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Akutes Koronarsyndrom (außer STEMI) Eberhard Schulz* und Thomas Munzel II. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universit atsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universitat, Mainz, Deutschland 1 Definition Als akutes Koronarsyndrom wird eine akute thorakale Beschwerdesymptomatik verstanden (in aller Regel thorakaler Schmerz oder Enge, sog. Angina), bei der anhand von Anamnese, Risikoprol und Vitalparametern eine zugrundeliegende Koronarischamie vermutet wird. Der Begriff akutes Koronarsyndromist zunachst als Verdachts- oder Arbeitsdiagnose zu verstehen, anhand der weiterfuhrenden Diagnostik mittels EKG und Labor (Troponin) ist eine weitere Differenzierung in ST-Hebungsinfarkt (STEMI, Kap. STEMI), Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) sowie instabile Angina pectoris möglich (Abb. 1). 2 Pathophysiologie Durch die Ruptur einer atheromatösen Plaque im Koronargefaß kommt es zu einer akuten arteriellen Thrombusbildung, die zu einer Verengung des Gefaßlumens und damit kritischen Einschrankung des Blutusses in den nachgeschalteten Myokardabschnitten fuhrt. Bei einem kompletten Gef aßverschluss resultieren in aller Regel ST-Streckenhebungen (STEMI), bei einem inkompletten Verschluss kommt es zumeist durch die kritische Stenose oder auch durch periphere Embolisationen zu einem Anstieg des kardialen Nekrosemarkers Troponin (NSTEMI), dieser kann aber auch ausbleiben (instabile Angina). Da die zugrundeliegende Plaque zuvor nicht unbedingt zu einer hamodynamisch relevanten Stenose gefuhrt haben muss (diese ist in aller Regel erst ab einer Lumenreduktion von 70 % gegeben), sind viele Patienten vor dem akuten Ereignis komplett beschwerdefrei gewesen oder haben auch in Vorsorgeunter- suchungen vorab keinen positiven Ischamienachweis gehabt. Erst mit der Plaqueruptur kommt es letztlich zur Ausbildung einer kritischen Stenose, dies erkl art auch, warum die Erstmanifestation einer Koronarer- krankung als akuter Myokardinfarkt unerwartet haug ist. 3 Epidemiologie Herzkreislauferkrankungen fuhren in Industrienationen weltweit und so auch in Deutschland die Todesursachenstatistiken an. Im Jahr 2010 lag der Anteil der chronisch ischamischen Herzkrankheit bei 8,4 % bzw. der des akuten Myokardinfarktes bei 6,4 % aller Todesursachen in Deutschland. 3.1 Risikofaktoren Um die Wahrscheinlichkeit einer kardialen Genese der Beschwerden zu untermauern, ist die Kenntnis der klassischen kardiovaskul aren Risikofaktoren unerl asslich, zumal die Erstmanifestation einer KHK als akuter Myokardinfarkt nicht selten ist und bis zu 50 % betragt. Dies sind im Einzelnen: *Email: [email protected] SpringerReference Innere Medizin DOI 10.1007/978-3-642-54676-1_191-1 # Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2015 Seite 1 von 13

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Akutes Koronarsyndrom (außer STEMI)

Eberhard Schulz* und Thomas M€unzelII. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universit€atsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universit€at, Mainz, Deutschland

1 Definition

Als akutes Koronarsyndrom wird eine akute thorakale Beschwerdesymptomatik verstanden (in allerRegel thorakaler Schmerz oder Enge, sog. Angina), bei der anhand von Anamnese, Risikoprofil undVitalparametern eine zugrundeliegende Koronarisch€amie vermutet wird. Der Begriff „akutesKoronarsyndrom“ ist zun€achst als Verdachts- oder Arbeitsdiagnose zu verstehen, anhand derweiterf€uhrenden Diagnostik mittels EKG und Labor (Troponin) ist eine weitere Differenzierung inST-Hebungsinfarkt (STEMI, Kap. ▶ STEMI), Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) sowie instabileAngina pectoris möglich (Abb. 1).

2 Pathophysiologie

Durch die Ruptur einer atheromatösen Plaque im Koronargef€aß kommt es zu einer akuten arteriellenThrombusbildung, die zu einer Verengung des Gef€aßlumens und damit kritischen Einschr€ankung desBlutflusses in den nachgeschalteten Myokardabschnitten f€uhrt. Bei einem kompletten Gef€aßverschlussresultieren in aller Regel ST-Streckenhebungen (STEMI), bei einem inkompletten Verschluss kommt eszumeist durch die kritische Stenose oder auch durch periphere Embolisationen zu einem Anstieg deskardialen Nekrosemarkers Troponin (NSTEMI), dieser kann aber auch ausbleiben (instabile Angina). Dadie zugrundeliegende Plaque zuvor nicht unbedingt zu einer h€amodynamisch relevanten Stenose gef€uhrthaben muss (diese ist in aller Regel erst ab einer Lumenreduktion von � 70 % gegeben), sind vielePatienten vor dem akuten Ereignis komplett beschwerdefrei gewesen oder haben auch in Vorsorgeunter-suchungen vorab keinen positiven Isch€amienachweis gehabt. Erst mit der Plaqueruptur kommt es letztlichzur Ausbildung einer kritischen Stenose, dies erkl€art auch, warum die Erstmanifestation einer Koronarer-krankung als akuter Myokardinfarkt unerwartet h€aufig ist.

3 Epidemiologie

Herzkreislauferkrankungen f€uhren in Industrienationen weltweit und so auch in Deutschland dieTodesursachenstatistiken an. Im Jahr 2010 lag der Anteil der chronisch isch€amischen Herzkrankheit bei8,4 % bzw. der des akuten Myokardinfarktes bei 6,4 % aller Todesursachen in Deutschland.

3.1 RisikofaktorenUm dieWahrscheinlichkeit einer kardialen Genese der Beschwerden zu untermauern, ist die Kenntnis derklassischen kardiovaskul€aren Risikofaktoren unerl€asslich, zumal die Erstmanifestation einer KHK alsakuter Myokardinfarkt nicht selten ist und bis zu 50 % betr€agt. Dies sind im Einzelnen:

*Email: [email protected]

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– arterielle Hypertonie– Diabetes mellitus– Hypercholesterin€amie– Rauchen– Adipositas– genetische Disposition bez€uglich Herzkreislauferkrankungen

Zus€atzlich sind auch die Niereninsuffizienz sowie Atherosklerose in anderen Gef€aßgebieten (pAVK,Carotisatheromatose) als Risikofaktoren zu nennen. Auch das Alter darf nicht außer Acht gelassenwerden. Da die Atherosklerose ein im Wesentlichen inflammatorischer aber auch degenerativer Prozessist, steigt die Wahrscheinlichkeit f€ur das Vorliegen einer KHK mit zunehmendem Alter an, selbst wennklassische Risikofaktoren fehlen.

4 Klinik

Klinisch wegweisend ist ein akutes thorakales Druck-/Engegef€uhl oder auch ein akuter thorakalerSchmerz (eher nach linksthorakal bzw. retrosternal projiziert), der beim Infarkt €ublicherweise in Ruheauftritt und f€ur mindestens 20 Minuten andauert. Sofern eine Verst€arkung unter Belastung eintritt, deutetdies unterst€utzend auf eine isch€amische Genese hin. Eine Schmerzausstrahlung in den linken Arm, Hals,Oberkiefer oder auch das Epigastrium ist h€aufig. Dies liegt darin begr€undet, dass Signale von mehrerenafferenten Neuronen (vom Herz aber auch vom Arm) in der gleichen Höhe in das R€uckenmark eintretenund dort €uber Synapsen auf ein einzelnes Neuron verschaltet werden (konvergente Verschaltung).Hierdurch kann das Gehirn den Ursprung des Schmerzes nicht mehr korrekt zur€uckverfolgen(€ubertragener Schmerz, Head´sche Zonen). Ältere Menschen und Frauen haben eher atypischeBeschwerden (z. B. rechtsthorakale oder atemabh€angige Schmerzen) aus ungekl€arter Ursache, beiDiabetikern können Schmerzen aufgrund einer sensiblen Polyneuropathie komplett fehlen und stattdes-sen Dyspnoe als Angina-Äquivalent auftreten. Eine vegetative Begleitsymptomatik in Form vonKaltschweißigkeit, Bl€asse, Übelkeit oder Erbrechen ist h€aufig.

5 Diagnostik

5.1 AnamneseUm die Wahrscheinlichkeit f€ur eine kardiale Genese der Beschwerden einsch€atzen zu können, sollte dieAnamnese in jedem Fall die Abfrage der klassischen kardiovaskul€aren Risikofaktoren (wie arterielle

Arbeits-diagnose

Akutes Koronarsyndrom

ST-Hebung

STEMI NS TEMI

Troponin (+) Troponin (−)

Instabile AP

EKG normalST-/T-Veränderung

EKG

Labor

Diagnose

Abb. 1 Systematik des akuten Koronarsyndroms. STEMI ST-elevation myocardial infarction, NSTEMI non-ST elevationmyocardial infarction, APAngina pectoris. (Mod. nach Hamm et al. 2011)

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Hypertonie, Diabetes mellitus, Hypercholesterin€amie, Raucherstatus, genetische Disposition) eins-chließen, insbesondere wenn keine KHK bekannt ist. Auch sollte nach extrakardialen Atherosklero-semanifestationen wie einer pAVK oder Carotisatheromatose gefragt werden.

5.2 Körperliche UntersuchungDie körperliche Untersuchung kann den Verdacht auf eine KHK/ein akutes Koronarsyndrom nichtbeweisen. Sie dient in erster Linie dazu, mögliche Differenzialdiagnosen zu erkennen bzw.auszuschließen (Z. n. Pleuritis/Pneumonie, Pneumothorax, Klappenvitien, Thrombose/Lungenembolie).

Abb. 2 12-Kanal-EKG eines Patienten mit bereits bei Aufnahme erhöhtem Troponin im Sinn eines Nicht-ST-Hebungsinfarkts(NSTEMI). Deutlich zu erkennen sind ST-Streckensenkungen in den Ableitungen I, II, aVL, V3–6 sowie eine T-Negativierungin aVL als Korrelat einer Vorder-/Seitenwandisch€amie bei subtotaler proximaler Stenose des Ramus interventrikularis anterior(RIVA)

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Zus€atzlich können sich insbesondere €uber die sorgf€altige Erhebung des Pulsstatus und der Auskultationvon möglichen Strömungsger€auschen €uber den Femoralarterien/Carotiden Hinweise auf das Vorliegeneiner generalisierten Atherosklerose ergeben. Auch eine sorgf€altige Inspektion des Patienten gibtHinweise auf das Vorliegen von Risikofaktoren (z. B. Xanthelasmen bei Hypercholesterin€amie, Adipo-sitas, Nikotingeruch), die insbesondere bei bewusstlosen Patienten sehr hilfreich sein können.

5.3 EKGUnverzichtbarer Bestandteil der Diagnosestellung ist ein 12-Kanal-EKG, das fr€uhestmöglich(idealerweise bereits vom Notarzt) abgeleitet werden sollte. Im Falle des Fehlens vonST-Streckenhebungen sollten zus€atzlich die Ableitungen V7–V9 geschrieben werden, die einen Infarktder Posterolateralwand (der in aller Regel einem Verschluss des Ramus circumflexus entspricht) nach-weisen können. Abgesehen von ST-Streckenhebungen sind im EKG als Isch€amiezeichen vor allem(deszendierende) ST-Streckensenkungen sowie T-Inversionen zu finden (EKG-Beispiel in Abb. 2). DieEndstreckenver€anderungen ergeben zugleich einen Hinweis auf die Lokalisation der Isch€amie (Tab. 1).

Zus€atzlich kann das EKG h€aufige kardiale Differenzialdiagnosen wie bradykarde Herzrhythmuss-törungen (AV-Blockierung, Sinusknotensyndrom) oder tachykarde Herzrhythmusstörungen(Vorhofflimmern, Kammertachykardien) sicher identifizieren. Repolarisationsstörungen in s€amtlichenAbleitungen können zudem auf eine Peri-/Myokarditis hinweisen.

5.4 Labor

5.4.1 Kardiale NekrosemarkerJede andauernde Isch€amie wird zur Nekrose von Kardiomyozyten f€uhren und kann €uber einen Anstieg derherzspezifischen Troponine im Blut (Troponin T/I) gemessen werden. Sofern im EKG keineST-Streckenhebungen als sicheres Infarktzeichen vorliegen (vgl. ST-Hebungsinfarkt, Kap. ▶ STEMI),kann ein erhöhter Troponinwert Patienten mit einem Infarkt auch beim Fehlen von ST-Streckenhebungensicher identifizieren (Nicht-ST-Hebungsinfarkt „non-ST elevation myocardial infarction“, NSTEMI). BeiPatienten ohne Troponin-Erhöhung in der initialen Blutentnahme sind Kontrollen nach 3 h und 6 hindiziert, da die Nekrose von Kardiomyozyten infolge einer Isch€amie und damit die Troponin-Freisetzungin aller Regel erst mit zeitlicher Verzögerung eintritt. Durch neue, hoch-sensitive Troponin-Assays („highsensitive cardiac troponin“, hs-cTn) kann die Diagnose in aller Regel bereits nach nur 2 Blutentnahmen(initial sowie nach 3 h) gestellt werden, sobald das Troponin das untere Referenzlimit €ubersteigt oder aberein mindestens 20%iger Anstieg imVergleich zumAusgangswert vorliegt (Thygesen et al. 2012). Ist auchin den sequenziellen Blutentnahmen kein Troponinanstieg nachweisbar, kann ein Myokardinfarkt aus-geschlossen werden. Wenn die Anamnese trotzdem eine koronare Genese der Beschwerden vermutenl€asst, spricht man von einer „instabilen Angina“ (Abb. 1). Grunds€atzlich muss in diesem Fall nat€urlichauch an eine extrakardiale Genese der Beschwerden gedacht werden.

Tab. 1 Zuordnung des Isch€amieareals anhand der Endstreckenver€anderungen im EKG. Die rechte Spalte informiert €uber daszumeist betroffene Herzkranzgef€aß

Isch€amieareal EKG Betroffenes Koronargef€aß

Anterior V1–V6 RIVA

Inferior II, III, aVF RCA

Lateral I, aVL, V5–V6 Diagonalast/RCX/RIVA

Posterolateral V7–V9 RCX

RIVA Ramus interventrikularis anterior, RCX Ramus circumflexus, RCA Rechte Koronararterie

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5.4.2 Weitere LaborwerteZus€atzlich zum Troponin ist die Bestimmung von Routine-Laborparametern sinnvoll, um bereitsmögliche Risikofaktoren f€ur eine invasive Strategie zu erkennen (z. B. Niereninsuffizienz, Gerinnungss-törungen). Dar€uber hinaus kann die gezielte Bestimmung weiterer Parameter Hinweise auf möglicheDifferenzialdiagnosen geben, hier sind insbesondere der D-Dimer-Wert (Lungenembolie) und das BNP(Herzinsuffizienz) zu nennen.

5.5 Transthorakale EchokardiographieBei unklarem Beschwerdebild kann erg€anzend zu EKG und Troponin-Bestimmung eine fr€uhzeitigetransthorakale Echokardiographie erfolgen. Hier deuten insbesondere regionale Wandbewegungss-törungen (z. B. Hypokinesien, Akinesien) auf eine Isch€amie des betreffenden Myokardareals hin,zuweilen kann die Abgrenzung zu einem €alteren Defekt (Myokardnarbe) schwierig sein. Hilfreich istdie Echokardiographie vor allem zur Identifizierung möglicher Differenzialdiagnosen des akutenKoronarsyndroms wie Lungenembolie, Aortendissektion, Klappenvitien oder Herzinsuffizienz.

6 Differenzialdiagnostik

Zu den Organsystemen, die thorakale Beschwerden verursachen können, z€ahlen insbesondere die Lunge,der Gastrointestinaltrakt und der Bewegungsapparat.

6.1 LungeBeschwerden entstehen hier durch eine pleurale Affektion (z. B. durch entz€undliche Prozesse wie beiPneumonie oder Lungenembolie), insofern sind die Schmerzen in aller Regel atemabh€angig. Der Patientsollte also gefragt werden, ob eine tiefe Inspiration zu einer Schmerzverst€arkung f€uhrt. Daneben gehenLungenerkrankungen mit einer Störung des Gasaustausches einher und verursachen daher dasLeitsymptom Dyspnoe.

6.2 GastrointestinaltraktErkrankungen der Speiseröhre und des Magens können thorakale bzw. epigastrische Schmerzen verur-sachen. Hierzu z€ahlen in erster Linie Ulkuskrankheit, Gastritiden, Refluxkrankheit oder auch selteneUrsachen wie Achalasie oder Zenker-Divertikel. Zumeist ist eine Assoziation der Beschwerden mit derNahrungsaufnahme oder auch der Körperlage (insbesondere Refluxkrankheit) gegeben. Da das akuteKoronarsyndrom h€aufig mit vegetativer Begleitsymptomatik in Form von Übelkeit/Erbrechen/Def€akationsreiz einhergeht, ist gerade bei epigastrischer Schmerzausstrahlung eine Fehldiagnosemöglich.

Eine Sonderform thorakaler Beschwerden bedingt durch Meteorismus stellt das sog. Römheld-Syndrom dar, bei dem gebl€ahte Darmschlingen einen nach thorakal ausstrahlenden Schmerz oderDruck verursachen.

6.3 BewegungsapparatIn der klinischen Routine ist eine muskuloskelettale Genese von Thoraxschmerzen h€aufig schwer voneiner kardial-isch€amischen Genese zu unterscheiden. Als mögliche Ursachen kommen Mus-kelzerrungen/-verspannungen, Interkostalneuralgien, Bandscheibenvorf€alle im HWS-/BWS-Bereichvor. Teilweise kann die Berufsanamnese bzw. die Rekonstruktion des Tagesablaufes bis zum Beschwer-debeginn (schwere körperliche T€atigkeit?) hier helfen. Zumeist sind muskuloskelettale Thoraxschmerzen

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durch bestimmte Bewegungsabl€aufe oder manuelle Kompression auslösbar bzw. können dadurchverst€arkt werden.

6.4 Differenzialdiagnose in der Notaufnahme/Chest-pain-UnitAufgaben der Notaufnahme sind in erster Linie die Diagnostik und Therapie akut lebensbedrohlicherZust€ande. Eine allumfassende Kl€arung s€amtlicher Beschwerden ist aus diesem Grund h€aufig nichtmöglich und entbehrlich, wenn akut behandlungsbed€urftige Erkrankungen ausgeschlossen werdenkönnen. Diese umfassen als mögliche Differenzialdiagnosen beim akuten Koronarsyndrom vor allemdie akute Lungenembolie und die Aortendissektion.

Bei Verdacht auf Lungenembolie sollten das D-Dimer bestimmt und auf Tachykardie sowieRechtsherzbelastungszeichen im EKG geachtet werden (z. B. Rechtsschenkelblock, SIQIII-Typ).

Bei der Aortendissektion ist insbesondere der plötzliche, schwerste thorakale Schmerz mit Ausstrah-lung in die Schultern/den R€ucken wegweisend. Im Zweifel sollte in beiden F€allen großz€ugig einebildgebende Diagnostik (CT-Thorax, Echokardiographie) erfolgen. Tab. 2 gibt einen Überblick €uberdiese wichtigen – da akut behandlungsbed€urftigen – Differenzialdiagnosen.

7 Therapie

7.1 AkutversorgungSobald der Verdacht auf ein akutes Koronarsyndrom gestellt wurde, sollte vom erstversorgenden Arzt(in aller Regel Hausarzt/Notarzt) eine Akuttherapie eingeleitet werden. Ziel ist es, insbesondere dieprothrombotischen Prozesse zum Stillstand zu bringen durch eine Hemmung der Thrombozytenag-gregation mit ASS 250 mg i.v. sowie eine Hemmung der plasmatischen Gerinnung mittelsunfraktioniertem Heparin 5000 I.E. i.v. Zur effektiven Analgesie wird Morphin fraktioniert (1–10 mg i.v.) verabreicht, als antianginöse Therapie kommt (insbesondere bei hypertoner Kreislaufsituation) dieGabe von Nitrolglyzerin sublingual oder Betablocker (Cave: Bradykardie, insbesondere bei inferiorerIsch€amie im RCA-Stromgebiet) in Frage.

Tab. 2 Charakteristika akut lebensbedrohlicher Differenzialdiagnosen des akuten Koronarsyndroms im Überblick

ACS Lungenembolie Aortendissektion

Symptomatik Thorakaler Schmerz/Druck/Enge, Zunahmeunter Belastung

Plötzlicher Schmerzbeginn,atemabh€angig

Plötzlicher, schwerster Thoraxschmerz(Todesangst), Ausstrahlung in Schultern/R€ucken

Ausstrahlung in li. Arm,Schulter, Hals, Unterkiefer

Dyspnoe

D-Dimer ↔ bis ↑ ↑↑ ↑↑

Troponin I/T ↑↑ (↑) wenn h€amodynamischrelevant

↑ (insbesondere bei Dissektions-bedingterVerlegung der Koronarostien)

EKG ST-Hebungen,ST-Senkungen,T-Negativierung

Tachykardie,Rechtsschenkelblock, SIQIII-Typ, T-Inversionen V1–3

ST-Hebungen bei Verlegung der Koronarostien,ggf. Zeichen der LV-Hypertrophie (bei zumeistvorliegender arterieller Hypertonie)

Echo Wandbewegungs-störungim Isch€amieareal,eingeschr€ankte LVEF

Prominenter rechterVentrikel, PA-Druck erhöht,eingeschr€ankte RVEF

Perikarderguss, Aortenklappen-Insuffizienz,Dissektionsmembran in Aorta aszendens

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7.2 Antiisch€amische TherapieAntiisch€amisch wirksame Substanzen hemmen entweder den myokardialen Sauerstoffverbrauch(z. B. durch Senkung der Herzfrequenz, des Blutdrucks oder der Kontraktilit€at) oder sie verbessern diemyokardiale Sauerstoffversorgung (z. B. durch eine koronare Vasodilatation). Hierbei werden3 verschiedene Substanzklassen unterschieden:

1. NitrateNitrate f€uhren €uber Erweiterung venöser Kapazit€atsgef€aß zu einer Vorlast-Senkung und damit zu

einer Absenkung der kardialen F€ullungsdr€ucke. Hierdurch sinkt der kardiale Sauerstoffverbrauch. DieAnwendung kann bedarfsweise in Form von kurz wirksamen Substanzen (Nitroglyzerin-Spray sub-lingual) oder in Tablettenform (Isosorbiddinitrat, Isosorbidmononitrat, Pentaerithryltetranitrat) erfol-gen, wobei das Auftreten der sog. Nitrattoleranz eine kontinuierliche Anwendung limitiert. Dahersollte insbesondere bei Therapie mit ISDN oder ISMN ein Nitrat-freies Intervall von mindestens 8 heingehalten werden. Bei Gabe von PETN tritt durch antioxidative Effekte dieser Substanz keineToleranzentwicklung auf.

2. Betablocker/IvabradinBetablocker f€uhren durch eine Senkung der Herzfrequenz zu einer Verl€angerung der Diastolendauer

und damit zu einer Verbesserung der myokardialen Perfusion. Gleichzeitig wird durch die negativeInotropie der myokardiale Sauerstoffbedarf gesenkt. Es sollten bevorzugt beta1-selektive Betablockerverwendet werden, die Gabe bietet sich in der Akutsituation insbesondere bei tachykarden/hypertensiventgleisten Patienten mit ACS an. Vorsicht ist insbesondere bei Hinterwandisch€amien bedingt durcheine Stenose der rechten Koronararterie (RCA) geboten, da hier€uber Teile des Erregungslei-tungssystems versorgt werden und es daher in diesem Zusammenhang nicht selten zuAV-Blockierungen kommt. Eine dauerhafte Therapie mit Betablockern ist insbesondere bei solchenPatienten indiziert, die infolge eines akuten Koronarsyndroms eine Einschr€ankung der linksvent-rikul€aren Pumpfunktion aufweisen (Abschn. 8).

Sind Betablocker kontraindiziert (z. B. bei Asthma) oder werden nicht vertragen, kann alternativ derIf-Kanalinhibitor Ivabradin eingesetzt werden. Ivabradin f€uhrt durch die Hemmung des If-Kanals inden Zellen des Sinusknotens zu einer Verlangsamung der spontanen diastolischen Depolarisation unddamit zur Herzfrequenzsenkung. Somit bleiben die durch die Blockade der Betarezeptorenverursachten unerw€unschten Nebenwirkungen wie Blutdrucksenkung oder Bronchokonstriktion aus.

3. KalziumantagonistenKalziumantagonisten f€uhren €uber eine Dilatation der Koronararterien zu einer verbesserten Sauer-

stoffversorgung. Hierzu werden in erster Linie Kalziumantagonisten vom Dihydropyridin-Typ(z. B. Amlodipin) eingesetzt. In der Akutsituation und insbesondere bei Patienten mit hypertensivenBlutdruckwerten hat sich die Gabe von Nitrendipin (z. B. Bayotensin akut) bew€ahrt.

7.3 Antithrombozyt€are TherapieDie effektive Hemmung der Thrombozytenaggregation stellt f€ur die Therapie des akutenKoronarsyndroms, aber auch f€ur die Pr€avention weiterer kardial-isch€amischer Ereignisse eingrundlegendes Prinzip dar. F€ur die Akut- und Dauertherapie kommen dabei ASS sowie Hemmer derADP-Rezeptoren an den Thrombozyten (sog. P2Y12-Rezeptorantagonisten) in Frage. Im Rahmen vonKoronarinterventionen werden im Fall einer hohen Thrombuslast zus€atzlich Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten (nur parenterale Gabe) verwendet, die die Vernetzung der Thrombozytenunterbinden.

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Azetylsalizyls€aure (ASS) ASS hemmt die Cyclooxygenase in Thrombozyten irreversibel und damit dieThromboxan-A2-Bildung. Nebenwirkungen sind in erster Linie durch die gleichzeitig verminderteProstaglandin-Synthese in anderen Geweben bedingt und hier vor allem an der Magenschleimhaut(z. B. Ulkusblutung) oder am Respirationstrakt (Aspirin-Asthma) klinisch relevant.

P2Y12-Rezeptorantagonisten Die Bindung von ADP an die P2Y12-Rezeptoren der Thrombozyten stellteinen entscheidenden Schritt in deren Aktivierung und Aggregation dar. Ticlopidin und sp€aterClopidogrel waren die ersten Prototypen von P2Y12-Rezeptorantagonisten, die die massive Thrombozy-tenaktivierung infolge einer Intimal€asion (z. B. Plaqueruptur) verhindern konnten. W€ahrend unterTiclopidin die Gefahr einer Neutropenie besteht, ist die Gabe von Clopidogrel insbesondere durcheinen verzögertenWirkeintritt und einen nicht unerheblichen Anteil von Non-Respondern problematisch.Mittlerweile sind mit Prasugrel und Ticlopidin zwei neue Substanzen auf dem Markt, die eine imVergleich zu Clopidogrel konstantere P2Y12-Hemmung aufweisen und bei Patienten mit akutemKoronarsyndrom zu weniger isch€amischen Ereignissen im Verlauf f€uhren, ohne dabei die Anzahlschwerer Blutungsereignisse zu erhöhen (TRITON-Studie: Wiviott et al. 2007, PLATO-Studie: Wallentinet al. 2009). Sie sind daher gegen€uber Clopidogrel die erste Wahl (zum Vergleich der Substanzen undEinschr€ankungen Tab. 3).

Glykoprotein-IIb-/IIIa-Rezeptorantagonisten Die Glykoprotein-IIb/IIIa-Rezeptorantagonisten(Abciximab, Eptifibatide, Tirofiban) hemmen die Vernetzung der Thrombozyten und damit dieThrombusentstehung. Sie sind nur intravenös verf€ugbar und ihre Gabe ist nur im Rahmen einerperkutanen Koronarintervention indiziert, wenn es sich um einen Hochrisiko-Eingriff handelt oder einehohe Thrombuslast vorliegt. In diesen F€allen ist ihre Gabe mit einer Verringerung des Risikos f€urMyokardinfarkt und Tod assoziiert bei allerdings erhöhter Rate von Blutungsereignissen. Daher mussim Einzelfall die effektivere Thrombozytenaggregationshemmung durch Glykoprotein-IIb-/IIIa-Rezeptorantagonisten gegen€uber vermehrten Blutungsereignissen abgewogen werden.

7.4 AntikoagulationNeben der Thrombozytenaggregationshemmung stellt die Inhibition der plasmatischen Gerinnungskaskadeein weiteres zentrales Therapieprinzip beim akuten Koronarsyndrom dar, um das (durch die Plaqueruptur

Tab. 3 Charakteristika der beim akuten Koronarsyndrom zus€atzlich zu ASS eingesetzten Thrombozytenaggregationshemmer(P2Y12-Inhibitoren)

Clopidogrel Prasugrel Ticagrelor

Substanzklasse Thienopyridin Thienopyridin Triazolopyridin

Wirkmechanismus Prodrug Prodrug Aktiver Metabolit

Hemmung vonP2Y12

Irreversibel Irreversibel Reversibel

Loading dose 600 mg p.o. 60 mg p.o. 180 mg p.o.

Erhaltungsdosis 1 x 75 mg/d 1 x 10 mg/d 2 x 90 mg/d

Einschr€ankungen 2. Wahl gegen€uberPrasugrel/Ticagrelor,hohe Rate anNon-Respondern

Keine Clopidogrel-Vorbehandlung, keinePat.> 75 J. oder < 60 kg, keine zerebral-isch€amischen Ereignisse, nur beiinvasiver Strategie

Kontraindiziert bei hohemBradykardie-Risiko, Vorsicht beiIncompliance (wegen 2 x t€aglicherGabe)

NebenwirkungenaußerBlutungsneigung

Dyspnoe, ventrikul€are Pausen

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bedingte) weitere Thrombuswachstum zu verhindern. Hierzu wird in der Akutphase wegen des schnellenWirkungseintritts und guter Steuerbarkeit (insbesondere wenn eine sofortige perkutane Koronarin-tervention geplant ist) in aller Regel unfraktioniertes Heparin verabreicht (z. B. 5000 I.E. Heparin i.v.).Zur weiteren Antikoagulation kann der Faktor-Xa-Inhibitor Fondaparinux (1 x 2,5 mg/d s.c.) oderniedermolekulares Heparin in therapeutischer Dosierung (z. B. Enoxaparin 1 mg/kg, 2 x/d s.c.) verwendetwerden.

7.5 Koronare RevaskularisierungAls Maßnahmen zur koronaren Revaskularisation stehen zum einen die perkutane Koronarintervention(v. a. Ballondilatation und Stentimplantation) sowie bei bekanntem Koronarstatus die aortokoronareBypass-Operation zur Verf€ugung.

Bei allen Patienten die Troponin-positiv sind, dynamische Ver€anderungen der ST-Strecke/T-Welle oderaber ein ausgepr€agtes Risikoprofil aufweisen (mehrere kardiovaskul€are Risikofaktoren, insbesondereDiabetes mellitus; k€urzlich erfolgte Koronarintervention; Z. n. Bypass-OP) ist eine Koronarangiographiemit der Option einer Koronarintervention indiziert. Grunds€atzlich sollte der Zeitpunkt der invasivenDiagnostik von der Symptomatik und dem klinischen Zustand des Patienten abh€angig gemacht werden.Eine sofortige Koronarangiographie sollten Patienten erhalten, die refrakt€are Angina haben, dieh€amodynamisch instabil sind bzw. Zeichen der akuten Herzinsuffizienz aufweisen oder solche mitschwerwiegenden (insbesondere ventrikul€aren) Rhythmusstörungen. Patienten mit einem ausgepr€agtemRisikoprofil (siehe oben) sollten innerhalb von 24 h angiographisch untersucht werden, bei mittleremRisikoprofil ist ein Zeitraum von bis zu 72 h nach Erstkontakt vertretbar. Bei Patienten mit niedrigemRisikoprofil, negativem Troponin sowie einmaliger oder atypischer Beschwerdesymptomatik solltezun€achst eine Isch€amiediagnostik (z. B. ein Belastungs-EKG, eine Stressechokardiographie oder eineMyokardszintigraphie) erfolgen und nur bei positivem Isch€amienachweis eine invasive Diagnostikangeschlossen werden.

Die Entscheidung f€ur eine Koronarintervention oder auch Bypass-OP setzt die Kenntnis derKoronarmorphologie voraus. Sofern nur eine Koronararterie eine signifikante Stenose aufweist(koronare 1-Gef€aßerkrankung), ist die sofortige (ad hoc) Koronarintervention indiziert (Videos 1, 2, 3,und 4). Bei Mehrgef€aßerkrankungen ist normalerweise die Therapie des Infarktgef€aßes („culprit lesion“)

Video 1 Ausgangsbefund einer filiformen RIV-Stenose im proximalen Drittel. Über einen im linken Koronarostium sitzendenF€uhrungskatheter wird Röntgen-Kontrastmittel in die linke Koronararterie injiziert

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Methode der Wahl. Seltenere Alternativen sind die Intervention mehrerer Koronargef€aße in einer Sitzungoder auch die sofortige Bypass-OP. In schwierigen F€allen sollte die Entscheidung f€ur oder gegen eineTherapieform (Intervention versus Bypass-OP) in sog. Heart-Teams erfolgen, die mindestens aus eineminterventionellen Kardiologen und einem Herzchirurgen bestehen sollten.

8 Verlauf und Prognose

Patienten, die ein akutes Koronarsyndrom hatten, haben ein deutlich erhöhtes Risiko f€ur wiederkehrendeisch€amische Ereignisse, sodass die Sekund€arpr€avention eine herausragende Rolle spielt und bereits

Video 3 Implantation des (auf einemBallonmontierten) Stents, dabei wird der Ballonmit verd€unntemRöntgen-Kontrastmitelgef€ullt und ist dadurch unter Durchleuchtung sichtbar

Video 2 Platzierung des Stents im Bereich der Stenose unter Injektion von Röntgen-Kontrastmittel. Ebenfalls sichtbar ist derals F€uhrungsschiene f€ur den Stent genutzte (im RIVA positionierte) Koronardraht

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direkt nach dem Erstereignis begonnen werden sollte. Dabei ist es besonders wichtig, diekardiovaskul€aren Risikofaktoren zu erkennen und wann immer möglich zu modifizieren(z. B. Lebensstil€anderungen wie Aufgabe des Rauchens oder Ern€ahrungsumstellung, Blutdruckein-stellung etc.). Hierbei können strukturierte Programme zur Patientenedukation, wie z. B. im Rahmenvon Rehabilitationsmaßnahmen oder Selbsthilfegruppen, hilfreich sein und auch die Compliancebez€uglich der Medikamenteneinnahme positiv ver€andern. Eine regelm€aßige sportliche Bet€atigung(z. B. in Koronarsportgruppen) verbessert die Prognose und steigert auch die Lebensqualit€at derPatienten.

Da durch die Isch€amie im Rahmen des akuten Koronarsyndroms ein bleibender Defekt im Sinn einerMyokardnarbe entstanden sein kann, sollte jeder Patient nach der Akutbehandlung eine transthorakaleEchokardiographie erhalten um die linksventrikul€are Ejektionsfraktion (LVEF, Normwert � 55 %)sowie mögliche Wandbewegungsstörungen zu bestimmen. Sofern eine eingeschr€ankte linksventrikul€areFunktion vorliegt, muss bereits fr€uh mit einer Herzinsuffizienztherapie bestehend aus ACE-Hemmern(alternativ AT1-Blocker) und Betablockern begonnen werden. Bei Patienten mit einer LVEF < 35 %sollte zus€atzlich ein Aldosteronantagonist (z. B. Spironolacton, Eplerenon) verabreicht werden.

Aufgrund der Wichtigkeit erhöhter Cholesterinwerte f€ur die Progression der Atherosklerose solltenInfarktpatienten eine Therapie mit Statinen erhalten, dabei ist ein Ziel-LDL-Wert von < 70 mg/dlanzustreben.

9 Besondere Aspekte

9.1 Invasive vs. konservative TherapieGrunds€atzlich sollte beim Vorliegen von Beschwerden und entsprechendem Risikoprofil auch €alterenPatienten eine invasive Therapie nicht vorenthalten werden. Dabei sollte die Entscheidung die gesch€atzteLebenserwartung, Komorbidit€aten sowie Erwartungen und W€unsche des Patienten mit ber€ucksichtigen.Sofern ein konservatives Procedere gew€ahlt wird, ist zur Verhinderung wiederkehrender Isch€amien eine

Video 4 Endergebnis nach Stentimplantation und Entfernung des Koronardrahts mit guter Aufweitung der Stenose undregelgerechtem Fluss im RIVA

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kombinierte Thrombozytenaggregationshemmung mit ASS 100 mg/d und Clopidogrel 75 mg/d f€ur 9–12Monate indiziert analog der CURE-Studie (Yusuf et al. 2001). Als Alternative zu Clopidogrel kann auchTicagrelor verwendet werden (PLATO-Substudie: James et al. 2011), Prasugrel brachte in der TRILOGY-Studie (Roe et al. 2012) bei konservativer Therapiestrategie keinen Vorteil gegen€uber Clopidogrel. Essollte eine individuell angepasste antianginöse Therapie (Betablocker, ggf. auch Nitrate undCa-Antagonisten) sowie ggf. auch eine Herzinsuffizienztherapie (siehe oben) eingeleitet werden.

9.2 Unbeschichtete vs. beschichtete StentsSeit Beginn der Stent€ara in den 1990er-Jahren ist auch das Problem der Instent-Restenose bekannt. Diesetritt modellabh€angig bei ca. 30–40 % aller unbeschichteten Stents („bare metal stents“, BMS) auf. Dabeikommt es nach Implantation zun€achst zu einem (gew€unschten) Überwachsen der Stentstreben mitEndothelzellen. Manchmal kommt dieser Prozess allerdings nicht zum Stillstand, sodass durch einesog. Intimaproliferation die Endothelzellen mehrlagig in das Stentlumen hineinwachsen und somit eineRestenose verursachen. Um diesen Prozess aufzuhalten, sind seit 2002 in Deutschland beschichtete Stents(„drug eluting stents“, DES) im Einsatz. Diese enthalten eine Beschichtung mit antiproliferativwirksamen Substanzen wie Paclitaxel, Sirolimus oder Everolimus, um die Neointima-Bildung zu ver-hindern. Tats€achlich kann hiermit die Restenose-Rate auf unter 10 % gesenkt werden. Als Nebeneffektwird hierdurch jedoch auch das gew€unschte „Einwachsen“ des Stents, also die Endothelialisierung derStentstreben, verlangsamt. Solange dieser Prozess aber nicht abgeschlossen ist, besteht ein hohes Risikof€ur eine Stentthrombose und es ist deshalb eine duale Thrombozytenaggregationshemmung (ASS undP2Y12-Hemmer) erforderlich. Als Dauer dieser dualen pl€attchenhemmenden Therapie ergeben sich ausden genannten Unterschieden zwischen unbeschichteten und beschichteten Stents daher mindestens4 Wochen bei Implantation eines unbeschichteten Stents (BMS) sowie eine Dauer von 6–12 Monatenf€ur einen beschichteten Stent (DES).

Auch wenn aufgrund der geringeren Restenoserate heutzutage €uberwiegend beschichtete Stents (DES)verwendet werden, sollte vorab immer gekl€art sein, dass bei dem zu behandelnden Patienten einel€angerfristige duale Thrombozytenaggregationshemmung möglich ist (insbesondere beachten: geplanteOP, Notwendigkeit einer dauerhaften Antikoagulation durch z. B. Vorhofflimmern oder k€unstlicheHerzklappen)

9.3 Weiterführende InformationenWeiterf€uhrende Aspekte zu selektierten Patientenpopulationen sowie auch detailliertere Aspekte zuDiagnosepfaden und Therapie sind in den aktuellen Leitlinien der Europ€aischen Gesellschaft f€ur Kardio-logie (ESC) zu finden (Hamm et al. 2011), die auch als Pocket-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft f€urKardiologie veröffentlicht wurden (http://leitlinien.dgk.org).

Literatur

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