Alternative Juni 2010

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Herausgegeben von Juni 2010 Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro P.b.b., Verlagspostamt 1040 02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558 Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB 6 DER FALL GRIECHENLAND GPA: UMDENKEN GEGENLENKEN • POLITISCHE FARBENLEHRE IM ÖGB

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Monatszeitschrift der Unabhängigen Gewerkschafter_innen im ÖGB

Transcript of Alternative Juni 2010

Herausgegeben von

Juni 2010

Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro

P.b.b., Verlagspostamt 1040

02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558

UnabhängigeGewerkschafterInnenim ÖGB

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DER FALLGRIECHENLANDGPA: UMDENKEN GEGENLENKEN • POLITISCHE FARBENLEHRE IM ÖGB

Kalter Krieg forever? Helmut Deutinger

und Pol Pot

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass meinArtikel „Antikapitalismus mit 2 Beinen“ zu Grundeinkommen undSolidarischer Ökonomie eine Reaktion hervorruft. Allerdings isteine Reaktion nur so gut wie die Lektüre, die ihr zugrunde liegt.Helmut Deutinger gibt meine Position gleich mehrfach falschwieder, sodass sich die Frage stellt: Wurde der Text genau gele-sen? Sicherlich gibt es nachvollziehbare Gegenargumente zumeiner Position. In Helmuts Replik erkenne ich sie aber nicht.

Helmut Deutinger meint, ich wäre für die „Auflösung derGroßindustrie“, die „Reduktion der Infrastruktur“ und die„Schwächung öffentlicher Institutionen“. Er zieht daraus denSchluss, ich wolle zur Steinzeit zurück. Anschließend beschreibt erein fiktives „Steinzeitleben“.

Ich kann also nicht replizieren, wie ich dies gerne tun würde,sondern muss vorerst wiederholen, worin meine Argumentationbesteht, damit wir uns künftighin auch darauf beziehen können: 1. Wir müssen angesichts ökologischer, sozialer und ökonomi-scher Krise eine Solidarische Ökonomie entwickeln. Diese bestehtin Selbstverwaltung, globaler kooperativer Vernetzung der „Betrie-be“, einer Produktion für Bedarfe anstelle von Profit, einer Auf-lösung der patriarchalen „Haushaltssphäre“ und einem Ausbauvon Infrastruktur und einer Stärkung öffentlicher Institutionen.Ob eine Industrie „groß“ oder „klein“ sein soll, ist anhand öko-so-zialer Kriterien zu diskutieren. 2. Um individuelle Freiheit zu sichern und Öffentlichkeit vonstaatlicher Gewalt und Bevormundung zu entkoppeln, müssenwir für eine bedingungslose soziale Teilhabe eintreten. Dies ist der

Kern jeder emanzipativen Politik und zudem ein Menschenrecht.Darüberhinaus ist nur so ein ökologisches Gesundschrumpfen derWirtschaft sozialverträglich zu gestalten.

Es ist weder Polemik noch Übertreibung, wenn ich sage, dasses mir schwerfällt, Helmut Deutingers Argumentation nachzu-vollziehen. Aus einer augenscheinlich von den Vorstellungen derverblichenen Kalten Krieger geprägten „Lektüre“ wird – kaum zuglauben – der „Schluss“ gezogen, ich sei im Grunde Realsozialistchinesischer, albanischer oder kambodschanischer Bauart; wenn-gleich „wider Willen“. Ein Hinweis: Kambodscha war Ort einesder schrecklichsten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die es jegab. Davon abgesehen hat meine Argumentation für eineUmbaustrategie, die Solidarische Ökonomie und Grund-einkommen verbindet, 1. mit staatlicher Planung, 2. mit der illusionären Hoffnung auf einen „neuen Menschen“, 3. mit nachholender kapitalistischer (= „kommunistischer“)

Modernisierung oder 4. Autarkie soviel zu tun wie ein Tirolerhaus mit Al-Kaida: also rein gar nichts.Dies sollte sich eigentlich von selbst verstehen.

Der Autor der Replik hat sich – so wirkt es auf mich – mit dendiversen Realsozialismen noch nicht eingehend befasst. Auch sei-ne Vorstellung von den Debatten um Solidarökonomie undGrundeinkommen wird diesen nicht gerecht. Für die Solidaröko-nomie treten bekanntlich einige in der AUGE/UG und viele in ih-rem Umfeld ein. Es handelt sich um einen vielfältigen Diskurs, indem die Frage der nicht-marktförmigen und nicht-staatlichen be-trieblichen Vernetzung eine wesentliche Rolle spielt. Das Grund-einkommen schließlich fordert unter anderem Attac und stößtauch in der AUGE/UG auf Zuspruch. Allesamt Pol Pot? Eine Ant-wort auf diese zugespitzte Frage erübrigt sich. Mir scheint, dassHelmuts Replik eine missverständliche Darstellung in einer erstenemotionellen „Abwehrreaktion“ gewesen ist.

Wir haben uns bisher sehr deutlich von Medien abgesetzt, dieversuchen, ernsthafte Überlegungen mit dem Verweis auf ge-schichtliche Monstrositäten und Klischees für „unmöglich“ zu er-klären, anstatt mit präzisem Textbezug eine Gegenposition zu ar-gumentieren. Geben wir gemeinsam unser Bestes, dass dem auchweiterhin so bleibt.Andreas Exner

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daten & taten

UG-ANTIRASSISMUS-SEMINARMIT TRAINERINNEN VOM VEREIN ZARA FÜR BETRIEBSRÄTINNEN UND PERSONALVERTRETERINNEN.

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IM JUNI

FRAUENQUOTE MIT AUGENZWINKERN

Blättern wir ein wenig zurück in der jüngeren Ge-werkschaftsgeschichte. Im Gefolge der sattsam be-kannten BAWAG-Krise kam der „schwerfällige Tan-ker“ ÖGB ganz schön ins Schlingern. Ein einfalls-reiches Krisenmanagement unter der Führung desjetzigen Sozialministers hatte alle Hände voll mitder Schadensbegrenzung zu tun.

Arbeitskreise wurden installiert, zahlreiche Re-formprojekte wurden gestartet und – die Alternati-ve berichtete darüber – Großteil mittlerweile wegen„Undurchführbarkeit“ wieder gestanzt.

Manches ist geblieben: die Unabhängigen Ge-werkschafterInnen bekamen einen Sitz im Vor-stand. Als Beleg für die Überparteilichkeit desÖGB. Dass die Vorsitzende der UG eine Frau ist,passte da wunderbar. Denn noch eine „Jahrhun-dertreform“ sollte das leicht antiquierte Image desÖGB aufpolieren: die Frauenquote wurde im Statutverankert. Die Anzahl der Frauen in den Gremienmüssen mindestens dem Prozentanteil der weibli-chen Mitglieder im jeweiligen Bereich entsprechen.

Wir erinnern uns noch an das große Wehklagenin der männerdominierten Gewerkschaftswelt.„Wie soll denn das gehen?“, „Wo sollen wir dieFrauen hernehmen?“, „Wir können doch nicht ver-diente männliche Funktionäre in die Wüste schi-cken!“ – so oder so ähnlich tönte es aus den ver-schiedensten Funktionärsebenen. Aber nur leiseund intern. Beschlossen wurde sie allemal, dieFrauenquote. Zunächst im ÖGB und mittlerweileauch in vielen Einzelgewerkschaften.

Manche waren besonders eifrig und verankertenin ihren Geschäftsordnungen, dass schon dieWahlvorschläge – wollte man eine Nichtannahmevermeiden – diesem Gebot entsprechen (ach ja, ge-wählt sollte im Reformeifer auch werden).

Unlängst habe ich erlebt, wie diese Quadraturdes Kreises zu bewerkstelligen ist. Im drittenAnlauf wurde der Wahlvorschlag einer Fraktionangenommen, nachdem acht Männer von der Listegestrichen und einige Frauen als Zweitmitgliedergeworben und in den Vorschlag aufgenommenwurden. Erster Beschluss in der konstituierendenSitzung des Gremiums: die acht vom Vorschlag gestrichenen Männer wurden en bloc kooptiert.So geht’s natürlich auch …

EDITORIAL von Alfred Bastecky

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger: Alternative und Grüne GewerkschafterInnen(AUGE/UG) Herausgeber: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB (UG/ÖGB)Redaktion, Satz & Layout: Alfred Bastecky (Koordination), Lisa Langbein, Klaudia Paiha,Franz Sklenar (Layout) Alle: 1040 Wien, Belvederegasse 10/1, Telefon: (01) 505 19 52-0,Fax: (01) 505 19 52-22, E-Mail: [email protected] (Abonnements), [email protected](Redaktion), internet: www.ug-oegb.at, Bankverbindung: BAWAG Kto. Nr. 00110228775 Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oderdes Herausgebers entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitelfallen in die Verantwortung der Redaktion, Cartoons in die Freiheit der Kunst.Textnachdruck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beimKünstler. DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702.

Aktuell

Der Fall Griechenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4

Gewerkschaft & Betrieb

Nationalbibliothek: Na BRAK . . . . . . . . . . . . . . Seite 8GPA-djp: Umdenken gegenlenken . . . . . . . . . . . . Seite 10Sozial-, Gesundheitsbereich: Ein Signal. . . . . . . . . . Seite 12Sozialpädagogik: Mit Vollgas zum Crash . . . . . . . . . Seite 136035 KollegInnen wählten die KIV/UG . . . . . . . . . Seite 16UG: Politische Farbenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 18Hauskrankenpflege: Mobile Datenerfassung. . . . . . . Seite 21Wiener Sozialwesen: Callcenter . . . . . . . . . . . . . Seite 22GÖD-Bundeskonferenz: Abgelehnt . . . . . . . . . . . . Seite 24Arbeitsmarkt: Markante Veränderungen (2) . . . . . . . Seite 25

Buch

Lidl: Ihr kriegt mich nicht klein . . . . . . . . . . . . . . Seite 28

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 14

Die spekulativen Attacken auf Griechenland haben die Bruchlinien in der Euro-Zone zwischen Ländern mit hohen Export- und hohen Importüberschüssen offengelegt.

Die Politik der EU ist nicht auf eine Minderung dieser strukturellen Spannungen ausgerichtet, sondern nimmt die Verschuldungskrise Griechenlands als Anlass, eine

Politik von Lohn- und Sozialstaatsabbau zu forcieren. Hier ist Griechenland erst der Anfang. Von Joachim Becker und Johannes Jäger.

RADIKALISIERUNG DES NEOLIBERALISMUS:

DER FALLGRIECHENLAND

G

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Aktuell

riechenland, aber ansatzweise auchPortugal und Spanien stehen im Zen-trum spekulativer Attacken, aber auchsich ausbreitender Hysterie seitens vonFinanzanlegerInnen. Diese Tendenzensind durch die systematische Herabstu-fung vor allem Griechenlands seitensUS-amerikanischer Rating-Agenturennoch verstärkt worden.

Anlass für die Attacken sind diebeträchtliche Staatsschuld und öffent-liche Neuverschuldung Griechenlands.Doch stechen die wirtschaftliche Lageund Verschuldungssituation Griechen-lands gar nicht einmal so negativ her-vor. In Irland lag das Budgetdefizit2009 mit 14,3 Prozent des Brutto-inlandsproduktes (BIP) noch höher alsin Griechenland (13,6 Prozent). AufGrund der schweren Krise des Banken-und Immobiliensektors sind die Staats-schulden Irlands in den letzten Jahrenbesonders stark gestiegen. Allein dieKapitalspritzen für die Anglo IrishBank schlagen sich für die öffentlicheHand in Irland mit 13 Prozent des BIPzu Buche. Im Vergleich hierzu ist dieLage des griechischen Bankensektorsnoch recht komfortabel. Die Rezessionwar in Irland weit stärker als in Grie-chenland.

Die Lage Großbritanniens ist weitproblematischer als jene Spaniens.

Zwar sind in beiden Ländern die pro-duktiven Sektoren eher schwach, aberder britische Finanzsektor ist weit grö-ßer und stärker angeschlagen als derspanische. Trotzdem wird weit mehrüber Spanien als über Großbritannienkritisch berichtet. Die US-Rating-Agen-turen zeigen sich bei den Mittelmeer-ländern ungleich pessimistischer alsbei den angelsächsischen Ländern.

Von den strukturellen wie konjunktu-rellen Problemen der angelsächsischenLänder abzulenken und das Licht genSüden zu richten, liegt im Interesse derFinanzzentren New York und London.Denn so sind die exorbitante Verschul-dung der privaten Haushalte, die enor-men Stützungszahlungen für die Fi-nanzsektoren, sowie die strukturellenSchwächen der angelsächsischen Öko-nomien und von deren finanz-basier-tem Modell derzeit kein Thema.

Der Verweis auf die hohe Staats-schuld Griechenlands passt sich gut inden vorherrschenden Diskurs ein, fürden Staatsschulden schlecht und priva-te Schulden kein Thema sind. Außer-dem bietet die hysterisierende Thema-tisierung der Staatsschuld einen will-kommenen Hebel, eine Radikalisierungvon neo-liberalen Politikmustern durch-zusetzen. Außerdem sind Griechenland,Portugal und Spanien für Spekulations-

attacken wegen ihres hohen äußerenFinanzierungsbedarfs anfällig. Ihrehohen Leistungs- und Handelsbilanz-defizite machen sie abhängig von steti-gem Kapitalzufluss. Ihre Auslandsver-schuldung ist im letzten Jahrzehntstark gestiegen. Die griechische Staats-schuld wird zu einem hohen Prozent-satz von AusländerInnen gehalten.

Den hohen HandelsbilanzdefizitenGriechenlands, Portugals und Spaniensstehen die hohen Überschüsse vorallem Deutschlands gegenüber. Derdeutsche Export ist durch eine extremrestriktive Lohnpolitik und begleiten-den Sozialabbau (Stichwort Hartz IV)gefördert worden. Der deutsche export-orientierte Neo-Merkantilismus ging zuLasten anderer EU-Länder, speziell imSüden Europas, aber auch Frankreichs.Im Gegensatz zu früher können dieseLänder in der Euro-Zone nicht mehrdurch Abwertungen auf die aggressivedeutsche Exportpolitik reagieren. Da-mit hat sich das Verhältnis zwischenLeistungsbilanzüberschuss- und Leis-tungsbilanzdefizitländern in der Euro-Zone stark polarisiert.

Der im Vergleich zu Irland oder Spa-nien höhere absolute Schuldenstand inGriechenland gründet wesentlich aufeiner anderen Reaktion auf die, aufLohndumping basierende, Exportpolitik

Deutschlands in den letzten Jahren. InSpanien ist, im Zusammenhang mitden sich daraus ergebenden Leistungs-bilanzdefizit, die private Verschuldungstark angestiegen. Damit konnte eineImmobilienblase und, zumindest übereinen gewissen Zeitraum, relativ hohesWachstum erreicht werden. Die Folgewaren sogar Budgetüberschüsse.

In Griechenland kam es jedoch zukeiner Blasenbildung. Entsprechendentwickelte sich die private Verschul-dung auch viel langsamer. Um damitschon lange vor der aktuellen Krise re-zessive Tendenzen zu mildern, sprangGriechenland mit öffentlicher Verschul-dung ein. Diese strukturellen Zwängezu öffentlicher Verschuldung sind wich-tig. Dennoch gilt es auch festzuhalten,dass Griechenland, auf Grund des Steu-erwiderstands seitens Vermögenderund BezieherInnen hoher Einkommeneine vergleichsweise sehr niedrigeStaatseinnahmenquote aufweist. Wür-den diese Gruppen verstärkt zur Kassegebeten, so hätte dies auf Grund derniedrigeren Konsumquote nur relativgeringe dämpfende Effekte auf dieNachfrage und damit auf die Wirt-schaftsleistung.

Die deutsche Bundesregierung zeigt– ähnlich wie die Regierungen der Nie-derlande und Österreichs – keine Be-reitschaft, von der neo-merkantilisti-schen Orientierung abzugehen. LangeZeit zeigte sie sich auch sehr unwillig,Stützungsmaßnahmen für Griechen-land zuzustimmen. In der medialen De-batte hagelte es rassistisch gefärbteAnwürfe gegen Griechenland, und eswurde auch spekuliert, ob die Euro-Zone ohne Griechenland und die süd-europäischen Länder nicht besser dranwäre. Die deutsche BundeskanzlerinAngela Merkel habe sich „von FrauEuropa zu Madame Non“ gewandelt,titelte daraufhin die polnische Tages-zeitung Gazeta Wyborcza.

Allerdings hat die deutsche Bundes-regierung letztlich doch ein Interesseam Erhalt der Euro-Zone. DeutscheBanken haben massiv Kredite an Grie-chenland, Spanien und Portugal gege-ben. Der Erhalt der Euro-Zone liege imInteresse der deutschen Exportwirt-schaft, ließ der SPD-Vorsitzende SigmarGabriel in einem Interview mit demZDF durchblicken. Denn so könnten dieLänder der Euro-Zone nicht mehr ab-werten und so ihre Konkurrenzfähigkei-

ten gegenüber den deutschen Expor-ten stärken. Letztlich stimmte die deut-sche Bundesregierung Anfang Maidann doch einer Stützung Griechen-lands zu. Das Programm beläuft sichauf achtzig Milliarden Euro von denLändern der Euro-Zone und dreißigMilliarden Euro vom IWF.

Doch dann spitzten sich der Druckder FinanzanlegerInnen auf die süd-europäischen Länder und die Spekula-tion auf den Euro zu. Die Griechen-land-Krise drohe sich zu einer „systemi-schen Krise“ der Währungsunion aus-zuweiten, räumte die deutsche Bundes-kanzlerin Angela Merkel nun ein. Am10. Mai wurde die Schaffung einesallgemeineren Stützungsmechanismusfür Euro-Länder mit hohen Leistungs-bilanzdefiziten und zugespitzten Pro-blemen bei der Kreditaufnahme imAusland beschlossen.

Dieser Mechanismus soll mit insge-samt 500 Milliarden Euro dotiert wer-den. 60 Milliarden Euro sollen direktvon der EU kommen und mit scharfenAuflagen im Rahmen von EU/IWF-Programmen verbunden werden. Wei-tere 440 Milliarden Euro sollen auf einSpecial Purpose Vehicle entfallen, dasvon den Mitgliedsstaaten der Euro-Zone entsprechend einem bestimmtenSchlüssel garantiert wird. Zusätzlichwird noch ein Rahmen von 250 Milliar-den Euro vom IWF erwartet. Flankie-rende Maßnahmen wird die Europäi-sche Zentralbank ergreifen.

Diese Summen sind enorm. Sie spie-geln das Ausmaß der Inflation bei Fi-nanzaktiva in den letzten 15 Jahrenwider. Das lange Zuwarten bei denStützungspaketen für Mitgliedsländerder Euro-Zone, das ganz im Gegensatzzur Abstützung der Banken in Rekord-zeit im Herbst 2008 steht, hat den Ein-satz weiter erhöht. Auf Grund des gro-ßen ökonomischen Gewichts des Fi-nanzsektors, ganz speziell in Großbri-tannien, hat die EU in den 18 Mona-ten der verschärften Krise keine ernst-haften Maßnahmen zu einer stärkerenKontrolle der Finanzmärkte ergriffen.

So haben die FinanzanlegerInnennun gut gefüllte Kassen und freieHand zur Spekulation. Auch wurde ver-säumt, die Bankenstützung zu einersubstanziellen Ausweitung des staatli-chen Einflusses im Finanzsektor zu nut-

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Bitte umblättern

Die Proteste gegen die

perspektivlose Sparpolitik der

Europäischen Union sind

noch stark auf Streiks im

öffentlichen Dienst sektoral

begrenzt und zwischen den

verschiedenen Ländern nicht

abgestimmt.

Für einen wirklichen

Politikwechsel wären deutlich

stärkerer Druck von Unten

und eine Europäisierung des

Protestes erforderlich.

zen und mit harten Auflagen zu verbin-den, was eine sinnvolle Lenkung vonKrediten ermöglicht hätte. Der Statusdes Euro als internationale Reserve-währung ist überdies auf Grund dererkennbaren Bruchlinien in der Euro-Zone und durch die äußerst zögerlicheReaktion auf die spekulativen Attackenerkennbar geschwächt worden.

Die strukturellen Probleme der Wäh-rungsunion werden durch die Stüt-zungspakete nicht gelöst. Denn die EUerlegte für die Stützungskredite dieAnpassungslasten einseitig den Leis-tungsbilanzdefizit-Ländern auf. Zwarwurde in Ländern wie Frankreich undPortugal eine expansivere bundesdeut-sche Lohn- und Fiskalpolitik gefordert– doch ohne Erfolg. Die deutsche Bun-desregierung drängte beim Schnürendes Maßnahmenpakets auf eine Einbe-ziehung des IWF, obwohl dies die Re-putation des Euro nicht gerade stärkt.

Hierbei dürfte eine Rolle spielen,dass so nicht allein die EU, sondernnach außen hin auch der IWF alsZuchtmeister in Erscheinung tritt. Dasvon der Europäischen Kommission undden EU-Regierungen vorgesehene Poli-tikmuster wird bereits im Fall Griechen-lands deutlich. Das Stützungspaketund die verbundenen Auflagen, dieeine einseitige Anpassung auf SeiteGriechenlands erzwingen, bedeuteneine Radikalisierung des Neoliberalis-mus. Im Fall Griechenland beinhaltetes massive Kürzungen bei Gehälternim öffentlichen Dienst und von Pensio-nen sowie umfassende Privatisierungenzu Gunsten des westeuropäischenKapitals. Einkommenskürzungen solleneinen deflationären Prozess – also ei-nen Preisrückgang – in Gang setzen.Sie werden zu einer Rezession führen,die wiederum zu weiteren Ausfällenbei den Staatseinnahmen führt. Sodroht eine Spirale von budgetärenSparmaßnahmen, Rezession und sin-kenden Staatseinnahmen in Gangkommen. Auf eine ähnliche Politik zieltdie EU in Portugal und Spanien.

Selbst manche liberale Kommenta-torInnen halten die ultra-restriktiveSparpolitik für zweifelhaft oder sogarkontraproduktiv. Sogar die liberaleFinancial Times sieht angesichts dieserEntwicklungen unter dem Titel„Europe’s choice is to integrate or todisintegrate“ die Zukunft des Euros aufMessers Schneide: Ein substanzieller

Mechanismus zur Reduktion der Leis-tungsbilanzungleichgewichte, eine bes-sere fiskalpolitische Koordination undklare Krisenlösungsmechanismen seienessenziell, damit die Eurozone mittel-fristig überlebe.

Dem ist noch hinzuzufügen, dassüberdies spekulative Attacken, wie jenegegen Griechenland, durch eine sub-stanzielle Reform des Finanzsektorsverhindert werden müssten. Wie wahr-scheinlich ist nun die Durchsetzungentsprechender Maßnahmen? Die bis-herigen politökonomischen Entwicklun-gen lassen keine entsprechenden sub-stanziellen Reformen und keine nach-haltige Krisenlösung auf EU-Ebene er-warten. Für Griechenland stellt sich dieFrage, ob die neoliberale Anpassungzunächst hingenommen wird. Diese istmit deflatorischen Tendenzen für denEuroraum und einer negativen Bei-spielwirkung für andere Länder verbun-den. Periphere Länder und die Eurozo-ne geraten damit weiter unter Druck.

Eine denkbare, aber derzeit (noch?)nicht durchsetzbare Alternative wäreein radikaler Bruch. Dieser bestünde ineinem Austritt Griechenlands aus derEurozone und einem Schuldenmorato-rium als Basis für einen ökonomischenNeuanfang. Dieser Neuanfang müsstewesentlich auf einer kohärenten staat-lichen Entwicklungsstrategie und öf-fentlichen Unternehmen in ökonomi-schen Kernsektoren bauen. Aus Sichtder Research Group on Money and Fi-nance wäre dies für Griechenland auseiner progressiven Perspektive sogardie beste Lösung. Auch manche libera-le KritikerInnen der Euro-Zone haltenden Austritt der südeuropäischen Län-der für eine sinnvollere Perspektive alsdie derzeitige Sparpolitik.

Die Proteste gegen die perspektiv-lose Sparpolitik der Europäischen Uni-on sind noch stark auf Streiks im öf-fentlichen Dienst sektoral begrenzt undzwischen den verschiedenen Ländernnicht abgestimmt. Für einen wirklichenPolitikwechsel wären deutlich stärkererDruck von Unten und eine Europäisie-rung des Protestes erforderlich.

Joachim Becker ist a.o. Professor für Volks-wirtschaft und Betriebsrat an der Wirt-schaftsuniversität Wien; Johannes Jäger istFachhochschulprofessor für Volkswirtschaftan der FH des bfi-Wien.

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ug-oegb.at

auge.or.at

kiv.at

ugoed.at

ug-vida.at

we4you-ug.at

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Glosse Griechenland

Von Bernhard Redl.

ihr lieben!in dieser ausgabe dürft ihr lesen, daß die griechen selber

an ihre misere schuld sind, weil sie immer ihre tschickpackelnins meer hauen.

also daran liegt es sicher nicht. ich glaub, es liegt vielmehr anihrer schrift. tschuldigung, aber das mußte einmal gesagt wer-den. weil: so geht das nicht, diese sauklaue kann ja kein menschlesen. wenn sogar die stolzen klingonen sich bemühen, die la-teinische schrift zu verwenden und damit auch ihre wikipedia-einträge erstellen (siehe: http://klingon.wikia.com/wiki/ghItlh%27a%27), dann muß das doch auch den griechen zu-mutbar sein.

weil sonst ist es ja kein wunder. man stelle sichvor, so eine rating-agentur wird mit einempapierl mit diesem gekrakel konfrontiert! na,sollen die das ernst nehmen? da können diegriechen hundertmal behaupten, dies sei einestaatsanleihe und noch dazu was wert, dasglaubt ihnen nun wirklich niemand. nein, diegriechen sind selber schuld – so wird mannatürlich nicht eurofit (und überhaupt ist die-se medizinerhandschrift höchst unsolidarisch,man glaubt ja fast, die hätten was zu verber-gen. das ist so wie mit den iranern, die verfas-sen die bedienungsanleitungen für ihre atom-anlagen auch immer in so einer unleserlichenschrift und natürlich könnte man da auf dieidee kommen, die wollen was damit vertuschen– von den nordkoreanern reden wir mal gleichgar nicht).

so und jetzt gehen die deutschen und alldie anderen braven und kultivierten und schön-schreiben könnenden europäer her und zahlenden analphabetischen griechen was (nein, siebauen ihnen keine schulen, wo diese dodelnendlich richtig schreiben lernen würden – waswird eigentlich von dem geld bezahlt? keineahnung! wurscht! will ich gar nicht so genauwissen …).

und warum zahlen sie ihnen etwas? damit diegriechen als währung den euro behalten! na klar,weil wenn sie keine euros mehr haben, dann könnensie sie auch nicht als währung verwenden! und dru-cken wieder selber ihre drachmen! und das wär dannschon sehr blöd für die kultivierteren europäer.

warum? na schaut euch einmal die euro-banknotenan! es ist nämlich so – ganz kurz bevor die ersteneuros gedruckt worden sind, ist den griechen eingefal-len, sie wollen auch zur eurozone. ja, der grieche läßtsich bekanntlich gerne zeit und so ist es halt ein bisserl knappgeworden. und da haben die europäischen staaten, deren bür-ger ja richtig schreiben können, gesagt, na schön, dann tun wirhalt das wort „EURO“ auch in diesem komischen gekrakel, dasdie griechen schrift nennen, auf die scheine malen. und jetztsteht peinlicherweise auf jedem schein unterhalb von „EURO“auch noch „EYPO“, was nach griechischer logik auch wie „EURO“auszusprechen sei. ich mein, das war schon sehr generös vonden leuten, die schreiben können, auch noch diese rechtschreib-fehler auf den schein zu tun.

na, dumm gelaufen! denn jetzt stelle man sich vor, die grie-chen wollten den euro nimmer. damit fiele die rechtfertigungfür diese rechtschreibfehler weg. und dann würde die euro-scheine niemand mehr ernstnehmen.

früher hat man geld ja irgendwie noch mit gold gedeckt. aberdiese zeiten sind vorbei, heute muß man in eine währungeinfach vertrauen, auf nix echtes, einfach nur so, harte münzegibts keine mehr als zusätzliche garantie. das ist dann natürlichganz toll, wenn die ganze welt über den EYPO lacht … tja unddann würde dem euro ein ähnliches schicksal blühen wie demdollar. weil die FED kann ja auch niemandem mehr erklären,warum das kurzzeichen für ihre währung ein zweimal von obendurchgestrichenes S ist. und weil das so gaga ist, kracht derdollar ständig, und die amis müssen ständig krieg führen, da-mit die soldaten mit der puffen in der hand überall klarmachen

können, daß das echtes geld sei undeine echte macht dahinter-

steht. na super!wobei: die FED wird sich

hüten, das durchgestricheneS zu erklären. ganz genauwissens tut sie es wohl auchnicht, aber die beliebtestedeutung für dieses symbolsind – und jetzt kommts! –die „Säulen des Herakles“.Naaa, dämmerts? schon wie-der diese griechen! da mußeine währung ja eingehen.

und warum haben die deut-schen überhaupt ihre gutealte DM gegen diese komi-schen fetzen mit den recht-schreibfehlern eingetauscht?ja, genau weiß ich es nicht,aber möglicherweise wolltensie nicht, daß man ihr geld fürgutscheine vom gleichabge-kürzten drogeriemarkt hält.Oder vielleicht hat der DM so-gar mit einer markenschutzver-letzung gedroht? also wenn ichbedenke, daß der ferrero-kon-zern vor ein paar jahren die mar-

kenrechte auf das wort „kinder“ einkla-gen wollte, weil er seine kinder-schoko-lade in gefahr sah, würde mich dasauch nicht wundern.

so liebe leute, jetzt wißt ihr auch überdie geheimnisse der währungspolitikbescheid. das könnt ihr jetzt bei den de-batten in eurer umgebung verwenden

und alle werden euch für hochweise nationalökonomen halten.ihr glaubts mir nicht? entschuldigt bitte, wenn der herr gras-

ser aller welt (oder zumindest der kleinen österreichischen welt,in der die große bekanntlich ihre probe hält) einreden konnte,er wäre ein guter finanzminister, dann muß das eigentlich mitmeiner EYPO-Theorie auch möglich sein. denk ich mir mal …

naja, wurscht, ich gehe jetzt schlafen und werde davon träu-men, finanzminister zu sein.

ich wünsche euch daher einen guten morgen und mir einegute nacht. ❚

die griechen sind selber an

ihre misere schuld, weil sie

immer ihre tschickpackeln

ins meer hauen

Aktuell

D

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as gute Wahlergebnis hat uns selberüberrascht und bestärkt uns umsomehr in der Mitarbeit im nächstenBetriebsrat, der sich wie folgt zusam-mensetzen wird:BRAK-UG – 126 Stimmen, 3 MandateTBK-FSG – 87 Stimmen, 2 MandateFCG – 70 Stimmen, 2 Mandate.

EIN KURZE GESCHICHTEDie unabhängige Gruppe „Betriebs-

rat aktiv – Unabhängige Gewerkschaf-terInnen“ (BRAK-UG) formierte sichkurz nach der Ausgliederung der Öster-reichischen Nationalbibliothek 2002.Wir, einige BeamtInnen, Noch-Vertrags-bedienstete und Angestellte, fühltenuns von der damaligen Personalvertre-tung nicht genügend informiert überdie arbeitsrechtlichen Konsequenzender Ausgliederung.

Wir hatten echtes Anfängerglückund fanden Kontakt mit den Unabhän-gigen GewerkschafterInnen in der Ge-werkschaft Öffentlicher Dienst (UGöD).Nach einem ersten Crash-Kurs in Ar-beitsrecht und Betriebsratsarbeit wag-ten wir den Sprung ins kalte Wasserund kandidierten als parteiunabhängi-ge Gruppe Betriebsrat aktiv – BRAK-UG bei den ersten Betriebsratswahlen.

Unser Logo – ein fröhlich wirbelnderVentilator – signalisierte, was wir unswünschten: frischen Wind in die Beleg-

schaftsvertretung zu bringen, undzwar mit •Transparenz und Kontrolle im

Betriebsrat, •einer sachlichen Informationspolitik,•der rechtzeitigen und breiten Diskus-

sion von Fragen, die alle betreffen, •der Ausverhandlung eines Kollektiv-

vertrages für Angestellte und •einem selbstbewussten Auftreten

des Betriebsrates gegenüber derGeschäftsführung.Mit unserem Programm hatten wir

offensichtlich das Unbehagen vielerKollegInnen artikuliert, denn wir er-reichten auf Anhieb 2 von 7 Mandatenbei der Betriebsratswahl 2002 undstellten die zweitstärkste Fraktion imBetriebsrat.

Zu tun gab es mehr als genug, unddie BetriebsrätInnen und Ersatzbe-triebsrätInnen der BRAK-UG waren vonAnfang an federführend an den Ver-handlungen der notwendigen Betriebs-vereinbarungen beteiligt.

DIE BETRIEBSVEREINBARUNGEN •zur gleitenden Arbeitszeit •zum Anwesenheitszeit-

erfassungssystem •zu den Dienstreise-Modalitäten für

Angestellte wurden von uns enga-giert mitgestaltet.Wir erwarben uns mit Unterstützung

der RechtsexpertInnen von Gewerk-schaft und Arbeiterkammer schnell gro-ße Kompetenz in arbeitsrechtlichen Fra-gen und nahmen laufend an Weiterbil-dungen teil. Wissen, das vielfach in dieBetriebsratsarbeit eingeflossen ist:•etwa bei der langwierigen Verhand-

lung eines einigermaßen korrektenMusterarbeitsvertrages für die ange-stellten KollegInnen

•oder bei der Verhinderung eines Mit-arbeiterInnengespräches für Ange-

stellte, das ein intransparentesBewertungssystem vorsah

•und bei zahlreichen individuellenBeratungsgesprächen in den letztenacht Jahren. Dass unsere KollegInnen der arbeits-

rechtlichen Kompetenz der BRAK-UGvertrauen und sich wahr- und ernstge-nommen fühlen, spiegelte sich auch imWahlergebnis der Betriebsratswahlenim Jahre 2006. Wir gewannen einMandat dazu und halten nun 3 von 7Mandaten.

Unter diesen Voraussetzungen stell-ten wir uns am 27. und 28. April 2010erneut der Betriebsratswahl als Liste 2.Wir hatten einen Folder zusammenge-stellt, der unsere Vorstellungen undIdeen verdeutlicht. Bei Rundgängenund in Einzelgesprächen warben wirmit folgenden Themenschwerpunkten:

EINE STIMME FÜR DIE BRAK-UGIST EINE STIMMEFÜR eine parteiunabhängige undkonsequente InteressensvertretungWir, die Mitglieder von BRAK-UG,

kommen aus verschiedenen Bereichendes Hauses. Wir repräsentieren unter-schiedliche Anstellungsverhältnisseund fühlen uns als überparteilicheGruppe ausschließlich den Beschäftig-ten der Österreichischen National-bibliothek verpflichtet. Wir stehen fürsachorientierte Interessensvertretung,ein selbstbewusstes Auftreten gegen-über der Geschäftsführung und trans-parente Information über die Arbeitdes Betriebsrates.

FÜR eine demokratischeUnternehmenskulturBerichterstattung nach oben – An-

weisungen nach unten; eine Unzahl anFormularen; verstärkte Kontrollen. Wirvermissen eine Gesprächskultur, in derMiteinander-Denken, breite Diskussio-

Beate Neunteufel-Zechnerist Vorsitzende derUnabhängigenGewerkschafterInnenin der GÖD.

Erfolg für die BRAK-UG bei den Betriebsratswahlen in der Österreichischen Nationalbibliothek. Von Beate Neunteufel-Zechner.

NA BRAK

nen und Kritik erwünscht sind, respekt-voll mit uns umgegangen wird. Wir ver-missen, dass uns zugetraut wird, unse-re Aufgaben verantwortungsvoll undselbstbestimmt zu erledigen.

FÜR eine faire Bezahlung aller MitarbeiterInnen Die Österreichische Nationalbiblio-

thek profitiert von unserer Kompetenzund unserem Einsatz, aber sie verwei-gert die Verhandlung eines Kollektiv-vertrages. Derzeit verwehrt ein gehei-mes Gehaltsschema den Angestelltendie Kenntnis über ihren Platz im Ge-samtsystem.

Zahlreiche ehemalige Vertragsbe-dienstete, deren Tätigkeitsfelder sichverändert haben, warten seit Jahrenauf eine Neubewertung ihrer Arbeits-plätze. Teilzeit-Verträge mit nicht exis-tenzsichernder Entlohnung nehmen zu.

FÜR MitarbeiterInnenförderungund KarriereperspektivenIm Zeitalter der digitalen Medien

müssen wir schnell und kompetent In-formation zur Verfügung stellen, das„System Bibliothek“ kennen und ver-traut mit Katalogen und Datenbankenaus aller Welt sein.

Dazu bedarf es in allen Bereichengut ausgebildeter MitarbeiterInnen,denen Perspektiven geboten werdensollten: ihre bibliothekarische Kompe-tenz zu erweitern, mittelfristige Aus-sichten auf neue Tätigkeitsfelder, dieMöglichkeit, ihre Wochenarbeitszeitaufzustocken.

Bestehen wir daher gemeinsam da-rauf, dass MitarbeiterInnenförderung

in unserem Haus selbstverständlichwird und wir nicht als Kostenfaktor,sondern als Kostbarkeitsfaktor betrach-tet werden.

FÜR eine qualitätsorientiertewissenschaftliche BibliothekZuverlässige Kataloge, benutzerori-

entierte Information, seriöse wissen-schaftliche Erschließung und schnelleBereitstellung der Bestände sind dasKapital einer wissenschaftlichen Biblio-thek. Sie sichern langfristig die Zufrie-denheit der BenutzerInnen. Doch gera-de die Kernbereiche der Bibliothek wer-den seit Jahren personell ausgedünnt.

Beharren wir gemeinsam darauf,dass genug finanzielle und personelleRessourcen für die Bearbeitung undBereitstellung der Bestände der Öster-reichischen Nationalbibliothek zur Ver-fügung stehen und bibliothekarischeArbeit geschätzt wird!

FÜR ein gesundes ArbeitsklimaStundenlanges Arbeiten in Magazi-

nen, an Bildschirmen und Scannern,sowie der Umgang mit mikroben- undsporenbefallenen Objekten, gehören zuunserem Arbeitsalltag.

Die Ausweitung der Benutzerservicesbei gleichbleibendem oder reduziertemPersonal führt zu Überforderung, Er-schöpfung, Demotivation und innererEmigration.

Verlangen wir Aufklärung über unse-re Berufsrisiken, professionelle Unter-stützung in konfliktreichen Arbeitsbe-reichen und eine Personalpolitik, dieunser Wohlbefinden im betrieblichenUmfeld fördert!

BRAKTISCHE ERMUNTERUNGENZusätzlich zu diesem Programm konn-

ten wir über das E-Mail-Programm vorder Wahl drei BRAKtische Ermunterun-gen verschicken, die unser Programmhumorvoll untermauerten, zum Beispiel:

„demokratieunsere ansichtengehen als freundeauseinanderernst jandl“oder

„Eine Stimme kann Wohlklang erzeu-gen, viele Stimmen können Verände-rung bewirken.

Die Teilnahme aller KollegInnen ander Betriebsratswahl am 27. und28. April 2010

wünscht sich Ihre /Eure BRAK-UGhttp://brak-ug.blogspot.com/“

HÄUFIGE FRAGEN WAREN: •Warum wünschen wir uns einen

Kollektivvertrag? •Werden von Euch nicht nur

BeamtInnen vertreten? •Sind unsere Angestelltenverträge in

Ordnung? •Mischt Ihr Euch wirklich ein, wenn

wir uns gefährdet fühlen? Noch immer gab es positives Feed-

back für die Betriebsvereinbarungenzur Gleitzeit und Anwesenheitszeiter-fassung, die schon im Rahmen einerUmfrage hohe Zufriedensheitswerteerkennen ließen. Das kritische Bewusst-sein unserer KollegInnen ist hoch, siefinden zu viele Teilzeit- und prekäreDienstverhältnisse nicht gut für einewissenschaftliche Institution, die lang-fristig orientiert arbeitet, PraktikantIn-nen und Projekt-MitarbeiterInnen wer-den ehrlich bedauert, weil sie ohneTeilnahmemöglichkeiten in kurzer Zeitviel Wissen bei uns lassen und auchwieder mitnehmen.

Wir dürften gute Antworten gefun-den haben auf die Fragen und Sorgenunserer KollegInnen, und unsere Aus-sagen zu den heißen Themen imBetrieb dürften auf Zustimmunggestoßen sein.

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Eindrücke einer Erstteilnehmerin beim GPA-djp Regionalforum 2010 in Wien von Katharina Hanzal.

UMDENKENGEGENLENKEN

AM

SEITE 10 • ALTERNATIVE 6/2010

20. April 2010 fand das WienerRegionalforum der GPA-djp – also derGewerkschaftstag der Wiener GPA-djp– unter dem Motto „Umdenken gegen-lenken“ statt. Mit elf TeilnehmerInnenwar die AUGE/UG stark vertretenwie noch nie.

Als noch relativ „frisch gebackenes“Betriebsrats- und GPA-djp-Mitgliedkomme ich bepackt mit meiner Unter-lagenmappe in das neue ÖGB Gebäu-de zum 3. GPA-djp RegionalFRAUEN-forum 2010, das im Vorfeld des Regio-nalforums stattfindet. TeilnehmerInnensind alle weiblichen Delegierten zumGPA-djp Regionalforum.

Am Podium nimmt das Regional-FRAUENtagungspräsidium Platz. Wor-te der Begrüßung an uns und an dieEhrengäste, darunter sehe ich LoreHostasch, und registriere ein wenigverwundert einige Männer. Es gehtweiter mit Vorträgen und einem Be-richt über die Aktivitäten der Frauen-sekretärin und dann weiter zum Tages-ordnungspunkt „Wahl des Tagespräsi-diums und der Kommissionen“.

Die Kandidatinnen stellen sich vor,Applaus und dann ab zur Wahlurne.Alle wieder im Saal versammelt, geht

es weiter mit den Anträgen, wobei sichherausstellt, dass es keine gesondertenAnträge gibt, sondern dass der Antragder Frauen bereits in den allgemeinenAntrag, der am Nachmittag abge-stimmt werden wird, eingearbeitet ist.

Ein „Aha“, wir hatten uns schon ge-wundert, warum uns hier keine Unter-lagen vorliegen, aber jetzt – alles klar.Wir lauschen den Ausführungen, dasAntragskonvolut kennen wir ja bereits,obgleich mir die Frauenspezifika in die-sem Antrag nicht so richtig aufgefallensind. Ich hänge dem Gedanken nach,warum wir am Vormittag einen Antragbesprechen, der ja am Nachmittag oh-nehin noch einmal dargelegt und zurDiskussion gestellt werden wird. Ichfrage mich – rein theoretisch – waspassieren würde, wenn wir Frauen nunden allgemeinen Antrag ablehnen wür-den, ob dann der Nachmittag seinesInhaltes beraubt werden würde, alsplötzlich die Aufforderung zur Abstim-mung an mein Ohr dringt. „… bitte ihrBlatt zum Zeichen der Zustimmung zuheben, Gegenstimmen, keine, Enthal-tungen, keine, danke.“ So langsam derVormittag inhaltlich dahingeschlichenist, so schnell war die Abstimmungauch schon wieder vorüber. Eine Wort-meldung gab es, ansonsten ein ruhigerVormittag.

DIENSTAG 20. APRIL, 13 UHRDie Delegierten der verschiedenen

Fraktionen, Unterorganisationen undGewerkschaftsgremien trudeln ein, derSaal füllt sich zusehends. Zu Beginnwar wieder Durchhaltevermögen in Sa-chen Zuhören gefragt. Wolfgang Katzi-

an, GPA-djp-Bundesvorsitzender undFritz Hagl, GPA-djp-Wien-Vorsitzender,berichten in langen Re-den unter dem Titel „um-denken und gegenlen-ken“ über die Erfolge derGPA-djp der letzten Peri-ode und werden nichtmüde, die Wichtigkeit derMitgliederwerbung her-vorzuheben. Ein skurrilerHöhepunkt, den ich zuerwähnen nicht missenmöchte, war hier noch eineigens produzierter Film,der mit poppigen Klän-gen berichtet, was allesgetan und erreicht wurde.Zwischen Film und denBrandreden für die GPA-djp, denen eine Ähnlichkeit zu Wahl-veranstaltungen nicht mehr abzuspre-chen sind, frage ich mich, warum hiersoviel Zeit für rednerische Überzeu-gungsarbeit geleistet wird, da ich jaohnehin schon Mitglied bin.

Wahrscheinlich soll ich es auch blei-ben, deshalb das Aufgebot an Reden,wobei mir ein fundierter inhaltlicherBericht mit Zahlen, Fakten und einpaar Fotos lieber gewesen wäre. Nach-dem sicher mindestens ein drittes Mallocker flockig über das neue ÖGB Haus– als Zeichen neue gewonnener Stärkeund Überwindung der ÖGB-Krise undals Zeichen der gelungenen (!) ÖGB-Reform – geschwärmt wurde, in demnun das Regionalforum abgehaltenwird, kam dann wieder einmal einWahlvorgang. Diesmal die Wahl derRegionalforumsgremien – also dieWahl des Regionalpräsidiums, des Re-

Katharina Hanzal ist Beraterin imWUK faktor.iInformationszentrumund Betriebsrätin im WUK.

gionalvorsitzenden, des Regionalvor-standes. Die sich zur Wahl Stellendenberichteten über Ihre Beweggründeund schon sollte es wieder zur Wahlgehen. Auf die hier eingebrachte An-frage, ob bei den Wahlvorschlägennicht auch die Fraktionen zur besserenÜbersicht ergänzt werden könnten,wurde eingewandt, dass es sich hier janicht um Parteipolitik handle, sondernum wahrgenommene Funktionen. Aha.

Und nun zum spannenderen Teil desRegionalforums, nämlich zu den andas Regionalforum gestellten Anträ-gen, die für die nächsten Jahre inhalt-lich maßgeblich für die Arbeit der GPA-djp Wien sein werden. Insgesamt kom-men 21 Anträge zur Abstimmung. Eshandelt sich einerseits um den „Leitan-trag der Regionen“ erstellt durch die

Grundsatzabteilung und weiters um 20Anträge, wovon 5 von der AUGE/UGgestellt wurden.

Noch bevor der Tagesordnungspunkt„Abstimmung der Anträge“ anvisiertwird, kommt es zu einer Wortmeldung:Linda Sepulveda, stellvertretende Be-triebsratsvorsitzende bei Siemens SIS,für die AUGE/UG im Regionalvorstandin der GPA-djp-Wien, beginnt mit ei-nem Zitat von Johanna Dohnal: „Austaktischen Gründen leise zu treten, hatsich noch immer als Fehler erwiesen.“Der Betriebsrat, die Belegschaft vonSiemens SIS führt derzeit einen verita-blen Arbeitskampf. Linda weist daraufhin, dass die Gewerkschaft den SIS-Be-triebsrat anfangs in seinem Kampf umArbeitsplätze auch aktiv und bestmög-lich unterstützt hatte, wie auch an denvielen Demofotos im Werbefilmchen zu

sehen war. Ja, viele Gewerkschaftsmit-glieder habe mensch im Betrieb gewor-ben, den Organisationsgrad von 20 aufüber 40 Prozent gehoben. Mittlerweilesei allerdings die Unterstützung durchdie Gewerkschaft spürbar zurückgegan-gen. Warum? Aus politischen Gründen?Sie und ihre BetriebsratskollegInnen,alles überzeugte Gewerkschaftsmitglie-der, sind enttäuscht.

Kritik anstatt der bisher vorherr-schenden Selbstbeweihräucherungkommt nun zu Wort. Nach einem ra-send kurzem, fast greifbarem Vakuum– die einen vermutlich noch geschocktvon der Dreistigkeit der Worte, wir an-deren den mutig vorgebrachten Tat-sachen noch im Geiste nachhängend –ergreift die für den Ablauf zuständigePerson am Podium das Wort. Alle

schauen gespannt ...und sie sagt: „... gibt esnoch eine Wortmel-dung? Nein? Dann fah-ren wir fort mit demnächsten Punkt der Ta-gesordnung…“ Währendich ob dieser Ignoranznoch gedanklich nachLuft schnappe, schnellteine andere Kolleginaus dem Betriebsratvon Siemens SIS aufund bittet schlicht, dassjemanden vom Podiumauf die vorangegange-ne Wortmeldung ant-worte. Überraschte Bli-

cke von Seiten der am Podium Sitzen-den, dann die Antwort, dass bishernoch nichts über diesen dargestelltenSachverhalt bekannt gewesen war,aber dass man für ein Gespräch selbst-redend zur Verfügung stehe. Na gut,denke ich, zumindest ist mit der offenvorgetragenen Kritik, beziehungsweiseAufforderung, somit gelungen, dasssich die Damen und Herrn nun damitauseinander setzen müssen. Immerhin,wieder ein Anfang (Anm.: inzwischenhat es ein Treffen zwischen dem Sie-mens SIS-Betriebsrat und GPA-djp Ver-treterInnen – Barbara Teiber, Regional-sekretärin für Wien und Karl Proyer,stv. Bundesgeschäftsführer, zuständigfür Wirtschaftsbereiche und Kollektiv-verträge – gegeben, das positiv verlau-fen ist und in einem symbolischenHandschlag zwischen Proyer und LindaSepulveda geendet hat).

Später folgt auch noch eine don-nernde Wortmeldung des Wiener Ge-werkschaftsvorsitzenden Fritz Hagl,Zentralbetriebsratsvorsitzender bei Sie-mens, die erschreckend persönlich undattackierend und wenig professionellbei mir ankommt. Jetzt ist aber erfreuli-cherweise der Bann der Sprachlosigkeitdes Publikums gebrochen und eineWortmeldung löst die andere ab. DasThema Siemens wird (Göttin sei Dank!)noch öfter aufs Tapet gebracht, auchwenn manch Einer mit zu großem Har-moniebedürfnis das Gesicht verziehenmag. Übrigens: Fritz Hagl wurde mitnur 74 Prozent zum GPA-djp Wien Vor-sitzenden wiedergewählt. In Gewerk-schaftskreisen ein üblicherweiseschwaches Wahlergebnis.

SPANNENDEANTRAGSBEHANDLUNGDetailänderungen betreffend des

„Leitantrag der Regionen“ werden be-schlossen, und viele Interessante An-träge (die AUGE/UG-Anträge zumGPA-djp-Regionalforum sind auf derAUGE/UG-Homepage), wie zum Bei-spiel zu Migration, Bettelverbot, Ar-beitszeitverkürzung, Schulsozialarbeit,Fördergeber im Behindertenbereich,Datenschutz und vieles mehr mittelsWortmeldungen der KollegInnen erläu-tert, diskutiert und abgestimmt. DieAUGE/UG-Anträge zum Datenschutzund zur Verbesserung der Arbeitsbedin-gungen im Behindertenbereich werdenmit geringfügigen Änderungen ange-nommen, die restlichen zugewiesen.Bei der Diskussion zeigt sich, wie„lebendig“ Gewerkschaft sein kann.

Ich resümiere, dass das Regional-FRAUENforum mehr konkrete Inhalteund Diskussion vertragen hätte und,dass das Regionalforum ohne dieWortmeldungen und engagierten An-tragsformuliererInnen eine organisato-rische Hülle geblieben wäre. Ein gutesGefühl bleibt zurück, einer engagier-ten, wortgewandten und mutigen Trup-pe angehört zu haben, und dass ichauch ein Wörtchen beim Umdenkenund Gegenlenken mitzureden hatte.

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Mit elf

TeilnehmerInnen

war die AUGE/UG

stark wie noch

nie vertreten

er private Gesundheits- undSozialbereich, der im Auftrag

der öffentlichen Hand sozialeDienstleistungen erbringt, leidet

schon jetzt unter katastrophalen Ar-beits- und Entlohnungsbedingungen.

Aber: Neue Einsparungsmaßnahmendrohen auf Grund der immer schlechterwerdenden Budgetsituation in Land,Gemeinden und Bund die Situationnoch weiter zu verschärfen. Aus diesemGrund organisierte ich ein Treffen derBetriebsrätInnen aus den SozialenDienstleistern, die im Auftrag des Lan-des Sozial- und Gesundheitsdienstleis-tungen erbringen, mit VertreterInnendes Landes Niederösterreich, dasschließlich am 23. April 2010 in der(und unterstützt von der) niederöster-reichischen Arbeiterkammer stattfand.

Hier ein Kurzbericht: Der Sozialbe-reich trat erstmals umfangreich ver-netzt und gemeinsam auf, es wurdeden VertreterInnen des Landes von denanwesenden BetriebsrätInnen eine ge-meinsam beschossene Petition, dieeine Auflistung der wesentlichen Miss-stände beinhaltete, überreicht. Ich, undich glaube auch alle anderen Kolleg-Innen waren selbst überrascht, wieschlimm und menschenunwürdig dieSituation der Beschäftigten im „sozia-len Musterland NÖ“ schon jetzt ist.Aber erstmals haben sich BetriebsrätIn-nen der meisten Fraktionen gemein-sam an das Land gewandt. Zusammenmit der Vizepräsidentin der Arbeiter-kammer, Brigitte Adler, ist uns eineVeranstaltung gelungen, die als Auf-takt für weitere Schritte gelten kann.Ein Signal, dass nicht zu übersehen ist.

Auf die Antwort desLandes sind wir ge-spannt. Die Petitionwurde Niederöster-reichs Soziallan-desrätin Mag.a Ka-rin Scheele und Mag.Beate Missoni vomAmt der niederösterreichischen Lan-desregierung, Abteilung GS 5 Soziales,übergeben.

Die Vernetzung soll unbedingt weiterbetrieben werden, das Bedürfnisdanach war und ist groß.

Die Petition – unterstützt von zahl-reichen Betriebsratskörperschaften inNiederösterreich (Psychosoziale Zen-tren GmbH, Lebenshilfe NÖ, HilfswerkNÖ, Volkshilfe NÖ, Caritas St. Pölten,Rotes Kreuz NÖ, Rettet das Kind NÖ,Verein Morgenstern, Emmaus-Gemein-schaft St. Pölten, Caritas der ErzdiözeseWien) – im Wortlaut:Sehr geehrter Entscheidungsträger inder NÖ Landesregierung,

im Namen der von uns vertretenenKollegInnen weisen wir auf die unge-nügende Ausstattung mit finanziellenMitteln durch die NÖ Landesregierungim Bereich der privaten Sozial- und Ge-sundheitseinrichtungen hin. Dienstleis-tungen in diesem Segment werden imSinne der Übertragung von Aufgabender öffentlichen Hand an private An-bieter weitergegeben. Diese Überlas-sung kann jedoch nicht dazu führen,dass jegliche Verantwortung für dieArbeitsbedingungen der Beschäftigtennur an die Träger abgegeben wird.

Aus jährlichen Verhandlungen zwi-schen Arbeitgebern und Gewerkschaf-ten resultieren Abschlüsse für die jewei-

ligen Kollektivverträge, die die Grund-lage der Gehälter der Beschäftigtenergeben. Mit der derzeitig gehand-habten unzureichenden Förderpolitikscheint nicht einmal ein Bekenntnis zudiesen Kollektivverträgen, beziehungs-weise eine Anerkennung der Arbeit, dieim Sozialdienst geleistet wird, durch dieLandespolitik gegeben.

Betriebswirtschaftliche Erfordernisseerzwingen bei ungenügender einnah-menseitiger Ausstattung umgehendEinsparungen auf der Ausgabenseite.Das größte Einsparungspotential liegtin unserer Branche bei den Personalkos-ten. Doch bereits jetzt gibt es kaum

mehr Spielraum für dringend not-wendige Maßnahmen, wiezum Beispiel die Einstellungvon ausreichend Personalfür Vertretungssituationen,

betriebliche Gesundheits-förderung, durchgehende

begleitende Supervisionund Weiterbildung. Kosten zu

senken durch den Einsatz von we-niger qualifiziertem und damit

niedriger entlohntem Personal ist ge-nauso wenig effizient, wie eine Verdich-tung der Leistung.

Die an sich schon belastenden Ar-beitsbedingungen im Gesundheits- undSozialbereich fordern die Menschen, diesich für diese Berufe entschieden habenin besonderem Maße. UngenügendeRahmenbedingungen aber ziehen einenvermehrten Arbeitsdruck nach sich, dermit der Zeit in Krankheit und oft auchim Ausstieg aus dem Job endet. Einer-seits vermindert sich die Attraktivitätdieser Berufe damit zusehends und dieVersorgung der KlientInnen ist nichtmehr gesichert. Andererseits sind da-durch wieder erhöhte Kosten durch dieNachbesetzung erkrankter oder ausstei-gender Beschäftigter vorprogrammiert.

Aus all den genannten Gründen undauch den wissenschaftlich untermauer-ten Ergebnissen einer Studie der Arbei-terkammer-NÖ ergibt sich ein dringen-der Handlungsbedarf im privaten Ge-sundheits- und Sozialbereich! Wir ersu-chen Sie, unsere Forderungen im Sinnelebbarer Arbeitsbedingungen für unsereKollegInnen und im Sinne einer Siche-rung der Betreuung für die KlientInnenin Niederösterreich zu überdenken undin geeigneter Form anzupassen!

Niederösterreich:

EIN SIGNAL

BetriebsrätInnen des

privaten Sozial- und

Gesundheitsbereichs

treffen niederösterreichische

Landes-VertreterInnen.

Von Stefan Taibl.

D

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Stefan Taiblist Arbeiterkammerratder AUGE/UG inNiederösterreich.

„Soziales MusterlandNiederösterreich“

it Vollgas im massiv überfüll-ten Fahrzeug bei Glatteis und

mit Sommerreifen – so rast dieSozialpädagogik in Wien derzeit

dem Crash entgegen.Trotz Schaffung neuer Plätze bewe-

gen sich die Auslastungszahlen der Kri-senzentren permanent im Bereich vonbis zu 150 Prozent. Das ist, wenn manes als reinen Zahlenwert betrachtet,jetzt nicht so schlimm, in der Praxisbedeutet es allerdings sowohl für diebetreuten Kinder und Jugendlichen alsauch für SozialpädagogInnen undWirtschaftshelferInnen einen unzumut-baren Zustand.

Kinder und Jugendlichen, die ineiner sehr sensiblen Phase aus derFamilie genommen werden und nun ineiner fremden Umgebung vor allemSicherheit und Stabilität brauchen,warten in einer Einrichtung, die dafürzuständig ist, die Notwendigkeit einerUnterbringung abzuklären, teilweisebis zu 8 Monate, bevor sie endlich ei-nen Platz in einer WG oder Ähnlichembekommen. Ende Feber waren es 82Kinder, die in Ungewissheit über ihreZukunft, mit ständig wechselndemBezugsrahmen, ausharren mussten.

Demzufolge und durch die beengteräumliche Situation – die Kinder schla-fen teilweise auf Matratzenlagern –ergeben sich, neben der immensenMehrarbeit, die für die MitarbeiterIn-nen anfällt, auch gruppendynamischeProzesse, die immer häufiger in körper-lichen und verbalen Übergriffen enden.

Das Interesse von berufserfahrenenSozialpädagogInnen (vergleiche Anfor-derungsprofil), im Krisenzentrum zu ar-beiten, ist sehr gering und so werden

immer mehr BerufsanfängerInnen ver-heizt, die bestenfalls versuchen, in eineWG zu wechseln, aber – oft mit Um-weg über Burnout – diesem Beruf end-gültig den Rücken kehren.

Aber auch in den Wohngemeinschaf-ten ist der Fakt der permanenten 100-prozentigen Auslastung aller Einrich-tungen ein massives Problem, dennKinder und Jugendliche können seltennach ihren besonderen Bedürfnissenuntergebracht werden. Der Spagat zwi-schen teilweise drogensüchtigen, ge-waltbereiten, verhaltensauffälligenoder/und psychisch kranken Kindernund Jugendlichen und Kindern undJugendlichen, die aus einer Gewalts-truktur herausgerissen wurden, um nunin einem beschützenden Umfeld gebor-gen zu sein, ist ein Drahtseilakt, der oftin massiver Überforderung endet.

Herr Stadtrat Oxonitsch hat sich beieinem Gesprächstermin Ende Feber, beidem wir gemeinsam ein von allenFraktionen unterzeichnetes Maßnah-menpapier übergeben haben, sehrinteressiert gezeigt. Insgesamt wurdenfolgende Forderungspunkte im Rah-men des Gespräches mit StadtratOxonitsch besprochen:•Anhebung der Dienstzulage in allenKRIZ auf das Niveau der Sozialarbeiter-Innen – gleiche Arbeit – gleicher Lohn•Bewilligung der Erschwerniszulagefür SozialpädagogInnen und Wirt-schaftshelferInnen per sofort•Keine Anhebung der Platzzahlen inHeimen•Durchgehende Besetzung in allenEinrichtungen mit täglicher Dienstüber-gabe (24h, Zeit für schriftliche Arbei-ten, Kontakte zu Ämtern und Schulen,Reflexion, Vorbereitung auf den Dienst)•Sofortige Nachbesetzung währendLangzeit-Krankenständen•Erweiterung der anrechenbaren Aus-bildungszeiten lt. PV-Antrag, Gleich-stellung von Mag. FH in SPR und AJF

•Erweiterung der Dienstposten derKrisenzentren um einen Springer für je2 Krisenzentren•Schaffung von fünf weiteren Krisen-zentren für Kinder•Schaffung eines weiteren Krisen-zentrums für männliche Jugendliche•Schaffung von 24 Wohngemein-schaften•Ausbau der Spezialisierung (z. B.Kleinkinder-WG, Jugendlichen-WG, …)•Gesetzliche Rahmenbedingungenzum Umgang mit unbetreubarerKlientel•Inbetriebnahme mehrerer nieder-schwelliger Einrichtungen•Schaffung von Tagesbeschäftigungs-projekten für weibliche und männlicheJugendliche mittels Förderungsanträ-gen bei der EU für den Jugendwohl-fahrtsbereich•Schaffung eines ausreichenden Platz-angebotes zum Umgang mit Klienten,welche in diesen gesetzlichen Rahmen-bedingungen als nicht adäquat betreu-bar erscheint•Zielgerichtete Vernetzung mit einemdezernatsübergreifenden Gesamtkon-zept zur Bewältigung der anstehendenProbleme•Entwicklung von Strategien zumSchutz der SozialpädagogInnen imUmgang mit gewalttätigen Kindernund Jugendlichen•Wissenschaftliche Bedarfserhebungder notwendigen Kapazitäten, unterBerücksichtigung der Bevölkerungsent-wicklung, in Zahlen, sowie der sozialenBevölkerungsentwicklung in Wien, umplanerisch vorhersehen zu können.•Ausbau der Vernetzung – AMS, Kran-kenhäuser, Psychiatrie•Überprüfung und -arbeitung desKonzeptes für Krisenzentren (anhalten-de Überlastungssituation)•Öffentlichkeitsarbeit/Werbekampa-gne zur Hebung des Images und desBerufsbildes von SozialpädagogInnen

Wir fordern die politisch Verantwort-lichen auf, die notwendigen Ressour-cen für die Durchführung des Versor-gungsauftrages auch tatsächlich zurVerfügung zu stellen. Eine unglaubli-che Ressource haben sie allemal:Extrem motivierte, engagierte undflexible MitarbeiterInnen, die dasSystem durch ihren Einsatz bisher vordem Crash bewahrt haben!

MIT VOLLGAS ZUM CRASH

Über die aktuelle Situation in

der Wiener Sozialpädagogik.

Von Wilma Nestelberger.

M

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Wilma Nestelbergerist Personalvertreterinder KIV in Wien.

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Unabhängige GewerkschafterInnen in Wiennach wie vor unangefochten zweitstärkste Fraktion.

Von Alfred Bastecky.

WAHLEN IN DER GDG-KMSFB:

6035 KOLLEGINNENWÄHLTEN DIE KIV/UG

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Die Gewerkschaft derGemeindebedienste-ten, Kunst, Medien,Sport, freie Berufe(GdG-KMSfB) hat es in

der Presseaussendung in der ihr eige-nen Weise auf den Punkt gebracht:

„Bei der Gewerkschaftswahl gab esfür die sozialdemokratische Fraktion einleichtes Plus. 79,98 Prozent der Stim-men wurden geholt, 2006 waren esnoch um 0,22 Prozent weniger gewe-sen. Grüne und FCG auf den Plätzenzwei und drei“.

Wenn man davon absieht, dass dieGrünen überhaupt nicht kandidiert ha-ben – zweitstärkste Fraktion in Wien istnach wie vor die parteiunabhängigeKIV – stimmt das auch so.

ENTTÄUSCHUNGAM WAHLABENDIch will gar nicht verhehlen, dass ich

am Wahlabend über einzelne Ergebnis-se an Dienststellen enttäuscht war.Speziell in den Kindergärten, im Geria-triezentrum am Wienerwald, im Sozial-medizinischen Zentrum Süd und beiden „Parksheriffs“ haben wir uns sichermehr erwartet.

Nach einigen Stunden Abstand undStudium von Einzel-Wahlergebnissenschaut die Welt schon ein weniganders aus:•Die KIV ist nach wie vor unangefoch-

ten die Nummer 2 in Wien.

•Die KIV hat bei der Personalvertre-tungswahl sowohl in den Dienststel-len als auch bei den Personalgrup-pen zugelegt.

•Der Verlust hat sich bei den Gewerk-schaftswahlen mit 1,41 Prozent inGrenzen gehalten (zu den Ausgangs-Voraussetzungen komme ich weiterunten zurück).

•Die KIV hat ihre Mehrheiten bei denJugendämtern und im Fonds SozialesWien eindrucksvoll ausgebaut undim Marktamt und im Geriatriezen-trum Klosterneuburg neue Mehrhei-ten errungen.

•Viele Ergebnisse zwischen 25 und 44Prozent lassen sich durchaus sehen.

•Die KIV hat einen wichtigen Beitragdazu geleistet, die Freiheitlichen inSchach zu halten. Sogar bei dem vonStrache hochgejubelten FA-Ergebnisbei der Rettung war die KIV stärker.

•In der KMSfB (Kulturgewerkschaft)wollten wir nach der Fusion „den Fußin die Tür stellen“. Trotz erheblicherBehinderungen ist das gelungen: 2Delegierte bei der Landeskonferenz.

•In Oberösterreich konnten wir voneinem auf acht Mandate zulegen.

UNSERE AUSGANGS-VORAUSSETZUNGENBei den Gewerkschafts-Wahlen muss-

ten wir den Preis für die Beachtung un-serer Grundsätze bezahlen: Durch dieTrennung von unserer Gruppe bei den

Wiener Linien wegen fortgesetzter Dif-ferenzen über die Umsetzung unseresGrundsatzes der strikten Abgrenzungnach rechts und nach der Nicht-Kandi-datur bei Wien Strom (der einzige Kan-didat wollte nicht mehr mit der „privi-legierten Funktionärskaste“ in der KIVzusammenarbeiten) hätten wir vonvornherein an die 1000 verlorene Stim-men aufholen müssen.

Dazu kommt, dass in starken KIV-Be-reichen wie dem Kindergarten der Or-ganisationsgrad der Gewerkschaft ausEnttäuschung über die Versäumnisseder Gewerkschaftsführung auf unterfünfzig Prozent gesunken ist.

Außerdem sind viele ältere Gemein-debedienstete traditionell in der SPÖund FSG verwurzelt, während neue undjüngere KollegInnen immer schwererzu einem Gewerkschafts-Beitritt zu be-wegen sind.

DIE ÖKONOMISCHE SEITEFür eine parteiunabhängige Grup-

pierung wie die KIV wird es in Pers-pektive immer unmöglicher, flächende-ckende Wahl-Auseinandersetzungen zufinanzieren. Jahrzehntelang wurdenvon der Gewerkschaft zentral Mittel fürdie Wahl zur Verfügung gestellt.•Und das unter Beachtung einer So-

ckelfinanzierung. Das heißt, unab-hängig von der Größe einer Fraktiongab es eine einen Mindestbetrag fürdie Bedeckung von Druck- und Porto-

kosten, die zumindest in bescheide-ner Aufmachung für alle gleich sind.

•Eine zweite Tranche wurde nachdemStärkeverhältnis vergeben.Die aktuelle Gewerkschaftsführung

hat diese Mittel auf null reduziert. Im selben Zeitraum sind aber die

Portokosten exorbitant gestiegen.Wenn das so weiter geht, können klei-nere Gruppierungen nur noch mit Hilfevon Parteien überleben.

Oder mit Versicherungs-Inseraten,Verkauf von Handy-Verträgen oder bei-gelegten Versandhaus-Prospekten ihreKosten aufbringen. Alle drei Variantenlehnen wir aus grundsätzlichen Erwä-gungen ab.

DAS IRRATIONALE ELEMENTBEI WAHLENIn den 32 Jahren seit unserer Grün-

dung haben wir gelernt, diesen Um-stand zu akzeptieren: Nicht immerspiegeln Wahlergebnisse die Leistun-gen in den letzten vier Jahren wieder.Auch KIV-Bereiche, die nicht geradehoch aktiv waren, gewinnen Mandate.

Auf der anderen Seite bleiben Berei-che, in denen eine Arbeit geleistet wur-de, wie man sie wahrscheinlich nichtbesser machen kann, unbelohnt. Eswäre interessant, dieses Phänomen zuuntersuchen. Auch dafür fehlen unseinfach die Mittel.

Die Mehrheitsfraktion hat’s da leich-ter. Sie geht einfach davon aus, dassihr großer Erfolg immer ein Verdiensttoller Arbeit ist. Bei den Entscheidun-gen nach der Wahl – Freistellungen,Finanzierung der Fraktionen, Arbeits-möglichkeiten der Minderheiten –muss sie aber eine Grundsatzentschei-dung treffen: soll die Gewerkschaftweiterhin überparteilich und pluralis-tisch sein, dann erfordert das Konse-quenzen in den genannten Punkten.Als „demokratisches Feigenblatt“ sindwir uns zu Schade!

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D

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ie Personalvertretungs- und Gewerk-schaftswahlen bei den Gemeindebe-diensteten sind geschlagen. Die Konse-quente Interessensvertretung/Unabhän-gige GewerkschafterInnen (KIV/UG)konnte sich ganz gut behaupten, legtebei den PV-Wahlen sogar leicht zu, ver-lor allerdings auch leicht bei den Ge-werkschaftswahlen. Erfreulich: erstmalsgelang der Einzug in die mit der GdGfusionierten KMSfB – mit 10 Prozentund zwei Mandaten.

Einmal mehr ist – in der medialenBerichterstattung – die parteiunabhän-gige, überparteiliche Kandidatur derKIV/UG dem – offensichtlich unstillba-rem – medialen Bedürfnis der partei-politischen „Schubladisierung“ zumOpfer gefallen. Da kandidiert die FSG– also die SPÖ. Da kandidiert die FCG– oft im Verband mit dem ÖAAB –also die ÖVP. Da kandidieren die Frei-heitlichen Arbeitnehmer – also dieFPÖ. Und da kandidiert die UG – indiesem Fall die KIV/UG – also wasdenn? Schnurstracks werden UG-Listenentlang der österreichischen parteipoli-tischen Farbenlehre als „grüne“ oder„grünnahe“, bestenfalls noch „grün-un-abhängige“ Listen bezeichnet. Dasgeht dann so weit, dass im ORF onlinedavon berichtet wird, dass die „Grü-

nen“ weiterhin Platz Zwei bei den Ge-meindebediensteten belegen würden.

Obwohl „Die Grünen“ gar nicht kan-didiert haben und dann im folgendenText plötzlich auch nur noch von derKIV/UG die Rede ist. Schublade auf,Schublade zu. Die FSG-Mehrheit – indiesem Fall in der GdG – unterstütztdas auch noch eifrig, in dem sie dieKIV/UG – wider besseren Wissens –taxfrei zu „Grünen“ erklärt und in Zu-sammenhang mit Aussagen Grüner Po-litikerInnen stellt. Weil sie sich davonoffensichtlich einiges verspricht bezie-hungsweise erhofft. Die „Parteiunab-hängigkeit“ soll dadurch diskrediert,das Prinzip „Parteiunabhängigkeit“ un-glaubwürdig werden.

Die UG, die Unabhängigen Gewerk-schafterInnen, lassen sich allerdings inkeine Schublade stecken. Schon garnicht in eine parteipolitische. Weder ineine grüne, eine rote, eine rosarote,schwarze, oder gar blaue, oder orange.

UG: „BUNTE FRAKTION“ MITABGRENZUNG NACH RECHTSMensch muss die UG schon als das

nehmen, was sie ist: Parteiunabhängigund überparteilich, am ehesten nocheine Fraktion der „pluralistischen undalternativen Linken“. Dass die UG nicht„Die Grünen“ sein können – dafür wür-de eigentlich schon alleine ein Blick indie Historie jener Gruppierungen, dieheute die „Unabhängigen Gewerk-schafterInnen“ ausmachen, reichen:Die Vorläuferorganisation der AUGE/UGetwa, die GE-Gewerkschaftliche Einheitgalt einst in der Nachkriegszeit als KP-nahe Gruppierung, bis sie sich 1968 imZuge der Niederschlagung des PragerFrühlings durch Warschauer-Pakt-Trup-pen endgültig von der KP los sagte

und einen eigenständigen,linken, in der Folge links-alternativen Kurs verfolgte.1968 gab es weit und breitnoch keine „Grünen“ ge-schweige denn eine GrünePartei. AktivistInnen undBetriebsrätInnen der GEwaren Ex-KPlerInnen, ehe-malige Sozialdemokrat-Innen. Fortschrittlich orien-tierte ChristInnen kamenaus der studentischen Lin-ken und zusehends aus derDritte-Welt-, der Frauen-,der Anti-AKW-, der Friedens-und der Umweltbewegung.

Die Gründung von UG-Listen imBereich der LehrerInnen gehen in die1970er Jahre zurück, also ebenfalls be-vor es eine „Grüne Partei“ gab. Aktivist-Innen der „Österreichischen Lehrer-Inneninitiative“, wie die UG-LehrerIn-nen bis heute heißen, kamen dabeiebenso aus den unterschiedlichstenweltanschaulichen Lagern – aus einer„antikapitalistischen“ Linken ebenso,wie aus dem bürgerlichen oder christli-chen. Gemeinsam war ihnen – und derFindungsprozess war keineswegs ein-fach – Personalvertretung, Gewerk-schaften wie auch das Bildungssystemals Ganzes zu demokratisieren, Perso-nalvertretung, wie Gewerkschaft undBildungspolitik nicht den Parteien undihren Fraktionen in der Gewerkschaftzu überlassen.

Die KIV gründete sich bereits 1978als eigenständige, autonome Gruppie-rung in Personalvertretung und Ge-werkschaft der Gemeindebediensteten– also auch etliche Zeit vor grünen Par-teigründungen. Getragen wurde dieKIV damals vor allem von kritischenSozialarbeiterInnen, die sich schließlich

Markus Kozaist UG-Vertreter imÖGB-Bundesvorstandund Mitarbeiter derAUGE/UG in Wien.

Die Unabhängigen GewerkschafterInnen, die politische „Farbenlehre“ und warum wir uns in keine Schublade

stecken lassen. Von Markus Koza.

FARBENLEHRE

zu einer Kandidatur als unabhängigeAlternative zu den Parteifraktionen ver-stand – und bis heute versteht.

WIR SCHAUEN AUFKEIN PARTEIBUCHSchon alleine aus diesem Auszug der

Gründungsgeschichte(n) wird eines of-fensichtlich: UG-Gruppierungen warennie Parteilisten und legten stets auch

entschieden Wert darauf, keine Partei-listen zu sein. Alternative Gewerkschaf-terInnen waren zwar auch aktiv an derGründung alternativer beziehungswei-se grün-alternativer Listen beteiligt –das ist kein Geheimnis, einige sind Par-teimitglieder der Grünen oder bei denGrünen aktiv – auch das kein Geheim-nis, und bringen in diese Partei ge-werkschaftspolitische Positionen ein.

Andere wiederum kamen und kom-men aus der Sozialdemokratie, der KP,dem christlich-sozialen Lager, ziehen esaber vor, auf parteiunabhängigen Lis-ten zu kandidieren, weil für sie die Per-sonalvertretung und nicht Parteipolitikim Vordergrund steht, wie sie vielfacherleben mußten beziehungsweise müs-sen. Die Mitgliedschaft einzelner UG-lerInnen zu Parteien ist – soweit es sichnicht um FPÖ, BZÖ oder noch weiterrechts stehender Gruppierungen han-delt – selbstverständlich zulässig, wiees sich für eine überparteiliche Grup-pierung gehört. Überparteilichkeit istin diesem Sinne auch ein Garant fürUnabhängigkeit. Schließlich lässt sichkeine SozialdemokratIn gerne als Grü-

ne vereinnahmen beziehungsweise vor-führen und umgekehrt.

Der überwiegende Teil aller Betriebs-rätInnen, PersonalvertreterInnen undAktivistInnen der UG gehört allerdingsohnedies überhaupt keiner Partei anund verwehrt sich – wie übrigens auchdie meisten Grünen, SozialdemokratIn-nen etc. in der UG – gegen eine partei-politische Vereinnahmung. Kurz: in derUG wird nicht nach einem Parteibuch

gefragt. Eine klare Abgren-zung gibt es allerdings nachrechts: Wer in der UG aktivist, kann kein Mitglied oderSympathisant von FPÖ oderBZÖ sein. Die UG ist antifa-schistisch und steht in klarerGegnerInnenschaft zu allenrechtsextremen, ausländerIn-nenfeindlichen und rechtspo-pulistischen Tendenzen. Nichtzuletzt auch deswegen, weilwir begeisterte Gewerkschaf-terInnen sind und die extre-me Rechte der Gewerk-schaftsbewegung stets feind-lich gegenübergestanden ist.

Zusammengefasst: Das „So-ziotop“ UG durchbricht alsogängige Farbenlehren, undpasst in keine Schublade. Die

UG ist „bunt“. Und bunt ist nicht gleichgrün, rot, hellrot, schwarz usw. usf.

1997: DIE UG GRÜNDET SICHALS ÖGB-FRAKTION1997 vereinigten sich schließlich al-

ternative, linke und parteiunabhängigeBetriebsrats-, Gewerkschafts- und Per-sonalvertretungsgruppierungen zurFraktion der UG – Unabhängigen Ge-werkschafterInnen im ÖGB. Die neue„Fraktionsordnung“ im ÖGB machtedas erst möglich. Bis zu diesem Zeit-punkt war die Gewerkschaftliche Ein-heit (GE) die „alternative“ Vertretungim ÖGB, allerdings nicht als Fraktion –die gabs offiziell nämlich gar nicht indem Sinne – sondern als ‚Arbeitsge-meinschaft Gewerkschaftliche Einheit’.AktivistInnen der KIV/UG und der Un-abhängigen GewerkschafterInnen imöffentlichen Dienst waren teilweiseMitglieder der damaligen GE.

Im Zuge der Einigung der Listen be-schränkte sich die GE (später AUGE/UG)auf die GPA und die Gewerkschaftender Privatwirtschaft, die Gewerkschaf-

ten der öffentlichen Dienste wurdenvon KIV/UG (Gemeinde) und UGöD(Bund und Länder) organisiert. Der Sitzim ÖGB-Bundesvorstand ging von derGE auf die neu gegründete UG über.Getragen wurde die UG von der GE(später umbenannt in AUGE/UG), vonder KIV/UG und der UGöD. Späterstießen die Grünen und UnabhängigenEisenbahnerInnen (heute UG vida) so-wie die Liste we4you/UG in der Tele-kom-Gewerkschaft dazu. Die Grün-dungsgruppierungen einigten sich aufeinen gemeinsamen inhaltlichen undpolitischen Plattformtext, der so etwaswie das „Gründungsprogramm“ der UGist und die politische Grundausrich-tung dokumentiert und der auch im-mer wieder überarbeitet worden ist.

UNABHÄNGIG HEISST NICHTKOOPERATIONSUNWILLIGTeil der UG ist, wer sich zur Platt-

form der UG bekennt. Die Zugehörig-keit zur UG bekunden kandidierendeListen durch das Kürzel „UG“ im An-hang an ihren Listennahmen oderdurch eine Deklarierung des Betriebs-rats-Mandats zur jeweiligen UG-Grup-pierung beziehungsweise Fraktion inder entsprechenden Einzelgewerk-schaft. Auch „Grüne“ Listen dürfen imVerband der UG kandidieren, ebensosie „Sozialdemokratische“ oder andere,wenn sie wollen.

Natürlich gibt es seitens der UGauch eine punktuelle Zusammenarbeitmit Parteien – wenn es für die Durch-setzung von Anliegen der von uns ver-tretenen unselbständig Beschäftigtenbeziehungsweise von Anliegen der Ar-beitnehmerInnen im Gesamten sinnvollund notwendig erscheint. Diese Formvon „Lobbying“ und politischer Stim-mungsmache für spezifische, bezie-hungsweise allgemeine Arbeitnehmer-Inneninteressen bei politischen Ent-scheidungsträgerInnen ist schließlichein wesentlicher Bestandteil gewerk-schaftlicher Arbeit, um entsprechendenInteressen in einer parlamentarischenDemokratie zum Durchbruch zu verhel-fen, beziehungsweise diese auch öf-fentlich zu einem Thema zu machen.

Dabei hat sich immer wieder heraus-gestellt, dass in etlichen Punkten eineZusammenarbeit noch am leichtesten

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Bitte umblättern

mit den Grünen geht, beziehungsweisedass vor allem Grün-PolitikerInnenoffensiv auf unabhängige Gewerk-schafterInnen hinsichtlich inhaltlicherPositionierungen zugehen. Das hat al-lerdings keinen Einfluss auf die grund-sätzliche Parteiunabhängigkeit derUnabhängigen GewerkschafterInnen.Eine punktuelle Zusammenarbeit hates auch immer wieder mit der FSG ge-geben, selbst mit Christgewerkschafter-Innen – wenn es etwa gegen dieschwarz-blaue Bundesregierung ging,oder mit einzelnen SPlerInnen inbildungs- und universitätspolitischenBelangen.

Es obliegt der jeweiligen Partei, obsie mit uns im Sinne der Arbeitnehmer-Innen Kooperationswillen zeigt, odernicht (Ausnahmen: FPÖ und BZÖ, mitdenen wir nicht kooperationswilligsind), nicht an uns. Eine regelmäßigeZusammenarbeit, Kooperation undinhaltliche Abstimmung gibt es auchmit Nicht-Regierungs-Organisation,soweit von diesen erwünscht.

UNVEREINBARKEITS-REGELUNGENEntsprechend dem Grundsatz der

„Parteiunabhängigkeit“ gibt es bei denUnabhängigen GewerkschafterInnenklare Unvereinbarkeitsregelungen: werein (partei)politisches Mandat in einergesetzgebenden Körperschaft wahr-nimmt (Landtag, Nationalrat), musssein Mandat in Gewerkschaft oder Ar-beiterkammer zurücklegen. Weil – unddas haben wir nur allzu oft erlebt, be-ziehungsweise erleben es nach wie vor– das parteipolitische Mandat nur all-zu oft über das gewerkschaftspoliti-schen Mandat obsiegt. Das macht un-seres Erachtens Interessensvertretungunglaubwürdig und schädigt auch dasAnsehen beziehungsweise den An-spruch von Gewerkschaften als über-parteiliche und unabhängige Interes-sensvertretungen der Beschäftigten.

Im Rahmen der ÖGB-Reformprozes-ses war die Trennung von gewerk-schaftlichem und parteipolitischemMandat eine unserer zentralen „Re-formansätze“, um die Glaubwürdigkeitder Gewerkschaften wieder zu stärken.Von den – damals auch noch seitensder FSG noch bekundeten guten Ab-sichten, künftig keine Gewerkschafts-vorsitzenden mehr für die SPÖ ins Par-

lament zu schicken, ist heute allerdingsnichts mehr übrig geblieben. Für dieFCG kam diese Trennung ohnehin niein Frage.

NICHT IMMER „GRÜN“ …Wie bereits oben beschrieben: die

UG ist gar nicht „grün“, wenn es umdie Frage irgendwelcher organisatori-schen oder parteipolitischen Verqui-ckungen geht, geschweige denn wennirgendeine „Mutterpartei“-„Tochterge-werkschaft“-Beziehung konstruiert wer-den soll. Wenn, dann wäre, die GrünePartei (auch) Tochter so mancher grün-engagierter GewerkschafterInnen. Eswürde auch an ein bislang nicht da ge-wesenes „biologisches“ Wunder gren-zen, wäre die vermeintliche „Tochter“älter als die noch vermeintlichere „Mut-ter“. Die UG hört auf keine Parteizen-trale und ist keiner Partei verpflichtet,sondern nur sich selbst und den von ihrzu vertretenden ArbeitnehmerInnen.

Die UG ist allerdings gleichzeitigsehr „grün“, wenn es um Fragen desUmwelt- und Klimaschutzes in Gesell-schaft und Arbeitswelt geht. Hier hatdie UG im ÖGB quasi ein Alleinstel-lungsmerkmal.

Durchaus ähnlich sind sich die UGund „Die Grünen“ in Fragen der Inte-grationspolitik, im Kampf gegenRechtsextremismus und AusländerIn-nenfeindlichkeit, oder im Einsatz fürdie vollkommene Gleichstellung vonFrauen in Gesellschaft und Arbeitswelt.Auch in verteilungs-, bildungs-, gesell-schafts- und sozialpolitischen Fragensind sich „Grüne“ und Unabhängigepolitisch nahestehend.

Eine entsprechende inhaltliche Näheergibt sich allerdings genauso zu „lin-ken“, kritischen SozialdemokratInnen,undogmatisch orientierten linken Men-schen und Gruppen, zu fortschrittlichgesinnten ChristInnen, oder zu gesell-schaftskritischen NGO aus dem Sozial-,Frauen-, Integrations-, Umwelt- oderglobalisierungskritischen Bereich.

In so manchen grundsätzlichen wirt-schafts- und arbeitnehmerInnenpoliti-schen Fragestellungen – von Ausglie-derungen, öffentlichen Diensten, Priva-tisierungen bis hin zu Wirtschaftsde-mokratie, Arbeitszeitverkürzung odergrundlegender Kapitalismuskritik –gibt es allerdings mitunter erheblicheinhaltliche Unterschiede und stehen

UGlerInnen und so manche Grüne –vor allem wenn diese in Regierungsver-antwortung sind – auf unterschiedli-chen Seiten. Einige Grüne tun sichauch nach wie vor mit dem Unabhän-gigkeitsanspruch der UG schwer, hät-ten lieber „ihre ganz eigene“ Gewerk-schaftsfraktion, als eine unabhängigeGewerkschaftsgruppierung, die als„nicht kontrollierbar“ und „nicht bere-chenbar“ auch so mancher braven grü-nen ParteisoldatIn unheimlich ist. Dashat auch schon – allerdings bislangnur in Niederösterreich – zu partei-grünen Kandidaturen gegen UG-Listenbei den PflichtschullehrerInnen und inder AK geführt – allerdings mit mäßi-gem und bescheidenem Erfolg. Wenn„Parteigrüne“ gegen die UG kandidie-ren, kann jedenfalls wohl auch nichtallen Ernstes weiter behauptet werden,die Unabhängigen GewerkschafterIn-nen seien „Die Grünen“.

Sich gegen Schubladisierungen und„Kastldenken“ zu wehren, ist nicht ein-fach und mitunter ein Kampf gegenWindmühlen, vor allem auch in einerschnelllebigen Medienwelt der kurzenund einfach gehaltenen Nachrichten.Dass wir es mit unseren vielen Namen,Kürzeln und Bezeichnungen den Me-dien und einer interessierten Öffent-lichkeit auch nicht immer ganz leichtmachen, wissen wir. Aber die Welt –und vor allem die Gewerkschaftswelt –ist halt nun einmal nicht einfach, son-dern vielfach kompliziert.

Wir sind, was wir sind, wir sind esgerne so und wir werdens auch blei-ben: Bunt und vielfältig, was sich haltauch in unseren Namensgebungen nie-derschlägt. Auch wenn diese Art der„Buntheit“ und „Vielfalt“ der gängigen,einfachen, österreichischen Farbenlehrewiderspricht: uns ist Widerspruch ansich nicht fremd. Wir widersprechenganz gerne gängigen und angeblichallgemein gültigen und daher ver-meintlich richtigen Klischees, Denk-und Handlungsweisen, widersprechenoftmals dem herrschenden ökonomi-schen, politischen und auch gewerk-schaftlichem Mainstream. Und daswird und soll auch so bleiben. DennWiderspruch ist gerade auch in Öster-reich ein Gebot der Stunde …

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urch den Einsatz von Moccasoll der Außendienst von Mit-

arbeiterInnen im „MobilenCase- und Caremanagement“

durch den Wegfall von Papierunterla-gen erleichtert werden, so die Argu-mentation des Dienstgebers.

Demgegenüber wirbt die Firma iLogsmit einer Kostenreduktion bei gleich-zeitiger Steigerung der Betreuungsqua-lität. Warum sich die Qualität der Be-treuung durch den Einsatz von techni-scher Dokumentation verbessern soll,ist vordergründig nicht einsichtig.

Laut Dienstgeberseite sollen diemobilen Einsatzgeräte nicht zur Verhal-tenskontrolle oder zur Steigerung desArbeits- und Leistungsdrucks der Ar-beitnehmerInnen verwendet werden.Demgegenüber wirbt die Firma iLogsmit einer „nahtlosen Kontrolle vonÜberstunden und Wegzeiten“.

In einem Artikel „Mobile GPS-Leis-tungserfassung iLogs: mehr Effizienzim Dienstleistungsbereich“ werden diedrei Standbeine des Unternehmensbeschrieben: „Die iLogs- Betriebsdaten-erfassung setzt sich aus drei Teilberei-chen zusammen. Zum einen enthältdas iLogs-Paket mobile Zeit- und Leis-tungserfassung mit Hilfe des Handys.Damit lassen sich nicht nur die genau-en Dienstzeiten der Mitarbeiter überdas Handy zentral erfassen und die Artder durchgeführten Tätigkeiten sowiedie eingesetzten Betriebsmittel proto-kollieren. Auch die Zurechnung auf ein-zelne Kostenstellen ist möglich. Beimzweiten Teilbereich handelt es sich umdie Ortung von Fahrzeugen mit Hilfeder GPS-Box.

Die Ortung liefert einen Echtzeit-Überblick über den aktuellen Aufent-halt der Dienstautos und lässt sich indigitales Kartenmaterial integrieren. Solassen sich Stehzeiten und Leerfahrtenreduzieren und die Effizienz der Fahr-zeugführung steigern....“

Die Firma iLogs ist ein Kärntner Un-ternehmen, das im Jahr 2000 gegrün-det wurde. iLogs Mobile bietet denKunden mobile Lösungen im Unterneh-mensbereich an, die die Optimierungvon Geschäftsprozessen ermöglichen.

Der Partner, der iLogs die entsprechen-de Infrastruktur zur Verfügung stellt, istT-Mobile. iLogs und T-Mobile entwi-ckeln gemeinsam Lösungen und bewer-ben auch gemeinsam Kunden.

Kunden sind die •Wiener Sozialdienste Alten-

und Pflegedienste GmbH, •Soziale Dienste Adventmission, •Wiener Hauskrankenpflege, •Sozial Global AG, •Wiener Rotes Kreuz, •Wiener Rettung etc.

In allen Artikeln von oder über dieFirma iLogs wird von Datenschutz niegesprochen, maximal gibt es Hinweisezur „Sicherheit in der Datenübertra-gung“. Auch an rechtlichen Fragestel-lungen hinsichtlich einer MitarbeiterIn-nenüberwachung scheint das Unter-nehmen nicht wirklich interessiert.

Viele MitarbeiterInnen im Bereichder mobilen Pflege haben großes Miss-trauen gegenüber dem Einsatz derneuen Technik. Die häufigste Befürch-tung betrifft dabei den Verlust derPrivatsphäre, die Angst „ein gläsernerMensch“ zu sein.

In der Tat sind die Jubelmeldungenvon oder über die Firma iLogs nichtdazu angetan, diese Ängste aus demWeg zu räumen. Im Gegenteil: Es wirddie Aufgabe des Betriebsrates sein,rechtlich Zulässiges und Unzulässiges

zu eruieren, das detailliert in einer Be-triebsvereinbarung festzuhalten undauf deren Einhaltung zu bestehen.

Prinzipiell gilt, dass eine laufendeÜberwachung, bei der Arbeitendenicht erkennen können, dass sie über-haupt überwacht werden, unzulässigist, weil hierbei die Persönlichkeitsrech-te der Betroffenen verletzt werden.Dazu gibt es ein Urteil des OberstenGerichtshofes aus dem Jahr 2006, indem festgehalten wird: „Jeder Menschhat auch während der Zeit, in der erzur Arbeitsleistung in einem Arbeitsver-hältnis verpflichtet ist, unter anderemdas Recht auf Unversehrtheit der In-timsphäre, auf Freiheit von unbefugterAbbildung und auf Achtung seinesWertes als menschliches Wesen. DerSchutz der Persönlichkeit impliziertauch Schutz der Individualität, d.h. derpersönlichen Entwicklung, Selbstdar-stellung und Bewahrung der Eigen-ständigkeit“ (20. Dezember 2006).

Arbeitende Menschen verbringeneinen großen Teil ihres Lebens amArbeitsplatz. Sie bedürfen, wie dasauch der europäische Gerichtshof fürMenschenrechte festgehalten hat,auch hier eines gewissen Schutzes ihrerprivaten Sphäre und eines Schutzes vorübermäßiger Kontrolle. Möglichkeitenund Grenzen der Kontrolle am Arbeits-platz sind für unsere Gesellschaft vonzentraler Bedeutung.

Zu viel Kontrolle kann die Arbeitskul-tur und damit das Sozialverhaltennachteilig beeinflussen, und damit inweiterer Folge die vordergründig ange-strebte Effizienz beeinträchtigen. EinKlima, das von Angst und Misstrauengeprägt ist, schadet letztendlich allen.Kontrolle bei der Arbeit ist nur notwen-dig, um die Erfüllung und Durchfüh-rung der Verträge zu unterstützen, sieist aber kein Selbstzweck.

Heute sind dank der EDV die Kon-trollkosten in vielen Bereichen deutlichgesunken und die technischen Mög-lichkeiten zur Kontrolle stark gestiegen.Die rechtlichen Grenzen der Kontrolleüber die Menschen sind eindeutig fest-zulegen. Und das ist entsprechenddringend geworden.

MOCCA

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Mobile Datenerfassung in

der mobilen Hauskranken-

pflege: Nicht alles, was

technisch möglich ist, ist

rechtlich erlaubt.

Nicht nur im Verkauf und Service-Wesen, auch im Wiener Sozialwesen sind sie im Kommen. Ein Artikel

aus dem Fonds Soziales Wien.

CALLCENTER

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ie Idee für diesen Artikel, das gebenwir jetzt offen zu, ist uns eigentlich erstbeim Lesen des Interviews von Bürger-meister Häupl im „Falter“ gekommen,und in diesem Fall unterstützen wir ihnwirklich gerne:

Originalzitat, auf die Frage „Kannnicht gerade diese Aufsteigermentalitätdie Proletarisierten abstoßen und denDemotivierungseffekt hervorrufen, denSie geschildert haben?

Häupl: Das glaube ich nicht. Denndas wesentliche Kriterium bei den Leu-ten ist das Gefühl: Kümmert man sichum mich? Nimmt man sich meiner an?Es ist zum Beispiel verhängnisvoll, dassman das persönliche Gespräch imGemeindebau durch ein Callcenterersetzt hat. Leute wollen Leute. Undkein Callcenter. Und genau dasmachen wir jetzt“*).

IN DER PRAXIS hat dies für den Klienten natürlich

weitreichende Folgen: Brav meldet sichweiterhin z.B. das „BeratungszentrumPflege und Betreuung des FSW“ unddie KlientInnen glauben auch, damitam Ziel angelangt zu sein.

Damit beginnt schon die erste Ent-täuschung – in Erwartung einer quali-fizierten Fachauskunft erhält man ei-nen Standardtext vom PC vorgelesen,hat die KlientIn Glück, passt die Ant-wort sogar „irgendwie“ zur Frage!

Und hier beginnt auch schon dasNachweisliche an der großen KundIn-nenzufriedenheit, denn ab diesem Zeit-punkt produziert das Callcenter einewunderschöne Statistik: Eine erfolgrei-che Beratung durchgeführt, ein Mailüber den Kontakt ans tatsächliche Be-ratungszentrum geschrieben, mit derBitte, die Klientin zu kontaktieren …

JUMBOSTATISTIKRuft die KlientIn dreimal wegen ein

und der selben Frage an, z.B. weil siebereits sehr verwirrt ist: Juhu drei Bera-tungen in der Jumbostatistik, auchwenn die KlientIn nie ans Ziel kommt,da ihr Problem gar nicht erkannt wer-den kann!

Ganz vergessen, es geht um KundIn-nenzufriedenheit, nachweislich – keinProblem mit der neuen Jumbosupersta-tistik, die die Callcenter-Anlage aus-wirft. Sonderbar, wenn die KlientIndann, ein paar Stunden später, auf-grund eines E-Mails aus dem Callcen-ter, tatsächlich von einer kompetentenMitarbeiterIn rückgerufen wird, ist siezumeinst schon sehr laut und böse:„Was soll das, warum rufe ich an undbekomme keine ordentliche Auskunft,muss dann stundenlang warten, um zuerfahren, dass ich von ihnen zum Bei-spiel keine Heizbeihilfe bekomme …

CALLCENTER ALSBERATUNGSZENTRUMAm Anfang waren wir sehr verwun-

dert, wir wussten ja nicht, dass dieKlientIn bereits bei uns angerufen hatund sich das Callcenter als Beratungs-zentrum ausgibt!

Natürlich ist vereinbart, dass die Mit-arbeiterInnen des Callcenters geschultwerden. Und natürlich braucht mannicht zu betonen, dass ein Callcentersehr effizient ist. Immerhin schaffen siedort nachweislich tausende Beratun-gen in kürzester Zeit – allerdings sinddie wenigsten, die davon betroffensind, damit auch zufrieden.

Die KlientInnen fühlen sich gefrot-zelt und die MitarbeiterInnen sind denganzen Tag damit beschäftigt, den be-

rechtigten Unmut der KlientInnen zubesänftigen – eine nicht gerade ange-nehme Tätigkeit.

FÜNFTES ZIELEs ist ein sehr guter Schritt, wenn der

FSW seine vier Ziele für das Jahr 2010in der MitarbeiterInnenzeitung be-kannt gibt …

Aber es wäre für uns auch sehr be-grüßenswert gewesen, wenn ein fünf-tes Ziel: „Nachweisliche Steigerung derMitarbeiterInnenzufriedenheit“ nochdabei stünde – alle anderen Ziele wä-ren mit diesem Ziel doch um einigeseinfacher zu bewältigen.

Bereits mit dem Punkt „Nachweis-liche Verbesserung der KundInnen-orientierung und KundInnenzufrieden-heit“ und der damit verbundenen „Ein-führung einer kurzen, prägnanten Ruf-nummer“ (als wenn 4000 in Wiennicht eine prägnante kurze Rufnummerwäre?) beginnt der erste Teil, bei demdie meisten MitarbeiterInnen im Kun-denservice skeptisch werden.

VCCGemeint ist damit die Einführung ei-

nes Callcenters (völlig überraschendVCC, also jenes Callcenters, das auchWiener Wohnen und zum Beispiel dieMA 40 beschäftigt). Das soll in Zu-kunft die Erreichbarkeit des FSW stei-gern – übersetzt formuliert: Will je-mand, egal ob KlientInnen, interneMitarbeiterInnen, etc. etwas vom FSW,haben sie zuerst einmal mit dem Call-center zu telefonieren!

Die Argumentationslinie ist sehr ein-fach: Die MitarbeiterInnen sind nichtin der Lage, alle Gespräche entgegenzu nehmen und rufen sehr oft auch

nicht zurück. Nachweisen kann mandas immer, denn ein paar Zahlen sindsehr schnell in eine Exelliste eingetra-gen, so macht es das Callcenter jaauch. Allerdings wird, wie oft üblich,dem Betreiber und der Argumentationdes Callcenters wesentlich mehr Glau-ben geschenkt.

Vor allem ihrer einmaligen Statistik,die in unserem Fall möglicherweise biszu zwei Millionen Euro teuer sein könn-te (= Kosten für VCC, derzeitige Kostenfür die Rathausvermittlung: 0 Euro).

KOSTENFÜHRERSCHAFTDie üblich Argumentation des Call-

centers ist eine lückenlose Erreichbar-keit und nicht, dass in Zukunft nurmehr Menschen abheben, die vomSozialwesen keine Ahnung haben undnur einen vorgefertigten Text vomComputer herunterlesen.

Auch ein weiteres Ziel kann man mitdieser Methode einfachst erreichen: dieKostenführerschaft!

UNSUMME VON NULL EUROKostet die derzeitge Vermittlung

übers Rathaus mit der schwierigen undlangen Telefonnummer, die in Wienfaktisch niemand kennt – „4000“ –den FSW die Unsumme von null Euro =nichts wert, weil gratis. So darf diesesneue und bei jedermann und jederfraubeliebte „Instrument“ Callcenterimmerhin über eine Million Euroverschlingen.

Effizient ist dabei sicher, dass mitdieser Hürde in Zukunft viele KlientIn-nen aufgeben werden, eine sozialeLeistung des FSW in Anspruch zu neh-men, insbesonders ältere, verwirrte undpflegebedürftige Menschen scheitern

üblicherweise an allgemeinen Auskünf-ten, die zu keiner Leistung führen (undan denen das Callcenter am bestenverdient …)

ZWEI FLIEGENUnd somit sind zwei Fliegen auf ei-

nen Streich getroffen: Alte, abgewimmelte KundInnen be-

schweren sich nicht sehr häufig undnehmen sparsamer Weise dann auchkeine sozialen Leistungen in Anspruch,weil es gar nicht mehr so weit kommt!

Übertrieben könnte man ja behaup-ten, sie seien in Höflichkeit verstorben!

*) falter.at/web/print/detail.php?id=1122

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eil die GÖD-Resolution ohneklaren Bezug auf die für

19. Mai 2010 geplante Be-schlussfassung des Bundesfinanz-

rahmengesetzes im Nationalrat geblie-ben ist, keinen Konjunktur- und Be-schäftigungsvorbehalt einfordert,sowie sich nicht klar und deutlichgegen Einsparungen im öffentlichenDienst ausspricht, haben die Unabhän-gigen GewerkschafterInnen die GöD-Resolution abgelehnt und einenGegenantrag eingebracht.

„Ohne deutliche Unterstützung derbudgetpolitischen Forderungen vonÖGB und AK, ohne ein klares Nein zurAbwälzung der Krisenlasten auf Arbeit-nehmerInnen und Beschäftigte der öf-fentlichen Dienste, werden sich Finanz-minister und ÖVP-Regierungsmitgliederunbeeindruckt zeigen,“ fordern Rein-hart Sellner und Beate Neunteufel-Zechner, Vorsitzende der UGöD einesolidarische und offensive Haltung ih-rer Gewerkschaft gegenüber Regierungund Gesetzgeber.

Der Wortlaut des im Rahmen derGÖD-Bundeskonferenz von der FCG-Mehrheit am 12. Mai 2010 abgelehn-ten Gegenantrags der UGöD:

Für ein Konjunkturpaket Bildung,Soziales und öffentliche Dienste DieBundeskonferenz der GÖD lehnt eineBeschlussfassung des Finanzrahmen-gesetzes in der vom Ministerrat be-schlossenen Form durch den National-rat am 19. Mai 2010 ab und fordert vonRegierung und Parlament im Sinn dervon ÖGB und AK am 8. April 2010formulierten Resolution zukunftsorien-tierte und auf die Konjunkturentwick-lung abgestimmte Maßnahmen zurSicherung und zum Ausbau des Sozial-und Bildungswesens, sowie der im Inter-esse der Allgemeinheit tätigen öffent-lichen Dienste, insbesondere auch derFinanzverwaltung (Steuerprüfung,Steuerfahndung, Verringerung vonSteuerschulden):•Rücknahme des vorliegenden Regie-rungsentwurfes für ein Finanzrahmen-gesetz. Aufnahme von Verhandlungenmit ÖGB, AK und GÖD

•Konjunkturpaket Bildung, Sozialesund öffentliche Dienste, notwendigeArbeitsplätze und Sicherung der Kauf-kraft auch im öffentlichen Dienst•Bildungs- Gesundheits- und Verwal-tungsreformen im Interesse der inÖsterreich lebenden Menschen und inZusammenarbeit mit Gewerkschaftund Personalvertretungen•Finanzierung und Budgetsanierungdurch Vermögens-, Spekulations-, undTransaktionssteuern – keinen Massen-steuern, keine weiteren Verkäufe bezie-hungsweise Ausgliederungen von öf-fentlichem Eigentum und öffentlichenDienstleistungen•Unterstützung der Initiativen vonÖGB und EBG und verstärkte Zusam-menarbeit mit den europäischen undinternationalen Gewerkschaften deröffentlich Bediensteten – SolidarischeUnterstützung der KollegInnen in Grie-chenland in ihrem Kampf für die Siche-rung von Arbeitsplätzen und Einkom-men im öffentlichen Dienst.

Die GÖD unterstützt die von NGOsund Gewerkschaften getragene Initiati-ve „Wege aus der Krise“.

Bis zur Beschlussfassung des Finanz-rahmengesetzes bleiben nur mehr we-nige Tage. Ob ein Konjunktur- und Be-schäftigungsvorbehalt in den Geset-zestext aufgenommen wird, liegt beiden Abgeordneten im Parlament, un-ter ihnen nicht wenige Gewerkschaf-terInnen, PersonalvertreterInnen undBetriebsrätInnen.

Beate Neunteufel-Zechner und ReinhartSellner sind Vorsitzende der UnabhängigenGewerkschafterInnen in der GÖD.

GÖD-Bundeskonferenz:

ABGELEHNTUGöD lehnt die defensive

GÖD-Resolution ab und

fordert konkrete gewerk-

schaftliche Aktivitäten

gegen das Bundesfinanz-

rahmengesetz.

W

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Offener Brief anBundeskanzler Werner Faymann, Innenministerin Maria Fekter, Aussenminister Michael Spindelegger

Wien, 5. Mai 2010

Meine Großeltern konnten im Dezember1939 gerade noch aus Nazi-Österreichnach Belgien entkommen. Willkommenwaren sie dort nicht. Man forderte sieimmer wieder auf, das Land zu verlassenund drohte ihnen mit Abschiebung – nachNazi-Deutschland. Am Ende haben dieNazis sie in Belgien eingeholt – undermordet.

Ich verdanke mein Leben der Tatsache,dass England meine Eltern nicht abge-schoben hat – und nicht von den Naziseingenommen wurde.

Ich nehme mir aber nicht nur deshalbdas Recht heraus an Sie, die Sie diesesLand regieren, einige Fragen zu stellen. AlsÖsterreicherin und Mensch mit Gewissenfrage ich Sie:1. Wissen Sie nicht, dass die große Mehr-heit jener, die heute in Österreich Zufluchtsuchen, das tut, weil sie an Leib und Lebenbedroht ist? 2. Wissen Sie nicht, was auf die Menschen,die jetzt Tag für Tag wie Kriminelle außerLandes gebracht werden, zukommt?Welches Schicksal die meisten dort erwar-tet, wohin sie von Österreich aus verfrach-tet werden? 3. Wissen Sie nicht, wie viele jener, diejetzt plötzlich unbedingt abgeschobenwerden müssen, seit Jahren hier leben undnur eben das wollen: in Ruhe und Sicher-heit hier leben?4. Glauben Sie nicht, dass schnelle undfaire Asylverfahren die Lage wesentlichbesser entspannen würden als willkürlicheAbschiebungen?5. Glauben Sie nicht, dass wirkliche Exper-ten – also Menschen, die die Situation tat-sächlich gut kennen – die Lage in den je-weiligen Ländern, aus denen die Flüchtlin-ge kommen, beurteilen sollten und nichtdesinteressierte überforderte Beamte?6. Glauben Sie nicht, dass eine Arbeits-erlaubnis den Menschen nicht nur einePerspektive geben würde sondern auchverhindert, was sie Sozialschmarotzertumnennen?7. Glauben Sie nicht, dass zutiefst trauma-tisierte Menschen von ausgebildetenPsychologen und nicht von überfordertenPolizisten einvernommen werden sollten? 8. Glauben Sie nicht, dass gerade Öster-reich eine besondere Verpflichtung hat,Menschen in Not zu helfen?

HochachtungsvollDr. Susanne Scholl

Zweiter Teil über Entwicklungen am österreichischen Arbeitsmarkt in den letzten Jahrzehnte. Von Fritz Schiller.

MARKANTEVERÄNDERUNGEN

ÜBERSTUNDENDie Überstunden von unselbständig Erwerbstätigen wer-

den in Österreich von der Statistik Austria erst seit 2004im Zuge der Arbeitskräfteerhebung (AKE) ermittelt. Etwa22 Prozent der unselbständig Beschäftigten leisten dem-nach Überstunden. Die Anzahl schwankt von Jahr zu Jahrzwischen 650.000 und 821.000 Personen.

Es ist offensichtlich, dass Überstunden als reagiblesUnternehmensinstrument eingesetzt werden, um konjunk-turelle Schwankungen auszugleichen. Die gesamte Anzahlgeleisteter Überstunden schwankt zwischen 315 und 375Millionen Arbeitsstunden (siehe Abbildung 7). Von 2004auf 2005 z.B. erhöhten sich die geleisteten Überstundenum über 14 Prozent, von 2007 auf 2008 hingegen verrin-gerten sie sich um mehr als 5 Prozent.

Zweifelhaft bleibt, ob es im Vergleichszeitraum (2004bis 2008) immer dieselben Personen waren, die Überstun-den leisteten. Aus den Daten geht das nicht hervor. DieÜberstundenleistenden arbeiten im Schnitt zwischen 8,5und 9,3 Wochenstunden mehr als sie die gesetzlichenoder kollektivvertraglichen Regelungen verlangen. Legtman die geleisteten Überstunden auf alle unselbständigErwerbstätigen um, so arbeitet jede ArbeitnehmerIn zwi-schen 1,9 und 2,1 Stunden pro Woche mehr.

Quelle: Statistik Austria

ARBEITSLOSESeit Anfang der 1980er Jahre ist die Zahl der vorge-

merkten Arbeitslosen in Österreich dramatisch angestie-gen. 1980 waren 53.161 Personen arbeitslos gemeldet,2009 wurde mit 260.309 Personen der absolute Höchst-stand seit Ende des 2. Weltkrieges vermeldet.

Seit 1980 ist ein stetiger Anstieg der Arbeitslosen inÖsterreich zu beobachten. Die Entwicklung gestaltete sichnicht geradlinig, sondern verlief in fünf wellenförmigenBewegungen. Die Ursache dafür waren ein sich verändern-des Wirtschaftswachstum, wobei eindeutig feststellbar ist,dass in Zeiten höheren Wachstums sich die Arbeitslosen-zahl reduzierte und bei niedrigen beziehungsweise negati-ven Wachstumsraten sie sich erhöhte.

Den höchsten Anstieg im betrachteten Zeitraum von1980 bis 2009 war am Beginn in den Jahren 1980 bis1983 festzustellen. Bedingt durch die damalige Rezessionverdoppelten sich in dieser Periode die Arbeitslosenzahlen.Die Anzahl der Arbeitlosen stiegen bis zum Höhepunkt1987 bis auf 164.000 Personen an, dass heisst sie verdrei-fachten sich, danach fiel sie bis 1989 auf 149.000 Perso-nen zurück. Die zweite Welle erreichte 1993 mit 222.000Personen ihren Höhepunkt. Im Jahr darauf reduzierte sichdie Zahl der Arbeitlosen jedoch nur um 7000 auf 215.000um dann 1998 den dritten Höhepunkt mit 238.000 Ar-beitslosen zu erreichen.

In den Jahren 1998 bis 2000 wuchs die Wirtschaft imDurchschnitt um 3,5 Prozent, gleichzeitig sank die Zahlder Arbeitslosen auf 194.000 ab. Der vierte Arbeitslosen-höchststand wurde 2005 mit über 252.000 Arbeitlosenregistriert. In den folgenden Jahren reduzierte sich dieAnzahl der Arbeitlosen kontinuierlich auf 212.000, umschließlich 2009 im Zuge der weltweiten Finanzmarktkriseauf über 260.000 Personen anzusteigen (vergleiche Abbil-dung 8 auf der nächsten Seite).

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Quelle: AMS, BMASK (Bali)

Seit vielen Jahren werden arbeitslos gemeldete Personenzur Absolvierung von Schulungen verpflichtet. Das hat denfür die Statistik „erfreulichen“ Effekt, dass sie nicht mehr alsArbeitlose gezählt werden. 1998 waren 20.930 Personen inSchulung oder 8,8 Prozent der gemeldeten Arbeitslosen.2009 waren bereits 64.063 Personen in Schulung, was ei-nem Anteil von 24,6 Prozent an den Arbeitslosen entsprach.Innerhalb von zwölf Jahren hat sich somit die Anzahl derSchulungsteilnehmerInnen verdreifacht.

Werden die Arbeitslosen mit den Personen in Schulungaddiert, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. Für 1998 erhö-hen sich dann die „wahren“ Arbeitslosen auf 259.000 Per-sonen (plus 20.930). 2005 steigt diese Zahl erstmals über300.000 Arbeitslose und schließlich wird 2009 der Höchst-stand mit 324.372 arbeitslosen Personen im Jahresdurch-schnitt erreicht.

Quelle: BMASK (Bali)

Im Durchschnitt waren 2009 die betroffenen Personen98 Tage arbeitslos. 63,1 Prozent der arbeitslos Gemeldetenwaren kürzer als 3 Monate arbeitslos, 23,2 Prozent zwischendrei und sechs Monate, 11,2 Prozent zwischen sechs undzwölf Monaten und 2,6 Prozent über zwölf Monate arbeits-los. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen (länger als zwölf Mo-nate) ist deutlich gesunken. 1998 machte er noch knapp 16Prozent aus. Laut AMS waren 2009 15,6 Prozent der Arbeits-losen bis 24 Jahre alt, 63 Prozent zwischen 25 und 49 Jah-ren und der Anteil der über 50 Jährigen betrug 21,4 Prozent.Im Jahre 2009 waren 59 Prozent der Arbeitslosen Männer,

41 Prozent waren Frauen. Männer waren damit verstärktdurch Arbeitslosigkeit betroffen als ihrem Anteil an den un-selbständig Beschäftigten von 52,9 Prozent entspricht.

81,2 Prozent der arbeitslos Gemeldeten waren österreichi-sche StaatsbürgerInnen, 18,8 Prozent waren AusländerIn-nen. 2009 wurden vergleichweise mehr AusländerInnenarbeitslos als ihr Anteil von 12,8 Prozent an den unselbstän-dig Beschäftigten ausmacht. Von den Statistiken werdenaber nicht alle arbeitslosen Menschen erfasst oder berück-sichtigt. Arbeitslose im Krankenstand, solche mit Bezugs-sperre, Schulabgänger, Hausfrauen etc. würden die Anzahlder Arbeitslosen weiter erhöhen. Diese Gruppen sind eini-germaßen gut statistisch erfassbar, sie werden aber in denArbeitslosenstatistiken nicht mitgezählt.

Nicht exakt erfassbar ist hingegen die sogenannte „StilleReserve“, das sind entmutigte Arbeitslose, die es aufgege-ben haben, sich am offiziellen Arbeitsmarkt zu melden, be-ziehungsweise überhaupt zu arbeiten. Der Presse-JournalistJosef Urschitz hat jüngst*) die Arbeitlosenzahlen vom März2010 kommentiert und gemeint, dass es über den Daumengepeilt wohl 550.000 bis 600.000 echte Arbeitslose gäbe.

ARBEITSLOSENRATESeit 1995 wird die Arbeitslosenrate für Österreich auch

nach dem sogenannten Labour Force-Konzept berechnet.Als arbeitslos gelten in diesem Sinne Personen, die inner-halb der nächsten zwei Wochen eine Arbeit aufnehmen kön-nen, und während der vier vorhergehenden Wochen aktiveine Arbeit gesucht haben, oder bereits eine Stelle gefundenhaben und diese in maximal drei Monaten antreten (vgl.Statistik Austria: Arbeitsmarktstatistik 3. Quartal 2009,Wien, S. 89). Die Arbeitslosenquote ist danach der Anteilder Arbeitslosen bezogen auf die Anzahl der Erwerbsperso-nen. Diese Quote wird auch von Eurostat für alle anderenEU-Mitgliedsländer veröffentlicht; die nationalen Arbeits-losenquoten sind somit vergleichbar. Die Arbeitslosenerhe-bung stützt sich auf Umfragen.

Quelle: BMASK, Bali-Datenbank; Eurostat: Daten für Rümanien,Vereinigtes Königreich, Italien und Griechenland

In Abbildung 10 werden die Arbeitslosenraten für die ein-zelnen EU-Mitgliedsstaaten sowie für die EU 27 für 2009dargestellt. Diese Abbildung orientiert sich an der, wie siedas Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumen-tenschutz monatlich auf seiner Homepage veröffentlicht. Im

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europäischen Vergleich schaut der Wert für Österreich sehrbefriedigend aus. Nach den Niederlanden mit einer Ratevon 3,5 Prozent im Jahresdurchschnitt weist Österreich denzweitniedrigsten Wert für 2009 in der EU auf. Dieser Ver-gleich wird von den heimischen PolitikerInnen immer wiederals Beweis für ihre gute Arbeitsmarktpolitik herangezogen.

Die Arbeitslosenrate nach Labour Force ist aber nur einTeil der Wahrheit. In Österreich wird seit den Ende des Zwei-ten Weltkrieges eine zweite Arbeitslosenrate berechnet: diesogenannte „Registerquote“. Dabei werden alle beim Ar-beitsmarktservice arbeitslos gemeldeten Personen als Anteilam sogenannten Arbeitskräftepotential (arbeitslos Gemel-dete und unselbständig Erwerbstätige) berechnet. Addiertman zu den arbeitslos gemeldeten noch diejenigen Perso-nen, die in Schulung sind und setzt sie als Anteil zum Ar-beitskräftepotential, so erhält man eine Quote, die ich als(inoffizielle) „Registerquote plus“ bezeichne.

In der unten stehenden Abbildung 11 werden die dreibeschriebenen Arbeitslosenraten dargestellt. Die Daten fürdie Registerquote sind seit 1990, die, für diejenigen nachLabour Force seit 1995 und die für die Registerquote plusseit 1998 verfügbar.

Sehr deutlich ist der steile Anstieg der Registerquote inden 1980er Jahren auf über 5 Prozent zu erkennen, Nacheinem Rückgang Anfang der 1990er Jahre stieg sie wiederan und bewegt sich in einem Bereich zwischen 6 und 7 Pro-zent. Der Durchschnitt der Registerquote seit 1990 liegt bei6,6 Prozent. Die österreichische Wirtschaftspolitik hat es niemehr geschafft, die Arbeitslosen deutlich zu reduzieren undauf das Niveau von 1980 zu führen.

Die Arbeitslosenrate nach Labour Force liegt im Durch-schnitt im Vergleichszeitraum um über 2 Prozentpunkte un-ter der Registerquote. Gegenüber der Registerquote plusliegt sie im möglichen Vergleichszeitraum um 3,5 Prozent-punkte darunter. Die Registerquote plus lag 1998 bei 7,8Prozent, entwickelte sich einigermaßen parallel zu den bei-den anderen Raten um schließlich 2009 einen Wert von8,9 Prozent zu erreichen. Sie liegt 2009 um 3,9 Prozent-punkte oder um knapp 80 Prozent über der Arbeitslosenratenach Labour Force. In dem Zeitraum, in dem alle drei Ar-beitslosenraten verfügbar sind, verlaufen sie einigermaßenparallel jedoch auf unterschiedlichen Niveaus.

Quelle: BMASK (Bali)

Aber auch die selbstkonstruierte Registerquote plus bildetnicht die tatsächliche Arbeitslosigkeit ab. Die Gründe dafürwurden schon im Teil „Arbeitslose“ hinreichend dargestellt.

RESÜMEEZusammenfassend kann festgestellt werden, dass es auf

dem österreichischen Arbeitsmarkt in den letzten zehn bisfünfzehn Jahren zu teilweise massiven Veränderungengekommen ist. Die Anzahl der unselbständig Erwerbstätigenist im Vergleich zu 1998 um rund 10 Prozent angewachsen.Verantwortlich dafür sind der steigende Frauenanteil unddie immer größer werdende Zahl ausländischer Arbeitneh-merInnen. Verglichen mit vor fünfzehn Jahren hat sich dieAnzahl der Vollzeitarbeitsplätze geringfügig reduziert, dieder Teilzeitarbeitsplätze hingegen verdoppelt. Dieser An-stieg ist hauptsächlich auf den steigenden Anteil von Frau-en zurückzuführen.

Die durchschnittlichen kollektivvertraglichen wöchentli-chen Arbeitsstunden liegen in Österreich bei 38,8 Stunden,im Vergleich zu den EU-Mitgliedsstaaten liegt Österreichdamit leicht unter dem Durchschnitt. Bei den durchschnitt-lich normalerweise geleisteten Wochenarbeitsstunden hin-gegen weist Österreich mit 42,1 Stunden nach Großbritan-nien einen „Spitzenplatz“ auf.

Letztes Jahr wurde mit über 260.000 die höchste Anzahlvon Arbeitslosen seit dem 2. Weltkrieg registriert. Seit 1980hat sich die Zahl der Arbeitslosen verfünffacht. Teilnehmer-Innen an Schulungen fallen aus der Arbeitslosenstatistikheraus. Werden sie zu den offiziellen Arbeitslosen addiert,ergeben sich insgesamt 324.000 arbeitlose Menschen(2009). Andere Schätzungen gehen von wesentlich höherenZahlen aus. Ähnlich wie die Arbeitslosenzahlen stiegen auchdie Arbeitslosenraten auf 5 Prozent (Labour Force) bezie-hungsweise 7,2 Prozent. Im europäischen Vergleich, so weistSozialminister Hundstorfer immer hin, steigt Österreich gutaus. Es wies 2009 nach den Niederlanden die zweitniedrigs-te Arbeitslosenrate aus.

Dennoch, 324.000 arbeitlose Menschen entsprechen 8,9Prozent des Arbeitskräftepotentials. Friktionelle Arbeitslosig-keit, die beim Übergang von einer Arbeitsstelle auf die an-dere entsteht, ist das wohl nicht zu nennen, der Begriff der„industriellen Reservearmee“ drängt sich eher auf.

Es muss zu einer Kehrtwende in der Arbeitsmarktpolitikkommen. Es ist absolut inakzeptabel, dass die Arbeitslosen-zahlen weiter auf diesem hohen Niveau verharren. Die Ar-beitslosigkeit muss deutlich gesenkt werden. Eine radikaleArbeitszeitverkürzung ist das Gebot der Stunde, aus beschäf-tigungs-, aus verteilungspolitischen und aus sozialpoliti-schen Gründen.

*) Die Presse, 2. April 2010

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Ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnliches Buch:

Die Verfasserin, Mutter von fünf Kindern, hat es trotz systematischer Einschüchte-rung, bis hin zum Psychoterror, geschafft, in ihrer LIDL-Filiale eine Beschäftigten-Vertretung zu initiieren. Dadurch wurde sie eine von weniger als zehn Betriebs-rätinnen in den über 3000 LIDL-Filialen in Deutschland.

Durch den in diesem Konzern alltäglichen, ungeheuren Arbeitsdruck, die unbe-zahlten Überstunden, die Willkür von Vorgesetzten und die Bespitzelung, sah sie sichin der Folge „genötigt“, diese Zustände öffentlich zu machen. Dabei stand ihr dieGewerkschaft ver.di, die bereits 2002 im Rahmen einer Kampagne gegen denDiscounter ein „Schwarzbuch LIDL“ veröffentlicht hat, mit Rat und Tat zur Seite. EinProdukt dieser Kooperation ist das vorliegende Buch, welches die engagierteVerfasserin bereits in einigen Talk-Shows präsentiert konnte.

Diese gebündelte Öffentlichkeitsarbeit über den LIDL-Konzern konnte schon ei-nige spektakuläre Erfolge erzielen. Zum Beispiel reichte die VerbraucherzentraleHamburg mit Unterstützung der Clean-Clothes-Initiative und des EuropäischenZentrums für Verfassungs- und Menschenrechte beim Landgericht Heilbronn Kla-ge wegen unlauteren Wettbewerb ein. Die Klagesteller forderten LIDL auf, dieÖffentlichkeit nicht mehr mit „social washing“ über die unmenschlichen Arbeits-bedingungen bei ihren Zulieferern zu täuschen. Und sie erhoffen sich einen Präze-denzfall, der in Zukunft rechtliche Schritte gegen die Verletzung von Arbeitsrech-ten im Ausland ermöglicht.

Alle bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch auch, dass das Management desinternational aktiven Konzerns nur immer gerade so viel zugibt, wie ohnehin schonbekannt ist, und gerade so viel Besserung gelobt, wie unabdingbar ist, um denImageschaden zu begrenzen. Deshalb bleibt das Buch der mutigen Discounter-An-gestellten Pflichtlektüre für alle, die weiterhin in ihrem persönlichen Umfeld Infor-mationen darüber verbreiten wollen, auf welche Weise sich „LIDL“ wirklich „LOHNT“.

Fritz Keller

Lesbar

Ulrike Schramm-de RobertisIhr kriegt mich nicht klein!Eine Discounter-Angestellte

kämpft um ihre RechteKöln, Kiepenheuer & Witsch 2010

205 Seiten, brosch., 8,20 EuroISBN 978-3-462-04185-9