Alternative September

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Herausgegeben von September 2012 Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro P.b.b., Verlagspostamt 1040 02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558 9 GRIECHEN RAUS? DEUTSCHLAND: Selbstverwaltungs- Boom • BEAMTE: Frauen-Einkommen machen den Unterschied

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Monatszeitschrift der Unabhängingen GewerkschafterInnen

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Page 1: Alternative September

Herausgegeben von

September 2012

Einzelheft: 1,50 Euro, Abonnement: 15 Euro

P.b.b., Verlagspostamt 1040

02Z031242 M, Kd.-Nr: 0021012558

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GRIECHEN RAUS?DEUTSCHLAND: Selbstverwaltungs-Boom • BEAMTE: Frauen-Einkommenmachen den Unterschied

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25. September 2012:

Social Business Tagungim WUK„Social Business – Chancen für NPOs oder Abhängigkeit in neuemKleid?“ lautet das Thema beim WUK Bildungs- und Beratungstag2012 am 25. September von 13–17 Uhr.

Regina Senarclens de Grancy,Gabriele Gottwald-Nathaniel,Stephan Dorfmeister undAndreas Keplinger stellen euro-päische Good Practice Beispielevor und gehen der Frage nach,ob und wie sich soziales Enga-gement und unternehmerischesDenken unter einen Hut brin-gen lassen.

Zum Abschluss diskutieren die Vortragenden mit weiteren ExpertInnen,ob Social Business eine brauchbare Alternative für am Arbeitsmarktbenachteiligte Menschen sein kann oder ob der Ansatz zu einem Rück-zug des Staates aus seiner Verantwortung führt. Im Anschluss lädt dasWUK zu einem kleinen Buffet ein. Interessierte haben während der -Veranstaltung die Gelegenheit, die Angebote von WUK-Bildung und -Beratung kennenzulernen.Programm, Anmeldung: wuk.at/event/id/15820

ES REICHT – FÜR ALLE

Den Kuchen neu verteilen!

„Wege aus der Krise“ – ein zivilgesellschaft-

liches Bündnis unter Gewerkschaftsbeteili-

gung – lädt im Rahmen eines österreich-

weiten Aktionstages am 6. Oktober zur

Präsentation seines dritten zivilgesellschaft-

lichen Zukunftsbudgets.

Wir wollen eine gerechte Verteilung des

Kuchens: Große Vermögen müssen ihren

Beitrag leisten, um in die Zukunft investie-

ren zu können. Es reicht – für alle!

Am Spittelberg, Wien, 14—18 Uhr.

Mehr Infos zu den Veranstaltungen auch in

den Bundesländern unter: wege-aus-der-

krise.at

Einladung zur Landesversammlung derSteirischen AUGE/UG

❍ Montag, 8. Oktober 2012, 17 Uhr,❍ Ort: Veranstaltungsraum der GrünenAkademie, Am Fuß des Schlossbergauf-gang 2, Karmeliterplatz, 8010 Graz.❍ Tagesordnungspunkte:1. Rechenschaftsbericht 2. Wahl eines AUGE-Landesvorstandes3. AllfälligesFragen, Kontakte: [email protected],(0664) 390 18 58.

Wie kommenwir aus derKrise?

Hallo Markus,

Gratulation zu deinen meist sehr infor-

mativen Artikeln. In den letzten Mona-

ten geht mir allerdings die Frage durch

den Kopf, ob diese Krise nicht auch ein

Zeichen vom „Ende des Wachstums,

der Wachstumsmöglichkeiten“ ist. Ist

die linke Lösung „Wachstumspakt“ (auch eines ökologisch verträglichen) nicht

wieder „reformistisch – kapitalismussystemerhaltend“ und konträr zu „radikal-

grünen“ Ansätzen von Decrescita und Guten-Leben. Und wie kommen wir

dann aus der Krise? Ich würde mich sehr über Antworten beziehungsweise

Artikel freuen. Du kannst meine Anfrage gerne als Leserbrief veröffentlichen.

Liebe Grüße vom Peleponnes schickt Dir Michael Bockhorni

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Thema

Euro: Griechen raus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 4Griechenland: Sommerpause unterbrochen . . . . . . . Seite 8

Gewerkschaft & Betrieb

AbfallberaterInnen sind keine Wegwerfartikel . . . . . . Seite 10Einkommensunterschiede: Reiche Beamte? . . . . . . . Seite 14Wien: Campus clustern? . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 17

Magazin

Selbstverwaltung in Deutschland . . . . . . . . . . . . Seite 18Pläne der „Schlecker“-Frauen . . . . . . . . . . . . . . . Seite 20

Buch

„Wir sind das, was wir erinnern“ . . . . . . . . . . . . . Seite 22

. . . . . . . . . . . . . . . . . . Seite 12

IM SEPTEMBER

ARBEITSPLÄTZE VERSUS UMWELTSCHUTZ

Seit Wochen ist in der italienischen Hafen-stadt Taranto der Bär los. Arbeiter demons-trieren, Regierungsmitglieder reisen zumKrisengipfel an, die Rede ist von Korruption,Bestechung und Justizskandal. Was ist los?

Das Stahlwerk Ilva ist der größte Arbeit-geber in der Region Apulien. Mehr als vier-zehntausend Menschen sind dort beschäf-tigt. Das ist die eine Sache.

Die andere: Ilva ist eine gewaltige Dreck-schleuder. Dem Eigentümer des Stahlwerkes,dem Riva-Konzern, wird vorgeworfen, nichtausreichend gegen Staub- und Rauchemis-sionen vorgegangen zu sein. Sachverstän-dige stellten in dreijährigen Ermittlungeneinen Zusammenhang zwischen den Emis-sionen des Stahlwerkes und einer vielfacherhöhten Quote an Herzinfarkten in einemangrenzenden Viertel fest. Im Verlauf von13 Jahren sollen 386 Menschen an Krebsgestorben sein. Eine Untersuchungsrichterinordnete die vorübergehende Schließung desWerkes an und stellte acht Führungskräfteunter Hausarrest.

Bewohner von Taranto kehren fast täglichgiftigen roten Staub mit Dioxin und Benzo-perylen von den Balkonen und Fenster-simsen. „Was nützt mir der Arbeitsplatz,wenn ich vergiftet werde?“, fragen sichimmer mehr Menschen.

Umweltschützer verlangen die Schließung,Arbeiter demonstrieren für die Erhaltung derArbeitsplätze. Ein gewaltiges Dilemma imstrukturschwachen Süden Italiens.

Die Regierung Monti versucht einen pro-blematischen Spagat. Sie will sanieren, ohnedie Produktion stillzulegen. 336 MillionenEuro wurden bereits bewilligt.

Mein Verdacht: Die privaten Eigentümerwollen die Sanierungskosten ganz einfach„vergesellschaften“.

EDITORIAL von Alfred Bastecky

IMPRESSUM Medieninhaber, Verleger: Alternative und Grüne GewerkschafterInnen(AUGE/UG) Herausgeber: Unabhängige GewerkschafterInnen im ÖGB (UG/ÖGB) Redaktion, Satz & Layout: Alfred Bastecky (Koordination), Lisa Langbein, Franz Wohl-könig (Layout) Alle: 1040 Wien, Belvederegasse 10/1, Telefon: (01) 505 19 52-0, Fax: -22,E-Mail: [email protected] (Abonnement), [email protected] (Redaktion), internet:www.ug-oegb.at, Bankverbindung: BAWAG Kto. Nr. 00110228775 Dass namentlich gezeichnete Beiträge nicht unbedingt der Meinung der Redaktion oderdes Herausgebers entsprechen müssen, versteht sich von selbst. Titel und Zwischentitelfallen in die Verantwortung der Redaktion, Cartoons in die Freiheit der Kunst. Textnach-druck mit Quellenangabe gestattet, das Copyright der Much-Cartoons liegt beim Künstler.DVR 05 57 021. ISSN 1023-2702.

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Über Risiko und Nebenwirkungen eines Euroaustritts informiert der aktuelle EU-Infobrief der Wiener Arbeiterkammer.

Von Markus Koza.

GRIECHEN RAUS?

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Thema

oll Griechenland die Euro-Zoneverlassen und zu einer eigenen

Währung zurückkehren? Für denFDP-Chef Philipp Rösler hat derAustritt Griechenlands aus der

Euro-Zone jedenfalls inzwischen„... an Schrecken verloren,“ und vombayrischen CSU-Finanzminister bis hinzu BZÖ und FPÖ steht „Griechenlandraus aus dem Euro“ – was übersetzt soviel heißt wie: „Kein Geld mehr für dieGriechen“ – längst auf der politischenTagesordnung rechter Parteien unter-schiedlichster Schattierungen. Doch essind bei weitem nicht nur rechtslibe-rale, konservative und rechtspopulisti-sche PolitikerInnen und Kommentator-

Innen, die Griechenlands Zukunftaußerhalb der Eurozone

sehen. Es gibtdurchausseriöse,

auch fortschrittliche ÖkonomInnen –nicht zuletzt in Griechenland selbst –die einen Euro-Austritt Griechenlands –wenn schon nicht unbedingt für em-pfehlenswert – doch für wahrscheinlichund beinahe unausweichlich halten.Verbunden ist mit der Rückkehr vomEuro zur eigenen Währung dabei unteranderem die Hoffnung auf wirtschaftli-che Erholung durch neu gewonneneHandlungsspielräume in der Wechsel-kurspolitik: eine „neue“ Drachmewürde gegenüber dem Euro drastischabwerten, was Griechenland „wett-bewerbsfähiger“, weil – als Urlaubs-land beziehungsweise Produktions-standort – billiger machen würde.Auch wenn die GriechInnen kurzfristig

einmal durch ein Talder Tränen gehen

müssten –mittel- bis

langfris-tig wäre

ihnen mit einer eigenen, flexiblerhandhabbaren Währung mehr gehol-fen. Im aktuellen EU-Infobrief der AK-Wien geht die Wirtschaftswissenschaft-lerin Irene Mozart der Frage nach, wasdenn ein Euro-Austritt Griechenlandsfür Folgen hätte. Für Griechenland wiefür die Euro-Zone. Und ob denn diemit einem Austritt Griechenlands ver-bundenen Hoffnungen sich erfüllenwürden. Eines sei bereits jetzt vorweggenommen: Davon, dass der Euro-Aus-tritt Griechenlands „an Schrecken ver-loren“ hätte – davon kann aus MozartsSicht jedenfalls keine Rede sein.

Drei SzenarienDie griechische Tragödie drohe zur

europäischen zu werden, untertiteltMozart ihren Beitrag „DerEuroaustritt Grie-chenlands: Folgenund Alternativen“.Mozarts Urteil

über die bishe-rige „Ret-

tungs-

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politik“ gegenüber Griechenland istvernichtend: „Selten in der jüngereneuropäischen Geschichte wurde ein sokleines Problem mit so untauglichenMitteln ‘kuriert’, dass schließlich derZusammenbruch der Währungsuniondroht.“ Warum? Die Krise habe gezeigt,dass nicht nur Währungen, sondernauch Länder großer Währungsräume„Zielscheibe spekulativer Attacken“sein können. Was wäre die logischeKonsequenz aus diesen Erfahrungen?Da „die Finanzmärkte“ nicht nur dieKrise entscheidend mitverursachthaben, sondern diese auch noch weiterverstärken, braucht es entsprechendeeuropäische Institutionen, welche dieFinanzmärkte „entwaffnen“ – eine Soli-darunion – eine Fiskal-, Banken- undStabilitätsunion, mit Eurobonds sowieeiner Bankenlizenz für den ESM (umsich über die Europäische Zentralbankrefinanzieren zu können und ggf. amPrimärmarkt für Anleihen intervenierenzu können, Anm.) so Mozart. Diesem„notwendigen Zentralisierungs- undEuropäisierungsschub“ stehe allerdingsdas „Bedürfnis zahlreicher Entschei-dungsträgerInnen entgegen, Ressenti-ments potenzieller WählerInnen zubedienen und gar zu schüren, selbstum den Preis einer nicht kontrollier-baren Kettenreaktion, die letztlich dasEnde der Währungsunion und auch derEU bedeuten könnte.“ Zu sehr seiendie politischen Eliten in der EU „... inihrem Glauben gefangen, dass dieKrise durch einseitige kontraktiveAnpassungen in Griechenland (oder inden anderen Krisenländern) selbstgelöst werden könne.“

Der Zweckoptimismus gehe sogar soweit, dass behauptet würde, ein Euro-Austritt Griechenlands sei inzwischenverkraftbar, das Risiko bereits von denFinanzmärkten eingepreist. LautMozart nicht mehr als „ökonomischePhraseologie“, die man „spätestens seit

Ausbruch der Finanzkrise … beseitigtglaubte“. Mozart geht nun der Fragenach, welche Folgen ein Euro-AustrittGriechenlands tatsächlich mit sichbringen würde. Sie unterscheidet dabeidrei Szenarien:

In Szenario 1 wird der hypothetischeFall beschrieben, dass ein geordneter,gut vorbereiteter Austritt Griechen-lands aus der Eurozone gelingt, ohnedass sich die Krise auf andere Länderausbreitet (Euroaustritt ohne Ketten-reaktion). Es wird unterstellt, dass es zueinem (teilweisen) ZahlungsausfallGriechenlands kommt.

Im zweiten Szenario wird angenom-men, dass im Zuge des EuroaustrittsGriechenlands weitere EU-Staaten denWährungsraum verlassen (Euroaustrittmit Kettenreaktion). Dabei wird unter-stellt, dass neben Griechenland aucheinige weitere Peripheriestaaten ihrenZahlungsverpflichtungen nicht mehrnachkommen können, es also zu einem(teilweisen) Zahlungsausfall mehrererStaaten kommt.

Szenario 3 schließlich nimmt einenVerbleib Griechenlands in der Eurozoneinklusive einer Neuverhandlung desAnpassungsprogramms an.

Szenario 1: Euroaustritt ohneKettenreaktionIn diesem Szenario gelingt es der EU

– dank guter Vorbereitung – eine An-steckung anderer Staaten (insbeson-dere Südosteuropa, Italien, Portugal,Spanien etc.) zu verhindern. Zur „gutenVorbereitung“ zählen unter anderem:•Die Stärkung des Eurorettungs-schirms ESM (zum Beispiel durch eineBankenlizenz für den ESM, was diesemermöglichen würde, sich direkt bei derEZB zu refinanzieren)•Weitere Ankäufe von Staatsanleihenam Sekundärmarkt durch die EZB (bei-spielsweise durch die Ankündigung derZentralbank bei Überschreiten einesgewissen Zinssatzes zu intervenieren)•Einführung von Eurobonds•Einführung von Kapitalverkehrs-kontrollen, bevor aus Griechenland inErwartung einer starken Abwertungder neuen Währung eine Kapitalfluchteinsetzen kann•Zusätzliche Mittel, um die grie-chischen Banken mit ausreichendLiquidität beziehungsweise Eigen-kapital zu versorgen.

Allein die Aufzählung dieser Fülle an– politisch höchst umstrittenen – not-wendigen Maßnahmen, zeigt schon dieDimension eines möglichen „geordne-ten“ griechischen Euro-Austritts, solldieser so folgenlos wie möglich statt-finden. Unter gegebenen Bedingungenscheint ein derartiger Austritt dahernicht durchführbar, von einem „verlore-nen Schrecken“ zu sprechen ist alsoreines Wunschdenken. Mozart: „Diesesrein hypothetische Szenario soll veran-schaulichen, dass Ansteckungseffekteeines Austritts Griechenlands aus derWährungsunion nur verhindert werdenkönnen, wenn ein ausreichend großerSchutzschirm gespannt wird. So liegtdie effektive Vergabekapazität desEFSF/ESM im zweiten Halbjahr beinicht einmal 450 Milliarden Euro.Dies ist angesichts des hohen Refinan-zierungsvolumens des italienischenund spanischen Staates noch indiesem Jahr nicht ausreichend, umwirksam zu sein.“

Welche Folgen hätte nun eingeordneter, vorbereiteter AustrittGriechenlands zuallererst einmalauf Griechenland selbst?Dass Griechenland durch die nun

gewonnene Möglichkeit, seine Wäh-rung gegenüber dem Euro abwerten zukönnen, tatsächlich an „Wettbewerbs-fähigkeit“ gewinnt, ist schon höchstfragwürdig, um nicht zu sagen unwahr-scheinlich. Grundsätzlich würde ja eineAbwertung Importe verteuern undExporte verbilligen. Dadurch sollte mit-telfristig ein Gleichgewicht in derLeistungsbilanz erreicht werden, daExporte ja zunehmen, Importe aberzurückgehen. So weit die Theorie. Inder griechischen Praxis liegt der Anteilvon Güter- und Dienstleistungsexpor-ten im Jahr 2009 allerdings geradeeinmal bei 21 Prozent des Bruttoin-landsproduktes. Griechenland ist alsonicht gerade das Exportland schlecht-hin, die Exporttätigkeit findet zusätz-lich in Branchen mit niedriger undmittlerer Technologieintensität statt.Eine Abwertung brächte noch zusätz-liche Probleme mit sich: Ein Blick aufdie Importstruktur Griechenlands zeigtnoch dazu die hohe Abhängigkeit vonMaschinen, Fahrzeugen und minerali-schen Brennstoffen (Anteil an Waren-importen von ungefähr fünfzig Pro-

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Bitte auf Seite 6 weiterlesen

Markus Koza

UG-Vorsitzender,im ÖGB-Vorstandund Mitarbeiter der

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zent). Letztere hatten einen besondersstarken Preisanstieg zu verzeichnen –was nicht zuletzt zum Anstieg des grie-chischen Leistungsbilanzdefizits bei-getragen hat. Diese importierten Pro-dukte sind allerdings nur schwer zuersetzen, schon gar nicht aus inländi-scher Produktion, dazu ist die indus-trielle Basis schlichtweg zu schwach bisinexistent: „Die über steigende Import-preise (auf Energie, Produktions- undKonsumgüter) induzierte Inflationkönnte die preisliche Wettbewerbs-fähigkeit wieder verschlechtern. Dadie langfristige Preiselastizität dergriechischen Exporte niedrig ist,müsste die neue Währung sehr starkabwerten, um Exporte anzukurbeln.“

Drohende Lohn-Preis-SpiraleDas alles würde heißen, dass tat-

sächlich eine enorme nominelle Abwer-tung (Schätzungen sprechen von drei-ßig bis sechzig Prozent) notwendigwäre, um – ohnehin erst in einer Mit-telfristperspektive – eine deutlicheVerbesserung der Leistungsbilanz zuerzielen. Jedenfalls wäre zu befürchten,dass „der Gewinn von preislicher Wett-bewerbsfähigkeit durch die nominelleAbwertung durch steigende Inflation(über Importe) und die Gefahr einerLohn- und Preisspirale zum Teil wiederkompensiert“ würde.

Schuldendienst zusätzlich erschwert Jedenfalls würde die Abwertung ver-

schuldete Haushalte – öffentliche wieprivate – vor große Probleme stellen.Ob Kredite in Euro oder in der neuenWährung zurückzuzahlen sind, hängtdavon ab, ob sie nach nationalem oderinternationalem Recht begeben wur-den. Von Schulden in „ausländischer“Währung ist besonders der öffentli-chen Sektor (Staat und Notenbank)betroffen, wodurch die Schuldenlast inneuer Währung mit der Abwertungnatürlich steigt. Aber auch privateHaushalte, Unternehmen und Banken,die Kredite bei ausländischen Bankenaufgenommen haben oder Anleihennach internationalem Recht begebenhaben, wären von Zahlungsausfällenbeziehungsweise Insolvenzen bedroht.„Die Erklärung eines Zahlungsausfallsgilt daher in diesem Szenario als wahr-scheinlich.“ Da unter diesen Vorausset-zungen der Kapitalmarkt wohl kaumweitere Kredite an Griechenland verge-ben wird, müsste Griechenland entwe-

der seinen Sparkurs weiter verschärfen– mit den inzwischen sattsam bekann-ten fatalen Folgen auf Wachstum,Beschäftigung, Wohlstand und Bud-getkonsolidierung – oder Budgetdefi-zite von der Nationalbank „finanzieren“lassen. Was in diesem Falle tatsächlichzu einer höheren Inflation und weite-ren Kaufkraftverlusten führen würde,einer wirtschaftlichen Erholung auchnicht förderlich.

Weitere, teure „Bankenrettungen“drohen – und SparpaketeDamit wären wir auch schon bei den

Auswirkungen eines griechischen Euro-austritts auf den Rest der Eurozone.Die wäre von einem Zahlungsausfallnatürlich betroffen, wobei dieses Malbesonders der öffentliche Sektor (EZB,ESM/EFSF, kreditgebende Eurostaaten)betroffen wäre. Der private Sektor –zum Beispiel Banken, Pensionsfonds,Versicherungen – hat seine Forderun-gen gegenüber Griechenland in denletzten Jahren bereits drastisch redu-ziert. Ende 2011 belief sich das Volu-men aushaftender Kredite, die derprivate Sektor aus dem Euroraum anGriechenland vergeben hatte, auf zirkasechzig Milliarden Euro (Österreich:1,8 Milliarden Euro). „Fällt ein Teildavon aus, so sind Bankenrettungenvor allem in jenen Ländern mit einervergleichsweise hohen Griechenland-exposure notwendig.“ Noch relativhohe Ausstände hätte dabei etwa derfranzösische, aber auch der Banken-sektor des ohnehin besonders krisen-geschüttelten Portugal. Die vomöffentlichen Sektor vergebenen Grie-chenlandkredite belaufen sich aufinsgesamt 313 Milliarden Euro (Öster-reich: 9 Milliarden Euro). Insgesamtbeläuft sich das vergebene Kreditvolu-men des Euroraums (privat und öffent-lich) auf rund vier Prozent des Brutto-inlandsproduktes. „Bei einem Euroaus-tritt Griechenlands werden vermutlichTeile davon ausfallen. Zu diesen direk-ten Effekten kommt hinzu, dass imZuge der Abschreibungen der öffent-lichen Forderungen sowie der notwen-dig werdenden Rekapitalisierungen derBanken der fiskalische Restriktionskursnoch verstärkt würde (Steuererhöhun-gen und Ausgabesenkungen), um diebudgetäre Belastung aus diesen Aus-fällen zu kompensieren. Dies hätteeinen deutlich dämpfenden Effekt aufdas Wirtschaftswachstum.“

Fassen wir zusammen. Welche Aus-wirkungen hätte ein geordneter Euro-Austritt Griechenlands nach MozartsAusführungen?•in Griechenland würde sich zunächstdie Rezession verschärfen und dieArbeitslosigkeit würde weiter steigen.•Der Euroraum wäre von (teil-weise) Zahlungsausfällen getrof-fen, sowie von der NotwendigkeitBanken zu stützen.•Besonders betroffen wäre auchder öffentliche Sektor der Euro-länder als inzwischen größterGläubiger Griechenlands.•Um Zahlungsausfälle Grie-chenlands und Bankenrettungenzu kompensieren, würden diebetroffenen Staaten ihren Spar-kurs noch verstärken, mit denentsprechenden negativen Aus-wirkungen auf Wachstum, Ver-teilung und Beschäftigung.

Unerfreuliche Folgen, dieeinen Euroaustritt Griechen-lands gleich viel wenigerattraktiv erscheinen lassen,noch dazu wo einige Grund-voraussetzungen für eine der-artige Währungsreform tech-nisch kaum umsetzbar schei-nen. Mozart: „Ein general-stabsmäßig geplanter Euro-austritt, der Kapitalverkehrs-kontrollen und Grenzschutz-sicherungen erfordert, schonbevor ein Euroaustritt erwar-tet wird, ist angesichts dertechnischen Vorlaufzeiten fürBanknotendruck und Entscheidungs-abläufe eine Illusion.“ Womit wir beimzweiten Szenario wären.

Szenario 2: Euroaustritt mitKettenreaktionSzenario 1, so Mozart, sei schon

alleine deshalb „rein hypothetisch“,weil ein Euroaustritt gar nicht geordneterfolgen könnte – weil schlichtweg inden Verträgen nicht vorgesehen:

„Daher wurde in den EU-Verträgenauch bewusst auf ein Recht auf einenAustritt aus dem Euroraum verzichtet,um Spekulationen gegen Länder undsich selbsterfüllende Prophezeiungenzu verhindern. Der Austritt eines Lan-des aus dem Euroraum lädt zu spekula-tiven Attacken ein. Die Kettenreaktio-nen können somit verschiedene Inten-

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sitätsstufen durchlaufen; in letzter Kon-sequenz können die Schockwelleneines Euroaustritts so dramatisch sein,dass sie zum Zusammenbruch derWährungsunion führen.“

Im Szenario 2 wird davon ausgegan-gen, dass der Euro-Austritt eines Lan-des den Austritt weiterer Länder nach

sich zieht, die Euro-Zone also auseinan-derfällt, in „Kern-“ (welche weiterhinden Euro als Währung haben) und„Peripherieländer“ (Ausstiegsländer miteigenen Währungen). Zu erwarten ist,dass die neuen Währungen der Aus-trittsländer einmal ordentlich abwer-ten, während die verbliebenen Euro-Länder aufwerten. Wie stark der Auf-wertungsdruck in den verbliebenenEuro-Kernländern tatsächlich ist, hängtnicht zuletzt von der Kapitalflucht ausden Ausstiegsländern in die „Kernwäh-rungsländer“ (aber auch in Länder wiedie Schweiz) ab. Diese Kapitalfluchtwird bereits mit der Erwartung einesAuseinanderbrechens der Eurozoneeinsetzen. Damit ist das Finanzsystemder Austrittsländer mit massiven Liqui-ditäts- und Solvenzproblemen konfron-

tiert, was einmal mehr teure einzel-staatliche Bankenrettungen notwendigmacht. In den verbliebenen Eurolän-dern kämen noch Zahlungsausfälle ausden Austrittsländern dazu, die kaumnoch in der Lage wären, ihre Euro-Schulden bei Eurozonen-Banken wieStaaten zu begleichen. Was auch indiesen Ländern Bankenrettungen not-

wendig machen würde – mitten inohnehin bereits ausgesprochenangespannten fiskalischen Situatio-nen. Mozart: „Sowohl in den Peri-pherie-, als auch in den Kernwäh-rungsländern des Euroraums wer-den die fiskalischen Ausgaben fürdie Stabilisierung der Bankensys-teme steigen.“ Insgesamt drohenschwere rezessive Entwicklungen,wie bereits im ersten Szenariobeschrieben – wobei der unterschied-liche wirtschaftliche Entwicklungs-stand durchaus dazu führen kann,dass einzelne Staaten tatsächlich anWettbewerbsfähigkeit gewinnen. „Mutter“ künftiger, nochschlimmerer FinanzkrisenIn den Kernländern kommt es

aufgrund des Aufwertungsdrucksebenfalls zu einem Wachstumsein-bruch, weil Exporte teurer werden unddadurch diese Industrien in die Krisegeraten. Durchaus wahrscheinlichwerden auch Verlagerungen von Indus-trien in Länder mit weicherer Währungaber grundsätzlich günstigen wirt-schaftlichen Voraussetzungen, was zueinem Anstieg der Arbeitslosigkeit inden Kernländern führt.

Mozart zusammenfassend: „Kommtes zu einem Auseinanderbrechen derWährungsunion, sind eine Rezessionund ein dramatischer Anstieg derArbeitslosigkeit sowohl in den Kern-währungs-, als auch in den Peripherie-ländern die Folge. Es sind weniger dieWirkungen der Wechselkursschocksauf den Außenhandel, die hier für dieLänder bedeutend sind, sondern viel-mehr die Folgen, die vom Finanzsektorausgehen.“

Der Ausfall von Zahlungsausfällenträfe vor allem …„... die Kernwährungsländer stark.

Aus diesen Gründen ist die Europäi-sche Währungsunion, wie schon BarryEichengreen (US-Starökonom) ange-merkt hat, irreversibel: Ein Euroaustritt,would trigger the mother of all finan-cial crises’.“

Szenario 3: Verbleib im Euroraum undNeuverhandlungenAus Mozarts Sicht wäre ein Euro-

Austritt Griechenlands also nicht nurkeine gangbare Alternative, sondernvielmehr das Gegenteil: eine mittlerebis totale Katastrophe. Weil Szenario 1angesichts „des Fehlens eines ausrei-chend dotierten Schutzschirms“ eineIllusion darstellt und Szenario 2 sozial-und wirtschaftspolitische Folgen gera-dezu „apokalyptischen“ Ausmaßeshätte, würde es eintreten.

Mozart präferiert eindeutig den Ver-bleib Griechenlands – und der übrigenPeripheriestaaten – in der Euro-Zoneals jene Option, „die mit den weitausgeringsten Kosten für Griechenland,für den Rest des Euroraums und fürdie Weltwirtschaft verbunden ist.“Allerdings wäre eine Neuverhandlungdes „Anpassungsprogramms, das fürden freien Fall der Griechischen Volks-wirtschaft mitverantwortlich ist“ sowieein unterstützendes „Wachstumspa-ket“ für Griechenland notwendig: „DieKernwährungsländer des Euroraumssetzen darüber hinaus expansiveImpulse, um die Rolle eines Konjunk-turmotors im Euroraum einzunehmen.“Auch „um die Anpassungen deranderen unter Druck geratenen Peri-pheriestaaten zu erleichtern.“ Der„wirkungsvollste Schritt“, um die Euro-zone zu stabilisieren und „Kettenreak-tionen“ zu verhindern, wäre zwar die„sofortige Etablierung von Elementeneiner politischen Union“ wie•Eurobonds,•Bankenlizenz für ESM, •Bankenunion, •Fiskaltransfers,•sowie eine EU-weit harmonisierteVermögensbesteuerung zur Finanzie-rung von Wachstumspaketen undFiskaltransfers.

Allerdings, so Mozart: „Eine raschepolitische Umsetzung dafür ist … nichtin Sicht“, auch wenn die Ergebnissedes EU-Gipfels von Ende Juni zumin-dest „den Weg in die richtige Rich-tung“ weisen.

Bleibt, sich mit „vergleichsweisekleinen Schritten“ zu behelfen. Eine„tragfähige und nachhaltige Lösungfür Griechenland“ und die „Stabilisie-

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Bitte auf Seite 8 weiterlesen

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Thema

Ein einmonatiger Aufenthaltin Griechenland – ichunternahm eine Rund-

reise am Peloponnes und war auchdrei Tage in Athen – demonstrierte mirdie Auswirkungen neoliberaler Politikauf Kosten der Mehrheit der Men-schen. Die Sparpolitik, die man denGriechen als Gegenleistung für dieGeldhilfe aufgezwungen hat und diein erster Linie durch Lohn- und Pensi-onskürzungen sowie den verschärftenAbbau von Sozialleistungen die Mehr-heit der Lohnabhängigen und Pensi-onsbezieher trifft, führt zur spürbarenVerarmung großer Teile der Bevölke-rung. Während ein Großteil der ver-mögenden Griechen das Land entwe-der bereits verlassen hat oder zumin-dest ihr Vermögen, welches bisherkaum versteuert wurde, ins Auslandgeschafft hat, wird nun ein beträchtli-cher Teil der Bevölkerung an den Randihrer materiellen Existenz gedrängt.

Der Tourismus am Peloponnes, einebedeutsame Einnahmequelle für zahl-reiche Griechen am Land, ist nahezuvollkommen zusammengebrochen.Dass ich in früher von zahlreichen Tou-risten aufgesuchten Orten der einzigeAusländer war, entsprach der Regel.Aber auch die griechischen Touristen –vor allem aus den großen Städten reis-

ten die Griechen bisher gerne die einoder andere Woche ans Meer oder ver-brachten zumindest ein Wochenendedort – blieben aus. Allzu viele könnensich solche Erholungsphasen nichtmehr leisten. Die Verkehrsfrequenz aufden Straßen ist spürbar geringergeworden. Viele Menschen, die in denBergen wohnen, beziehen eine Pensionvon 270 Euro Bei Lebensmittelpreisenwie bei uns wissen sie nicht mehr, wiesie die Ausgaben des täglichen Lebensbestreiten sollen. Auch die für dieseLeute bisher getätigte Hilfestellungseitens ihrer Kinder, die in den Städtenarbeiteten, bleibt vermehrt aus, weildiese selbst arbeitslos sind. In Athenspürt man die um sich greifende Armut

hautnah. Bettler, wohin mansieht, zahlreiche Menschen,die auf den Straßen oder inHäuserruinen schlafen,Geschäfte, die geschlossenhaben beziehungsweiseschließen. Ein weiteres Pro-blem stellt die zunehmendeKriminalität dar. Überfälleauf Passanten am helllichtenTag, Einbrüche in Geschäfte,Zunahme der organisiertenKriminalität.

DamoklesschwertIn dieser kurz beschriebe-

nen Situation machen die EUund die griechische Regie-rung weiterhin Druck auf alljene Bürger, die noch nichtganz verarmt sind. Währendman die Obdachlosen undMittellosen längst ihremSchicksal überlässt, fordertman von den Erwerbstätigennoch mehr Opfer. Dazu

rung des Euroraums“ könnte dabei wiefolgt ausschauen:•Der ESM garantiert für die griechi-sche Staatsschuld und übernimmt allekünftigen Tilgungs- und Zinszahlungs-verpflichtungen – sowohl gegenüberden privaten wie auch den öffentlichenGläubigern•Im Gegenzug erhält der ESM eineniedrig verzinste langfristige Forderunggegenüber Griechenland – beispiels-weise für 50 Jahre. Dadurch würde dieBedienung der griechischen Staats-schuld durch Griechenland (mitAbschlägen) auf einen späteren Zeit-raum verschoben, „eine Praxis, diehistorisch oft angewandt wurde“.•Lediglich die Finanzierung der „Pri-märdefizite“ – also der Budgetdefiziteohne Zinszahlungen, jene Defizite, dieunmittelbar Griechenland zugute kom-men – wären an die Konditionen derTroika gebunden, um zu verhindern,„dass unmittelbar vor den vierteljähr-lichen Auszahlungsterminen der Tran-chen des Schutzschirmes (ESM/EFSF)an Griechenland das Land und dessenvermeintliche Minderleistung im Zen-trum der Berichterstattung der Welt-finanzpresse steht, mit alle den Folgen,die dies für das Verhalten der Finanz-investoren (sowie der xenophobenStrömungen in Europa) hat.“

„Kleine Schritte“, „vergleichsweisekleine Lösungen“, die allerdings – soMozart abschließend – „viel bewirken(könnten), bevor es zu spät ist“.

Der AK-Infobrief EU/Internationales kann über wien.arbeiterkammer.at/euabonniert werden.

Griechenland heute

kann als Warnung für

die Bevölkerung

Europas dienen.

Von Gerhard Kohlmaier.

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bediente man sich den ganzen Juliüber des Damoklesschwertes der voll-kommenen Staatspleite und des Aus-tritts aus dem Euro-Raum. Weitere Ein-schnitte für die Bevölkerung, ein weite-res Belastungspaket im Umfang von11,5 Milliarden Euro für die nächstenzwei Jahre wurde am 2. August von derRegierung angekündigt. Und die neo-liberalen Akteure der EU und des IWFzeigen sich zufrieden.

In dieser Situation reagiert der grie-chische Durchschnittsbürger – wieauch die Mehrheit der Bürger in allenEU-Staaten – nicht solidarisch, nichtim Sinne eines funktionierendenGemeinwesens, aber auch nicht poli-tisch. Nein, sein Denken und Handelnkreist einzig und allein um die Frage,wie er selbst in dieser Situation demdrohenden Schicksal der Verarmungentrinnen kann. Statt sich gegen diealltäglich wirksame Korruption vonPolitik- und Wirtschaftsbossen, aberauch der Beamtenschaft im Land zustemmen, wird er selbst korrupt bezie-hungsweise betrügt er den Staat, wo ernur kann. Je mehr der Durchschnitts-grieche von der Steuerlast bedrohtwird, umso mehr, vor allem wenn esum das materielle Überleben geht, ister zur Steuerhinterziehung bereit. Undauf den ersten Blick ist seine Argumen-tation auch noch verständlich: EinemStaat, in welchem die Steuergelder zueinem großen Teil nicht den Bürgern inForm einer funktionierenden Infra-struktur, einer guten Gesundheits- undAltersversorgung, einem guten staat-lichen Bildungssystem zugute kommen,sondern in dunklen Kanälen verschwin-den und zur Bereicherung einigerweniger dienen, muss man betrügen.Auf den zweiten Blick jedoch ist dieseSichtweise kontraproduktiv, führt sie

doch über kurz oder lang weder zurVeränderung der Strukturen im Staats-gebilde noch zur langfristigen Absiche-rung beziehungsweise Verbesserungder eigenen Situation. Im Gegenteil:Der Einfluss des Staates wird dadurchnoch mehr zurückgedrängt, die Stundeder Privaten hat geschlagen.

AusverkaufDie Vereinfachung der Lizenzvergabe

für ausländische Unternehmen istBestandteil des neuen „Reformpake-tes“ der Regierung, die Privatisierungder nationalen EisenbahnorganisationTRAINOSE sowie deren Instandhal-tungsbereichs ROSCO ist bereits aufSchiene gebracht. Nach der Schließungvon nahezu allen Eisenbahnstreckenam Peloponnes kann nun der Ausver-kauf lukrativer Strecken beginnen. ImBereich der privaten Liegenschaftenentlang der Küste tut sich für das inter-nationale Finanzkapital ein wahresEldorado an Möglichkeiten auf. Bereitsjetzt können viele Griechen, die in denletzten Jahren in den Tourismus inves-tiert haben – sei es in Form des Bausvon Appartements, Hotels oder Grün-den in Strandnähe – ihre Kredite nichtmehr bedienen. Ein Ausverkauf von gutgelegenen Liegenschaften ist nur nocheine Frage der Zeit. Dann werden auchsicherlich Baugenehmigungen, die denEinheimischen bisher teilweise ver-wehrt wurden, an internationale Kon-zerne vergeben werden. Die ansässigeBevölkerung darf dann in diesen„Wohlfühloasen“ zu Dumpinglöhnenihren Lebensunterhalt verdienen.

Die in österreichischen Letztklasse-zeitungen so gerne zitierten „Pleitegrie-chen“ sind im Wesentlichen Opfer einerneoliberalen Politik, welche auch in

allen anderen europäischen Ländernzielstrebig nach Erweiterung ihrerFinanzinteressen schielt. WährendMilliarden und Abermilliarden von Gel-dern diesem Finanzkapital weiterhinzugeführt werden, hat der griechischeDurchschnittsbürger nichts von diesen„Finanzspritzen“. Die griechischen Poli-tiker fungieren dabei, wie der Rest dereuropäischen Regierungen, als Erfül-lungsgehilfen des Kapitals.

Nach einer aktuellen Studie einesehemaligen McKinsey-Managers liegenmehr als 20 Billionen Dollar in Steuer-oasen (Kurier, 4. August 2012).20.000.000.000 000 Dollar – zusam-men mit den in den letzten Jahrenangehäuften Vermögenswerten vonwenigen Prozent der Bevölkerung –Geld genug, um die Krise in den Staa-ten zu beenden. Was wir dafür brau-chen, ist nichts anderes als eine andereSteuerpolitik. Die Staaten müssen sichdie Gelder dort holen, wo sie sind, dort,wo sie über aberwitzige, durch die Poli-tik ermöglichte Machenschaften undGesetze angehäuft werden konnten.

Ob dies mit den Politikern machbarist, welche die Weichen für diese Vor-herrschaft des internationalen Finanz-kapitals gestellt haben, darf bezweifeltwerden. Genau so muss jedoch auch inFrage gestellt werden, ob der individu-elle Überlebenskampf des Einzelnen inder Gesellschaft (egal ob in Griechen-land oder in anderen westlichen Staa-ten) ihn vor der Auslieferung seinerLebensbedingungen an die Interessendieses Kapitals bewahren kann.

Griechenland ist somit – nach zahl-reichen anderen Staaten dieser Welt -nicht mehr als ein weiteres Beispiel fürdie Vorherrschaft neoliberalen Besitz-strebens, im Sinne der Theorie Fried-mans, über die Interessen der Bevölke-rung hinweg. In dieser Situation istSolidarität mit den Griechen letztlichSolidarität mit uns selbst, denn dieGriechen von heute werden die Euro-päer von morgen sein.

Quelle: Mag. Gerhard Kohlmaier, Steuer-initiative im ÖGB, 4. August 2012. Original-titel „Sommerpause unterbrochen“.

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ΣΣΟΟΜΜΜΜΕΕΡΡΠΠΑΑΥΥΣΣΕΕΥΥΝΝΤΤΕΕΡΡΒΒΡΡΟΟΧΧΗΗΕΕΝΝ

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Wie in der letzten Alternative berichtet kämpfen die Abfallberaterinnen

der Stadt Wien um ihre Arbeitsplätze und um faire Dienstverhältnisse mit sozialer Absicherung

und fairer Entlohnung. Die Verträge der meisten BeraterInnen sind Ende Juli ausgelaufen,

damit stehen diese seitdem vor dem beruflichen Nichts. Von Christine Rudolf und Renate Vodnek.

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Gewerkschaft & Betrieb

WIR SIND KEINE

WEGWERFARTIKEL

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Trotz der großen medialen Bericht-erstattung und zahlreicher Unterstüt-

zungsunterschriften der Petition an dieUmweltstadträtin Mag.a Ulli Sima hatsich bis jetzt noch nichts bewegt. Dervon der Gewerkschaft der Gemeinde-bediensteten (GdG-KMSfB) mit derrechtlichen Vertretung der betroffenenKollegInnen beauftragte Anwalt hatseine rechtliche Einschätzung mit derBitte um Stellungnahme und Klärungan die Magistratsdirektion gerichtet.Für ihn sind die bisherigen Verträgeaus juristischer Sicht Umgehungs- undKettenverträge. Bis Mitte Augustwurde per Personaldirektion der StadtWien ein Antwortschreiben angekün-digt, das nun von den Betroffenen mitSpannung erwartet wird. Je nach demAusfallen der Stellungnahme wird ent-schieden, ob weitere rechtliche Schritteergriffen werden oder ob doch nocheine glimpfliche Lösung möglich ist.

Tauchstation, Angst oderdoch Ignoranz?Von der Umweltstadträtin kam bis-

her kein Kommentar und direkte Anfra-gen zur Situation werden weitestge-hend ignoriert. Der Abteilungsleiterder MA 48, DI Josef Thon möchte „dieDebatte nicht über die Öffentlichkeitaustragen“. Für Josef Thon sind dieWerkverträge jedenfalls korrekt. Chris-tine Rudolf von den UnabhängigenGewerkschafterInnen (UG) bezweifeltdies: „Sowohl nach österreichischemArbeitsrecht als auch nach einer Richt-linie der EU sind immer wieder befris-tet abgeschlossene Beschäftigungsver-hältnisse nur unter besonderen Bedin-gungen möglich. Weiters weisen diebisherigen Tätigkeiten auf eine Umge-hung eines regulären Dienstverhältnis-ses hin! Ich fordere daher die rot-grüneStadtregierung auf, endlich rechtskon-forme Bedingungen herzustellen!“

Aktionstag und „Wandertagdurch das Rathaus“Am 30. Juli veranstaltete die Initia-

tive beim Museumsquartier einen Akti-onstag, bei dem die Abfallberater-Innen ihre wichtige Tätigkeit für dieStadt Wien und ihr Anliegen für faireund rechtskonforme Verträge bei derMA 48 darstellten. Gleichzeitig konn-

ten noch zahlreiche UnterstützerInnenfür ihre Petition an UmweltstadträtinUlli Sima gewonnen werden. Am31. Juli fand, nach einer medial gutbesuchten Pressekonferenz der Initia-tive beim Rathaus, der Termin zurPetitionsübergabe statt – die letztlichnur via zentrale Poststelle klappte.

Thomas Kerschbaum, Bundesspre-cher der KIV/UG und Präsidiumsmit-glied der GdG-KMSfB, berichtet überdie Odyssee durch das Rathaus: „DasTüpfelchen auf dem „Ignoranz-i“ zeigteder 31. Juli 2012, als die Initiative ver-geblich versuchte, die Petition mit den1744 Unterschriften an das Büro vonUmweltstadträtin Ulli Sima zu überge-ben. Das Stadträtin-Büro Sima hat sicheingesperrt, im Stadträtin-Büro Frauen-berger hätten sie das Kuvert mit denUnterschriften und der Petition zwarübernommen, aber es kam ein „Nein“aus dem Sima-Büro.“ Weiter ging eszum Portier, der die Übernahme abernicht bestätigen durfte. Eine Interven-tion des Grünen Klubs brachte auchnichts. Letztlich wurde das Kuvert inder Zentralen Poststelle an StadträtinSima übergeben. Thomas Kerschbaum

hatte das Gefühl, „die Stadtregierungbunkert sich ein, als wäre die Revolu-tion ausgebrochen“.

ABER: Es ist noch nicht vorbei – die Initiative kämpft weiter!

DAHER – macht Euch mituns gemeinsam für dieAbfallberatung stark:

☛ Unterschreibt die Petition anUmweltstadträtin Ulli Sima aufpetitiononline.at

☛ Verbreitet die Initiative viafacebook: facebook.com/AbfallberatungWien

☛ Schickt eine Solidaritätsbotschaftan [email protected]

Alle Hintergrundinfos und Medienbe-richte unter abfallberatung.prekaer.at

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Öffentlicher Dienst versus Privatwirtschaft: Fraueneinkommen machen den Einkommensunterschied.

Von Markus Koza.

REICHE BEAMTE?

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Gewerkschaft & Betrieb

eamtInnen verdienen deut-lich mehr als durchschnitt-

liche ArbeitnehmerInnen. Derzentrale Grund dafür: Dieannähernde Einkommens-

gleichheit zwischen Männernund Frauen im öffentlichen Dienst.

„Beamte: die Sieger des Jahrzehntes“titelte am 21. Dezember 2010 diePresse. Franz Schellhorn, seines Zei-chens stramm-konservativer und wirt-schaftsliberaler Leitartikler der Presse,stellte anno dazumal „ohne jeglicheÜbertreibung“ fest, dass die „Beamtendie Gewinner des abgelaufenen Jahr-zehnts sind“. Ihre Einkommen hättensich im Gegensatz zu jenen der „nor-mal sterblichen Arbeitnehmer“ seit1998 real um 26 Prozent – statt ummagere 3,5 Prozent – erhöht, Beamt-Innen würden durchschnittlich fast3 mal so viel verdienen wie ArbeiterIn-nen und 1,5 mal mehr als Angestellte.

„Beamtenforelle war gestern“ fährtSchellhorn fort. Ja, okay, natürlich gebees Gründe dafür, die das Abhebenzumindest „teilweise“ erklären. Derhöhere AkademikerInnenanteil, dieAltersstruktur, die geringere Teilzeit.Nun, Schellhorn wirft den BeamtInnenzumindest nicht vor, sie seien für die„üppigen Gehälter“ verantwortlich. Nursollten „die Glücklichen“ wenigstens„das Märchen von den ach so schlechtbezahlten Staatsdienern freundlicher-weise einpacken“. So Schellhornabschließend.

Also: Nicht nur, dass BeamtInnen„fixe Jobs“ haben, im Vergleich zuBeschäftigten in der Privatwirtschaftalso quasi „unkündbar“ sind, verdienensie auch noch unglaublich gut, jeden-falls wesentlich besser als Privatange-stellte und ArbeiterInnen, aus derenSteuern diese BeamtInnen-Top-Gehäl-

ter auch noch gezahlt werden. Tatsäch-lich. Laut Einkommensbericht desRechnungshofs verdienten 2009 (Jah-reseinkommen, nicht arbeitszeitberei-nigt, Männer und Frauen zusammen)•ArbeiterInnen ein mittleresEinkommen von 17.874 Euro•Angestellte ein Mediangehaltvon 27.723 Euro•Vertragsbedienstete 28.103 Euro•BeamtInnen aber 47.848 Euro.

Der Wutbürger schnaubt: Wenn dasalles so stimmt, dann sind Nulllohnrun-den aus „Fairnessgründen“ doch wohlnur gut und gerecht. Oder?

Nun der Spitzenverdiener Schellhorn– es darf wohl beruhigt angenommenwerden, dass ein stellvertretenderChefredakteur der Presse nicht zurGruppe derjenigen gehört, die amHungertuch nagen – hat allerdingsden einen, wenn nicht sogar den einzi-gen wesentlichen Grund für den Ein-kommensunterschied zwischen Beamt-Innen und Privatangestellten geflis-sentlich ausgeblendet. Oder bewusstverschwiegen, weil sonst die „hohen“Beamteneinkommen in einem ganzanderen Licht erschienen wären undob ihrer Höhe ganz gewaltig „relati-viert“ hätten werden müssen. Fakt istnämlich tatsächlich, dass die Frauen-einkommen in der Privatwirtschaftskandalös niedrig sind, im öffentlichenDienst – und hier insbesondere bei denBeamtInnen – dagegen annäherndEinkommensgleichheit zwischen denGeschlechtern besteht. Und dass diesesFaktum wohl tatsächlich die zentraleUrsache für den „Einkommensgap“zwischen Privatangestellten und derBeamtInnen (für den gesamten öffent-lichen Dienst gibt es diesen „Einkom-mensunterschied“ in der Eindeutigkeitohnehin nicht) ist. Oder anders gesagt:

Würde in der Privatwirtschaft endlichEinkommensgleichheit bzw. -gerechtig-keit unter den Geschlechtern herge-stellt, gäbe es keine wesentlichen Ein-kommensunterschiede zwischen Privat-angestellten und BeamtInnen mehr!

Gründe fürEinkommensunterschiedeNoch einmal in aller Kürze die

Gründe für die Einkommensunter-schiede zwischen öffentlich Bedienste-ten – insbesondere BeamtInnen – undPrivatangestellten:•Altersstruktur: BeamtInnen sinddurchschnittlich 10 bis 11 Jahre älterals Angestellte. Die Altersstrukturerklärt sich daraus, dass es aufgrunddes Aufnahme- und Pragmatisierungs-stopps nicht nur immer weniger Beamt-Innen gibt, sondern auch kaum mehr„junge“ BeamtInnen nachkommen. Ver-gleicht mensch die mittleren Einkom-men langjährig beschäftigter männ-licher Angestellter (nach 20 Dienst-jahren) mit jenem entsprechend lang-jährig beschäftigter Beamter, so lagdas mittlere Angestellteneinkommen2009 (Quelle: Einkommensbericht desRechnungshofs 2010) mit 59.756 Eurosogar deutlich über jenem vergleich-barer Beamter (49.260 Euro).•Ausbildungsgrad: Der Anteil vonUniversitäts- beziehungsweise Hoch-schulabsolventInnen ist unter denBeamtInnen mit 43 Prozent deutlichhöher als unter den Privatangestelltenmit 18 Prozent. Unter den Vertrags-bediensteten (VB) in den öffentlichenDiensten liegt der AkademikerInnen-anteil mit 32 Prozent ebenfalls deut-lich über jenem der Privatangestellten– mit einem mittleren Einkommen von28.623 Euro im Jahr lagen die Einkom-

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men der VB 2010 allerdings mit jenender Angestellten (27.710 Euro proJahr) trotz tendenziell höheren Bil-dungsgrads praktisch gleichauf.•Beschäftigungsdauer, -grad: Wäh-rend öffentlich Bedienstete (VB undBeamtInnen) zu 97 Prozent ganzjährigvollzeitbeschäftigt sind, liegt der Anteilbei den ArbeiterInnen bei lediglich70 Prozent, bei Angestellten bei82 Prozent. Während 20 Prozent derArbeiterInnen und 31 Prozent derAngestellten nur Teilzeit beschäftigtsind, liegt der Teilzeitanteil bei denöffentlich Bediensteten bei unterdurch-schnittlichen 17 Prozent. Der Einkom-mensunterschied zwischen öffentlichBediensteten (BeamtInnen und Ver-tragsbedienstete) und Angestelltenreduziert sich bei vergleichbaren ganz-jährig und vollzeit Beschäftigten(Frauen und Männer) laut Einkom-mensbericht des Rechnungshofes (Zah-len für 2009) bereits auf ein Verhältnisvon 42.879 Euro (öffentlich Bediens-tete) zu 36.710 Euro (Angestellte) jähr-lich. Aktuellere Zahlen aus 2010 sehendie mittleren Bruttojahreseinkommenbei ganzjährig, vollzeitbeschäftigtenmännlichen Angestellten schon bei48.407 Euro, bei Beamten bei50.304 Euro, bei männlichen Vertrags-bediensteten bei 36.992 Euro. Ganz-jährig vollzeitbeschäftigte männlicheAngestellte verdienen damit nur nochgeringfügig weniger als ihre beamte-ten Kollegen – trotz unterschiedlicherAltersstruktur, trotz unterschiedlichenAusbildungsgrads – allerdings deutlichmehr als Vertragsbedienstete.

Werden also vergleichbare Beschäfti-gungsverhältnisse im öffentlichen

Dienst und in der Privat-wirtschaft (Angestellte)gegenübergestellt, relati-viert sich der Einkommens-unterschied deutlich.Warum besteht danndennoch eine derartigeEinkommensdifferenzzwischen Privatangestelltenund BeamtInnen? Es liegttatsächlich – wie bereitsoben erwähnt – an denFraueneinkommen.

Zentraler GrundFraueneinkommen

Ein Blick auf die Homepage von Sta-tistik Austria beziehungsweise in denEinkommensbericht reicht. Wenn alsovergleichbare Einkommen von Män-nern im öffentlichen Dienst und in derPrivatwirtschaft kaum Unterschiedeaufweisen, im Gegenteil privatange-stellte Männer deutlich besser verdie-nen als ihre vertragsbedienstetenKollegen, sieht der Vergleich bei denFrauen schon ganz anders aus.•Frauen verdienen in Summe (nichtarbeitszeitbereinigt) nur 60 Prozentihrer männlichen Kollegen. Besondersdrastisch stellt sich das Bild bei denArbeiterInnen dar: Mittlere Arbeiter-inneneinkommen belaufen sich auf44 Prozent der Arbeitereinkommen. Beiden Privatangestellten verdienenFrauen nur 50 Prozent der Männer-einkommen. Bei den Vertragsbediens-teten verdienen Frauen zwar auch nur77 Prozent der Männer – die Frauen-einkommen liegen allerdings hinsicht-lich ihres Verhältnisses zu den Männer-einkommen schon deutlich über demSchnitt und deutlich über den Frauen-einkommen in der Privatwirtschaft.Bei den BeamtInnen liegen die durch-schnittlichen Fraueneinkommen über-haupt schon bei 93 Prozent der Män-nereinkommen.•In absoluten Zahlen stellt sich dieEinkommenssituation wie folgt dar:2010 lagen die mittleren jährlichenFraueneinkommen unselbständigBeschäftigter bei 18.270 Euro (Män-ner: 30.316). Arbeiterinnen verdienten10.492 Euro (Arbeiter: 23.891), weib-liche Angestellte 20.292 Euro (männ-liche Angestellte: 40.401). WeiblicheVertragsbedienstete bezogen ein Jah-reseinkommen von 25.768 Euro

(männliche VB: 33.393), Beamtinnen46.726 Euro (Beamte: 49.983).•Vergleicht mensch die Einkommens-situation ganzjährig vollzeitbeschäftig-ter Frauen, macht dies noch sicherer:Ganzjährig vollzeitbeschäftigte Arbeit-nehmerinnen verdienen mit mittleren30.775 Euro tatsächlich schon immer-hin 81 Prozent der Männer. Ausschlag-gebend für diese relativ hohe Verhält-niszahl ist allerdings vor allem deröffentliche Dienst: Arbeiterinnen(20.801 Euro im Jahr) verdienen mit68 Prozent der Männerlöhne(30.373 Euro im Jahr) nach wie vordeutlich weniger als ihre männlichenKollegen. Ganzjährig vollzeitbeschäf-tigte weibliche Angestellte (jährlich31.754 Euro) gar nur 66 Prozent dervergleichbaren männlichen Angestell-ten (48.407 Euro). Bei den weiblichenVertragsbediensteten halten dieFrauen dagegen schon bei 93 Prozentder Männereinkommen, nämlich bei34.249 Euro (männliche VB: 36.992).Und – mensch lese und staune: Beam-tinnen verdienen mit 50.606 Euro101 Prozent des vergleichbaren männ-lichen Beamtensalärs.

Nun haben wir ihn also tatsächlichgefunden, den großen Unterschied:Es sind die Fraueneinkommen. Die sor-gen für die „Verzerrung“ der Beamten-einkommen nach oben. Oder bessergesagt, für die „Angestellteneinkom-men“ nach unten. Der Skandal liegtnicht bei den „üppigen“ Beamtenein-kommen. Er liegt bei den dramatischniedrigen Fraueneinkommen.

Verlogene, ideologische Debatte Wer den Einkommensunterschied

zwischen öffentlich Bediensteten –besser gesagt zwischen BeamtInnenund Privatangestellten – als „unge-recht“ und „unverhältnismäßig“beklagt und nicht dazusagt, dass dieskandalös niedrigen Fraueneinkommenin der Privatwirtschaft – also Einkom-mensdiskriminierung statt Einkom-mensgleichheit – dafür verantwortlichzeichnen, der muss sich den Vorwurfgefallen lassen, dass es ihm wenigerum die Behebung des Missstandes Ein-kommensdiskriminierung geht als umGehaltskürzungen bei den BeamtIn-

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Bitte auf Seite 16 weiterlesen

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nen. Und betroffen wären vor allem dieFraueneinkommen!

Es ist schon so. Hätten die Schell-horns und wie sie alle heißen ein Pro-blem mit der großen Einkommenssprei-zung, so müssten sie die massiv einbre-chenden Einkommen bei den Arbeiter-Innen, die immer weiter auseinander-gehende Einkommensschere bei denPrivatangestellten thematisieren undwie ungerecht das alles denn nicht sei.Machen sie nicht. Warum auch? Siesind reaktionär, wirtschafts-, neoliberal.Diese Entwicklungen kommen ihnendurchaus entgegen. Sie profitieren vondiesen. Diese Tendenzen wollen sie mitFlexibilisierungen, Deregulierungen,Atypisierungen der Arbeits- und Lohn-verhältnisse noch weiter befördern,noch beschleunigen, um den Lohn-druck und die Lohnspreizung noch wei-ter zu erhöhen. Sie thematisieren auchnicht den wachsenden Einkommens-unterschied zwischen ökonomischen,politischen und leitartikelnden Eliten –beziehungsweise diejenigen, die sichdafür halten – und den „normal sterbli-chen Arbeitnehmern“. Nein, sie kritisie-ren auch nicht die „üppigen Einkom-men“ in den Vorstandsetagen undChefredaktionen.

Sie attackieren frontal und mitunzulässigen beziehungsweise frag-würdigen Vergleichen die öffentlichenDienste beziehungsweise Bedienstetenund empören sich über tatsächlicheoder vermeintliche Privilegien undEinkommensunterschiede im Vergleichzur Privatwirtschaft. Einkommensun-terschiede, die vor allem darin begrün-det sind, dass im öffentlichen Dienst –vor allem bei den BeamtInnen – wei-testgehend das verwirklicht ist, waseigentlich schon längst – selbst unterLeitartiklern – gesellschaftlicher Kon-sens sein sollte und in der veröffent-lichten Meinung auch überwiegendKonsens ist: Dass es zwischen denGeschlechtern Einkommensgleichheitbeziehungsweise -gerechtigkeit gebenmuss! Schellhornund Kumpanen istdas Faktum annä-hernder Einkom-mensgleichheit imöffentlichen Dienstnatürlich keineRede wert. Eswürde sie in ihrer

Agitation gegen die privilegiertenBeamtInnen empfindlich stören.Gegen faire Fraueneinkommen lässtsich selbst unter Konservativen nurschwer wettern.

Lassen wir uns nicht für blödverkaufenMachen wir uns nichts vor: Wer

gegen die öffentlichen Dienste undgegen öffentliche Dienstverhältnisseagitiert, hat tatsächlich die Frauenein-kommen im Fokus. Wer den öffentli-chen Dienst „zurückschrumpfen“ will,nimmt Frauen Einkommen und sorgtfür ein Stück weniger Einkommens-

gerechtigkeit zwischen denGeschlechtern. Je weniger

öffentlicher Dienst,desto weniger Ein-

kommen fürFrauen,

destogrößer derEinkommens-unterschied! Dasist die österreichischeRealität. Es geht darumin der Privatwirtschaft fürEinkommensgleichheit,höhere Einkommen –insbesondere fürhöhere Frauen-einkommen– und sta-

bilere,sozial- und

arbeitsrecht-lich voll abgesi-

cherte Arbeitsver-hältnisse zu kämpfen.

Weniger öffentlich Bediensteteund schlechtere Einkommens-und Arbeitsverhältnisse in denöffentlichen Diensten nutzenArbeitnehmerInnen nichts.

Nulllohnrunden in den öffent-lichen Diensten bringen keinemArbeitneh-

mer und schon gar keiner Arbeitneh-merin in der Privatwirtschaft auch nureinen Cent mehr im Geldbörsel. Viel-mehr das Gegenteil ist der Fall. Vieleim privatwirtschaftlichen Bereich wer-den von Nulllohnrunden betroffen sein– seien sie im privaten Sozial-, Gesund-heits- oder Bildungsbereich oder überdem Umweg sinkender gesamtgesell-schaftlicher Nachfrage. Dagegen giltes sich gemeinsam zur Wehr zu setzen!

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uf zwanzigtausend Quadrat-metern Grundfläche wird die

neue Bildungsadresse in Favo-riten elf Kindergarten-Gruppen,

eine 17-klassige Ganztagsvolksschuleund (erstmals in Wien!) auch eine 16-klassige Ganztagshauptschulebeherbergen. Insgesamt werden umdie tausendeinhundert Kinder undJugendliche im Alter zwischen nullund vierzehn Jahren, etwa zwei-hundert PädagogInnen undVerwaltungspersonal denneuen Bildungsstandortbevölkern. Eröffnet wirdder Bildungscampus imHerbst 2014.

Pro„Wir wollen hier für

Kinder eine Umgebungschaffen, in der Lernenund Freizeit ideal kombi-niert werden können“,betont BildungsstadtratChristian Oxonitsch. „DasBesondere an diesem Standort ist, dasshier erstmals ein Campus für Null-bis14-Jährige entsteht.“

Bemerkenswert ist vieles am neuenBildungscampus. Erstmals wurdenbereits im Architektur-Wettbewerb(2009) gleichberechtigt technischeAnforderung und moderne pädagogi-sche Inhalte berücksichtigt. Das Resul-tat: Die als Ganztagsschulen geführ-ten Bildungseinrichtungen sindwesentlich harmonischer miteinanderverknüpft, als dies anderswo über-haupt möglich ist. Ziel ist es, dass der

neue Campus idealerweisemöglichst viele Synergienim Miteinander schafft,zugleich aber auch genü-

gend RückzugsortebeziehungsweiseRäumlichkeiten fürKreativität bereitstellt.Wesentlich ist beimneuen Bildungscampusauch die Verknüpfung von„Drinnen“ und „Draußen“:So kann jede Klasse undGruppe – bei entsprechendemWetter – die Bildungseinheit pro-blemlos ins Grüne verlagern!

Im Kindergarten werden je zweioder drei Gruppen zur nächstgröße-ren Organisationseinheit, dem „Clus-ter“ zusammengefasst. Dadurch wirdim Sinne des Wiener Bildungsplanesder „offene Betrieb“ unterstützt, beidem ihnen der gesamte Kindergartenzur Verfügung steht. Die Struktur desProjektes ermöglicht es den Kindernsehr gut, allmählich mit dem ganzenGebäudekomplex vertraut zu werden,auch Bereiche kennenzulernen, dieder Schule zugeordnet sind und sichdarin selbständig und sicherer bewe-gen. Entsprechend den Prinzipien desWiener Campusmodells wird so derÜbergang vom Kindergarten zurSchule erleichtert.

Der geplante Ganztagsschulbetriebin verschränkter Form, bei dem überden Tag verteilt Lern- und Freizeit-phasen wechseln, sowie zukunfts-weisende pädagogische Prinzipien wieindividuelle Förderung, Arbeiten inunterschiedlichen Gruppengrößen,selbstorganisiertes und offenes Lernensowie Projektunterricht zum Tragenkommen sollen, sind Grundlage fürdiesen Schulneubau.

ContraNeben drei bereits bestehenden

Campusmodellen darf die Vorfreudeauf ein weiteres etwas verhalten sein.Die neuen architektonischen Einflüsse,welche aus den 1980er Jahren als Loftbekannt sind, mögen hip und praktischwirken, stellen jedoch die Kinder undPädagogInnen vor große Herausforde-rungen. Die stete Lärmentwicklungund die oft fehlenden Möglichkeit fürRückzug fordern im Alltag. Zu berück-

sichtigen wäre, dass wir über einganztägiges Bildungsmodell spre-chen. Damit ist die Verweildauerder Kinder eine lange und derWechsel von einem ausgewoge-

nen Maß an Sozialkontaktenund der Möglichkeit des Kon-sumierens von Ruhe ein wich-tiger Maßstab für den Erfolgeiner solchen Einrichtung.

Das Durchmischen derAltersgruppen ist ebenfalls in

vielen Situationen nicht ganz sohomogen wie dargestellt. Unterschied-liche Interessen und Bedürfnisse, jenach Altersgruppe, können nicht wieim Urlaub in der bekannten Club-atmosphäre übernommen werden. Eingerüttelt Maß von Bildung und Freizeit-gestaltung darf auch mit einem über-schaubaren Gruppenverband einher-gehen. Es hat sich ohnedies oftmalsbestätigt, dass sowohl die Gruppen inKindergärten als auch die Schulklassenviel zu groß sind, da muss nicht auchnoch „geclustert“ werden. Immerhin istzu bedenken, dass zwei bis drei Grup-pen übersetzt 50 bis 75 Kinder heißen.

Als langjährige Pädagogin würde ichda nicht mehr von einer innovativenpädagogischen Idee (offenes Arbeiten)sprechen. Eher fällt mir der Mangel anpädagogischem Fachpersonal ein. Unddas wiederum weckt in mir die Frage:Ist Bildungsarbeit unter solchen Vor-aussetzungen machbar und nachhal-tig? Was sich immer wieder als Erfolgverbuchen lässt, sind die wirklichenErfolge im Festigen und Ausbauen dersozialen Kompetenz durch gruppen-übergreifendes Setzen von Angeboten.Das gelingt aber in herkömmlichenProjekten jetzt schon, ohne Markt-plätze und Clusteransätze.

CAMPUS CLUSTERN

Wieviel offenes päda-

gogisches Arbeiten ist

Kindern zumutbar?

Von Martina Petzl-Bastecky.

A

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Gewerkschaft & Betrieb

Martina Petzl-Bastecky

Personalvertreterinder Wiener Kinder-gärten, WienerLandessprecherin der

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In Deutschland entstehen jedes Jahr 250 neue Genossenschaften. Von Wolfgang Kessler.

SELBSTVERWALTUNG

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Magazin

us ArbeiterInnen gute Kapita-listInnen machen: Dieser Ver-dacht wurde in Deutschlandvon Linken lange gegenüberGenossenschaften geäussert.

Inzwischen jedoch engagieren sich wie-der mehr BürgerInnen für eine solidari-sche Ökonomie. Laut einer Umfrageder Bertelsmann-Stiftung aus dem Jahr2010 wünschen sich 88 Prozent derBevölkerung eine „andere Wirtschafts-ordnung“. Praktische Veränderungenbrauchen jedoch ihre Zeit. Traditionelldiskutieren linke KapitalismuskritikerIn-nen lieber über Theorien, als sich aufdie Praxis einzulassen.

Der Streit zwischen Ideal und Wirk-lichkeit, zwischen Theorie und Praxistobt in Deutschland seit 150 Jahren.Schon Ende des 19. Jahrhunderts for-mierte sich eine genossenschaftlicheBewegung mit zwei grossen Flügeln:Der bürgerliche Teil der Bewegungzielte auf unternehmerische Selbsthilfe.Aus ihm gingen schliesslich die Volks-und Raiffeisenbanken hervor.

Auf der anderen Seite feierten dieKonsumvereine der Arbeiterbewegungursprünglich grosse Erfolge: Sie kauf-ten en gros billig ein, um den Preisvor-teil an ihre Mitglieder weiterzugeben.In einigen Fällen führten die Konsum-vereine auch angeschlagene Betriebein Eigenregie weiter. Der Verdacht füh-render Gewerkschafter, aus ArbeiterIn-nen gute KapitalistInnen machen zuwollen ist auch heute der wichtigsteVorbehalt gegenüber Genossenschaf-ten und Alternativbetrieben. Er trugdazu bei, dass die Konsumvereine nachihrem Verbot durch die Nationalsozia-

listen in der Bundesrepublik keineRolle mehr spielten. Mit der Anpassungder Gewerkschaften an das Wohl-standsmodell Deutschland in den sech-ziger und siebziger Jahren verloren siean Bedeutung. Der Versicherungskon-zern Volksfürsorge und die Wohnungs-baugesellschaft Neue Heimat wurdenzu ganz normalen Unternehmen. DieNeue Heimat war sogar so normal,dass sie infolge eines Korruptions-skandals abgewickelt werden musste.

Die Gewerkschaften entwerfenlängst keine alternativen Wirtschafts-modelle mehr. Sie setzen alles daran,den Anteil der Beschäftigten am Ertragder Wirtschaft zu vergrössern: höhereLöhne, bessere Arbeitsbedingungen,kürzere Arbeitszeiten, Ausbau desSozialstaats. Betrachtet man diezunehmenden Verbesserungen für dieLohnabhängigen und die wachsendeAusgestaltung des Sozialstaats vor derJahrtausendwende, so war diese Stra-tegie lange Zeit durchaus erfolgreich.

Allerdings passten sich die Gewerk-schaften – ihre Führung ebenso wiedie meisten Mitglieder – dabei derDenklogik des Kapitalismus an: Mehrproduzieren, mehr arbeiten, das Geldgerechter verteilen – und alles wirdgut. Diese Logik haben sie so verinner-licht, dass sie allen Versuchen, einewirtschaftliche Gegenwelt von untenaufzubauen, kritisch gegenüberstehen.Das galt schon gegenüber der studen-tischen 68er-Bewegung, die mit ihrergrundsätzlichen Kritik am US-Imperia-lismus und am deutschen Wirtschafts-system die Republik erschütterte. Auchwenn so manche StudentInnen eineZeit lang in Fabriken arbeiteten, bliebder Schulterschluss zwischen ihnen undden ArbeiterInnen aus.

So hinterliessen die Gedanken derAchtundsechziger in den Gewerkschaf-

ten nur wenig Spuren, wohl aber in derbeginnenden Alternativbewegung. Siewollten antikapitalistische Prinzipien ineiner ökonomischen Alternativweltumsetzen: kein Privateigentum in derHand von wenigen, Beteiligung alleran den Gewinnen, gleiche Löhne füralle, keine Hierarchien, Aufhebung dergeschlechtsspezifischen Arbeitsteilung,ja der Arbeitsteilung überhaupt – daswaren die Ideale vieler selbstverwalte-ter Betriebe, die Mitte der siebzigerJahre entstanden. Dazu gehört die Ber-liner Tageszeitung „taz“. Bis zu 12.000selbstverwaltete Betriebe zählte manin den achtziger Jahren – darunter inerster Linie Dienstleistungsbetriebe wieBuchläden, Teestuben, Kneipen, Ver-lage, Druckereien, Umzugskollektiveoder auch Autowerkstätten.

Dennoch blieb die Gegenwelt eineNische. Von den Gewerkschaftenwurden die selbstverwalteten Betriebeals „Selbstausbeuter“ und „Saboteuresozialer Normen“ abgelehnt – nichtimmer zu Unrecht, denn um Tarifver-träge kümmerten sich die meistenAlternativbetriebe wenig. Frank Heidervon der Universität Frankfurt ermitteltefür die Alternativbetriebe in den achtzi-ger Jahren einen monatlichen Durch-schnittslohn von 1250 D-Mark netto.Entsprechend unattraktiv waren siedenn auch für viele Beschäftigte, diedie Sicherheit etablierter Betriebe dem„Chaos“ der Alternativen vorzogen.Dennoch bewies die Alternativbewe-gung, dass ein Wirtschaften jenseitsvon Rendite, Hierarchien und Privat-eigentum möglich ist.

Diese Erfahrung konnte in den neun-ziger Jahren auch der Neoliberalismusnicht auslöschen. Er reduzierte dasWirtschaften auf eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung im Dienste einermöglichst hohen Rendite oft anonymer

Wolfgang Kessler ist seit 1999 Chefredakteursder alternativen christlichen Zeitschrift „Publik-Forum“ und publizierte zuletzt das Buch „Geldregiert die Welt. Wer regiert das Geld?“

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KapitaleignerInnen – und entfachteeinen brutalen Konkurrenzkampf.Dennoch kommt Frank Heider für Hes-sen zum Ergebnis, dass Ende der neun-ziger Jahre nur sechzehn Prozent derselbstverwalteten Betriebe aus demMarkt ausgeschieden waren. Auf ganzDeutschland übertragen, konnten sichmithin zehntausend selbstverwalteteBetriebe halten. Viele jedoch relativier-ten die Ideale der ersten Stunde – wieetwa die Berliner „taz“: Nach einerKrise 1992 wurde die Tageszeitung-Verlagsgenossenschaft gegründet, umdie Zeitung auf eine breite finanzielleGrundlage zu stellen. Jetzt bestimmennicht mehr allein die 250 Beschäftig-ten über die Geschicke des Unterneh-mens, sondern auch rund zwölftausendGenossenschafterInnen. Redaktion undVerlag führten eine klare Arbeitstei-lung ein, samt Chefredaktion – undzahlen unterschiedliche Löhne, dieaber weiterhin unter dem Branchen-tarif liegen. Immerhin behauptet sichdie Zeitung am Markt. Dass der Geist

des Wirtschaftens jenseits von Profitund Privateigentum lebt, zeigte sich inder Krise des Finanzkapitalismus dervergangenen Jahre. Mit ihr begann dieRenaissance der Genossenschaften.Kaum hatte der US-FinanzinvestorFortress in Dresden über 47.000 Woh-nungen von der Stadt erworben, gin-gen andernorts die fast tot geglaubtenWohnungsbaugenossenschaften in dieOffensive und machten deutlich: Wirwollen Wohnungen für Menschen,nicht für SpekulantInnen.

Mit der Finanzmarktkrise rückte auchdie älteste deutsche Alternativbank inden Blickpunkt des Geschehens: dieGLS Gemeinschaftsbank mit Sitz inBochum. Getragen von 22.000 Genos-senschaftsmitgliedern, setzt die 1975gegründete Alternativbank auf einenanderen Umgang mit Geld. Bei dieser

Bank können SparerInnen entschei-den, ob sie ihr Geld in erneuerbare

Energien, Kindergärten undSchulen, Wohnprojekte fürältere Menschen oder andereProjekte investiert sehen wol-len. Die GLS-Bank organisiertauch Zusammenschlüsse vonLeuten, die gemeinsam Pro-jekte finanzieren wollen. Zahl-reiche Schulen, Wohnanlagenfür ältere Menschen oderEnergieprojekte sind auf

diese Weise entstanden. Nicht zuletztdieser andere Umgang mit Geld ermu-tigte Attac, Occupy und andere sozialeBewegungen zur Aktion „Krötenwande-rung – Bank wechseln, Politik verän-dern“. Die Umsätze der vier Alternativ-banken GLS, Umweltbank, Ethikbankund Triodos haben sich in wenigenJahren auf deutlich mehr als fünf Milli-arden Euro verdoppelt.

Noch stärker ist der Aufbruch in derEnergiepolitik. Ermutigt durch diefeste Einspeisevergütung für sauberenStrom und unterstützt von der Anti-Atomkraft-Bewegung liessen sich dieBefürworterInnen der Energiewendenicht frustrieren. Zwei der vier bundes-weiten Ökostromanbieter mit derhöchsten Glaubwürdigkeit sind Genos-senschaften: Greenpeace Energy unddie Elektrizitätswerke Schönau. In derFolge kam es zu einem Gründungs-boom von Energieproduktionsgenos-senschaften – ihre Zahl hat sich von2001 bis 2011 auf 586 fast verzehn-facht. Während die nach der Katastro-

phe von Fukushima angekündigteEnergiewende auf den Widerstand dergrossen Energiekonzerne stösst, wirdsie unten bereits praktiziert: Stadt-werke, Bürgerwindparks oder Energie-genossenschaften gewinnen immermehr Investoren und Kundinnen, mehrals eine Million Menschen sind direktan der Stromproduktion beteiligt. InBerlin wollen BürgerInnen ihr Strom-netz zurückkaufen. Siebzig Landkreisemit insgesamt acht Millionen Einwoh-nerInnen haben sich zu „100 ProzenteeRegionen“ erklärt. Ihr Ziel: Eine voll-ständige Versorgung mit erneuerbarenEnergien aus der Region. Wovon dieAtomkraftgegnerInnen vor fünf Jahrennicht einmal zu träumen wagten, istnun Fakt: Die Macht der grossen Ener-giekonzerne Eon, RWE, EnBW undVattenfall schrumpft.

Noch beherrschen Banken und Inves-torInnen die Finanzmärkte, noch immerhaben Auto-, Chemie- und Energiekon-zerne viel Macht. Auf der anderen Seitegewinnt die solidarische Ökonomiespürbar an Bedeutung. Der Motor istder Energiesektor. Doch inzwischenreicht die Bewegung weit darüberhinaus: BürgerInnen gründen Software-genossenschaften, Dorfläden, Alters-heime, Wasserversorgungsunterneh-men, retten Hallenbäder, Zuglinienoder finanzieren das Stadiondach fürden Fussballverein. „Pro Jahr kommenin Deutschland derzeit 200 bis 250neu gegründete Genossenschaftenhinzu, zehnmal so viel wie noch vorsechs Jahren“, sagt Andreas Wiegevom Deutschen Genossenschafts- undRaiffeisenverband.

Die Bewegung ist auch in der Politikangekommen. Im Frühjahr 2012 grün-deten vierzig Mitglieder der FraktionDie Linke im Bundestag die Genossen-schaft Fairwohnen, um elftausendWohnungen von der staatlichen Treu-handliegenschaftsgesellschaft zuerwerben, die privatisiert werden soll.Damit wollen sich MieterInnen in ost-deutschen Städten vor dem Ausverkaufihrer Wohnungen schützen.

Dieser Artikel erschien in der SchweizerWochenzeitung „WOZ“ vom 2. August 2012und wurde redaktionell leicht gekürzt.

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Von der Tristesse ins bunteGenossenschaftswohnen:

Die Genossenschaft „Fairwohnen“ rettet

ostdeutsche Platten-bauten vor der

Privatisierung

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Die Schlecker-Frauen wollen eine Genossenschaft gründen und geschlossene Filialen zu Mini-Supermärkten machen. Mit fünf Filialen soll es losgehen. Von Nadine Michel.

PLÄNE DER„SCHLECKER“-FRAUEN

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Magazin

eunhundert Filialen.Das hatte ChristinaFrank einfach keineRuhe gelassen. 900 Filia-len der pleitegegangenenDrogeriemarktkette Schle-cker, denen es auch zum

Schluss wirtschaftlich noch gut ging.Die jährlich einen Umsatz von fünfhun-derttausend Euro erzielt haben. „Wirhaben die ganze Zeit versucht, dasswenigstens diese Filialen noch beliefertwerden“, sagt die Stuttgarter Gewerk-schaftssekretärin. Vergebens. Deshalbhat die Ver.di-Frau die Sache selbst indie Hand genommen.

Zusammen mit 35 ehemaligen Mit-arbeiterinnen von Schlecker will Frank

eine Genossenschaft gründen unddamit schaffen, woran andere geschei-tert sind: Den Schlecker-Frauen eineberufliche Zukunft bieten und indörflichen Regionen eine Nahversor-gung sicherstellen.

Frank sitzt auf einer Caféterrasse mitBlick auf den Bodensee. Eigentlich willsie hier, im baden-württembergischenMarkelfingen, zwei Tage abschalten.Einfach mal die Seele baumeln lassen.Den Stress aus Stuttgart vergessen. Die57-Jährige trägt ein sommerlich mitlila Blumen dekoriertes T-Shirt. SeitMonaten ist Frank im Dauereinsatz. Siekümmert sich um die entlassenenFrauen, berät sie, tröstet sie. Mit eini-gen von ihnen ist sie im Juni zur Gläu-

bigerversammlung gefahren, auf derdas endgültige Aus besiegelt wurde.„Da sind wir auch beim Anton vorbei-gefahren, weil wir mal sehen wollten,wie der so wohnt.“ Anton Schlecker istder Firmengründer. Gegen ihn ermitteltinzwischen die Staatsanwaltschaft.

Viele wollen einen Neuanfang Während am Wochenende schwere

Vorwürfe gegen Anton Schleckerbekannt werden, versucht Frank denFrauen am Bodensee etwas Ablenkungzu bieten. Sie sind in Markelfingen imJugendcamp des Deutschen Gewerk-schaftsbundes zusammengekommen.Direkt am Ufer, mit komfortablen Zel-

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ten auf einer großen Grünanlage. Dochnatürlich werden auch hier die Sorgenausgetauscht, bittere Erfahrungen mitdem Arbeitsamt geschildert. VieleFrauen seien nach ihrem ersten Besuchbei der Arbeitsagentur zu Frank ge-kommen. „Die wollten einen Neu-anfang, merkten aber, dass das danichts wird.“ Doch der engagiertenGewerkschafterin geht es nicht nur umdie Jobperspektive. Dass die Nahver-sorgung in dörflichen Regionen immerschlechter werde, sei bislang als Pro-blem viel zu stark ignoriert worden.„Da ist die Politik gefordert“, sagtFrank. Doch vom Wirtschaftsministe-rium habe sie nach einem Arbeits-gespräch nicht viel mehr erhalten alseinen Leitfaden. „Was darin steht,wussten wir zu dem Zeitpunkt allesschon selbst.“ Frank schwebt die Ideevor, aus den ehemaligen Schlecker-Läden Mini-Supermärkte zu machen, indenen neben Drogerieartikeln auchMilchprodukte angeboten werdensowie Obst, Gemüse, Fleisch und Brot.„Und dafür bekommen wir Unterstüt-zung von Seiten, von denen wir es garnicht gedacht hätten.“

Täglich telefoniert Frank mit Bürger-meistern, die die Genossenschaftfinanziell oder zumindest ideell unter-stützen wollen, um den einzigen Ladenvor Ort zu retten. Vermieter würden ihranbieten, die Miete zu senken, wennder Laden zeitnah wieder betriebenwürde. Viel Zeit wollen sich Frank undihre Mitstreiterinnen ohnehin nichtlassen. „In vier Wochen soll es die ersteVersammlung geben“, sagt Frank.Wenn, dann müssten die Filialen baldwieder öffnen. „Sonst ist es zu schwer,die Kunden wiederzugewinnen.“

Kosten werden geteilt Doch allein die jeweilige Markt- und

Standortanalyse kostet pro Filiale drei-tausend Euro. Für fünf Filialen, die derAnfang sein sollen, teilen sich dieKosten zu unterschiedlichen TeilenVer.di in Baden-Württemberg, dieEvangelische Betriebsseelsorge und diePartei Die Linke. Auch auf eine Aus-stattung könnte die Genossenschaftzurückgreifen. Der Insolvenzverwalterhabe den Frauen zugesagt, dass sie diezurückgebliebenen Regale, Kassenbän-der oder Faxgeräte übernehmen könn-ten. Würde also noch die Ware fehlen.

Doch auch um die macht sich Frankkeine Sorgen. „Wenn unser Business-plan gut ist, bekommen wir dieWaren.“ Frank, kurze, blondierte Haare,gibt den Takt vor. Wenn andere umihre Zukunft bangen, strahlt sie Ener-gie und Zuversicht aus. Zwei, die sichvon Anfang an mitreißen ließen, genie-ßen an diesem Wochenende auch dieRuhe am Bodensee. Karin Meinerz undBettina Meeh stehen unter einer Birkenahe dem Ufer. Wenn sie an die Tagezurückdenken, in denen das Aus derFirma besiegelt wurde, für die Meinerz11 und Meeh 19 Jahre gearbeitethaben, werden ihre Augen für einenkurzen Moment feucht. „Wir habenwirklich gehofft, dass es nach derersten Kündigungswelle im März nochweitergeht. Wir wurden aber ent-täuscht“, sagt Meinerz.

Doch eigentlich blicken sie geradelieber nach vorn. „Wir sind Kämpfer“,sagt Meeh. Und so wollen sie motiviertan die Gründung der Genossenschaftgehen. „Natürlich haben wir auchGedanken im Hinterkopf, ob das allesklappt, ob die Kunden wiederkommen,wie der Umsatz sein wird. Aber wirlassen uns nicht unterkriegen und wer-den das versuchen.“ Als wirklichen„Neustart“ wollen sie die Genossen-schaft aber nicht ansehen. „Wir sind esja gewohnt, im Laden zu stehen. Wirsind ja schon viele Jahre dabei“, sagtMeeh. Und auch das persönliche Risikosei gering, da sie nicht mit ihremPrivatvermögen haften werden.

Sie kennen ihre KundenDie Läden sollen jeweils als Mini-

GmbH an die Genossenschaft ange-schlossen werden. So könnten unren-table Filialen saniert werden, ohne dieExistenz der gesamten Genossenschaftzu gefährden. Für jede Filiale habendie Frauen versucht, so viele Daten wiemöglich zu sammeln. Inzwischen wis-sen sie, wie gut oder schlecht es umwelchen Laden stand. Und sie glaubenzu wissen, was insgesamt schiefgelau-fen ist. Ihr Vorteil: Sie kennen ihre Kun-den und deren Bedürfnisse. „Wir wür-den mit dem Sortiment auf die Leutezugehen, beispielsweise wenn wir wis-sen, dass nebenan eine Schule ist oderein Altenheim“, sagt Meinerz. „Wirwollen einfach mehr auf die Kunden-wünsche eingehen.“ Meeh ergänzt:„Wir wollten ja früher schon vieländern und haben nach einem ande-ren Sortiment gefragt, aber leider istdas nie umgesetzt worden.“

Eins wird auf jeden Fall geändert:der Name. Bisher gibt es nur einenArbeitstitel: „Geno SF – Genossen-schaft der Schlecker-Frauen“.Aber Schlecker soll das Ganze nichtmehr heißen.

Quelle: taz – die tageszeitung, 14. August2012.

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GEWINN FÜR ALLE

Genossenschaften als Wirtschaftsmodell derZukunft. Von Konny Gellenbeck.

Die WIRtschafter: Wo die Verkäufer auch Käufer sind,macht Betrug am Kunden keinen Sinn. Das genos-senschaftliche Wirtschaften hat dem kapitalistischenWettbewerb nicht nur diese Vertrauensbasis voraus:Vom gemeinsamen Ziel angetrieben, sind Genossen-schaften oft Innovationsmotoren. Und nicht seltenkoppeln sie ihr wirtschaftliches Handeln an ein politi-

sches Ziel. Was sich anhört wie ein paradiesischer Zustand, wird weltweitseit mehr als hundert Jahren täglich und erfolgreich umgesetzt. Dieses Buchzeigt, wie wir mit Genossenschaften den Kapitalismus überwinden können.Über die Autorin: Konny Gellenbeck ist seit 1996 für die taz Genossenschaft undihre über 10.000 Mitglieder zuständig. 2008 kam die gemeinnützige taz Panter-Stiftung dazu, deren Aufbau sie maßgeblich gestaltete.

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„WIR SIND DAS, WAS WIR ERINNERN“

Schreiben gegen das Vergessen am Beispiel kärntnerslowenischer Literatur. Von Rabia Emanzotti.

Am 14. April 1942, also vor mittlerweile 70 Jahren, begannen SS-Einheiten in Kärnten/Koroska mit der Depor-tation slowenischer Familien. Innerhalb von wenigen Stunden mussten die Menschen ihre Häuser verlassen und

wurden mit LKWs in Sammellager gebracht. Von dort aus erfolgte die Verschickung der rund 1000Kärntner SlowenInnen ins gesamte Reichsgebiet zur Zwangsarbeit. Angehörige der slowenischenMinderheit, die sich zu diesem Zeitpunkt oder schon vorher dem organisierten Widerstand gegendas NS-Regime angeschlossen hatten, wurden in Konzentrationslager deportiert. Unter dem Euphemismus „Aussiedlung von Slowenen aus Kärnten“, so der genaue Einsatzbefehl, fanddie nationalsozialistische Führung eine für sie praktikable Lösung der so genannten „Slowenenfrage“in Südkärnten. Die „Ausgesiedelten“ wurden als „volks- und staatsfeindlich“ erklärt, ihr Vermögenkonnte somit eingezogen und ihre Höfe Reichsdeutschen übergeben werden.

Das kürzlich im kitab-Verlag erschienene Werk der Literatur- und Politikwissenschaftlerin JudithGoetz „Bücher gegen das Vergessen – Kärntnerslowenische Literatur über Widerstand und Verfolgung“widmet sich zum einen (ausgewählter) Literatur von Kärntner SlowenInnen im Kontext der national-sozialistischen Vertreibung und liefert zum anderen wertvolle Informationen über eines der wenigbeachteten Kapiteln österreichischer Geschichte.

Dass es beispielsweise Kärntner SlowenInnen waren, die den militärisch wichtigs-ten Teil des Widerstandes gegen die Nazis auf österreichischen Boden geleistethaben, ist heute ebenso wenig bekannt wie gern gehört. Durch den geschichts-relativistischen Diskurs nach 1945 wurde – vor allem in Kärnten/Koroska – dasFeindbild der „heimatverräterischen Kärntner SlowenInnen“ aufgebaut und einegnadenlose Täter-Opfer-Umkehr betrieben, weshalb Partisanenwiderstand bisheute in Kärnten/Koroska verbunden ist mit Assoziationen wie „Heimatverrat“,„Banditen“ oder „Deutschenmörder“.

Kärntner SlowenInnen sind auch heute noch mit rassistischen Ressentiments, Ausgrenzung und mit-unter offenem Hass konfrontiert (Stichwort Ortstafelstreit). So verwundert es kaum, dass verschrift-lichte Erinnerungen von „ausgesiedelten“ Kärntner SlowenInnen oder ehemaligen PartisanInnen

bislang kaum Eingang in öffentliche Diskurse oder literarische Werke gefunden haben. Die Angst als ehemaligePartisanInnen oder KZ-Überlebende verachtet, beleidigt oder gar angegriffen zu werden, brachte viele jahrzehntelangzum Schweigen. Erinnerungen, Gedichte oder andere literarische Auseinandersetzungen mit der eigenen Geschichteentstanden oft im Verborgenen und wurden – wenn überhaupt – im kleinen Kreis weitererzählt. In vielen Fällendauerte es Jahre bis sich die Betroffenen dazu entschieden ihre Lebensgeschichten niederzuschreiben.

Mit Judith Goetz „Bücher gegen das Vergessen“ gelingt nicht nur ein vielschichtiger Einblick in unterschiedlicheSchicksale von Kärntner SlowenInnen während des Zweiten Weltkrieges sondern auch eine sensible Analyse derWerke der ausgewählten AutorInnen unter genauer Bedachtnahme der persönlichen Biografien und Lebenswelten.So waren beispielsweise Anton Haderlap und Franz Kukovica aufgrund ihres jungen Alters als so genannte Kinder-partisanInnen-Kuriere tätig, während die schon etwas ältere Jelka (= PartisanInnenname von Helene Kuhar) beiden PartisanInnen nicht nur eine Ausbildung erhielt, sondern auch als Leiterin der Antifaschistischen Frauenfrontaktiv am Kampf teilnahm.

Die Verschriftlichung der eigenen Biografie, Erinnerungen und Gedanken ist immer auch ein Akt von Selbstermäch-tigung und Teil des Verarbeitungsprozesses der jeweiligen AutorInnen. Neben unterschiedlichen Motivationen desSchreibens erzielt die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte zwei Ergebnisse: Zum einen werden eigene Traumataindividuell verarbeitet und persönlichen Sichtweisen Raum gegeben und zum anderen sind Erinnerungen einermarginalisierten Opfergruppe im Rahmen einer geschichtswissenschaftlichen Beschäftigung für die Nachwelt konser-viert und als Werkzeug „gegen das Vergessen“ einsetzbar.

„Bücher gegen das Vergessen“ lassen also jene zu Wort kommen, die verachtet, verdrängt, vertrieben oder getötetwurden und leisten so einen entscheidenden Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte eines Landes, das nach wievor gern die Rechte von Minderheiten mit Füssen tritt.

Die Autorin Goetz ermutigt die LeserInnen sich auf eine genaue Auseinandersetzung mit Erinnerungsliteratur allge-mein und speziell der von Kärntner SlowenInnen einzulassen und spannt eine Brücke zum Gedächtnis der vermeintlichvergessenen Minderheit der Kärntner SlowenInnen.

Zahlreiche Literaturverweise sowie eine Auflistung von Filmen und Theaterstücken werden dafür sorgen, dassdie Glut nicht ausgehen wird. Denn – Zitat der ehemaligen Partisanin Jelka: „Aus der kann einmal ein neuesFeuer werden.“

Und der verweigerten Anerkennung des Kampfes der PartisanInnen in Südkärnten ist man mit diesemBuch jedenfalls ein Stückchen näher gekommen.

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Buch

Judith Goetz. Bücher gegen das

Vergessen. Kärntnerslowenische

Literatur über Widerstand und

Verfolgung. Kitab-Verlag 2012

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Renate Schön ist tot

1956—2012

In Memoriam Harald Wosihnoj

GENTECHNIKKRITIKER, BÜRGERRECHTSAKTIVISTUND JOURNALIST

1961—2012

Harald Wosihnoj war in den 80er Jahren Mitbegründer des Gen-ethischenNetzwerkes Österreich (GeN). Er war Aktivist und Journalist, der über viele Jahresehr viele mit Informationen über die Risiken der Gen-und Biotechnologieversorgt und sie damit aufweckt hat. Vielfach seiner Zeit weit voraus hat er denKeimling gesetzt, der dann 10 Jahre später zum Gentechnikvolksbegehren führteund Österreichs Positionierung als „gentechnikfreie Zone“ zumparteiübergreifenden politischen Allgemeingut machte.

Die Einrichtung einer parlamentarischen Enquete-Kommission zur Gentechnikging auch auf Harald und seine Tätigkeit als Politikberater zurück. Er hat sichdafür verwendet, dass Behindertenverbände bei der Diskussion über dieAuswirkungen der Genanalyse einbezogen werden, dass NGOs in Bezug auf dieUmwelt anzuhören sind, oder dass bäuerliche Initiativen ihre alternativenZukunftsstrategien einbringen konnten.

Später widmete sich Harald Wosihnoj auch im Zusammenwirken mit seinemBrotberuf als IT-Fachmann anderen demokratiepolitisch brisanten Themen: Er warMitbegründer und erster Präsident des Vereins „quintessenz“ und beschäftigtesich in diesem Kontext mit dem Überwachungsstaat und den Bürgerrechten imInformationszeitalter. Zahlreiche Projekte und Kampagnen wurden von ihminitiiert und unterstützt: Protestaktion „Ein Land geht offline“; Linux und OpenSource Veranstaltungen; Kampagnen gegen Softwarepatente; „Big Brother AwardÖsterreich“. Die digitalen Bürgerrechte wurden auch Teil seines journalistischenEngagements beim Falter oder in der Future Zone des ORF.

Harald hat durch sein persönliches Engagement viele zum Nachdenken und zumHandeln angeregt und in einer Zeit der aufkommenden Bewegung vonBürgerinitiativen einen entscheidenden Beitrag zur Stärkung der Zivilgesellschaftgeleistet – Harald, Du hast unser Land ein wenig demokratischer gemacht.Wir danken Dir.

Deine langjährigen MitstreiterInnen

Meine Wegbegleiterin seit den ersten KIV-Tagen, Renate Schön, ist am 13. Juli im SMZ Südgestorben. „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ Das warRenates Lieblingsspruch. Und nach diesem Motto hat sie auch gelebt. Als Personal-vertreterin, als Gewerkschafterin im Bundesvorstand und im Präsidium der Gewerkschaftder Gemeindebediensteten. Und auch privat im Umgang mit den 16 Jahren ihrer schwerenErkrankung, die sie lange Zeit nicht an ihrer engagierten Arbeit gehindert hat. Unver-gessen, wie sie einmal in einer Sitzung mit den Granden der GdG kurzerhand „das Ende derDemokratie“ konstatiert hat.

Renate war eine mutige Frau. 1978 hat sie erstmals für die KIV kandidiert. Blutjung undknapp einige Monate nach ihrem Diensteintritt als Sozialarbeiterin bei der Stadt Wien.Vor allem ihrem unermüdlichen Einsatz und ihrer Kontaktfähigkeit war es zu danken, dassdie KIV nach 30 Jahren erstmals die Mehrheit in ihrem Dienstellenausschuss errang. Ihregrößte Enttäuschung war sicher, dass ihr Nachfolger bei der nächsten Wahl aus faden-scheinigen Gründen zur FSG wechselte.

Als die Entwicklungen im ÖGB dazu führten, dass wir einen Verein gründen mussten, wurdesie Vorsitzende der KIV. Nach ihrer Versetzung in den Ruhestand haben wir sie wegen ihrerstarken Verbundenheit zur „Ehrenvorsitzenden“ gemacht. Ein gewisser Paradigmenwechselin der KIV, in der solche „Formalitäten“ lange Zeit eher verpönt waren.

Soweit es ihr Gesundheitszustand zuließ, hat sie auch noch nach Aufgabe ihrer Funktionenam KIV-Leben teilgenommen und sich bei den KIV-Plena eingebracht. Zuletzt war das nichtmehr möglich. Noch am Mittwoch hat sie im Krankenhaus angekündigt, am Freitag nachHause zu gehen. In gewissem Sinn ist das auch geschehen...

Menschen wie Renate gibt es kaum mehr – auch nicht in der KIV. Ich tröste mich damit,dass ihr Ableben so etwas wie Erlösung war. Das ist ein sehr kopflastiger Trost.Es überwiegt die Trauer.

Renate wurde am 1. August am Wiener Zentralfriedhof begraben.

Alfred Bastecky

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Chronologie einer schweren Geburt; Dezember 1997 � Die Zukunft der Arbeit und der Gewerkschaften; Jänner 1998 � Für eine Arbeitsplatz- Offensive im öffentlichen Dienst; November 1999 � Ergebnisse der Zentralbetriebsratswahlen im Arbeitsmarktservice; Dezember 1999 � Regierungmuss bestehende Verträge der Eisenbahner einhalten; Juni 2000 � Budget der Grausamkeiten: Raus auf die Straße statt rein in den Sparwahn;November 2000 � Urabstimmung muss für Kampfmaßnahmen mobilisieren; Juli 2001 � Unabhängige Liste „we4you/UG“ bei Telekom auf Anhiebdrittstärkste Fraktion; November 2001 � Jetzt raus auf die Straße, Gewerkschaften; April 2003; � Direktwahl der ÖGB-Spitze durch Gewerk-schaftsmitglieder; Oktober 2003 � Mit Sparen im Bildungsbereich muss Schluss sein; Oktober 2003 � Solidaritätsfrühstück mit streikenden ÖBB-ArbeitnehmerInnen; November 2003 � Keine weißen Flecken in Arbeiterkammer mehr; April 2004 � Klare Absage an Richtungsgewerkschaften;Juni 2004 � Wahlerfolg Unabhängiger GewerkschafterInnen bei BAWAG; Juni 2004 � Personalvertretungs-Wahlen sind fulminanter Wahlerfolg– UGöD ist klar dritte Kraft; November 2004 �

UGÖD solidarisch mit Forum Boku-Wien;November 2005 � Kein BAWAG-Verkauf aufZuruf; März 2006 � Haber - zettel-Vorstoß zuDirektwahl der Gewerk- schaftsspitzen begrü-ßenswert; April 2006 � Unabhängige Gewerk-schafterInnen starten Initia- tive „Gewerkschafts-demokratie jetzt!“; April 2006 � ÖGB-neu mussGÖD-Reform einschließen; Mai 2006 � Überparteilicher ÖGB-Präsident oder sozial-demokratischer Funktionär?; Juli 2006 � Jetzt Mitglieder- demokratie im ÖGB stär-ken; Oktober 2006 � Bedauern Scheitern des Ein-Gewerk- schaft-Modells; November2006 � Mit Reformplänen wenig zufrieden; Jänner 2007 � Grünes Licht für Ilisu istschwarzer Tag für Menschenrechte und Umwelt; März 2007 � Auslaufen lassen der Erb-schaftssteuer völlig falsches verteilungspolitisches Signal; März 2007 � Skepsis gegenüberBuchingers Negativsteuerplänen; April 2007 � Die Arbeitszeitflexibilisierung ist da – wo bleibt dieArbeitszeitverkürzung?; Mai 2007 � Wiener Stadtregierung plant Demontage des Gesundheitsamtes; Mai2007 � UG startet Initia- tive „Noch länger arbeiten? Nein danke!“; Mai 2007 � Schulfeste Stellen fürLehrerInnen weder „Zuckerl“ noch „Privileg“; Juni 2007 � ÖAAB soll Spendengelder der Indus-triellenvereinigung of fenlegen; Juni 2007 � 1000 Euro Mindestlohnwichtiger – aller- dings nur erster Schritt; Juli 2007 � Mit -arbei ter In nen betei - lig ung nur wenig geeignetes Mittel zugerechterer Ein- kommensverteilung; August 2007 � Seien wirrealistisch – for- dern wir plus 10 Prozent, Mindestbetrag Euro 200 für alle; Oktober 2007 � Neinder Arbeiterkammer zu Ökostromförderung heißt „Nein“ zu zehntausenden neuen Arbeitsplätzen mitZukunft; November 2007 � Inak zeptable Verschärfungen für Erwerbsarbeitslose im Rahmen der AlVG-Novelle; Dezember 2007 � EU-Reformvertrag: UG fordert Volksabstimmung; Dezember 2007 � Zer-schlagung der ÖBB war schwerer politischer Fehler von ÖVP/FPÖ/BZÖ; Jänner 2008 � Jetzt Entlastung derunteren und mittleren Einkommen angehen, statt Erb- und Schenkungssteuer abschaffen; Feber 2008 �ÖGB, AK-Steuerpapier: „Wo bleibt Gegenfinanzierung?“; April 2008 � Mehr Personal für das WienerJugendamt – Öffentliche Aktion vor Wiener Rathaus; Mai 2008 � EU-Arbeits zeitrichtlinie: „Zeiträuber weiter unterwegs“; Juni 2008 � UGöDunterstützt Kampfmaßnahmen der Ärzt Innen; Juni 2008 � Finanztransaktions steuer: „Ausreden zählen nicht mehr – jetzt Börsenumsatzsteuerwieder einführen“; Oktober 2008 � Betriebsrats - wahlen im Fonds Soziales Wien: „KIV/UG gewinnt, was zu gewin-nen war“; November 2008 � Armuts- und Reich- tumsbericht: „Es braucht mehr Mut zu Umverteilung“; Jänner 2009� „Gra tiskindergarten“ in Wien: Bildungsoffensive Ja! Noch mehr Belastung für das Personal Nein!; März 2009 �UGöD fordert Konjunkturpakete in Bereichen Bil- dung, Soziales und Gesundheit; März 2009 � “AUGE/UG als vierteKraft in der Arbeiterkammer fest verankert; April 2009 � Klares Nein zu „Rosinen“-Zügen; April 2009 � Schluss mit PendlerInnenschröpfung –Wir zahlen auch nicht die Krise der ÖBB; April 2009 � Fehler bei Bankenrettungspaket drohen sich nun bei Unternehmenspaket zu wiederholen;Juni 2009 � Her mit dem sozial-ökologischen Konjunkturpaket III; Juni 2009 � Vorarlberg: Unabhängige GewerkschafterInnen sind ÖGB-Fraktion;Juni 2009 � Buch: Fünfzig Seiten geben Einblick in die drittstärkste ÖGB-Fraktion; Juni 2009 � Freiheitliche gehören isoliert, nicht integriert; Juli2009 � Unabhängige GewerkschafterInnen erfreut über Ausstieg aus Ilisu Staudammprojekt; Juli 2009 � SPÖ-Stadt -regierung aufgefordert, AK-Beschluss „Nein zu Krankenstands-Rückkehrgesprächen“ umgehend umzusetzen; November2009 � Wer von Leis- tungsgerechtigkeit spricht, muss vor allem Vermögenssteuern fordern; November 2009 �Personal vertretungs- Wahlen: UGöD steht nun bei 7,52 Prozent Stimmanteil; November 2009 � Soziale Arbeit ist„mehr wert“ – und bringt hohen gesellschaftlichen Mehrwert; Jänner 2010 � Unter- sagung der Demonstrationgegen WKR-Ball vollkommen inakzeptabel; Jänner 2010 � Frauentag aktueller denn je; März 2010 � Nur kurze „Ver-schnaufpause“ für die Nebenbahnen?; März 2010 � Arbeit „fair“ teilen – Arbeitszeit „fair“ kürzen; April 2010 �KIV/UG klar zweite Kraft bei Wiener Gemeindebediensteten; Mai 2010 � BRAK/UG ist stimmenstärkste Fraktion imBetriebsrat der Nationalbibliothek; Mai 2010 � Burn-Out: Es braucht Maßnahmen in Betrieben und leistbare Psychotherapieangebote für Betroffene;Juli 2010 � Unabhängige GewerkschafterInnen rufen zu Teilnahme an „Krötenwanderung!“ auf; September 2010 � Volle Solidarität mit StudentInnenim Kampf gegen Einsparungen im Bildungs- und Familienbereich; Oktober 2010 � Unabhängige GewerkschafterInnen unterstützen Plattform„Zukunftsbudget“; November 2010 � LehrerInnenbildung braucht grundlegende Verbesserung – nicht erst seit PISA; Dezember 2010 � Protestgegen 385 Änderungskündigungen bei Sozial Global; Feber 2011 � Wer in Österreich lebt, muss hier arbeiten dürfen – illegale Beschäftigungsver-hältnisse legalisieren; März 2011 � Noch bis 7. März – Volksbegehren „Raus aus EURATOM“ unterschreiben; März 2011 � In vestitionen in Bildungund Soziale Dienste statt Spardiktat; Mai 2011 � Anteilnahme mit den norwegischen KollegInnen; Juli 2011 � Rechtsaußen bleibt Rechtsaußen,autoritär bleibt autoritär, FP bleibt FP; August 2011 � Für Gleichberechtigung und das Menschenrecht auf Bildung –ÖLI/UG unterstützt Bildungsvolks - begehren; September 2011 � Unabhängige GewerkschafterInnen des öffentli-chen Dienstes fordern fünf Prozent – Mindestbetrag 120 Euro; Oktober 2011 � Schuldenbremse: Fokus auf „Staats-schuldenkrise“ trübt Blick auf wahre Krisenursachen und deren nachhaltige Bewältigung; November 2011 � KeineORF-Reform auf Kosten demokratischer Mitbestimmungsrechte der Belegschaftsvertretung; Jänner 2012 � Chance auf mehr soziale Gerechtigkeitund ökologischen Umbau vertan; Feber 2012 � Hände weg von der Bundesanstalt für Bergbauernfragen; März 2012 � AUGE/UG und KIV/UGladen zum „Sozialgipfel Reloaded“; März 2012 � Für verpflichtende Sozial- und Umweltbilanzen, gegen EU-Fiskalpakt und Nulllohnrunden; April2012 � Arbeiterkammer Niederösterreich ist aufgefordert, gegen Schiefergas- und Tight Oil-Bohrungenim Weinviertel Stellung zu beziehen; Mai 2012 � Bank Austria: Bei den Betriebsratswahlen gab es fürdie Unabhängigen GewerkschafterInnen einen tollen Erfolg; Mai 2012 � Solidarität mit den WienerAbfallberaterInnen in ihrem Kampf für faire Arbeits- und Einkommensbedingungen; Juli 2012. Zeitung der UG

FestFreitag, 28. September 2012,Einlass: 18 Uhr, SchutzhausZukunft, Verlängerte Gunt-herstraße, (Öffentliche Ver-kehrsmittel: Linien 9, 48A)

Programm:> Reinhart Sellner (guitar &vocals) & Ernst Eigenbauer(lyrics)> Wiener Beschwerdechor> DJane Ulli Fuchs & guests

ALLE UG-LERINNEN UNDF R E U N D I N N E N S I N DHERZLICH WILLKOMMEN!

JAHRE15