Angewandte Physik - kolter.de · 2.1.2 Kinematische Herleitung der Differentialgleichung der...

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Universität der Bundeswehr München Studiengang Mechanical Engineering (B. Eng.) Prof. Dr. K. Uhlmann Angewandte Physik als Manuskript gedruckt Gliederung 1. EINFÜHRUNG 3 1.1 Programm und Methode der Physik 3 1.2 Physikalische Größen, Größengleichungen 4 1.3 Kontrollfragen 7 2. SCHWINGUNGEN 8 2.1 Die freie ungedämpfte Schwingung 8 2.1.1 Die Kinematik der harmonischen Schwingung 8 2.1.2 Kinematische Herleitung der Differentialgleichung der harmonischen Schwingung 10 2.1.3 Die Newton’sche Bewegungsgleichung für den harmonischen Oszillator 11 2.1.4 Energiebetrachtung für den harmonischen Oszillator 12 2.1.5 Verschiedene schwingungsfähige Systeme 15 2.1.6 Überlagerung von Schwingungen 18 2.2 Die freie gedämpfte Schwingung 21 2.3 Die erzwungene Schwingung 27 2.4 Gekoppelte Oszillatoren 34 2.5 Kontrollfragen 36 3. WELLEN 37 3.1 Allgemeine Eigenschaften von Wellen, Wellengleichung und Wellenfunktion 37 3.2 Überlagerung von Wellen - Interferenz, stehende Wellen 42 3.3 Interferenz zweier ebener Wellensysteme 46 3.4 Vielfachinterferenz 48 3.5 Beugung 52 3.6 Reflexion, Brechung, Totalreflexion 56 3.7 Kontrollfragen 59 4. AKUSTIK 61 4.1 Einführung 61 4.2 Schallwellen 61 4.2.1 Schall als Wellenerscheinung, Schallausbreitung 61 4.2.2 Schallfeldgrößen 63 4.2.3 Schallquellen 66 4.2.4 Schallpegel 66 4.2.5 Physiologische Akustik, bewertete Schallpegel 68 4.2.6 Musikalische Akustik 69 4.3 Der akustische Doppler-Effekt 72 4.4 Kontrollfragen 74 5. WÄRMESTRAHLUNG 75 5.1 Das Spektrum der elektromagnetischen Strahlung 75 5.2 Definition von Strahlungsgrößen 75 5.3 Die Strahlung des schwarzen Körpers 77 5.3.1 Spezifische Ausstrahlung und Absorptionsgrad 77 5.3.2 Der schwarzer Körper 78 5.3.3 Das Kirchhoff’sche Strahlungsgesetz 78

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Universität der Bundeswehr München Studiengang Mechanical Engineering (B. Eng.) Prof. Dr. K. Uhlmann

Angewandte Physik

als Manuskript gedruckt

Gliederung

1. EINFÜHRUNG 3 1.1 Programm und Methode der Physik 3 1.2 Physikalische Größen, Größengleichungen 4 1.3 Kontrollfragen 7

2. SCHWINGUNGEN 8 2.1 Die freie ungedämpfte Schwingung 8 2.1.1 Die Kinematik der harmonischen Schwingung 8 2.1.2 Kinematische Herleitung der Differentialgleichung der harmonischen

Schwingung 10 2.1.3 Die Newton’sche Bewegungsgleichung für den harmonischen Oszillator 11 2.1.4 Energiebetrachtung für den harmonischen Oszillator 12 2.1.5 Verschiedene schwingungsfähige Systeme 15 2.1.6 Überlagerung von Schwingungen 18 2.2 Die freie gedämpfte Schwingung 21 2.3 Die erzwungene Schwingung 27 2.4 Gekoppelte Oszillatoren 34 2.5 Kontrollfragen 36

3. WELLEN 37 3.1 Allgemeine Eigenschaften von Wellen, Wellengleichung und

Wellenfunktion 37 3.2 Überlagerung von Wellen - Interferenz, stehende Wellen 42 3.3 Interferenz zweier ebener Wellensysteme 46 3.4 Vielfachinterferenz 48 3.5 Beugung 52 3.6 Reflexion, Brechung, Totalreflexion 56 3.7 Kontrollfragen 59

4. AKUSTIK 61 4.1 Einführung 61 4.2 Schallwellen 61 4.2.1 Schall als Wellenerscheinung, Schallausbreitung 61 4.2.2 Schallfeldgrößen 63 4.2.3 Schallquellen 66 4.2.4 Schallpegel 66 4.2.5 Physiologische Akustik, bewertete Schallpegel 68 4.2.6 Musikalische Akustik 69 4.3 Der akustische Doppler-Effekt 72 4.4 Kontrollfragen 74

5. WÄRMESTRAHLUNG 75 5.1 Das Spektrum der elektromagnetischen Strahlung 75 5.2 Definition von Strahlungsgrößen 75 5.3 Die Strahlung des schwarzen Körpers 77 5.3.1 Spezifische Ausstrahlung und Absorptionsgrad 77 5.3.2 Der schwarzer Körper 78 5.3.3 Das Kirchhoff’sche Strahlungsgesetz 78

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5.3.4 Die spektrale Energieverteilung der schwarzen Strahlung 80 5.4 Kontrollfragen 82

6. PHOTOMETRIE 83 6.1 Strahlungsgrößen und lichttechnische (photometrische) Größen 83 6.2 Das photometrische Grundgesetz 86 6.3 Kontrollfragen 89

7. ATOMPHYSIK 91 7.1 Atommodelle 91 7.2 Das Linienspektrum des atomaren Wasserstoffs 92 7.3 Das Bohr’sche Atommodell 92 7.4 Kontrollfragen 95

8. TEILCHEN-WELLE-DUALISMUS 96 8.1 Teilchencharakter elektromagnetischer Strahlung 96 8.1.1 Photoeffekt 96 8.1.2 Compton-Effekt 98 8.2 Wellencharakter von Teilchen - Materiewellen 99 8.3 Wellenmechanik 101 8.3.1 Die Schrödinger-Gleichung 101 8.3.2 Folgerungen aus der Schrödinger-Gleichung 102 8.3.3 Die Heisenberg’sche Unschärferelation 103 8.4 Zusammenfassung: Hauptetappen auf dem Weg zur Erkenntnis der

Mikrowelt 103 8.5 Kontrollfragen 104

9. DIE SPEZIELLE RELATIVITÄTSTHEORIE 105 9.1 Historie 105 9.2 Wesentliche Folgerungen aus der Lorentz-Transformation 106 9.3 Äquivalenz von Masse und Energie 107 9.4 Relativistische Bewegungsgleichung 108 9.5 Kontrollfragen 109

10. KERNPHYSIK 110 10.1 Geschichtlicher Abriss: Entdeckung der Radioaktivität, Kernmodelle,

Elementarteilchen 110 10.2 Radioaktivität, Strahlung natürlicher Radionuklide 112 10.2.1 Nukleonen und Nuklide 112 10.2.2 Bindungsenergie und Kernmassendefekt 113 10.2.3 Kernumwandlungen, Strahlung natürlicher Radionuklide 114 10.2.4 Zerfallsgesetz, Aktivität 119 10.2.5 Kernreaktionen, induzierte Kernspaltung 121 10.3 Abschirmung radioaktiver Strahlung 123 10.4 Kontrollfragen 125

Herbsttrimester 2007

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1. EINFÜHRUNG

1.1 Programm und Methode der Physik Physikalisches Programm1: Beobachtung aller Vorgänge in der materiellen Welt, ihre Beschreibung und gedankliche Durchdringung mit den logisch strengen Methoden der Mathematik.

Methode der Physik2:

allgemeines Gesetz

konkrete Einzelfälle

Beobachtung, Messung

konkreteSituation

logischer Schritt(mathematischeAbleitung)

ErklärungVorhersage

Vergleichmit der Wirklichkeit

Wirklichkeit

Überprüfung, Erweiterung bzw. Einschränkung der Gültigkeit

Induktion Deduktion

• Physik setzt voraus, dass es eine Außenwelt gibt, die unabhängig vom Physiker und seinen Experimenten und Überlegungen existiert und dass diese Außenwelt grundsätzlich erkennbar ist.

• Physikalische Gesetze haben allgemeinen Charakter. Sie stellen die Extrapolatio-nen der Erfahrung dar und sind prinzipiell unbeweisbar. Sie sind aber gegebenen-falls experimentell widerlegbar.

• Die Ergebnisse physikalischer Überlegung müssen im Experiment bestätigt wer-den.

• Es gibt keine Beschränkung von den zu beschreibenden Inhalten (z.B. Beschrän-kung auf unbelebte Natur). Die Beschränkung ergibt sich aus der Forderung nach quantitativer, mathematischer Beschreibung. Komplexe Vorgänge wie in der Bio-

1 W. Macke: Mechanik der Teilchen, Systeme und Kontinua, Akademische Verlagsgesellschaft Geest & Portig, Leipzig 1962 2 ausführliche Erklärungen dazu finden sich in: K. Simonyi: Kulturgeschichte der Physik, Urania-Verlag, Leip-zig, Jena, Berlin 1990

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logie lassen sich einstweilen nicht mit physikalischen Methoden behandeln. Die Grenzen sind fließend wie im Beispiel Quantenchemie.

• Aus dem physikalischen Programm und der Methode der Physik ergibt sich das be-sondere Verhältnis zur Mathematik. Physik kann nicht ohne Mathematik betrieben werden.

• Die Physik arbeitet mit Modellen und Vereinfachungen. Sie dienen der Zerlegung komplizierter Zusammenhänge.

Beispiel - Experimente zum Fallgesetz:

Lässt man ein Stück Kreide und einen trockenen Lappen gleichzeitig fallen, erreichen sie nicht gleichzeitig den Hörsaalboden. Aus dem Versuch kann nicht auf das Fallgesetz ge-schlossen werden, da der Luftwiderstand das Ergebnis wesentlich beeinflusst. Um zu einer vom Luftwiderstand unabhängigen Aussage zu gelangen, muss man den Versuch z.B. in ei-ner evakuierten Röhre durchführen.

Im Rahmen von Modellvorstellungen beschränkt man sich auf die zur Beschreibung eines bestimmten Sachverhaltes notwendigen Eigenschaften. Eine solche Modell-vorstellung, die in der Mechanik verwendet wird, ist z.B. der Massepunkt. Ein Massepunkt hat eine endliche Masse m, jedoch (als Punkt) keine Ausdehnung. Es kann also tatsächlich keinen Massepunkt geben. Es gibt aber eine große Zahl von Systemen, die sich näherungsweise als Massepunkte behandeln lassen.

Wozu braucht der Ingenieur Physik? Die Physik ist praktisch die Lebensgrundlage des Ingenieurs. Viele Ingenieurdisziplinen sind aus Teilgebieten der Physik hervorgegangen. In den technischen Fächern wird ebenfalls mit der Methode der Physik gearbeitet. Meist verwendet der Ingenieur die physikalischen Sach-verhalte in zugeschnittener Form (z.B. als Technische Mechanik, Elektrotechnik).

Die Ausbildung in Physik ist daher notwendig, um die Methodik der Lösung von Aufgaben auf deduktivem Weg und das Erfassen von Eigenschaften und Zusammenhängen durch Mes-sung zu erlernen und zu üben. Außerdem soll Wissen vermittelt werden, das über den unmit-telbaren Bereich des gewählten Fachgebietes hinausgeht, da man bei der Bearbeitung kom-plexer Sachverhalte häufig mit Problemen konfrontiert wird, die nur interdisziplinär zu lösen sind.

1.2 Physikalische Größen, Größengleichungen

Die Beschreibung eines physikalischen Sachverhaltes erfordert ein eindeutiges Begriffssys-tem. Die verwendeten Begriffe sind der Umgangssprache entlehnt und entsprechend ver-feinert und präzisiert.

Für die quantitative Beschreibung eines Sachverhaltes müssen physikalische Größen gemes-sen werden.

Experiment Beschreibung eines Objektes (z.B. Apfel, Banane o. ä.): Man muss sich über bestimmte Eigenschaften klar sein, wenn die Beschreibung nachvoll-ziehbar sein soll: Wägung, Messung von Länge, Durchmesser o. ä. Zur Bestimmung dieser Eigenschaften verwendet man Gegenstände mit bekannten Eigen-schaften. Beispiel: Man verwendet Kastanien, um das Gewicht eines Apfels zu bestimmen. → Ein Apfel wiegt so viel wie 11 Kastanien.

Messung bedeutet Vergleich mit einem vorher festgelegten Maßstab. Dieser kann ein Pro-totyp (Etalon) oder eine Messvorschrift sein.

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Eine Physikalische Größe G setzt sich zusammen aus dem Zahlenwert G und der Einheit [G].

G = G . [G] z.B.: l = 3,12 m

Der Zahlenwert gibt an, welches Vielfache (bzw. welcher Bruchteil) der Maßeinheit die zu messende Größe ist.

Die Maßeinheit richtet sich nach der Art der physikalischen Größe.

In unserem Versuch wurde das Gewicht in der Einheit „Kastanien“ angegeben. Diese Angabe hat natürlich nur einen begrenzten Nutzen, da die Wägung nicht an anderer Stelle nachvollzo-gen werden könnte. Will man eine reproduzierbare Messung durchführen, muss man entspre-chende Prototypen festlegen, nach deren Vorbild alle Messgeräte angefertigt werden. Zu-nächst definierte jedes Land für sich die entsprechenden Maßeinheiten. Mit zunehmendem Warenaustausch ergaben sich aber im 19. Jahrhundert Probleme, die vielen landesspezifi-schen Einheiten erschwerten die Kommunikation und den Warenaustausch.

Meilen

antikes Rom 1.479 m deutsche geographische Meile 15

1 Äquatorialgrad 7.420,4 m

metrische Meile 7.500 m Baden 8.900 m Preußen 7.532,5 m Sachsen 9.062 m Württemberg 7.448,7 m Schweden 10.688,44 m Österreich 7.586,66 m British mile 1.609,34 m

Ein erster Schritt zur Vereinheitlichung war die Meterkonvention 1875.

Seit einigen Jahren wird das internationale Einheitensystem (SI = Système International d’Unités) verwendet.

Auf der 10. Generalkonferenz des „Internationalen Komitees für Maß und Gewicht (CGPM)“ 1954, der damals 40 Länder angehörten, wurden die sechs Basiseinheiten festgelegt. In den Jahren 1967 bis 1983 einigte man sich über die abgeleiteten SI-Einheiten. Seit 1986 ist das SI in der Bundesrepublik Deutschland gesetzlich verankert. Es werden aber immer noch in einzelnen Fachgebieten vom SI abweichende Maßeinheiten verwendet.

Basiseinheiten des SI Einheit der Länge Meter m

Einheit der Zeit Sekunde s

Einheit der Masse Kilogramm kg

Einheit der elektrischen Stromstärke Ampere A

Einheit der Temperatur Kelvin K

Einheit der Stoffmenge Mol mol

Einheit der Lichtstärke Candela cd

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Physikalische Größen, die sich mit diesen Basiseinheiten darstellen lassen, heißen Basisgrö-ßen. Basisgrößen sind also durch die Beschreibung von experimentellen Anordnungen oder Messvorschriften definiert.

Alle anderen Größen sind abgeleitete Größen. Abgeleitete Größen sind durch Gleichungen definiert.

z.B.: Geschwindigkeit tsv = Kraft amF rr

⋅=

Die Einheiten der abgeleiteten Größen sind abgeleitete Einheiten. Dabei unterscheidet man zwischen kohärenten Einheiten, die aus den Basiseinheiten nur mit dem Faktor 1 abgeleitet sind

z.B. Geschwindigkeit [ ]sm

=v elektrische Spannung [ ] 3

2

sAmkg

⋅⋅

=U

und

nichtkohärenten Einheiten, die von 1 verschiedene Faktoren benötigen

z.B. Geschwindigkeit sm

6,31

hkm1 =

Ergänzende SI-Einheiten sind die Einheiten Radiant (rad = 1) für den ebenen Winkel und Steradiant (sr = 1) für den Raumwinkel.

Vielfache und Teile der Einheiten werden durch Vorsätze gekennzeichnet. Dabei werden bevorzugt Vielfache verwendet, die ganzzahlige Potenzen von 1000 sind.

z.B. 1000 m = 1 km

1012 W = 1 TW

10-12 F = 1 pF

10-15 m = 1 fm

Nur in Ausnahmefällen sind andere Vorsätze zulässig (z.B. 100 l = 1 hl).

Physikalische Gleichungen

Die Größengleichung

• enthält die Symbole physikalischer Größen, d.h. das Produkt aus Zahlenwert und Einheit;

• ist unabhängig von der Wahl der Maßeinheit.

z.B. tsv =

Es können hier beliebige Einheiten für v, s und t eingesetzt werden. Wird s z.B. in Meilen angegeben, dann erhält z.B. v die Einheit Meilen / Stunde.

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Die Zugeschnittene Größengleichung

• enthält die Quotienten aus Größe und Einheit (Zahlenwerte)

z.B. 15,273CK o +=

ϑT

Die Zahlenwertgleichung

• enthält nur den Zahlenwert der Größen. Die Einheiten sind in einer Legende vorge-schrieben.

z.B. s v=1

3 6,t⋅ mit

1.3 Kontrollfragen

1. Was sind physikalische Größen

2. Wodurch unterscheidet sich ein

3. Was sind Größengleichungen?

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s: Weg in Metern v: Geschwindigkeit in km/ht: Zeit in Sekunden

?

e Basisgröße von einer abgeleiteten Größe?

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2. SCHWINGUNGEN

2.1 Die freie ungedämpfte Schwingung

2.1.1 Die Kinematik der harmonischen Schwingung Was ist eine Schwingung?

Experiment verschiedene Oszillatoren: Es werden mechanische und elektrische Systeme vorgeführt, die Schwingungen ausführen: Federpendel, schwingende Blattfeder, elektrischer Schwingkreis. Wir erkennen, was wir als Schwingung bezeichnen.

Unter Schwingung versteht man die zeitlich periodische Änderung einer physikalischen Größe.

Wird einem schwingungsfähigen System kurzzeitig Energie z.B. durch Anstoßen zugeführt, und dieses dann sich selbst überlassen, so führt es eine freie Schwingung aus. Im Gegensatz dazu steht die erzwungene Schwingung (s. Abschnitt 2.3), bei der dem schwingungsfähigen System periodisch Energie zugeführt wird.

Die harmonische Schwingung ist die einfachste Form einer Schwingung.

Experiment harmonische Schwingung: Die Schwingung eines Federpendels wird mit der Projektion der Bewegung eines auf einer rotierenden Scheibe umlaufenden Stiftes verglichen. Wir erkennen: Der Weg-Zeit-Verlauf der Projektion des auf einer Kreisbahn umlaufenden Stiftes stimmt mit dem der Federschwingung gut überein. Die Federschwingung lässt sich mit einer Kreisbewegung beschreiben.

Schwingungen, die einen zeitlichen Verlauf wie die des Federpendels haben, nennt man har-monische Schwingung.

Die harmonische Schwingung lässt sich mit einer Kreisbewegung beschreiben:

Ein Massepunkt bewegt sich auf einer Kreisbahn entgegen dem Uhrzeigersinn (in mathematisch positiver Drehrichtung).

Die Winkelgeschwindigkeit 0ω ist konstant. In der Zeit t wird der Winkel t⋅0ω durchlaufen. Inner-halb der Zeit T0 wird ein voller Umlauf zurückgelegt. Der entspre-chende Drehwinkel ist 2π:

πω 200 =⋅T

Für den Vektor rr gilt:

yxyx sincos eAeAeyexr rrrrr⋅⋅+⋅⋅=+= ϕϕ mit 00 rrrrA rr

====

( ) 00 ϕωϕϕ +⋅== tt

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damit wird

( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) yx

y00x00 sincos

etyetxtr

etAetAtrrrr

rrr

⋅+⋅=

⋅+⋅⋅+⋅+⋅⋅= ϕωϕω

x(t) und y(t) sind die Projektionen des Radiusvektors auf die beiden Koordinatenachsen.

0 T0/2 T0 -T0/2

-T0/2 0 T0/2 T0

A

A

0

0

-A

-A

−ϕω

0

0

( ) ( )00cos ϕω += tAtx

( ) ( )00sin ϕω += tAty

t

t

x(t)

y(t)

Die Projektion des Massepunktes auf die y- bzw. x-Achse läuft jeweils zwischen A und -A hin und her.

Dabei sind: Schwingungsdauer 0T

A Amplitude der Schwingung

0ω Kreisfrequenz der Schwingung

( ) 00 ϕωϕ += tt Phase der Schwingung

0ϕ Anfangsphase (Nullphase)

Experiment schwingende Blattfeder: Eine Blattfeder ist mit einem Spiegel versehen, der mit einem Lichtstrahl beleuchtet wird. Versetzt man die Blattfeder in Schwingung, bewegt sich der reflektierte Lichtstrahl auf und ab. Ein mit konstanter Winkelgeschwindigkeit rotierender Drehspiegel lenkt den reflektier-ten Strahl horizontal ab, sodass der zeitliche Verlauf der Schwingung sichtbar gemacht wird. Der zeitliche Verlauf der Schwingung ergibt, soweit ohne Hilfsmittel zu beurteilen, eine Sinusfunktion.

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Zusammenfassung:

Eine Schwingung der Form ( ) ( )00sin ϕω += tAtu heißt harmonische Schwingung.

Dabei bezeichnet die Größe u eine beliebige physikalische Größe.

Nur wenige schwingungsfähige Systeme sind harmonische Oszillatoren. Viele Schwingungs-vorgänge lassen sich aber bei gewissen Einschränkungen (z.B. für kleine Ausschläge) als harmonische Schwingung beschreiben.

Alle Schwingungen lassen sich aus einer endlichen oder unendlichen Summe von harmoni-schen Schwingungen aufbauen (siehe dazu Abschnitt 2.1.6).

2.1.2 Kinematische Herleitung der Differentialgleichung der harmonischen Schwin-gung

Die Ableitung von aus 2.1.1 nach der Zeit ergibt( )trr 3:

( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) ( )( ) ( ) ( ) ( ) y00

20x00

20

y000x000

y00x00

sincos

cossin

sincos

etAetAtrta

etAetAtrtv

etAetAtr

rr&&rr

rr&rr

rrr

⋅+⋅−⋅+⋅−==

⋅+⋅+⋅+⋅−==

⋅+⋅+⋅+⋅=

ϕωωϕωω

ϕωωϕωω

ϕωϕω

Ausklammern von ( ) und Vergleich mit der ersten Gleichung ergibt: 20ω−

( ) ( )( ) ( ) ( ) ( ) 02

020

20

=⋅+→⋅−=

⋅−=

trtrtrtr

trtar&&rr&&r

rr

ωω

ω

Entsprechend gilt für die Projektionen:

0

020

20

=+

=+

yy

xx

ω

ω&&

&&

Die allgemeine Form dieser Differentialgleichung lautet:

020 =+ uu ω&&

Dies ist die Differentialgleichung der harmonischen Schwingung.

Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung lautet:

( ) ( )00sin ϕω +⋅= tAtu

Dabei ist u wieder eine beliebige physikalische Größe.

Eine äquivalente Darstellung der Lösung ergibt sich mit ( ) ( )00~cos ϕω +⋅= tAtu , wobei sich

die Anfangsphasen entsprechend um 2π unterscheiden:

2~

00πϕϕ −=

3 Man beachte hier die Verwendung der üblichen Abkürzung für die Ableitung nach der Zeit durch einen über das Symbol für die physikalische Größe gesetzten Punkt, z.B.: x

txx

tx

&&& == 2

2

dd;

dd

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2.1.3 Die Newton’sche Bewegungsgleichung für den harmonischen Oszillator Die dynamische Betrachtung der Schwingung führt über die Lösung der Newton’sche Bewe-gungsgleichung (2. Newton’sches Axiom):

( ) pvmt

amF &rrrr=⋅=⋅=

dd

• Ermitteln des Kraftgesetzes Es wird zunächst von einem linearen Kraftgesetz ausgegangen, wie es z.B. für das Feder-pendel gilt:

r rF D x= − ⋅ D: Federkonstante

Eine senkrecht hängende Feder kann eindimensional behandelt werden, weshalb wir vereinfa-chend schreiben können4:

xDF −=

• Aufstellen der Newton’schen Bewegungsgleichung

0=⋅+⋅

⋅−=⋅xDxm

xDxm&&

&&

0=+ xmDx&&

• Integration der Bewegungsgleichung Die erhaltene Differentialgleichung hat die gleiche Struktur wie die oben aus der kinemati-schen Betrachtung der Kreisbewegung hergeleitete Differentialgleichung der harmonischen Schwingung. Die erhaltene Differentialgleichung ist also die Differentialgleichung einer harmonischen Schwingung. Folglich kann das Ort-Zeit-Gesetz einer harmonischen Schwingung als Lösungsansatz verwendet werden:

( )00sin ϕω += tAx

Die Lösung erfolgt durch Einsetzen des Lösungsansatzes in die Bewegungsgleichung. Man erhält so die Kreisfrequenz

mD

mD

== 02

0 ωω

und daraus die Schwingungsdauer

DmT π20 =

4 Das Federpendel besteht aus der Feder mit angehängter Masse m. Durch das Anhängen der Masse verschiebt sich das Ende der Feder gegenüber dem entspannten Zustand. Es kann aber leicht gezeigt werden, dass das ange-gebene Kraftgesetz weiter gültig ist.

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• Betrachtung der Anfangsbedingungen

Die Größen und A ϕ0 stellen Integrationskonstanten dar, die nur durch die Anfangsbedin-gungen, d.h. die Bedingungen zum Zeitpunkt 0=t bestimmt werden. Die Vorgehensweise wird an den beiden folgenden Beispielen erklärt:

Auslenken und Loslassen: ( ) ( ) 00;00 xxx −==&

( )

( )000

00

cos)(sin)(

ϕωωϕω

+⋅⋅⋅=+⋅⋅=

tAtxtAtx

&

( )

( ) 0cos0cos)0(sin0sin)0(

00000

0000

=⋅⋅=+⋅⋅⋅=−=⋅=+⋅⋅=

ϕωϕωωϕϕω

AAxxAAx

&

In der letzten Gleichung muss der Kosinus Null werden, da die beiden anderen Faktoren nicht Null sein können.

Daraus folgt:

cosϕ0 0= und ...,2

3,20

ππϕ ±±=

Dieser Nullphasenwinkel muss nun in die Gleichung für ( )0x eingesetzt werden, um die Amplitude A zu bestimmen. Definitionsgemäß muss A positiv sein. Aus diesem Grund

kommen hier die Werte 2

30

πϕ = oder 20πϕ −= in Frage: 1

2sin

23sin −=⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛−=⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛ ππ

Für die Amplitude erhält man damit

. 0xA =

Das Weg-Zeit-Gesetz für diesen Fall ist dann

( ) ( )txtxtx ⋅⋅−=⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ −⋅⋅= 0000 cos

2sin ωπω .

Anschieben: ( ) ( ) 00;0 0 =−= xvx&

Durch analoge Betrachtungen erhält man hier:

0

00 ;

ωπϕ

vA ==

und schließlich

( ) ( ) ( )tv

tv

tx ⋅⋅−=+⋅⋅= 00

00

0

0 sinsin ωω

πωω

.

2.1.4 Energiebetrachtung für den harmonischen Oszillator Als Produkt aus Kraft und Geschwindigkeit erhält man die Leistung:

Pt

WtrFvF ===⋅

dd

dd rrrr

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Diese Beziehung kann man für die Integration der Newton’schen Bewegungsgleichung he-ranziehen. Wenn man die Bewegungsgleichung mit der Geschwindigkeit multipliziert, ergibt sich:

k

2

dd

21

dd

Wt

P

vmt

vvmvamvF

=

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛=⋅=⋅=⋅

rr&rrrrr

Ist die Kraft nur vom Ort abhängig, kann man außerdem die potentielle Energie angeben:

( ) ( )

( )rFr

W

rrFrWWr

r

rrr

rrrrr

r

−=

−=− ∫

dd

d

p

0pp

0

und ( ) pp

dd

dd

dd

Wtt

rr

WvrFP ==⋅−=−

r

rrrr .

Eliminiert man nun die Leistung P aus diesen Gleichungen, erhält man schließlich den Ener-gieerhaltungssatz der Mechanik:

[ ] 0dd

pk =+WWt

Diese Betrachtung lässt sich sofort auf das Federpendel übertragen, da die rücktreibende Kraft

nur vom Ort abhängt: xDF ⋅−= p2

dd

21

dd W

txD

txxDxF =⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛=⋅⋅=⋅− && ).

Es gilt also auch für das Federpendel der Energieerhaltungssatz der Mechanik: Die Gesamt-energie, d.h. die Summe aus potentieller und kinetischer Energie bleibt im Zeitverlauf kon-stant.

constWWW =+= pk

Man kann nun in die Ausdrücke für die kinetische und die potentielle Energie

2k 2

xmW &=

2p 2

xDW =

x& bzw. x aus den kinematischen Gleichungen einsetzen:

( )( ) ( )0022

022

0002

k cos2

cos22

ϕωωϕωω +=+⋅⋅⋅== tAmtAmxmW &

Mit ω02 =

Dm

erhält man

( )0022

k cos2

ϕω += tADW ,

und entsprechend für die potentielle Energie

Angewandte_Physik_07.doc Seite 13

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Angewandte Physik

( )00222

p sin22

ϕω +== tADxDW

Als Summe erhält man5:

220

2pk 2

12

AmADWWW ω==+=

Die Gesamtenergie der ungedämpften Schwingung ist proportional zum Amplituden-quadrat.

Mit ( αα 2cos121sin 2 −= ) und ( )αα 2cos1

21cos2 +=

erhält man aus den obigen Gleichungen:

( )[ ]

( )[ ]00p

00k

22cos12

22cos12

ϕω

ϕω

+−=

++=

tWW

tWW

Kinetische und potentielle Energie oszillieren mit der doppelten Kreisfrequenz und gegen-phasig. Kinetische und potentielle Energie wandeln sich periodisch ineinander um. Im zeitlichen Mittel verteilt sich die Gesamtenergie je zur Hälfte auf potentielle und kinetische Energie.

0

0,5

1

0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 0,7 0,8 0,9 1

t / T

pot.

bzw

. kin

. Ene

rgie

/ W

potentielle Energiekinetische Energie

-1

0

1

0 0,5x / A

1

x (t)

5 1cossin 22 =+ αα

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2.1.5 Verschiedene schwingungsfähige Systeme a) Das Federpendel

Rücktreibende Kraft:

m

Dx

DxF −=

Bewegungsgleichung: Dxxm −=&&

Differentialgleichung der Schwingung:

0=+ xmDx&&

Schwingungsdauer:

mD

=20ω

DmT π20 =

Experiment Federpendel: Die Schwingungsdauer verdoppelt sich, wenn die Masse vervierfacht wird.

b) Das mathematische Pendel

Rücktreibende Kraft:

l

m

gm r⋅

Fr

ϕ

ϕsin⋅⋅−= gmF

Bewegungsgleichung:

ϕϕ sin⋅⋅−=⋅⋅ gmlm &&

Differentialgleichung der Schwingung:

&& sinϕ ϕ+ =gl

0

Diese Differentialgleichung ist nicht die Differentialglei-chung einer harmonischen Schwingung. Für kleine Aus-schläge kann man aber ϕsin durch den Winkel ϕ selbst ersetzen6.

Als Näherungslösung erhält man die Differentialgleichung einer harmonischen Schwin-gung:

&&ϕ ϕ+ =gl

0

6 Man führt eine Taylorreihenentwicklung für kleine Winkel (Entwicklung um 0=ϕ ) durch,

sin! !

.....ϕ ϕϕ ϕ

= − + −3 5

3 5 und bricht nach dem ersten Glied ab.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 15

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Angewandte Physik

Schwingungsdauer:

ω02 =

gl

Tlg0 2= ⋅π

Experiment mathematisches Pendel: Nachweis der gefundenen Beziehungen - Die Schwingungsdauer ist unabhängig von der Masse, mit ¼ der Pendellänge ist die Schwingungsdauer nur noch halb so groß

0T

c) Das physikalische Pendel7 Rücktreibendes Moment:

ϕsinSA ⋅⋅⋅−= lgmM

( : Abstand zwischen Drehachse A und Schwerpunkt S)

Sl

Bewegungsgleichung:

ϕϕ sinSA ⋅⋅⋅−= lgmJ &&

Differentialgleichung der Schwingung:

0sinA

S =⋅⋅

+ ϕϕJ

lgm&&

Mit der Näherung für kleine Ausschläge erhält man wieder die Differentialgleichung einer harmonischen Schwingung:

0A

S =⋅⋅

+ ϕϕJ

lgm&&

Schwingungsdauer:

gm r⋅

S

lSϕ

A

A

S20 J

lgm ⋅⋅=ω

S

A0 2

lgmJ

T⋅⋅

⋅= π

Man kann nun die reduzierte Pendellänge einführen: *l

S

A*

lmJl⋅

=

7 Für die beiden folgenden Systeme muss man die Gesetze der Dynamik des starren Körpers bei Rotation um eine feste Achse A anwenden. Die Bewegung wird eindeutig durch den Drehwinkel als Funktion der Zeit ( )tϕ beschrieben. In der Bewegungsgleichung tritt an die Stelle der Kraft F als Verursacher der Bewegung das Drehmoment M , und an die Stelle der trägen Masse m tritt das Massenträgheitsmoment . A AJ

Seite 16

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Damit erhält man für die Schwingungsdauer einen Ausdruck wie beim mathematischen Pendel:

Tlg0 2= ⋅π*

Experiment Stangenpendel: Vergleich von Stangenpendel und mathematischem Pendel. Die Schwingungsdauer ei-nes Stangenpendels ist kleiner als die eines gleich langen mathematischen Pendels. Die Berechnung der reduzierten Pendellänge für einen Stab, der an einem Ende aufge-hängt ist, ergibt:

2S 12

1 mlJ = Aufhängung am Ende: mit 2SSA lmJJ ⋅+= 2/S ll =

222A 3

141

121 mlmlmlJ =+=

llm

Jl32

S

A* =⋅

=

Das Stangenpendel hat die gleiche Schwingungsdauer wir ein mathematisches Pendel mit einer Länge von 2/3 der Länge des Stangenpendels, was im Versuch nachgewiesen werden kann.

Experiment Reifenpendel: Vergleich der Schwingungsdauer eines Reifenpendels mit der eines mathematischen Pendels mit einer dem Reifendurchmesser entsprechenden Pendellänge. Die Schwin-gungsdauern sind gleich.

2S 4

1 mlJ = 222A 2

141

41 mlmlmlJ =+=

Reduzierte Pendellänge:

llm

Jl =⋅

=S

A* ( / 2S ll = )

d) Das Torsionspendel

Rücktreibendes Moment:

ϕ⋅−= *A DM

(D*: Richtmoment, Winkelricht-größe)

Bewegungsgleichung:

ϕϕ *A DJ −=&&

Differentialgleichung der Schwingung:

0A

*

=+ ϕϕJD

&&

D*

ϕ JA

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Angewandte Physik

Dies ist wieder exakt (ohne Näherung) die Differentialgleichung einer harmonischen Schwingung.

Schwingungsdauer:

A

*2

0 JD

*A

0 2DJT ⋅= π

Experiment Drehschwingung:

2SA rmJJ ⋅== T r

mD0 2= ⋅ ⋅π

Mit Verdoppelung des Abstandes der Massen von der Drehachse verdoppelt sich auch die Schwingungsdauer.

2.1.6 Überlagerung von Schwingungen Es kommt häufig vor, dass ein Massepunkt nicht nur eine Schwingung, sondern gleichzeitig zwei oder mehrere Schwingungen ausführt. Dabei sind im Wesentlichen zwei Fälle zu unter-scheiden:

a) Die Schwingungsrichtungen liegen parallel oder antipa-rallel.

b) Die Schwingungsrichtungen liegen senkrecht zueinander.

In den meisten Fällen stören sich die Schwingungen bei der Überlagerung gegenseitig nicht, d.h. jede Schwingung verhält sich so, als ob die anderen nicht da wären. Die resultierende Schwingung ergibt sich in die-sem Fall einfach als Summe der Einzelschwingungen.

Zu a) Schwingungsrichtungen parallel oder antiparallel: Die Überlagerung mehrerer Schwin-gungen soll am folgenden Bei-spiel erläutert werden. Es wer-den drei harmonischen Schwin-gungen unterschiedlicher Fre-quenz (und in diesem Fall glei-cher Amplitude) addiert. Das Beispiel wurde so gewählt, dass es sich um Schwingungen mit den Frequenzen 1000 Hz, 1250 Hz und 1500 Hz handelt. Dies entspricht etwa dem Dur-Dreiklang c3, e3, g3. Die graphische Darstellung zeigt die Funktionen

t ..,0 .001 10

0 2 4 6 8 102

0

2

0 2 4 6 8 102

0

2

0 2 4 6 8 102

0

2

0 2 4 6 8 104

2

0

2

4

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( )tf der drei Einzelschwingungen und der resultierenden Schwingung. Mit den angegebenen Frequenzen ist auf der Abszissenachse die Zeit t in Millisekunden aufgetragen. Die Ordina-tenachse enthält die Auslenkung in willkürlichen Einheiten.

Da die resultierende Schwingung so einfach erhalten wird, kann man sie durch Angabe der Fre-quenzen und Amplituden der ein-zelnen Schwingungen eindeutig darstellen. Eine solche Darstellung nennt man Spektraldarstellung. Für das obige Beispiel erhält man nebenstehende Spektraldarstel-lung. Man verwendet diese Form der Darstellung vor allem bei der Spektralanalyse, wo es darauf ankommt, eine zusammenge-setzte Schwingung im Hinblick auf die Frequenzen der einzelnen beteiligten Schwingungen zu zerlegen.

150010005000

A

ν / Hz

Experiment Frequenzanalyse: Verschiedene Töne, erzeugt durch Stimmgabeln, werden überlagert. Die resultierenden Schwingungen werden sowohl in der ( )tf -Darstellung als auch in der Spektraldarstellung

( )νA sichtbar gemacht.

Man kann jede beliebige periodische Bewegung ( )tf als Summe harmonischer Teilschwin-gungen darstellen (Fourier-Entwicklung):

( )

...3sin2sinsin...3cos2coscos

321

3210

++++++++=

tBtBtBtAtAtAAtf

ωωωωωω

Die Zerlegung einer beliebigen Schwingung in eine solche Summe harmonischer Schwingun-gen nennt man Fourier-Analyse. In der Praxis bricht man die Entwicklung einer beliebigen periodischen Funktion in eine Fourier-Reihe meist nach wenigen Gliedern ab.

Als Beispiel ist die Fourier-Entwicklung einer Rechteckfunktion dargestellt:

( ) ⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ +++= ...5sin

513sin

31sin4 tttAtf ωωω

π

Mit den ersten ein bis vier Summanden ergeben sich die auf der nächsten Seite dargestellten Funktionsverläufe. Man sieht, dass sich die Funktion mit zunehmender Zahl von Summanden immer besser an die Rechteckfunktion annähert.

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Angewandte Physik

0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 1.21.5

1

0.5

0

0.5

1

1.5

( )Atf

Tt

Zu b) Schwingungsrichtungen senkrecht zueinander: Es soll nun der zweite am Anfang dieses Abschnittes aufgeführte Fall behandelt werden, die Überlagerung zweier Schwingun-gen, die senkrecht zueinander erfolgen. Nehmen wir an, dass die Schwingungen in x- bzw. y-Richtung erfolgen, ergibt sich die resultierende Bewegung als Schwingung in der x-y-Ebene.

Einfache Bewegungen ergeben sich, wenn die Frequenzen der beiden Schwingungen in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen. Man erhält dann die Lissajous-Figuren, die die in der x-y-Ebene durchlaufenen Bahnen darstellen. Einige Beispiele dazu sind im Folgenden wiedergegeben: Die Bilder zeigen von oben nach unten die Lissajous-Figuren für die Fre-quenzverhältnisse 1:1, 1:2 und 2:3 (jeweils Frequenz der vertikalen Schwingung zu Frequenz der hori-zontalen Schwingung) sowie von links nach rechts jeweils für einen Phasenunterschied der horizontalen Schwingung zur vertikalen Schwin-

gung von 0, 4π und

2π .

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

1 0 11

0

1

Experiment Lissajous-Figuren: Zwei senkrecht zueinander schwingende Blattfedern, die mit Spiegeln versehen sind, reflektie-ren einen Lichtstrahl so, dass Lissajous-Figuren sichtbar wer-den. Noch besser lassen sich die Lissajous-Figuren mit einem Os-zilloskop darstellen.

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2.2 Die freie gedämpfte Schwingung

Experiment gedämpftes Federpendel: Von zwei gleichen Federpendeln wird eines an Luft betrieben, während sich die Masse des zweiten im Wasser bewegt, wodurch die Schwingung gedämpft wird. Beobachtung:

- Die Amplitude der Schwingung der in Wasser getauchten Kugel nimmt mit der Zeit ab. - Der gedämpfte Oszillator schwingt mit größerer Schwingungsdauer.

Bisher wurde zur Aufstellung der Bewegungsgleichung nur die rücktreibende Kraft berück-sichtigt. Eine unter diesen Bedingungen einmal angeregte Schwingung müsste endlos andau-ern. Dies widerspricht der praktischen Erfahrung, der zufolge eine Schwingung ohne zusätzli-che Anregung nach einer gewissen Zeit abklingt. Die Schwingung ist gedämpft.

Grund für die Dämpfung ist bei mechanischen Systemen stets die Reibung.

Die Bewegungsgleichung dafür hat die Form

ReibungFederdd FF

tpam

rrrr

+==⋅

Die Reibungskraft ist bei innerer Reibung8 häufig proportional zur Geschwindigkeit (z.B. Rei-bung einer Kugel in einer Flüssigkeit vrF rr

⋅−= πη6R mit η: dynamische Viskosität, r: Radius der Kugel, v: Geschwindigkeit). In verallgemeinerter Form wird die Reibungskraft ausge-drückt als vF rr

⋅−= ρR , wobei die Größe ρ als Dämpfungskonstante bezeichnet wird. Die Reibungskraft ist der Geschwindigkeit entgegen gerichtet.

Bewegungsgleichung für das Federpendel (vgl. Abschnitt 2.1.3):

m x D x x⋅ = − ⋅ − ⋅&& &ρ (*)

Differentialgleichung:

0=⋅+⋅+ xmDx

mx &&&

ρ

mit den Abkürzungen mD

=20ω und

mρδ =2 folgt die Differentialgleichung für die

freie gedämpfte Schwingung:

02 20 =⋅+⋅+ xxx ωδ &&&

Die Größe m2ρδ = heißt Abklingkonstante.

Energiebetrachtung Im Unterschied zur ungedämpften Schwingung (Abschnitt 2.1.4) tritt bei der gedämpften Schwingung außer der Federkraft eine Reibungskraft auf, die von der Geschwindigkeit des pendelnden Körpers abhängt.

Die Multiplikation der Bewegungsgleichung (*) mit der Geschwindigkeit liefert damit: 8 Als innere Reibung bezeichnet man die Reibung in Flüssigkeiten und Gasen. Im Gegensatz dazu nennt man die Reibung zwischen Festkörpern äußere Reibung. Bei der äußeren Reibung hängt die Reibungskraft nicht von der Geschwindigkeit ab, wodurch man ein anderes Verhalten bei der gedämpften Schwingung erhält.

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Angewandte Physik

2xxxDxxm &&&&& ⋅−=⋅⋅+⋅⋅ ρ

und

222

22dd xxDxmt

&& ⋅−=⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ + ρ

( ) 0dd

dd 2

pk <⋅−==+ xWt

WWt

&ρ .

Wir erkennen auf der linken Seite der Gleichung wieder die Zeitableitung der Gesamtenergie. Auf der rechten Seite erhalten wir aber wegen der Reibungskraft einen von Null verschiede-nen Ausdruck. Im Fall der gedämpften Schwingung bleibt also die mechanische Energie W nicht konstant, sondern sie nimmt ab (Umwandlung in Wärme).

Da die mechanische Gesamtenergie W proportional zum Amplitudenquadrat der Schwingung ist, muss auch die Amplitude der Schwingung ständig abnehmen. Das soll beim Lösungsan-satz für die Lösung der Bewegungsgleichung berücksichtigt werden.

Lösung der Bewegungsgleichung

a) Periodischer Fall (Schwingfall) Zur Lösung dieser Differentialgleichung

02 20 =⋅+⋅+ xxx ωδ &&&

verwenden wir auf Grund der Energiebetrachtung und entsprechend den Beobachtungen über den Bewegungsablauf den Lösungsansatz

. ( ) ( )0dcos ϕωλ += − teAtx t

Dabei bezeichnet die Größe dω die Kreisfrequenz der gedämpften Schwingung, die sich, wie im Experiment zu sehen war, von der Eigenfrequenz der ungedämpften Schwingung 0ω un-terscheidet. Der Faktor vor der Winkelfunktion beschreibt die mit der Zeit abnehmende Amp-litude.

Zur Bestimmung der Größen λ und dω muss der Lösungsansatz in die Bewegungsgleichung eingesetzt werden. Um den Schreibaufwand zu reduzieren, wollen wir die Abkürzung

( ) ϕϕω =+ 0d t (Ableitung: ( ) d0ddd

dd ωϕωϕ

=+= ttt

)

verwenden.

Differenzieren und Einsetzen in die Differentialgleichung ergibt

( ) ( )( ) ( )ϕωϕωλϕλ

ϕωϕλλ

λ

cossin2cos

sincos2dd

2d

−+=

−−=−

t

t

eAtx

eAtx&&

&

und ( )[ ] ( ) 0cossincos2sin2cos 20dd

2d

2 =+−−++− ϕωϕωϕλδϕωλϕωλ

( ) ( ) 0sin22cos2 dd20

2d

2 =⋅−+⋅+−− ϕωδωλϕωλδωλ

Damit diese Gleichung für beliebige Winkel ϕ (und damit für beliebige Zeiten) erfüllt wird, müssen die beiden Terme in Klammern jeweils gleich Null sein.

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Damit wird (2. Klammer) δλ =

und (1. Klammer)

220d δωω −= .

Für die Frequenz dω der gedämpften Schwingung erhält man nur dann eine reelle Lösung, wenn der Radikand größer als Null ist, d.h. wenn

δω >0

ist. Damit wird auch gleich die Bedingung für das Auftreten des periodischen Falls formuliert.

Die Lösung der Differentialgleichung ist dann:

( ) ( ) ( )0d022

0 coscos ϕωϕδω δδ +⋅=+⋅−= ⋅−− teAteAtx tt

Die Schwingungsdauer der gedämpften Schwingung ist damit

00

2

00

dd

2

1

22 TT =>

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛−

==ω

π

ωδω

πω

π .

Die Rechnung liefert also das beobachtete Verhalten, dass die Schwingungsdauer der freien gedämpften Schwingung größer ist als die Schwingungsdauer der freien ungedämpften Schwingung desselben Systems.

Bewegungsablauf:

t 0 0.01, 56..:=

0 10 20 30 40 501

0

1

t

( )Atx

Periodischer Fall

Angewandte_Physik_07.doc Seite 23

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Angewandte Physik

t 0 0.01, 14..:=

0 2 4 6 8 10 12 141

0

1

( )Atx

4dT

t Erläuterung zum Kurvenverlauf:

Die Nullstellen und Berührungspunkte mit der Hüllkurve folgen im Abstand teA δ−⋅±4dT

aufeinander.

Die Minima und Maxima der Schwingung fallen nicht mit den Berührungspunkten zusam-men, sondern liegen davor.

Soll die Kurve bei mit horizontaler Tangente (also mit 0=t 0)0( =v ) beginnen, nimmt die

Anfangsphase den Wert d

0 arctanωδϕ −= an. Das bedeutet, dass ( ) AAx <

+=

22d

d0δω

ω

wird.

Für das Verhältnis der Auslenkungen zweier Schwingungszustände, die um die Schwin-gungsdauer Td auseinander liegen, erhält man:

( )( )

( )( )

d

d )2cos(cos

0d

0d

d

TTt

t

eteAteA

Ttxtx ⋅

+−

⋅−

=++⋅

+⋅=

δ

δ

πϕωϕω

Der Logarithmus davon wird als logarithmisches Dekrement bezeichnet und ist ein Maß für das Abklingen der Schwingung:

( )

( ) dd

ln TTtx

tx δ=+

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Experiment gedämpfte elektromagnetische Schwingung (Reihenschwingkreis):

R

C L

U

Schwingungs-Differentialgleichung

01=++ I

LCI

LRI &&&

LC1

0 =ω L

R2

Durch Variation des Widerstandes wird das Abklingverhalten verändert.

b) Aperiodischer Fall, δω <0 (Kriechfall)

Wie wir gesehen haben, ist der Lösungsansatz einer Schwingung mit abnehmender Amplitude nur dann gerechtfertigt, wenn die Dämpfung klein ist, d.h. wenn δω >0 ist. Für große Dämp-fung erhält man keine Schwingung mehr, die Auslenkung ( )tx geht irgendwie asymptotisch gegen Null.

Experiment Federpendel mit Wirbelstrombremse: Am Federpendel hängt ein Aluminiumstreifen, der sich zwischen den Polschuhen eines E-lektromagneten bewegt. Durch Vergrößerung des Spulenstromes kann die Abklingkonstan-te soweit erhöht werden, dass der aperiodische Fall erreicht wird.

In diesem Fall kann der Lösungsansatz

( ) teAtx λ−=

versucht werden.

Differenzieren und Einsetzen in die Differentialgleichung für die gedämpfte Schwingung er-gibt:

( ) ( )( ) ( )txtx

txtx2λ

λ

=

−=

&&

&

0

20

22/1

20

2

für

02

ωδωδδλ

ωλδλ

>−±=

=+−

Die Lösung der Differentialgleichung erhält damit die Form

( ) tteCeCtx

⎟⎠⎞⎜

⎝⎛ −−−⎟

⎠⎞⎜

⎝⎛ −+−

+=20

220

2

21

ωδδωδδ

Bewegungsablauf: Je nach Wahl der Konstanten C1 und C2 ergeben sich z.B. die folgenden Kurvenverläufe:

Angewandte_Physik_07.doc Seite 25

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Angewandte Physik

Die Kurven beschreiben (von oben nach unten): Auslenken und Anstoßen in Richtung auf die Ruhelage, Auslenken und Loslassen, Anstoßen in der Ruhelage, Auslenken und (kräftiges) Anstoßen in Richtung auf die Ruhelage.

t 0 .01, 14..:=

0 2 4 6 8 10 12 142

0

2

t

( )tx

Aperiodischer Fall

c) Aperiodischer Grenzfall, δω =0

Beim aperiodischen Grenzfall tritt gerade keine Schwingung mehr auf, die Auslenkung geht schnellstmöglich auf Null zurück.

Die Ort-Zeit-Funktion lautet hier:

( ) ( )x t C C t e t= + ⋅ ⋅ − ⋅1 2

δ

Bewegungsablauf:

t 0 .01, 14..:=

0 2 4 6 8 10 12 140

1

2

( )tx

t

Aperiodischer Grenzfall

Die durchgezogene Kurve ist die für den Grenzfall 0ωδ = . Zum Vergleich gibt die gestri-chelte Kurve den Bewegungsablauf für 0ωδ > wieder. 0ω ist für beide Kurven gleich.

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Der aperiodische Grenzfall ist vor allem von technischer Bedeutung, da in diesem Fall die Gleichgewichtslage schnellstmöglich erreicht wird. Bei technische Dämpfungselementen ver-sucht man, den aperiodischen Grenzfall so gut wie möglich zu erreichen.

2.3 Die erzwungene Schwingung

Experiment angeregtes gedämpftes Federpendel: Ein gedämpftes Federpendel wird an seinem oberen Ende durch eine periodische Kraft angeregt und führt eine erzwun-gene Schwingung aus. Es werden die Amplitude der erzwun-genen Schwingung und die Phasenlage der erzwungenen Schwingung relativ zur Erregung für verschiedene Erreger-frequenzen beobachtet.

( )tF

x

D

ξ

m

Das Experiment zeigt, dass sich für eine bestimmte Erreger-frequenz ω nach einer gewissen Zeit (Einschwingvorgang) eine stationäre9 Schwingung einstellt. Die Schwingung hat dieselbe Frequenz ω wie die anregende Kraft, eine konstante Amplitude ( )ωA und eine konstante Phasenverschiebung

( )ωϕ 0 gegenüber der anregenden Kraft.

Betrachtet man die Amplitude ( )ωA für verschiedene Erregerfrequenzen, so stellt man fest, dass die Amplitude zunächst (bei 0=ω ) einen endlichen Wert hat, mit zunehmender Erre-gerfrequenz wächst, ein Maximum (Resonanz) durchläuft, schließlich wieder abnimmt und für große Erregerfrequenzen gegen Null geht. Bei kleinen Erregerfrequenzen schwingen Erreger und Oszillator mit gleicher Phase, die Phasenverschiebung beträgt bei der Eigen-

frequenz des Oszillators (das ist annähernd die Resonanzfrequenz) gerade2π

− , und bei

großen Erregerfrequenzen schwingen Erreger und Oszillator gegenphasig.

Die Bewegungsgleichung für den Oszillator hat mit der erregenden Kraft nun die Form: ( )tF

( )

( )

( )

mx D x x F t

xm

x Dm

xm

F t

x x xm

F t

&& &

&& &

&& &

= − − +

+ + =

+ + =

ρ

ρ

δ ω

1

2 10

2

Mit den bereits eingeführten Abkürzungen erhält man:

Die Kraft F(t) soll sich periodisch nach einer Kosinusfunktion ändern:

( ) tFtF ωcos0 ⋅=

Als Lösungsansatz für die stationäre Schwingung verwenden wir die Funktion

( ) ( ) ( )( ) ϕωϕωω coscos 0 AtAtx =+=

Die Größe ω bezeichnet hier jeweils die Erregerfrequenz. Der Lösungsansatz beschreibt das beobachtete Verhalten: Der Oszillator führt bei einer bestimmten Erregerfrequenz eine Schwingung mit konstanter Amplitude und einer bestimmten festen Phasendifferenz zur Erre- 9 Stationär: zeitlich unveränderlich infolge eines statischen oder dynamischen Gleichgewichtszustandes

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Angewandte Physik

gerschwingung aus. Bei Änderung der Erregerfrequenz ändern sich Amplitude und Phasen-verschiebung der erzwungenen Schwingung.

Einsetzen des Lösungsansatzes in die Differentialgleichung (unter Beachtung der Abkürzung ωϕϕωϕ =+= &;0t ) ergibt:

( ) 0cossin2cos

coscossin2cos

0220

020

2

=−−−

=+−−

tmF

AA

tmF

AAA

ωϕωδϕωω

ωϕωϕωδϕω

Für das weitere Auflösen dieser Gleichung müssen die beiden Winkelfunktionen ϕcos und ϕsin mit Hilfe von Additionstheoremen10 zerlegt werden:

00

00

sincoscossinsinsinsincoscoscos

ϕωϕωϕϕωϕωϕ

tttt

+=−=

Einsetzen in die oben stehende Gleichung und Sortieren nach Gliedern mit tωsin bzw. tωcos ergibt schließlich:

( ) ( )[ ] 0cos2sinsinsin2coscos 0022

00

0022

0 =+−−⎥⎦⎤

⎢⎣⎡ −−− ϕωδϕωωωϕωδϕωωω AAt

mF

AAt

Damit diese Gleichung für beliebige Zeiten erfüllt ist, müssen wieder beide Ausdrücke in den eckigen Klammern gleich Null sein.

( ) 0cos2sin 0022

0 =+− ϕωδϕωω AA

20

202tan

ωωωδϕ

−=

20

202arctan

ωωωδϕ

−=

und ( )mF

AA 000

220 sin2cos =−− ϕωδϕωω

( )mF

A 00

2200 tan2cos =−− ϕωδωωϕ .

Mit 0

20tan11cos

ϕϕ

+= und Einsetzen des obigen Ausdruckes für 0tanϕ

erhält man zunächst

( )22

02

220

20

222

04122

ωω

ωδωωωδωδωω

−+=⎟⎟

⎞⎜⎜⎝

⎛−

−−mF

A

und nach Multiplikation mit ( )220 ωω −

10 ( ) ( ) βαβαβαβαβαβα sinsincoscoscos;sincoscossinsin m=±±=±

Seite 28

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( )[ ] ( ) 22220

20222220 44 ωδωωωδωω +−=+−

mF

A .

Durch Umstellen der Gleichung ergibt sich schließlich die Amplitude ( )ωA der stationären erzwungenen Schwingung:

( )( ) 2222

02

0

4

1

ωδωωω

+−⋅=

mF

A

Das komplette Weg-Zeit-Gesetz für den stationären Schwingungszustand lautet damit:

( )( ) ⎟⎟

⎞⎜⎜⎝

⎛−

+⋅+−

⋅= 20

22222

02

0 2arctancos4

1ωωωδω

ωδωωt

mF

tx

Diskussion der Lösung: 1. Amplitude als Funktion der Anregungsfrequenz

Maximale Amplitude (Resonanz)

Damit für rωω = die Amplitude maximal wird, muss gelten:

0dd

r

=ωω

A

Die Ableitung dieser Funktion ist recht unhandlich. Man sieht aber leicht, dass A maximal wird, wenn der Nenner minimal ist. Man kann noch weiter gehen und sagen, dass es aus-reicht, wenn der Radikand minimal wird.

( )[ ] ( ) ωδωωωωδωωωω

24224dd

dd 22

022222

02 ⋅+⋅−=+−=

R

Minimum:

0dd

r

=ωω

R

( ) 084 r22

02rr =+− ωδωωω

Die Triviallösung lautet hier

01r =ω .

Wenn rω nicht Null sein soll, kann durch r4ω dividiert werden:

02 220

2r =+− δωω

Man erhält als zweite Lösung

2202r 2δωω −=

Das ist aber nur dann eine Lösung der Gleichung, wenn der Ausdruck unter der Wurzel nicht negativ ist, d.h. für

Angewandte_Physik_07.doc Seite 29

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Angewandte Physik

bzw. 20

22 ωδ ≤20ω

δ ≤ .

Einsetzen der Lösungen in den Ausdruck für die Amplitude zeigt, dass nur die zweite Lösung tatsächlich eine Resonanz beschreibt.

Für 01r =ω erhält man die Amplitude

( )AF

mFD

0 0

02

0= =ω

.

Man kann zeigen, dass das gerade die Amplitude der Erregung ist. Wenn die Erregerfrequenz gleich Null ist, durchläuft das System nur Gleichgewichtszustände, die schwingende Masse folgt der Bewegung des Erregers.

Im zweiten Fall wird die Amplitude

( )2

0

2

0

02r

12ωδδω

ω

=

m

FA

Da nur die zweite Lösung eine Resonanz beschreibt, soll im Weiteren der Index „2“ wegge-lassen werden. Die Resonanzfrequenz wird mit rω bezeichnet.

Das Verhältnis der Amplitude bei der Resonanzfrequenz zur Amplitude bei ω = 0 bezeichnet man als Resonanzüberhöhung:

( )( ) 2

0

0r

120

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛−⋅

=

ωδδ

ωωA

A

Für kleine Dämpfung, d.h. δ ω<< 0 , wird δω0

2

1⎛⎝⎜

⎞⎠⎟ << und

( )( ) Λ

==π

δωω20

0r

AA ( Λ = δ T : logarithmisches Dekrement)

Die so genannte Resonanzkatastrophe erhält man für

( )( ) ∞=

→ 0r

0lim A

A ωδ

Seite 30

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Grafische Darstellung:

Schwingungsamplitude als Funktion der Erregerfre-quenz

Die gestrichelte Linie ver-bindet die Resonanzmaxima: Mit wachsender Dämpfung werden die Maxima niedri-ger und verschieben sich zu kleineren Erregerfrequenzen.

2. Phase als Funktion der Anregungsfrequenz

Für die Phasenverschiebung zwischen erzwungener Schwingung und Erregung hatten wir erhalten

20

202arctan

ωωωδϕ

−=

Grafische Darstellung:

Phasenverschiebung als Funktion der Erreger-frequenz

Bei der Eigenfrequenz des ungedämpften Oszil-lators ω 0 ist die Phasen-verschiebung immer − π 2 , unabhängig von der Dämpfung.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 31

0 1 20

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

( )( )0A

A ω

0ωω

δ wächst

( )ωϕ 0

0

π−

ω 0

δ wächst

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Angewandte Physik

Experiment erzwungene Schwingung mit Anzeige des Phasenwinkels

Leistungsbetrachtung Wir multiplizieren wieder die Bewegungsgleichung mit &x , woraus folgt:

( )tFxxxDxmt

&&& +−=⎥⎦⎤

⎢⎣⎡ + 222

22dd ρ

( )tFxxt

W&& +−= 2

dd ρ

( ) ( )022

022222 cos

2sin

222ϕωϕωω +++=+= tADtAmxDxmW &

Einsetzen von ω02 =

Dm

(d.h. ) ergibt: D m= ω02

( ) ( )0222

00222 cos

2sin

2ϕωωϕωω +++= tAmtAmW

Wegen der unterschiedlichen Faktoren vor den Winkelfunktionen lässt sich dieser Ausdruck nicht weiter zusammenfassen. Man kann aber den zeitlichen Mittelwert der Gesamtenergie bilden. Für die mittlere Gesamtenergie erhält man dann den zeitunabhängigen Ausdruck

( )WT

W dt Am m m

AT

= = +⎡⎣⎢

⎤⎦⎥

= +∫1 1

2 2 2 40

2 202 2 2

02ω ω ω ω ,

und die zeitliche Änderung der mittleren Gesamtenergie ergibt sich damit als

( )

( )

0d

d

Leistungmittlere

zugeführteSystemdem

everbrauchtReibungdurch

2 =+−=

444 3444 21

321&

321&

ω

ρ

P

tFxxt

W,

wobei ( ) ( )&x F t P= ω die dem System zugeführte mittlere Leistung und − ρ &x 2 die durch Rei-bung verbrauchte mittlere Leistung sind. Man erkennt, dass im zeitlichen Mittelwert dem Os-zillator gerade so viel Leistung durch den Erreger zugeführt wird, wie durch Reibung ver-braucht wird.

Durch Einsetzen von &x 2 und der Amplitude A erhält man für die im zeitlichen Mittel zuge-führte Leistung als Funktion der Erregerfrequenz:

( )( )

P xA F

mω ρ ρ

ω ρ ω

ω ω δ ω= = =

⎛⎝⎜

⎞⎠⎟ − +

& 22 2

02 2

02 2 2 2 22 2 4

Seite 32

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Das Maximum für diesen Ausdruck (Leistungsresonanz-maximum) liegt bei

0ωω = , d.h. die dem System zugeführte mittlere Leistung wird maximal, wenn die Erregerfrequenz gleich der Eigenfrequenz des freien ungedämpften Oszillators ist.

Als Resonanzbreite ω∆ bezeichnet man

die Breite der Leis-tungskurve in halber Höhe des Maximums.

Durch Berechnung der Anregungsfrequenzen, bei denen die mittlere

Leistung halb so groß wie die mittlere Leistung bei der Eigenfrequenz ist, erhält man leicht die Resonanzbreite oder Halbwertsbreite der Leistungskurve:

mρδω ==∆ 2

Experiment Reihenschwingkreis: Die Beziehungen zu Amplitude und Phase einer erzwungenen Schwingung werden de-monstriert. [Erläuterung: Die Differentialgleichung für den Schwingkreis ergibt sich aus der 2. Kirchhoff’schen Regel (Maschensatz): Für jeden geschlossenen Kreis eines Netzes von linearen Leitern ist die Summe der Teilspannungen an den Widerständen gleich der Summe der eingeprägten Spannungen (Urspannungen) der Spannungsquellen.] Die Span-nung am Ausgang der den Schwingkreis erregenden Wechselspannungsquelle und die Spannung am Kondensator werden sowohl als Funktion der Zeit ( ) als auch in Abhängigkeit voneinander (

WU

CU ( ) ( )tUtU CW ,( )WC UfU = ) mit Hilfe je eines Oszilloskops darge-

stellt.

QC

QLQRU

CQILRIU

UUUU

1W

W

CLRW

++=

++=

+−=

&&&

& mit I Q= &

0 1 20

0.2

0.4

0.6

0.8

1

δ wächst ( )( )0ωω

PP

0ωω

UCUW ∼

Angewandte_Physik_07.doc Seite 33

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2.4 Gekoppelte Oszillatoren

Experiment gekoppelte Stangenpendel: Zwei gleiche Stangenpendel werden mit einer Feder gekoppelt. Wird eines der Pendel zum Schwingen angeregt, überträgt die Kopplungsfe-der die Energie auf das zweite Pendel, sodass dieses ebenfalls zu schwingen beginnt. Schließ-lich kommt das erste Pendel zur Ruhe, während das zweite mit der Amplitude schwingt, mit der die Schwingung des ersten begonnen hatte. Der Vorgang wiederholt sich in umgekehrter Rich-tung.

Häufig kommen Kopplungen schwingungsfähiger Systeme vor. Ähnlich wie bei der erzwungenen Schwingung wird dabei einem Oszillator Energie zugeführt. Die Energie stammt aber hier von einem anderen Oszillator, dessen Gesamtenergie folglich abnimmt. Da die Oszillatoren aber miteinander verbunden sind, wird ständig die Energie zwi-schen den beteiligten Oszillatoren hin- und hertransportiert.

s2 s1

D l

m m

Für die gekoppelten Stangenpendel und ähnliche Systeme ergeben sich Ort-Zeit-Funktionen in der Form (s. grafische Darstellung auf der nächsten Seite):

( )

( ) ttAts

ttAts

2sincos

2cossin

2

1

ωω

ωω

∆⋅−=

∆⋅=

Zur Erklärung dieses Verhaltens muss man zunächst klären, welche Eigenfrequenzen das Sys-tem, bestehend aus den beiden Stangenpendeln und der Kopplungsfeder, hat. Die erste Eigen-frequenz erhält man, wenn man die beiden Pendel im Gleichtakt schwingen lässt. In diesem Fall bleibt die Feder wirkungslos, und man erhält die Eigenfrequenz 1ω , die gleich der Eigen-frequenz der freien ungedämpften Schwingung jedes der beiden Pendel ist, d.h.

lg

=1ω .

Die zweite Eigenfrequenz ergibt sich, wenn beide Pendel gegeneinander schwingen. Man erhält dann für die rücktreibende Kraft eine Zusatzkraft durch die Kopplungsfeder. Die ent-sprechende Eigenfrequenz ergibt sich dann als

mD

lg 2

2 +=ω .

Betrachtet man wieder den Ablauf der gekoppelten Schwingung der beiden Pendel, erkennt man, dass die beiden Oszillatoren mit einer Frequenz schwingen, die der mittleren Frequenz beider Eigenfrequenzen

2

21 ωωω

+=

entspricht. Die Amplitude der Schwingung ändert sich mit der Frequenz

Seite 34

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22

12 ωωω −=

∆ .

Diese Änderung der Amplitude bezeichnet man als Schwebung. Mit der Schwebungsfre-quenz wird die Energie von einem zum anderen Oszillator transportiert.

Bewegungsablauf:

0 10 20 30 40 50 601

0

1Gekoppelte Schwingung

t / s

s1 (t

)

0 10 20 30 40 50 601

0

1

t / s

s2 (t

)

( )Ats1

( )A

ts2

st

st

Experiment gekoppelte Fadenpendel: Zwei aneinander hängende gleich lange Fadenpendel mit unterschiedlichen Massen wer-den zur Schwingung angeregt. Durch die Kopplung der Pendel wird die Energie zwischen beiden übertragen. Wegen der unterschiedlichen Massen ist bei gleicher Energie die Amp-litude der Schwingung des Pendels mit der größeren Masse wesentlich kleiner als die der Schwingung des Pendels mit der kleinen Masse. So kommt es, dass immer dann, wenn die Energie auf das Pendel mit der großen Masse übertragen wurde, die Bewegung des ganzen Systems scheinbar zum Stillstand kommt. Ändert man den Aufbau so, dass das untere Pendel in einer Wanne mit Wasser schwingt, also eine gedämpfte Schwingung ausführt, sieht man die grundsätzliche Wirkungsweise ei-niger technischer Anwendungen gekoppelter Oszillatoren: Die Schwingungsenergie wird von einem Oszillator zum anderen übertragen und dort durch Reibung als mechanische Energie vernichtet.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 35

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Angewandte Physik

2.5 Kontrollfragen

4. Was versteht man unter einem Oszillator?

5. Wie ist der Begriff ungedämpfte Schwingung definiert?

6. Wie ist der Begriff harmonische Schwingung definiert?

7. Wie lautet die Differentialgleichung einer harmonischen Schwingung?

8. Wie hängen bei einer harmonischen Schwingung Geschwindigkeit und Aus-lenkung hinsichtlich der Phase zusammen?

9. Wie hängen bei einer harmonischen Schwingung Beschleunigung und Auslen-kung hinsichtlich der Phase zusammen?

10. Wie kann man die Wirkungsweise eines Oszillators vom energetischen Stand-punkt aus beschreiben?

11. Was für ein Kraftgesetz ist für das Zustandekommen der harmonischen Schwingung eines Federpendels notwendig?

12. Wie lautet die Gleichung für die Schwingungsdauer

a) eines mathematischen Pendels,

b) eines Federpendels?

Die Formelzeichen sind zu erläutern.

13. Welche Größen legen die Eigenfrequenz eines mit abnehmender Amplitude schwingenden Federpendels fest?

14. Wie wird die Kreisfrequenz eines freien Oszillators durch die Dämpfung beein-flusst? Eine qualitative Antwort genügt.

15. Wie sieht der zeitliche Verlauf der Auslenkung eines frei schwingenden Oszil-lators bei geringer und bei starker Dämpfung aus? Geben Sie die Antwort in zwei t, x - Diagrammen!

16. Wie hängt die Amplitude einer erzwungenen mechanischen Schwingung von der Kreisfrequenz eines mit konstanter Amplitude einwirkenden Erregers ab?

Geben Sie die Antwort in Form eines Diagramms!

17. Wie unterscheiden sich freie und erzwungene Schwingungen eines Oszillators bezüglich der möglichen Kreisfrequenzen?

18. Woher kommt die zur Aufrechterhaltung einer erzwungenen mechanischen Schwingung eines Oszillators benötigte Energie?

19. Warum braucht ein zu erzwungenen mechanischen Schwingungen angeregter Oszillator ständig Zufuhr von Energie? Was geschieht mit dieser Energie?

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3. WELLEN

3.1 Allgemeine Eigenschaften von Wellen, Wellengleichung und Wellen-funktion

Experimente Oszillatorkette und Wellenmodell: Mehrere Federpendel sind durch Federn miteinander verbunden. Wird ein Pendel in Schwingung versetzt, breitet sich die Erregung eines Pendels der Reihe nach auf die ande-ren Pendel aus. In einem zweiten Versuch werden die Ausbreitung einer Erregung und die Ausbildung ei-ner Welle an einer Reihe mit Torsionsfedern verbundener Stäbe gezeigt.

Unter einer Welle versteht man die räumliche Ausbreitung einer Erregung (zeitliche, peri-odische oder nichtperiodische Änderung einer physikalischen Größe), bei der Energie und Impuls transportiert wird. Wellen haben eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit.

Mechanische Störungen, die sich in einem elastischen Medium fortpflanzen, nennt man elas-tische Wellen. Bei elastischen Wellen erfolgt ein Energietransport, aber kein Materialtrans-port (vgl. Abschnitt 2.4, gekoppelte Oszillatoren). Für das Zustandekommen einer elastischen Welle benötigt man eine elastische oder quasielastische Kopplung der einzelnen Oszillatoren (bzw. der einzelnen Teile des Raumes).

Die Wirkungsweise der elastischen Kopplung kann am bereits demonstrierten Beispiel einer Oszillatorkette, bestehend aus einer Reihe gleicher Oszillatoren, gezeigt werden:

• Oszillatorkette ohne Kopplung Ein einzelnes angeregtes Federpendel vollführt Schwingungen der Form

( ) ( )0cos ϕω += tAty . Die anderen Pendel bleiben in Ruhe.

• Gekoppelte Oszillatoren Die Kopplung zwi-schen den Oszillatoren führt dazu, dass ein zu-nächst angeregtes Fe-derpendel das be-nachbarte Pendel eben-falls zur Schwingung anregt usw. Die Phase des folgenden Oszilla-tors hinkt der des vor-herigen jeweils hinter-

her.

Die Oszillatoren an den Orten vollführen deshalb Schwingungen der Form: ..,,, 21 xx

( )0x

( )( ) ( )( ) ( )

usw.coscoscos

202

101

00

ϕϕωϕϕω

ϕω

−+=−+=

+=

tAtytAtytAty

00 =x 0

Der Oszillator bei soll dabei mit der Anfangsphase ϕ schwingen. Außerdem sol-len der Abstand zwischen zwei benachbarten Oszillatoren und die verwendeten Kopp-

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Angewandte Physik

lungsfedern jeweils gleich sein, so dass die Phasendifferenzen zwischen benachbarten Oszillatoren ebenfalls gleich ist. Deshalb kann man die Phasendifferenz iϕ schreiben als

( )iii xϕϕ = ,

d.h. die Phasendifferenz zum Oszillator bei ist nur eine Funktion des Ortes. 0x

Der n-te Oszillator befinde sich an der Stelle λ=nx . Der Oszillator an dieser Stelle soll zum Oszillator bei gerade die Phasendifferenz 2π aufweisen, d.h. er schwingt mit gleicher Phase wie dieser. Dann ergibt sich

0=x0

( ) πλϕϕ 2== nn

und

( ) iii xxλπϕ 2

= .

Setzt man diesen Ausdruck in eines der obigen Ort-Zeit-Gesetze ein, erhält man zunächst für den einzelnen Oszillator

( )iii xtfxtAy ,2cos 0 =⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ +−= ϕ

λπω .

und schließlich die für alle Oszillatoren zutreffende Formulierung

( ) ⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ +−= 0

2cos, ϕλπω xtAxty .

Dies ist die Wellenfunktion für eine eindimensionale harmonische Welle. Die Auslen-kung ist eine Funktion der Zeit und des Ortes. Infolge der Kopplung der Oszillatoren brei-tet sich die Schwingung im Raum aus. (In diesem Fall erfolgt die Ausbreitung in positiver x-Richtung, für eine Ausbreitung der Welle in Richtung der negativen x-Achse müsste das Vorzeichen des ortsabhängigen Gliedes im Argument positiv sein.)

Im obigen Beispiel war bereits die Größe λ verwendet worden. Diese Größe bezeichnet man als Wellenlänge:

Die Wellenlänge λ beschreibt den Abstand zwischen zwei Elementen der Welle, die in gleicher Phase schwingen

Betrachtet man die oben dargestellte Welle zu zwei verschiedenen Zeitpunkten, kann man beobachten, dass z.B. die Stelle, an der die Auslenkung den Maximalwert erreicht (Wellen-berg) weiter wandert. Die Geschwindigkeit, mit der das passiert nennt man Phasengeschwin-digkeit.

Die Phasengeschwindigkeit c beschreibt die Geschwindigkeit, mit der sich die Welle aus-breitet.

Die Phasengeschwindigkeit lässt sich leicht ermitteln: In der Zeit ωπ2

=T , in der ein Oszilla-

tor eine volle Schwingung ausführt, ist die Welle gerade um die Wellenlänge λ weiter ge-rückt. Die Phasengeschwindigkeit ergibt sich damit als

kT

c ωπωλλ

===2

.

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Die Größe k nennt man Wellenzahl: k =2πλ

.

Selbst bei einer eindimensionalen Welle ( ) ( )0cos, ϕω += xktAxty m bereitet die grafische Darstellung Schwierigkeiten, da die Auslenkung eine Funktion zweier unabhängiger Variab-ler ist, wie die unten stehende Abbildung zeigt.

Man behilft sich damit, jeweils eine der Variablen festzuhalten:

Betrachtet man die Welle zu einem bestimmten Zeitpunkt, d.h. 0tt = , erhält man das Mo-mentbild der Welle

( ) ( ) ( )000~coscos ϕϕω +=+= xkAxktAxy mm ,

wobei hier das konstante Glied 0tω zur Anfangsphase gezählt werden kann. Die Betrachtung der Welle zu verschiedenen Zeitpunkten hat lediglich unterschiedliche Anfangsphasen zur Folge. Die Darstellung am Anfang dieses Abschnitts zeigt zwei Momentbilder einer Welle zu unterschiedlichen Zeiten.

Analog kann man durch Festhalten des Ortes die Schwingung eines einzelnen Oszillators erhalten:

( ) ( ) ( )000 coscos ϕωϕω (m +=+= tAxktAty

Angewandte_Physik_07.doc Seite 39

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Angewandte Physik

Herleitung der Wellengleichung Die Differentialgleichung einer Welle nennt man Wellengleichung. Hier soll gezeigt werden, wie eine allgemeine Überlegung zu dieser Differentialgleichung führt:

x x

y (x,0)= f (x) y (x,t)= f (x-ct)

t = 0 t > 0 y

Breitet sich eine Störung f (x) ohne Änderung der Form mit der Geschwindigkeit c in x-Richtung aus, dann gilt

, ( ) ( )y x t f x c t, = m

wobei das obere Vorzeichen wieder die Ausbreitung in positiver x-Richtung beschreibt.

Mit der Abkürzung u x c t= m kann man schreiben

2

2

2

2

dd

uf

xf

=∂∂

und

2

22

2

2

dd

ufc

tf

=∂∂ .

Setzt man die beiden Ausdrücke ineinander ein, erhält man die Differentialgleichung für die eindimensionale Wellenausbreitung (Wellengleichung):

∂∂

∂∂

2

2 2

2

2

10

fx c

ft

− =

Jede Funktion ( )f t x f txc

f txc

, = −⎛⎝⎜

⎞⎠⎟ + +⎛

⎝⎜⎞⎠⎟1 2 ist Lösung dieser Differentialgleichung.

Das Einsetzen der Wellenfunktion, die durch einfache Überlegung ermittelt wurde,

( ) ( ) ⎥⎦

⎤⎢⎣

⎡+⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛ −=+−= 00 coscos, ϕωϕω

cxtAxktAxty

ergibt zunächst

∂∂

ω∂∂

2

22

2

22y

ty

yx

k y= − = −

und

ck

22

2=ω

bzw.

ck

= =ω

λν (ω π ν= 2 ; k =2πλ

)

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Das Einsetzen der Wellenfunktion in die Wellengleichung liefert wieder den erwarteten Zu-sammenhang zwischen der Ausbreitungsgeschwindigkeit (Phasengeschwindigkeit) der Welle sowie ihrer Frequenz, die gleich der Frequenz der Schwingung der einzelnen Oszillatoren ist, und der Wellenlänge.11

Im dreidimensionalen Raum wird die Wellengleichung zu

1

2

2

2cf

tf

∂∂

= ∆

dabei ist ∆ = + +∂∂

∂∂

∂∂

2

2

2

2

2

2x y z

der Laplace-Operator.

Eigenschaften von Wellen

Experiment Oszillatorkette: Durch unterschiedliche Anregung kann man Wellen erhalten, bei denen die einzelnen Os-zillatoren entweder parallel oder senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Welle schwingen.

Es gibt Longitudinalwellen und Transversalwellen. Bei Longitudinalwellen erfolgt die Änderung der physikalischen Größe (Schwingung) in Ausbreitungsrichtung der Welle, bei Transversalwellen senkrecht dazu. Wasserwellen nehmen eine Sonderstellung ein, da hier die schwingenden Teilchen eine kreisförmige Bewegung ausführen.

Longitudinalwellen kommen nur als elastische Wellen vor. Alle elektromagnetischen Wellen sind Transversalwellen.

Experiment Polarisation von Seilwellen: Ein Seil wird durch einen Motor an einem Ende im Kreis bewegt. Die Erregung pflanzt sich im Seil als Welle fort. Die Betrachtung der Welle von der Seite und von oben lässt kei-ne Unterschiede erkennen: Die Elemente des Seiles schwingen gleichermaßen in den zwei senkrecht aufeinander (und senkrecht auf dem Seil) stehenden Richtungen. Durch Einfüh-ren einer Blende mit Schlitz wird die Bewegung des Seiles senkrecht zum Schlitz unterbun-den, das Seil schwingt nur noch in Richtung des Schlitzes. Der Schlitz wirkt als Polarisa-tor, wir erhalten eine linear polarisierte Welle. Eine zweite Blende mit Schlitz wirkt als Analysator. Die Ausrichtung des zweiten Schlitzes senkrecht zum ersten unterdrückt die Schwingung vollständig.

Transversalwellen können polarisiert werden. Wenn die Schwingungen der einzelnen Oszil-latoren nur in einer Ebene stattfinden, nennt man die Welle linear polarisiert. (Vgl. dazu auch Abschnitt 2.1.6: Bei einer Transversalwelle kann die Schwingung der einzelnen Oszilla-toren in den beiden senkrecht auf der Ausbreitungsrichtung stehenden Richtungen erfolgen. Die Schwingung erfolgt mit gleicher Frequenz. Durch unterschiedliche Amplituden und Pha-sen erhält man eine elliptisch, zirkular oder linear polarisierte Welle.)

11 Man wird an dieser Stelle fragen, wozu der ganze Aufwand gut war. Nun – es wurde hier nur gezeigt, welche mathematische Struktur die Differentialgleichung einer Welle besitzt. Zuletzt wurde gezeigt, dass die am Anfang dieses Abschnitts hergeleitete Wellenfunktion dieser Differentialgleichung genügt. Interessant wird es erst, wenn man die Bewegungsgleichung für ein System aufstellt, in dem sich Wellen ausbreiten können. In diesem Fall erhält man tatsächlich eine Differentialgleichung der gezeigten Form, in der die Phasengeschwindigkeit c durch die Eigenschaften des Systems ausgedrückt wird. Für eine Kugelkette ergibt sich so z.B. die Phasengeschwin-digkeit aus der Masse der Kugeln und der Federkonstante der Kopplungsfedern. Häufig wird auch in Lehrbü-chern die Herleitung der Schallgeschwindigkeit in idealen Gasen gezeigt. Sie ergibt sich aus der Wellenglei-chung als Funktion der Gaseigenschaften Adiabatenexponent, molare Masse und Temperatur.

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Angewandte Physik

Experiment Wellenwanne: Durch mechanische Anregung werden in einer flachen, mit Wasser gefüllten Wanne ver-schiedene Wasserwellen erzeugt, an denen die Begriffe Wellenfront, Wellenfläche und Wel-lennormale erklärt werden.

Unter einer Wellenfläche versteht man die Gesamtheit aller Punkte, deren Schwingungszu-stand die gleiche Phase aufweist, die vorderste Wellenfläche heißt Wellenfront. Die Ausbrei-tung der Wellen erfolgt senkrecht zu den Wellenflächen, in Richtung der Wellennormalen. Die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellenflächen ist die oben hergeleitete Phasenge-schwindigkeit.

Bei vielen Systemen ist die Phasengeschwindigkeit nicht für alle Wellenlängen gleich. Die Abhängigkeit der Ausbreitungsgeschwindigkeit von der Wellenlänge bezeichnet man als Dis-persion.

Experiment Wellenwanne mit Hindernis: Trifft eine Welle auf ein Hindernis, ändert sie ihre Ausbreitungsrichtung. Wird die Welle vom Hindernis zurückgeworfen, spricht man von Reflexion, breitet sich die Welle im Hin-dernis weiter aus, spricht man von Brechung.

Trifft eine Welle auf eine Grenzfläche, tritt Reflexion und Brechung auf.

Experiment Wellenwanne mit mehreren Wellenzentren: Bei der Überlagerung von zwei oder mehr Wellen beobachtet man ein Wellenfeld mit un-terschiedlichen Amplituden. Neben Stellen, an denen die Wellen sich offenbar verstärken, beobachtet man an manchen Stellen eine Auslöschung der Wellen.

Überlagern sich mehrere Wellen, so kann es zur Interferenz der Wellen kommen. Interferenz ist die bei der Überlagerung von zwei oder mehr Wellen auftretende Erscheinung, die zu einer Schwächung oder Verstärkung der Wellenerscheinung an verschiedenen Stellen im Wellen-feld führt.

Experiment Wellenwanne mit Hindernissen: Neben Reflexion und Brechung gibt es weitere Erscheinungen, die die Änderung der Aus-breitungsrichtung einer Welle zur Folge haben. Hindernisse, die nicht die ganze Breite der Wellenwanne einnehmen, werfen keinen scharfen Schatten, die Welle wird in das Gebiet hinter dem Hindernis hinein gebeugt.

Die Ablenkung eines Teils einer Welle beim Durchgang durch Substanzen bezeichnet man als Streuung. Sie führt zum Intensitätsverlust der durchlaufenden Welle und zu Intensitäten in anderen Richtungen.

Als Beugung bezeichnet man ein Phänomen, bei dem hinter einem Hindernis eine Welle in einem Bereich zu beobachten ist, der bei geradliniger Ausbreitung der Welle abgeschattet sein müsste.

3.2 Überlagerung von Wellen - Interferenz, stehende Wellen Superpositionsprinzip Treffen in einem Raumgebiet mehrere Wellen aufeinander, so breiten sich (bei den meisten vorkommenden Systemen) die einzelnen Wellen so aus, als ob die anderen nicht vorhanden wären. Die Wellenfunktion an einem bestimmten Ort ergibt sich als Summe der beteiligten Einzelwellen. Dieses Prinzip bezeichnet man als lineare Superposition.

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Einfachster Fall:

Überlagerung zweier gegenläufiger eindimensionaler periodischer Wellen Bei eindimensionalen Wellen kann man sinnvoll nur mit zwei einander entgegen laufenden Wellen eine sinnvolle x-Abhängigkeit erzeugen.

( ) ( )( ) ( ) ψ

ψϕωψϕω

coscoscos,

coscos,21

2222222

1111111 AfffAxktAxtf

AxktAxtf=+=

⎭⎬⎫

=++==+−=

Diese Wellenfunktionen lassen sich durch Vektoren in einem Koordinatensystem darstellen, wobei die Ampli-tude A jeweils die Länge des Vektors bestimmt, und der Winkel ψ derjenige Winkel ist, den der Vektor mit der Abszissenachse einschließt. Die Wellenfunktionen f er-geben sich dann als Projektionen der Vektoren auf die Abszissenachse12. ψ1

ψ ψ2 1−A

Die Amplitude A der resultierenden Welle ergibt sich mit dieser Konstruktion einfach nach dem Kosinussatz13:

( )A A A A A212

22

1 2 2 12= + + −cos ψ ψ

( ) ( ) ( )[ ]44444444 344444444 21

zgliedInterferen

1212122122

21

2 cos2 ϕϕωω −+++−++= xkktAAAAA

Der erhaltene Ausdruck enthält einen Summanden, der orts- und zeitabhängig ist. Dieser Summand wird als Interferenzglied bezeichnet.

Diskussion des Interferenzgliedes:

• zeitlich konstant und (ϕ ϕ2 1− ) ω ω1 2= (damit auch k k1 2= ): Der Kosinus erhält für jedes x einen zeitunabhängigen Wert. Man beobachtet ein Interferenzmuster. Für liegt der Wert für zwischen Null und

A A1 = 2

)A2 4 1

2A

• zeitlich konstant, aber (ϕ ϕ2 1− ω ω1 2≠ . Das Interferenzglied fällt im zeitlichen Mittel weg. Bei kleinen Unterschieden der Kreisfrequenz kann man eine zeitliche Änderung der

Intensität mit der Periode T = −⎡

⎣⎢

⎦⎥

1 1

1 2ν ν beobachten (Schwebung).

• zeitlich nicht konstant, d.h. keine feste Phasenbeziehung zwischen den Wellen (z.B. einzelne Wellenzüge): Das Interferenzglied fällt im zeitlichen Mittel weg. Es gilt: (ϕ ϕ2 1− )

A A A212

22= +

)

12 Das gewählte Verfahren wird erst vollständig verständlich, wenn man mit komplexen Wellenfunktionen arbei-tet, wozu hier die Grundlagen fehlen. Die Darstellung entspricht der trigonometrischen Form der Darstellung komplexer Zahlen. 13 Man beachte: ( ) (cos cosπ α α− = −

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Angewandte Physik

Mit der Einführung der Intensität als

I f A= =2 2

kann man das Ergebnis auch schreiben als

I I I= +1 2 ,

d.h. im beschriebenen, häufig vorkommenden Fall addieren sich die Intensitäten der ein-zelnen Wellen.

Interferenz ist die bei der Überlagerung von zwei oder mehr Wellen auftretende Er-scheinung der Verstärkung oder Schwächung bzw. Auslöschung, wobei sich die Intensi-täten der Teilwellen nicht addieren.

Damit Interferenz auftritt, müssen die Wellen kohärent sein.

Zwei Wellen heißen kohärent, wenn ihre Phasendifferenz im Zeitverlauf an jedem Ort des Wellenfeldes konstant ist. Damit diese Bedingung erfüllt ist, müssen die Wellen auch die gleiche Frequenz haben.

Die Wellen müssen außerdem in der gleichen Ebene polarisiert sein.

Zur Diskussion der Interferenz von zwei gegenläufigen eindimensionalen Wellen sollen nun nur Wellen betrachtet werden, welche die obige Interferenzbedingung erfüllen, d.h. wir be-trachten zwei eindimensionale Wellen gleicher Frequenz und Wellenzahl:

In positiver x-Richtung laufende Welle

( )101 cos),( ϕω +−= xktAtxf

zurücklaufende Welle

( )202 cos),( ϕω ++= xktAtxf

Wenn sich die beiden Wellen überlagern, ergibt sich die resultierende Wellenfunktion als Summe der Wellenfunktionen der einzelnen Wellen, d.h.

( ) ( ) ( )[ ]21021 coscos, ϕωϕω ++++−=+= xktxktAfftxf

Mit Hilfe eines Additionstheorems14 erhält man sofort:

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ +

+⋅⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ −

+=

⎟⎠⎞⎜

⎝⎛

2cos

2cos2 1212

0ϕϕ

ωϕϕ t

xA

xkAf4444 34444 21

.

Ergebnis: Orts- und Zeitabhängigkeit sind entkoppelt. Wir erhalten eine stehende Welle.

Das System führt eine harmonische Schwingung mit der Amplitude aus, die nur vom Ort abhängig ist. Die Stellen, an denen

( )xA( ) 0=xA ist, nennt man Knoten, diejenigen mit der

14 Additionstheorem:

2cos

2cos2coscos βαβαβα −

⋅+

=+ , wobei hier zweckmäßigerweise ( ) αϕω =++ 2xkt

und entsprechend ( ) βϕω =+− 1xkt gesetzt werden.

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maximalen Amplitude heißen Bäuche. Zwischen zwei benachbarten Knoten schwingen alle Elemente synchron mit gleicher Phase.

( )A x A= 2 0

Experiment stehende Wellen: Am Wellenmodell können die eben erhaltenen Beziehungen überprüft werden. Man sieht aber auch, dass nicht jede Anregungsfrequenz zur Ausbildung stehender Wellen führt.

Stehende Wellen bilden sich nur unter bestimmten Bedingungen aus:

Beispiel: Seil der Länge L, beidseitig fest eingespannt

( ) ( ) ( )f t A n0 0 0 02

02

2 12

2 1 2 1, cos= → = →−⎛

⎝⎜⎞⎠⎟

= →−

= +ϕ ϕ ϕ ϕ π

( ) ( ) ( )f L t A L kL kL kL m, cos sin= → = → +−⎛

⎝⎜⎞⎠⎟

= → = → =0 02

0 02 1ϕ ϕπ

(mit n = 0, 1, 2, ... und m = 1, 2, 3, ....)

Man erhält so die möglichen stehenden Wellen auf dem Seil, die auch als Eigenschwingun-gen bezeichnet werden.

Mit k =2πλ

erhält man die zugehörigen Wellenlängen: λmL

m=

2

Die entsprechenden Frequenzen sind über ν

λ c= : ν m m

cL

=2

Für m = 1 ergibt sich die Grundschwingung: λ1 2= L und ν1 2=

cL

Oberschwingungen ergeben sich bei Frequenzen, die ein ganzzahliges Vielfaches der Fre-quenz der Grundschwingung sind.

Da sich stehende Wellen nur bei bestimmten Anregungsfrequenzen ergeben, liegt ein Ver-gleich mit der Erscheinung der Resonanz, die bei den erzwungenen Schwingungen bespro-chen wurde, nahe. Tatsächlich beschreiben beide Modelle denselben Sachverhalt. Man wird in der Praxis die dem jeweiligen Problem angemessene Beschreibung wählen.

Experiment zum Einfluss der Ausbreitungsgeschwindigkeit auf stehende Wellen: Der Einfluss der Ausbreitungsgeschwindigkeit wird an einer Reihe gekoppelter Torsions-pendel gezeigt. Verringert man das Massenträgheitsmoment der Torsionspendel durch Verschieben der Massen, ergibt sich eine größere Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle. Man erhält bei gleicher Anregungsfrequenz nun eine größere Wellenlänge.

Experiment Phasensprung: Eine Welle, die am Wellenmodell erzeugt wird, wird an dessen Ende reflektiert. Lässt man den letzten Stab des Wellenmodells frei schwingen, läuft ein Wellenberg als Wellenberg zurück. Wenn man jedoch den letzten Stab arretiert, wird ein Wellenberg als Wellental re-flektiert. Diesen Effekt nennt man Phasensprung. Bei Reflexion am festen Ende springt die Phase der Welle um π (180°). Am losen Ende tritt kein Phasensprung auf.

Experiment Dezimeterwellen: Auch bei elektromagnetischen Wellen bilden sich stehende Wellen aus. Eine Glühlampe in der Mitte eines Dipols zeigt den Strom-Bauch an.

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3.3 Interferenz zweier ebener Wellensysteme

Zwei punktförmige Wellenquellen im Ab-stand d sollen mit gleicher Frequenz und kon-stanter Phase schwingen. Die Wellenflächen jedes Systems für sich sind dann konzentri-sche Kugeln. Es soll hier nur ein ebener Schnitt durch das Wellenfeld betrachtet wer-den, der beide Quellen enthält.

1rr

2rr

xd/2 d/2 2 1

P y

Die Wellenfunktionen beider Wellen am Punkt P lauten

( ) ( )1111 cos ϕω +−= rktAPf

( ) ( )2222 cos ϕω +−= rktAPf ,

und die resultierende Wellenfunktion ergibt sich wieder als Summe der einzelnen Wellen-funktionen am Punkt P:

( ) ( ) ( )PfPfPf 21 +=

Dieser Ausdruck kann wie der in Abschnitt 3.2 behandelt werden, womit man für die Ampli-tude der resultierenden Wellenfunktion erhält:

( ) ( )[ ]12212122

21

2 cos2 ϕϕ −+−++= rrkAAAAA

Wie man sieht, ergeben sich Kurven gleicher Intensität für

constrrs =−=∆ 12

Die Kurven gleicher Intensität sind Hyperbeläste15. s∆ ist der Gangunterschied der beiden Wellen.

Haben die beiden von den Punkten 1 und 2 ausgehenden Wellen die gleiche Amplitude ( ), folgt für die Amplitude der resultierenden Welle A A A1 2= = 0

max = 4 02

, ( )( )[ ]1220

2 cos12 ϕϕ −+∆+= skAA

d.h. es treten Kurven maximaler Intensität (konstruktive Interferenz) und mini-maler Intensität (destruktive Interferenz) auf.

I AImin = 0

Ob konstruktive oder destruktive Interferenz auftritt, richtet sich nach der im Argument des Kosinus stehenden Phasendifferenz: Ist die Phasendifferenz ein Vielfaches von 2π , erhält

15 Die Hyperbel ist der geometrische Ort alle Punkte, für die die Differenz der Abstände von zwei gegebenen festen Punkten konstant ist.

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man die Maximale Intensität. Beträgt sie ein ungeradzahliges Vielfaches von π tritt Auslö-schung ein.

Wenn die beiden Wellenquellen gleichphasig schwingen, d.h. ϕ ϕ1 2= ist, ergeben sich die Kurven konstruktiver Interferenz für

k s m∆ = ⋅ 2π bzw.

∆ s m= λ ,

d.h. konstruktive Interferenz tritt auf, wenn der Gangunterschied der beiden Wellen ein Vielfaches der Wellenlänge ist.

Diejenigen destruktiver Interferenz liegen bei

bzw. ( )k s n∆ = +2 1 π

( )∆ s n= +2 12λ

,

d.h. destruktive Interferenz tritt auf, wenn der Gangunterschied ein ungeradzahliges Viel-

faches der halben Wellenlänge ist (λ λ λ2

32

52

, , , ... ).

Die nebenstehende Skizze zeigt die Linien kon-struktiver Interferenz für d = 3 λ. Die einge-zeichneten Linien gehören zu den Gangunter-schieden λλ 2,,0 ±±=∆ s .

Ist P sehr weit von den Quellen entfernt ( ), dann gilt für den Gangunterschied näherungsweise:

21 , rrd <<

∆ s d= sinϑ

Der Winkel ϑ ist der Winkel, den die Beo-bachtungsrichtung mit der Senkrechten auf der Verbindungslinie der beiden Wellenzentren einschließt.

.

21

ϑ

x

∆s P∞

y

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In den Richtungen ϑmax , die durch

d msin maxϑ λ=

gegeben sind, tritt konstruktive Interferenz (Verstärkung) auf.

Destruktive Interferenz (Schwächung bzw. Auslöschung) findet man in den Richtungen ϑmin mit

( )d nsin minϑλ

= +2 12

3.4 Vielfachinterferenz Statt der zwei Wellen sollen nun N Wellen überlagert werden. Die N Wellen sollen alle die gleichen Einzelamplituden haben. Außerdem sollen die von je zwei benachbarten Wellenzent-ren kommenden Wellen zueinander eine konstante Phasendifferenz ϕ haben. Die Phasendif-ferenz kann z.B. durch einen konstanten Gangunterschied der Wellen zustande kommen.

Experiment Wellenwanne mit mehr als zwei Wellenzentren: Das beobachtete Interferenzmuster wird deutlich komplizierter. Die Hauptmaxima werden schärfer, dazwischen gibt es neben Bereichen mit Auslöschung noch schwache Nebenma-xima.

Auch hier muss wieder die Wellenfunktion oder wenigstens die Intensität an einem Punkt P des Wellenfeldes berechnet werden. Sinnvoll lässt sich das nur mit komplexen Wellenfunkti-onen bewerkstelligen. Die Behandlung der Vielfachinterferenz mit reellen Wellenfunktionen ist umständlich und aufwändig16.

Man erhält für die Intensität I den Ausdruck

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

==

2sin

2sin

2 2

22

2

ϕ

ϕNAfI

Gemäß dieser Formel erhält man Auslöschung, wenn der Zähler des Bruches gleich Null, der Nenner aber ungleich Null ist. Der Zähler wird Null, wenn

πϕπϕNnnN 2bzw.

2== (mit ...,3,2,1,0 ±±±=n ) ist.

Der Nenner wird gleich Null für

πϕ m=2

bzw. πϕ m2= ( ...),2,1,0 ±±=m .

Das ist gemäß der für den Zähler abgeleiteten Beziehung der Fall für usw. Diese Fälle müssen ausgeschlossen werden, und es muss folg-

lich zusätzlich gelten: NnNnn 2,,0 ±=±==

n N N≠ ± ±0 2, , ,... 16 Eine solche Rechnung ist z.B. in Stroppe: Physik; Carl Hanser Verlag; München, Wien 1976 (Abschnitt 4.5.3.2) zu finden.

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Maximale Verstärkung erhält man, wenn Zähler und Nenner gleichzeitig Null sind. Das ist der Fall für

n N N= ± ±0 2, , ,...

Man erhält also Hauptmaxima für

( )ϕ πmax , , , ...= = ± ±2 0 1m m 2

zwischen den Maxima liegen N - 1 Minima bei

( )( )ϕ ππ

min , ...,= + = ± ± −22

1 1mlN

l N

Da sich zwischen den Minima lokale Maxima befinden müssen, liegen zwischen den Haupt-maxima N - 2 Nebenmaxima.

Das erste Minimum neben einem Hauptmaximum liegt bei

ϕ ππ

1. Min. = ±22

mN .

Je größer N, d.h. die Zahl der interferierenden Wellen ist, umso näher rücken die ersten Mi-nima an die jeweiligen Hauptmaxima und umso schmaler werden damit die Hauptmaxima.

Höhe der Hauptmaxima: Da die Hauptmaxima auftreten, wenn Zähler und Nenner gleichzeitig Null sind, ist die Be-stimmung der Intensität nicht trivial, da ja der Funktionswert in diesem Fall unbestimmt ist. Man muss hier die L’Hospital’sche Regel anwenden, d.h. solange Zähler und Nenner diffe-renzieren bis der Nenner bei dem entsprechenden Wert von ϕ ungleich Null ist. Das gelingt hier bereits bei der ersten Ableitung.

Es ergibt sich

ϕ π π

ϕ

ϕ→ ± ±

⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

⎜⎜⎜⎜

⎟⎟⎟⎟

= ±0 2 4

2

2, , ,...lim

sin

sin

NN

und damit

22

max 2)2( NAmII == π

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Angewandte Physik

4 2 0 2 40

0.5

1

maxII

πϕ

Kurvenverlauf: Relative Intensität als Funktion der Phasendif-ferenz für 6=N

1 Bisher wurde nicht diskutiert, wie die Pha-sendifferenz ϕ zustande kommt. Anhand der nebenstehenden Skizze kann der Zusammen-hang zwischen der unter dem Winkel ϑ beo-bachteten Phasendifferenz ϕ und dem Ab-stand d der einzelnen Wellenzentren herge-stellt werden:

ϑ

P∞

d 2

3

4

5 Der Gangunterschied zwischen zwei benach-barten Strahlen beträgt

6 ∆ s d= sinϑ ,

woraus sich der Phasenunterschied

ϕ πλ

ϑ= =2∆ s

k d sin N

ergibt.

Die Hauptmaxima in Richtung ϑmax erfüllen die Bedingung

λϑ md =maxsin ,

erste Minima neben einem m-ten Hauptmaximum liegen bei

N

md λλϑ ±=1.Minsin .

Die Zahl der möglichen Maxima und Minima ist nun dadurch eingeschränkt, dass ϑsin nur Werte zwischen -1 und 1 annehmen kann.

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Im nebenstehenden Polardiagramm ist die relative Intensität als Funktion des Winkels ϑ für den Fall und 4=N

λ23

=d dargestellt. Die vier Wellen-

zentren sind dabei vertikal angeordnet (wie in der vorigen Skizze).

0

30

60

90

120

150

180

210

240

270

300

330

0.8

0.6

0.4

0.2

0

Vielfachinterferenz von Wellen unterschiedlicher Wellenlänge

Sind an der Interferenz Wellen verschiedener Wellenlänge beteiligt, erhält man für jede Wel-lenlänge ein eigenes Interferenzmuster. Entsprechend

λϑ md =maxsin

erhält man die Maxima für eine größere Wellenlänge unter einem größeren Beobachtungs-winkel. In unten stehender Skizze ist dies für zwei unterschiedliche Wellenlängen dargestellt, wobei die rote Kurve zur größeren Wellenlänge gehört.

0 2 4 6 8 100

0.2

0.4

0.6

0.8

1

maxII

ϑsin

Überlagern sich 2 Vielfachinterferenzmuster verschiedener Wellenlängen ( λ λ λ, + ∆ ), dann kann man sie noch trennen, falls Hauptmaxima von λ λ+ ∆ mit ersten Minima von λ zusammenfallen (s. Skizze):

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Wellenlänge λλ ∆+ : ( )λλϑ ∆+= mmaxsin (in der Skizze rot)

Wellenlänge λ : N

m λλϑ +=Min 1.sin (in der Skizze blau)

( )N

mm λλλλ +=∆+

Nm=∆λλ

Das Verhältnis λ

λ∆

nennt man das Auflösungsvermögen des Interferenzapparates. Es spielt

für alle Messverfahren eine Rolle, bei denen Strahlung, die aus Wellen unterschiedlicher Wel-lenlängen besteht, mit Hilfe der Interferenz in ihre spektralen Bestandteile zerlegt werden soll. Das Auflösungsvermögen ist umso größer, je größer die Zahl N der interferierenden Strahlen und je größer die Ordnung m des verwendeten Interferenzmaximums ist. Diese Betrachtung spielt z.B. bei Gitterspektrometern (s. dazu Abschnitt 3.5) eine Rolle.

3.5 Beugung Experiment Wellenwanne mit Hindernissen: Hindernisse im Wellenfeld erzeugen keinen scharfen „Schatten“.

Den beobachteten Effekt nennt man Beugung:

Unter Beugung versteht man die Abweichung einer Wellenbewegung von der geradlinigen Ausbreitung, d.h. von der Ausbreitung in Richtung der Wellennormalen, sofern diese Ab-weichung nicht durch Brechung, Reflexion oder Streuung hervorgerufen wird.

Beugung ist eine allgemeine Eigenschaft aller Wellenerscheinungen. Wenn bei einer phy-sikalischen Erscheinung Beugung beobachtet werden kann, ist dies der Nachweis ihrer Wel-lennatur. (Zur Wellennatur von Teilchenstrahlen s. Abschnitt 8.2.)

Beugungseffekte sind nur dann von Bedeutung, wenn die Größe des Hindernisses die Grö-ßenordnung der Wellenlänge hat.

• Beispiel Licht, Wellenlänge ca. 500 nm: Die Beugung ist für große Objekte (Fenster u. ä.), deren Abmessung in der Größenordnung Meter liegt, unbedeutend. Bedeutend ist die Beu-gung des Lichtes für mikroskopische Objekte. Die Beugung an der Blende des Mikroskops begrenzt dessen Auflösungsvermögen. Gitter mit typischen Abmessungen im µm-Bereich werden als optische Spektrometer verwendet (s. dazu Experiment am Ende des Abschnit-tes).

• Beispiel Röntgenstrahlung, Wellenlänge der Cu Kα-Strahlung 0,1537 nm: Röntgenstrah-lung dieser Wellenlänge ist gut geeignet für die Beugung an einem Kristallgitter (z.B. Ei-sen, Gitterkonstante 0,2854 nm).

• Beispiel Schall, Wellenlänge im Bereich Meter bis Zentimeter (ν

λ c= , für ν = 340 Hz

beträgt die Wellenlänge 1 m, für 3,4 kHz beträgt sie 10 cm usw.): Beugungseffekte treten vor allem bei niedrigen Frequenzen in Erscheinung.

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Die Beugung lässt sich mit dem Huygens’schen Prinzip erklären:

Jeder Punkt eines Mediums, das von einer Welle erfasst wird, wird dadurch selbst zum Ausgangspunkt einer so genannten Elementarwelle. Das resultierende Wellenfeld kann man sich durch Interferenz dieser Elementarwellen entstanden denken.

Experiment Wellenwanne mit mehreren Wellenzentren: Die in den Wellenzentren erzeugten kreisförmige Wellen summieren sich in einigem Ab-stand von den Wellenzentren zu ebenen Wellen.

Betrachtung der Beugung am Spalt

Wir gehen von einer ankommenden ebenen Welle aus und betrachten das entstehende Beu-gungsbild in großer Entfernung vom Spalt. Die Beschreibung der Wellen kann wegen der ebenen Wellenflächen mit parallelen Strahlen erfolgen. Diese Betrachtung der Beugung be-zeichnet man als Fraunhofer’sche Beugung17.

Die ebene Welle erfasst sämtliche Punkte innerhalb des Spaltes, so dass von diesen Elemen-tarwellen ausgehen (s. Skizze). Die Beschreibung des resultierenden Beugungsbildes kann mit Hilfe der bei der Vielfachinterferenz hergeleiteten Beziehungen erfolgen:

Geht man von N Wellenzentren im Spalt aus, so kann man für die Amplitude der einzelnen Wellen ansetzen

ϑ

∆ s d= sinϑebene Welle AAN

= 0 .

Der Gangunterschied zwischen zwei benach-barten Wellen ist dem entsprechend

ϕ =k s

N∆

.

Die Intensität ist dann

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ ∆

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ ∆

⋅⋅=

Nsk

NskN

NA

I

21sin

2sin

2 2

2

2

20

Spaltbreite d

und nach dem Grenzübergang N → ∞ sowie dem Einsetzen des Gangunterschiedes

2

220

2

2sin

2lim⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ ∆

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ ∆

⋅=∞→ sk

skA

IN

17 Die Betrachtung der Beugung für Sender und Empfänger in endlicher Entfernung vom Spalt bezeichnet man als Fresnel’sche Beugung (Kugelwellen - divergente Strahlen).

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Angewandte Physik

2

220

Spaltsin

sinsin

2⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛

⋅=

λϑπλ

ϑπ

d

dA

I .

Der Intensitätsverlauf als Funktion von ϑsin ist rechts für zwei Fälle dargestellt: oberes Bild λ4=d , unteres Bild λ2=d

Es ergeben sich Minima bzw. Maxima für

sin , ,...minϑλ

= = ± ±nd

n 1 2

und ,...2,1

21sin max

=

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ +±=

nd

n λϑ.

Das Hauptmaximum liegt bei

0sin max =ϑ .

Eine einfache Herleitung der Mini-ma der Intensität bei der Beugung am Spalt liefert nebenstehende Skizze:

Durch Teilen des Spaltes in der Mitte erhält man jeweils paarweise interferierende Strahlen. Minima er-geben sich, wenn der Gangunter-

schied gerade 2λ beträgt. Die Ma-

xima können in dieser Darstellung nicht bestimmt werden, man nimmt nur einfach an, dass sie zwischen den Minima liegen.

1 0.5 0 0.5 10

0.2

0.4

0.6

0.8

1

1 0.5 0 0.5 10

0.2

0.4

0.6

0.8

1

ϑsin

maxII

maxII

1. Minimum: ∆ s = λ 2 2. Minimum: Spalt vierteln usw.

∆ sd

=2

sinϑ

ϑ

d/2

d

Experiment Beugung am Spalt: Mit einer Bogenlampe mit vorgesetztem Farbfilter wird ein Spalt variabler Breite beleuch-

tet. Das Beugungsbild wird mittels einer Fernsehkamera sichtbar gemacht. Je schmaler

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der Spalt ist, umso breiter ist das Hauptmaximum und umso weiter rücken die Nebenma-xima nach außen.

Doppelspalt Die Minima / Maxima ergeben sich nach der analogen Überlegung, wobei hier auch die Maxima bestimmt werden können:

sin

sin , , ,...

min

max

ϑλ

ϑλ

= +⎛⎝⎜

⎞⎠⎟

= = ± ±

nd

nd

n

g

g

12

0 1 2

Die Beziehungen gelten auch für Gitter mit mehr als zwei Spalten. Die Größe n bezeichnet man bei den Maxima als Beugungsordnung.

,

1 0.5 0 0.5 10

0.2

0.4

0.6

0.8

1Doppelspalt

Inte

nsitä

t

sin (phi)

1 0.5 0 0.5 10

0.2

0.4

0.6

0.8

1

ϑ

∆ s dg= sinϑ

Die nebenstehenden Intensitäts-verläufe zeigen den Unterschiedzwischen einem Doppelspalt undeinem Beugungsgitter (in diesemFall mit 10 Spalten). Wie im Ab-schnitt 3.4 ausgeführt, werden dieIntensitätsmaxima umso schärfer,je größer die Zahl der interferie-renden Strahlen ist.

Die Intensitätsverläufe sind au-ßerdem durch die Intensitätsver-läufe der Beugung an den einzel-nen Spalten überlagert, weshalbdie Intensität der Maxima fürgrößere Winkel abnimmt.

Abstand der Spaltmitten dg

Inte

nsitä

t

ϑsinGitter

sin (phi)ϑsin

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Angewandte Physik

Experiment Beugung von monochromatischem Licht an einem Strichgitter: Aus dem Beugungsbild, das durch Beugung des Lichtes eines Lasers an einem Strichgitter erzeugt wird, soll die Gitterkonstante bestimmt werden. Das Beugungsbild wird auf einem Schirm im Abstand l vom Gitter beobachtet. Der Abstand zweier Beugungsmaxima auf dem Schirm sei . Für kleine Winkel gilt y∆

sin maxϑ =∆ yl

Die Gitterkonstante ergibt sich dann als

yld g ∆

Die Werte für l und y∆ sind zu messen. Im Vorversuch wurden m1=l und ermittelt. Der Laser emittiert Licht bei λ = 632,8 nm. Damit ergab sich die Gitterkonstante

, was 616 Strichen je Millimeter entspricht (Angabe auf dem Gitter: 570 mm

m39,0=∆ y

m106,1 6−⋅=gd-1).

Experiment Beugung von weißem Licht: Bei der Beugung von weißem Licht beobachtet man ab der ersten Beugungsordnung eine Aufspaltung des weißen Lichtes in seine spektralen Bestandteile. Das Spektrum wird um so breiter, je höher die Beugungsordnung ist. Damit verbessert sich auch das Auflösungsver-mögen. Allerdings können nur die ersten beiden Beugungsordnungen für eine Spektralana-lyse verwendet werden, da sich ab der dritten Beugungsordnung die Spektren benachbar-ter Beugungsordnungen des sichtbaren Lichtes überlappen.

3.6 Reflexion, Brechung, Totalreflexion Experiment Wellenwanne mit Hindernissen: An Hindernissen, die die gesamte Wassertiefe einnehmen, erfolgt Reflexion. Hindernisse unter der Wasseroberfläche verändern die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Welle, die Welle wird gebrochen.

Trifft eine Welle auf eine Grenzfläche, wird sie reflektiert und/oder gebrochen. Zur Erklä-rung von Reflexion und Brechung kann e-benfalls das Huygens’sche Prinzip herange-zogen werden, wobei man die an der Grenz-fläche entstehenden Elementarwellen be-trachtet.

Die Ein- bzw. Ausfallswinkel 1ϕ und 2ϕ sind die Winkel, die die ein- bzw. ausfallen-den Strahlen mit der Lot auf der Grenzfläche einschließen.

Die von der einlaufenden Welle (Wellenflä-che AB ) ausgelösten Elementarwellen sum-mieren sich zu den Wellenflächen CD für

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die reflektierte bzw. CE für die gebrochene Welle.

Man erhält für die Reflexion:

Einfallswinkel 1ϕ = Reflexionswinkel 1ϕ

und für Brechung

sinsin

ϕϕ

1

2

1

2

1

2= = =

⋅⋅

=BC ACAE AC

BCAE

c tc t

cc

.

Mit Einführung des Brechungsindex

ncc

= 0

erhält man die Formulierung des Brechungsgesetzes

sinsin

ϕϕ

1

2

2

1=

nn

bzw.

n n1 1 2sin sin 2ϕ ϕ=

Experiment Wellenwanne mit Linsen und fokussierenden Spiegeln: Durch entsprechend geformte Teile, die in die Wellenwanne gelegt werden, kann man die Wirkung von Linsen und Brennspiegeln demonstrieren.

Experiment Linsen, Spiegel und Prismen: An einer Demonstrationstafel werden die Strahlengänge optischer Bauelemente gezeigt, deren Funktion auf Reflexion und Brechung beruht.

Experiment Totalreflexion: An der Demonstrationstafel kann auch gezeigt werden, dass beim Übergang aus einem Medium mit höherer zu einem Medium mit niedrigerer Brechzahl der Strahl vom Lot weg gebrochen wird. Erhöht man den Einfallswinkel, tritt schließlich der Fall ein, dass der gebrochene Strahl einen Winkel von 90° zum Lot einschließen müsste. Von diesem Winkel an wird der Strahl nicht mehr gebrochen, sondern an der Grenzfläche reflektiert. Der Ef-fekt wird als Totalreflexion bezeichnet.

Den Grenzwinkel der Totalreflexion kann man leicht berechnen. Man geht davon aus, dass der Strahl vom Medium 2 zum Medium 1 übergeht, wobei gelten soll, dass ist. Total-reflexion tritt auf, wenn der gebrochene Strahl das Medium 2 nicht mehr verlassen kann. Für den Grenzwinkel der Totalreflexion muss man daher ansetzen

12 nn >

ϕ ϕ1 190 1= ° =, sin ,

woraus sich mit Hilfe des Brechungsgesetzes ergibt

1T2 sin nn =ϕ

2

1T arcsin

nn

=ϕ .

Dabei ist Tϕ der Grenzwinkel der Totalreflexion. Totalreflexion tritt ein, wenn der Einfalls-winkel größer oder gleich dem Grenzwinkel der Totalreflexion ist, d.h. für T2 ϕϕ ≥ .

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Angewandte Physik

Experiment Dispersion: Bei der Brechung von weißem Licht beobachtet man die Aufspaltung in seine spektralen Bestandteile. Offensichtlich wird Licht verschiedener Wellenlängen unterschiedlich stark gebrochen.

Als Dispersion bezeichnet man die Abhängigkeit des Brechungsindex von der Wellen-länge.

Die Dispersion ist nicht auf die Optik beschränkt, sondern tritt mehr oder weniger bei allen Wellenerscheinungen auf (Abhängigkeit der Phasengeschwindigkeit von der Frequenz).

Die Bezeichnungen „normale“ bzw. „anormale“ Dispersion beziehen sich auf die Brechung des Lichtes. Normale Dispersion tritt bei den meisten Materialien auf, aus denen Dispersions-prismen hergestellt werden. Dabei nimmt die Brechzahl mit der Wellenlänge ab:

d nd λ

< 0 .

Bei der normalen Dispersion wird kurzwelliges Licht (blau) stärker gebrochen als langwelli-ges Licht (rot).

Anormale Dispersion ist immer mit Absorption verbunden. In diesen Fällen gilt

d nd λ

> 0 .

Experiment Prismenspektralapparat: Gegenüber Gitterspektralapparaten, bei denen langwelliges Licht stärker gebeugt wird, erkennt man Prismenspektralapparate daran, dass das kurzwellige Licht am stärksten ab-gelenkt wird. Außerdem besitzen Prismenspektralapparate im Gegensatz zu Gitterspekt-ralapparaten keine lineare Skala, da die Abhängigkeit der Brechzahl von der Wellenlänge nicht linear ist

Polarisation bei Reflexion und Brechung

Experiment Polarisation bei Reflexion und Brechung: Bei Reflexion und Brechung wird Licht polarisiert, wobei in Reflexion das Licht vollstän-dig linear polarisiert werden kann. Das gebrochene Licht ist teilweise polarisiert.

Das reflektierte Licht ist vollständig linear polarisiert, wenn es unter dem Brewster’schen Winkel auftrifft. In diesem Fall stehen reflektierter und gebrochener Strahl senkrecht auf-einander:

( )

nn

==−°

B

BB

tansin90sin

ϕϕϕ

Für Kronglas (n = 1,52) ist der Brewster’sche Winkel °= 57Bϕ .

Polarisation tritt außerdem bei weiteren Anordnungen auf:

Experiment Doppelbrechung am Kalkspatkristall: Bei der Doppelbrechung, die an einigen Kristallen auftritt, erhält man einen ordentlichen und einen außerordentlichen Strahl, die beide senkrecht zueinander polarisiert sind.

Doppelbrechung tritt in optisch anisotropen Medien auf. Die Doppelbrechung wird u.a. zur Bestimmung der Konzentration von Lösungen organischer Substanzen genutzt, wobei die

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Drehung der Polarisationsebene von der Konzentration abhängt. Festkörper, Flüssigkeiten und Gase werden in einem elektrischen Feld doppelbrechend bzw. ändern ihre Doppelbre-chung proportional zum Quadrat der angelegten elektrischen Feldstärke (Kerr-Effekt). Auch durch Magnetfelder und mechanische Spannungen können bestimmte Substanzen ihre opti-sche Isotropie verlieren und doppelbrechend werden.

Vor allem für Polarisationsfilter wird der Effekt des Dichroismus genutzt. Man erhält polari-sierte Strahlen, da die entsprechenden Materialien (absorbierende doppelbrechende Kristalle) für unterschiedliche Polarisationsrichtungen unterschiedlich absorbieren.

Auch bei der Beugung entsteht teilweise polarisiertes Licht.

Polarisation tritt auch bei der Streuung auf. Bei Durchgang durch streuende Medien wird Licht vor allem senkrecht zur Polarisationsebene stark gestreut.

Experiment Zellophan-Folie: Eine verschiedene Anzahl von Lagen aus Zellophan-Folie (z.B. von Zigarettenpackungen) wird zwischen zwei Polarisationsfilter gebracht. Der Drehwinkel der Polarisationsebene ist wellenlängenabhängig, so dass man nach dem zweiten Polarisationsfilter farbige Bilder erhält.

Experiment Lichtdurchgang durch eine Wanne mit getrübtem Wasser: Lässt man einen Lichtstrahl durch eine Wanne mit trübem Wasser laufen, wird der Strahl gestreut. Bei der Streuung wird die Intensität der Welle in der ursprünglichen Ausbrei-tungsrichtung verringert und in Streurichtung entsprechend vergrößert. Durch das ge-streute Licht wird der Lichtstrahl von der Seite sichtbar. Verwendet man linear polarisier-tes Licht, beobachtet man eine stärkere Streuung in einer Ebene senkrecht zur Polarisati-onsebene des Lichtes.

3.7 Kontrollfragen

20. Durch welche Funktion lässt sich eine fortschreitende eindimensionale harmo-nische Welle beschreiben?

21. Welche Beziehung besteht zwischen Phasengeschwindigkeit und Wellenlänge einer Welle?

22. Wie kommt der Energietransport in einer fortschreitenden mechanischen Welle zustande?

23. Wie unterscheiden sich transversale und longitudinale Wellenausbreitung? Ge-ben Sie je ein Beispiel an!

24. Was versteht man unter einer linear polarisierten Welle?

25. Wie entsteht eine stehende Welle?

26. Welche Bedeutung haben die Begriffe „Knoten“ und „Bauch“ bei einer stehen-den Welle?

27. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Lage der Knoten einer stehen-den Welle und der Wellenlänge?

28. Was versteht man unter dem Prinzip der linearen Superposition?

29. Was versteht man unter Interferenz?

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Angewandte Physik

30. Unter welchen Bedingungen beobachtet man bei der Überlagerung zweier Wellen Interferenz?

31. An welchen Orten des Wellenfeldes erhält man bei der Interferenz zweier ebe-ner Kreiswellensysteme eine maximale Intensität?

32. Auf welcher Art Kurve liegen bei der Interferenz zweier ebener Kreiswellen-systeme die Orte mit gleichem Gangunterschied der beiden Wellen?

33. Unter welchen Winkeln beobachtet man bei der Interferenz zweier ebener Kreiswellensysteme in einer Entfernung, die groß ist gegenüber dem Abstand der beiden Wellenzentren, eine maximale Intensität?

34. Wie wirkt sich die Zahl der Wellenzentren bei der Vielfachinterferenz auf die Breite der Hauptmaxima der Intensität aus?

35. Wie lautet das Huygens’sche Prinzip?

36. Was versteht man unter Beugung?

37. Warum ist ein Beugungsgitter ein Spektralapparat?

38. Was versteht man unter Spektralanalyse?

39. Bei welchen Spaltbreiten tritt der Beugungseffekt am Spalt besonders deutlich hervor?

40. Wie sieht das Beugungsbild eines Spaltes aus? (Skizze mit ( )ϑsinfI = .)

41. Wie sieht das Beugungsbild eines Gitters aus? (Skizze mit ( )ϑsinfI = und Angabe der Ordnung der Maxima.)

42. Wie lautet das Brechungsgesetz? (Gleichung und Skizze!)

43. Unter welcher Bedingung kann, wenn eine Welle auf eine Grenzfläche zwi-schen zwei Medien auftrifft, Totalreflexion auftreten?

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4. AKUSTIK

4.1 Einführung Schall ist in zweierlei Richtung zu betrachten:

• als physiologische Erscheinung

• als physikalische Erscheinung (wie wir sehen werden: Wellenerscheinung)

Der Mensch nimmt Schall sehr empfindlich wahr. Die physiologische Beurteilung richtet sich nach Tonhöhe und Lautstärke. Dabei unterscheidet man zwischen einem reinen Ton, der nur aus einer Frequenz besteht, einem Klang, der neben dem Grundton noch eine Reihe wei-terer Töne enthält, einem Geräusch mit einem kontinuierlichen Frequenzspektrum und einem Knall, der sich vom Geräusch vor allem durch seine kurze Dauer unterscheidet.

Experiment Ton, Klang, Geräusch und Knall: Mit Hilfe mehrerer Stimmgabeln und verschiedener technischer Geräte lassen sich die Un-terschiede der genannten Erscheinungen demonstrieren.

Der Frequenzbereich, der vom Menschen wahrgenommen wird, ist sehr groß. Er reicht von ca. 16 Hz bis ca. 20.000 Hz. Töne unterhalb dieses Frequenzbereiches bezeichnet man als Infraschall, darüber als Ultraschall.

Auch hinsichtlich der in der Natur vorkommenden Intensitäten wird beim Schall ein weiter Bereich überstrichen. Die Intensitäten, die vom Menschen wahrgenommen werden können, reichen von 10-12 W/m² bis 10 W/m², also über 13 Zehnerpotenzen. Deshalb werden zur Be-urteilung der Größen eines Schallfeldes logarithmische Skalen verwendet.

Beispiele für Schallleistung von Schallquellen18

menschliche Stimme 10-9 ... 2 . 10-3 W

Klavier 2 . 10-9 ... 0,2 W

Pauke bis 10 W

großes Orchester bis 70 W

Großlautsprecher bis 100 W

Sirene bis 1000 W

Diese Eigenschaften werden später, wenn die benötigten Größen eingeführt sind, näher cha-rakterisiert.

4.2 Schallwellen

4.2.1 Schall als Wellenerscheinung, Schallausbreitung Die Frage nach der Natur des Schalls lässt sich mit den Kenntnissen aus dem Abschnitt „Wel-len“ leicht beantworten: Beobachtet man Beugung und Interferenz, handelt es sich um eine Wellenerscheinung.

18 Angaben aus D. Mende und G. Simon: Physik Gleichungen und Tabellen, VEB Fachbuchverlag, Leipzig 1988. Darüber hinaus erreichen Strahltriebwerke (10.000 W) und Raketentriebwerke (1.000.000 W) noch größe-re Schallleistungen (vgl. Hhttp://de.wikipedia.org/wiki/schallleistungH). In der Schallkammer der Fa. IABG in Ottobrunn zum Test von Weltraumsonden wird eine Schallleistung von 100.000 W erreicht.

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Angewandte Physik

Experiment stehende Schallwellen: In einem Rohr variabler Länge (vergleichbar mit dem Zug einer Posaune) können stehende Schallwellen anhand von Lautstärkeschwankungen nachgewiesen werden.

Interferenz von Schallwellen: Zwei Lautsprecher, die in geeignetem Abstand voneinander auf einem Brett befestigt sind, strahlen Schallwellen einer bestimmten Frequenz ab. Wie bei den Wasserwellen beobach-tet man in bestimmten Richtungen Verstärkung, in anderen Richtungen Auslöschung der Wellen.

Auf Beugungseffekte mit Schall wurde bereits im Abschnitt 3.5 hingewiesen. Die Experimen-te bestätigen die Wellennatur des Schalls.

Auf die Herleitung der Wellengleichung soll an dieser Stelle verzichtet werden. Die Wellen-gleichung liefert vor allem den Zusammenhang zwischen der Phasengeschwindigkeit der Schallwelle und den Eigenschaften des Ausbreitungsmediums.

Schallausbreitung in Flüssigkeiten und Gasen: Da es in Flüssigkeiten und Gasen keine Scherspannung gibt, sind Schallwellen in Flüssigkei-ten und Gasen stets Longitudinalwellen. Die Schallausbreitung kann hier beschrieben werden durch die Verschiebung und Kompression kleiner Volumenelemente in Ausbreitungsrichtung. Da die Kompression sehr schnell vor sich geht, erfolgt sie adiabatisch, d.h. ohne Wärmeaus-tausch mit der Umgebung.

Die Phasengeschwindigkeit c der Schallwellen in Flüssigkeiten und Gasen kann allgemein ausgedrückt werden als:

Kc =

Für Schallwellen in idealen Gasen erhält m

⎟⎞

⎜⎛

−=∆ pK

TMRp

c ⋅== κρ

κ0

0

Man sieht, dass sich die SchallgeschwinTemperatur verändert. Eine Abhängigkeit

Es gibt beim Schall keine nennenswerte DSchalls ist für alle Frequenzen praktisch g

Schallausbreitung in Festkörpern: Festkörper können entsprechend ihren elaausführen. Dabei können neben Longitudwellen (z.B. bei schwingenden Saiten) aDie Ausbreitungsgeschwindigkeit ist für a

Seite 62

mit

K Kompressionsmodul

an: ⎟⎠

⎜⎝ ∆ VV

mit κ Adiabatenexponent

0p Druck im ruhenden Medium

0ρ Dichte im ruhenden Medium R universelle Gaskonstante M molare Masse T Temperatur

digkeit in (idealen) Gasen mit der Wurzel aus der vom Druck findet man hingegen nicht.

ispersion, d.h. die Ausbreitungsgeschwindigkeit des leich.

stischen Eigenschaften verschiedene Schwingungen inalwellen (z.B. in langen Stäben) und Transversal-uch Biegewellen (in Stäben und Platten) auftreten. lle diese Fälle unterschiedlich.

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z.B.: Schallgeschwindigkeit für Longitudinalwellen in langen Stäben

ρEc =

Geschwindigkeit von Transversa

ρσ

=c

Geschwindigkeit von elastischen

ρGc =

Beispiele für Schallgeschwindigkeiten in

Stoff Dichte

Luft (trocken) -20°C Luft (trocken) +20°C Wasserstoff 0°C Wasserdampf 130°C Wasser 20°C Eis Glas Stahl

4.2.2 Schallfeldgrößen Für die Schallausbreitung in Gasen ergibtdinalwelle der Form

. ( )xkt −= ωξξ sinˆ

Dabei wurde eine Ausbreitung in x-Richtu

Die Größe ξ beschreibt die Auslenkunggewichtslage. Die Auslenkung erfolgt inRichtung).

Die Größe ξ bezeichnet man als Schallau

Die Schallschnelle beschreibt die GeschRuhelage schwingen:

( )xktt

v −=∂∂

= ωωξξ cosˆ

19 aus Hering, Martin, Stohrer: Physik für Ingenieu

Angewandte_Physik_07.doc

mit

E Elastizitätsmodul ⎟⎞

⎜⎛ σ

=E

⎟⎠

⎜⎝ ∆ ll

lwellen in Saiten

mit F

=σ Spannung

A

Transversalwellen

⎟⎟⎞

⎜⎜ = ⎛ ungSchubspannG

mit

G Schubmodul

⎠⎝ Scherung

verschiedenen Medien19:

ρ / kg/m³ Schallgeschwindigkeit c / m/s

1,396 319 1,21 344

0,090 1260 0,54 450 998 1480 920 3200 2500 5300 7700 5050

sich als Lösung der Wellengleichung eine Longitu-

ng angenommen.

des jeweiligen Volumenelementes aus der Gleich- Ausbreitungsrichtung (also in unserem Fall in x-

sschlag.

windigkeit, mit der die Volumenelemente um die

Schallschnelleamplitude ωξˆ =v

re; VDI-Verlag, Düsseldorf 1988

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Angewandte Physik

Bei der Herleitung der Wellengleichung für den Schall geht man, wie oben bereits kurz dar-gestellt, davon aus, dass das betrachtete Volumenelement in x-Richtung um ξ verschoben wird. Dabei ist die Größe ξ eine Funktion von x.

Zur Herleitung des Schalldruckes betrachten wir ein Volumenelement der Querschnitts-fläche A und der Länge dx. Das Volumen dieses Elementes im Ruhezustand beträgt

xAV d0 = .

Breitet sich eine Schallwelle durch das Me-dium aus, werden die Grenzen des Volu-menelementes verschoben. Wie man leicht sieht, ergibt das nun das Volumen

( ) ( )( )xxxxAV dd ++−= ξξ .

( )xξ ( )xx d+ξ0 0

d x x

A

Mit ( ) ( ) xx

xxx dd∂∂

+=+ξξξ erhält

man schließlich das Volumen

x + d x x

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

+=⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

+=⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

+=x

Vx

xAxx

xAV ξξξ 11ddd 0 .

Zur Berechnung des Druckes muss man nun nur noch die adiabatische Zustandsgleichung für ideale Gase verwenden:

κκ00 VpVp =

Die Größe κ ist dabei wieder der Adiabatenexponent (für ein ideales Gas aus zweiatomigen Molekülen ist 4,1≈κ ).

Man kann nun die obigen Beziehungen einsetzen:

κκκ ξ

−−

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛∂∂

+=⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛=⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛=

xVV

VV

pp 1

0

0

0

Für diesen Ausdruck kann man eine Potenzreihenentwicklung vornehmen und diese nach dem zweiten Glied abbrechen, so dass man schließlich erhält:

xp

p∂∂

−=ξκ1

0

x

ppp∂∂

−=ξκ 00

Mit Hilfe der oben angegebenen Beziehung für die Schallgeschwindigkeit in idealen Gasen kann man

02

0 ρκ cp =

ersetzen. Außerdem kann man den Differentialquotienten ersetzen:

( )[ ] ( )cvvkxktkxkt

xx−=−=−−=−

∂∂

=∂∂

ωωξωξξ cosˆsinˆ

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Einsetzen der beiden letzten Beziehungen ergibt schließlich die Beziehung für den Druck p:

vcpp 00 ρ+=

Der Druck schwingt also in gleicher Phase mit der Schallschnelle um den Gleichgewichts-druck (Druck im ruhenden Medium, statischen Druck) . 0p

Die Größe

vcp 0w ρ=

bezeichnet man als Schalldruck oder genauer als Schallwechseldruck. Die Amplitude des Schallwechseldruckes ist

vZvcp ˆˆˆ 0w == ρ .

Dabei ist

Zc =0ρ

der Wellenwiderstand.

Die Energie der Schallwelle ist (vgl. Abschnitt 2.1.420)

20

2 ˆ21ˆ

21 vVvmW ρ== ,

die Energiedichte ist dann

20 ˆ

21

dd v

VWw ρ== .

Die Schallstärke oder Schallintensität I wird nun eingeführt als Energie pro Fläche und Zeit

cwcVW

xx

tAW

tAWI ⋅=⋅===

dd

dd

ddd

ddd 22

.

Setzt man hier die bereits bestimmte Energiedichte ein, erhält man (unter Verwendung einiger weiter oben bereits hergeleiteter Beziehungen)

Zppv

vpvcvI

2w

w0

w20

20

ˆ21ˆˆ

21

ˆˆˆ

21ˆ

21

====ρ

ρρ .

Mit dem effektiven21 Schalldruck

2

ˆweff,w

pp =

20 Bei der Energiebetrachtung des harmonischen Oszillators hatte sich für die Gesamtenergie ergeben:

220kp 2

1 AmWWW ω=+= , wofür man schreiben kann 2ˆ21 vmW = , weil vA ˆ0 =ω die Geschwindigkeitsampli-

tude ist. 21 Der Effektivwert einer Größe ergibt sich als Wurzel aus dem Mittelwert des Quadrates der entsprechenden

Funktion: ( )2

ˆ2ˆ

dcosˆ1 w2w

0

22weffw,

pptxktpT

pT

==−= ∫ ω

Angewandte_Physik_07.doc Seite 65

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Angewandte Physik

ergibt sich für die Schallstärke schließlich der einfache Ausdruck

Z

pI

2effw,= .

Man kann nun abschließend noch die Schalleistung P einführen

t

WPd

d= ,

womit man für die Schallstärke einfacher schreiben kann

API

dd

= .

4.2.3 Schallquellen Schallquellen können verschiedene Form haben (ebene Fläche, Zylinder, Punkt). Entspre-chend sind die Abstrahlungscharakteristiken.

Es soll hier nur auf die Punktquelle eingegangen werden. Als Quelle dient eine Kugel mit dem Radius . 0r

Der Schallwechseldruck ist dann

( ) ( )( )00w

w cos rrktrrpp −−⋅= ω

Wesentliche Kenngröße einer Punktquelle ist die spezifische Schalleistung P.

Die Schallintensität ergibt sich als

24dd

rP

API

π==

4.2.4 Schallpegel Wie im Abschnitt 4.1 bereits dargestellt, reichen die vom Menschen wahrnehmbaren Schall-stärken über einen Bereich von ca. 13 Zehnerpotenzen, weshalb die Einführung logarithmi-scher Größen sinnvoll ist. Diese Größen werden als Schallpegel bezeichnet. Die gebräuchli-chen Schallpegel sind:

Schallpegel Definition Bezugsgröße Beziehungen Schalldruckpegel

dBlg20eff,0w,

effw,p p

pL = Pa102 5

0eff,w,−⋅=p

Schallschnellepegel dBlg20

eff,0

effv v

vL = sm105 8

0eff,−⋅=v

Zp

v effw,eff =

Schallstärkepegel dBlg10

0I I

IL = 212

0 mW10−=I

Zp

I2

effw,=

Schallleistungspegel dBlg10

0P P

PL = W10 120

−=P Z

pAP

2effw,=

Die Bezugsgrößen entsprechen dabei (nach DIN 45 630) der unteren Hörgrenze bei einer Fre-quenz von 1000 Hz.

Seite 66

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Gleiche Pegelwerte für alle angegebenen Pegel ergeben sich für einen Wellenwiderstand

smkg400 2=Z , wie ihn etwa Luft bei 20°C aufweist, und bei gleichen Bezugsflächen für den

Schallleistungspegel.

Die Schallpegel werden mit der Einheit Dezibel (dB) bezeichnet.

Messung des Schallstärkepegels von zwei Schallquellen: Es wird der Schallpegel zweier gleicher Schallquellen gemessen. Für jede Quelle einzeln misst man einen Schallpegel von 65 dB. Betreibt man beide Schallquellen gleichzeitig, be-trägt der Pegel 68 dB.

Begründung des Ergebnisses durch Rechnung:

Zwei Schallquellen erzeugen an einem bestimmten Punkt die Schallpegeln L1 und L2.

11,0

0

1

0

11 10lg10 L

II

IIL ⋅=→= (entsprechend für L2)

Bei mehreren Schallquellen addieren sich die Schallstärken:

2121 III +=+

21 1,01,0

0

2

0

1

0

21 1010 LL

II

II

II ⋅⋅+ +=+=

Entsprechend gilt für den Schallpegel

( )21 1,01,021 1010lg10 LLL ⋅⋅

+ +⋅=

Nimmt man gleiche Pegel L1 = L2 an, ergibt sich:

( ) ( ) dB32lg101,02lg10102lg10 1111,0

211 +=⋅+=⋅+=⋅⋅= ⋅

+ LLLL L

Das Hinzufügen einer zweiten gleich starken Schallquelle erhöht den Schallpegel um 3 dB.

Bei unterschiedlichen Pegeln lohnt sich eine Rechnung:

Mit L1 = 30 dB und L2 = 40 dB ergibt sich ein gemeinsamer Pegel von L1+2 = 40,4 dB. Wen das überrascht, der bedenke, dass die Intensität der ersten Quelle nur ein Zehntel derjenigen der zweiten Quelle beträgt.

Die um den Faktor 2 anderen Vorfaktoren für Schalldruck- und Schallschnellepegel sind da-durch zu erklären, dass diese Größen quadratisch in die Intensität eingehen. Verdoppelt sich der Schalldruck, erhält man eine Erhöhung des Schalldruckpegels um 6 dB, dies entspricht aber einer Vervierfachung der Intensität, womit der scheinbare Widerspruch aufzulösen ist.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 67

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Angewandte Physik

Zur Vertiefung des Umgangs mit den Schallpegeln, soll nochmals die im Abschnitt 4.2.3 vor-gestellte Punktquelle betrachtet werden. Die Fragestellung lautet: Um wie viel verringert sich der Schallstärkepegel, wenn sich der Abstand von der Schallquelle verdoppelt?

Man erhält:

( )

( )

1

221

211

2

21

221,0

2

1

220

1,0

0

22

10

1,0

0

1

lg20

1,0lg2

10

410;

410

21

21

rrLL

LLrr

rr

II

rIP

II

rIP

II

LL

LL

=−

−=

==

⋅==

⋅==

−⋅

⋅⋅

ππ

Für ergibt sich damit eine Pegeldifferenz 12 2rr = dB6=∆ L .

4.2.5 Physiologische Akustik, bewertete Schallpegel Die Lautstärke LS berücksichtigt das frequenzabhängige Schallempfinden. Sie ist so ge-wählt, dass bei f = 1000 Hz der Wert der Lautstärke gleich dem Wert des Schalldruckpegels ist.

( ) phonlg20Hz1000eff,0w,

effw,pS p

pLL ==

Die Lautstärke wird in der Einheit Phon angegeben. Lautstärkeunterschiede von 1 phon sind gerade noch wahrnehmbar. Die Schmerzgrenze liegt bei 120 phon.

Kurven gleicher Lautstärke LS

Seite 68

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Bewertete Schallpegel Die Berücksichtigung des Zusammenhanges zwischen Schallempfindung und messbarem Schallpegelspektrum erfolgt durch eine Frequenzbewertung. Es gibt gemäß IEC DIN 651die Bewertungskurven A, B und C22.

Die Bewertung erfolgt durch Addition eines frequenzabhängigen Bewertungsfaktors zu den Terz- oder Oktavweise gemessenen Schallpegeln:

*i∆

( ) ( )AdB10lg101

1,0A

*

⎭⎬⎫

⎩⎨⎧

= ∑=

∆+⋅n

i

L iiL

In der technischen Akustik wird überwiegend die A-Bewertung verwendet. Das betrifft auch die Angabe aller Grenzwerte für Schallemissionen (auch im Zusammenhang mit Schall-ausbreitung und Schalldämmung) für Belange des Lärmschutzes.

4.2.6 Musikalische Akustik Ob Schall als angenehm oder unangenehm empfunden wird, hängt jedoch nicht nur vom Schallpegel, sondern auch von der Art des Schallspektrums ab. Die Musikalische Akustik beschäftigt sich mit dem Höreindruck und dem Schallempfinden, wobei bei letzterem auch kulturelle Aspekte einfließen.

Versuch Ton, Klang, Geräusch, Knall: Ton, Klang, Geräusch und Knall wurden bereits vorgeführt. Nun werden diese Schall-ereignisse hinsichtlich ihrer Frequenz analysiert.

Die Ergebnisse des Experimentes können zusammengefasst als Tabelle dargestellt werden:

Während sich die Schallschnelle als Funktion der Zeit beim Ton als reine Sinusschwingung darstellen lässt, besteht der Klang aus der Überlage-rung mehrerer Sinusschwingungen, deren Frequenzen in einem ganzzah-ligen Verhältnis zueinander stehen (dies wurde bereits im Abschnitt 2.1.6 gezeigt). Das Frequenzspektrum zeigt entsprechend beim Ton nur eine einzelne Linie, beim Klang hingegen mehrere diskrete Linien. Geräusch und Knall setzen sich aus einem kon-tinuierlichen Frequenzspektrum zu-sammen. Charakteristisch für den Knall ist seine kurze Dauer, und da-mit die praktisch gleiche Intensität aller Frequenzen.

22 Außerdem wird (vor allem zur Beurteilung des Fluglärms) eine Bewertungskurve D verwendet.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 69

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Angewandte Physik

Zusammenhang zwischen Frequenz und Tonhöhe, Intervalle Die rein harmonische Stimmung baut auf ganzzahligen Frequenzverhältnissen auf.

Beispiel: C-Dur / c-moll

Intervall Ton f:fC

Grundton c 1 Sekunde d 9/8 kl. Terz es (moll) 6/5 gr. Terz e (Dur) 5/4 Quarte f 4/3 Quinte g 3/2 kl. Sexte as (moll) 8/5 gr. Sexte a (Dur) 5/3 kl. Septime b (moll) 9/5 gr. Septime h (Dur) 15/8 Oktave c1 2

Versuch Monochord: Das Monochord besteht aus einer einzelnen gespannten Saite auf einem Resonanzkörper. Zupft man die Saite, entsteht ein Ton. Es bildet sich eine stehende Welle; die Bedingungen, die dazu führen, wurden bereits als Beispiel im Abschnitt 3.2 demonstriert. Die Länge der Saite entspricht (beim Grundton) gerade der halben Wellenlänge. Verändert man die Län-

ge der Saite, verändert sich auch die Frequenz entsprechend λ

ν c= : halbiert man die

Länge, verdoppelt sich die Frequenz usw. Damit können die oben angeführten Intervalle demonstriert werden.

Im Falle stehender Wellen gibt es natürlich nicht nur die eben verwendete Möglichkeit, dass die Länge der schwingenden Saite gleich der halben Wellenlänge ist. Vor allem Blasinstru-mente nutzen die weiteren Möglichkeiten. Die bei Blasinstrumenten ohne Veränderung der Länge des Resonators zu erzeugenden Töne nennt man Naturtöne23.

Zusammenhang zwischen stehenden Wellen und Naturtönen:

Wellenlänge Frequenz fn:f1

l21 =λ l

cf21 = 1

l=2λ lcf =2 2

l

32

3 =λ lcf

23

3 = 3

24l

=λ lcf 2

4 = 4

usw. usw. usw.

23 Es sei hier darauf verwiesen, dass bei gegebener Länge des Resonators alle Oberwellen entstehen können. Die relative Intensität der Oberwellen macht den charakteristischen Klang der Instrumente aus.

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Beispiel: Posaune

n fn:f1 Ton Posaune

1 1 C B

2 2 c b

3 3 g (3/2) f

4 4 c’ b’

5 5 e’ (5/4) d’

6 6 g’ (3/2) f’

7 7 -

8 8 c’’

Die temperierte Stimmung / Die Klaviatur als logarithmische Skala Die rein harmonische Stimmung entspricht unserem Hörempfinden und wird gefühlsmäßig überall verwendet, wo der Spieler eines Instruments die Tonhöhe selbst beeinflussen kann. Das ist bei Tasteninstrumenten (Klavier, Orgel) nicht möglich, weshalb die Instrumente ei-gentlich jeweils nur für eine Tonart geeignet sind.

Zur Zeit J. S. Bachs wurde deshalb die chromatische (wohl)temperierte Stimmung als Kom-promiss eingeführt, die Frequenzen ergeben sich als Potenzen von 2:

Angewa

Ton f:fC

c 20/12

cis / des 21/12

d 22/12

dis /es 23/12

e 24/12

f 25/12

fis /ges 26/12

g 27/12

gis / as 28/12

a 29/12

ais / b 210/12

h 211/12

c1 21

ndte_Physik_07.doc Seite 71

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Angewandte Physik

4.3 Der akustische Doppler-Effekt Christian Doppler (1803-1853) hat 1842 die Entdeckung gemacht, die besagt:

Die Schwingungszahl einer Wellenbewegung an einem Beobachtungsort ändert sich, wenn der Beobachter und die Erregungsstelle der Welle gegeneinander bewegt werden.

Zur Betrachtung des Doppler-Effektes kann man zunächst mit zwei einfachen Annahmen ope-rierten:

1. Die Quelle ruht, der Beobachter bewegt sich mit der Geschwindigkeit relativ zur Quelle

Bv

Die erzeugte Welle hat die Frequenz

0

0 λcf = .

Der Beobachter nimmt zusätzliche Druckmaxima mit der Frequenz 0B λv wahr24. Die beo-bachtete Frequenz ist also

cfvfvff 0B

00

B0B +=+=

λ

)1( B0B c

vff +=

2. Der Beobachter ruht, die Quelle bewegt sich mit der Geschwindigkeit Qv

Die Wellenlänge, die vom Beobachter wahrgenommen wird, wird verkürzt auf

0

Q

0

Q

0B

0Q0B

fvc

fv

fc

fc

Tv−

=−=

⋅−= λλ

cv

fvc

fcfQ

0

Q

0B

1−=

−=

Man kann also zwischen bewegter Quelle und bewegtem Beobachter unterscheiden. Nähe-rungsweise (für ) kann man allerdings die im zweiten Fall erhaltene Formel auf die Form der ersten bringen.

cv <<Q

Bei der einfachen Betrachtung wurde die mögliche Bewegung des Ausbreitungsmediums au-ßer Acht gelassen. Die Herleitung des Doppler-Effektes ist in allgemeiner Form über die Ausbreitungsgeschwindigkeiten möglich. Damit lassen sich dann auch Effekte erklären, die sich dadurch ergeben, dass zwar Quelle und Beobachter relativ zueinander ruhen, sich aber das Ausbreitungsmedium bewegt.

24 Angenommen die Welle steht, dann ist der Weg von Wellenberg zu Wellenberg gleich 0λ und wird vom Be-obachter in der Zeit B0λ vt λ= zurückgelegt. Der Kehrwert davon ist die Frequenz.

Seite 72

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Kopfwellen Ist die Geschwindigkeit, mit der sich die Quelle der Wellenerscheinung im Ausbreitungsme-dium bewegt, gleich oder größer als die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Wellen, entstehen Kopf- oder Stoßwellen. Kopfwellen sind beim Schall bekannt, sie treten jedoch z.B. auch auf, wenn sich geladene Teilchen mit einer Geschwindigkeit in Medien bewegen, die größer als die Lichtgeschwindigkeit in dem betreffenden Medium ist (Čerenkov-Effekt).

Die Entstehung einer akustischen Kopfwelle kann mit Hilfe der folgenden Skizze gezeigt werden:

Eine akustische Kopfwelle entsteht, wenn : 0Q cv >

Mavc

BQBP 1sin

Q

0 ===α

Dabei bezeichnet man α als Mach’schen Winkel

Ma ist die Machzahl

0

Q

cv

Ma = .

Experiment Doppler-Effekt: Mit einer beweglichen Wellenquelle werden der Doppler-Effekt und die Kopfwelle an der Wellenwanne gezeigt.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 73

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Angewandte Physik

4.4 Kontrollfragen

44. Wozu werden logarithmische Skalen benutzt und wann ist ihre Anwendung vorteilhaft?

45. Was versteht man unter Schallschnelle?

46. Wie hängen Schalldruck und Schallausschlag hinsichtlich der Phase zusam-men?

47. Wie lautet die Definitionsgleichung der Schallstärke? Die Formelzeichen sind zu erläutern!

48. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Schallstärke und der Schall-druckamplitude?

49. Was versteht man unter dem effektiven Schalldruck?

50. Wie wird der Bezugswert bei der Angabe des Schallstärkepegels festgelegt?

51. Wie ändert sich der Schallstärkepegel, wenn eine zweite gleichartige Schall-quelle zugeschaltet wird?

52. Welche Tatsache ist der Grund für die Einführung des bewerteten Schallstär-kepegels, und wie wird dieser gekennzeichnet?

53. Wie unterscheiden sich die Frequenzspektren von Ton und Klang?

54. Was versteht man unter dem akustischen Doppler-Effekt?

55. Wann entsteht eine akustische Kopfwelle?

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5. WÄRMESTRAHLUNG

5.1 Das Spektrum der elektromagnetischen Strahlung

10 10 10 10 10 10 10-9 -6 -3 0 6 9 12 PhotonenenergieeV

Nieder-frequenz Hochfrequenz

10 3

10 10 10 10 10 10 10 10 103 6 9 12 15 18 21 24 271010 10 10 10 10 10 10 1036 0 -3 -6 -9 -12 -15 -18 Wellenlänge

mFrequenz 1/s

Höchst-frequenz

Infra-rot

Ultra-violett

Röntgen-strahlen

γ-Strahlen

Kosmische Strahlung

Lang

welle

n (LF

)M

ittelw

ellen

(MF)

Kurzw

ellen

(HF)

Ultra

kurzw

ellen

(VHF

)De

zimete

rwell

en (U

HF)

Zenti

meter

welle

n (SH

F)M

illim

eterw

ellen

(EHF

)

ννλν ⋅⋅==⋅=⋅= −− seV1013,4 ;sm103 151800 hWc

Unter Wärmestrahlung versteht man die elektromagnetische Strahlung, die ein Körper auf-grund seines thermischen Zustandes abstrahlt.

5.2 Definition von Strahlungsgrößen Eine Strahlungsquelle gibt in den ganzen Raum eine gewisse Strahlungsleistung P (Strah-lungsfluss ) ab. Die von der Strahlungsquelle abgegebene Energie W ergibt sich als Φ

∫= tPW d .

Da Strahlungsquellen in der Regel nicht gleichmäßig in alle Raumrichtungen (isotrop) strah-len, ist es wichtig zu wissen, welche Strahlungsleistung in einen kleinen Raumwinkel25

abgestrahlt wird. Das wird durch die Strahlstärke I beschrieben: Ωd

Ω

=dd PI

25 Der Raumwinkel ist der Teil des Raumes, der von den von einem Punkt aus nach allen Punkten einer ge-schlossenen Kurve gehenden Strahlen begrenzt wird. Er stellt den Sehwinkel dar, unter dem die gegebene Kurve vom Scheitelpunkt aus gesehen wird. Als Maß des Raumwinkels dient die Fläche, die von diesem Raumwinkel

aus der Einheitskugel um den Scheitel herausgeschnitten wird: 2r

A=Ω Maßeinheit:

2

2

mm1sr1 (Der Raum-

winkel von 1 Steradiant ergibt sich, wenn der Raumwinkel aus einer Kugel mit Radius 1 m die Fläche 1 m² he-rausschneidet.) Gesamter Raum:

=

sr4π=Ω

Angewandte_Physik_07.doc Seite 75

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Angewandte Physik

Bei ausgedehnten Strahlungsquellen muss man außerdem danach fragen, wie das Flächen-element zur gesamten Strahlungsleistung beiträgt. Die spezifische Ausstrahlung M erhält man als

Ad

APM

dd

= .

Dabei berücksichtigt man üblicherweise nur die Strahlung in einen Halbraum, d.h. auf einer Seite der Ebene, in der die Strahlungsquelle liegt.

Die Strahldichte L beschreibt schließlich den Beitrag, den das Flächenstück unter einem Winkel ϑ zur Normalen von abgibt: Ad

ϑϑϑ cosddd

dcosdd

dcosd

d 32

AtW

A P

AIL

Ω=

Ω==

Für die weiteren Betrachtungen müssen wir noch die spektrale Strahldichte

λd

LL =

einführen, die beschreibt, welcher Anteil der Strahldichte von Strahlung mit einer Wellen-länge im Intervall zwischen λλλ dund + hervorgerufen wird.

Die Größen sollen mit nebenstehender Skizze verdeutlicht werden. Da hierbei außer der Strahlungsquelle auch die bestrahlte Fläche zu betrachten ist, sollen die zur Quelle gehören-den Größen mit dem Index „1“ und die zur be-strahlten Fläche gehörenden Größen mit dem Index „2“ bezeichnet werden.

ϑ 1

ϑ 2

d A2

d A1

222 cosdd

rA ϑ

r

Ein Flächenelement der Strahlungsquelle soll nach allen Richtungen von Strahlen durchsetzt sein. Unter der Strahlung in einer bestimmten Richtung versteht man dann alle Strahlen, die parallel sind den unendlich vielen Richtungen, die einen kleinen Kegel vom Öffnungswinkel dΩ ausfüllen.

1d A

11 cosd ϑA ist die Größe der Öffnung, die das Flä-chenelement der Strahlung in Richtung d A1 ϑ 1 darbietet.

Die Strahlungsleistung durch das Flächenelement in Richtung dieses kleinen Kegels ist dann proportional zu dΩ und 11 cosd ϑA :

112 cosddd ϑALP ⋅Ω⋅=

Der Proportionalitätsfaktor heißt Strahldichte L.

Wie man sieht, ergibt sich der Öffnungswinkel dΩ unter Berücksichtigung einer Empfänger-fläche aus deren Größe, ihrer Neigung gegenüber der Strahlrichtung und dem Abstand von der Strahlungsquelle. Damit kann man auch die Bestrahlungsstärke E angeben, die aus-drückt, welche Strahlungsleistung pro Flächenelement der Empfängerfläche auftrifft:

221

2

1

2

cosd

ddd

rI

AI

APE

ϑ=

Ω==

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5.3 Die Strahlung des schwarzen Körpers

5.3.1 Spezifische Ausstrahlung und Absorptionsgrad

Experiment Leslie-Würfel: Mit einer Thermosäule wird die von einem Leslie-Würfel abgegebene Wärmestrahlung gemessen. Der Leslie-Würfel besteht aus Blech und hat unterschiedlich gestaltete Flächen (s. u.). Zum Versuch wird der Würfel mit heißem Wasser gefüllt, und es wird die von den verschiedenen Flächen emittierte Wärmestrahlung gemessen:

schwarze Fläche: Ausschlag 10 Skalenteile

spiegelnde Fläche: Ausschlag 2 Skalenteile

diffus reflektierende Fläche: Ausschlag 4 Skalenteile

unbearbeitete Fläche: Ausschlag 3 Skalenteile

Die spezifische Ausstrahlung M (s. Abschnitt 5.2) der unterschiedlich gestalteten Flächen ist also unterschiedlich, bei gleicher Temperatur ist z.B. die spezifische Ausstrahlung der spiegelnden Fläche kleiner als die der geschwärzten Fläche.

Außer der Ausstrahlung soll nun noch die Absorption von Wärmestrahlung berücksichtigt werden. Dazu werden der spiegelnden (1) und der schwarzen (2) Fläche des Leslie-Würfels jeweils mit gleicher Oberfläche versehene Bleche (1’) und (2’) gegenübergestellt (Fall a in der Skizze auf der nächsten Seite). Die Bleche absorbieren die vom Leslie-Würfel abgestrahlte Energie und erwärmen sich. Die Temperatur der Bleche wird mit einem Thermoelement gemessen. Man stellt fest, dass die Temperatur, die das Blech mit der schwarzen Fläche 2’ annimmt, nach kurzer Zeit wesentlich höher ist als die desjenigen mit der spiegelnden Fläche 1’.26

Nun werden die Bleche ausgetauscht, sodass sich jeweils einen schwarze und eine spie-gelnde Fläche gegenüberstehen (Fall b in der Skizze). Die Temperaturmessung ergibt nun für beide Bleche die gleiche Temperatur.

a) 1’ 1 2 2’ 1’ 2’ 2 1b)

Zur Erklärung des Experimentes muss zunächst noch der Absorptionsgrad α eingeführt wer-den. Er ergibt sich als Quotient aus absorbierter und einfallender Strahlungsleistung:

E

A

PP

26 Man beachte, dass nach hinreichend langer Zeit das thermodynamische Gleichgewicht erreicht wird und alle Bestandteile des Systems dieselbe Temperatur haben.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 77

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Angewandte Physik

Die von der jeweiligen Platte aufgenommene Wärmemenge ist dann proportional zur spezifi-schen Ausstrahlung der Seite des Leslie-Würfels und zum Absorptionsgrad des Bleches, im Fall a) gilt also für die von den Blechen 1’ bzw. 2’ aufgenommenen Wärmemengen ' bzw.

: 1W

'2W

'~'

'~'

222

111

αα

MWMW

Im Fall b) gilt entsprechend:

'~''~'

212

121

αα

MWMW

Da im Fall b) die Temperatur der beiden Platten gleich ist, müssen auch die zugeführten Wärmemengen ' bzw. ' gleich sein, d.h. es gilt 1W 2W

'' 2112 aMM =α

und unter der Annahme, dass die Absorptionsgrade der Flächen des Leslie-Würfels und der Bleche gleich sind ( 2211 ';' αααα == )

2112 aMM =α

2

2

1

1

ααMM

= .

Die Verhältnisse von spezifischer Ausstrahlung und Absorptionsgrad sind für spiegelnde und schwarze Fläche gleich.

5.3.2 Der schwarzer Körper Experiment Schwarzer Körper: Wir betrachten einen Kasten mit Loch, dessen Stirnfläche und dessen Innenwände schwarz gestrichen sind. Das Loch erscheint selbst auf der schwarzen Fläche noch dunkler.

Einen Körper, dessen Absorptionsgrad bei allen Wellenlängen gleich Eins ist, nennt man einen schwarzen Körper.

Ein schwarzer Körper absorbiert sämtliche auftreffende elektromagnetische Strahlung. Wie im vorigen Abschnitt gezeigt wurde, ist das Verhältnis von spezifischer Ausstrahlung und Absorptionsgrad konstant, so dass ein Körper mit besonders großem Absorptionsgrad auch eine besonders große spezifische Ausstrahlung aufweist. Ein schwarzer Körper leuchtet daher besonders hell („schwarzer Strahler“). Die Sonne ist z.B. ein schwarzer Strahler.

Strahler, deren Absorptionsgrad ebenfalls unabhängig von der Wellenlänge, aber kleiner als Eins ist, bezeichnet man als graue Strahler.

5.3.3 Das Kirchhoff’sche Strahlungsgesetz In einem Hohlraum mit wärmeundurchlässigen Wänden sollen sich verschiedene Körper be-finden. Im thermodynamischen Gleichgewicht haben dann die Wände und die Körper die gleiche Temperatur. Die dabei den Hohlraum erfüllende Wärmestrahlung nennt man Gleich-gewichtsstrahlung. Offensichtlich wird das thermische Gleichgewicht der Wärmestrahlung durch Wechselwirkung mit den im Hohlraum vorhandenen Körpern aufrechterhalten, indem die Strahlung emittiert und absorbiert wird. Emissions- und Absorptionsvorgänge sind im Gleichgewichtsfall nicht unabhängig voneinander. Den Zusammenhang zwischen Emissions-

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und Absorptionsvermögen eines beliebigen Körpers stellt das Kirchhoff’sche Gesetz (1859) her.

Der spektrale Emissionsgrad λε ergibt sich als Quotient der spektralen Strahldichte zur spektralen Strahldichte eines schwarzen Körpers (s. Abschnitt 5.3.2):

λL

( )( )TL

TL,,

Sλ,

λλ λ

λε =

Der spektrale Absorptionsgrad λα ist das Verhältnis aus absorbierter und einfallender Strah-lungsleistung:

( )( )TP

TP,,

Eλ,

Aλ,λ λ

λα = (

λdd

λPP = ; spektrale Strahlungsleistung)

Die spektrale Strahldichte der Wärmestrahlung soll zunächst mit bezeichnet werden. WλL

Die dem betrachteten Körper aus der Richtung ϑ je Flächenelement und Wellenlängen-intervall

Adλd zugestrahlte Leistung ist

. λϑ dddcosd WλEλ,

3 Ω= ALP

Davon wird absorbiert

. λϑαα dddcosdd WλλEλ,

3λAλ,

3 Ω== ALPP

Die emittierte Leistung ist entsprechend

. λϑ dddcosd λλ3 Ω= ALP

Im Gleichgewicht muss die absorbierte Leistung gleich der emittierten Leistung sein. Durch Gleichsetzen der beiden letzten Gleichungen erhält man

( )( ) ( )TL

TTL ,

,, W

λλ

λ λλαλ

=

und unter Verwendung der Tatsache, dass für den schwarzen Körper gilt

( ) 1,Sλ, ≡Tλα ,

wobei in diesem Falle die spektrale Strahldichte gleich der des schwarzen Strahlers ist

( ) ( )TLTL ,, Sλ,λ λλ = ,

erhalten wir die Formulierung des Kirchhoff’sches Strahlungsgesetzes

( )( ) ( )TL

TTL ,

,,

Sλ,λ

λ λλαλ

= .

Das Verhältnis aus spektraler Strahldichte und spektralem Absorptionsgrad eines Kör-pers ist gleich der spektralen Strahldichte des schwarzen Strahlers. Es ist von Art und Beschaffenheit des Körpers unabhängig und nur eine Funktion von Temperatur und Wellenlänge.

Mit dem oben eingeführten spektralen Emissionsgrad erhält man außerdem

( ) ( )TT ,, λλ λαλε = ,

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Angewandte Physik

d.h., dass bei gegebener Wellenlänge und Temperatur der spektrale Emissionsgrad eines be-liebigen Körpers gleich seinem spektralen Absorptionsgrad ist.

5.3.4 Die spektrale Energieverteilung der schwarzen Strahlung

5.3.4.1 Die Ergebnisse der experimentellen Untersuchung der schwarzen Strahlung

Experiment Spektrum der Wärmestrahlung einer Bogenlampe: Die Strahlung einer Bogenlampe wird mit einem Prisma in seine spektralen Bestandteile zerlegt und mit Hilfe einer hinter einer Schlitzblende befindlichen Thermosäule untersucht. Beim Abfahren des Spektrums erhält man die größte Intensität bei langen Wellenlängen (Infrarot). (Die Temperatur des emittierenden Plasmas beträgt ca. 3000 K.)

Mit Hilfe des Kirchhoff’schen Gesetzes lässt sich das Emissionsvermögen eines Körpers auf sein Absorptionsvermögen und auf die universelle Funktion ( )TL ,Sλ, λ zurückführen. Die Be-stimmung dieser Funktion hat deshalb große Bedeutung.

Experimentell ergaben sich bei der Untersuchung schwarzer Strahler folgende Ergebnisse:

a) Spektrale Strahldichte ( )TL ,Sλ, λ

b) Zusammenhang zwischen der Temperatur des schwarzen Strahlers und der Wellen-länge, bei der die spektrale Strahldichte ihr Maximum hat:

Km2898max ⋅==⋅ µλ constT

c) Zusammenhang zwischen Strahldichte und Temperatur:

4

0λ ~d TLL ∫

= λ

Spezifische Ausstrahlung

4

dd T

APM σ== mit -4-28 KmW1067,5 −⋅=σ

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5.3.4.2 Die Ergebnisse der theoretischen Untersuchung der schwarzen Strahlung Zu c): Ein erster Schritt zur theoretischen Bestimmung der Funktion ,T) (L λSλ, war die Her-leitung des Stefan-Boltzmann-Gesetzes mit Hilfe der Maxwell’schen Gleichungen und der beiden ersten Hauptsätze der Thermodynamik.

Die übliche Formulierung dieses Gesetzes für den schwarzen Strahler ist

ATP dd 4σ= ,

σ ist die Stefan-Boltzmann-Konstante wie oben bereits angegeben.

Erweitert man das Gesetz für graue Strahler27 und berücksichtigt man außerdem die von der Umgebung zugestrahlte Leistung, so erhält man für einen Körper mit der Oberfläche A und der auf der gesamten Oberfläche gleichen Temperatur T die in der Praxis häufig verwendete Formulierung:

( )4u

4 TTAP −⋅⋅⋅= σε .

Dabei ist SM

M=ε der integrale Emissionsgrad, der sich als Verhältnis der Ausstrahlung des

grauen Strahlers zu der des schwarzen Strahlers ergibt ( 1<ε ), und der berücksichtigt, dass ein grauer Körper weniger Strahlung emittiert. ist die Umgebungstemperatur. uT

Zu b): Ebenfalls durch thermodynamische Betrachtungen, bei denen die Hohlraumstrahlung in Analogie zu einem idealen Gas behandelt wird, wurde ein weiterer Fortschritt durch die Aufstellung des Wien’schen Verschiebungsgesetzes ( ) T)f(=T L ⋅⋅− λλλ 5

λ , gemacht.

Dieses Gesetz ermöglicht die Berechnung der Funktion ,T) (L λλ für beliebige Temperaturen T, falls man sie für eine Temperatur T kennt: 1

1111λ

5

1λ falls TT),T (L

TT,T)= (L λλλλ =⎟⎟

⎞⎜⎜⎝

⎛.

Durch Differenzieren erhält man die Übereinstimmung mit dem experimentellen Ergebnis b):

0max

λ =λλ∂

∂ L (Maximum der Verteilung) → λmax ⋅ =T const

5.3.4.3 Das Planck’sche Strahlungsgesetz Die Versuche, die nun noch unbekannte Funktion ( )Tf ⋅λ mit Hilfe der Gesetze der „klassi-schen“ Physik zu berechnen, schlugen fehl. Es wurden zwei Formeln gefunden, die nur für große λ T−Werte (Rayleigh-Jeans-Formel) oder nur für kleine λ T−Werte (Wien’sche Formel) mit den experimentellen Ergebnissen übereinstimmten.

Erst Planck hatte 1900 Erfolg, als er bei der theoretischen Ableitung seines Gesetzes annahm, dass die Energie eines Oszillators mit der Eigenfrequenz ν nur bestimmte diskrete Werte an-nehmen kann, die sich um ein ganzzahliges Vielfaches eines Elementarquantums voneinan-der unterscheiden.

27 Graue Strahler haben denselben Verlauf der spektralen Strahldichte wie schwarze Strahler, die Strahldichte ist jedoch kleiner.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 81

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Angewandte Physik

Diese Hypothese der Energiequanten lässt sich im Rahmen der „klassischen“ Physik nicht begründen. Mit ihr beginnt die „moderne“ Physik.

Planck’sches Strahlungsgesetz:

1

520λ 12

0−

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛−λλλ Tk

ch

ech,T)= (L

Mit dem Planck’schen Strahlungsgesetz waren die b

• Das Rayleigh-Jeans-Gesetz und das Wien’sche GGesetz als Näherung für große bzw. kleine Werte

• Das Wien’sche Verschiebungsgesetz wird erfüllt.

• Das Stefan-Boltzmann-Gesetz ergibt sich durch erhält man auch die Stefan-Boltzmann-Konstante

5.4 Kontrollfragen

56. Wie ist die Strahlstärke definiert? Echen und geben Sie die Einheit an!

57. Was versteht man unter Wärmestrahlu

58. Warum nennt man die Wärmestrahlun

59. Durch welche besondere Eigenschaft

60. Welche Aussage macht das Kirchhoften schwarzer und nichtschwarzer Kö

61. Wie lautet das Stefan-Boltzmann-Gesläutern Sie die Formelzeichen!

62. Wie lautet das Wien’sche Verschiebuchen!

Seite 82

h Planck’sches Wirkungsquantum

h = 6,626176 . 10-34 J s

k Boltzmannkonstante

k = 1,380662 . 10-23 J K-1

isherigen Schwierigkeiten überwunden:

esetz ergeben sich aus dem Planck’schen von λ ⋅ T .

Integration über alle Frequenzen. Dabei .

rläutern Sie die verwendeten Formelzei-

ng?

g auch Temperaturstrahlung?

ist ein schwarzer Körper gekennzeichnet?

f’sche Strahlungsgesetz über das Verhal-rper?

etz für einen nichtschwarzen Körper? Er-

ngsgesetz? Erläutern Sie die Formelzei-

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6. PHOTOMETRIE

6.1 Strahlungsgrößen und lichttechnische (photometrische) Größen Ebenso wie Strahlungsquellen28 haben auch Strahlungsempfänger spezifische Charakteristika. Vor allem soll hierbei die spektrale Empfindlichkeit betrachtet werden.

Spektrale Empfindlichkeitsverteilung von Halbleiterdetektoren29: Cadmiumsulfid (CdS), Cadmiumsulfoselenid (CdSSe), Cadmiumselenid (CdS), Silicium (Si) und Germanium (Ge). Zum Vergleich ist die spektrale Empfindlichkeit des Auges (A) eingezeichnet.

Ein Strahlungsempfänger wird von einer Strahlungsleistung (Strahlungsfluss)

λdd λPP =

getroffen, die nur Wellenlängen aus dem Bereich von λ bis λ + dλ enthält.

Er antwortet darauf z.B. mit einem Ausgangsstrom , den man entsprechend schreiben kann als

Jd

λdd λJJ =

Der gleiche Betrag führt aber bei verschiedenen Wellenlängen zu unterschiedlichen Strö-men . Die Empfindlichkeit ist wellenlängenabhängig.

PdJd

Zur Beschreibung dieser Abhängigkeit muss man nun die spektrale Empfindlichkeit einfüh-ren:

( )PJs

dd

=λ und damit ( )λ

λ

PJs =λ

Allgemein lassen sich natürlich auch andere Eingangs- und Ausgangsgrößen auf diese Weise verknüpfen. 28 Beispiele für die spektrale Verteilung des Strahlungsflusses von Lichtquellen finden sich z.B. in: G. Schröder: Technische Optik; Vogel Buchverlag, Würzburg 1987 29 Abbildung aus: G. Schröder: Technische Optik; Vogel Buchverlag, Würzburg 1987

Angewandte_Physik_07.doc Seite 83

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Angewandte Physik

Die so erhaltene Funktion ( )λs ist die absolute spektrale Empfindlichkeit. Bezieht man die Empfindlichkeit auf den Wert ( 0 )λs bei einer willkürlich gewählten Wellenlänge 0λ , erhält man die relative spektrale Empfindlichkeit

( ) ( )( )0

rel λλλ

sss =

Als Bezugswellenlänge 0λ wählt man die Wellenlänge, bei der die Empfindlichkeit des Sen-sors maximal wird. Die relative Empfindlichkeit ist dann bei dieser Wellenlänge gleich Eins.

Für den nachgewiesenen Strom ergibt sich damit beispielsweise:

( ) ( )∫=2

1

drelλ0

λ

λ

λλλ sPsJ

Interessant wird diese Vorgehensweise für die Photometrie. Die lichttechnischen Größen bauen auf der Strahlungsbewertung durch das Auge auf.

An Stelle der obigen Gleichung erhält man für den Lichtstrom Φv (Index „v“ für „visuell“)

( )∫ ⋅⋅=Φnm780

nm380λmv dλλVPK

Dabei ist Km der Maximalwert des photometrischen Strahlungsäquivalents für Tagsehen (Km = 683 Lumen/Watt) bei der Wellenlänge λ0 = 555 nm. Die Integration wird über den für das menschliche Auge sichtbaren Wellenlängenbereich von 380 nm bis 780 nm geführt.

Der Lichtstrom ergibt sich aus dem durch das Auge mit V(λ) bewerteten Strahlungsfluss (Strahlungsleistung).

Relative spektrale Empfindlichkeit des Auges ( )λV für das Tag-sehen und ( )λ'V für das Nachtsehen (nach DIN 5031). Markante Punkte der relative spektrale Empfindlichkeit des Au-ges für das Tagsehen

(nach DIN 5031 Teil 3)

Maximum ( ( ) 1=λV ) 555 nm halbe Empfindlichkeit ( ( ) 5,0=λV ) 510 nm, 610 nm 1/10 Empfindlichkeit ( ( ) 1,0=λV ) 472 nm, 651 nm

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Experiment spektrale Empfindlichkeit des Auges: Es werden ein roter und ein grüner Lichtfleck verglichen. Erscheinen beide Flecke gleich hell, ist die Bestrahlungsstärke des roten Fleckes (gemessen mit einer Thermosäule) höher als die des grünen. Stellt man für beide die gleiche Bestrahlungsstärke ein, erscheint der rote Fleck deutlich dunkler als der grüne. Das subjektive Helligkeitsempfinden kann durch Messung der Beleuchtungsstärke objekti-viert werden. Dazu verwendet man ein Luxmeter, das im Wesentlichen aus einem Silicium-Photoelement mit Farbfiltern besteht, und dessen spektrale Empfindlichkeit der des Auges entspricht.

Gegenüberstellung von Strahlungsgrößen und photometrischen Größen

Strahlungsphysikalische Größe

Einheit Lichttechnische Größe Einheit

Strahlungsenergie W

Ws Lichtmenge VW

lm s

Strahlungsleistung

tWP

dd

=

W Lichtstrom VΦ

( )∫ ⋅⋅=Φnm780

nm380λmV dλλVPK

lm (Lumen) 1 lm = 1 cd sr

Strahlstärke

Ω=

dd PI

W / sr Lichtstärke

ΩΦ

=d

d VVI

cd (Candela) Basiseinheit

Strahldichte

11

2

cosddd

ϑAPL

Ω=

W / sr m² Leuchtdichte

11

V2

V cosddd

ϑAL

ΩΦ

=

cd / m²

Spezifische Ausstrahlung

1dd

APM =

W / m² Spezifische Lichtausstrah-lung

1

VV d

dA

=

lm / m²

Bestrahlungsstärke

2ddAPE =

W / m² Beleuchtungsstärke

2

VV d

dA

=

lx (Lux) 1 lx =1 lm/m²

Die Lichtstärke ist eine Basisgröße, die Maßeinheit der Lichtstärke ist Candela (cd). Candela ist eine Basiseinheit des SI (vgl. Abschnitt 1.2).

1 Candela ist die Lichtstärke einer Strahlungsquelle, welche monochromatische Strahlung der Frequenz 540 THz (Wellenlänge 555 nm) in eine Richtung aussendet, in der die Strahlstärke 1/683 W/sr beträgt.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 85

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Angewandte Physik

6.2 Das photometrische Grundgesetz Die visuelle Photometrie beruht auf dem Vergleich der Helligkeit zweier benachbarter Flä-chen. Die physikalische Photometrie verwendet Strahlungsempfänger, die an die spektrale Empfindlichkeit des Auges angepasst sind (Luxmeter).

Experiment Photometrie: Die einfachste Form eines Photometers ist das Fettfleckphotometer. Dabei wird ein weißes Blatt Papier mit einem Fettfleck von beiden Seiten beleuchtet. Ist die Beleuchtungsstärke auf beiden Seiten des Blattes gleich, ist der Fettfleck nicht mehr zu sehen. Den gleichen Effekt kann man beobachten, wenn man ein weißes dreieckiges Prisma von zwei Seiten beleuchtet. Betrachtet man das Prisma so, dass die beiden beleuchteten Flä-chen gleichzeitig zu sehen sind, kann man ebenfalls feststellen, wann die Beleuchtungs-stärke auf beiden Seiten gleich groß ist.

Herleitung des photometrischen Grundgesetzes:

2A1A r

2ϑ1ϑ

Lichtquelle Empfänger

Aus Richtung der Lichtquelle ( ) erscheint das Flächenelement der Empfängerfläche in der Größe

1A

22 cosd ϑ⋅A und damit unter dem Raumwinkel

222 cosd

dr

A ϑ⋅=Ω .

Aus der Richtung des Empfängers ist wird das Flächenelement der Lichtquelle als 11 cosd ϑ⋅A gesehen.

Damit ergibt sich die Lichtstärke in Richtung des Empfängers als

( )∫ ⋅=

ΩΦ

=1

11VV

V cosdd

d

A

ALI ϑ ,

der Lichtstrom

( )∫

⋅⋅⋅=Ω=Φ

1

22211

VVVcosdcosddd

A rAALI ϑϑ

und nach Ausführen der verbleibenden Integration über die Empfängerfläche schließlich

( ) ( )

∫∫⋅⋅⋅

=Φ12

22211

VVcosdcosd

AA rAAL ϑϑ

.

Diese Beziehung nennt man photometrisches Grundgesetz.

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Für kleine Lichtquellen kann man die Integration über die Fläche der Lichtquelle leicht ausführen. Man erhält einfach

1d A

222

11VVcosd

cosdr

AAL

ϑϑ

⋅⋅⋅=Φ .

Damit lassen sich nun die Beleuchtungsstärke E und die spezifische Ausstrahlung M berech-nen.

Für die spezifische Ausstrahlung muss man schreiben

∫ Ω=Φ

=Halbraum

1V1

VV dcos

dd

ϑLA

M .

Die Beleuchtungsstärke erhält man als

22

11V2

VV

coscos

dd

rAL

AE

ϑϑ ⋅⋅=

Φ=

22

VVcos

rIE

ϑ=

Diese Beziehung nennt man photometrisches Entfernungsgesetz.

Gleiche Neigung der Empfängerfläche zum Strahl vorausgesetzt, besagt das Entfernungsge-setz, dass die Beleuchtungsstärke E quadratisch mit dem Abstand von der Lichtquelle ab-nimmt.

Man kann das photometrische Entfernungsgesetz benutzen, um die Lichtstärke einer unbe-kannten Lichtquelle zu bestimmen. Dazu wird man (wieder bei gleicher Neigung der bestrahl-ten Flächen zum Strahl) eine gleiche Beleuchtungsstärke einstellen. Für zwei Lichtquellen „I“ und „II“ gilt dann

2II

2I

IIV

IV

rr

II

=

Experiment Bestimmung der Lichtstärke: Mit Hilfe des bereits demonstrierten Aufbaus zur Photometrie wird die Lichtstärke einer unbekannten Lichtquelle gemessen. Lichtquelle „I“ ist eine Glühlampe, Lichtquelle „II“ besteht aus drei Kerzen. Zunächst wird das Prisma so verschoben, dass die beiden Flächen gleich hell erscheinen. In diesem Fall ist die von beiden Lichtquellen hervorgerufene Be-leuchtungsstärke jeweils gleich. Die Lichtquellen befinden sich im Abstand bzw. von den Empfängerflächen. Nun werden ein oder zwei Kerzen der Lichtquelle II gelöscht. Um wieder gleiche Beleuchtungsstärken zu erzeugen, muss das Prisma erneut verschoben wer-den. Jetzt werden die Abstände und gemessen. Eine einfache Rechnung ergibt, wie viele Kerzen gelöscht wurden:

Ir IIr

'Ir 'IIr

2II

2I

II

I

rr

II

= ( )( )2

II

2I

II

I

''

' rr

II

= ( )( )2

II

2I

III ''

'rr

II ⋅=

( )( )2

I

2II

2II

2I

II

II

'''

rr

rr

II

⋅=

Angewandte_Physik_07.doc Seite 87

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Angewandte Physik

Für ( )( ) 2

II

2I

2II

2I

23

''

rr

rr

= ergibt sich zum Beispiel 32'

II

II =II , was bedeutet, dass eine der drei

Kerzen gelöscht wurde.

Das Lambert-Gesetz

ϑ

'd 1A

1d A

Eine matte weiße Fläche erscheint dem Beobachter aus allen Richtungen gleich hell, d.h. die Strahldichte ist unabhängig vom Betrachtungswinkel ϑ :

0V LL =

Unter dem Winkel ϑ erscheint die Fläche aber entspre-chend

ϑcosd'd 11 AA =

verkleinert (s. Skizze), was auch bereits bei der Herleitung des photometrischen Grundgeset-zes berücksichtigt worden war.

Aus dem photometrischen Grundgesetz wurde für kleine Lichtquellen die einfache Formel

Ω=⋅

⋅⋅=Φ dcoscosdcosd 11V222

11VV ϑϑϑ ALr

AAL

hergeleitet. Diese Formel kann man umstellen zu

11

V

11

VV coscos

1d

dϑϑ A

IA

L =⋅Ω

Φ= .

Wäre in dieser Formel die Lichtstärke konstant, würde man mit wachsendem Winkel 1ϑ eine zunehmende Leuchtdichte erhalten. Dies widerspricht jedoch der Beobachtung.

Die genannte Voraussetzung der vom Winkel unabhängigen Strahldichte wird nur erfüllt, wenn die Lichtstärke die Form annimmt:

( ) 10V cosϑϑ II =

Diese Proportionalität der Licht- bzw. Strahlstärke zu ϑcos heißt Lambert-Gesetz oder Kosinus-Gesetz, wo-

bei der Begriff „Lambert-Gesetz“ meist nur in der Pho-tometrie verwendet wird. Sonne und Mond sind (mit gewissen Einschränkungen am Rand) Lambert-Strahler. Auch technische Strahler (z.B. glühende Flächen) fol-gen oftmals wenigstens näherungsweise diesem Gesetz.

( )ϑI

I0

ϑ

Die nebenstehende Skizze zeigt diese Funktion (Strah-lungscharakteristik) in Polarkoordinaten.

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Für den Lambert-Strahler, dessen Leuchtdichte für alle Winkel gleich ist ( ), kann man einige der im Zusammenhang mit dem photometrischen Grundgesetz erhaltenen Ausdrü-cke relativ leicht weiter vereinfachen. Bei der Integration über den Raumwinkel muss man beachten, dass die Strahlung nur in die Hälfte des Raumes ausgesandt wird, die sich vor bzw. oberhalb der strahlenden Fläche befindet (Halbraum).

0V LL =

Für die spezifische Ausstrahlung erhält man30

∫ ∫ ⎥⎦⎤

⎢⎣⎡⋅=⋅⋅=

ππ π

ϑπϕϑϑϑ2

0

2

0

2

01

201110V sin

212ddsincos LLM

πππ 02

0V 2sin LLM =⎟

⎠⎞

⎜⎝⎛= ,

und auch den Lichtstrom kann man in gleicher Weise berechnen:

Ω=Ω=Φ dcosdd 10VV ϑII

∫ ∫=Φπ

π

ϕϑϑϑ2

0

2

01110V ddsincosI

π0V I=Φ

Das Lambert-Gesetz ist häufig geeignet, flächige Lichtquellen zu behandeln. Die zweite oft verwendete Näherung nimmt die Lichtquelle als punktförmig an. In diesem Fall nimmt man an, dass die Quelle in alle Richtungen (den gesamten Raum) mit gleicher Lichtstärke strahlt.

6.3 Kontrollfragen

63. Warum kann in der Photometrie eine Strahlung nicht allein nach ihrer Leistung bewertet werden?

64. Wodurch unterscheiden sich lichttechnische Größen grundsätzlich von strah-lenphysikalischen Größen?

65. In welchem Wellenlängenbereich ist elektromagnetische Strahlung für das menschliche Auge sichtbar?

66. Bei welcher Wellenlänge hat die Hellempfindlichkeit für Tagessehen ihr Ma-ximum?

67. Wie ist der Lichtstrom definiert? Welchen Namen hat seine gebräuchliche Ein-heit?

68. Wie wird die Einheit der Lichtstärke genannt?

69. Wie ist die Leuchtdichte definiert? Erläutern Sie die verwendeten Formelzei-chen und geben Sie die gebräuchliche Einheit an!

30 die Integration über den Raumwinkel muss man hier ausführen als Integration über den Erhebungswinkel 1ϑ und den Azimutwinkel ϕ : ϕϑϑ ddsind 11=Ω

Angewandte_Physik_07.doc Seite 89

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Angewandte Physik

70. Wie ist die Beleuchtungsstärke definiert? Erläutern Sie die verwendeten For-melzeichen und geben Sie den Namen der gebräuchlichen Einheit an!

71. Wozu benutzt man Luxmeter, und wie sind sie aufgebaut?

72. Auf welcher Fähigkeit des Auges beruhen die Messverfahren der Photometrie?

73. Wie lautet das photometrische Entfernungsgesetz? Veranschaulichen Sie die Lage des Einfallswinkels durch eine Skizze.

74. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Leuchtdichte eines Lambert-Strahlers und der Strahlungsrichtung?

75. Wie hängt die Lichtstärke eines Lambert’schen Strahlers von der Richtung ab?

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7. ATOMPHYSIK

7.1 Atommodelle Atommodelle im weiteren Sinne geben eine anschauliche Vorstellung vom Aufbau eines A-toms, durch die möglichst viele experimentelle Ergebnisse erklärt werden können. Aus heuti-ger Sicht erklären Atommodelle im engeren Sinne den Aufbau der Atomhülle, während der Aufbau des Atomkerns Gegenstand von Kernmodellen ist.

Entwicklung der Atommodelle im 19. und 20. Jahrhundert

• Dalton, 1803 • Atome als kleine elastische Kügelchen mit Durchmesser 10-10 m • Experimentelle Grundlage: Gasgesetze, kinetische Gastheorie

• J. J. Thomson, 1898 / 1903 • Atome aus homogener elektrischer positiver Ladungsverteilung, in die Elektronen

eingebettet sind • Experimentelle Grundlage: Elektronenstrahlen

• Lenard, 1903 • Atome enthalten im Zentrum ein undurchdringliches Gebilde, dessen Ausdehnung viel

kleiner als die der Atome ist. • Experimentelle Grundlage: Durchgang von Elektronenstrahlen durch Substanzen

• Rutherford, 1911 • Atomkern mit Z positiven elektrischen Elementarladungen, in dem nahezu die gesam-

te Masse des Atoms vereinigt ist (Durchmesser 10-14 m), Atomhülle mit Z Elektronen (Durchmesser 10-10 m)

• Experimentelle Grundlage: Streuung von α-Teilchen an Metallfolien

• Bohr, 1913 • Für Elektronen sind nur bestimmte Bahnen (Quantenbahnen) erlaubt. Beim Übergang

zwischen diesen Quantenbahnen wird elektromagnetische Strahlung emittiert bzw. ab-sorbiert.

• Experimentelle Grundlage: Linienspektren

• Sommerfeld, 1915 (Bohr-Sommerfeld-Modell) Einführung weiterer Quantenbedingungen fü• r Drehimpuls u.a.

• Experimentelle Grundlage: Feinstruktur der Emissionslinien

• De Broglie, 1924 • Elektronenbahnen als stehende Wellen • Grundlage: Die von Bohr postulierten Quantenbahnen waren physikalisch bisher

• Schrödingerches Atommodell, Energieniveaus als Eigenwerte des Hamilton-

• Thomas-

nicht erklärbar.

, 1926 • Wellenmechanis

Operators, Wahrscheinlichkeitsaussagen über messbare Größen (Born 1926) Schrödinger’sches Atommodell ist Basis für weitere Atommodelle (z.B. Fermi-Modell, 1928: statistische Behandlung des Elektronengases)

Angewandte_Physik_07.doc Seite 91

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Angewandte Physik

7.2 Das Linienspektrum des atomaren Wasserstoffs Bei der Untersuchung des Lichtes, das bei Gasentladungen ausgesandt wird, stellte man fest, dass es aus einzelnen Linien besteht. Es wurden zudem einzelne sogenannte Serien gefunden. Für den Wasserstoff wurde die erste dieser Serien im sichtbaren Bereich durch Balmer 1885 entdeckt und beschrieben. Die weiteren Serien waren: Lyman-Serie (ultraviolett, 1906), Pa-schen-Serie (infrarot, 1908) und die Bracket-Serie (infrarot, 1922).

Experiment Linienspektren: Das Licht von Gasentladungslampen wird durch Beugungsgitter in seine spektralen Be-standteile zerlegt. Man kann so die Linienspektren von Wasserstoff u.a. Gasen beobachten.

Durch Balmer wurde bereits eine empirische Serienformel für die Wellenlängen λ der von ihm beobachteten Linien aufgestellt. Heute verwendet man die 1890 von Rydberg angegebene Form der Serienformel, die auch auf die später gefundenen Serien angewandt werden kann:

⎟⎠⎞

⎜⎝⎛ −= 22H

111nm

Rmnλ

Dabei sind m und n ganze Zahlen mit n > m. Innerhalb einer Serie ist m eine feste Zahl (Ly-man-Serie m = 1; Balmer m = 2; Paschen m = 3; Bracket m = 4; Pfund m = 5). RH ist die Rydberg-Konstante31 (RH = 1,09677581 . 107 m-1). Die Erklärung des Linienspektrum des Wasserstoffs ist auf der Grundlage des Bohr’schen Atommodells möglich.

7.3 Das Bohr’sche Atommodell Das Bohr’sche Atommodell basiert auf folgenden Postulaten (sinngemäß wiedergegeben):

Erstes Bohr’sches Postulat (Postulat der stationären32 Zustände):

Atome können sich in bestimmten stationären Zuständen befinden, in denen sie keine Energie ausstrahlen. Diesen stationären Zuständen entsprechen stationäre Umlaufbahnen, auf denen sich Elektronen bewegen. Ungeachtet ihrer Beschleunigung emittieren sie auf diesen Bahnen keine elektromagnetischen Wellen.

Zweites Bohr’sches Postulat (Regel der Quantelung der Umlaufbahnen):

Der Drehimpuls eines Elektrons, das sich auf einer stationären kreisförmigen Umlaufbahn bewegt, ist gequantelt. Seine Werte genügen der Bedingung

hnhnrvmL nnn ===π2e ,

31 Außer der Rydberg-Konstante ist auch die Rydberg-Frequenz 0HH' cRR ⋅= üblich. In den Tabellenwerken findet sich außerdem die Rydberg-Konstante für unendlich große Kernmassen aus der man nach der Formel

R∞

K

e1mm

RR+

= ∞

durch Einsetzen der Elektronenmasse und der Kernmasse die Rydberg-Konstante für endliche Kernmas-sen erhält. Damit berücksichtigt man die Mitbewegung des Atomkerns.

em Km

32 stationär: zeitlich unveränderlich als Folge eines dynamischen, statischen oder statistischen Gleichgewichts

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wobei die Elektronenmasse ist und Bahngeschwindigkeit und Radius der n-ten Umlaufbahn bezeichnen. n ist eine ganze Zahl (

em nn rv bzw.0≠n ). h ist die Planck’sche Konstante

(Planck’sches Wirkungsquantum; s. Abschnitt 5.3.4.3), π2h

=h .

Drittes Bohr’sches Postulat (Bohr’sche Frequenzbedingung):

Ein Atom emittiert (absorbiert) einen Quant elektromagnetischer Energie, wenn ein Elektron von einer Umlaufbahn mit größerem (kleinerem) n auf eine Umlaufbahn mit kleinerem (grö-ßerem) n übergeht. Die Energie des Quants ist gleich der Differenz der Energie des Elektrons auf den Umlaufbahnen vor und nach dem Übergang.

Das Postulat, dass der Drehimpuls gequantelt und ein ganzzahliges Vielfaches von ist, ist aus der klassischen Physik nicht zu begründen.

h

Den Zusammenhang zwischen der Energie des Elektrons auf der n-ten Umlaufbahn und dem zugehörigen Drehimpuls erhält man aus einer einfachen klassischen Betrachtung der Bewegung eines Elektrons im elektrischen Feld (Coulomb-Feld) des Atomkernes

nW

nL33.

2

2

0

2e 1

42 nn L

emW ⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛−=

επ

( : Elektronenmasse, e: Elektronenladung, em 0ε : elektrische Feldkonstante)

Der Zusammenhang zwischen dieser Formel und der Rydberg’schen Serienformel für die Linienspektren (Abschnitt 7.2) kann hergestellt werden, wenn man die emittierte elektromag-netische Strahlung als Lichtquanten beschreibt. Die Modellvorstellung von den Lichtquanten ergab sich aus experimentellen Befunden, die im folgenden Abschnitt 8.1 dargestellt werden.

Mit der Vorstellung der Lichtquanten beschreibt man die elektromagnetische Strahlung als Teilchenstrahlung. Die durch die Wellenlänge λ und die Frequenz ν charakterisier-te Wellenerscheinung wird durch Photonen (Lichtquanten) mit der Energie W und dem Impuls p beschrieben.

Der Zusammenhang zwischen der Wellen- und Teilcheneigenschaften ist mit den Beziehun-gen

λ

ν 0chhW

⋅=⋅= und

λhp =

33 Man muss dazu ansetzen, dass die Radialkraft des mit Radius r und Winkelgeschwindigkeit ω umlaufenden

Elektrons gleich der Coulomb-Kraft im elektrischen Feld des Kernes ist (2

0

22

e 4 rermεπ

ω = ), dass sich seine

Energie als Summe von kinetischer und potentieller Energie ergibt ( ( )r

erm

W0

22e

42 επω −= ) und dass Dreh-

impulserhaltung gilt ( ). constrmL == ω2e

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Angewandte Physik

gegeben. ist dabei das Planck’sche Wirkungsquantum, die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum.

h 0c

Nimmt man die beobachteten Übergänge als Übergänge zwischen jeweils zwei Energieni-veaus, so kann man die Rydberg-Formel schreiben als34

( nm WWn

hcRm

hcRh −−=−= 20H

20Hν ) und

20H20H 1

nhcR

nhcRWn −=−=

Übereinstimmung mit dem oben angegebenen Ausdruck für , der mit dem Bohr’schen A-tommodell gewonnen wurde, ergibt sich für

nW

h⋅== nhnLn π2

und 0

320

4e

H 8 chemR

ε= .

Das Bohr’sche Atommodell geht davon aus, dass sich die Elektro-nen auf diskreten Bahnen mit bestimmten Energien bewegen. Im Energieniveauschema stellt man diese Energieniveaus sche-matisch dar. Die gebundenen Elektronen im Atom haben E-nergien kleiner als Null (s. obige Formeln). Freie Elektronen ha-ben hingegen eine positive (kine-tische) Energie.

Das Energieniveauschema wird hauptsächlich dazu verwandt, Übergänge zwischen den Ener-gieniveaus zu beschreiben (s. Skizze). Beim Übergang eines Elektrons auf ein niedrigeres Energieniveau wird Energie (z.B. als Lichtquant) frei. Um eine Elektron auf ein höheres Niveau anzuheben muss Energie (z.B. durch Absorption eines Licht-quants oder durch Abbremsen eines freien Elektrons) zugeführt werden. Dabei spricht man von Anregung, wenn das Elektron im Atom verbleibt und in einen gebundenen Zustand mit höherer Energie übergeht und von Ionisation, wenn das Elektron das Atom verlässt. Den Um-kehrprozess zur Ionisation, bei dem ein freies Elektron durch ein Atom eingefangen wird, nennt man Rekombination.

W

hνhν

W <

0ge

bund

ene

Zust

ände

W >

0fr

eie

Zust

ände

Emission Absorptioneines Photons

Photoionisation Stoßionisation

Wvak

34 Man muss dazu nur die Rydberg-Formel aus Abschnitt 7.2 mit multiplizieren. 0ch

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7.4 Kontrollfragen

76. Wie kommen die Spektrallinien des Wasserstoffspektrums zustande?

77. Welche Erkenntnis folgt aus der Beobachtung, dass die Spektren von Atomen aus einzelnen Linien bestehen?

78. Was versteht man unter Stoßionisation?

79. Was versteht man unter Photoionisation?

80. In welchem Schema kann man die Strahlungsabsorption und die Strahlungs-emission eines Atoms darstellen? (Diagramm!)

81. Wie kann man Photoionisation und Strahlungsrekombination im Niveausche-ma eines Atoms darstellen? (Diagramm!)

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8. TEILCHEN-WELLE-DUALISMUS

8.1 Teilchencharakter elektromagnetischer Strahlung

8.1.1 Photoeffekt Der äußere Photoeffekt35 (äußere lichtelektrische Effekt, Hallwachseffekt) wurde in den Jah-ren 1887 und 1888 durch Hertz und Hallwachs entdeckt.

Hertz beobachtete, dass auf einer Funkenstrecke die Funken mit geringerer Verzögerung ü-berspringen, wenn die Elektroden mit UV-Licht bestrahlt werden. Die bekanntere Versuchs-anordnung stammt von Hallwachs, der zeigte, dass eine geladene Metallplatte ihre negative Ladung verliert, wenn sie mit UV-Licht bestrahlt wird. Im Jahre 1902 wies Lenard nach, dass die austretenden Teilchen Elektronen sind, und dass der Effekt im Widerspruch zur klas-sischen Wellentheorie steht.

Experiment Photoeffekt, Versuchsaufbau nach Hallwachs: Eine metallisch blanke Zinkplatte wird mit Licht verschiedener Wellenlänge und Intensität bestrahlt. Ergebnis: • Mit steigender Intensität der Strahlung wächst die Zahl der ausgelösten Photoelektro-

nen. • Mit rotem Licht gelingt es nicht, Photoelektronen auszulösen, auch wenn man die In-

tensität erhöht. Die Folgerungen aus dem Lenard’schen Experiment, bei dem außerdem die kinetische Ener-gie der Photoelektronen bestimmt wurde, waren:

• Die kinetische Energie der Photoelektronen ist nur von der Wellenlänge der einfal-lenden Strahlung und nicht von deren Intensität abhängig.

• Mit steigender Intensität der Strahlung wächst lediglich die Zahl der ausgelösten Photoelektronen.

• Es existiert eine langwellige Grenzwellenlänge für die anregende Strahlung, jenseits derer keine Photoelektronen emittiert werden.

Dieses Verhalten steht offensichtlich im Widerspruch zur klassischen Wellentheorie, der zufolge die übertragene Energie proportional zum Amplitudenquadrat, d.h. zur Intensität ist.

Die Deutung des äußeren Photoeffekts gelang erst Einstein (1905) durch Annahme von Lichtquanten (vgl. Abschnitt 7.3).

35 Daneben gibt es den inneren Photoeffekt, bei dem die Elektronen in gebundenen Zuständen verbleiben.

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Die Einstein-Gleichung

Bk WWh +Φ+=ν

beschreibt den beobachteten Sachver-halt. Dabei ist hν die Energie eines Lichtquants, Wk ist die kinetische Energie des ausgelösten Elektrons, WB ist die von der Fermi-Kante36 (W ) aus gerechnete Bindungsenergie des Elektrons im Festkörper und Φ ist die Austrittsarbeit.

F

Obwohl der Photoeffekt auch an iso-lierten Atomen auftritt, wird er meist an Festkörpern beobachtet. Die re-gelmäßige Anordnung von Atomen in Festkörpern führt dazu, dass die obe-ren Energieniveaus aufspalten und zu Bändern werden. Das oberste besetzte Band nennt man Valenzband. Das darüber liegende unbesetzte Band ist das Leitungsband. Im Grundzustand des Atoms sind alle Zustände bis zur Fermi-Kante mit Elektronen besetzt. Der Abstand der Fermi-Kante vom Nullniveau der Energie (Vakuumni-veau) ist die Austrittsarbeit Φ. Man muss also mindestens die Energie Φ zuführen, damit E-lektronen, die sich an der Fermi-Kante befinden, den Festkörper verlassen können. Für Elek-tronen mit größeren Bindungsenergien muss entsprechend mindestens die Energie BW+Φ zugeführt werden, damit diese den Festkörper verlassen können.

Φ

K

W

WF VL

LL

321

WB

00

Die zugehörigen Größen werden in nebenstehender Skizze veranschaulicht. Dabei bezeichnen die rechts stehenden Buchstaben die besetzten Energieniveaus im Atom (K - L3) und das Va-lenzband (V).

Die maximale kinetische Energie erreicht man für Elektronen, deren Bindungsenergie Null ist. (Diesen Zustand trifft man bei Metallen häufig an, da sich hier viele Elektronen in der Nähe des Fermi-Niveaus befinden.)

Φ−= νhW maxk

Die Grenzfrequenz für das Auslösen von Photoelektronen ist damit

Φ=Gνh .

36 Der Begriff „Fermi-Kante“ stammt aus der Fermi-Dirac-Statistik, die für Fermionen, zu denen die Elektronen zählen, gilt. Jeder Zustand kann nur mit einem Elektron besetzt werden (Pauli-Prinzip). Bei T=0 sind alle Zu-stände bis zur Fermi-Energie (von der Unterkante des Valenzbandes aus gerechnet) besetzt. Nimmt man die Vakuumenergie als Bezugsgröße, spricht man von „Fermi-Kante“ oder „Fermi-Niveau“.

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Angewandte Physik

8.1.2 Compton-Effekt In den Jahren 1922/23 untersuchte Compton die Streuung von Röntgen- und γ-Strahlung an Festkörpern37.

Versuchsanordnung von Compton (Molybdänkathode T, Streuung am Graphit R, Kristall als Wellenlängendetektor)

Es wurde beobachtet, dass in der Streustrahlung ein zu längerer Wellenlänge hin verschobener Peak auftritt. Die Änderung der Wellenlänge ∆ λ hängt dabei weder von der streuenden Substanz noch von der Ausgangswellenlänge der verwendeten Strah-lung ab. Sie ist allein eine Funktion des Streuwin-kels. Bei einem Streuwinkel von 90° beträgt die Wellenlängenänderung immer ∆ λ = 2,4 . 10-12 m.

Dieses Verhalten steht ebenfalls im Widerspruch zur klassischen Wellentheorie, bei der in jedem Fall die Frequenz (und bei unveränderter Phasengeschwindig-keit auch die Wellenlänge) erhalten bleiben müsste.

Die Erklärung erfolgt auch hier durch den Teilchencha-rakter der elektromagnetischen Strahlung, d.h. durch die Annahme dass ein Photonen elastisch mit einem freien38 Elektron des Festkörpers zusammenstößt.

Die experimentellen Ergebnisse können durch den An-satz von Energie- und Impulserhaltungssatz beschrie-ben werden.

37 Abb. aus: E. W. Schpolski: Atomphysik, Teil 1. VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin 1971 38 Locker gebundene Elektronen, die praktisch wie freie Elektronen behandelt werden können.

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1. Energieerhaltungssatz:

Photonenenergie

vor dem StoßPhotonenenergienach dem Stoß

Kinetische Energiedes Elektrons

⎧⎨⎩

⎫⎬⎭

=⎧⎨⎩

⎫⎬⎭

+⎧⎨⎩

⎫⎬⎭

k' Whh += νν

dabei ist für Wk die relativistische Beziehung (s. dazu Abschnitt 9.4)

02e

20

20k WpcWW −+= anzusetzen.

ist dabei die Ruheenergie und der Impuls des angestoßenen Comp-ton-Elektrons. ist die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum.

W m c0 02= 0 ep

0c

2. Impulserhaltungssatz:

ϑ

rp

rp' epr

ϑcos'2'222e ppppp −+=

p bzw. ' sind die Impulse des ankommenden bzw. des gestreuten Photons, ist der Impuls des Compton-Elektrons. Den Winkel

p

epϑ bezeichnet man als Streuwinkel.

Mit dem Photonenimpuls ph

erhält man schließlich

die Formel

( )∆ λ λ λ ϑ= − = −' ch

m c0 0

1 os .

Für den Streuwinkel 90° wird die Klammer gleich Eins, die Wellenlängenänderung wird gleich der Compton-Wellenlänge des Elektrons

m1042,2 12

00

−⋅=cm

h .

8.2 Wellencharakter von Teilchen - Materiewellen Die experimentellen Befunde, dass elektromagnetische Strahlung Teilchencharakter hat, führ-ten dazu, dass auch für Teilchen Welleneigenschaften angenommen wurden.

De Broglie postulierte 1923 die Gültigkeit der für Photonen gültigen Gleichungen auch für Teilchen wie Elektronen:

ων

λh

h

==

==

hW

khp

ων , Frequenz, Kreisfrequenz ( νπω 2=

h,h

)

Planck’sche Konstante ( ) π2h

=h

mit Wp,k,

Impuls, Energie des Teilchens λ Wellenlänge, Wellenzahl

De-Broglie-Wellenlänge:

vm

hph

==λ

Damit wurde der Zusammenhang zwischen den Teilcheneigenschaften Energie und Impuls und den Welleneigenschaften Frequenz und Wellenlänge hergestellt.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 99

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Angewandte Physik

Bei Anwendung der obigen Formeln ist zu beachten, dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit der Materiewellen kleiner als die Lichtgeschwindigkeit ist. Die Berechnung der Energie muss

daher über die Beziehung m

pW2

2

= erfolgen.

Der experimentelle Nachweis für die Richtigkeit dieses Postulats erfolgte 1927 durch Davis-son und Germer durch Beugung langsamer Elektronen.

Experiment Elektronenbeugung: Ein Elektronenstrahl variabler Energie wird an Graphit gebeugt. Im Ergebnis der Beu-gung beobachtet man Ringe. Die Vergrößerung der Beschleunigungsspannung führt zur Verringerung des Radius der Beugungsringe.

Die Geschwindigkeit der Elektronen39 ergibt sich mit dem Energieerhaltungssatz aus der Beschleunigungsspannung U

2e2

1 vmUe = ; Umev

e

2= (e: Elektronenladung, me: Elektronenmasse),

die De-Broglie-Wellenlänge der Elektronen erhält man als

Ume

hvm

h

ee 2==λ ,

die Winkel, unter denen man Beugungsmaxima beobachtet, ergeben sich nach der Bezie-hung

λϑ nd =maxg sin (dg: Gitterkonstante, n: Beugungsordnung),

und der Radius Rmax der beobachteten Ringe (Beugungsmaxima) auf dem Leuchtschirm, dessen Abstand l von der beugenden Substanz (Graphit) beträgt, ist (für ) maxRl >>

maxmaxmax sintan ϑϑ ≈=l

R ; g

maxmax sindnllR λϑ =≈

Umed

hnlRg e

max 2≈ ;

UR 1~max .

39 Die Betrachtung gilt für Beschleunigungsspannungen bis einige 10 kV, bei größeren Beschleunigungsspan-nungen muss man relativistisch rechnen.

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8.3 Wellenmechanik

8.3.1 Die Schrödinger-Gleichung Die Schrödinger-Gleichung (Schrödinger 1926) baut auf der De-Broglie-Beziehung auf und wird wie folgt erhalten:

In der klassischen Mechanik gilt: mit W Gesamtenergie

pW potentielle Energie p Impuls

0m Ruhenergie (vgl. Abschn. 9.4)λ Wellenlänge ν Frequenz h Planck’sche Konstante c Phasengeschwindigkeit

p0

2

2W

mpW += .

Mit

h

Wph

== νλ ;

ergibt sich zunächst unter Verwendung des Im-pulses aus der obigen Gleichung

( )p02 WWmW

phc

−==⋅=

ννλ .

Unter der Voraussetzung, dass sich die Bewegung der Teilchen als Welle darstellen lässt, setzte Schrödinger zur Beschreibung der Teilchen eine Wellenfunktion als Zustandsfunkti-on40 an:

( ) ( ) tiezyxtzyx ωψψ −⋅= ,,,,, 0

dabei ist

hWπνπω 22 == .

Diese Zustandsfunktion muss die Wellengleichung (vgl. Abschnitt 3.1) erfüllen:

2

2

2

1tc ∂ψ∂ψ =∆

Einsetzen unter Verwendung der oben angeführten Beziehungen ergibt die Schrödinger-Gleichung

02 p

0

2

=++∆−ti

Wm ∂

ψ∂ψψ hh. (i: imaginäre Einheit)

Häufig interessieren nur die stationären (zeitunabhängigen) Zustände. (Stabile Zustände sind stationär. Vgl. stehende Wellen.)

Zur Beschreibung der stationären Zustände reicht die (komplexe) Amplitude ψ 0 .

Man erhält analog zu oben die zeitunabhängige Schrödinger-Gleichung

i ±=±

40 Man verwendet in der Quantenmechanik eine komplexe Wellenfunktion. Die angegebene Funktion ist ebenso wie die im Abschnitt 3 verwendete Wellenfunktion periodisch. Formt man die Funktion mit Hilfe der Eu-ler’schen Formel um, erhält man e . Die Größe i ist die imaginäre Einheit ( i ). Die Be-deutung der ψ-Funktion wird im Abschnitt 8.3.2 diskutiert.

ϕϕϕ sincos i 12 −=

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Angewandte Physik

00

00p0

2

2ψψ

ψψ

WH

WWm

=

=⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛+∆−

h

mit dem Laplace-Operator 2

2

2

2

2

2

zyx ∂∂

∂∂

∂∂

++=∆ .

H bezeichnet man als Hamilton-Operator (Energie-Operator).

Mit der zeitunabhängigen Schrödinger-Gleichung lassen sich stationäre Zustände in einem vorgegebenen Potential berechnen, also z.B. die Zustände des Wasserstoffatoms.

8.3.2 Folgerungen aus der Schrödinger-Gleichung Es stellt sich die Frage nach der physikalischen Bedeutung der Zustandsfunktion ψ .

Im Rahmen der klassischen Wellentheorie beschreibt das Amplitudenquadrat die Intensität einer Welle.

Für komplexe Amplituden gilt41 ψψψ *2 = , wobei für elektromagnetische Wellen die Funk-

tion 2ψ eine zur Energiedichte proportionale Größe ist.

• Mit der Schrödinger-Gleichung lässt sich zeigen, dass sich wie eine Teilchendichte verhält.

ψψ *

• Diese Interpretation steht jedoch für kleine Teilchendichten scheinbar in Widerspruch zu der Annahme von der Elementarladung als kleinster Einheit der Ladung.

• Das Experiment (Beugung) zeigt, dass einzelne Elektronen an ganz bestimmten Orten auftreffen. Erst viele Versuche führen zu der Verteilung, die seitens der Wellentheorie erwartet wird.

Nach der Interpretation von Born ist eine Wahrscheinlichkeitsdichte, ψψ * ψ hat die Be-deutung einer Wahrscheinlichkeitsamplitude.

Vd*ψψ

ist die Wahrscheinlichkeit, das Teilchen zur Zeit t im Volumen dV anzutreffen.

Da es irgendwo sein muss, gilt

. 1d* =∫+∞

∞−

Vψψ

Den Erwartungswert einer Observablen (Messgröße) erhält man (wie in der klassischen Me-chanik) als

VAA d* ψψ∫+∞

∞−

= .

Die Aussage, dass mit der Wellenmechanik nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht wer-den, steht im Widerspruch zu den Erfahrungen aus der Makrowelt und hat in den zwanziger 41 Die Regeln für den Umgang mit komplexen Funktionen können hier nicht im Detail erläutert werden, es wird auf die entsprechenden Ausführungen im Kurs Mathematik verwiesen.

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Jahren zu erheblichen Diskussionen auch in philosophischer Hinsicht geführt (Krise der Phy-sik).

Wellenmechanische Atommodelle: Die Modelle einfacher Atome zeigen, wie man sich die Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen im Atom auf Grundlage wellenmechanischer Rechnungen vorzustellen hat.

8.3.3 Die Heisenberg’sche Unschärferelation Die Messung mikroskopischer Größen nimmt im Rahmen der Wellenmechanik einen zentra-len Raum ein, da die zu messenden Größen bei der Messung stets beeinflusst werden. Aus der Analyse des Messprozesses entwickelte Heisenberg 1927 das Unbestimmtheitsprinzip:

Ort und Impuls eines Teilchens lassen sich nicht gleichzeitig beliebig genau messen.

So kann man mit elektromagnetischer Strahlung kurzer Wellenlänge den Ort eines Atoms recht genau messen. Bei der Messung wird aber ein Impuls übertragen, der umso größer ist, je kleiner die zu Messung verwendete Wellenlänge gewählt wurde. Mit langen Wellenlängen (energiearmen Photonen) ist zwar die Genauigkeit der Impulsmessung höher, dafür wird die Ortsmessung ungenauer.

Die Unschärferelation gilt in gleicher Weise auch für die Größen Energie und Zeit.

2

2x

h

h

≥∆⋅∆

≥∆⋅∆

tW

xp

Dabei ist ( )2xx pp ∆=∆ usw. in obiger Formulierung jeweils die mittlere oder Standard-

abweichung.

8.4 Zusammenfassung: Hauptetappen auf dem Weg zur Erkenntnis der Mikrowelt

Das folgende Schema wurde sinngemäß von Friedrich Hund angegeben42:

Spektren

Atom

Quanten in Materie(schwarze Strahlung)

Quanten imelektromagnetischen Feld(Lichtquanten)

Quanten-mechanik

Quanten-feldtheorie

Rydberg Ritz

Thomson RutherfordLenard

Planck Hasenöhrl

Wien Einstein

Ehrenfest

Debye

Bohr Heisenberg

SommerfeldDe Broglie

SchrödingerMateriewellen

42 F. Hund: Geschichte der Quantentheorie. Bibliographisches Institut, Mannheim 1967

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Angewandte Physik

8.5 Kontrollfragen

82. Was versteht man unter dem Photoeffekt?

83. Wie lautet der Energieerhaltungssatz beim Photoeffekt?

84. Weshalb kann der Photoeffekt nicht mit der Wellenvorstellung des Lichtes er-klärt werden?

85. Wie wird der Photoeffekt mit der Photonenvorstellung erklärt?

86. Wie wird der Compton-Effekt mit der Photonenvorstellung erklärt?

87. Durch welche aus der Mechanik übernommene Modellvorstellung lassen sich Photoeffekt und Compton-Effekt erklären?

88. Zu welcher Aussage hinsichtlich der Natur elektromagnetischer Strahlung füh-ren der Photo- und der Compton-Effekt?

89. Durch welche beiden Gleichungen werden Wellen- und Teilchenmerkmale e-lektromagnetischer Strahlung verbunden?

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9. DIE SPEZIELLE RELATIVITÄTSTHEORIE

9.1 Historie Bis zum 19. Jahrhundert herrschte die Vorstellung von der Existenz eines Weltäthers vor. Damit verbunden ist die Existenz eines ausgezeichneten Bezugssystems43, relativ zu dem der Äther ruht und das den absoluten Raum festlegt. Außerdem gibt es damit eine absolute Zeit.

Diese Vorstellung wurde Ende des 19. Jahrhunderts durch mehrere experimentelle Befunde erschüttert. Der bedeutendste Versuch war in diesem Zusammenhang der Michelson-Ver-such (1881, 1887 zusammen mit Morley wiederholt). In dem Michelson-Versuch wurde die Laufzeit zweier Lichtstrahlen in Bewegungsrichtung der Erde und senkrecht dazu verglichen (Interferenz). Die Relativbewegung der Erde zum Äther hätte zu einem Laufzeitunterschied führen müssen (vgl. Messung der Geschwindigkeit eines fahrenden Schiffes gegenüber der Luft durch Schall-Laufzeitmessung). Es wurde aber kein Unterschied bemerkt. (Die Versuche wurden übrigens mit gleichem negativem Ergebnis bis in die heutige Zeit wiederholt.)

Im Zusammenhang mit den Gesetzen der Elektrodynamik wurden ebenfalls die Probleme mit konstanter Geschwindigkeit gegeneinander bewegter Bezugssysteme (Inertialsysteme44) un-tersucht.

Im Rahmen der klassischen Mechanik gelten für derartige Koordinatensysteme Transfor-mationsbeziehungen, die als Galilei-Transformation bekannt sind.

Für ein Koordinatensystem Σ’, das sich relativ zum Koordinatensystem Σ mit der Geschwin-digkeit v in x-Richtung bewegt, gilt:

r(t)

r'(t) y'

0

y

x

Bezugssystem Σ Bezugssystem Σ'

0'

x0 (t) = v . t

z'

x'

P z

x x v ty yz z

'''

= −==

43 Als Bezugssystem (Beobachtungssystem) bezeichnet man ein System von materiellen Körpern und Mecha-nismen (z.B. Maßstäben und Uhren) mit deren Hilfe die Lage anderer Körper zu einem durch die Uhren des Beobachters bestimmten Zeitpunkt relativ zu den Maßstäben des Beobachters angegeben werden kann. 44 In Bezugssystemen, die sich relativ zueinander geradlinig mit konstanter Geschwindigkeit bewegen, unter-scheiden sich die mechanischen Bewegungsgleichungen nicht, d.h. es gilt die Newton’sche Bewegungsgleichung „Kraft gleich Masse mal Beschleunigung“. Systeme, in denen diese Bewegungsgleichung gilt, nennt man Inerti-alsysteme.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 105

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Angewandte Physik

Außerdem wird im Rahmen der Galilei-Transformation immer angenommen, dass die Zeit in beiden Koordinatensystemen die gleiche bleibt, also

. t t'=

1887 wurde durch Voigt festgestellt, dass die Wellengleichung ihre Gestalt ändert, wenn man sie auf ein bewegtes Koordinatensystem überträgt. Er schlug deshalb eine andere Transforma-tion vor, bei der auch die Zeit transformiert wird.

Die endgültige Formulierung der Transformationsbeziehungen wurde durch Lorentz vor-genommen, der forderte, dass die Gesetze der Elektrodynamik für alle Koordinatensysteme, die sich geradlinig und gleichförmig bewegen, gleichermaßen gelten sollen (Lorentz-Transformation, 1904). Unter den gleichen Voraussetzungen wie oben (Koordinatensystem Σ’ bewegt sich relativ zum Koordinatensystem Σ mit der Geschwindigkeit v in x-Richtung) erhält man für die Lorentz-Transformation die Beziehungen

( )

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛−

−=

==

−−

=

20

2

2

1

1'

''

1

1'

cvxtt

zzyy

tvxx

β

β

mit 0cv

=β , wobei die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ist 0c

Poincaré formulierte das Relativitätsprinzip, dem zufolge alle Bezugssysteme hinsichtlich der Darstellung der physikalischen Gesetze gleichwertig sind. (Die physikalischen Gesetze sind invariant gegenüber der Lorentz-Transformation.)

Einstein veröffentlichte 1905 die spezielle Relativitätstheorie auf der Grundlage der Lo-rentz-Transformation und des Relativitätsprinzips. Dabei erfolgt ein konsequenter Bruch mit den Begriffen „absolute Zeit“ und „absoluter Raum“.

9.2 Wesentliche Folgerungen aus der Lorentz-Transformation Die Lichtgeschwindigkeit (im Vakuum) besitzt einen von den Koordinatensystemen un-abhängigen Wert.

Damit werden Ereignisse (dargestellt durch die Weltpunkte (xi, yi, zi, ti) ) hinsichtlich ihrer raum-zeitlichen Beziehung und Ursache-Wirkung-Relation eingeordnet. Die Verknüpfung zwischen zwei Weltpunkten in einem Bezugssystem Σ nennt man zeitartig, wenn es ein Be-zugssystem Σ’ gibt, in dem die entsprechenden Ereignisse am selben Ort stattfinden (reelles Intervall). Die Bewegung von Teilchen mit Ruhemasse erfolgt zeitartig. Zeitartige Ereignisse können kausal (Ursache - Wirkung) verknüpft sein. Das Folgeereignis ist mit der Ursache durch einen Ausbreitungsprozess verbunden. Sind zwei Weltpunkte kausal verknüpft, so gilt diese Verknüpfung in jedem Bezugssystem. Im Gegensatz dazu stehen raumartige Intervalle. Der Lichtkegel (zweidimensional dargestellt im x - ct - Diagramm die Geraden mit Steigung 1 bzw. -1) zerlegt die Raumzeit in Bereiche von absoluter Zukunft bzw. absoluter Vergan-genheit (ober- bzw. unterhalb des Lichtkegels) und den Bereich absoluter Distanz.

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Relativität der Gleichzeitigkeit Ereignisse, die in einem Koordinatensystem als gleichzeitig erscheinen, müssen das nicht auch in einem anderen Koordinatensystem sein.

Längenkontraktion

Ein Stab hat im Bezugssystem Σ die Länge 12 xxl −=∆ . Das Bezugssystem Σ bewegt sich mit der Geschwindigkeit v relativ zum Bezugssystem Σ’ in x-Richtung. Ein Beobachter im Bezugssystem Σ’ misst die Länge des Stabes ( )'l∆ verkürzt.

( ) 21' β−∆=∆ ll

Zeitdilatation „Bewegte“ Uhren werden von einem „ruhenden“ Beobachter als verlangsamt gehend ge-messen.

( )∆∆

tt

'=−1 2β

Direkte Messungen mit Uhren in Flugkörpern werden wegen ihrer unzulänglichen Genauig-keit angezweifelt. Man kann aber feststellen, dass Elementarteilchen, die durch die kosmische Strahlung entstehen, auf der Erdoberfläche nachgewiesen werden, obwohl sie längst zerfallen sein müssten45. Die Erklärung liefert hier die Zeitdilatation.

Additionstheorem für Geschwindigkeiten

Es seien v1 die Geschwindigkeit von Σ’ in Σ

v2’ die Geschwindigkeit von Σ’’ in Σ’

v2 die Geschwindigkeit von Σ’’ in Σ

dann gilt

vv v

v vc

21 2

1 2

021

=+

+

''

Dieses Additionstheorem kann experimentell z.B. in den existierenden Teilchenbeschleuni-gern nachgewiesen werden.

9.3 Äquivalenz von Masse und Energie Bereits aus früheren Versuchen war bekannt, dass zur Beschleunigung eines geladenen Teil-chens eine größere Kraft erforderlich ist, als zur Beschleunigung eines gleich schweren unge-ladenen Teilchens.

45 Myonen entstehen bei der Wechselwirkung der primären kosmischen Strahlung mit der Atmosphäre in Höhen über 10 km. Die mittlere Lebensdauer ruhender Myonen beträgt 2,2 µs. Mit einer Geschwindigkeit v=0,9998 c0 könnten die Myonen in dieser Zeit lediglich eine Strecke von ca. 600 m durchlaufen, ehe sie zerfallen. Berück-sichtigt man die Zeitdilatation, ergibt sich im bewegten Bezugssystem für die Myonen eine Lebensdauer, die etwa 50 mal so groß wie die im ruhenden System ist. Damit kann eine Strecke von ca. 30 km zurückgelegt wer-den, was der Beobachtung entspricht.

Angewandte_Physik_07.doc Seite 107

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Angewandte Physik

Erklärung: Durch die bewegte Ladung wird ein magnetisches Feld erzeugt, welches eine be-stimmte Feldenergie verkörpert. Der Beitrag zum magnetischen Feld kann als zusätzliche Masse ausgedrückt werden (J.J. Thomson 1881).

Poincaré (1900) formulierte die Trägheit einer sich als elektromagnetische Strahlung aus-breitenden Energie.

Einstein (1905):

20cmW =

Als wichtigste Folgerung aus dem Relativitätsprinzip und den Erhaltungssätzen für Energie und Impuls formuliert Einstein das Prinzip der Trägheit der Energie, die Äquivalenz von Masse und Energie.

Den wichtigsten Nachweis dieser Beziehung liefert der beobachtete Massendefekt der Atom-kerne (vgl. Abschnitt 10.2.2): Die Ruhmasse zusammengesetzter Atomkerne ist kleiner als die

Summe der Ruhmassen der beteiligten Protonen und Neutronen. ( 20

B

cWm =∆ , WB: Bindungs-

energie. Die Bindungsenergie pro Nukleon beträgt im Mittel 8 MeV.)

9.4 Relativistische Bewegungsgleichung (Planck 1906)

Die Bewegungsgleichung hat nach wie vor die Form

( )vmt

F rr

dd

=

Die Masse ist jedoch abhängig von der Geschwindigkeit. Ein ruhender Körper hat die Ruh-masse . Die Masse eines Körpers, der sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, ist aber 0m

2

0

02

0

11

⎟⎟⎠

⎞⎜⎜⎝

⎛−

=−

=

cv

mmmβ

0 0.25 0.5 0.75 10

1

2

3

4

5

6

7

8Relativistische Massezunahme

v / c

m /

m0

( :Vakuumlichtgeschwindigkeit) 0c

Den Effekt nennt man relativistische Massezunah-me.

Eine entsprechende Beobachtung, die als relativis-tische Massezunahme erklärt werden kann, wurde bereits 1902 von Kaufmann bei Versuchen zur Ab-lenkung von β-Strahlen in elektrischen und magne-tischen Feldern gemacht. Kaufmann fand, dass das Verhältnis von Ladung zu Masse e/m energie-abhängig ist.

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Damit kann man für die Gesamtenergie eines Teilchens schreiben:

2

2002

01 β−

==cmcmW

Da wegen der Äquivalenz von Masse und Energie auch ein ruhender Körper der Masse ei-ne Energie, die Ruhenergie

0m

W m c0 02= 0

verkörpert, ergibt sich die kinetische Energie nun als Differenz aus der oben angegebe-nen Gesamtenergie und der Ruhenergie:

kW

200

20k cmcmW −=

020

220k WcpWW −+=

Den Übergang zur klassischen Mechanik erhält man für v c<< 0 :

( ) [ ] 202

12212

002200

200k 111

11 vmcmcmcmmW =−+≈

⎥⎥⎦

⎢⎢⎣

⎡−

−=−= β

β

Beim Compton-Effekt (Abschnitt 8.1.2) war darauf verwiesen worden, dass das Compton-Elektron relativistisch behandelt werden muss.

Die Notwendigkeit, mit relativistischer Masse und Energie zu rechnen, ergibt sich bereits bei so verbreiteten Geräten wie den Elektronenmikroskopen. In allen Anlagen der Hochenergie-physik (Teilchenbeschleuniger) muss selbstverständlich relativistisch gerechnet werden. Hier hat die spezielle Relativitätstheorie ihre glänzende Bestätigung gefunden.

9.5 Kontrollfragen

90. Was versteht man unter „Äquivalenz von Masse und Energie“?

91. Wie hängt die relativistische Masse eines Teilchens von seiner Geschwindig-keit ab?

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Angewandte Physik

10. KERNPHYSIK

10.1 Geschichtlicher Abriss: Entdeckung der Radioaktivität, Kern-modelle, Elementarteilchen

Entdeckung der Radioaktivität

• Bei Experimenten mit Kathodenstrahlen entdeckt W. C. Röntgen 1895 die später nach ihm benannte X-Strahlung.

• Am 20.1.1896 berichtete Henri Poicaré vor der Pariser Académie des Sciences über die X-Strahlung. Unter den Zuhörern war auch Antoine Henri Becquerel (1852 - 1908), der sich bis dahin mit Phänomenen der Lumineszenz und Phosphoreszenz beschäftigt hatte. Nach dem Vortrag begann er mit Versuchen, bei denen er entdeckt, dass Uransalze ohne weiteres Zutun lichtdicht verpackte Photoplatten schwärzen. Er hatte die Radioaktivität entdeckt.

• Am 2.3.1896 berichtet Becquerel vor der Pariser Akademie über seine Entdeckung.

• Marya Sklodowska (1867 - 1934) und ihr späterer Ehemann Pierre Curie (1859 - 1906) suchten die Ursache der Strahlung und entdeckten in Pechblende 1898 das Element Radi-um.

• Becquerel fand heraus, dass radioaktive Strahlen imstande sind, Gase zu ionisieren und elektrisch leitfähig zu machen.

• Die Entdeckung der Radioaktivität veränderte das Weltbild der Physik, da nunmehr nicht mehr angenommen werden konnte, dass Atome unteilbar sind.

• Becquerel und das Ehepaar Curie entdeckten auch am eigenen Körper die physiologi-schen Wirkungen der radioaktiven Strahlung.

• 1903 erhielt Becquerel zusammen mit dem Ehepaar Curie den Nobelpreis für die Entde-ckung der Radioaktivität.

Die Entdeckung der Radioaktivität und die Erklärung ihrer physikalischen Ursachen muss zusammen mit der Entwicklung der Vorstellung über den Aufbau der Atome (s. Abschnitt 7.1) gesehen werden: Die Entdeckungen trugen zur Entwicklung der Modellvorstellung bei und waren letztlich nur auf der Grundlage der Erkenntnisse über den Aufbau des Atoms und des Atomkerns zu erklären.

Entwicklung der Modellvorstellungen über den Atomkern

• Moseley, 1913: Die Zahl der positiven Ladungen im Atomkern entspricht der Ordnungs-zahl des Elements im Periodensystem.

• Bohr, 1913: Der Atomkern ist der Sitz der Radioaktivität.

Die Bestandteile des Atomkerns wurden erst im 20. Jahrhundert entdeckt,

das Proton 1906 durch Thomson und

das Neutron 1932 durch Chadwick (vorhergesagt durch Rutherford 1920)

Heisenberg sprach die Vermutung aus, dass die Nuklide aus Protonen und Neutronen, den Nukleonen aufgebaut sind. Dies gilt heute als gesichert.

Seite 110

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Als Kernmodelle bezeichnet man Modelle über den Aufbau des Atomkerns. Die bedeutends-ten sind das Tröpfchenmodell (1935 v. Weizsäcker; Bethe-Weizsäcker-Formel) und das Schalenmodell. Weitere Modelle existierten, bis heute lässt sich aber auf keinem der Modelle eine tragfähige Theorie für die gesamte Kernphysik aufbauen.

Elementarteilchen, Standard-Modell der Teilchenphysik Bis 1932 waren alle Bestandteile der Atome, d.h. Protonen, Neutronen und Elektronen, expe-rimentell nachgewiesen worden.

Es war aber zu diesem Zeitpunkt bereits erkennbar, dass damit noch nicht alle Elementarteil-chen gefunden waren: Das erste Antiteilchen, das Positron, war schon 1928 vorhergesagt und 1932 nachgewiesen worden. Weitere Vorhersagen betrafen u.a. das Neutrino (1931) und das π-Meson (1930).

In den folgenden Jahren wurde eine Anzahl von Elementarteilchen durch Untersuchung der kosmischen Strahlung gefunden. Seit den 60er Jahren, als leistungsfähige Teilchenbeschleu-niger zur Verfügung standen, hat sich die Zahl bekannter Elementarteilchen beträchtlich ver-größert. Der „Teilchenzoo“ umfasst heute etwa 200 Elementarteilchen. Davon sind nur das Photon, die drei Neutrinos (s.u.), das Elektron und das Proton sowie die dazu gehörenden An-titeilchen stabil. Die Suche nach weiteren erwarteten Elementarteilchen ist noch nicht abge-schlossen.

Um Ordnung in die Vielfalt der Teilchen zu bekommen, haben Gell-Mann und Zweig 1962 die Hypothese aufgestellt, dass die Elementarteilchen aus noch elementareren Teilchen, den Quarks aufgebaut sind. Die Hypothese wurde inzwischen verfeinert und experimentell bestä-tigt. Danach besteht z.B. ein Proton aus einem Down- und zwei Up-Quarks, das Neutron aus einem Up- und zwei Down-Quarks. Mesonen bestehen aus zwei Quarks, z.B. besteht π+ aus dem Up- und dem Anti-Down-Quark. Das Up-Quark hat eine Ladung von 2/3 e und das Down-Quark von -1/3 e (e: Elementarladung).

Insgesamt geht man heute von 3 Teilchenfamilien aus:

Familie Leptonen Quarks 1 Elektron

Elektron-Neutrino Up-Quark (u) Down-Quark (d)

2 Myon Myon-Neutrino

Charm-Quark (c) Strange-Quark (s)

3 Tauon Tau-Neutrino

Top-Quark (t) Bottom-Quark (b)

Zu diesen Materieteilchen kommen im sogenannten Standard-Modell der Teilchenphysik die Wechselwirkungsteilchen:

• Gravitonen als Träger der Gravitationswechselwirkung

• Photonen als Träger der elektromagnetischen Wechselwirkung

• W- und Z-Bosonen als Träger der schwachen Wechselwirkung

• Gluonen als Träger der starken Wechselwirkung Mit Hilfe der starken Kraft werden z.B. Quarks auch bei gleicher elektrischer Ladung zu-sammengehalten, obwohl sie sich wegen der elektromagnetischen Wechselwirkung abstoßen.

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Angewandte Physik

Die schwache Wechselwirkung ermöglicht die Umwandlung von z.B. u- in d-Quark oder von Elektron in Neutrino. Neutrinos wechselwirken nur mittels der schwachen Wechselwirkung, weswegen sie so schwer nachzuweisen sind.

10.2 Radioaktivität, Strahlung natürlicher Radionuklide

10.2.1 Nukleonen und Nuklide Nukleonen

Nukleonen sind die Kernbausteine:

P r o t o n N e u t r o n

Wasserstoffkern ( ), 11 1

1 H p 01 n

Ruhmasse (1,67252 ± 0,00008) . 10-27 kg Ruhmasse (1,67482 ± 0,00008) . 10-27 kg (≈ 1,4 ‰ größer als die des Protons)

Ladung e Ladung 0 Spin ½ Spin ½ stabil Lebensdauer46 1,01 . 103 s

eν0001

11

10 epn ++→ −

(ν e : Elektron-Antineutrino)

Nuklide Ein Nuklid ist eine Atomkernart, die sich im Bau bzw. in der Zusammensetzung von anderen Atomkernarten unterscheidet, d.h. eine bestimmte Ordnungszahl (Kernladungszahl) Z und eine bestimmte Massezahl M hat.

Übliche Schreibweise:

bolElementsym Massezahl szahlKernladung X ←→→

MZ

Bekannt sind etwa 1.300 instabile Nuklide und nur 267 stabile Nuklide.

Nuklidkarte

Nuklidkarten dienen der übersichtlichen Darstellung der bekannten Nuklide und ihrer Eigen-schaften. In Deutschland wird fast ausschließlich die „Karlsruher Nuklidkarte“ verwendet. Die Nuklide sind auf der Karte so angeordnet, dass die Protonenzahl Z auf der Ordinate und die Zahl der Neutronen auf der Abszisse aufgetragen ist. ( ZMN −= )Die stabilen Nuklide liegen in einem schmalen Bereich unterhalb der Geraden

( ZMMZ −==2

)

. Die stabilen Nuklide haben einen Neutronenüberschuss.

weitere Begriffe:

46 Lebensdauer eines freien Neutrons. Im gebundenen Zustand, z.B. im Atomkern, ist das Neutron stabil.

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Isotope: Z const= Nuklide eines Elementes (gleiche Protonenzahl), bilden eine Horizontale in der Nuklidkarte

Isobare: M const= Nuklide gleicher Masse, bilden in der Nuklidkarte eine fallende Gerade (der Steigung -1)

Isotone: M Z const− = Nuklide gleicher Neutronenzahl, bilden in der Nuklidkarte eine Vertikale

Neben den stabilen Nukliden gibt es

• natürliche radioaktive Isotope

• künstliche radioaktive Isotope

• künstliche Elemente

Erstes künstliches Element (1937): Technetium , 4396 Tc

Weitere künstliche Elemente Francium (Z = 87), Astat (Z = 85), Transurane (Z > 92): Neptunium (Z = 93), Plutonium (Z = 94) (beide 1940), ...

10.2.2 Bindungsenergie und Kernmassendefekt Die Bindungsenergie der Nukleonen im Kern ist abhängig von der Nukleonenzahl, die stärks-te Abhängigkeit ergibt sich für leichte Elemente. Die Bindungsenergie pro Nukleon wird be-schrieben durch die Bethe-Weizsäcker-Formel47.

Die Bindungsenergie pro Nukleon WB(M) hat ein Minimum bei 18 ≤ Z ≤ 50 mit WB ≈ - 8,6 MeV/Nukleon.

Abgesehen von den Elementen mit Z < 6 beträgt die Bindungsenergie pro Nukleon im Mittel etwa - 8 MeV.

Für schwere Elemente nimmt die Bindungsenergie wieder ab; z.B. Uran: - 7,5 MeV/M

Wegen der Äquivalenz von Masse und Energie ist die Ruhmasse der Kerne kleiner als die Summe der Ruhmassen der Nukleonen. Diese Erscheinung nennt man Kernmassendefekt.

47 Abbildung aus: H. Hänsel, W. Neumann: Physik VI, Moleküle, Atomkern und Elementarteilchen. Verlag Harry Deutsch, Frankfurt 1977

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Angewandte Physik

( ) ( )

⎟⎟⎟⎟⎟

⎜⎜⎜⎜⎜

⋅−−⋅−=

∆⋅=

443442132143421

Neutronender Ruhmasse

Protonender Ruhmasse

Kernsdes Ruhmasse

n,0p,0K,02

B

02

B

, mZMmZMZmcW

mcW

Atomare Masseneinheit (u, amu)

( ) kg101,66027712

C u1 2712

−⋅==m

z.B. Protonenmasse mp = 1,00782520 u

Neutronenmasse mn = 1,00866520 u

ungebundenes Nukleon u0082452,12

npM =

+=

mmm

Der mittleren Bindungsenergie von - 8 MeV entspricht ein Kernmassendefekt von 0,0089 u.

10.2.3 Kernumwandlungen, Strahlung natürlicher Radionuklide 10.2.3.1 α-Zerfall

Der α-Zerfall ist ein spontaner Kernzerfall der Art

Teilchenα

42

42 HeBA

−− +→M

ZMZ

z.B.: αPbPo 42

20882

21284 +→

Die α-Teilchen besitzen ein diskretes Energiespektrum, ihre Energie ist i.allg. < 10 MeV.

α-Strahler sind vor allem schwere Kerne (M > 170). Die große Bindungsenergie des emittier-ten α-Teilchens (WB = -28,295 MeV) reicht in diesem Fall aus, die vier Nukleonen aus dem Kern herauszulösen. Ferner können einige leichte Kerne (z.B. und ) in zwei bzw. drei α-Teilchen zerfallen. Außerdem sind einige Seltene Erden in der Nähe der „magischen“ Neut-ronenzahl 82 α-Strahler (z.B. , ).

48 Be 6

12 N

60144 Nd 62

148 Sm

10.2.3.2 β-Zerfall Der β-Zerfall ist ein spontaner Kernzerfall, bei dem entweder ein Elektron (β-) oder ein Po-sitron (β+) freigesetzt wird.

Obwohl auch hier am Anfang und am Ende des Zerfallsprozesses diskrete Energieniveaus stehen, ist das Energiespektrum der β-Strahlung kontinuierlich:

• Die Verteilungsfunktion N(W) beginnt etwa im Koordinatenursprung, erreicht ein Maxi-mum (z.B. für 40K bei ca. 400 keV; 30P bei ca. 900 keV) und fällt für höhere Energien wieder ab.

• Die Verteilungsfunktion nähert sich nicht asymptotisch der Abszissenachse, sondern schneidet diese bei etwa der drei- bis vierfachen Energie des Maximums. Es existiert also eine Maximalenergie.

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β-Spektrum48:

Energieverteilungsfunktion für β-Teilchen von 210Bi

Diese Energieverteilung lässt sich nur erklären, wenn man annimmt, dass außer dem Rest-kern und dem β-Teilchen noch ein drittes Teilchen am Zerfall beteiligt ist. Dieses Teilchen muss einen Teil der kinetischen Energie aufnehmen, darf aber keine (oder nur eine sehr klei-ne) Ruhmasse und keine Ladung besitzen. Außerdem muss es wegen der Drehimpulserhal-tung den Spin ½ besitzen49. Pauli schlug das entsprechende Teilchen vor und nannte es Neut-rino. Da inzwischen weitere Neutrinos entdeckt wurden, muss man das am β-Zerfall beteilig-te Teilchen korrekt als Elektron-Neutrino ( ) bzw. sein Antiteilchen Elektron-Antineutrino (

e00 ν

e00 ν ) bezeichnen50.

Damit kann man den β--Zerfall schematisch schreiben als:

eM

ZMZ ν0

0011 e BA ++→ −+

z.B. 13

23

10

00H He e→ + +− νe

48 Abb. aus: Strahlenschutz. Inst. für Strahlenschutz der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektro-technik und der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie (Hrsg.), Köln 1997 49 Als Spin oder Eigendrehimpuls bezeichnet man den Drehimpuls von Elementarteilchen, Atomen und Atom-kernen, der nicht auf eine Bahnbewegung zurückgeführt werden kann. Der Spin ist eine innere Eigenschaft der Materie. Er kann nicht beliebige Werte annehmen, sondern ist gequantelt. Die Spinquantenzahl s kann nur ganze oder halbzahlige Werte annehmen. 50 Das Neutrino wurde erstmals 1956 durch Cowan und Reines in der Nähe eines Kernreaktors nachgewiesen. Seit 1962 unterscheidet man die Neutrinos, die beim β-Zerfall entstehen von denen, die beim Zerfall eines Pion (in Myon + Neutrino) entstehen (Elektron-Neutrino, Myon-Neutrino). Später kam als drittes das Tau-Neutrino hinzu. Neutrinos durchdringen wegen der fehlenden Ladung und der verschwindenden Masse Stoffe nahezu ungehindert. Deshalb ist ihr Nachweis sehr schwierig. Neutrinos ermöglichen wegen der großen Reichweiten auch einen „Blick“ in die Sonne und andere Sterne (Neutrinoastronomie).

Angewandte_Physik_07.doc Seite 115

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Angewandte Physik

Entsprechend hat der β+-Zerfall die Form:

eM

ZMZ ν00

011 e BA ++→ −

z.B. 610

510

10

00C B e→ + + νe

Das emittierte β+-Teilchen bezeichnet man als Positron10 e 51.

Beim β-Zerfall werden also entweder Elektron und Elektron-Antineutrino oder Positron und Elektron-Neutrino emittiert. Die jeweiligen Ausgangskerne bestehen aber nur aus Protonen und Neutronen, d.h. beim β-Zerfall werden Teilchen emittiert, die im Kern gar nicht vor-handen sind.

Die Erklärung hierfür erhält man beim β--Zerfall durch die Annahme, dass ein Neutron in ein Elektron und eine Elektron-Antineutrino zerfällt (vgl. Abschnitt 10.2.1)

MeV 0,76νe pn e00

01

11

10 +++→ − ,

bzw. für den β+-Zerfall durch die Annahme, dass zunächst ein Elektron-Positron-Paar gebildet wird und das Elektron mit einem Proton zu einem Neutron reagiert, was man summarisch als Protonenzerfall schreiben kann

Q+++→ e00

01

10

11 νen p .

Damit wird auch die Rolle des β-Zerfalls klar:

Bei β--Zerfall zerfallen Neutronen. Beim β--Zerfall erfolgt der Abbau des Neutronenüber-schusses.

Der β+-Zerfall stellt die Umkehrung dar, d.h. beim β+-Zerfall erfolgt der Abbau des Proto-nenüberschusses.

Während der Zerfall der Neutronen beim β--Zerfall ein exothermer Vorgang ist, ist der Zerfall der Protonen beim β+-Zerfall endotherm, d.h. der in obiger Formel enthaltene Q-Wert ist ne-gativ. Der β+-Prozess funktioniert nur, wenn die Energie des Mutterkernes mindestens 1,022 MeV höher ist als die des Tochterkerns (Energie zur Erzeugung eines Elektron-Positron-Paares). Neben dem β+-Zerfalls gibt es daher einen energetisch günstigeren Alternativprozess zu Abbau des Protonenüberschusses, den Elektroneneinfang (K-Einfang), der jedoch hier nicht weiter besprochen werden soll.

β-Strahler kommen im gesamten Massenbereich vor.

Als Beispiel für die beiden Arten des β-Zerfalls kann das Element Natrium dienen: 23Na ist stabil, es hat einen Neutronenüberschuss wie im Bereich der stabilen Isotope üblich. 22Na hat die gleiche Zahl Protonen wie Neutronen, gemessen am stabilen Isotop also einen Protonen-überschuss. Der Abbau des Protonenüberschusses erfolgt durch β+-Zerfall. 24Na hat gegen-über dem stabilen Isotop einen Neutronenüberschuss und ist daher β--Strahler.

10.2.3.3 γ-Zerfall Wie bei den Prozessen in der Atomhülle wird auch bei angeregten Kernen die frei werdende Energie beim Übergang in den Grundzustand als Photon (γ-Quant) abgestrahlt.

51 Das Positron ist das Antiteilchen zum Elektron. Es wurde 1928 von Dirac vorhergesagt und 1932 von Ander-son entdeckt.

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Durch den γ-Zerfall geht ein angeregtes Nuklid (in der abgekürzten Schreibweise gekenn-zeichnet durch einen hochgestellten Stern) unter Aussendung eines γ-Quants bei gleichblei-bender Nukleonen- und Protonenzahl in einen tiefer liegenden Energiezustand über:

γ+→ AA* MZ

MZ

Angeregte Nuklide entstehen durch spontane oder erzwungene Kernumwandlung.

z.B. 2760

2860 *

10

00Co Ni e→ + +− νe

Die γ-Strahlung benennt man in der Regel nach dem Ausgangskern (hier also 60Co-γ-Strahlung), obwohl sie tatsächlich vom angeregten Folgekern stammt.

Die Strahlung aus γ-Zerfällen weist ein Linienspektrum mit wenigen scharfen Linien auf. In den gemessenen Spektren beobachtet man aber eine kompliziertere Struktur mit einem konti-nuierlichen Untergrund und zusätzlichen Linien, die von der Wechselwirkung der γ-Strahlung mit dem Detektor herrühren.

Als γ-Strahlung bezeichnet man elektromagnetische Strahlung mit Energien von mehr als ca. 100 keV und Wellenlängen von ca. 10-11 bis 10-16 m. γ-Strahlung in diesem Wellenlängenbe-reich kann auch durch andere Vorgänge erzeugt werden (Bremsstrahlung, Vernichtungsstrah-lung).

Experiment Nebelkammer: In der Nebelkammer werden die Spuren von α-, β- und γ-Strahlung verfolgt: α-Strahlung • Die Spuren sind alle gleich lang, d.h. die Teilchen haben alle die gleiche Energie. • Die Spuren lassen sich durch einen Magneten beeinflussen. Es handelt sich um gela-

dene Teilchen. β-Strahlung • Die Spuren der β-Teilchen sind länger, dafür aber schwächer als die der α-Teilchen. • Die Spuren haben unterschiedliche Länge, was auf unterschiedliche Energie der Teil-

chen hinweist. • Die Spuren lassen sich mit dem Magneten beeinflussen, wobei die Bahnen von β-- und

β+-Teilchen in entgegengesetzte Richtung gekrümmt sind. Die Teilchen besitzen eine elektrische Ladung mit unterschiedlichem Vorzeichen.

γ-Strahlung • Die Spuren der γ-Strahlung gehen nicht von der radioaktiven Quelle aus. γ-Strahlung

hinterlässt keine Spur in der Nebelkammer. Die Spuren entstehen erst, wenn durch Photo- oder Compton-Effekt Elektronen ausgelöst werden.

10.2.3.4 Spontane Kernspaltung Für Kerne mit Z ≥ 90 (d.h. ab Thorium) wird die spontane Kernspaltung beobachtet. Bei Uran (Z = 92) überwiegt noch der α-Zerfall; die Halbwertszeit für den spontanen Zerfall von 238U beträgt 8 . 1015 Jahre, die Halbwertszeit für den α-Zerfall dagegen 4,5 . 109 Jahre. Demzufolge finden in einem Gramm Uran in der Sekunde 45 Millionen α-Zerfälle, aber nur 25 spontane Kernspaltungen statt. Für größere Kernladungszahlen nimmt die Wahrscheinlichkeit für spontane Kernspaltung jedoch stark zu (z.B. T104

260 Rf 1/2 = 21 ms). Deshalb existieren die Transurane nicht in der Na-tur.

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Angewandte Physik

10.2.3.5 Zerfallsreihen Den schrittweisen Zerfall eines radioaktiven Nuklids in ein stabiles bezeichnet man als Zer-fallsreihe.

Beispiel: Uran-Zerfallsreihe

Uran

Protactinium

Thorium

Actinium

Radium

Francium

Radon

Astatin

Polonium

Wismut

Blei

Thallium

92

91

90

89

88

87

86

85

84

83

82

81

Z

124 126 128 130 132 134 136 138 140 142 144 146

N

Pb Pb Pb

Tl Tl

Bi Bi

Po Po Po

At

Rn Rn

Ra

Th Th

Pa

U Uβ−

β−

β−

β−

β−

β−

β−

β−

β−

β−

238234

234

234230

226

222218

218

218214

214

214

210

210

210

210

206

206

αα

α

α

α

α

α

α

αα

α

α

Uran-Zerfallsreihe

Alle Zerfallszweige, die zum gleichen Endprodukt führen, bezeichnet man als radioaktive Familie. Die Familien sind nach langlebigen radioaktiven Zwischenprodukten benannt.

Da sich die Massezahl beim α-Zerfall jeweils nur in Schritten von 4 verringern kann (beim β-Zerfall bleibt sie konstant), muss es vier radioaktive Familien geben.

Die vier radioaktiven Familien sind:

Thorium-Familie ( )92240

90232

82208U Th Pb→ →

Neptunium-Familie52 ( )94241

93237

83209Pu Np Bi→ →

Uran-Radium-Familie ( )94242

92238

82206Pu U Pb→ →

Uran-Aktinium-Familie ( )92239

92235

82207U U Pb→ →

Experiment Radium-Quelle: Die Radium-Quelle (Radium und seine Zerfallsprodukte) emittiert α-, β- und γ-Strahlung. Lässt man die Strahlung einen Elektromagneten passieren, kann man an der Art und Rich-tung der Ablenkung die einzelnen Arten der Strahlung unterscheiden.

52 Die Neptunium-Familie ist wegen der im Vergleich zum Erdalter geringen Halbwertszeit in der Natur bereits „ausgestorben“.

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10.2.4 Zerfallsgesetz, Aktivität Der radioaktive Zerfall erfolgt spontan, er ist ein rein statistischer Prozess.

Zum Zeitpunkt t = 0 seien N0 noch nicht zerfallene radioaktive Kerne vorhanden.

Die Zahl dN um die sich im Zeitraum zwischen t und t + d t die Zahl der nicht zerfallenen Kerne reduziert, ist proportional zur Zahl der zur Zeit t noch vorhandenen nicht zerfallenen Kerne N, einer Zerfallskonstante λ (λ > 0) und der Zeitspanne d t: tNN dd ⋅⋅−= λ

Die Integration liefert:

teCN

CtN

tNN

λ

λ

λ

−=

+−=

−=

lnln

dd

Und mit der Anfangsbedingung ( ) 00 NtN == schließlich

teNN λ−= 0

Dies ist das radioaktive Zerfallsgesetz. Die Zerfallskonstante λ wird ausschließlich durch die Art des zerfallenden Nuklids bestimmt.

Das radioaktive Zerfallsgesetz macht nur eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Es ist geeignet zur Beschreibung des Zerfalls einer großen Zahl radioaktiver Kerne, lässt jedoch keine Aus-sage über den Zerfall eines einzelnen Kernes zu.

Den Wert 1/λ bezeichnet man als mittlere Lebensdauer τ eines Radionuklids. Nach der Zeit t = τ ist die Zahl der radioaktiven Nuklide auf 1

e (= 0,368) des ursprünglichen Wertes ab-gefallen.

Häufiger verwendet wird die Halbwertszeit T1/2, nach der die Zahl der noch nicht zerfallenen Nuklide auf die Hälfte abgefallen ist:

( )N TN

N e T1 2

002

1 2/

/= = ⋅ − ⋅λ

T1 2

2/

ln=

λ

Die Halbwertszeiten der bekannten Radionuklide liegen insgesamt im Bereich

10-10 s < T1/2 < 1016 a.

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Angewandte Physik

0 20 40 60 80

0.1

0.2

0.3

0.4

0.5

0.6

0.7

0.8

0.9

1

t

N /

N(0

)

t

NN0

T1/2 τλ

=1

1e

Als Aktivität bezeichnet man die Anzahl der pro Zeit stattfindenden Kernzerfälle:

NtNA ⋅== λ

dd

Als Einheit der Aktivität verwendet man das Becquerel (Bq). 1 Becquerel = 1 Kernprozess pro Sekunde.

[A] = Bq = 1/s

Nicht mit dem SI kohärent, aber in der Praxis noch gebräuchlich ist die Einheit Curie (Ci).

1 Ci = 3,7 . 1010 Bq

Ein Curie bezeichnet die Aktivität von 1 g Radium 226. (Spätere Messungen ergaben den genaueren Wert von 1,0256 g.)

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10.2.5 Kernreaktionen, induzierte Kernspaltung

n, p

Photoeffekt Compton-effekt

Paarbildung Kernphotoeffekt

Wechselwirkung von Photonen mit Atomen

α β , , ...

Wechselwirkung von Neutronen mit Atomen

StreuungKernreaktionen

n, p, , ...αγ

Wechselwirkung geladener Teilchen mit Atomen

Ionisation Strahlungsbremsung StreuungKernreaktionen

e-

e- e- e-e+

Die nebenstehende Übersichtzeigt die Möglichkeiten derWechselwirkung von verschie-dener Teilchen und Photonenmit Atomen.

An dieser Stelle sollen zunächstnur die Wechselwirkungen mitdem Atomkern besprochen wer-den.

Als Kernreaktion bezeichnet man die Umwandlung eines Atomkernes durch Stoß entweder mit einem anderen Atomkern, einem Elementarteilchen oder einem γ-Quant.

Die erste Kernreaktion wurde 1919 von Rutherford gefunden. Er beschoss in einer Nebel-kammer das Stickstoffisotop mit α-Teilchen. Wie wir wissen, haben die Spuren der α-Teilchen in der Nebelkammer alle die gleiche Länge. Rutherford fand aber auch Spuren, die früher endeten und dafür Ausgangspunkt von zwei neuen Spuren waren. Es muss also ein Stoßprozess stattgefunden haben. Die Spuren der entstandenen Teilchen konnten einem Pro-ton und einem Kern der Massezahl 17 zugeordnet werden. Die beobachtete Kernreaktion war also:

714 N

714

24

817

11N He O H+ → +

Damit war die erste Kernumwandlung gefunden.

Die an einer Kernreaktion beteiligten Teilchen bezeichnet man allgemein nach ihrer Rolle bei der Reaktion. So bezeichnet man, von der oben angegebenen Reaktion ausgehend, den Stick-stoffkern als Target (A), das α-Teilchen, mit dem das Target beschossen wurde, als Inzi-denzteilchen (a), das wegfliegende Proton als emittiertes Teilchen (b) und den Sauerstoff-kern als Restkern (B). Mit diesen Bezeichnungen kann man die Kernreaktionen allgemein abgekürzt schreiben in der Form:

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Angewandte Physik

A (a, b) B.

Die oben abgegebene Reaktionsgleichung lässt sich so angeben als:

714

817N ( , p) Oα

Die Art der Reaktion wird durch Inzidenzteilchen und emittiertes Teilchen charakterisiert. Die oben angeführte Reaktion ist also eine (α, p)-Reaktion.

Kernreaktionen werden nur durch solche Teilchen ausgelöst, die der starken Wechselwir-kung mit den Nukleonen des Targetkerns unterliegen. Elektronen und Myonen wechselwir-ken mit dem Kern nur mittels der COULOMB-Wechselwirkung und lösen keine Kernreaktio-nen aus. Photonen hoher Energie (γ-Quanten) können ebenfalls Kernreaktionen auslösen, ihr Wirkungsquerschnitt ist jedoch viel kleiner als bei Reaktionen mit Nukleonen.

Als Inzidenzteilchen für Kernreaktionen treten folgende Teilchen in Erscheinung:

• Protonen Beispiel: 37 2

4Li (p, ) Heα

• α-Teilchen „ 714

817N ( , p) Oα

• Deuteronen „ 13

24H (d,n) He

• Neutronen „ 510

37B (n, ) Liα

• energiereiche Photonen „ (Kernphotoeffekt) 12

11H ( , n) Hγ

Von den genannten Teichen sind die Neutronen am besten zum Auslösen von Kernreaktio-nen geeignet, da sie neutral sind und damit vom COULOMB-Feld des Kerns ungehindert in diesen eindringen können.

Bei genügend hoher Energie des Inzidenzteilchens läuft die Kernreaktion z.T. so ab, dass der Targetkern nicht durch Emission von α-Teilchen oder Nukleonen in seinen Grundzustand übergeht, sondern in seine Nukleonen zerplatzt. Diesen Vorgang nennt man Spallation.

Die Kernspaltung wurde 1938 von Hahn und Strassmann entdeckt, als sie mit langsa-men Neutronen beschossen. Sie erhielten dabei nicht wie erhofft Transurane, sondern der ge-bildete Kern zerfiel in zwei Teilkerne. Dieser Vorgang wird als neutroneninduzierte Kernspaltung von Uran 235 bezeichnet.

92235 U

92236 U

Bei jeder Spaltung von 235U wird eine Energie von ca. 200 MeV frei. Diese Energie wird als Kernenergie bezeichnet.

Uran 235 kann auf mehr als 30 verschiedene Arten gespalten werden.

Eine mögliche Reaktion ist:

92235

92236

36 56U n U* Kr Ba 2,43 n 200 MeV+ → → + + + .

Die Zahl der emittierten Neutronen ist natürlich für den Einzelprozess ganzzahlig. Bei allen für diese Spaltfragmente (Krypton und Barium) möglichen Nukleonenzahlen sind es im Mit-tel 2,43.

Die Kernspaltung mit thermischen Neutronen funktioniert jedoch nur, wenn die frei werdende Bindungsenergie bei Anlagerung des Neutrons an das Nuklid MX größer ist als die Aktivie-rungsenergie zur Spaltung des Nuklids M+1X. Dies ist der Fall bei 233U, 235U, 239Pu und 241Pu.

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Andernfalls muss die Differenz durch die kinetische Energie des Neutrons aufgebracht wer-den, wie für die Spaltung von 238U, zu dessen Spaltung schnelle Neutronen mit Wkin ≈ 1 MeV erforderlich sind.

Prinzipiell sind alle Kerne spaltbar. Die Inzidenzteilchen (n, α) müssen dafür aber Energien von mehreren hundert MeV haben.

10.3 Abschirmung radioaktiver Strahlung Geladene Teilchen geben ihre Energie durch Ionisationsbremsung53 und Strahlungsbremsung54 ab (vgl. Übersicht im Abschnitt 10.2.5). Sie haben dadurch in Substanzen eine endliche Reichweite. Geladene Teilchen können vollständig absorbiert werden. Die maximale Reichweite ist für α-Strahlung, Protonen und Ionen am kürzesten. Die Reichweite von α-Teilchen in Luft in Zentimetern ist etwa ebenso groß wie ihre Energie in MeV. In anderen Substanzen verkürzt sich die Reichweite etwa im Verhältnis der Dichten, so dass z.B. bereits ein Blatt Papier ausreicht, α-Strahlung vollständig abzuschirmen. β-Strahlen können ebenfalls vollständig abgeschirmt werden, ihre Reichweite ist aber wesentlich größer (in Luft mehrere Meter). Zur Abschirmung von β-Strahlung eignen sich vor allem leichte Materialien (z.B. Acrylglas).

Neutronen, die vor allem bei der Kernspaltung entstehen, verlieren ihre Energie hauptsächlich durch elastische Stöße mit den Atomen des Abschirmmaterials. Der Energieverlust pro Stoß ist am größten, wenn die Masse des Stoßpartners etwa ebenso groß ist wir die des Neutrons. Das trifft auf Protonen (Wasserstoffkerne) zu, weshalb man zur Abschirmung von Neutronen hauptsächlich Substanzen verwendet, die einen hohen Wasserstoffanteil haben (Wasser, Pa-raffin u.ä.). Durch die Stöße können die Neutronen abgebremst, jedoch nicht absorbiert wer-den. Zur Absorption von thermischen Neutronen kann man bestimmte Kernreaktionen nutzen. So ist z.B. Bor als Neutronenabsorber geeignet [11B reagiert mit einem Neutron zu 8Li unter Aussendung eines α-Teilchens: ]. Letztlich können Neutronen nicht vollständig abgeschirmt werden, wobei der Strahlenschutz gegen Neutronenstrahlung auch deshalb pro-blematisch ist, da Neutronen leicht Kernreaktionen auslösen, durch die weitere radioaktive Strahlung entsteht.

( ) Lin,B 83

115 α

Photonen (γ-Strahlung) lösen in Substanzen vor allem den Photoeffekt (s. Abschnitt 8.1.1), den Compton-Effekt (s. Abschnitt 8.1.2) und die Paarbildung aus. Bei der Paarbildung wird im Feld eines Atomkernes ein Elektron-Positron-Paar gebildet.

γ-Strahlung kann nicht vollständig abgeschirmt werden, die Schwächung von γ-Strahlung folgt einem exponentiellen Gesetz:

N γ-Quanten treffen auf eine Substanz der Dicke ∆ x und werden beim Durchgang durch diese durch die oben beschriebenen Wechselwirkungsprozesse teilweise absorbiert. Nach Pas-sieren der Substanz bleiben noch N - ∆ N Quanten übrig, wobei die Zahl - ∆ N, um die die Gesamtzahl reduziert wird, proportional zur Gesamtzahl der ankommenden Quanten und zur Dicke der Substanz ist55.

53 Die Energie des Teilchens wird dazu verwendet, ein Atom der abschirmenden Substanz zu ionisieren. 54 Nur bei Elektronen: Die Elektronen werden im elektrischen Feld des Atomkernes abgelenkt, die Energie wird als elektromagnetische Strahlung (Bremsstrahlung als Bestandteil der Röntgenstrahlung) abgegeben. 55 Am besten lässt sich das am Photoeffekt erklären: Beim Photoeffekt verliert das γ-Quant seine gesamte Ener-gie, nach dem Photoeffekt ist das γ-Quant also nicht mehr vorhanden. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Photoeffekt stattfindet, nicht sehr groß, sodass die meisten der Photonen einfach weiter fliegen.

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Angewandte Physik

NN ∆−x∆

N

Man erhält eine mathematische Struktur wie beim Zerfallsgesetz:

xNN ∆⋅∆− ~

NxN µ=

∆∆

Proportionalitätsfaktor ist hier der Schwächungskoeffizient µ, der sich als Summe der Schwächungskoeffizienten der drei Einzelprozesse ergibt:

PCPh µµµµ ++=

Nach Übergang zu infinitesimalen Größen und Integration ergibt sich das Schwächungsge-setz für γ-Strahlung

( )N (x) = N e = Nx x /0 0

12

−µ ξ.

hat die Bedeutung einer mittleren freien Weglänge.

ξ ist die Halbwertsdicke

N

= N e 002

−µ ξ → =

ξµ

ln 2

und x /ξ die Anzahl der durchstrahlten Halbwertsdicken.

Experiment Schwächung von β- und γ-Strahlung: Es wird wieder der Aufbau mit der Radium-Quelle und dem Elektromagneten (zur Unter-scheidung der Strahlungsarten) verwendet. Mit etwas Acrylglas lässt sich die β-Strahlung vollständig abschirmen. Zur Abschirmung von γ-Strahlung eignen sich am bes-ten schwere Materialien (z.B. Blei).

Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Wechselwirkungsprozess stattfindet, ist dann natürlich proportional zur Gesamtzahl der ankommenden Photonen und zur Zahl der für den Photoeffekt zur Verfügung stehenden Atome, d.h. zur Dicke der durchlaufenen Schicht.

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10.4 Kontrollfragen

92. Wie nennt man die Bausteine des Kerns und welche Arten unterscheidet man?

93. Wie ist der Begriff Nuklid definiert?

94. Was sind Isotope?

95. Was versteht man unter dem Massendefekt?

96. Wie ist die atomare Masseneinheit u definiert?

97. Aus welchen Teilchen bestehen Alpha-, Beta- und Gammastrahlen?

98. Wie verändert sich ein Atomkern, wenn er ein Positron emittiert?

99. Wie lautet das Zerfallsgesetz? Erläutern Sie die Bedeutung der verwendeten Symbole!

100. Wie ist die Aktivität definiert? Erläutern Sie die Formelzeichen und nennen Sie eine Einheit mit besonderem Namen!

101. Welche Reaktion läuft ab, wenn Alphateilchen auf Stickstoff-14-Kerne ge-schossen werden?

102. Welche Wechselwirkung tritt zwischen der Alphastrahlung und der von ihr durchsetzten Materie auf ?

103. Welche Wechselwirkungen treten zwischen Betastrahlung und durchsetzter Materie auf?

104. Welche Vorgänge treten beim Durchgang von Gammastrahlung durch Materie auf und was ist diesen Vorgängen gemeinsam?

105. Wie lautet das Schwächungsgesetz für Gammastrahlung? Erläutern Sie die Be-deutung der in der Formel vorkommenden Größen!

106. Wie unterscheiden sich Alpha-, Beta- und Gammastrahlung hinsichtlich ihrer Durchdringungsfähigkeit?

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