Belarus: Präsident Lukaschenko vor seiner fünften Amtszeit?

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  Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 1 Präsident Lukaschenko vor seiner fünften Amtszeit?  Mikita Bialiayeu Hintergrund: Belarus Nr. 43 / 27. Juli 2015 Zusammenfassung Am 11. Oktober findet in Belarus wieder eine Präsidentschaftswahl statt. Und obwohl die belarussische Opposition nach wie vor schwach und zerrissen ist, be- reitet der Ausgang der Wahl der politischen Spitze des Landes Sorge  wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und Herausforderungen in Außen- und Innen- politik gleichermaßen. Entsprechend ist die Vorwahlrhetorik Präsident Luka- schenkos, seit 1994 im Amt, ganz anders als sonst. Im Vordergrund stehen aus- nahmsweise nicht höhere Löhne und Wachstum, sondern Beschäftigungssiche- rung und Stabilität. In jedem Fall sucht Minsk die bisherige Schaukelpolitik ge- genüber der EU und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite fortzusetzen  erstmalig aber mit dem noch anspruchsvolleren Ziel, gute Bezie- hungen zum Westen auch nach der Wahl zu bewahren. So glaubt Minsk gegen- über eventuellen russischen Druck-Szenarien besser bestehen zu können. Letzt- endlich wird aber die wirtschaftliche Lage der Faktor sein, der den außenpoliti- schen Kurs bestimmt: Sollte sich die Krise verschlimmern, dürfte sich die bela- russische Regierung doch wieder stärker Moskau zuwenden  weil sie ohne fi- nanzielle Unterstützung des Kremls nicht mehr ü berlebensfähig ist.

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Am 11. Oktober findet in Belarus wieder eine Präsidentschaftswahl statt. Und obwohl die belarussische Opposition nach wie vor schwach und zerrissen ist, bereitet der Ausgang der Wahl der politischen Spitze des Landes Sorge – wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und Herausforderungen in Außen- und Innenpolitik gleichermaßen. Entsprechend ist die Vorwahlrhetorik Präsident Lukaschenkos, seit 1994 im Amt, ganz anders als sonst. Im Vordergrund stehen ausnahmsweise nicht höhere Löhne und Wachstum, sondern Beschäftigungssicherung und Stabilität. In jedem Fall sucht Minsk die bisherige Schaukelpolitik gegenüber der EU und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite fortzusetzen – erstmalig aber mit dem noch anspruchsvolleren Ziel, gute Beziehungen zum Westen auch nach der Wahl zu bewahren. So glaubt Minsk gegenüber eventuellen russischen Druck-Szenarien besser bestehen zu können. Letztendlich wird aber die wirtschaftliche Lage der Faktor sein, der den außenpolitischen Kurs bestimmt: Sollte sich die Krise verschlimmern, dürfte sich die belarussische Regierung doch wieder stärker Moskau zuwenden – weil sie ohne finanzielle Unterstützung des Kremls nicht mehr überlebensfähig ist.

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  • Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 1

    Prsident Lukaschenko vor seiner fnften Amtszeit?

    Mikita Bialiayeu

    Hintergrund:

    Belarus

    Nr. 43 / 27. Juli 2015

    Zusammenfassung

    Am 11. Oktober findet in Belarus wieder eine Prsidentschaftswahl statt. Und

    obwohl die belarussische Opposition nach wie vor schwach und zerrissen ist, be-

    reitet der Ausgang der Wahl der politischen Spitze des Landes Sorge wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage und Herausforderungen in Auen- und Innen-

    politik gleichermaen. Entsprechend ist die Vorwahlrhetorik Prsident Luka-

    schenkos, seit 1994 im Amt, ganz anders als sonst. Im Vordergrund stehen aus-

    nahmsweise nicht hhere Lhne und Wachstum, sondern Beschftigungssiche-

    rung und Stabilitt. In jedem Fall sucht Minsk die bisherige Schaukelpolitik ge-

    genber der EU und den USA auf der einen und Russland auf der anderen Seite

    fortzusetzen erstmalig aber mit dem noch anspruchsvolleren Ziel, gute Bezie-hungen zum Westen auch nach der Wahl zu bewahren. So glaubt Minsk gegen-

    ber eventuellen russischen Druck-Szenarien besser bestehen zu knnen. Letzt-

    endlich wird aber die wirtschaftliche Lage der Faktor sein, der den auenpoliti-

    schen Kurs bestimmt: Sollte sich die Krise verschlimmern, drfte sich die bela-

    russische Regierung doch wieder strker Moskau zuwenden weil sie ohne fi-nanzielle Untersttzung des Kremls nicht mehr berlebensfhig ist.

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    Das System Lukaschenko

    Prsident Lukaschenko ist seit 1994 im Amt. Bei der letzten Wahl 2010 erhielt er nach offiziellen Aus-

    zhlungen fast 80 Prozent der Stimmen. Es folgten Proteste und Repressionen und eine im Resultat noch einmal wesentlich geschwchte Opposition.

    1 Dabei ist die Popularittsrate der Oppositionsfhrer

    niedrig. Der beliebteste war nach Umfragen vor zwei Jahren der Leiter der oppositionellen Bewegung

    Sag die Wahrheit Wladimir Nekliajew, aber auch er wre auf keine zehn Prozent gekommen.2 So

    drfte auch in dieser Wahl Prsident Lukaschenko die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten,

    schlimmstenfalls erst im zweiten Wahlgang. Unsicher ist eher, ob sich die Hlfte aller Wahlberechtig-

    ten beteiligt, was die Voraussetzung dafr ist, dass die Wahl auch Gltigkeit hat. Die Kommunalwah-

    len, die im Mrz 2014 stattfanden, erhielten die wichtigsten Trends der vorherigen Wahlen zu den

    Organen der lokalen Selbstverwaltung aufrecht: niedrige Wahlbeteiligung und der Mangel an Wett-

    bewerb unter den Kandidaten. Etwa 88% der Sitze wurden alternativlos besetzt.

    Fr die Prsidentschaftswahl sind seit dem 20. Juli acht Kandidaten zugelassen darunter zum ersten

    Mal zwei Frauen. Die eine, Tatiana Korotkewitsch, ist von Sag die Wahrheit, also der Opposition, die 2010 neben Europisches Belarus den einzigen halbwegs populren Kandidaten stellte. Sie steht nun dem Wahlblock Volksreferendum vor. Die andere ist eine selbstaufgestellte Unbekannte, die ihr

    Wahlprogramm erst im Herbst verffentlichen will. Um offiziell antreten zu drfen, mssen alle Kan-

    didaten zwischen dem 23. Juli und dem 21. August 100.000 Whlerunterschriften sammeln. Das drf-

    te neben Lukaschenko und Korotkewitsch zumindest noch Anatoli Lebedko von der Vereinigten Br-gerpartei gelingen, einer der ltesten Oppositionsparteien, sowie Sergej Gaidukewitsch und Sergei

    Kaljakin. Ersterer war 2001 und 2006 schon einmal Kandidat. Er vertritt die sog. Liberal-

    Demokratische Partei Belarus. Sergej Kaliakin kandidiert fr die belarussische Partei der Linken Ge-

    rechte Welt. Aber auch wenn die Macht die Kandidaten nun nicht aktiv in ihren Kampagnen behin-dert und ihnen die Mglichkeit einrumt, ffentlichkeitsarbeit zu betreiben und sich registrieren zu

    lassen, sind sie kaum tatschliche Herausforderer fr den Amtsinhaber. 2010 erhielt der erfolgreichste

    Oppositionskandidat, Andrei Sannikow von Europisches Belarus, 2,56% der Stimmen, der Vorgn-

    ger Korotkewitschs Wladimir Nekliaew 1,78% und Gaidukewitsch 2006 3,5%. Es sind also andere Fak-

    toren, die den Wahlkampf von frheren Kampagnen unterscheiden.

    Der Wirtschaftsfaktor Anlass fr Vernderungen?

    Die schlechte wirtschaftliche Lage ist fr die belarussische Fhrung eines der Kernprobleme. In der

    Regel war es ihr in Vorwahlzeiten immer gelungen, wirtschaftliches Wachstum zu sichern sowie, als Folge dessen, den verhltnismigen Wohlstand ihrer Brger. Heute sieht das anders aus. Viele Bela-

    russen mssen mit geringerem Lohn auskommen. Auerdem sieht sich die Regierung mit fr sie neuen

    wirtschaftlichen Erscheinungen konfrontiert. Im Vergleich zu den Krisen von 2009 und 2011 ist auf-

    fllig, dass die Perspektiven fr zuknftigen Aufschwung fehlen. 2011 gelang es der belarussischen

    Fhrung noch relativ schnell, Krisenfolgen wie niedrigere Lhne und BIP-Verfall abzuwenden. Auch

    1 Oppositionspolitiker leben noch immer im Ausland oder sind inhaftiert.

    2 S. http://iiseps.org/analitica/550. Das belarussische Meinungsforschungsinstitut Independent Institute for Socio-Economic

    and Political Studies ist eines der wenigen verbliebenen unabhngigen Institute fr soziokonomische und politische Stu-

    dien; es ist inzwischen in Litauen ansssig.

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    wenn das Wachstum geringer ausfiel als in den Vorjahren, die Einknfte der Bevlkerung wuchsen

    jedenfalls. Der durchschnittliche Nominallohn, der zum Ende des Krisenjahres 2011 nach Angaben des

    belarussischen Statistikamtes BELSTAT etwa 362 $ betrug, lag Ende 2012 bereits wieder bei 448 $.3

    Heute dagegen gehen die meisten Experten davon aus, dass (im Gegensatz zu 2011) die Vorausset-

    zungen fr eine schnelle wirtschaftliche Erholung nicht gegeben sind. Eher lsst sich das Gegenteil

    beobachten; die wirtschaftliche Lage des Landes verschlechtert sich von Monat zu Monat. Die Welt-

    bank rechnet fr 2015 mit einem BIP-Rckgang von 3,5% und fr 2016 mit einem Rckgang von 1%.4

    hnlich sehen das die Experten der Osteuropabank: 2,5% BIP-Verlust fr 2015 und Nullwachstum fr

    2016.5 So sieht es heute zum ersten Mal seit der Jahrtausendwende nach einer Trendnderung in Sa-

    chen Dynamik des realen BIP-Wachstums aus, die die wirtschaftliche und soziale Stabilitt des Landes

    langfristig negativ beeintrchtigen knnte.

    Quelle: Weltbank

    Hauptgrund fr die aktuell so schlechte Lage der belarussischen Wirtschaft ist die russische Wirt-

    schaftskrise, weil Russland einer der wichtigen belarussischen Handelspartner und Absatzmarkt fr die

    meisten belarussischen Unternehmen ist. Dazu kommen Probleme der heimischen Wirtschaft, denn es

    mangelt an strukturellen Reformen. Am meisten betroffen von der Krise ist die Industrie. Im ersten

    Quartal 2015 ging die Industrieproduktion um 7,3% zurck, und dieser Rckgang wirkte sich praktisch

    3 S. http://www.belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/naselenie/trud/godovye-dannye/nominalnaya-

    nachislennaya-srednyaya-zarabotnaya-plata-rabotnikov-respubliki-belarus-s-1991-po-2013-gg/. Das ist allerdings immer

    noch weniger als der 2010 in den USA erreichte Durchschnittslohn von 500 $. 4 http://www.worldbank.org/en/country/belarus/publication/belarus-economic-update-april-2015.

    5 http://www.ebrd.com/where-we-are/belarus/overview.html.

    12,74 12,35 14,59

    17,83

    23,14

    30,21

    36,96

    45,28

    60,76

    49,21

    55,22 59,73

    63,62

    71,71

    0

    10

    20

    30

    40

    50

    60

    70

    80

    2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013

    BIP in Belarus 2000 - 2013 (Mrd. US-Dollar)

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    auf alle Wirtschaftszweige aus. Zudem nahmen die Lagerbestnde von Fertigprodukten von Januar bis

    April d.J. um 20% zu, und fllige Forderungen wuchsen im ersten Quartal 2015 um 53,6% an.6

    Infolge der schwierigen Finanzlage kam es in den meisten Industriebetrieben zu massiven Stellenkr-

    zungen. Die offizielle Arbeitslosenquote, am 1. Januar 2015 noch bei 0,5%, war Anfang April auf das

    Zweifache gewachsen (1%). Auerdem kam es in den ersten Monaten des Jahres 2015 vermehrt zu

    Teilzeitbeschftigungen, weil Industriebetriebe ihre Produktionsvolumen zurckfuhren. Von Januar bis

    Mrz 2015 waren 99,1 Tausend Belarussen in Teilzeitjobs beschftigt, das sind mehr als dreimal so

    viele wie im 1. Quartal 2014.7

    Ein weiterer Negativfaktor ergibt sich aus dem Verhltnis von Lohnkrzungen zu auslndischen Leit-

    whrungen. Infolge der Abwertung des Belarussischen Rubels Ende 2014 sank das durchschnittliche

    Realeinkommen um mehr als 30%.8 Das ist fr politische Prozesse in Belarus vllig untypisch. Lohn-

    steigerungen waren immer eines der Basisinstrumente der Regierung in Vorwahlzeiten, um zu sichern,

    dass die Bevlkerung die Fhrung weiter untersttzt. Anscheinend lassen ihr die existierenden wirt-

    schaftlichen Risiken keine Wahl, so dass sie gezwungen ist, auf landesweite Lohnsteigerungen zu ver-

    zichten.

    Quelle: Belarussisches Statistikamt BELSTAT

    6 http://belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/promyshlennost/operativnaya-informatsiya_12/o-

    proizvodstve-promyshlennoi-produktsii/o-proizvodstve-promyshlennoi-produktsii-za-yanvar-aprel-2015-goda/. 7 http://belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/naselenie/trud/operativnaya-informatsiya_8/o-zanyatosti-

    naseleniya/o-zanyatosti-naseleniya-v-aprele-2015-g/. 8 http://belstat.gov.by/ofitsialnaya-statistika/otrasli-statistiki/naselenie/trud/operativnaya-informatsiya_8/o-nachislennoi-

    srednei-zarabotnoi-plate-rabotnikov/o-nachislennoi-srednei-zarabotnoi-plate-rabotnikov-respubliki-belarus-v-mae-2015-

    g/.

    123,8 162,3

    218

    275 327,2

    415,8

    355,2

    413 361,9

    448

    577,9 591,2

    466

    0

    100

    200

    300

    400

    500

    600

    700

    2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015(Mai)

    Der Durchschnittslohn in Belarus ($)

    Der Durchschnittslohn

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    Neu: Beschftigungssicherheit statt Lohnwachstum

    Die Rhetorik der Vorwahlzeit ist so wegen der aktuellen wirtschaftlichen Lage eine ganz andere als

    sonst. Im Unterschied zu frheren Wahlkampagnen geht es in den heutigen Reden Prsident Luka-

    schenkos nicht um hhere Einkommen fr die Belarussen, sondern um Beschftigungssicherung.

    Zeugnis dafr sind auch neu eingefhrte Regeln fr die offiziellen Gewerkschaften, deren Zustndig-

    keit auf private Unternehmen ausgeweitet wurde. Damit sollen Massenkndigungen nicht nur bei

    staatlichen, sondern auch bei privaten Unternehmen ausgeschlossen werden.

    Die weitere wirtschaftliche Entwicklung liegt in der Hand der Regierung. Deren Wirtschaftsblock

    macht seine Sache verhltnismig gut. Einige Signale in den Aussagen hoher Beamter knnten gar

    ein Hinweis darauf sein, dass es nach der Prsidentschaftswahl zu Reformen in einzelnen Wirtschafts-

    zweigen kommt. Wenn aber die Regierung nach alter Manier zu unbegrndeten Lohn- und Staatsaus-

    gabenerhhungen greifen sollte und diese Mglichkeit ist ebenso realistisch wird es mit der bela-

    russischen Wirtschaft weiter abwrts gehen.

    Protestpotential?

    Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die wirtschaftliche Situation kurzfristig zu sozialen Protesten fhrt.

    Vor dem Hintergrund der Krise in der Ukraine nimmt die belarussische Gesellschaft jeglichen Straen-

    protest erst einmal sehr negativ wahr. Laut Umfragen des Meinungsforschungsinstitutes IISEPS vom

    Mrz d.J. wren nur 15% der Befragten bereit, sich an Protestaktionen gegen schlechtere wirtschaftli-

    cher Zustnde in ihrer Stadt bzw. ihrem Bezirk zu beteiligen. 72,6% beantworteten die Frage nach

    ihrer Protestbereitschaft negativ im Vergleich zu 22,9% Protestwilligen und 68,3% Protestunwilli-

    gen im Mrz 2014.9

    Dafr beeinflusst die aktuelle Wirtschaftslage die Ratings des Staatsprsidenten durchaus. Laut IISEPS

    sanken die Zustimmungswerte der Belarussen fr ihren Prsidenten von September 2014 also vor

    der Dezember-Abwertung des Belarussischen Rubels bis Juni 2015 von 45,2% auf 38,6%.10

    Innen- und Auenpolitik Wahlkampfthemen angesichts des Ukraine-Konflikts

    Die Ukraine-Krise ist zu einem der bestimmenden Aspekte der belarussischen Innen- und Auenpolitik

    geworden. Das spiegelt sich auch in der Prsidentschaftswahlkampagne wider. Der (unbeabsichtigte)

    Einfluss der Ukraine auf die belarussische Innenpolitik zeigt sich in dreifacher Hinsicht: Erstens, Kor-

    ruptionsbekmpfung wird betont; zweitens, der Sicherheitsaspekt, also das Ausbleiben von Krieg im

    eigenen Land, wird herausgestellt; und, drittens, die belarussische Kultur wird vorsichtig akzentuiert

    und verbreitet.

    9 Die Unzufriedenheit der Belarussen mit der wirtschaftlichen Lage wchst, die Bereitschaft zu protestieren fllt,

    http://news.tut.by/society/442051.html. 10

    http://iiseps.org/old/press3.html.

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    Die drei Themen Korruptionsbekmpfung, politische Stabilitt und, angesichts der schlechten wirt-

    schaftlichen Lage, Beschftigungssicherung, drften ebenso Prsident Lukaschenkos Wahlkampagne

    dominieren.

    Als Antwort auf den Sturz des Janukowytsch-Regimes und soziale Unruhen in der Ukraine im Winter

    2013-2014 bedient die Rhetorik der belarussischen Regierung bereits seit dem letzten Jahr das Kor-

    ruptionsthema, nachdem das hohe Niveau der Korruption in der Ukraine als einer der wesentlichen

    Grnde fr die Proteste dort verstanden wird. Im Rahmen der aktivierten Antikorruptionskampagne

    wurde in Belarus ein neues Gesetz zur Korruptionsbekmpfung verabschiedet, zur Vervollstndigung

    der Antikorruptionspolitik. Tatschlich fhrte es dazu, dass die Zahl der wegen Korruptionsverdachts

    Verhafteten stieg. Insgesamt widmet der Staat diesem Thema deutlich mehr Aufmerksamkeit als zu-

    vor. Dennoch nennen Befragte soziologischer Umfragen Korruption nach wie vor als eines der gravie-

    rendsten Probleme. In einer IISEPS-Studie von Mrz 2015 landete die Korruption mit 23,1% auf Platz 5 auf der Liste der drngendsten Probleme des Landes. Einer massiven Anti-Korruptions- und

    einer begleitenden Medienkampagne zum Trotz verbesserte sich dieser Faktor im Verlauf eines Jahres

    nur um 0,7% (das Resultat 2014 war 23,8%).11

    Der ausbleibende Erfolg drfte der Grund dafr sein,

    dass das Korruptionsthema in der politischen Rhetorik nun seltener vorkommt und den Platz an das

    Thema Beschftigungssicherung abgegeben zu haben scheint.

    Bezogen auf die Aufwertung belarussischer Kultur und Identitt sind belarussische Politiker uerst

    vorsichtig und beschrnken sich auf minimale nderungen. Erstens frchten sie die negative Reaktion

    seitens Russlands. Tatschlich haben manche russische Medien bereits auf kleine Vernderungen in

    diesem Bereich mit Artikeln ber die Unterdrckung russischsprachiger Brger in Belarus reagiert.

    Zweitens werden belarussische Kultur und Sprache gar nicht von vielen Belarussen nachgefragt und

    aktive Manahmen seitens des Staates in dieser Hinsicht knnten auch negativ wahrgenommen wer-

    den. Laut IISEPS-Umfragen von Mrz d.J. sind 14,5% der Befragten fr das Belarussische als einzige

    Staatssprache. 13,1% der Befragten stimmten fr Russisch, 48,3% fr beide Sprachen nebeneinan-

    der.12

    Drittens ist die belarussische Regierung in der Durchfhrung hnlicher Kampagnen nicht sehr

    erfahren, denn in den vergangenen Jahren war eher der gegenteilige Prozess zu beobachten.

    Belarus auf der Suche nach dem eigenen Vorteil

    Im Hinblick auf Vernderungen in der belarussischen Auenpolitik spielte die Krise in der Ukraine eine

    groe Rolle. Frher prgten sich wiederholende Trends jeden Wahlprozess: in dem Mae, in dem die

    Wahlen nher kamen, bemhte sich das offizielle Minsk, die Beziehungen zu Europa und den USA zu

    pflegen. Nach den Wahlen aber gingen alle Seiten zurck auf ihre Ausgangsdistanz. Diese spezielle Art

    der belarussischen Auenpolitik erhielt die Bezeichnung Pendelpolitik.

    Die aktuelle Situation unterscheidet sich dadurch, dass es fr die belarussische Fhrung nun wichtig

    zu sein scheint, sich die guten Beziehungen zum westlichen Ausland auch nach den Wahlen zu be-

    wahren. Natrlich bekommt die Wahlkampagne dadurch keinen komplett demokratischen Charakter,

    aber zumindest einige Bereiche erfahren eine Aufweichung etwa im Hinblick darauf, dass durch die

    11

    http://www.iiseps.org/analitica/824. 12

    http://iiseps.org/old/03-15-08.html.

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    Unterschriftensammlungen der o.g. zahlreichen Kandidaten und deren Wahlwerbung zumindest der

    Anschein von mehr Vielfalt hergestellt wird.

    In Anbetracht der aggressiven Auenpolitik Russlands ist das offizielle Minsk einerseits bemht, die

    Situation fr sich zu nutzen und in den Augen Brssels und Washingtons maximal legitimiert zu er-

    scheinen. Auf der anderen Seite verbirgt sich in den Absichten der belarussischen Fhrung, die Bezie-

    hungen zu EU und den USA zu verbessern, das heimliche Bemhen, das eigene Land EU und USA als

    vollwertigen Partner in der Region schmackhaft zu machen um damit das Risiko hypothetisch mg-

    licher Manipulationen seitens des Kremls zu mindern.

    Um diese Ziele zu erreichen bemht sich die belarussische Fhrung, einige grundlegende Instrumente

    zu nutzen. Erstens sind das die im Rahmen der stlichen Partnerschaft mglichen Mechanismen und

    die Bemhung, die Beziehungen neu zu starten und pragmatischer auszurichten etwa unter Zu-rckweisung der politischen Forderungen der EU.

    13 Zweitens versucht man sich in einem Dialog dort,

    wo es Berhrungspunkte gibt, etwa in Sachen Bologna-Prozess, Visa-Liberalisierung und grenzber-

    schreitender Zusammenarbeit.

    Fazit

    Das offizielle Minsk steht momentan vor schwierigen Herausforderungen, sowohl im wirtschaftlichen

    als auch im politischen Bereich. Diese Schwierigkeiten werden die belarussische Regierung dahin

    drngen, die Beziehungen mit dem Westen schrittweise zu normalisieren und gleichzeitig den Status

    quo in der Beziehung zu Russland aufrechtzuerhalten. Bemhungen der belarussischen Fhrung, sich

    aus dem Spannungsfeld Russland-EU zu lsen, sind bislang gescheitert. Zahlreiche Versuche von Prsident Lukaschenko, neue auenpolitische Partner zu gewinnen, blieben bislang ohne Resultat.

    Infolgedessen wird die auenpolitische Schaukelpolitik zwischen dem Kreml und der EU noch mehr an

    Bedeutung gewinnen. Aber die ungnstige wirtschaftliche Lage kann noch viel an diesen Bestrebun-

    gen ndern. Sollte sie sich weiter verschlechtern, drfte die belarussische Regierung ihre Auenpolitik

    wieder deutlicher prorussisch ausrichten, denn ohne die finanzielle Untersttzung Russlands ist das

    Land nicht lebensfhig.

    Mikita Bialiayeu ist Administrativdirektor und Experte der Minsker Nichtregierungs-

    organisation Liberaler Klub (www.liberalclub.biz).

    bersetzung: Miriam Kosmehl, Projektleiterin Ukraine und Belarus.

    13

    http://www.interfax.by/news/belarus/1182134.

  • Hintergrund: Belarus Nr. 44 / Juli 2015 | 8

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