9 Supraleitung - TU Dortmund

21
9 Supraleitung 9.1 Phänomenologie 9.1.1 Entdeckung Im Kapitel 5) über freie Elektronen hatten wir gefun- den, dass der elektrische Widerstand bei tiefen Tem- peraturen abnimmt, bis er einen Grenzwert erreicht, der durch Kristallfehler bestimmt ist. Wie immer war diese Aussage das Resultat eines Modells und wie jedes Modell hat auch dieses seine Grenzen. Experi- mentelle Tests dieser Aussage in einem Bereich na- he des absoluten Nullpunkts waren erstmals ab 1908 möglich, als es Kammerlingh Onnes in Leiden ge- lang, ein Kühlmittel zu erzeugen, welches sehr tiefe Temperaturen erlaubt, nämlich flüssiges Helium, das bei Normaldruck einen Siedepunkt von 4 K besitzt. Er benutzte dieses Kältemittel bald um die elektri- sche Leitfähigkeit bei tiefen Temperaturen zu mes- sen. Im Jahre 1911 fand er ein merkwürdiges Ver- halten, das sich von der oben genannten Erwartung qualitativ unterscheidet. Temperatur T (K) Widerstand Abbildung 9.1: Spezifischer Widerstand von Queck- silber als Funktion der Temperatur. Der elektrische Widerstand von Quecksilber nahm zunächst linear mit der Temperatur ab, bis er bei 4.2 K plötzlich auf einen sehr kleinen Wert sprang. Genauere Messungen zeigten, dass dieser Wert in- nerhalb der experimentellen Fehlergrenzen mit Null übereinstimmt. Das heißt, dass es z.B. möglich ist, in einer geschlossenen Leiterspule einen Strom fließen zu lassen ohne, dass dieser abklingt. Ein vergleichbares Phänomen findet man auch bei den Fließeigenschaften von flüssigem Helium 4: Un- terhalb einer Temperatur von 2,17 K verschwindet die Viskosität. Man nennt diesen Zustand Supraflui- dität. 9.1.2 Leitfähigkeit Abbildung 9.2: Anwendungen: supraleitender Ma- gnet für die Kernresonanz (links) und Hochgeschwindigkeitszug (rechts). Die Supraleitung benutzt man z.B. für die Erzeu- gung starker Magnetfelder: Man wickelt einen Draht zu einer Spule und regt darin einen Strom an. Da- durch können permanente Magnetfelder von mehre- ren Tesla erzeugt werden, wie man sie z.B. in der Kernspinresonanz oder in der Kernspintomographie 190

Transcript of 9 Supraleitung - TU Dortmund

Page 1: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

9.1 Phänomenologie

9.1.1 Entdeckung

Im Kapitel 5) über freie Elektronen hatten wir gefun-den, dass der elektrische Widerstand bei tiefen Tem-peraturen abnimmt, bis er einen Grenzwert erreicht,der durch Kristallfehler bestimmt ist. Wie immer wardiese Aussage das Resultat eines Modells und wiejedes Modell hat auch dieses seine Grenzen. Experi-mentelle Tests dieser Aussage in einem Bereich na-he des absoluten Nullpunkts waren erstmals ab 1908möglich, als es Kammerlingh Onnes in Leiden ge-lang, ein Kühlmittel zu erzeugen, welches sehr tiefeTemperaturen erlaubt, nämlich flüssiges Helium, dasbei Normaldruck einen Siedepunkt von 4 K besitzt.Er benutzte dieses Kältemittel bald um die elektri-sche Leitfähigkeit bei tiefen Temperaturen zu mes-sen. Im Jahre 1911 fand er ein merkwürdiges Ver-halten, das sich von der oben genannten Erwartungqualitativ unterscheidet.

Temperatur T (K)

Wid

erst

and

Abbildung 9.1: Spezifischer Widerstand von Queck-silber als Funktion der Temperatur.

Der elektrische Widerstand von Quecksilber nahm

zunächst linear mit der Temperatur ab, bis er bei4.2 K plötzlich auf einen sehr kleinen Wert sprang.Genauere Messungen zeigten, dass dieser Wert in-nerhalb der experimentellen Fehlergrenzen mit Nullübereinstimmt. Das heißt, dass es z.B. möglich ist, ineiner geschlossenen Leiterspule einen Strom fließenzu lassen ohne, dass dieser abklingt.

Ein vergleichbares Phänomen findet man auch beiden Fließeigenschaften von flüssigem Helium 4: Un-terhalb einer Temperatur von 2,17 K verschwindetdie Viskosität. Man nennt diesen Zustand Supraflui-dität.

9.1.2 Leitfähigkeit

Abbildung 9.2: Anwendungen: supraleitender Ma-gnet für die Kernresonanz (links)und Hochgeschwindigkeitszug(rechts).

Die Supraleitung benutzt man z.B. für die Erzeu-gung starker Magnetfelder: Man wickelt einen Drahtzu einer Spule und regt darin einen Strom an. Da-durch können permanente Magnetfelder von mehre-ren Tesla erzeugt werden, wie man sie z.B. in derKernspinresonanz oder in der Kernspintomographie

190

Page 2: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

benötigt. Supraleitende Magneten werden auch ineinem japanischen Hochgeschwindigkeitszug einge-setzt.

0

0.5

Freq

uenz

/ H

z

0 5 10

Zeit / Stunden

Drift: -1,68 Hz / Tag

Abbildung 9.3: Abschwächung des Magnetfeldes ei-nes supraleitenden Magneten alsFunktion der Zeit.

Während der Widerstand eines supraleitenden Ma-terials nicht direkt messbar ist, kann man ihn in ei-nem Magneten indirekt messen: das Magnetfeld istnicht exakt konstant, sondern es schwächt sich lang-sam ab. Abb. 9.3 zeigt eine typische Messung überKernspinresonanz: Die Resonanzfrequenz der Kern-spins sinkt um etwa 1,68 Hz/Tag. Bei einer absolutenFrequenz von 360 MHz sinkt das Magnetfeld alsopro Tag um

1B

dBdt

=1,68

3,6 ·1081

Tag=

4,67 ·10�9

Tag=

1,7 ·10�7

Jahr,

d.h. die Zerfallszeit beträgt etwa 107 Jahre.

Bei den Metallen und v.a. den Halbleitern hatten wirgesehen, dass der elektrische Strom immer auch voneinem thermischen Strom begleitet war. Dies ist beiden Supraleitern nicht der Fall. Der Superstrom wirdnicht von einem thermischen Strom begleitet.

Dadurch ist die thermische Leitfähigkeit der Supra-leiter relativ klein, deutlich kleiner als diejenige derentsprechenden Normalleiter. Abb. 9.41 vergleichtdie thermische Leitfähigkeit des supraleitenden Ma-terials mit derjenigen des normalleitenden Materials.Die obere Kurve entstand, indem man mit Hilfe ei-nes Magnetfeldes die Supraleitung unterdrückte. Diemit der Temperatur abnehmende Wärmeleitfähigkeit

1J.H.P. Watson and G.M. Graham Can. J. Phys., 41,1738–1743 (1963).

Wär

mel

eitfä

higk

eit κ

/ W

/cm

K normalleitend

supraleitend

Temperatur T / K6.0 7.0

6

7

5

4

3

Blei

Tc

supraleitend

normalleitend

Abbildung 9.4: Wärmeleitfähigkeit von Blei im nor-malen und im supraleitenden Zu-stand.

des supraleitenden Zustandes deutet darauf hin, dassnur ein Teil der Elektronen thermische Energie, d.h.Entropie, übertragen können. Der Unterschied zwi-schen dem normalleitenden und dem supraleitendenZustand nimmt mit abnehmender Temperatur zu.

9.1.3 Diamagnetismus

Diese Klasse von Materialien wird als Supraleiterund der Zustand als Supraleitung bezeichnet. Da-mit charakterisiert man zunächst die elektrischenEigenschaften dieser Materialien. Sie besitzen aberauch sehr charakteristische magnetische Eigenschaf-ten. Der wichtigste ist, dass sie sich wie perfekteDiamagneten verhalten, d.h., dass das Magnetfeld inihrem Inneren verschwindet.

H

MHc

Abbildung 9.5: Magnetisierung als Funktion des äu-ßeren Feldes.

191

Page 3: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Dies ist bekannt als Meißner-Ochsenfeld Effekt2.Die Magnetisierung M des Materials beträgt dann

M = �H ! c = �1.

Der Diamagnetismus eines Supraleiters ist damit umetwa 5 Größenordnungen stärker als der eines nor-malen diamagnetischen Materials (z.B. Wasser: c =�7 ·10�6).

Magnetfeld wird ausgestoßen

Abbildung 9.6: Meissner-Effekt: Ein Supraleiter istein perfekter Diamagnet.

Ein perfekter Diamagnet erzeugt eine Magnetisie-rung, die das externe Feld innerhalb des Magnetenvollständig kompensiert. Die Magnetfeldlinien wer-den deshalb aus dem Material ausgestoßen. Dies ge-schieht, indem am Rand des supraleitenden Bereichsein Strom fließt, dessen Magnetfeld gerade das äuße-re Magnetfeld kompensiert.

Oberhalb der kritischen Temperatur ist das Mate-rial normalleitend und praktisch nichtmagnetisch.Das Feld eines externen Magneten durchdringt des-halb das Material. Kühlt man das Material unter dieSprungtemperatur, so wird es zu einem perfektenDiamagneten. Man kann dies z.B. dadurch sichtbarmachen, dass ein kleiner Permanentmagnet über ei-nem Stück Supraleiter schwebt, welcher mit flüssi-gem Stickstoff gekühlt wird.

Im Raum zwischen dem Magneten und dem supra-leitenden Material werden sie deshalb konzentriertund das System kann seine Energie erniedrigen in-dem der Supraleiter über dem Magneten schwebt.Dies ist nicht einfach eine Folge der verlustlosen

2entdeckt 1933 durch Walther Meißner (1882 - 1974) und Ro-bert Ochsenfeld (1901 - 1993)

Magnet schwebt über Supraleiter normal leitend

supraleitend

Abbildung 9.7: Der Meissner-Effekt lässt den Ma-gneten über dem Supraleiter schwe-ben.

Leitung von elektrischem Strom. Ein perfekter Lei-ter würde zwar durch Eddy-Ströme einer Änderungdes Magnetfeldes in seinem Innern widerstehen.Dies bedeutet, dass das Magnetfeld in seinem Innernzeitlich unveränderlich sein muss d~B/dt = 0. Da-mit müsste aber das vorher vorhandene Feld erhaltenbleiben, während es beim Meißner-Effekt ausgesto-ßen wird, so dass ~B = 0.

9.1.4 Kritische Temperatur und kritischesFeld

Dies funktioniert allerdings nur bei Magnetfeldernunterhalb einer gewissen Stärke. Überschreitet dieStärke des äußeren Feldes das kritische Feld Hc, sobricht der perfekte Diamagnetismus wie auch die Su-praleitung zusammen. Supraleitung tritt somit nurbei genügend tiefen Temperaturen und genügendschwachem Magnetfeld auf. Zwischen der normalleitenden Phase und der supraleitenden Phase liegtein Phasenübergang, der vom Magnetfeld und derTemperatur (und, in Abb. 9.8 nicht eingezeichnet,der Stromdichte) abhängt. Eine etwas genauere Be-trachtung zeigt, dass der Übergang vom supraleiten-den in den normalleitenden Zustand auch von derForm des Körpers abhängt. So ist bei der in Abb.gezeigten Kugel die Feldstärke an der Kugelober-fläche teilweise höher als im ungestörten Feld. DasFeld beginnt deshalb an den entsprechenden Stellen

192

Page 4: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

schon unterhalb der kritischen Feldstärke einzudrin-gen. Dies ist nicht der Fall, wenn die Probe eine dün-ne Schicht ist, die parallel zu den Feldlinien angeord-net ist.

Stoff TC/K

Al 1.19Be 0.026Hg 4.15Zn 0.9Wo 0.012Pb 7.2V3Si 17.1Nb3Sn 18.0Nb3Al8Ge0.2 20.7YBa2Cu3O6+x 90HgBa2CuO4+b 133CsRb2C60 31

kritische Temperaturen

TemperaturTc

Hc

Mag

netfe

ld

normalleitend

supralleitend

Abbildung 9.8: Zustandsdiagramm und kritischeTemperatur einiger Supraleiter.

Die kritische Temperatur, unterhalb der ein Materialsupraleitend wird, kann von mK bis zu 133 K variie-ren.

Temperatur / K

kriti

sche

s Fel

d H

c(T) /

G

Abbildung 9.9: Temperaturabhängigkeit des kriti-schen Feldes bei Typ I Supraleiter.

Der Betrag des kritischen Feldes hängt ebenfallsvom Material ab, variiert aber auch mit der Tem-peratur. Beim Überschreiten des kritischen Feldesbricht auch der Meißner-Effekt zusammen. Beimkritischen Feld sinkt die Magnetisierung abrupt aufNull, d.h. das Feld dringt in das Material ein.

9.1.5 Typ II Supraleiter

Dies ist aber nur bei so genannten weichen Su-praleitern oder Supraleitern der ersten Art der Fall.

äußeres Magnetfeld / Gauß

A: BleiB: Blei + 2.8%InC: Blei + 8.3%InD: Blei + 20.4%In

-µ0M

/ G

auß

Abbildung 9.10: Magnetisierung als Funktion derTemperatur für Blei mit unter-schiedlicher Dotierung.

Dementsprechend existieren Supraleiter der zweitenArt. Diese Materialien verhalten sich unterhalb deskritischen Feldes Hc1 wie die Supraleiter der 1. Art.Beim kritischen Feld dringen die Feldlinien eben-falls in das Material ein, aber die Magnetisierungsinkt nicht auf Null.

Temperatur

Mag

netfe

ld

Meissner-Zustandρ = 0, B = 0

Tc

gemischter Zustandρ = 0, B ≠ 0HC1(T)

HC2(T)

Abbildung 9.11: Unterschiedliche Phasen bei einemTyp II Supraleiter.

Diese teilweise supraleitende Eigenschaft bleibt biszu einem zweiten kritischen Feld Hc2 erhalten. DasMaterial bleibt auch bis zu diesem kritischen Feldsupraleitend. Dieses zweite kritische Feld kann ummehrere Größenordnungen oberhalb des ersten kriti-schen Feldes liegen.

Dieses kritische Feld ist dasjenige, das für techni-sche Anwendungen wichtig ist.

Für Typ 2 Supraleiter liegt das obere kritische Feldim Bereich von bis zu 50 Tesla. Im Bereich zwischenden beiden kritischen Feldern findet ein teilweisesEindringen des Magnetfeldes in den Supraleiter statt.

Diese teilweise Durchdringung erfolgt durch einzel-ne Flussquanten. Wie in Abb. 9.13 gezeigt, ordnensich diese in der Form eines Gitters an, welches

193

Page 5: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Temperatur / K

Kriti

sche

s Fel

d H

C2 /

T

PbMo5.1S6

Nb3(Al0.7Ge0.3)

Nb3GeNb3SnNbTi

Abbildung 9.12: Temperaturabhängigkeit des obe-ren kritischen Feldes bei Typ II Su-praleiter.

Abbildung 9.13: Hexagonales Gitter aus Flussquan-ten.

durch kleine ferromagnetische Teilchen sichtbar ge-macht werden kann. Heute kann man sie auch durchRaster-Kraftmikroskopie sichtbar machen.

Typ II Supraleiter sind größtenteils Legierungen,während Typ I Supraleiter eher Elemente sind. Esist möglich, Typ I Supraleiter durch die Zugabe ge-ringer Anteile an legierenden Elementen zu Typ IISupraleitern zu machen.

Die meisten Supraleiter sind Metalle, aber seit eini-gen Jahren gibt es auch organische Supraleiter, al-so Polymere, die unterhalb einer bestimmten Tem-peratur supraleitend werden. Die wichtigste Ausnah-me aber sind die 1986 entdeckten Hochtemperatur-

Supraleiter3: Hier handelt es sich um keramischeMaterialien, die oberhalb der kritischen TemperaturIsolatoren sind.

Einheitszelle von YBa2Cu3O7

Abbildung 9.14: Typische Struktur eines Hoch-temperatur-Supraleiters.

Diese Klasse von Materialien hat eine ziemlich ein-heitliche Struktur: es handelt sich um schichtförmigeMaterialien, bei denen Ebenen von CuO Schichtensich mit anderen Schichten abwechseln.

9.1.6 Thermodynamik

Auch die thermischen Eigenschaften der supraleiten-den Materialien unterscheiden sich von denen nor-malleitender Materialien. Ein direkter Vergleich istmöglich wenn man das gleiche Material mit Hilfeeines Magnetfeldes in den normal leitenden Zustandbringt und die thermischen Eigenschaften mit denendes supraleitenden Zustandes vergleicht.

Abb. 9.15 vergleicht, als Funktion der Temperatur,die Entropie von Aluminium im supraleitenden Zu-stand mit der im normalleitenden Zustand. Unter-halb der kritischen Temperatur ist die Entropie dessupraleitenden Zustandes niedriger als diejenige desentsprechenden normalleitenden Zustandes. DieseEntropieabnahme zeigt, dass beim Phasenübergangdas System in einen Zustand mit höherer Ordnungübergeht. Aus der Größenordnung der Entropieände-rung (ca. 10�4 kB/Atom) zeigt, dass an diesem geord-neten Zustand nur ein kleiner Teil der Leitungselek-tronen beteiligt sind. Dementsprechend ist die freie

3Karl Alexander Müller und Johannes Georg Bednorz, Nobel-preis 1987

194

Page 6: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

supraleitend:höhere Ordnung

Al

Temperatur / K

Entr

opie

/ m

J mol

-1 K

-1

0 0,5 1,00

1 normalleitend

supraleitend

Abbildung 9.15: Temperaturabhängige Entropie vonAluminium.

Energie des supraleitenden Zustandes niedriger alsdie des normalleitenden Zustandes. Der Phasenüber-gang ist zweiter Art, d.h. er ist nicht mit einer laten-ten Energie verbunden.

Temperatur / K

spez

. Wär

me

c / m

J m

ol-1

K-1

Al supr

alei

tend

normal le

itend

0 1 20

1

2

3

Abbildung 9.16: Temperaturabhängige spezifischeWärme von Aluminium.

Die spezifische Wärme ändert sich allerdings bei derkritischen Temperatur schlagartig4. Die mikroskopi-sche Theorie der Supraleitung sagt voraus, dass dieMolwärme des supraleitenden Zustandes bei der kri-tischen Temperatur 143 % höher sein sollte als die-jenige des normalleitenden Zustandes. Unterhalb derkritischen Temperatur ist sie wesentlich stärker tem-peraturabhängig. Die Form der Temperaturabhängi-keit zeigt, dass das System eine Energielücke besitzt.

Ein sehr ähnliches Verhalten findet man in Galli-

4Norman E. Phillips, Phys. Rev. 114, 676–685 (1959).

Temperatur2 / K2

C/T

[mJ

Mol

-1 K

-2]

Abbildung 9.17: Spezifische Wärme von Gallium(links) und der elektronische Bei-trag (rechts).

um. Für den normalleitenden Zustand findet man dasklassische Verhalten, bei dem der phononische Bei-trag mit T 3 skaliert und der elektronische mit T . Beitiefen Temperaturen finden wir einen Beitrag vonden Kernspins. Im supraleitenden Zustand springtdie Wärmekapazität bei der kritischen Temperaturauf einen deutlich höheren Wert und nimmt dann mitabnehmender Temperatur auf Null ab.

Um die Abhängigkeit des elektronischen Beitragsgenauer zu untersuchen, lohnt es sich, ihn durchSubtraktion der übrigen Beiträge (von denen wir vor-aussetzen, dass sie durch den Übergang in den su-praleitenden Zustand nicht beeinflusst werden), ge-trennt zu betrachten. Abb. 9.18 zeigt, dass dieserBeitrag zur Molwärme exponentiell von 1/T ab-hängt. Dieses Verhalten ist charakteristisch für einSystem, bei dem alle Zustände unterhalb einer Ener-gielücke besetzt sind.

9.1.7 Energielücke

Thermische Anregungen müssen also über dieseEnergielücke stattfinden. Hinweise auf eine Energie-lücke findet man auch mit spektroskopischen Metho-den, oder über Messungen der Zustandsdichte. DieGröße der Energielücke hängt vom Material und vonder Temperatur ab. Typische Werte sind in der Nähevon 1 meV.

195

Page 7: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Ces

/ γT

cnur elektronischer Beitrag

Tc/T

γ = 0.6 mJ Mol-1 K-2

Abbildung 9.18: Spezifische Wärme von Gallium(links) und der elektronische Bei-trag (rechts).

Die Breite dieser Lücke nimmt mit zunehmenderTemperatur kontinuierlich ab, bis sie an der kri-tischen Temperatur verschwindet. Da es sich umeinen Phasenübergang zweiter Ordnung handelt, istdas Verschwinden nicht abrupt, sondern kontinuier-lich. Die Breite dieser Energielücke im Grundzu-stand steht in einer direkten Beziehung zur kritischenTemperatur: es gilt

D(0) = 1,76kBTc.

Mit zunehmender Temperatur nimmt die Energie-lücke ab, und sie verschwindet bei der kritischenTemperatur.

Die Existenz dieser Energielücke zeigt sich auch imVerhalten bei der Einstrahlung von Photonen. DünneFilme transmittieren Photonen mit einer Energie un-terhalb der Energielücke, da diese nicht absorbiertwerden können. Erst bei Temperaturen in der Nä-he der kritischen Temperatur findet eine Absorpti-on auch für Photonenenergien unterhalb der Ener-gielücke statt. Diese geschieht durch die thermischüber die Lücke angeregten Elektronen.

Ein weiterer Punkt der Phänomenologie ist der Iso-topeneffekt auf die Sprungtemperatur: Die kritische

Eg ~1 meV

Temperatur T/Tc

Phasenübergang 2. Ordnung

Eg(

T)/E

g(0)

_

i

Absorption von Photonen

Abbildung 9.19: Energielücke, Temperaturabhän-gigkeit und Absorptionsspektrum.

Temperatur sinkt mit steigender Masse der Atome:

Tc µ✓

mm0

◆�nc

.

Der Exponent nc, mit dem die Temperatur absinktliegt je nach Material zwischen 0 und 0.5.

Element nc Verbindung nc

Zn 0,45 Ru 0,00Cd 0,32 Os 0,15Sn 0,47 Mo 0,33Hg 0,50 Nb3Sn 0,08Pb 0,49 Zr 0,00

Tabelle 9.1: Exponenten nc für unterschiedliche su-praleitende Elemente

Es existiert eine große Zahl von Materialien, welcheunterhalb einer kritischen Temperatur supraleitendwerden. In den ersten Jahren nach der Entdeckungder Supraleitung wurden vor allem die elementarenSupraleiter untersucht. Binäre Supraleiter, vor allemVerbindungen mit Nb zeigten jedoch bessere Eigen-schaften und besitzen höhere kritische Parameter. Inden Jahren 1986-1993 wurden eine Reihe von Ver-bindungen entdeckt, welche alle CuO enthalten undSprungtemperaturen im Bereich von bis zu 135 Kaufweisen. Diese sogenannten Hoch-Temperatur Su-praleiter können auch mit flüssigem Stickstoff supra-leitend gemacht werden, was für technische Anwen-dungen erhebliche Vorteile bringt.

196

Page 8: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Jahr

YBa2Cu3O7

T c/K

100

0

80

60

40

20

120

1910 1950 1990

(La, Sr)2CuO4BaLaCuO system(Bednorz und Müller 1986)

77 K

Abbildung 9.20: Maximale kritische Temperatur alsFunktion der Zeit.

9.2 Theoretische Ansätze(phänomenologisch)

9.2.1 Stabilisierungsenergie

Unterhalb der kritischen Temperatur ist der supralei-tende Zustand offenbar stabiler als der normal lei-tende Zustand. Wir wählen für die folgende Dis-kussion eine Energieskala, auf der die freie Energiedes normalleitenden Zustandes verschwindet, Fn =0, während diejenige des supraleitenden Zustandesam Nullpunkt um die Stabilisierungsenergie darun-ter liegt, Fs = Fstab.

Die Gesamtenergie des Zustandes hängt jedoch auchvom äußeren Magnetfeld ~Ba ab. Die Energiedichteeines magnetisierten Systems beträgt

wmag = �Z B

0~M ·d~Ba.

Die Magnetisierung des normalleitenden Zustandsist vernachlässigbar, im supraleitenden Zustand be-trägt sie ~M = �~Ba/µ0. Somit steigt die Energie dessupraleitenden Zustandes im Magnetfeld um

M

Fstab +V

2µ0

~B2

Freie EnergieFn

FsFstab

0

externes Magnetfeld

BBc

M=0

Abbildung 9.21: Energie des normalleitenden Zu-standes (Fn) und des supraleiten-den Zustandes (Fs) als Funktion derStärke des externen Magnetfeldes.

W = �VZ Bc

0~M ·d~Ba =

Vµ0

Z Bc

0~Ba ·d~Ba

=V

2µ0~B2

c .

Beim kritischen Feld Bc sind der supraleitende Zu-stand und der normal leitende Zustand im Gleich-gewicht, Fn = Fs(Bc). Das bedeutet, dass die Ener-gie der Magnetisierung im kritischen Feld geradegleich der Stabilisierungsenergie des supraleitendenZustandes sein muss:

Fs(Bc) = Fn(Bc) = Fstab +V

2µ0~B2

c = 0,

d.h. wir finden die Beziehung zwischen der Stabili-sierungsenergie und dem kritischen Feld

Fstab = � V2µ0

~B2c . (9.1)

Da das kritische Feld mit abnehmender Temperaturzunimmt, können wir daraus schließen, dass auch dieStabilisierungsenergie mit abnehmender Temperaturzunimmt.

197

Page 9: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

9.2.2 Modell der 2 Flüssigkeiten

Eine erste mathematische Beschreibung der Supra-leitung liefert die London-Theorie5. Sie ist eine phä-nomenologische Beschreibung, d.h. sie liefert keinemikroskopische Grundlage, sondern lediglich einemathematische Beschreibung der Phänomene.

TTc

normal leitend

supraleitend

Ante

il El

ektr

onen

Abbildung 9.22: Das Modell der zwei Flüssigkeiten.

Die Elektronen des Supraleiters können unterhalbder kritischen Temperatur zu zwei „Flüssigkeiten“zugeteilt werden, einer normal leitenden Flüssigkeitund einer supraleitenden. An der kritischen Tempe-ratur gehört nur ein infinitesimaler Teil der Elektro-nen zur supraleitenden Flüssigkeit, aber dieser Teilnimmt bei abnehmender Temperatur zu. Ein völliganaloges Modell wird für die Beschreibung der Su-prafluidität benutzt.

Der supraleitende Anteil besteht aus Cooper-Paaren(! 9.3.2). Der entsprechende quantenmechanischeGrundzustand ist nur abhängig von der Relativko-ordinate der beiden Elektronen, d.h. er ist räumlichkonstant. Die Dichte der Cooper-Paare, welche auchals Ordnungsparameter bezeichnet wird, ist damiträumlich konstant, außer in der Nähe von Grenzflä-chen oder Flussschläuchen.

Fließt ein Strom im Supraleiter oder wird ein ex-ternes Magnetfeld angelegt, so erhält der Ordnungs-parameter eine Struktur. Wenn wir davon ausgehen,dass die Maxwell-Gleichungen auch für Supraleitergültig sein sollen, dann muss das Ausstoßen des Ma-gnetfeldes durch die entgegen gesetzte Magnetisie-rung des Systems mit einem Oberflächenstrom ver-

5Fritz Wolfgang London (1900 - 1954) und Heinz London(1907 - 1970)

bunden sein. Wird das äußere Feld durch ein Vek-torpotenzial A(r) beschrieben, so ergibt sich die su-praleitende Stromdichte aus dem Ordnungsparame-ter mit Hilfe des Impulsoperators wie folgt:

j = qhvi =qm

hpi

=qm

Y⇤✓

h̄i—�2qA

◆Y.

Dies ist die übliche quantenmechanische Form füreinen Strom, der durch Teilchen mit Ladung 2e undMasse 2m hervorgerufen wird.

9.2.3 London-Gleichung

Wir gehen jetzt davon aus, dass der Betrag |Y| desOrdnungsparameters konstant ist und nur die Phasej variiert. Mit dieser zusätzlichen Annahme redu-ziert sich der Ausdruck für den Strom zu

j = � 1m

⇥q2A�qh̄—j

⇤|Y|2

= � nm

⇥q2A�qh̄—j

⇤. (9.2)

Dabei bezeichnet n die Dichte der Teilchen, q ih-re Ladung, und m ihre Masse. Diese „London-Gleichung“ betrachten wir als heuristischen Aus-gangspunkt für die weiteren Überlegungen. Für dasVektorpotenzial muss die „London-Eichung“ ver-wendet werden:

div~A = 0, ~A? = 0.

Die erste Bedingung entspricht der Coulomb-Eichung. A? bezeichnet die Komponente senkrechtzur Oberfläche. Die zweite Bedingung stellt sicher,dass kein Strom senkrecht zur Oberfläche fließt.

Wir bilden auf beiden Seiten von Gleichung (9.2) dieRotation und erhalten

rot~j = �nq2

m~B.

Wir schreiben das um mit Hilfe der Größe

l

2` =

mµ0nq2 .

198

Page 10: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Diese Proportionalitätskonstante hat die Dimension[l`] = m. Damit wird der Ausdruck zu

rot~j = � 1µ0l

2`

~B. (9.3)

Wir benutzen außerdem die Maxwell-Gleichung

rot~B = µ0~j,

und bilden auf beiden Seiten die Rotation

rot rot~B = graddiv~B�—2~B = �—2~B= µ0 rot~j.

Zusammen mit der London-Gleichung (9.3) ergibtdies

—2~B =~Bl

2`

. (9.4)

Die einzige ortsunabhängige Lösung dieser Glei-chung ist die triviale Lösung, d.h. das Feld ver-schwindet, wie es im Innern eines Supraleiters derFall ist. Dies erklärt bereits den Meissner-Effekt: dasFeld wird aus dem Innern des Supraleiters ausgesto-ßen.

9.2.4 Eindringtiefe

Für eine ebene Grenzfläche senkrecht zur x-Achselautet Gleichung (9.4)

l

2`

2~B∂x2 = ~B.

Für den supraleitenden Halbraum x > 0 ergibt sichdamit auch eine nichttriviale Lösung mit

~B = ~B0e�x/l` .

Der Parameter l` stellt demnach die Abfallrate, resp.die Eindringtiefe des äußeren Feldes dar.

Typische Werte für die Eindringtiefe liegen im Be-reich zwischen 10 und 100 nm.

Bei Filmen, die dünner als die Eindringtiefe sind,ist offenbar die Magnetisierung kleiner ist als in Vo-lumenkristallen. Weil die Energie, die der Supralei-ter aufbringen muss, um das Feld auszustoßen, pro-portional zur Magnetisierung ist, muss das äußere

B

rSL

dünne Filme

kritisches Feld erhöht !

x

B

Vakuum Supraleiter

~B ~B0e�x/��

0

Abbildung 9.23: Eindringen des Magnetfeldes inVolumensupraleiter und in dünneSchichten.

Metall x0/nm lL/nm lL/x0

Sn 230 34 0,16Al 1600 16 0,01Pb 83 37 0,45Cd 760 110 0,14Nb 38 39 1,02

Abbildung 9.24: Kohärenzlänge x0 und Eindringtie-fe lL für unterschiedliche Supralei-ter.

Feld in diesem Fall größer werden, bis die Stabili-sierungsenergie des Supraleiters kompensiert ist undder supraleitende Zustand instabil wird. Damit steigtdie Energie dieser Materialien erst bei höheren Fel-dern auf die Stabilisierungsenergie an und das kriti-sche Feld ist deshalb höher.

9.2.5 Shubnikov-Phase

Die geringere Magnetisierung in dünnen Filmen be-deutet, dass die Gesamtenergie des supraleitendenZustandes geringer ist. Das gleiche passiert in ei-nem Typ II Supraleiter in der Shubnikov-Phase: dasMagnetfeld dringt teilweise ein, die Magnetisierungbleibt geringer und der supraleitende Zustand bleibtbis zu sehr starken Feldern erhalten. Ob ein solchesVerhalten auftritt, hängt davon ab, wie lang die Ko-härenzlänge im Vergleich zur Eindringtiefe ist. Miteinem einfachen Modell kann man zeigen, dass ein

199

Page 11: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Ort ~r

B

ns

Abbildung 9.25: Verlauf des Ordnungsparameters nsin der Nähe eines Flussschlauchesin einem Typ II Supraleiter.

teilweises Eindringen energetisch günstig ist, wennx < l

p2. Dies wird auch bei Typ II Supraleitern

beobachtet.

Die Eindringtiefe ist indirekt proportional zur Wur-zel der Dichte von Cooper-Paaren. Da diese mit zu-nehmender Temperatur abnimmt und an der kriti-schen Temperatur verschwindet, divergiert die Ein-dringtiefe, in erster Näherung nach

l (T )

l (0)=

1r1�

⇣TTc

⌘4.

Somit kann das Magnetfeld in der Nähe der kriti-schen Temperatur immer weiter eindringen.

9.2.6 Pippard’sche Kohärenzlänge

Diese Behandlung der Eindringtiefe geht davon aus,dass die Stromdichte überall proportional zum Vek-torpotenzial sei. Dies ist aber nur möglich wenn sichdas Vektorpotenzial langsam ändert. Allzu schnelleÄnderungen würden eine starke Erhöhung der kine-tischen Energie bedingen.

1953 zeigte Pippard6, dass eine minimale Distanzexistiert, über die das System einer Änderung desäußeren Feldes folgen kann, die Kohärenzlänge x0.Man erhält einen Wert für die Kohärenzlänge aus derBCS-Theorie:

x0 =h̄vF

pEg.

Dieser Ausdruck gilt nur für reine Supraleiter. Sindsie verunreinigt, wird die Kohärenzlänge kürzer, da

6Alfred Brian Pippard (1920 - 2008)

in diesem Fall die kinetische Energie der Elektronenbereits höher ist. Die Verkürzung der Kohärenzlän-ge lässt sich am besten durch die freie Weglänge `der Elektronen im Normalzustand parametrisieren.Für stark verunreinigte Supraleiter variiert die Ko-härenzlänge wie

x =p

x0`.

Die Eindringtiefe hingegen nimmt mit der Wurzelaus der mittleren freien Weglänge ab

l = l`

rx0

`,

so dass

l

x

= k =l`

`.

Dieses Verhältnis zwischen Eindringtiefe und Kohä-renzlänge ist der wichtigste Parameter für die Unter-scheidung zwischen Typ I und Typ II Supraleitern.Für kleine Eindringtiefen, resp. große Kohärenzlän-gen, d.h. k < 1, findet man Typ I Supraleiter, für k >1 eher Typ II Supraleiter.

9.2.7 Ginsburg-LandauOrdnungsparameter

In der London’schen Theorie wurde angenommen,dass die Dichte der Cooper-Paare homogen sei, alsonicht vom Ort abhängt. Diese Einschränkung wirddurch die Ginsburg-Landau Theorie aufgehoben.

Schon vor der London-Gleichung zeigten Gins-burg7 und Landau, dass der supraleitende Zustanddurch einen komplexen Ordnungsparameter Y(~r)beschrieben werden kann, der oberhalb der kriti-schen Temperatur Tc verschwindet. Er entspricht imWesentlichen der Zustandsfunktion eines Cooper-Paars; die Ortsabhängigkeit bezieht sich auf denMassenschwerpunkt der beiden Elektronen. Die Zu-standsfunktion kann also auch geschrieben werdenals

Y(~r) =p

ns(~r)eij(~r),

7Witali Lasarewitsch Ginsburg (1916 - 2009)

200

Page 12: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

mit ns = |Y(~r)|2 als Dichte der Cooper-Paare. Ab-gesehen von dieser Normierung verhält sich Y wieeine quantenmechanische Zustandsfunktion.

In der Ginsburg-Landau Theorie werden die thermo-dynamischen Größen als Funktion dieser Zustands-dichte ausgedrückt, wobei eine Reihenentwicklungverwendet wird und dies nach dem zweiten Term ab-gebrochen wird. So ist die Enthalpie pro Volumen gsdes supraleitenden Zustandes

gs = gn +a|Y|2 +b

2|Y|4.

Hier stellen a und b Entwicklungskoeffizienten dar.

Oberhalb der kritischen Temperatur gilt a = b = 0.Unterhalb von Tc wird die Zustandsdichte |Y2| da-durch bestimmt, dass die Enthalpie als Funktion von|Y2| ein Minimum annimmt. Somit ist

∂gs

∂ |Y|2 = 0 = a +b |Y•|2 ! |Y•|2 = �a

b

.

Hier bezieht sich Y• auf den Zustand im Inneren ei-nes supraleitenden Materials, weit von einer Grenz-fläche, so dass magnetische Felder keine Rolle spie-len. Aus der Stabilisierungsenergie (9.1) kennen wir

gs �gn = � 12µ0

B2c .

Somit muss

a = � 12µ0

B2c

|Y•|2 b =1µ0

B2c

|Y•|4

sein.

9.2.8 GL-Kohärenzlänge

Ändert sich der Ordnungsparameter als Funktiondes Ortes, besitzt also |Y| einen Gradienten, so ent-spricht dies einer kinetischen Energie, welche eben-falls zur Gesamtenergie beiträgt. Sie kann geschrie-ben werden als

Dgkin =1

2ms

����

✓h̄i~—� es~A

◆Y

����2

.

Hier bezeichnen es und ms Ladung und Masse derCooper-Paare. Berücksichtig man diesen Beitrag zur

Gesamtenergie, so wird die räumliche Änderung desOrdnungsparameters beschränkt, da eine schnelleÄnderung des Ordnungsparameters einer hohen ki-netischen Energie entsprechen würde.

|�|/

|��

|

Ort x/�0 1 2 3

0

0,5

1

Vaku

um

Supraleiter

Ordnu

ngsparam

eter

tanhx

�p

2

Abbildung 9.26: Anstieg des Ginsburg-Landau Ord-nungsparameters von der Grenzflä-che bei x = 0.

Im Bereich einer Grenzfläche erhält man eine Lö-sung für den Ordnungsparameter als

|Y||Y•| = tanh

xx

p2.

mit der Kohärenzlänge

x =h̄p

2ms|a|

als kürzeste Distanz, über die sich der Ordnungspa-rameter wesentlich ändern kann.

Da sich sämtliche Cooper-Paare im gleichen Zustandbefinden, genügt eine Funktion zur Beschreibungdes gesamten supraleitenden Zustandes. Da die Re-lativkoordinate der beiden Elektronen nicht enthal-ten ist, kann dieser Ordnungsparameter nur Phäno-mene beschreiben, deren räumliche Variation lang-samer ist als die Ausdehnung des Cooper-Paars.

9.2.9 Fluss-Quantisierung

Aus der Tatsache, dass der Ordnungsparameter ei-ne eindeutige quantenmechanische Zustandsfunkti-on ist, folgt, dass der magnetische Fluss durch einen

201

Page 13: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

Pfad

supraleitender Ring

{d >> h

Abbildung 9.27: Geschlossener Pfad in einem supra-leitenden Ring.

supraleitenden Ring nur ganzzahlige Vielfache desmagnetischen Flussquants betragen kann.

Wir betrachten dafür einen Ring eines supraleiten-den Materials, wie in Abb. 9.27 gezeigt. In diesemRing betrachten wir einen geschlossenen Pfad P,welcher einmal um das Loch läuft und berechnendas Integral des Stromes entlang dieses Pfades. Ineinem Supraleiter kann ein Strom nur an der Ober-fläche existieren. Wenn der Pfad genügend tief im In-neren des Materials liegt, muss also der Strom über-all verschwinden und damit auch das Integral desStroms entlang des Weges. Mit Gleichung (??) fürdie Stromdichte können wir somit das Integral be-rechnen

Z

p~j · d~̀ = �|Y|2

Z

p

h2e2~A+ eh̄~—j

id` = 0.

Wir integrieren zunächst den ersten Term. Aus demSatz von Stokes erhalten wir

Z

p~A · d~̀ =

Z~—⇥~AdS =

Z~B · d~S = F,

wobei F den magnetischen Fluss durch den Ringdarstellt.

Da der Ordnungsparameter eine eindeutige Funkti-on des Ortes ist, muss seine Phase entlang dem ge-schlossenen Weg um ein Vielfaches von 2p ändern,

Z~—j · d~̀ = Dj = 2pn,

mit n eine ganze Zahl. Damit erhalten wir

|F| = nh2e

= nF0

mit

F0 =h2e

= 2.0679 ·10�15 Tm2.

Die Größe F0 wird als Flussquant bezeichnet. Wiebereits bei der Diskussion der Typ-II Supraleitergezeigt, können diese auch experimentell beobach-tet werden (siehe Abb. 9.13). Man verwendet dafürkleine ferromagnetische Teilchen. Die Beobachtungder Flussquanten ist eine der wichtigsten Hinweisedarauf, dass die Beschreibung mit Hilfe eines Ord-nungsparameters sinnvoll ist. Jeder eingeschlossenemagnetische Fluss wird von einem Dauerstrom imSupraleiter eingeschlossen.

9.3 Skizze der BCS-Theorie

Die bisher vorgestellten Modelle waren rein phäno-menologisch, sie machten keine Aussagen über diemikroskopische Natur der Supraleitung. Eine solchemikroskopische Theorie wurde 1957 von John Bar-deen, Leon Neil Cooper und John Robert Schrief-fer (BCS) vorgestellt8. Eine vollständige Behand-lung der BCS-Theorie ist recht aufwendig und bietetStoff für ein ganzes Semester. Hier ist deshalb nurPlatz für eine Skizze.

9.3.1 Elektron-Phonon Streuung

Aus experimentellen Beobachtungen wusste man,dass die Elektronen in Supraleitern Paare bilden,welche die Träger des Superstroms darstellen. Esmuss demnach eine anziehende Kraft zwischen denElektronen geben, welche die Coulomb-Abstoßungüberwindet. Wie wir bei der Diskussion der quasi-freien Elektronen gesehen hatten, kann die Wechsel-wirkung von Elektronen mit dem Gitter zu einer Er-niedrigung der Energie führen. In ähnlicher Weisekann die Wechselwirkung eines Elektronenpaars mitdem Gitter zu einer Erniedrigung der Energie desPaarzustandes führen, so dass die Elektronen eineeffektive anziehende Wechselwirkung zeigen. Man

8Phys. Rev. 106, 162 - 164 (1957); Phys. Rev. 108, 1175(1957).

202

Page 14: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

kann diesen Effekt als Über-Abschirmung verstehenoder so, dass eines der Elektronen das Gitter defor-miert und das andere Elektron diese Gitterdeforma-tion benutzt um seine Energie zu erniedrigen.

EF + ��D

Fermikugel EF

k, �

�k, �

EF

�k�, �

k�, �

Streuung an Phonon

Abbildung 9.28: Streuung eines Elektronenpaars miteinem Phonon.

1952 zeigte Herbert Fröhlich9, dass Phononen zwi-schen Elektronen eine anziehende Wechselwirkungvermitteln können. Dafür müssen die beiden Elek-tronen entgegengesetzten Impuls haben, also ~k1 =�~k2. In Abb. 9.28 ist angenommen, dass diese sichin einem Singulett-Zustand befinden, so dass derRaumteil der Zustandsfunktion symmetrisch ist. Dader Gesamtimpuls verschwindet, kann das Elektro-nenpaar leicht in einen anderen Zustand übergehen,bei dem die beiden Wellenvektoren wiederum entge-gengesetzt sind,~k0

1 = �~k02, so dass der Gesamtimpuls

wiederum verschwindet. Dieser Prozess kann abernur stattfinden, wenn die Wellenvektoren innerhalbeiner dünnen Schicht oberhalb der Fermienergie EFliegen, bis maximal zur Energie EF + h̄wD, wobei wDdie Debye-Frequenz darstellt. Im Innern der Fermi-kugel stehen keine freien Zustände für die Streuungzur Verfügung, und die Phononen, welche erzeugtwerden, können maximal die Debye-Energie h̄wDbesitzen. Diese liegt typischerweise bei ⇡ 10 meV,ist also um mehrere Größenordnungen kleiner alsdie Fermi-Energie. Dementsprechend ist die Skizzein Abb. 9.28 nicht maßstabsgetreu. Der verschwin-dende Gesamtimpuls des Paars sorgt dafür, dass bei-de Endzustände des Streuprozesses in dieser dünnenSchale liegen.

9Proc. Royal Soc. London A215, 291–298 (1952).

9.3.2 Cooper Paare

Die resultierende Wechselwirkung ist zu klein, umfür isolierte Elektronenpaare zu einer bindendenWechselwirkung zu führen. In einem Supraleiterkommt aber ein kollektiver Effekt der übrigen Elek-tronen im gleichen Band hinzu: alle Orbitale unter-halb der Fermi-Energie sind besetzt. Leon Cooperzeigte 195610, dass diese Anziehung, auch wenn sienur schwach ist, einen gebundenen Zustand erzeu-gen kann, dessen Energie unterhalb der Fermiener-gie liegt. Die resultierenden gebundenen Paare vonElektronen, welche jeweils einen Gesamtspin von 0und einen Gesamtimpuls von 0 haben, werden des-halb Cooper-Paare genannt.

k

k’=k-q

-k’ =-k+q

-k

q

Abbildung 9.29: Wechselwirkung durch Emissionund Absorption eines Phonons.

Wie in Abb. 9.29 gezeigt, kann der Prozess als Emis-sion und Absorption eines Phonons verstanden wer-den. Eine solche Wechselwirkung erzeugt aus denbeteiligten Zweielektronenzuständen zwei neue Zu-stände, von denen die Energie des einen abgesenktwird.

Wenn wir berücksichtigen, dass durch alle mögli-chen Phononen praktisch alle Paarzustände an derFermifläche aneinander gekoppelt werden, kann dieresultierende Energiereduktion geschrieben werdenals

Ep ⇡ �2h̄wDe�1/UD(EF ).

Hier bezeichnet U die Stärke der Elektron-PhononWechselwirkung und D(EF) die Zustandsdichte ander Fermioberfläche. Dadurch bildet sich ein gekop-pelter Paar-Zustand, was einer anziehenden Wech-selwirkung zwischen den beiden Elektronen ent-spricht. In diesem gebundenen Zustand besitzen die

10Phys. Rev. 104, 1189 (1956).

203

Page 15: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

einzelnen Elektronen keinen eigenen Impuls mehr.Stattdessen enthält der gebundene Zustand alle Paarevon entgegengesetzten Impulsvektoren. Dieser Zu-stand besitzt deshalb die Symmetrie eines s-Orbitals,man spricht von s-Wellen Paarung.

Da dieser Zustand unterhalb der Fermienergie liegt,können alle Elektronen in der Nähe der Fermikanteihre Energie erniedrigen, indem sie sich zu Paarenverbinden. Man sagt deshalb, dass das freie Elektro-nengas instabil ist und (teilweise) in den supraleiten-den Zustand kondensiert. Da der Paarzustand ein Bo-son beschreibt, gilt dafür kein Ausschließungsprin-zip. Alle Paare können somit in den gleichen Zu-stand kondensieren. Die Wellenpakete der Cooper-Paare haben eine Ausdehnung von ⇡ 1 µm. Somitbefinden sich auch innerhalb eines Paars sehr vieleandere einzelne und gepaarte Elektronen.

Da die Wechselwirkung durch Phononen vermitteltwird, hängt sie auch von der Masse der Atomker-ne ab - dies erklärt den Isotopeneffekt. Die Stärkeder Wechselwirkung hängt auch von der Stärke desperiodischen Potenzials ab: ist dieses nur schwach,wie in den guten Leitern Kupfer, Silber oder Gold,so werden sie erst bei sehr tiefen Temperaturen odergar nicht supraleitend. Ist die Wechselwirkung stark,so tritt Supraleitung schon bei höheren Temperatu-ren auf. Unterdrückt wird die Supraleitung außerdemdurch magnetische Verunreinigungen, da diese denSpin-Singulett Zustand ändern können.

9.3.3 Paarzustand

Die Grundlage der BCS-Theorie ist ein Zweielektro-nenzustand. Dieser muss bei Vertauschung der bei-den Elektronen antisymmetrisch sein. Bei paralle-len Spins ist die Austauschenergie zu groß, so dasswir lediglich Singulett-Zustände betrachten müssen.Da hier der Spinteil antisymmetrisch ist, muss derRaumteil der Wellenfunktion symmetrisch sein. Wirschreiben ihn in einem Koordinatensystem, das anden Schwerpunkt gekoppelt ist als

F(r � r0) =1

(2p)3

Zd~kc(~k)ei~k(r�r0).

c(~k) stellt hier einen (kontinuierlichen) Entwick-lungskoeffizienten dar. Da alle Zustände unterhalb

der Fermi-Energie besetzt sind muss aufgrund desPauli-Prinzips gelten

c(~k) = 0 für ,k < kF .

Wir setzen weiter voraus, dass das Gitter eine attrak-tive Wechselwirkung zwischen verschiedenen Zwei-Elektronen Zuständen existiert. Der übliche Ansatzfür den Wechselwirkungsoperator ist

V (~k1,~k2) = �V0,

falls beide Zustände innerhalb eines Energiebandesh̄wD oberhalb der Fermikante liegen, wobei wD dieDebye-Frequenz ist. Innerhalb dieses Bereiches wirddie Wechselwirkung als konstant angenommen.

Die N Elektronen, welche den makroskopischenQuantenzustand bilden, können in einer Zustands-funktion zusammengefasst werden, welcher als Pro-dukt von N/2 identischen 2-Elektronenfunktionengeschrieben werden kann:

Y(~r1s1, . . . ,~rNsN) = F(~r1s1,~r2s2)

. . .F(~rN�1sN�1,~rNsN).

Dieser Zustand muss noch antisymmetrisch gemachtwerden bezüglich Austausch von zwei Elektronen:

YBCS = A (Y) .

Die Paarzustände F sind Singulett-Zustände, d.h.die Elektronen haben entgegengesetzten Spin. Dasich alle Paare im gleichen Zustand befinden, kannein einzelnes Elektron seinen Zustand nicht ändern.Streuprozesse werden dadurch unterdrückt und derelektrische Widerstand verschwindet.

9.3.4 Energielücke

Eine geeignete Funktion c(~k) definiert einen gebun-denen Zustand mit Energie

E = 2EF �D,

d.h. die Energie des Zustandes liegt um D unter-halb der Energie der unabhängigen Elektronen. Da

204

Page 16: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

die gepaarten Elektronen sich in einem Singulett-Zustand befinden, verhalten sie sich jetzt wie Boso-nen, d.h. es kann sich eine große Zahl von Paaren indiesem Zustand befinden. Die gebundenen Elektro-nenpaare tragen gleichzeitig zu einer Stabilisierungder Bindungsenergie bei. Dadurch wird der Fermi-See instabil: je mehr Elektronen kondensieren, de-sto stabiler wird der gebundene Zustand. ThermischeAnregungen führen hingegen zu einer Aufspaltungder Elektronenpaare. Deshalb befinden sich bei derkritischen Temperatur nur wenige Elektronen im ge-bundenen Zustand; bei tieferen Temperaturen nimmtihr Anteil zu.

EF Energie E

Zust

ands

dich

teD

(E)

ohne WW

Energie E

Zust

ands

dich

teD

(E)

EF

mit WW

2�

Abbildung 9.30: Energielücke an der Fermikante.

Um die Fermienergie öffnet sich eine Energielückeder Breite 2D. Beim absoluten Nullpunkt ist ihreBreite

2D(0) = 3,52kBTc.

Um ein Cooper-Paar aufzubrechen, muss genügendEnergie vorhanden sein, um die beteiligten Elektro-nen über die Energielücke anzuheben. Dadurch wer-den Streuprozesse sehr unwahrscheinlich und derStromfluss ist verlustfrei. Dies entspricht wiederumdem Modell zweier Flüssigkeiten, wobei der An-teil der Superflüssigkeit bei tiefen Temperaturen an-steigt. Durch die Stabilisierung steigt die Größe derEnergielücke bei tiefen Temperaturen.

9.3.5 Die wichtigsten Resultate

• Eine anziehende Wechselwirkung zwischenElektronen kann zu einem Grundzustand füh-ren, der von den angeregten Zuständen durcheine Energielücke getrennt ist. Die Existenz ei-nes kritischen Feldes, sowie die thermodyna-

mischen Eigenschaften der Supraleiter werdendurch diese Energielücke bestimmt.

• Man kann die Sprungtemperatur Tc ausder Debye-Temperatur q , der anziehendenElektron-Gitter Wechselwirkung U und der Zu-standsdichte D(EF) an der Fermikante abschät-zen als

Tc = 1,14qe� 1UD(EF )

oder

D(0)

kBTc= 1,76 .

Dies bedeutet, dass bei jeder Kopplungsstärkeein Übergang zu einem supraleitenden Zustandstattfindet, dass aber die Temperatur sehr nied-rig sein kann.

Normierte Temperatur T/Tc

Nor

mie

rte

Ener

giel

ücke

Δ(T

)/Δ (0

) � (T )

� (0)= 1, 74

r1 � T

Tc

Abbildung 9.31: Normierte Energielücke als Funkti-on der Temperatur.

• Die Energielücke variiert in der Nähe der kriti-schen Temperatur Tc wie

D(T )

D(0)= 1,74

r1� T

Tc.

• Der magnetische Fluss durch einen supraleiten-den Ring ist quantisiert, wobei die Ladungsein-heit -2e beträgt.

• Die Energielücke führt zu einem exponentiel-len Absinken der spezifischen Wärme bei tiefenTemperaturen.

205

Page 17: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

• Die BCS Theorie erklärt den Meissner-Ochsenfeld Effekt.

• Sie erklärt die Temperaturabhängigkeit der kri-tischen Feldstärke.

9.4 Resultate und Anwendungen

9.4.1 Leitfähigkeit

Abbildung 9.32: Supraleitende Drähte.

Die verlustfreie Leitung von elektrischem Stromist eine der Eigenschaften der Supraleiter, die amschwierigsten aus der mikroskopischen Theorie zuerhalten sind. Qualitative Argumente dafür sind

• Das Auftreten einer Energielücke führt dazu,dass kleine Streuenergien keine leeren Zustän-de finden.

• Ein Strom in einem Supraleiter entspricht ei-ner gleichzeitigen Schwerpunktsbewegung al-ler Cooper-Paare. Ein Stoß mit Phononen odermit einem Gitterfehler kann diesen Zustand nurverändern wenn es die Schwerpunktbewegungaller Cooper-Paare gleichzeitig verändert. Diesbenötigt aber eine sehr große Energie, so dassdieser Prozess extrem ineffizient wird und dieStreuzeit für alle praktischen Belange unend-lich wird.

Im Modell freier Elektronen beträgt die Leitfähigkeit

s = ne2 t

m.

In einem idealen Supraleiter ist die Streuzeit t undsomit auch die Leitfähigkeit unendlich.

Natürlich kann man nicht beweisen, dass die Streu-zeit unendlich Bei Supraleitern wird die Streuzeitsehr lang. Dies kann man auf zwei Arten verstehen:

Um diesen Grenzübergang besser zu verstehen, ist essinnvoll, die Leitfähigkeit im Frequenzraum zu be-trachten, also den Strom, der als Antwort auf eineWechselspannung fließt. Da die Ladungsträger auchin einem Supraleiter beschleunigt werden müssen,ist die Leitfähigkeit für einen Wechselstrom nichtunendlich, sondern rein imaginär: der Strom folgtder Spannung mit einer zeitlichen Verzögerung. Ineinem idealen Supraleiter sind die Relaxationszeitenunendlich lang. Die AC-Leitfähigkeit wird dann

s(w) = inse2

mw

,

wobei ns die Dichte der Cooper-Paare beschreibt.

�Im

{�(�

)}

�Frequenz

norma

lleiten

d

supraleitend

Abbildung 9.33: Dispersion der Leitfähigkeit.

Wenn wir die Größe

w¡{s(w)} = nse2

mgegen die Frequenz auftragen, sollten wir eine Kon-stante erhalten. Durch nichtideales Verhalten kön-nen zusätzliche Terme hinzukommen, welche einegewisse Variation ergeben; trotzdem bleibt für denGrenzwert w ! 0 ein endlicher Wert übrig, im Ge-gensatz zum Verhalten eines Normalleiters. Dies istdie beste Möglichkeit, um zu zeigen, dass Strömedissipationsfrei fließen können.

Wird die Frequenz hoch genug, so können Cooper-Paare aufgebrochen werden, indem Photonen absor-biert werden und die Cooper-Paare über die Energie-lücke gehoben werden.

9.4.2 Tunnel-Kontakte

Zu den wichtigsten Anwendungen von Supraleiterngehören Anordnungen, bei denen zwei Supraleiter

206

Page 18: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

durch eine dünne Schicht eines Isolators getrenntsind. Diese Schicht wirkt wie eine Potenzialbarrie-re für die Elektronen. Ist sie dünn genug, im Bereichvon wenigen nm, so können die Elektronen durchdiese Barriere hindurch tunneln. Wir gehen im Fol-genden davon aus, dass dieser Tunnelprozess ela-stisch ist, dass also keine Stöße stattfinden, und da-mit die Energie der Elektronen vor und nach demTunnelprozess die gleiche ist.

Normales Metall

Isolator

Ener

gie

EF

Isol

ator

VB

LB

I

VSpannung

Stro

m

Strom I

V

Abbildung 9.34: Tunnelkontakt zwischen zwei Nor-malleitern.

Befinden sich auf beiden Seiten der Isolatorschichtnormale Metalle, so können die Elektronen durchden Isolator durch tunneln. Das System verhält sichwie ein Ohm’scher Widerstand.

Strom I

V

Normales Metall

Supraleiter

Isolator

T � Tc

EF2�

Ener

gie

Isol

ator

I

V

T = 0

Spannung

Stro

m

T > 0

z.B. STM Spitze auf Supraleiter

Abbildung 9.35: Tunnelkontakt zwischen Supralei-ter und Normalleiter.

Trennt man aber einen Normalleiter und einen Su-praleiter, so fließt bei kleinen Spannungen zunächst

kein Strom11, da im Supraleiter keine leeren Zustän-de zur Verfügung stehen. Erst wenn die Potenzialdif-ferenz den WertD/e erreicht, so dass die Fermiener-gie des Normalleiters über die Energielücke des Su-praleiters zu liegen kommt, so können wieder Elek-tronen tunneln, so dass ein Strom fließt.

Wenn man annimmt, dass der Tunnelprozess ela-stisch ist, dass die Elektronen also ihre Energienicht ändern, dann ergibt sich der Tunnelstrom durchSummation über alle Übergänge mit unterschiedli-chen Energien, wobei diese jeweils mit der Anzahlder verfügbaren Zustände multipliziert werden müs-sen: mit der Zahl der gefüllten Zustände auf derQuellenseite und der Zahl der leeren Zustände nachdem Tunnelprozess. Deshalb steigt der Strom sehrschnell an, wenn die Energielücke erreicht ist, dahier die Zustandsdichte des Supraleiters sehr hochist.

Bei endlichen Temperaturen sind auch einzel-ne Elektronen vorhanden, welche einen normalenStrom fließen lassen, so dass das Verhalten allmäh-lich zum normalleitenden Zustand übergeht.

9.4.3 Josephson-Kontakte

Strom I

V

Supraleiter

Isolator

Supraleiter

Abbildung 9.36: Tunnelkontakt zwischen zwei Su-praleitern.

Bei zwei Supraleitern, die durch eine dünne Isolator-Schicht getrennt sind findet man dementsprechendauch einen Tunnelstrom, der durch die normallei-tenden Elektronen gegeben ist. Dieser Anteil zeigt,wie beim Normalleiter, keine Leitung bis die Ener-gielücke überwunden wird. An dieser Stelle erfolgtwegen der hohen Zustandsdichte ein rascher Anstiegdes Stromes.11Ivar Giaever, Phys. Rev. Lett., 5, 147–148 (1960).

207

Page 19: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

EF2�

Energie

Isolator

I

V

T = 0

SpannungStrom

Joseph

son-Strom

Abbildung 9.37: Zustandsdichten an einem Joseph-son Kontakt und Strom-SpannungsKennlinie.

Zusätzlich findet man aber auch einen Beitragdurch tunnelnde Cooper-Paare. Dieser Beitrag wur-de von Josephson vorhergesagt und wird deshalbals Josephson-Effekt bezeichnet. Da dieser Beitragdurch Cooper-Paare geliefert wird, ist er verlust-frei und damit ohne Spannung über dem Josephson-Kontakt - dies wird als DC-Josephson Effekt12 be-zeichnet.

Strom

Strom

Spannung V

Supraleiter 1

Supraleiter 2

Isolator

Abbildung 9.38: Josephson-Kontakt.

In der Abbildung 9.38 ist ein Josephson-Kontaktskizziert. Wir schreiben Yi für die Wellenfunktionaller Elektronen im SL i = 1,2 (makroskopischerQuantenzustand). Die gekoppelten Schrödinger-Gleichungen der Wellenfunktionen Yi lauten

dY1

dt= � i

h̄(U1Y1 +KY2) ,

dY2

dt= � i

h̄(U2Y2 +KY1) .

Hier sind Ui die Potenziale in den beiden Bereichenund K beschreibt die Kopplung durch den Isolator.12Brian David Josephson (*1940)

9.4.4 DC Josephson Effekt

Wenn ein elektrisches Feld (DC Potenzial V ) überdie Tunnelbarriere angelegt wird, dann ist U1 �U2 =qV . Wenn wir den Energienullpunkt auf (U1 +U2)/2setzen, wird die Schrödingergleichung zu

dY1

dt= � i

✓qV2

Y1 +KY2

◆,

dY2

dt= � i

✓�qV

2Y2 +KY1

◆.

Wir zerlegen die Zustandsfunktion in Absolutbetragund Phase,

Yi =p

ni eiji ,

wobei ni = |Yi|2 die Dichte der Cooper-Paare in i =1,2 darstellt und ji die Phase. Damit erhält man fürdie Beträge der Zustandsfunktionen die Gleichung

dn1

dt=

2Kh̄

pn1n2 sin(j2 �j1)

= �dn2

dt.

Diese Änderung der Elektronendichte entspricht ei-nem Strom. Die Zu-, respektive Abnahme der La-dungsdichte in den Bereichen wird dadurch ausge-glichen, dass die beiden Supraleiter mit einer Strom-quelle verbunden sind.

Für die Phasen erhalten wir die Differenzialglei-chungen

dj1,2

dt=

Kh̄

rn2

n1cos(j2 �j1)⌥ qV

2h̄. (9.5)

Mit der Abkürzung d := j2 � j1 wird der Stromdurch die Tunnelbarriere

IT = qdn1

dt=

2Kqh̄

pn1n2 sind . (9.6)

Bei einer zeitlich konstanten Phasendifferenz d fließtein konstanter Josephson Strom durch den Kontakt.Dies entspricht dem Superstrom in Abb. 9.37 und dervertikalen Linie in Abb. 9.39. Bleibt der Superstromunterhalb des kritischen Stroms, so ist der Kontaktkurzgeschlossen, und die Spannung verschwindet.Dies entspricht dem DC-Josephson Effekt.

208

Page 20: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

9.4.5 AC Josephson Effekt

Überschreitet der Strom den kritischen Wert für dengegebenen Kontakt, so entsteht eine endliche Span-nung. Aus der Differenzialgleichung (9.5) für diePhasen folgt dann

dd

dt=

qVh̄

,

und da die Ladungsträger Elektronenpaare sind, q =�2e, gilt

d = d0 � 2eVh̄

t .

Bei einer endlichen Spannung nimmt somit die Pha-sendifferenz linear mit der Zeit zu. Der Strom istgemäß (9.6) µ sind . Daher ergibt sich an den Kon-takten ein oszillierender Suprastrom (AC Josephson-Effekt) mit der Kreisfrequenz

wJ =2eV

h̄=

2 ·1,6 ·10�19

10�34 s�1 VVolt

= 3 ·1015s�1 VVolt

.

Eine Gleichspannung von V = 1 µV erzeugt so eineFrequenz von

n =wJ

2p

10�6 Hz = 483,6MHz.

Umgekehrt kann ein elektrisches Wechselfeld einenGleichstrom durch den Kontakt verursachen. DerAC Josephson Effekt verknüpft eine Spannung zueiner Frequenz und stellt deshalb eine der bestenSpannungs-Normale dar.

Man kann diesen Effekt folgendermaßen verste-hen: Besitzen die beiden Supraleiter das gleichePotenzial, so sind die Energien der beiden BCS-Grundzustände gleich, und ein Strom kann fließen.Gibt es aber eine Potenzialdifferenz, so kann einStrom nur fließen, wenn gleichzeitig die Energiedif-ferenz in Form eines Photons der Frequenz wJ abge-geben oder aufgenommen werden kann.

ac Josephson E!ekt

ac Josephson E!ekt

Spannung

Stro

m

Vc

Ic

Abbildung 9.39: Strom-Spannungs Kurve bei einemJosephson Kontakt.

Supraleiter Supraleiter

Isolator

Bz

x

��

yAbbildung 9.40: Effekt eines Magnetfeldes auf die

Phasendifferenz eines JosephsonKontaktes.

9.4.6 Magnetfeld

Befindet sich ein Josephson-Kontakt in einem Ma-gnetfeld, so ändert das Vektorpotenzial ~A (~— ⇥~A =~B) den Phasenfaktor des Ordnungsparameters:

Y(~r) ! Y(~r) · eiqh̄

Rd~r~A(~r) .

Der Strom, der durch den Kontakt fließt, ist propor-tional zur Phasendifferenz des Ordnungsparameterszwischen über den Kontakt:

I = I0 sind = I0 sin(j2 �j1).

Ein Magnetfeld in der Ebene des Kontaktes führt da-zu, dass diese Phasendifferenz innerhalb des Kon-taktes als Funktion des Ortes oszilliert. Dies führt zu

209

Page 21: 9 Supraleitung - TU Dortmund

9 Supraleitung

einer Interferenz der Beiträge, und der Gesamtstromwird

I = I0sin(p F

F0)

p

FF0

.

Die Proportionalitätskonstante I0 hängt von derStruktur des Übergangs ab, aber nicht vom Magnet-feld. F stellt den magnetischen Fluss durch den Tun-nelkontakt dar.

T=1.9 KSn - SnO - Sn

Magnetfeld / Gauß-4 -2 0 2 4

Jose

phso

n St

rom

Abbildung 9.41: Abhängigkeit des JosephsonStroms von der Flussdichte.

Diese Abhängigkeit entspricht dem Beugungsbildeines Spalts und wird deshalb auch als Fraunhofer-Figur bezeichnet.

9.4.7 SQUID

Wahrscheinlich die wichtigste technische Anwen-dung des Josephson Effekts sind die sogenannten„Superconducting Quantum Interference Device“,eine kreisförmige Anordnung von zwei JosephsonKontakten.

SL

Isolator

Isolator

Abbildung 9.42: Schematischer Aufbau und Bildeins SQUIDs.

Befinden sich zwei parallel geschaltete Josephson-Kontakte in einem Magnetfeld (DC-SQUID), dann

tritt an den beiden Kontakten ein Gesamtstromauf, der mit dem Fluss, der den Kreis aus beidenJosephson-Kontakten durchdringt, oszilliert.

Die Phasenänderungen längs der beiden Wege ist

D1 = d1 +2eh̄

Z

Weg1d~r~A ,

D2 = d2 +2eh̄

Z

Weg2d~r~A .

Der Phasenunterschied ist proportional zum magne-tischem Fluss F durch die Schleife:

d2 �d1 =2eh̄

I

Cd~r~A

=2eh̄

ZZ

F(C)d~f ~—⇥~A

=2eh̄

ZZ

F(C)d~f ~B =

2eh̄

F .

Der gesamte Strom durch die beiden Kontakte ist ge-geben durch die Summe der Ströme durch die einzel-nen Kontakte. Wir teilen die Phasendifferenz d2 �d1gleichmäßig auf die beiden Kontakte auf und erhal-ten

I = Ia + Ib

= I0

hsin

⇣d0 � e

h̄cF

⌘+ sin

⇣d0 +

eh̄c

F⌘i

= 2I0 sind0 cos✓

eFh̄c

◆.

d0 ist hier die intrinsische Phasendifferenz über demeinzelnen Josephson Kontakt.

Diese oszillierende Abhängigkeit vom magnetischenFluss wird für eine empfindliche Messung der Ma-gnetfeldstärke verwendet. SQUIDS sind heute kom-merziell erhältlich und stellen heute eine der wich-tigsten Anwendungen der neueren Hochtemperatur-Supraleiter dar. Sie werden neben der Physik auchin der Medizin zur Messung von Magnetfeldern imGehirn verwendet.

Eine weitere Anwendung von Josephson Kontaktenist in der Quanteninformationsverarbeitung, wo sieals Quantenbits verwendet werden.

210