 enthalten. Mit Poren infolge Blutens sind die Porengemeint, die durch Wasserabsetzen unter groben Körnern ent-stehen können [Gru3].

5.3 Festigkeits- und Hydratationswärmeent-wicklung5.3.1 Temperaturverlauf infolge HydratationswärmeDas Erhärten des Betons, das durch die Hydratation des Zements(s. Abschnitt I.4.1.3) verursacht wird, ist ein exothermer Vor-gang. Gleichzeitig mit dem Erhärten wird Wärme freigesetzt, diezu einer Temperaturerhöhung im Bauteil führen kann. ErhöhteTemperatur hat eine beschleunigte Frühfestigkeitsentwicklungdes Betons zur Folge, gleichgültig, ob sie durch einen Zementmit hoher Anfangsfestigkeit, einen erhöhten Zementgehalt,höhere Frischbeton- oder Umgebungstemperaturen oder durcheinen langsamen Wärmeabfluss hervorgerufen wird.

Erhöhte Temperaturen im Bauteil während der Erhärtung haben auch entsprechende Temperaturverformungen zur Folge.Werden diese behindert, so treten Zwangspannungen auf (s. Abschnitt II.6).

Bei entsprechenden Wärmeabflussbedingungen, zum Beispiel indünnen Bauteilen, kann die Hydratationswärme unmittelbar ausdem Beton abfließen, ohne einen spürbaren Temperaturanstiegim Beton zu verursachen. Je kleiner der Wärmeabfluss ist, umsogrößer ist der Temperaturanstieg. So entwickeln sich zum Bei-spiel in dickeren Betonbauteilen (s. Abschnitt II.10.4) oder beiwärmedämmender Schalung bzw. wärmedämmenden Abdeckun-gen vergleichbar höhere Bauteiltemperaturen im gleichen Beton.

Die unterschiedlichen Temperaturbedingungen, unter denen dieHydratation erfolgen kann, werden als isotherme, adiabatischeoder teiladiabatische Bedingungen bezeichnet.

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 319

Bleibt die Temperatur konstant, liegen isotherme Bedingun-gen vor. Bei vollständiger Hydratation wird bei konstan-ter Lagerungstemperatur die Wärmemenge HW freigesetzt (s. Abschnitt I.4.1.3). Die Mittelwerte für HW∞ von den am häu-figsten in Konstruktionsbetonen eingesetzten Zementen unter-scheiden sich nur um ca. 20 % voneinander [Hin1]. Im zeitlichenVerlauf der bei konstanter Lagerungstemperatur von 20 °C frei-gesetzten Hydratationswärmen unterscheiden sich jedoch dieverschiedenen Zementarten und –festigkeitsklassen. Aus TafelII.5.3-1 geht hervor, dass rund 30 bis 50 % der gesamten Wärmeinnerhalb des ersten Tages und rund 50 bis 75 % in den erstensieben Tagen freigesetzt wird. Zemente, die innerhalb der erstensieben Tage in der Prüfung gemäß DIN 1164-8:1978 weniger als 270 J/g Wärme entwickeln, werden nach DIN 1164 alsZemente mit niedriger Wärmeentwicklung (NW-Zemente) be-zeichnet.

Solche isothermen Bedingungen können nur aufrecht erhaltenwerden, wenn eine Wärmemenge entsprechend der durch die

320 II Beton

Tafel II.5.3-1: Richtwerte für die Hydratationswärme vonZementen bestimmt mit dem Lösungskalorimeter nach DIN 1164-8:1978 (isotherme Lagerung, 20 °C)

Hydratationswärme in kJ/kg HW∞ in kJ/kgZement- nach ... Tagen

festigkeits- Portland- Portlandhütten- klasse zement und Hoch-

1 3 7 28 ofenzement

32,5 N 60…175 125…250 150…300 200…375

32,5 R/42,5 N 125…200 200…335 275…375 300…425375…525 355…440

42,5 R/52,5 N200…275 300…350 325…375 375…425

52,5 R

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 321

Hydratation freigesetzten Wärme abgeführt wird. Wenn keineWärme zwischen dem Bauteil und der Umgebung ausgetauschtwird, handelt es sich um adiabatische Temperaturbedingungen,wie sie in etwa im Kern einer Schwergewichtsstaumauer in denersten Stunden nach dem Betonieren vorherrschen. Eine voll-ständige adiabatische Temperaturerhöhung (s. Abschnitt II.5.3.2)im gesamten Bauteil ist in der Praxis nicht möglich, da währendder Erwärmung bereits immer Wärme abfließt (Bild II.5.3-1).

Übliche Bauteilabmessungen führen dazu, dass die Hydratationdes Zements weder unter isothermen noch unter adiabatischenBedingungen abläuft. Der Vorgang ist dadurch gekennzeichnet,dass nur die schnelle Anfangsreaktion unter fast adiabatischenVerhältnissen abläuft [Hub1]. Das Temperaturmaximum wirderreicht, sobald sich ein Gleichgewicht zwischen entstehenderund abfließender Wärmemenge einstellt (Bild II.5.3-2). Derzeitliche Verlauf der Hydratationswärmefreisetzung, der imLabor bei isothermen oder adiabatischen Bedingungen ermitteltwird, stellt, bezogen auf die gleiche Starttemperatur von zumBeispiel 20 °C, für eine bestimmte Mörtel- oder Betonzusam-mensetzung einen definierten unteren und oberen Grenzverlaufdar [Hin1].

5.3.2 Adiabatische Bauteilbedingungen

Zur Vorhersage der Temperaturerhöhung ∆ Tn nach t Tagen imKern dickwandiger Bauteile (nahezu adiabatisch) eignen sichadiabatische Versuche. Die adiabatische Temperaturerhöhung imBauwerk kann unter Berücksichtigung der adiabatisch bis zumuntersuchten Zeitpunkt jeweils ermittelten Hydratationswärmedes Zements Hn(t) (in kJ/kg) näherungsweise wie folgt berech-net werden:

∆ Tn(t) = in K (Kelvin) [Gl.II.5.3-1]lz · Hn(t)l

QB

322 II Beton

50

40

30

20

10

0

Beto

ntem

pera

tur i

n °C

Messstelle

Achs

e der

Wan

d

Scha

lung

50 50 50 50

200 cm

0 bis 5 Tage(ansteigende Temp.)

5 Tage

1 Tag

Messstelle

Scha

lung

50 50 50 50

200 cm

12 bis 42 Tage(abfallende Temp.)

42 Tage

2 Tage

1 Stunde

12 Tage

29 Tage

.

Achs

e der

Wan

d

.

Bild II.5.3-1: Temperaturverlauf in einer 4 m dicken Wandbei Erwärmung infolge Hydratation und nachfolgenderAbkühlung [Bas1]

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 323

Alter des Betons in Tagen

Tem

pera

tura

nstie

g in

K40

30

20

10

0

1 m

6 m

3 m

2 m

Portlandzement CEM I 32,5 R

40

30

20

10

1 m

6 m

3 m

2 m

Hochofenzement CEM III/A 32,5 N

Tem

pera

tura

nstie

g in

K

40

30

20

10

021 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 1413

1 m

6 m

3 m

2 m

adiabatisch teiladiabatisch

Bild II.5.3-2: Verlauf des Temperaturanstiegs infolge Hydra-tationswärme im Kern von Betonbauteilen unterschiedlicherDicke. Beispiele für Betone mit 300 kg/m3 Zement [Bas1]

mit:z = Zementgehalt in kg/m3

QB = Wärmekapazität des Betons in kJ/(kg · K) mitQB = ρ B · cB

Für Normalbeton können näherungsweise für die Betonrohdichteρ B = 2350 kg/m3 und für die spezifische Wärmekapazität desBetons cB = 1,1 kJ/(kg · K) eingesetzt werden.

Für die Berechnung des anfänglichen Temperaturverlaufs imBauwerk nach Gleichung II.5.3-1 sind die bis zum jeweiligen

324 II Beton

CEM I 32,5 R N

CEM III/A 42,5 N

CEM III/A 32,5 N

CEM III/B 32,5 N

1

Zeit in Tagen

2 3 4 5 6 7

Hydr

atat

ions

wärm

e in

J/g

100

200

400

300

Bild II.5.3-3: Hydratationswärme Hn verschiedenerZemente unter adiabatischen Bedingungen [Vin1]

Zeitpunkt (t) adiabatisch gemessenen Werte für die Hydrata-tionswärme Hn(t) anzusetzen, die für verschiedene Zemente inBild II.5.3-3 dargestellt sind. Die adiabatisch bestimmten Wertefür die Hydratationswärme liegen über den unter konstanterTemperatur (isotherm bei 20 °C) nach Tafel II.5.3-1 ermitteltenWerten. Für Zemente mit hoher Anfangsfestigkeit beträgt nachsieben Tagen die unter isothermen Bedingungen ermittelteHydratationswärme ca. 90 % der adiabatisch bestimmten Wärme.Für Hochofenzemente mit niedriger Hydratationswärme liegt dasVerhältnis bei etwa 75 % [Eis1]. Für ein geringeres Alter oder beitieferen Temperaturen sind die Unterschiede noch größer.

Der Zeitpunkt tmaxT bis zum Erreichen des Temperaturmaximumsim Kern für Bauteildicken über 1 m kann mit der folgendenempirisch ermittelten Formel überschlägig berechnet werden [Wei1, Loh1, Bas1]:

tmaxT = 0,8 d + 1 in Tagen, [Gl.II.5.3-2]

wobei d für die Bauteildicke in m steht. Mit Hilfe der bis dahinfreigesetzten Hydratationswärme kann die maximale Tempera-turerhöhung im Bauteil abgeschätzt werden.

Zur Verminderung der Temperaturerhöhung hat sich für massigeBauteile der Einsatz von NW-Zementen bewährt, wenn dielangsamere Festigkeitsentwicklung erwünscht ist (s. AbschnittII.10.4) bzw. toleriert werden kann. Außerdem kann die Tempe-raturerhöhung durch einen möglichst geringen Zementgehaltund den Einsatz puzzolanischer Zusatzstoffe gemindert werden.

5.3.3 Teiladiabatische Bedingungen

Die rechnerische Ermittlung der Festigkeitsentwicklung unterteiladiabatischen Bedingungen in einem Bauteil erfordert mathe-matische Formulierungen, die den Einfluss der Betonzusammen-setzung, der Ausgangstemperatur, der Wärmeabflussbedingun-

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 325

gen (Bauteildicke, Schalung und wärmedämmende Ummante-lung) sowie der Umgebungstemperatur auf die Hydratationswär-mefreisetzung und damit auf den Temperaturverlauf berücksich-tigen [Wei1]. Um die Übertragbarkeit solcher Modellrechnungenauf die Praxisverhältnisse zu verbessern, sind Erhärtungsprüfun-gen oft ein einfacher Weg, wenn sie näherungsweise die Bauteil-bedingungen (Betonzusammensetzung, Frischbetontemperatur,Wärmeabflussverhältnisse) berücksichtigen. Hierfür eignen sichteiladiabatische Messsysteme [Me83], wie zum Beispiel solchemit einem handelsüblichen Thermosgefäß [Gru4]. Dabei teiltsich die freigesetzte Hydratationswärme in einen Anteil, der zurTemperaturerhöhung der Betonprobe führt, einen Anteil der jenach Dämmeigenschaften des Gefäßes in die Umgebung abfließtund einen Anteil der zur Erwärmung des Kalorimeters erforder-lich ist (Bild II.5.3-4 (a)).

326 II Beton

∆ Tp

a) b)Er

wärm

ung

∆Tp,

Hydr

atat

ions

wärm

e ∆T HW

in K

Betonalter in hZy

linde

rdru

ckfe

stigk

eit in

N/m

m2

Hydratationswärme ∆ THW in K

50

40

30

20

10

00 24 48 72 96

∆ THW PT 100

30

25

20

15

10

5

00 20 30 40 5010

Bild II.5.3-4: Ergebnisse der experimentellen Bestimmungder Wärmefreisetzung und der Druckfestigkeitsentwicklungin einem Thermosflaschenversuch [Hin2]

Durch eine Energiebilanz lässt sich aus der Erwärmungskurveder Betonprobe ∆ TP die zugrunde liegende Hydratationswärme-freisetzung als „Temperaturänderung“ des Betons ∆ THW berech-nen. Ein solcher Hydratationswärmeverlauf gilt zunächst nur für den Temperaturgang der Messung, da die Hydratationsge-schwindigkeit temperaturabhängig ist. Diese Abhängigkeit kann über Reifefunktionen erfasst werden (s. Abschnitt II.5.4)[Hin2, Hin1, Gru4].

In den gleichen Gefäßen, die für die Wärmemessung eingesetztwerden, lassen sich auch zylindrische Prüfkörper für die Festig-keitsbestimmung lagern. Für unterschiedliche Temperaturgängebei Variation der Frischbeton- und Umgebungstemperatur bzw.für unterschiedliche Prüfalter lassen sich frühe Druckfestigkei-ten ermitteln. Bezogen auf die freigesetzte Hydratationswärme∆ THW erhält man eine weitere Kennlinie des jeweiligen Betons(Bild II.5.3-4 (b)). Es handelt sich dabei um eine praxisnahgeprüfte Festigkeits-Hydratationsgrad-Beziehung. Mit dieserKennlinie liegt ein objektives Kriterium vor, mit dem verschie-dene Betone hinsichtlich einer Optimierung von Wärmefreiset-zung und Festigkeitsentwicklung beurteilt werden können.

Im Bild II.5.3-5 sind die Kennlinien für Normalbetone, diejeweils mit verschiedenen Zementen hergestellt wurden, darge-stellt. Für Betone üblicher Zusammensetzung ist zum Erreicheneiner angestrebten Festigkeit die erforderliche Wärmefreisetzungim Bereich von Wasserzementwerten zwischen 0,5 (hier nichtgezeigt) und 0,6 nahezu unabhängig vom eingesetzten Zement[Hin1, Hin2]. Der dargestellte Zusammenhang zeigt, dass schonrelativ geringe Festigkeiten eine erhebliche Wärmefreisetzungbedingen. Beispielsweise wird für eine Druckfestigkeit vonlediglich 5 bis 7 N/mm2 eine Hydratationswärme benötigt, dieeiner rechnerischen Temperaturerhöhung ∆ THW von rd. 20 Kentspricht. Diese Wärmefreisetzung wird von den verschieden

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 327

zusammengesetzten Betonen in Abhängigkeit zum Beispiel vonZementart und -festigkeitsklasse, Wasserzementwert und derFrischbetontemperatur in sehr unterschiedlichen Altern erreicht.

Die bei normalfesten Betonen bestehende enge Korrelationzwischen der zum Prüfzeitpunkt entwickelten „quasi-adiabati-schen“ Temperaturerhöhung und der zugehörigen Druckfestig-

328 II Beton

0 10 20 30 40 500

5

10

15

20

25

30

z = 270 kg/m3

f = 60 kg/m3

w/z = 0,60

6 CEM I 32,5 R

CEM III/A 32,5 N CEM III/A 42,5 N

Zylin

derd

ruck

festi

gkeit

in N

/mm

2

Hydratationswärme ∆ THW in K

Bild II.5.3-5: Zylinderdruckfestigkeit nach Lagerung imThermosgefäß (Gesteinskörnung Rheinkiessand, SieblinieA16/B16) [Hin2]

keit besteht auch bei hochfesten Betonen. Allerdings wurden,wie in Bild II.5.3-6 dargestellt, bei den hochfesten Betonen mitabnehmenden w/z-Werten und besonders infolge der Zugabevon Silicastaub etwas höhere Festigkeiten bei gleicher „quasi-adiabatischen“ Temperaturerhöhung gemessen. Dies kann zumeinen auf das hohe Verhältnis von reaktiver Oberfläche zumWasserangebot zurückgeführt werden, wodurch auch wesentlich

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 329

Bild II.5.3-6: Zylinderdruckfestigkeit nach Lagerung imThermosgefäß (Gesteinskörnung Rheinkiessand, SieblinieA16/B16; Zement CEM I 42,5 R) [Thi6]

70

80

60

50

40

Druc

kfesti

gkeit

in N

/mm

2

∆ THW in K

30

20

10

00 10 20 30 40 50 60

normalhochfesteBetone

normalfester Beton

z+skg/m3

486496330

s/zM.-%

800

w/(z+s)-

0,320,320,50

höhere Temperaturen in teiladiabatischen Versuch erreicht wer-den als bei normalfestem Beton. Zum anderen trägt die puzzo-lanische Reaktion des Silicastaubs bei vergleichbar geringererHydratationswärme erheblich zur Festigkeit bei [Thi6].

Die Festigkeitserhöhung infolge Silicastaubzugabe entsteht zumeinen durch eine Verringerung der Kapillarporosität in der Mehl-kornmatrix und zum anderen durch den verbesserten Verbundzwischen Matrix und Gesteinskörnung.

5.3.4 Einfluss der Frischbeton- bzw. Umgebungstem-peratur auf die Festigkeitsentwicklung

Je höher die Frischbetontemperatur ist, umso schneller wirdinfolge der rascher ablaufenden Hydratation Wärme freigesetzt.Entsprechend schneller steigt die Frühfestigkeit und entspre-chend höher wächst die Temperatur im Betonbauteil an. Beiniedrigeren Frischbetontemperaturen steigt die Frühfestigkeitlangsamer und die Temperatur bleibt im Bauteil niedriger. ZurSteigerung der Frühfestigkeit stehen somit folgende Maßnahmenzur Verfügung: Eine Betonzusammensetzung mit hoher Früh-festigkeit durch entsprechende Wahl von Zement, Wasser-zementwert und Zusatzmittel, eine erhöhte Temperatur desFrischbetons sowie eine Wärmebehandlung des verdichtetenBetons. Diese Maßnahmen lassen sich teilweise miteinanderkombinieren.

Frischbetontemperaturen oberhalb 20 °C beschleunigen die Fes-tigkeitsentwicklung erheblich (Bild II.5.3-7). Im Alter von zwölfStunden wird zum Beispiel bei gleichen Wärmeabfließbedingun-gen die Festigkeit bei einer Frischbetontemperatur von 25 °C imVergleich zu einer Frischbetontemperatur von 20 °C fast verdop-pelt bzw. eine Festigkeit von zum Beispiel 4 N/mm2 zwei bisdrei Stunden früher erreicht. Bei niedrigen Frischbetontempera-

330 II Beton

turen wird die Festigkeitsentwicklung deutlich verzögert, undzwar um ca. drei Stunden je 5 K Temperatursenkung. Ein Beton, der mit einem vergleichbar schnell erhärtenden ZementCEM I 32,5 R hergestellt wurde, braucht zum Beispiel eineFrischbetontemperatur von wenigstens 15 °C, um nach zwölfStunden eine Festigkeit von 4 N/mm2 sicher zu erreichen. Beinoch niedrigeren Temperaturen müsste entweder der Wasser-zementwert nennenswert gesenkt werden oder ein deutlichschneller erhärtender Zement eingesetzt werden. Wird in einemBeton mit demselben Zement ein Teil des Zements durch Flug-asche ausgetauscht (Bild II.5.3-7) wird eine Festigkeit von4 N/mm2 nach zwölf Stunden nur sicher erreicht, wenn dieFrischbetontemperatur wenigstens 25 °C beträgt. Die in den Bil-

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 331

24

20

16

0

Betonalter in h Betonalter in h

4

8

30 ° C

30 ° C

25 ° C

25 ° C

20 ° C

20 ° C

15 ° C

15 ° C10 ° C

10 ° CTb,fr

CEM I 32,5 Rz = 330 kg/m3

w/z = 0,50

CEM I 32,5 Rz = 270 kg/m3

f = 60 kg/m3

w/z = 0,50

12

Zylin

derd

ruck

festi

gkeit

in N

/mm

2

0 6 12 18 0 6 12 18

Tb,fr

Bild II.5.3-7 Zylinderdruckfestigkeit in Abhängigkeit vonder Frischbetontemperatur für zwei Betone in einem Bauteilmit 0,6 m Dicke in Stahlschalung [Hin2]

dern II.5.3-5 und II.5.3-6 für die Zemente 32,5 R dargestelltenZusammenhänge gelten in ähnlicher Weise auch für Zemente derZementfestigkeitsklasse 42,5 [Hin2].

Zur Steigerung der Frischbetontemperatur gibt es im Wesent-lichen zwei Möglichkeiten. Entweder das Vorwärmen einzelnerAusgangsstoffe oder das Einmischen von Dampf während desMischvorgangs, was als Dampfmischen bezeichnet wird. Dabeiist [Me2] zu beachten (s. Abschnitt II.4.4 und II.9). Ist die Tem-peratur der Ausgangsstoffe verschieden hoch und wird vonaußen keine Wärme zu- oder abgeführt, so lässt sich die Frisch-betontemperatur näherungsweise wie in Abschnitt II.4.4 entspre-chend Gl. II.4.4-1 angegeben berechnen.

Die Wärmebehandlung des Betons (s. Abschnitt II.11.2) ist dasam weitesten verbreitete Verfahren zur Erhöhung der Frühfestig-keit und ist in Betonwerken ein erprobtes Verfahren, um mög-lichst frühzeitig entformen zu können oder bei Spannbetonbau-teilen ein frühzeitiges Vorspannen zu ermöglichen. Hierbei istdie DAfStb-Richtlinie zur Wärmebehandlung von Beton [Ri17]zu beachten.

5.4 Alters- und temperaturabhängiger Verlaufder Druckfestigkeit

5.4.1 Reife des Betons

Die zeitliche Entwicklung der Druckfestigkeit ist für jedenBeton hauptsächlich von der Zusammensetzung und den Lage-rungsbedingungen abhängig. Für die Ermittlung der altersabhän-gigen Druckfestigkeit können empirische Rechenansätze, z. B.entsprechend dem CEB-FIP Model Code 1990 bzw. [Wes1]angewendet werden, die einerseits die Betonzusammensetzungund andererseits den Temperatureinfluss über das wirksameAlter berücksichtigen.

332 II Beton

Der Einfluss unterschiedlicher Temperaturverläufe auf dieFestigkeitsentwicklung eines bestimmten Betons lässt sich quan-titativ anhand der Reife abschätzen. Sie ist ein Maß für denErhärtungszustand zu einem bestimmten Betonalter in Abhän-gigkeit von der Erhärtungsdauer und dem dazugehörigen Tem-peraturverlauf. Sie ist so definiert, dass ein unter verschiedenenTemperaturverläufen erhärtender Beton gleicher Zusammenset-zung die gleiche Druckfestigkeit erreicht, wenn er die gleicheReife hat.

Die einfachste Beziehung für die Bestimmung der Reife ist dieFormel nach Saul (Tafel II.5.4-1). Diese Beziehung lässt aller-dings unberücksichtigt, dass die Reife bei höherer Temperaturüberproportial zunehmen müsste und dass dieser Einfluss auch noch von der Zementart abhängt. Diese Einflüsse können durch die Arrehnius-Funktion mit entsprechend gewählter Aktivierungsenergie des Zements erfasst werden und führen zu einer „gewichteten Reife“, z. B. RILEM TC 119-TCE (s. Abschnitt IV.2) [Bun1, Hin1].

Die Methode nach de Vree [Vre1] wählt ebenfalls einen Ansatzzur Ermittlung einer gewichteten Reife, der vor allem bei höhe-ren Temperaturen (zum Beispiel Wärmebehandlung) besser dertatsächlichen Festigkeitsentwicklung entspricht (Tafel II.5.4-1)als der Ansatz von Saul. Der ähnlich der Arrhenius-Gleichungaufgebaute Ansatz berücksichtigt den Einfluss des Zements undder Temperatur [Bun1]. Der Wichtungsfaktor für die Zementart(C-Wert) hängt von der Zementzusammensetzung ab und kannfür baupraktische Berechnungen hinreichend genau in Abhän-gigkeit vom Klinkergehalt abgeschätzt werden (Tafel II.5.4-1).

Um aus der Reife die Druckfestigkeit ableiten zu können, mussfür jede Betonzusammensetzung eine Kalibrierkurve auf derBasis eines bekannten Zeit-Temperatur-Druckfestigkeitsverlaufsaufgestellt werden [Bun1].

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 333

Die Anwendung des C-Wert-Verfahrens ist von Vorteil für die

zerstörungsfreie, kontinuerliche Ermittlung der Druckfestigkeit

von jungem Beton, z. B. für die Festlegung der Reife für das

Vorspannen, Ausschalen oder Anheben von Betonfertigteilen

und für die Festlegung der Mindestnachbehandlungsdauer

(s. auch [Lan1, Vre1]).

334 II Beton

Tafel II.5.4-1: Reifefunktionen

R = Σ (Ti + 10) · ∆ ti in h · °C

nach mitSaul ∆ ti Zeitintervall in h

Ti mittlere Betontemperatur in °C im Zeitintervall ∆ ti

cal R = Σ ri · ∆ ti in h · °C

mit∆ ti Zeitintervall in h∆ ri gewichtete Reife innerhalb des Zeitintervalls ∆ ti

ri = · [C(0,1Ti – 1,245) – C–2,245] in °C

nach mitde Vree Ti mittlere Betontemperatur in °C im Zeitintervall ∆ ti

C Wichtungsfaktor für die Zementart

Gehalt an Zement- C-Wertklinker in M.-%

> 65 1,350 bis 64 1,435 bis 49 1,520 bis 34 1,6

l10l

lln Cl

Anstelle des Reifegrads wird auch der Begriff des wirksamenBetonalters benutzt. Das aus dem Temperatur-Zeit-Verlauf errech-nete wirksame Betonalter entspricht dem wahren Betonalter, wennder Beton ständig bei einer Normtemperaturlagerung von 20 °Cerhärtet ist. Mit diesem wirksamen Alter kann die bis zu diesemZeitpunkt erreichte Betonfestigkeit abgeschätzt werden, wenn derFestigkeitsverlauf für die Normtemperatur bekannt ist.

Bild II.5.4-1 zeigt den temperaturabhängigen Verlauf des relati-ven wirksamen Alters nach Eurocode 2. Die einfache Näherungnach Saul stimmt im Temperaturbereich 5 °C < T < 25 °C gutmit diesem Verlauf überein, für T > 25 °C wird jedoch diebeschleunigende Wirkung erhöhter Temperaturen unterschätzt.Für Temperaturen kleiner als 5 °C wird nach Saul die verlang-samende Wirkung niedriger Temperaturen überschätzt [Hil1].

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 335

4,0

3,5

3,0

2,5

1,5

2,0

1,0

0,5

0-20 -10 0 10 20 30 40 50 60

Temperatur in ° C

t w,T / t

w,20

nach Saul

nach EC2

n

i=1t = .

n

i=1

4000t = ti . exp 13,65 - 273 + T ( ∆ ti) / T 0w,TΣ ∆ [ [

w,T Σ ti∆ [T (∆ ti) + 10] / 30

Bild II.5.4-1: Relatives wirksames Alter (Ti stellt die Tempe-ratur im Zeitintervall ∆ ti dar)

5.4.2 Nacherhärtung

Die 28-Tage-Druckfestigkeit ist unter anderem als Vergleichs-basis festgelegt worden, weil zementgebundene Mörtel undBetone im Alter von 28 Tagen bereits einen hohen Hydratations-grad aufweisen und weil der Prüftag auf den gleichen Wochen-tag fällt wie der Herstelltag. Auch nach dem 28. Tag besitzt derBeton noch ein Erhärtungspotenzial, wodurch er immer festerwird, sofern er nicht vollständig austrocknet. Das Maß dieserNacherhärtung ist je nach Zement, Betonzusammensetzung undweiteren Einflussgrößen recht unterschiedlich. Bezogen auf die28-Tage-Druckfestigkeit ist mit einer umso größeren Nacherhär-tung zu rechnen, je langsamer der Zement erhärtet, je höher derWasserzementwert und die Lagerungsfeuchte sind und je niedri-ger die Lagerungstemperatur ist [Bon2]. Die Nacherhärtung vonBetonen aus sehr schnell erhärtenden Zementen ist klein undübersteigt nach etwa 180 Tagen in der Regel 10 % nicht, zumalbei diesen Zementen zum Erreichen einer sehr hohen Frühfestig-keit häufig auch niedrige Wasserzementwerte gewählt werden.Demgegenüber weisen Betone aus langsam erhärtenden Zemen-ten beträchtliche Nacherhärtungen auf, die in einzelnen Fällennach 180 Tagen 50 % erreichen oder überschreiten können. Übereinstimmend ergeben Untersuchungen über drei und fünfJahrzehnte, dass sich die Festigkeit – bezogen auf die 28-Tage-Druckfestigkeit bei Normlagerung – in der Praxis größenord-nungsmäßig annähernd verdoppelt und in besonderen Fällen(grob aufgemahlene Zemente und hohe Wasserzementwerte)nahezu verfünffacht hat [Wal3].

Im Allgemeinen ist jedoch die Nacherhärtung über Jahrzehntebaupraktisch von geringerer Bedeutung. Dagegen kann die Festigkeitsentwicklung bis zu einem Alter von drei oder sechsMonaten, in besonderen Fällen sogar einem Jahr, bedeutsamsein, wenn das Bauwerk erst nach diesem Zeitraum entspre-

336 II Beton

chend belastet wird und die Temperaturerhöhung im Bauteiläußerst klein gehalten werden soll oder wenn besondereBetrachtungen für die Bauwerksicherheit maßgebend sind.

Durch die Wahl der Zementfestigkeitsklasse werden bei gleicherBetonzusammensetzung unterschiedliche Druckfestigkeiten desBetons in jungem Alter erreicht. Sofern die für eine weitereHydratation erforderliche Feuchtigkeit ständig vorhanden ist,gleichen sich diese zementbedingten Unterschiede durch dieunterschiedliche Nacherhärtung zunehmend aus, sodass bereitsin einem Alter von 180 Tagen Betone gleicher Zusammenset-zung – unabhängig vom Zement – vergleichbare Druckfestig-keiten aufweisen [Dah1].

5.5 Erforderliche Erhärtungszeiten (Ausschal-fristen)

Ein Betonbauteil darf erst ausgeschalt bzw. entformt werden,wenn der Beton ausreichend erhärtet ist, um die Beanspruchun-gen während des Bauzustands mit ausreichender Sicherheit ohneSchädigung aufzunehmen. So ist beispielsweise für die Gefrier-beständigkeit eine Frühfestigkeit von etwa 5 bis 10 N/mm2

notwendig. Schadfreies Stapeln und Transportieren von Beton-waren setzt eine hinreichende Kantenfestigkeit voraus, die im Allgemeinen bei einer Druckfestigkeit von wenigstens 20 N/mm2 gegeben ist. Demgegenüber erfordert das Vorspannenoder das Befahren einer Straße i. d. R. eine Druckfestigkeit vonmehr als 30 oder 40 N/mm2.

Im Einzelfall können Erhärtungsprüfungen zum Beispiel durchErmittlung des Reifegrads unter den vorgegebenen Bedingungennotwendig sein (s. Abschnitt II.5.4.1). Durch eine an denBautakt und die Jahreszeit angepasste Wahl der Zusammenset-zung können die Anforderungen an die Festigkeitsentwicklung

5 Festigkeit und Festigkeitsentwicklung von Beton 337

erfüllt werden. Dies stellt eine Optimierungsaufgabe dar, wenndie gewünschte Festigkeitsentwicklung wegen der Wärmefrei-setzung nach oben begrenzt werden muss, zum Beispiel zurVerminderung von Zwangspannungen (s. Abschnitt II.6.4)[Gru4, Thi3, Hin1, Hin2].

Die erforderliche Nachbehandlungsdauer wurde allgemein durcheinen Mindesthydratationsgrad definiert, den ein Beton währendder Nachbehandlung erreichen muss. Sie kann nach Tafel II.9.6-1in Abhängigkeit von der Festigkeitsentwicklung des Betonsabgeschätzt werden. Art und Festigkeit des Zements sind dabeinur noch indirekt ein Kriterium für den Nachbehandlungsbedarf (s. Abschnitt II.9.6).

338 II Beton