Aufbru Via Egnatia -...

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Aufbruch in Armenien | Reihe: Via Egnatia

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Aufbruch in Armenien | Reihe: Via Egnatia

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Die Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet dieses Buch in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Erste Auflage 2012 © Größenwahn Verlag Frankfurt am Main Sewastos Sampsounis, Frankfurt 2012

www.groessenwahn-verlag.de Alle Rechte vorbehalten. ISBN: 978-3-942223-13-3

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Aufbruch in Armenien

Leonidas Th. Chrysanthopoulos

Chronik eines Diplomaten

Aus dem Englischen von Edit Engelmann

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IMPRESSUM

Aufbruch in Armenien Reihe: Via Egnatia

Autor Leonidas Th. Chrysanthopoulos

Erschienen 2002 bei Gomidas Institute Books, Priceton, NJ, USA

Originalausgabe: ›Caucasus Chronicles, Nation-Building and Diplomacy in Armenia, 1993-1994‹

Der Text wurde für die deutsche Fassung mit dem Autor abgestimmt.

Übersetzerin Edit Engelmann

Seitengestaltung Größenwahn Verlag Frankfurt am Main

Schriften Constantia und Lucida Calligraphy

Covergestaltung Peter Sarowy

Coverbild Olivier Baurain: Ararat

Lektorat Alexandra von Streit

Druck und Bindung Print Group Sp. z. o. o. Szczecin (Stettin)

Größenwahn Verlag Frankfurt am Main April 2012

ISBN: 978-3-942223-13-3

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EINLEITUNG EINE SCHWIERIGE MISSION ARMENIEN IM JAHR 1993 DER BERGKARABACH KONFLIKT VORBEREITUNGEN OHNE ENDE ERSTE SCHRITTE AGONIE IN ARMENIEN ARMENIEN UND DIE TÜRKEI DER BEGINN BILATERALER BEZIEHUNGEN DIE STREITKRÄFTE VON BERGKARABAKH EROBERN AGHDAM ARMENIEN UND DIE EUROPÄISCHE GEMEINSCHAFT ZWISCHENSPIEL: HISTORISCHE SEHENSWÜRDIGKEITEN DIE USA IN DER REGION DIE GRIECHEN IN ARMENIEN DIE GRIECHISCH-ARMENISCHEN BEZIEHUNGEN MOSKAU-ATHEN DIE EREIGNISSE IN MOSKAU IM OKTOBER 1993 INTERNATIONALE ANSTRENGUNGEN EJMIADZIN: DER SITZ DES ARMENISCHEN PATRIARCHEN ANI-GYUMRI-YAGHDAN WIE SICH DIE LAGE IN GEORGIEN VERSCHLECHTERTE KEIN FORTSCHRITT BEI DEN INTERNATIONALEN BEMÜHUNGEN ZWISCHENSPIEL: VEREINTE NATIONEN ATHEN:EIN NEUES TEAM IM AUSSENMINISTERIUM DER WAFFENSTILLSTAND WIRD GEBROCHEN ABENTEUER IM KAUKASUS BUSINESS AS USUAL – WEITER GEHT’S ARTISTISCHES ZWISCHENSPIEL DER WINTER KOMMT, UND DIE ARBEIT GEHT WEITER ARMENIEN BEKOMMT EINE EIGENE NEUE WÄHRUNG DER BERGKARABAKH KONFLIKT GEHT WEITER WINTERLICHES ZWISCHENSPIEL ASERBAIDSCHAN ERÖFFNET DIE WINTEROFFENSIVE EIN FRUSTRIERENDES ZWISCHENSPIEL INTERNATIONALE ANSTRENGUNGEN FÜR WAFFENSTILLSTAND DIE KURDEN VON ARMENIEN OPERATION ›FLAMME DER HOFFNUNG‹ DER ATOMMEILER METZAMOR RUSSLANDS FRIEDENSINITIATIVE SCHEITERT LETZTES ZWISCHENSPIEL AUF WIEDERSEHEN, ARMENIEN QUELLENANGABEN BIOGRAPHISCHES

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Für das armenische Volk

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EINLEITUNG

ieses Buch soll an die Eröffnung und die Arbeit der ersten griechi-schen Botschaft in Armenien erinnern. Es dokumentiert die Rolle,

die Griechenland spielte, als sich Armenien während seiner ersten Schrit-te als unabhängige Nation organisierte und entwickelte.

Das Buch beschreibt die 7-monatige Periode vom 17. Juli 1993 bis zum 20. Februar 1994, als ich Jerewan wieder verließ. Sieben Monate in der Geschichte eines Landes oder einer Nation sind nur ein Bruchteil einer Sekunde im Leben eines Menschen. Aber ein Bruchteil einer Sekunde ist auch ausreichend, um ein Leben zu verlieren. Sehr viel kann in den ersten sieben Monaten im Leben eines Staates geschehen, der seine Unabhän-gigkeit konsolidieren will. So war es auch in Armenien. In dieser Zeit eskalierte der Krieg in Bergkarabach. Auch internationale Bemühungen konnten keinen Frieden bringen. Russland, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten befanden sich mitten in einem Machtkampf über die Dominanz in dieser Region. Externe Mächte bedrohten die Unabhän-gigkeit Armeniens insbesondere während der ersten Oktobertage im Jahr 1993. Die Menschen von Armenien überstanden einen extrem harten Winter. Armenien brachte eine eigene Währung heraus und vieles mehr.

In diesem Buch beschreibe ich, was ich in diesen sieben Monaten in Armenien gesehen und erlebt habe, sowohl aus meiner beruflichen als auch meiner persönlichen Perspektive. Eigentlich hatte ich niemals vor, darüber ein Buch zu schreiben. Aber es war meine Angewohnheit, mir in meinem Jahreskalender Notizen zu machen, um planen und bequem nachfassen zu können, aber auch um schnell und einfach Zugang zu In-formationen zu haben, die ich im Laufe der Zeit von den Mitgliedern der armenischen Regierung gesammelt hatte. Vor ein paar Jahren blätterte ich dann diesen Jahreskalender durch und stellte fest, dass er bei weitem genug Information enthielt, um damit die spannenden ersten sieben Mo-

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nate der armenischen Nation zu beschreiben. Allerdings wollte ich damit warten, bis alle seinerzeit aktiven Spieler die politische Bühne verlassen hatten. Das ist inzwischen geschehen, und somit ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen.

Die Meinungen, wie sie hier in diesem Buch geschrieben sind, sind ausschließlich meine eigenen und spiegeln nicht notwendigerweise auch die Meinung der griechischen Regierung wieder.

Ich hoffe, dass diese Zeilen einen kleinen Beitrag liefern können, wenn künftige Historiker die Zeit Armeniens unmittelbar nach seiner Unab-hängigkeit erforschen wollen, und dass dieser Beitrag ihnen eine Hilfe bei ihren Untersuchungen und Analysen sein kann.

Natürlich wird man mich fragen, wieso dieses Buch zuerst auf Englisch erschienen ist. Und natürlich habe auch ich zunächst überlegt, es in mei-ner Muttersprache auf Griechisch zu schreiben. Aber dann dachte ich mir: Wieso sollten die Armenier, denen dieses Buch gewidmet ist, auf eine englische oder armenische Fassung warten müssen?

Zu guter Letzt gibt dieses Buch auch einen kleinen Einblick in das auf-regende Leben eines Diplomaten, das teilweise gefährlich sein kann – etwas, was gemeinhin weniger bekannt ist.

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EINE SCHWIERIGE MISSION

m Juli 1992 war ich gerade in Athen und machte Urlaub von meinem Posten als ministerieller Berater in Peking, als man mich davon in

Kenntnis setzte, dass ich als erster griechischer Botschafter nach Armeni-en entsandt werden sollte. In Anbetracht der tragischen Situation des Landes und des noch stets schwelenden Konfliktes in Bergkarabach klang das nach einer Herausforderung. Ich entschloss mich, allen Angelegenhei-ten nachhaltig zu begegnen und zu versuchen – soweit es in meiner Kraft stand – Armenien bei seinen ersten Schritten in ein unabhängiges Land wirkungsvoll zu unterstützen.

Es war nicht das erste Mal, dass diplomatische Beziehungen zwischen Griechenland und Armenien eingerichtet wurden. Armenien war bereits zwischen 1918 und 1920 unabhängig gewesen, bevor das Land von den Bolschewiken übernommen und später als Armenische Sozialistische Sowjetrepublik eine formal eigenständige Unionsrepublik der Sowjetuni-on wurde. Die griechische Regierung hatte mit königlichem Dekret vom 31. August/13. September 1920 beschlossen, eine Gesandtschaft in Armeni-en einzurichten.1 Aber Herr Ionnis Papas konnte seinen Posten als erster griechischer Botschafter in Armenien niemals antreten, da Armenien schon vorher aufhörte, als unabhängiger Staat zu existieren und alle wei-teren diplomatischen Beziehungen auf griechisch-sowjetischer Schiene geführt wurden.2 Die Aufhebung der griechischen Gesandtschaft in Ar-menien wurde am 9. Februar 1923 bekannt gegeben.3 Jedoch hatte Grie-chenland zuvor einen politischen Repräsentanten im Kaukasus, Herrn Ioannis Stravridakis, der von Venizelos im Jahr 1919 ernannt worden war. Er war am 1. Januar 1920 nach einer recht aktiven Arbeitsperiode in Tbilisi verstorben. Im September 1920 ernannte die armenische Regierung einen offiziellen Vertreter für Griechenland, Herrn Tigran Chaiyan, der auch

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noch während der Zeit der Sowjetrepublik bis 1925 sein Land aktiv ver-trat.4

Armenien war am 23. September 1991 wieder unabhängig geworden, und Griechenland hatte die Unabhängigkeit am 31. Dezember desselben Jahres anerkannt. Der offizielle Besuch einer griechischen Delegation im neuen unabhängigen Armenien fand im Oktober 1991 statt. Der Alternati-ve Generalsekretär des Außenministeriums, Herr Botschafter Emmanuel Megaloconomos, führte die Delegation an. Im Januar 1992 absolvierte der Außenminister Armeniens, Raffi Hovannisian, einen ersten offiziellen Besuch in Griechenland. Bei diesem Anlass wurde auch ein Protokoll unterzeichnet über die Einrichtung diplomatischer Vertretungen, eine Kooperation in wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen An-gelegenheiten sowie eine Zusammenarbeit in wissenschaftlichen und kulturellen Fragen.

Die griechische Botschaft in Armenien wurde per Gesetz Nummer 2080 im September 1992 beschlossen. Für mich – glücklicherweise, muss ich sagen - waren die notwendigen finanziellen Mittel zur Aufrichtung einer Botschaft nicht sofort verfügbar. Das gab mir Zeit, die ganze Ange-legenheit ordentlich zu organisieren.

Noch aus Peking im August 1992 schickte ich dem Außenministerium die entsprechenden Bestellungen für alle notwendigen Materialien, die zur Eröffnung einer Botschaft unabdingbar sind. So ungefähr alles musste nach Jerewan transportiert werden: Faxmaschinen, Korrespondenzpapier, offizielle Siegel, Flaggen, tragbare Schreibmaschinen, konsularische Ge-genstände und so weiter. Insgesamt sind ungefähr 50 Telegramme von Peking nach Athen gegangen, gespickt mit organisatorischen Einzelheiten hinsichtlich der Aufrichtung einer Botschaft in Jerewan.

Als nächstes musste ich eine zuverlässige Quelle in Jerewan ausfindig machen, die mir die wirklichen aktuellen Lebensbedingungen und um-stände in Armenien schildern konnte. Wie ich in der allgemeinen Presse lesen konnte, war die ganze Situation dort nicht gerade vielversprechend. Von der US-Botschaft in Peking bekam ich die Telefonnummer von deren Vertretung in Jerewan. Alle telefonische Kommunikation lief via Satellit, da die lokalen Verbindungen nicht immer einwandfrei funktionierten.

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Nach vielen vergeblichen Versuchen hatte ich endlich Glück: Ich wurde durchgestellt und kam in Kontakt mit einer sehr kompetenten jungen Diplomatin, Ms. Rosemary Forsythe, deren Dienstzeit dort gerade endete. Ihre Beschreibung von den Lebensbedingungen in Jerewan klang trostlos.

Ms. Forsythe empfahl uns, die Botschaft im Hotel Hrazdan einzurich-ten, da dieses über einen Generator verfügte und uns theoretisch den ganzen Tag hindurch mit Strom versorgen konnte – auch wenn das in der Praxis nicht immer so der Fall sein sollte. Was Nahrungsmittel anging, so gab es in Jerewan keine Milch, und Fleisch war nur schwer zu finden. Die Mitglieder der US Botschaft importierten Milchpulver und Fleisch. Kohl sei das einzige in den Wintermonaten erhältliche Gemüse. Kaffee oder andere Genussmittel seien nicht vorhanden. Die Kommunikation sei problematisch, aber AT&T habe ein System eingerichtet, über das wir per Satelittentelefon auch Griechenland problemlos erreichen könnten. Der Transport per Luft sei ebenfalls problembehaftet: Die Armenian Airlines fliege zweimal pro Woche nach Moskau und einmal nach Paris. Zusätzlich gebe es einen Charterflug zweimal pro Woche nach Beirut. Zum Schluss erfuhr ich noch, dass es zwar exzellente Ärzte in Jerewan gäbe, aber keine Medikamente. Ms. Forsythe empfahl uns dringend, einen entsprechenden medizinischen Vorrat sowie Erste-Hilfe-Material aus Griechenland mitzu-bringen.

Der allgemeine Eindruck und Ausblick nach meinen ersten telefoni-schen Gesprächen mit Jerewan war furchtbar, und die Schwierigkeiten, die vor uns lagen, schienen beinahe unüberwindlich. Aber ich sagte mir: Lass es uns versuchen - es kann ja nur besser werden.

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ARMENIEN IM JAHR 1993

hatte Armenien in etwa eine Bevölkerung von 3,4 Millionen, davon 60.000 bis 120.000 Kurden, 51.000 Russen, 8.340 Ukra-

iner, 5.960 Assyrer, 2.310 Griechen und 1.500 Georgier. Vor Ausbruch des Bergkarabach Konfliktes gab es noch rund 161.000 Aserbaidschaner, die aber nach den Massakern der Armenier in Sumgait in Aserbaidschan (Februar 1988) in ihr Heimatland geflohen waren.

Der Präsident von Armenien war zum damaligen Zeitpunkt Levon Ter-Petrossian. Der Premierminister Hranz Bagratyan war im Februar 1993 seinem Vorgänger Gagik Arutiunuan ins Amt gefolgt. Der Außenminister war Vahan Papazian.

Die größten politischen Parteien im Land waren die regierende ANM (Armenische Allnationale Bewegung) und die drei althergebrachten Par-teien: die ARF (Armenische Revolutionäre Föderation) oder Dashnaktsutyun, die sozialdemokratische Hunckakian Partei, die armeni-sche Demokratische Liberale Partei oder Ramkavars und die NDU (Natio-nale Demokratische Union).

Die ANM war im Herbst 1987 aus einer Massenbewegung heraus ent-standen und in ihren Anfängen eine Umweltbewegung gewesen. In De-monstrationen hatte sie seinerzeit in Jerewan protestiert gegen die chemi-sche Industrie, die die Stadt verseuchte, sowie gegen den Betrieb des Atomkraftwerkes im nahe der Hauptstadt gelegenen Metzamor.5

Im Februar 1988 hatte der Sowjet der Autonomen Region Bergkara-bach eine Resolution angenommen und Moskau gebeten, die autonome Region aus der Jurisdiktion Aserbaidschans in die Zuständigkeit Armeni-ens zu überführen. In Armenien waren umweltpolitische Fragen inzwi-schen durch den Bergkarabach Konflikt überlagert. Ein Bergkarabach-Komitee, bestehend aus gutbekannten sowjetarmenischen, moskau-freundlichen Intellektuellen, übernahm die Führung der Bewegung. Da

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diese Intellektuellen jedoch bis Mai 1988 keinerlei Probleme lösen konn-ten, wurden sie durch neue, unbekannte Mitglieder ersetzt: Levon Ter-Petrossian, ein Philologe und Historiker, Vazgen Manukian und Babken Rarktsian, Mathematikprofessoren der Staatsuniversität von Jerewan, der Ethnologe Hambartzum Glatsian, der Physiker Rafael Ghazarian, der Autor Vano Siradeghian sowie der Jugendaktivist der Kommunistischen Partei Ashot Manucharian und ein paar andere.6

Nach dem Erdbeben im Dezember 1988, bei dem mehr als 25.000 Menschen in Nordarmenien ihr Leben verloren hatten, wurden die Mit-glieder des Bergkarabach-Komitees von den Sowjets verhaftet und in Moskau im Gefängnis festgesetzt; allerdings nur bis Juni 1989, als sie auf Grund nationalen und internationalen Drucks wieder freigelassen werden mussten. Kurz darauf institutionalisierte das Bergkarabach-Komitee seine Aktivitäten als politische Partei unter dem Namen ANM Armenische Allnationale Bewegung.7

Im Mai und Juli 1990 siegte die ANM-geführte Koalition bei den Wah-len zum Obersten Sowjet in der Armenischen Sozialistischen Sowjetre-publik. Im August 1990 bildete die ANM die Regierung im sowjetischen Armenien. Ter-Petrossian wurde als Präsident des Präsidiums des Obers-ten Sowjets gewählt; er ernannte Vazgen Manukian als Premierminister.8

Im Sommer 1991 verabschiedete der Oberste Sowjet ein Gesetz, das ein Referendum zur Unabhängigkeit sowie den Aufbau des Büros eines Exe-kutivpräsidenten erlaubte. In diesem Referendum, das am 21. September 1991 stattfand, sprach sich eine überwältigende Mehrheit für die Unab-hängigkeit aus, welche am 23. September feierlich erklärt wurde. Sofort danach gewann Ter-Petrossian die präsidialen Wahlen mit populären 83 Prozent.9

Die wirtschaftliche Situation im Armenien des Jahres 1993 war tra-gisch. Zusätzlich zu den Schwierigkeiten, die sich aus dem Übergang eines Sowjetstaates in eine unabhängige Nation ergaben, litt das Land unter den Auswirkungen des Bergkarabach Krieges und einem Embargo, das Aserbaidschan und die Türkei verhängt hatten, sowie einer Energiever-knappung, die einerseits aus der Schließung des Atomkraftwerkes in Metzamor im Jahr 1989 resultierte, andererseits aus den wiederholten

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Zerstörungen einer Pipeline, die Gas von Russland via Armenien nach Georgien pumpte. Aserbaidschaner, die in Georgien lebten, sprengten immer wieder Teile der Pipeline in die Luft. Doch es gab noch mehr Prob-leme. Auf dem industriellen Sektor waren die meisten Fabriken veraltet, und ihre Produkte konnten auf dem Weltmarkt nicht standhalten. Auch fehlten Armenien die finanziellen Mittel. Das Land war zu klein und zu arm, um ein attraktiver Markt für ausländische Investoren zu sein. Die staatlichen Strukturen im Agrarsektor löste man im Jahr 1991 auf und verteilte 90 Prozent des Landes zwischen den Landarbeitern, die bis dato darauf gearbeitet hatten. Der Sektor blieb trotzdem problematisch, denn es bestand kein System, das den Landwirten in irgendeiner Form Kredit gegeben hätte. Es gab keine Lagermöglichkeiten für landwirtschaftliche Produkte, und die Infrastruktur, um Güter zu den Märkten zu transpor-tieren, war verwüstet. 10 Obgleich das Erdbeben vom Dezember 1988 eine Flut von ausländischen Hilfen ins Land gebracht hatte, inklusive einer Anzahl neuer Projekte, lag der Norden Armeniens noch immer am Boden, was ebenfalls zur desaströsen wirtschaftlichen Lage beitrug.

Gemäß den Zahlen, die von der armenischen Regierung im Jahr 1992 veröffentlicht wurden, war das nationale Einkommen der Republik um 42.6 Prozent gegenüber dem Vorjahr gefallen und befand sich wieder auf dem Niveau von 1975. Die Industrieproduktion war um 52.4 Prozent gefal-len, der private Konsum um 54.2 Prozent. Im März 1993 funktionierten nur 50 der insgesamt 400 großen Betriebe; die Inflation lag bei unkontrol-lierbaren 2000 Prozent.

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DER BERGKARABACH KONFLIKT

war Bergkarabach (russisch für: bergiges Karabach) eine En-klave mit einer Bevölkerung von rund 182.000 Einwohnern, 75

Prozent davon waren Armenier. Bevor der Islam ins Land kam, waren die Hochländer des bergigen

Bergkarabach oder die Provinzen Uti und Artsakh »eine Region, die si-cherlich als ›armenischer als Armenien‹ beschrieben werden kann.«11

Die Bewohner der Hochebenen von Uti und Artsakh identifizierten sich insbesondere in ihrer Religion und Kultur stark mit den Armeniern. Nicht umsonst gab es hier armenische Kirchen und historische Monu-mente, die bis ins vierte Jahrhundert zurückgingen.12 Nach der islami-schen Eroberung wurden die Bergdörfer jedoch im Gegensatz zu den konvertierten Steppenbewohnern nicht islamisiert.13

Seit dem 14. Jahrhundert war die Gegend zwischen den Flüssen Kura und Arak als Gharabagh oder Bergkarabach bekannt geworden. Kara ist das türkische Wort für schwarz; bagh ist persisch und heißt Garten oder Weinbau. Die Einwohner wurden in jeglicher Hinsicht zu Armeniern - in ihrer Sprache, ihrem Glauben und ihrer Kultur - und haben sich seitdem als solche betrachtet.14

Durch den Vertrag von Gulistan im Jahr 1813 ging Bergkarabach von Persien an Russland. Es folgte eine Periode des Wohlergehens. Die Stadt Susa florierte als Zentrum armenischer Kultur und des wirtschaftlichen Lebens bis in die Anfangsjahre des Ersten Weltkriegs hinein.15

Nach dem Kollaps des zaristischen Regimes im Jahr 1917 wurde die transkaukasische Region zunächst einmal sich selbst überlassen. Die kurzlebigen Republiken Armenien und Aserbaidschan entstanden im darauffolgenden Jahr. Im Juli 1918 erklärte die Erste Armenische Vollver-sammlung von Bergkarabach die Region als ›selbstverwaltend‹ und grün-dete einen Nationalrat und eine Regierung. Am 30. November 1920 er-

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1. J.K. Hassiotis, ›Shared Illusions: Greek-Armenian Co-operation in Asia Minor and the Causaus (1917-1922)‹, in Greece and Great Britain during World War I (Thessaloniki: Institute for Balkan Studies, 1985), Seite 145

2. Idem, Seite 145-146 3. Idem, Seite 146 4. Richard G. Hovannisian, ›The Republic of Armenia‹, vol. 3 (Berkeley and

Los Angeles: Univ. of California Press, 1996), Seite 404-5 5. Gerard J. Libaridian, ›The Challenge of Statehood‹ (Cambridge, Mass.:

Blue Crane Books, 1999), Seite 5 6. Idem, Seite 6 7. Idem, Seite 7 8. Idem 9. Idem, Seite 8 10. Idem, Seite 34-36 11. Christopher J. Walker, Armenia: ›The Survival of a Nation‹ rev. 2d ed.

(New York: St. Martin’s Press, 1991), Seite 395-96. 12. Idem, Seite 396 13. Idem 14. Idem 15. Armenian Center for National and International Studies, ›Bergkarabach: A

White Paper‹ (Jerewan, March 1997), Seite 5 16. Idem 17. Walker, ›Armenia‹, Seite 399 18. Libaridian, ›The Challenge of Statehood‹, Seite 6-7 19. ›Bergkarabach: A White Paper‹, Seite 7 20. Idem, Seite 7 21. Idem 22. Libaridian, ›The Challenge of Statehood‹, Seite 8 23. ›Bergkarabach: A White Paper‹, Seite 8 24. Idem 25. Gevorg Emin, ›Seven Songs About Armenia‹ (Jerewan, 1983), Seite 281 26. Walker, ›Armenia‹, Seite 230 27. Idem 28. Idem 29. Idem 30. Idem, Seite 234 31. Libaridian, ›The Challenge of Statehood‹, Seite 116 32. Gevorg Emin, ›Seven Songs About Armenia‹, Seite 37 33. Walker, ›Armenia‹, Seite 254-55, Walkers Fußnoten nicht abgedruckt

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34. Eleftherios Haratsides ›The Greeks of Armenia‹, Supplement of Kathimerini, 5th February 1995

35. Idem 36. Idem 37. Idem 38. Idem 39. Idem 40. Idem 41. Idem 42. Idem 43. Idem 44. Libaridian, ›The Challenge of Statehood‹, Seite 81-82 45. Walker, ›Armenia‹, Seite 24; Nicolaos Zaharopoulos, ›The History of the

Armenian Church‹, supplement of Kathimerini, 5th February 1995, Seite 7 46. Timothy Ware, ›The Orthodox Church‹ (London: Penguin Books, 1993),

Seite 25-26 47. Walker, ›Armenia‹, Seite 26 48. Ware, ›The Orthodox Church‹, Seite 4 49. Walker, ›Armenia‹, Seite 367 50. Idem, Seite 453 51. Idem, Seite 29 52. Steven Jones, ›The Unbearable Freedom: Georgia on the Precipice‹,

Armenian International Magazine, October 1993. 53. Idem 54. Vlassis Agrzides, ›Sukhumi Delendum Est‹, Economicos Tachydromos,

14th July 1994, Seite 173 55. Jones ›The Unbearable Freedom‹ 56. Idem, Agtzides, ›Suhkuni Delendum Est‹, Seite 174 57. M. Sarian, Flowers (Moscow: Sovietky Khudozhnik, 1987), Seite 11 58. Idem, Seite 7 59. Libaridian, ›The Challenge of Statehood‹, Seite 36 60. Walker, ›Armenia‹, Seite 85 61. Emin, ›Seven Songs About Armenia‹ 62. Idem, Seite 228-30

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DANKSAGUNG Viele Menschen halfen mir bei der Fertigstellung dieses Buches; inspi-

riert dazu haben mich die Menschen des armenischen Volkes. Ich bin in tiefer Dankbarkeit von Salise Gül Demir, deren einfühlsame

literarische Wahrnehmungen, ihr Wissen und ihr Gefühl für die Bedeu-tung der historischen Kontinuität mich immer auf dem richtigen Wege gehalten haben und davon abhielten, mich in den trivialen Details meiner Erinnerung zu verlieren.

Ich bin Gerard Libaridian sehr dankbar, dass er sich bei seinem vollge-stopften Terminkalender die Zeit genommen hat zum Lesen, zum Kom-mentieren und zum Korrigieren all der schwierigen armenischen Namen sowie der Chronologie der Ereignisse, die in diesem Buch beschrieben sind.

Gleichfalls danke ich meinem Vater Themistocles für seine nützlichen Kommentare und dafür, dass er die Grammatik und die Syntax korrigier-te, wo es nötig war.

Großer Dank geht auch an meinen Verleger, Vincent Lima, der das Lektorat (Anm. des Übersetzers: der englischen Ausgabe) in Rekordzeit hinter uns gebracht hat. Ohne es zu wissen, hat er mir auch beigebracht, wie ein Buch gemacht wird.

Dieses Buch wäre sicherlich nie erschienen ohne die harte Arbeit von Elpida Papavassiliou, Ioanna Trifilli und Eftichia Psimenatos, die die Texte abgeschrieben haben, nachdem sie sich erst einmal durch meine hand-schriftlichen Aufzeichnungen gekämpft hatten. Ich danke ihnen für ihre unermüdliche Arbeit.

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Leonidas Th. Chrysanthopoulos ist ein Karrierediplomat; er wurde 1993 der erste griechische Botschafter im neuen unabhängigen Armenien, wo er während dieser Zeit auch die Präsidentschaft der Europäischen Union repräsentierte. Er arbeitete in Toronto, in Peking und bei den ständigen Vertretungen seines Landes bei der Europäischen Union in Brüssel und den Vereinten Nationen in New York. Wie schon sein Vater und Großva-ter war er Generalkonsul von Griechenland in Istanbul gewesen. Er war Botschafter seines Landes in Polen und Kanada und ist derzeit der Gene-ralsekretär der Schwarzmeerwirtschaftskooperation BSEC in Istanbul.

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Landkarte von Armenien Bergkarabach Gebiet und Nachbarländer

mit Ortsnamen und Ortsangaben die im Buch vorkommen

Grafik: Martios Sigma © 2012 Größenwahn Verlag Frankfurt am Main

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