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© Verlag Österreich 2016 Juristische Blätter 138, 488–507 (2016) Printed in Austria Univ.-Ass. MMag. Dr. Martin Trenker, Innsbruck Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/ -gerichtliche Entscheidungen*) (1. Teil) Das Zusammenspiel von Gerichtsbarkeit und Verwaltung ist seit jeher Gegenstand zahlrei- cher wissenschaftlicher Abhandlungen und praktischer Probleme. Besondere Auslegungs- differenzen hat dabei seit langem – spätestens seit der Problematik der „Dispensehen“ 1 ) – die Frage nach der Bindung der Gerichte an Entscheidungen der „Verwaltung“ und die damit zusammenhängende Unterbrechungsmöglichkeit gemäß § 190 ZPO aufgeworfen. Durch den grundlegenden Paradigmenwechsel im verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz- system durch die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle (VwG-Novelle) 2012 2 ) wurde das The- ma mit zusätzlichen Schwierigkeiten angereichert. Insbesondere herrscht nunmehr Streit über den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft, der nach hRsp Voraussetzung der Bin- dung ist und an den § 190 ZPO sogar explizit anknüpft. Angeregt durch die erste einschlä- gige Entscheidung des OGH 3 ) nach der VwG-Novelle 2012 möchte der vorliegende Beitrag die Bindung der Zivilgerichte an Verwaltungs(gerichts)entscheidungen systematisch durch- leuchten und dabei sowohl einigen – mehr oder weniger intensiv diskutierten – älteren Streitfragen als auch sich neu ergebenden Problemen nachgehen. Deskriptoren: Bindungswirkung, Gestaltungswirkung, Tatbestandswirkung, Rechtskraft, objektive Grenzen der Rechtskraft, subjektive Grenzen der Rechtskraft, Unterbrechung des Zivilverfahrens, Verwaltungsgerichts-Novelle 2012, rechtliches Gehör, Rechtsmittelgründe, aufschiebende Wirkung, absolut nichtiger Verwaltungsbescheid, Wiederaufnahmsklage, Oppositionsklage. §§ 64, 68, 69, 71 AVG; Art 130, 133, 144 B-VG; Art 6 MRK; §§ 85, 87 VfGG; §§ 30, 42 VwGG; §§ 13, 28, 32, 33 VwGVG; §§ 190, 191, 192, 411, 530 Abs 1 Z 5, 6, 7 ZPO. Übersicht: A. Grundlagen I. Dogmatische Grundlage einer Bindungswirkung II. Abgrenzung: Bindungs-, Gestaltungs- und Tatbe- standswirkung III. Gang der weiteren Untersuchung B. (Terminologische) Änderungen aufgrund der VwG- Novelle I. Verwaltungsgerichtliches Verfahren als Anlass zur Unterbrechung II. Gegenstand der Bindung: Bescheide und Erkennt- nisse C. Ausgestaltung der Bindungswirkung I. Voraussetzungen der Bindung 1. Keine Ausnahme für „absolut nichtige Beschei- de/Erkenntnisse“ 2. Keine Ausnahme für Feststellungsbescheide/ -erkenntnisse 3. Tribunalqualität der erkennenden Behörde 4. Subjektive Voraussetzung: Parteistellung oder parteigleiche Partizipationsrechte 5. Sonderfall: Verwaltungsstrafbescheid/-er- kenntnis II. Reichweite der Bindung *) Herzlicher Dank gebührt assoz. Prof. Dr. Sebastian Schmid, LL.M., für wertvolle Hinweise und Anregungen. 1 ) Siehe dazu nur Schell, Zivilurteil und verwaltungs- rechtliche Vorfrage. Eine Studie zum Dispensehenprob- lem, JBl 1925, 211 mwN. 2 ) BGBl I 51/2012. 3 ) 1 Ob 127/15f (Entscheidungen, die im RIS-Justiz im Volltext abrufbar sind, werden im Folgenden ohne Fund- stelle zitiert). 1. Bindung an den Entscheidungsspruch – objekti- ve Grenzen der Bindung 2. „Relativität der Rechtsbegriffe“ – mangelnde Präjudizialität 3. Keine Bindung bei nova producta – zeitliche Grenze der Bindung III. Rechtsfolge der Bindung IV. Unrichtige Anwendung der Bindungswirkung als Rechtsmittelgrund 1. Unrichtige Verneinung einer Bindung 2. Unrichtige Annahme einer Bindung D. Abweichende Entscheidungen der Vorfrage nach rechtskräftigem Urteil I. Aufhebung einer für bindend erachteten Entschei- dung 1. Wiederaufnahme analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO 2. Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Zivilverfah- rens II. Nachträgliche Entscheidung, die von eigenständi- ger Vorfragenbeurteilung abweicht 1. Keine Wiederaufnahme analog § 69 Abs 1 Z 3 AVG oder § 530 Abs 1 Z 5, 7 ZPO 2. Entscheidungen mit (rückwirkender) rechtsge- staltender Wirkung E. Zeitpunkt des Eintritts der Bindungswirkung I. Rechtslage vor der VwG-Novelle II. Formelle Rechtskraft nach der VwG-Novelle 2012 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme und Bedeutung für vorliegende Problemstellung III. Eintritt der Bindungswirkung nach der VwG-No- velle 2012 1. Fragestellung 2. Auffassung des OGH in 1 Ob 127/15f 3. Eigene Ansicht IV. Ende der Unterbrechung Lizenziert für Universitäts- und Landesbibliothek Innsbruck am 28.01.2019 um 17:42 Uhr Verlag Österreich

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  • © Verlag Österreich 2016

    Juristische Blätter 138, 488–507 (2016) Printed in Austria

    Univ.-Ass. MMag. Dr. Martin Trenker, Innsbruck

    Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/ -gerichtliche Entscheidungen*)(1. Teil)

    Das Zusammenspiel von Gerichtsbarkeit und Verwaltung ist seit jeher Gegenstand zahlrei-cher wissenschaftlicher Abhandlungen und praktischer Probleme. Besondere Auslegungs-differenzen hat dabei seit langem – spätestens seit der Problematik der „Dispensehen“1) – die Frage nach der Bindung der Gerichte an Entscheidungen der „Verwaltung“ und die damit zusammenhängende Unterbrechungsmöglichkeit gemäß § 190 ZPO aufgeworfen. Durch den grundlegenden Paradigmenwechsel im verwaltungsrechtlichen Rechtsschutz-system durch die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle (VwG-Novelle) 20122) wurde das The-ma mit zusätzlichen Schwierigkeiten angereichert. Insbesondere herrscht nunmehr Streit über den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft, der nach hRsp Voraussetzung der Bin-dung ist und an den § 190 ZPO sogar explizit anknüpft. Angeregt durch die erste einschlä-gige Entscheidung des OGH3) nach der VwG-Novelle 2012 möchte der vorliegende Beitrag die Bindung der Zivilgerichte an Verwaltungs(gerichts)entscheidungen systematisch durch-leuchten und dabei sowohl einigen – mehr oder weniger intensiv diskutierten – älteren Streitfragen als auch sich neu ergebenden Problemen nachgehen.

    Deskriptoren: Bindungswirkung, Gestaltungswirkung, Tatbestandswirkung, Rechtskraft, objektive Grenzen der Rechtskraft, subjektive Grenzen der Rechtskraft, Unterbrechung des Zivilverfahrens, Verwaltungsgerichts-Novelle 2012, rechtliches Gehör, Rechtsmittelgründe, aufschiebende Wirkung, absolut nichtiger Verwaltungsbescheid, Wiederaufnahmsklage, Oppositionsklage. §§ 64, 68, 69, 71 AVG; Art 130, 133, 144 B-VG; Art 6 MRK; §§ 85, 87 VfGG; §§ 30, 42 VwGG; §§ 13, 28, 32, 33 VwGVG; §§ 190, 191, 192, 411, 530 Abs 1 Z 5, 6, 7 ZPO.

    Übersicht:A. Grundlagen I. Dogmatische Grundlage einer Bindungswirkung II. Abgrenzung: Bindungs-, Gestaltungs- und Tatbe-

    standswirkung III. Gang der weiteren UntersuchungB. (Terminologische) Änderungen aufgrund der VwG-

    Novelle I. Verwaltungsgerichtliches Verfahren als Anlass zur

    Unterbrechung II. Gegenstand der Bindung: Bescheide und Erkennt-

    nisseC. Ausgestaltung der Bindungswirkung I. Voraussetzungen der Bindung 1. Keine Ausnahme für „absolut nichtige Beschei-

    de/Erkenntnisse“ 2. Keine Ausnahme für Feststellungsbescheide/

    -erkenntnisse 3. Tribunalqualität der erkennenden Behörde 4. Subjektive Voraussetzung: Parteistellung oder

    parteigleiche Partizipationsrechte 5. Sonderfall: Verwaltungsstrafbescheid/-er-

    kenntnis II. Reichweite der Bindung

    *) Herzlicher Dank gebührt assoz. Prof. Dr. Sebastian Schmid, LL.M., für wertvolle Hinweise und Anregungen.

    1) Siehe dazu nur Schell, Zivilurteil und verwaltungs-rechtliche Vorfrage. Eine Studie zum Dispensehenprob-lem, JBl 1925, 211 mwN.

    2) BGBl I 51/2012.3) 1 Ob 127/15f (Entscheidungen, die im RIS-Justiz im

    Volltext abrufbar sind, werden im Folgenden ohne Fund-stelle zitiert).

    1. Bindung an den Entscheidungsspruch – objekti-ve Grenzen der Bindung

    2. „Relativität der Rechtsbegriffe“ – mangelnde Präjudizialität

    3. Keine Bindung bei nova producta – zeitliche Grenze der Bindung

    III. Rechtsfolge der Bindung IV. Unrichtige Anwendung der Bindungswirkung als

    Rechtsmittelgrund 1. Unrichtige Verneinung einer Bindung 2. Unrichtige Annahme einer BindungD. Abweichende Entscheidungen der Vorfrage nach

    rechtskräftigem Urteil I. Aufhebung einer für bindend erachteten Entschei-

    dung 1. Wiederaufnahme analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO 2. Zeitpunkt der Wiederaufnahme des Zivilverfah-

    rens II. Nachträgliche Entscheidung, die von eigenständi-

    ger Vorfragenbeurteilung abweicht 1. Keine Wiederaufnahme analog § 69 Abs 1 Z 3

    AVG oder § 530 Abs 1 Z 5, 7 ZPO 2. Entscheidungen mit (rückwirkender) rechtsge-

    staltender WirkungE. Zeitpunkt des Eintritts der Bindungswirkung I. Rechtslage vor der VwG-Novelle II. Formelle Rechtskraft nach der VwG-Novelle 2012 1. Meinungsstand 2. Stellungnahme und Bedeutung für vorliegende

    Problemstellung III. Eintritt der Bindungswirkung nach der VwG-No-

    velle 2012 1. Fragestellung 2. Auffassung des OGH in 1 Ob 127/15f 3. Eigene Ansicht IV. Ende der Unterbrechung

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  • 4892016, Heft 8August

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    1. Kein zwingender Zusammenhang zwischen Bin-dung und Unterbrechung

    2. Teleologische Auslegung: Unterbrechung bis zur „Unanfechtbarkeit“

    F. Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse

    A. Grundlagen

    I. Dogmatische Grundlage einer Bindungswirkung

    Nach § 190 ZPO (ebenso § 25 AußStrG) kann ein Zivilprozess (im Folgenden auch: „Hauptverfah-ren“) unterbrochen/ausgesetzt4) werden, wenn über eine präjudizielle Vorfrage ein Verwaltungsverfah-ren oder ein gerichtliches Verfahren (im Folgenden auch: „Parallelverfahren“) anhängig ist, wobei letzteres für diese Untersuchung nur am Rande in-teressiert.5) Ob unterbrochen wird, steht im pflicht-gebundenen Ermessen des Richters, er kann die Vorfrage ebenso selbständig beurteilen.6) Die Ent-scheidung ist anhand von prozessökonomischen Zweckmäßigkeitserwägungen zu treffen.7) Maßge-bend ist vor allem die voraussichtliche Dauer des präjudiziellen und des anhängigen Verfahrens8) so-wie das rechtliche oder wirtschaftliche Interesse der Parteien an einer raschen Entscheidung (vgl § 19 Abs 2 FBG). Zudem ist der Aufwand und die Schwierigkeit der Lösung der Vorfrage zu berück-sichtigen: Je diffiziler die Vorfrage, desto eher ist der Zivilprozess im Interesse von Prozessökonomie und wegen der Gefahr divergierender Entscheidun-gen (Stichwort: „Entscheidungsharmonie“) auszu-setzen (zu den Folgen einer vom Parallelverfahren abweichenden Lösung der Vorfrage im Hauptver-fahren unten D.II.). Die Anordnung einer Unterbre-chung kann – anders als deren Verweigerung – mit Rekurs angefochten werden (§ 192 Abs 2 ZPO). Die Unterbrechung dauert bis zur rechtskräftigen Erle-digung des Verwaltungsverfahrens an (§ 190 Abs 1 letzter Halbsatz, Abs 3; dazu ausführlich E.IV.). Das Gericht kann sie allerdings grundsätzlich nach § 192 ZPO auch zu einem früheren Zeitpunkt wie-der aufheben (näher noch unten E.IV.2.).

    Wurde eine Entscheidung im Verwaltungsrechts-zug (im Folgenden: „VwRZ“) gefällt, bindet sie

    4) Der Begriff der Aussetzung wird bisweilen zur Ab-grenzung von der Ex-lege-Unterbrechung gemäß §§ 155 ff ZPO verwendet, zB G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 (2016) Rz 427; siehe auch § 38 AVG sowie § 148 dZPO.

    5) Freilich halte ich viele der gefundenen Ergebnisse, etwa zur Reichweite (C.II.) und den Rechtfolgen der Bin-dungswirkung (C.III.), zu den Rechtsmittelgründen bei unrichtiger Anwendung der Bindung (C.IV.) oder zu einer nachträglich abweichenden Beurteilung einer präjudizi-ellen Vorfrage (D.) grundsätzlich für übertragbar auf die Bindung des Richters an ein anderes Zivilurteil.

    6) ZB OGH 1044/27 = SZ 10/51; 2 Ob 1279/27 = SZ 10/89; Sperl, Lehrbuch der Bürgerlichen Rechtspflege I (1925 ff) 276; H. Schima, Wandlungen in der Beziehung von Justiz und Verwaltung, ÖJZ 1955, 522 (525); Holz-hammer, Österreichisches Zivilprozeßrecht2 (1976) 220; Ballon, Einführung in das österreichische Zivilprozess-recht – Streitiges Verfahren12 (2009) Rz 292.

    7) RIS-Justiz RS0036765; RS0036918; OLG Wien 13 R 38/90 = EFSlg 64.056 und viele mehr.

    8) Vgl LGZ Wien 45 R 126/09a = EFSlg 124.890.

    nach hM den Zivilrichter,9) und zwar gilt dies nach der zumindest im Zivilprozessrecht hM ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft (zum Ganzen ausführ-lich unten E.).10) Für eine solche Bindungswirkung wird gerade ins Treffen geführt, dass die Unterbre-chung erst endet, nachdem die Rechtskraft der Ent-scheidung im Parallelverfahren eingetreten ist. Verneint man nämlich eine Bindungswirkung, wäre eine Unterbrechung nur sinnvoll, um mögliche Be-weisergebnisse des anderen Verfahrens verwerten zu können. Wenn ein Verfahren aber (nur) zum Zweck der Stoffsammlung unterbrochen werden könnte, wie Fasching11) meint, wäre es gerade nicht notwendig, den rechtskräftigen Abschluss abzu-warten. Der Schluss liegt also durchaus nahe, dass § 190 ZPO eine Bindungswirkung voraussetzt; zwingend ist er mE aber nicht (vgl auch noch unten E.IV.1.).12)

    Entscheidender Grund für die Bindung ist viel-mehr das rechtsstaatliche Prinzip, das, wie vor al-lem Walter13) und Morscher14) herausgearbeitet ha-ben, prinzipiell verlangt, dass Entscheidungen im VwRZ als hoheitliche Akte normative Verbindlich-keit gegenüber allen Staatsorganen entfalten.15)

    9) OGH Rv II 475/9 = GlUNF 4660; 3 Ob 532–538/83; 4 Ob 504/96; RIS-Justiz RS0036880; RS0036981; RS0036864; W. Kralik, Die Vorfrage im Verfahrensrecht (1953) 99 f; Morscher, Bindung und Bundesverfassung, JBl 1991, 86; Spitzer, Die Bindungswirkung von Verwal-tungsakten im Zivilprozess, ÖJZ 2003, 48 und viele ande-re; siehe auch noch die Nachweise in Fn 11; aA Fasching, Sind die Gerichte an präjudizielle Bescheide der Verwal-tungsbehörden gebunden?, JBl 1976, 557; derselbe, Lehr-buch des österreichischen Zivilprozeßrechts2 (1990) Rz 96; Lenneis, Ein Plädoyer gegen die Bindungswirkung, ÖJZ 2003, 578. Zum älteren Meinungsstand ausführlich Schell, JBl 1925, 215 mwN.

    10) RIS-Justiz RS0036945, zB OGH 1 Ob 880/47 = EvBl 1948/161, 88; siehe auch RIS-Justiz RS0036880; RS0036981; RS0036864, die allesamt auf „rechtskräftige Bescheide“ abstellen; aus der Verwaltungsrechtslehre ex-plizit Walter, Probleme der Bindung an sozialversiche-rungsrechtliche Entscheidungen im Zivilprozeß, in May-er-Maly/Novak/Tomandl, FS H. Schmitz I (1967) 459 (462); vgl auch Morscher, JBl 1991, 87, der ohne weiteres davon ausgeht, dass die Bindung an die formelle Rechts-kraft anschließt; ausführlich dafür bereits Schell, JBl 1925, 215 f.

    11) Fasching, JBl 1976, 562 f; vgl ähnlich zum deutschen Recht zB Wagner in Krüger/Rauscher, Münchener Kom-mentar ZPO I4 (2013) § 148 Rz 10.

    12) AA wohl RIS-Justiz RS0036919; LGZ Graz 7 R 34/13s = MietSlg 65.627; Neumann, Kommentar zu den Zivilprozeßgesetzen I4 (1927) 805; W. Kralik, Vorfrage 152; Walter, Die Bindung der Zivilgerichte an rechtskräf-tige präjudizielle Bescheide nach AVG im Rahmen der Zivilprozessordnung im Vorfragenbereich, ÖJZ 1996, 601 (602 f); derselbe, Die Funktion der Höchstinstanzen im Rechtsstaat Österreich, RZ 1999, 58 (61).

    13) Über die Möglichkeit isoliert zivilprozessualer Be-trachtung, JBl 1963, 347 (350).

    14) JBl 1991, 86 f. 15) Zur dementsprechenden „Verbindlichkeit“ von Ver-

    waltungsbescheiden siehe nur VwGH 2000/18/0197; Hengstschläger/Leeb, Allgemeines Verwaltungsverfah-rensgesetz2 (2014) § 68 Rz 12 mwN; Kolonovits/Muzak/Stöger, Grundriss des österreichischen Verwaltungsver-fahrensrechts10 (2014) Rz 451, 465 f.

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    Diese Anerkennung der Verbindlichkeit verwaltungsbe hördlicher/-gerichtlicher Entschei-dungen gegenüber den Gerichten bedeutet keine Durchbrechung des gewaltentrennenden Prinzips, sondern vielmehr dessen konsequente Befolgung. Der hoheitliche Ausspruch des für öffentlich-recht-liche Ansprüche zuständigen Organs darf nicht von einem für Zivilrechtsfragen zuständigen Gericht in Frage gestellt werden; auch das Recht auf den ge-setzlichen Richter bleibt so bestmöglich gewahrt. Dementsprechend wird umgekehrt zu Recht nicht in Zweifel gezogen, dass Verwaltungsbehörden an rechtskräftige Zivilurteile hinsichtlich zivilrechtli-cher Vorfragen gebunden sind.16) Ferner ist die richterliche Unabhängigkeit bei einer Bindung an Verwaltungsentscheidungen nicht gefährdet, an-dernfalls eine Bindung auch gegenüber anderen Zi-vilgerichtsentscheidungen in Frage gestellt werden müsste. Dies gilt jedenfalls seit der VwG-Novelle, weil die dadurch ermöglichte „echte reformatori-sch[e] Gerichtskontrolle“17) früher geäußerte rechtsstaatliche Bedenken gegenüber einer Bin-dung der Gerichte an Entscheidungen weisungsge-bundener Verwaltungsorgane zerstreut hat.

    Bewusst dahingestellt bleiben soll die Beantwor-tung der akademischen Streitfragen, ob man diese Wirkung „Bindung“ oder „Verbindlichkeit“ nennt18) und ob man sie – wie im zivilprozessualen Schrifttum üblich19) – als Teil der materiellen Rechtskraft (vgl aber zB § 61 Abs 1 ASGG) oder als eigenständige Entscheidungswirkung betrachtet.20)

    16) Neuwirth in Fasching, Kommentar zu den Zivilpro-zeßgesetzen II1 (1972) 905; Walter, Die Bindung der Ver-waltungsbehörden an rechtskräftige zivilgerichtliche Ur-teile und an Bescheide im Rahmen des AVG im Vorfra-genbereich, in Schäffer/Berka/Stolzlechner/Werndl, FS Koja (1998) 619; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny, Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen III2 (2004) § 411 ZPO Rz 84; Leeb, Bescheidwirkungen und ihre subjekti-ven Grenzen nach dem AVG (2010) 36.

    17) Dies bemängelt noch Fasching, Lehrbuch2 Rz 96; vgl auch Lenneis, ÖJZ 2003, 579 aE; Morscher, JBl 1991, 87 aE.

    18) Im verwaltungsrechtlichen Schrifttum scheint oft-mals der Begriff der „Verbindlichkeit“ jenem der „Bin-dungswirkung“ vorgezogen zu werden, zB Wielinger/Gruber, Einführung in das österreichische Verwaltungs-verfahrensrecht6 (1993) 99; Thienel/Schulev/Steindl, Ver-waltungsverfahrensrecht5 (2009) 235; Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 465 f; vgl auch Morscher, JBl 1991, 86. Das könnte aber einfach darauf beruhen, dass die Bindung nur als Unterfall einer weiter-gehenden Verbindlichkeit verstanden wird, so ausführ-lich Leeb, Bescheidwirkungen 98 ff; ähnlich Eberhard/Lachmayr, „Bindungswirkung“ und „Verbindlichkeit“ als Rechtskraftwirkung, in Holoubek/Lang, Rechtskraft im Verwaltungs- und Abgabenverfahren (2008) 79 (103 ff).

    19) Statt vieler Holzhammer, Zivilprozeßrecht2 293 f; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1497, 1499.

    20) Ausführlich zum Ganzen Leeb, Bescheidwirkungen 18 ff, 275 ff mwN; überaus kritisch zum Begriff der mate-riellen Rechtskraft Jabloner, „Rechtskraft“ – Funktion und theoretische Begründung eines Rechtsinstituts, in Holoubek/Lang, Rechtskraft 15 (18 ff); so auch bereits Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 (2003) Rz 459.

    Rechtsfolgenseitig kommt einer solchen Einteilung nämlich keine Bedeutung zu, will man nicht in be-griffsjuristische Argumentationsmuster zurückfal-len (vgl auch E.II.2.).

    II. Abgrenzung: Bindungs-, Gestaltungs- und Tat-bestandswirkung

    Wichtiger ist dagegen die Abgrenzung dieser nor-mativen Verbindlichkeit von der ihr sehr ähnlichen Gestaltungswirkung. Selbst Fasching hat als er-klärter Gegner der Bindung der Gerichte (oben A.I.) zugestanden, dass eine durch einen Bescheid erwirkte Rechtsgestaltung als konstitutive Ände-rung der Rechtslage auch für den Zivilrichter bin-dend sei.21) Dem ist insoweit zuzustimmen, als eine solche Gestaltungswirkung einen vergleichbaren Effekt hat wie die „Bindung ieS“ als Ausfluss der normativen Verbindlichkeit einer Entscheidung: Die Frage, ob die angeordnete Gestaltung eingetre-ten ist, kann in einem zweiten Verfahren nicht mehr überprüft werden (näher unten C.III.).22) Die Ge-staltungswirkung spielt sohin in starker Weise in die vorliegende Untersuchung hinein.

    Zur Klarstellung: Der normativ bindende, dekla-ratorische Ausspruch über die Feststellung eines Anspruchs ist jeder Entscheidung immanent, also auch der Gestaltungsentscheidung. Bei letzterer tritt aber eine konstitutive Gestaltung der Rechts-lage hinzu. Wegen der vergleichbaren Rechtsfolgen, welche sowohl eine normativ verbindliche Feststel-lung eines Anspruchs als auch eine konstitutive Änderung der Rechtslage mit sich bringen, kommt die Bedeutung einer solchen „zweigleisigen Bin-dung“ jedoch in vielen Fällen nicht mit voller Klar-heit zum Vorschein; beide Phänomene sind aber streng voneinander zu trennen.23) Zum einen kann nämlich gerade der Adressatenkreis der jeweiligen Wirkung divergieren, wenngleich bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen ist, dass die Qualifikati-on einer Rechtsgestaltung als konstitutiv im Hin-blick auf Art 6 EMRK keinen „Freibrief“ für eine uneingeschränkte Bindung erga omnes erteilt (nä-her unten C.I.4.). Zum anderen stellt eine nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfahrens ergangene konstitutive Gestaltung der Rechtslage anders als eine feststellende Entscheidung über eine Vorfrage eine Neuerung dar, die eine Wieder-aufnahme rechtfertigen oder einen neuen Streitge-genstand begründen kann (dazu näher unten D.I.1. und II.2.). Damit hängt auch die Unzulässigkeit ei-ner Unterbrechung für den Fall zusammen, dass nur das Ergehen einer rechtsgestaltenden Entschei-dung abgewartet werden soll (zu einer Ausnahme

    21) JBl 1976, 557; derselbe, Lehrbuch2 Rz 96.22) Vgl Eberhard/Lachmayr in Holoubek/Lang, Rechts-

    kraft 99 f.23) Zum Bescheid VwGH 96/02/0434; Eberhard/Lach-

    mayr in Holoubek/Lang, Rechtskraft 98 f; Leeb, Be-scheidwirkungen 39 ff; zum Zivilurteil Oberhammer, Richterliche Rechtsgestaltung und rechtliches Gehör (1994) 89; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny, ZPG III2 § 411 ZPO Rz 158 mwN auch der älteren Gegenan-sicht.

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    unten D.II.2.).24) Denn es ist das Risiko der jeweili-gen Partei, ob alle für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen – und nichts anderes ist eine Gestaltung der Rechtslage in diesem Kontext – bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz eingetreten sind.

    Erkennt man mit Teilen der Lehre zu Recht, dass es sich bei der Gestaltungswirkung nur um einen Unterfall einer Tatbestandswirkung handelt25) – die Gestaltung der Rechtslage ist Folge des (mitun-ter ungeschriebenen) Tatbestands einer rechtsge-staltenden Entscheidung –, besteht kein Zweifel, dass das Gesagte auch für diese gilt.26) Prominentes Beispiel für eine solche Wirkung ist die behördliche Genehmigung einer Anlage als Tatbestandsmerk-mal der Anwendung von § 364a ABGB.

    III. Gang der weiteren Untersuchung

    Anerkennt man zu Recht eine bindende Wirkung einer Verwaltungs(gerichts)entscheidung (A.I.), öffnet man freilich erst die „Büchse der Pandora“ diffiziler Folgefragen. Das betrifft zunächst die Voraussetzungen der Verbindlichkeit: Einerseits legt der OGH insofern bedenklich strenge Maßstä-be an, als er gewisse qualitative Mindeststandards fordert (C.I.1.) und bisweilen Feststellungsbeschei-de überhaupt nicht für bindend erachtet (C.I.2.), andererseits steht er in der Kritik, dass er den ge-bundenen Personenkreis mitunter zu weit zieht (C.I.4.). Ein Sonderproblem betrifft Verwaltungs-strafentscheidungen, die gewissermaßen zwischen bindenden Bescheiden und Strafurteilen stehen (C.I.5.). Nach der Behandlung dieser Probleme sol-len einige Facetten der praktisch so wichtigen Reichweite der Bindungswirkung gestreift (C.II.) sowie die eigentlichen Folgen einer Bindung für den Zivilprozess (C.III.) dargestellt werden. Dies leitet zu den jeweils anwendbaren Rechtsmittel-gründen über, die eine falsche Anwendung der Grundsätze über die Bindungswirkung nach sich zieht (C.IV.). Auch insoweit ist die hM mE teilweise kritikwürdig.

    Ein besonderer Schwerpunkt der Untersuchung wird daraufhin den komplexen, von der Rsp und Lehre teilweise unterschiedlich gelösten Konstella-tionen gewidmet, in denen sich die „Ausgangslage“ nach Rechtskraft des Zivilurteils verändert, indem entweder die zunächst bindende Entscheidung auf-gehoben wird (D.I.) oder die Vorfrage im Parallel-

    24) Schragel in Fasching/Konecny, ZPG II2 (2003) § 190 ZPO Rz 1; Höllwerth in Fasching/Konecny, ZPG II/33 (2015) § 190 ZPO Rz 72; Leeb, Bescheidwirkung 48 f; zum deutschen Recht zB H. Roth in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung III22 (2005) § 148 Rz 44 mwN; vgl auch VwGH 96/02/0434.

    25) RIS-Justiz RS0114910; Walter, ÖJZ 1996, 610; sym-pathisierend auch Oberhammer, Rechtsgestaltung 82 f; wN bei Leeb, Bescheidwirkung 42 Fn 330; aA zB Thienel/Schulev/Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5, 241. Kei-nen wesensmäßigen Unterschied bedeutet es, dass die Er-zeugung einer Tatbestands- anders als einer Gestaltungs-wirkung nicht das „Ziel“ des Rechtsschutzantrags ist, mag dies auch eine didaktische Differenzierung rechtfer-tigen (zutreffend Oberhammer, Rechtsgestaltung 83).

    26) Leeb, Bescheidwirkung 42 ff.

    verfahren – dort aber als Hauptfrage – anders als ursprünglich vom Zivilgericht gelöst wird (D.II.).

    All diese Fragen sind von der VwG-Novelle wei-testgehend (siehe aber C.I.3.) unberührt geblieben. Anderes gilt hingegen für den Eintritt der Rechts-kraft von Verwaltungs(gerichts)entscheidungen, der zumindest implizit stets als zeitliche Zäsur zwi-schen noch zulässiger Unterbrechung und bereits einsetzender Bindungswirkung herangezogen wird. Die Umwälzung des Rechtsschutzsystems im Ver-waltungsrecht hat nämlich einen Schwall an wis-senschaftlichen Stellungnahmen zum Rechtskraft-begriff ausgelöst, weshalb jüngst eine Stellungnah-me des OGH erforderlich wurde, ob eine außeror-dentliche Revision an den VwGH die Verbindlich-keit einer Entscheidung für den Zivilprozess hemmt. Es ist sohin zu klären, wie lange eine Un-terbrechung gemäß § 190 ZPO zulässig ist bzw an-dauern darf (E.IV.) und ab wann die Gerichte Ver-waltungsentscheidungen als bindend hinnehmen müssen (E.III.). Zu allererst ist jedoch aufzuzeigen, dass die VwG-Novelle sowohl beim Bindungsge-genstand als auch beim Anlass der Aussetzung des Zivilverfahrens – zumindest terminologische – Än-derungen gebracht hat (B.).

    B. (Terminologische) Änderungen aufgrund der VwG-Novelle

    I. Verwaltungsgerichtliches Verfahren als Anlass zur Unterbrechung

    § 190 ZPO erlaubt eine Unterbrechung wie gesagt (A.I.) für den Fall, dass eine präjudizielle Rechts-frage „Gegenstand eines anderen anhängigen ge-richtlichen Verfahrens“ oder in einem „anhängigen Verwaltungsverfahren festzustellen ist“. Ob sich ein verwaltungsgerichtliches Verfahren unter diese termini subsumieren lässt, könnte auf den ersten Blick fraglich sein: Da die Verwaltungsgerichte als Teil der Gerichtsbarkeit anzusehen sind, handelt es sich um kein „Verwaltungsverfahren“. Anderer-seits dürfte mit dem Begriff des „gerichtlichen Ver-fahrens“ ein präjudizielles zivilgerichtliches Ver-fahren gemeint sein, wofür die Wendung „anderen“ spricht. Dennoch ist mE eine Unterbrechung wegen eines anhängigen Verfahrens vor einem VwG un-problematisch.

    Die maßgebende Wendung in § 190 ZPO geht – mit Ausnahme einer Umformulierung im Zuge der Einführung des neuen AußStrG27) – auf die Urfas-sung der ZPO zurück.28) Damals waren allgemeine VwG selbstverständlich noch nicht bekannt. Es wäre daher weder historisch begründet29) noch sachlich gerechtfertigt, wenn nicht alle Verfahrens-stadien sowohl im zivilgerichtlichen als auch im verwaltungsrechtlichen Instanzenzug von § 190 er-

    27) BGBl I 112/2003.28) Eine stilistische Änderung (Materialien zu den ös-

    terreichischen Civilprocessgesetzen II [1897] 314 f) hat die Norm durch den Bericht der Gemeinsamen Konferenz erhalten.

    29) Dem Gesetzgeber der VwG-Novelle 2012 im Hin-blick auf die Nichtanpassung von § 190 ZPO „beredtes Schweigen“ unterstellen zu wollen, erscheint aus der Luft gegriffen.

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    fasst wären und eine Unterbrechung rechtfertigen könnten. Vielmehr ist bei systematisch-teleologi-scher Interpretation davon auszugehen, dass – mit Ausnahme eines Strafverfahrens, für das § 191 ZPO gilt – alle hoheitlichen Erkenntnisverfahren, deren Ergebnisse präjudiziell im Zivilprozess sein kön-nen, potenzieller Unterbrechungsgegenstand nach § 190 ZPO sind. Eine andere, wie gesagt (A.III.) noch zu vertiefende Frage (dazu unten E.) lautet, ob bereits vor Anrufung der VwG oder zumindest der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts30) Rechtskraft iS des § 190 ZPO eintritt und eine Unterbrechung in diesen Verfahrensstadien aus diesem Grund ausge-schlossen wäre.

    II. Gegenstand der Bindung: Bescheide und Er-kenntnisse

    In der bisherigen Diskussion wurde bei der Bin-dung von Gerichten an verwaltungsbehördliche Entscheidungen nur über die Wirkung von Verwal-tungsbescheiden diskutiert. Das leuchtet ein, weil in Verwaltungsangelegenheiten grundsätzlich so-wohl in der ersten als auch zweiten Instanz mittels Bescheid entschieden wurde, während die Ent-scheidungen von VfGH und VwGH über eine Be-scheidbeschwerde zwar schon bislang als „Er-kenntnisse“ bezeichnet wurden, diese aber nicht meritorischen, sondern nur kassatorischen Charak-ter hatten (§ 42 Abs 1 VwGG aF).

    Das hat sich grundlegend geändert, seit erstins-tanzliche (und zugleich letztinstanzliche) Verwal-tungsbescheide nicht mehr mit Berufung, sondern nur noch mit Bescheidbeschwerde an die VwG an-gefochten werden können (Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG) und den VwG im Hinblick auf ihre volle Kogni-tionsbefugnis (§ 28 Abs 2 Z 2 VwGVG) die Kompe-tenz zur reformatorischen Entscheidung einge-räumt wurde (Art 130 Abs 4 B-VG). Nach der ge-setzlichen Konzeption soll die meritorische Ent-scheidung sogar den Regelfall darstellen.31) VwG bedienen sich aber nicht der Entscheidungsform des Bescheids, sondern des Erkenntnisses, sofern eine Sachentscheidung ergeht (§ 28 VwGVG), im Übrigen des Beschlusses (§ 31 VwGVG).32) Wurde gegen einen Bescheid Beschwerde erhoben, tritt ein abänderndes und auch ein bestätigendes Erkennt-nis an dessen Stelle, wie mittlerweile bereits alle

    30) Auch nach der VwG-Novelle können VwGH und VfGH als einzige Gerichtshöfe öffentlichen Rechts be-zeichnet werden.

    31) Eberhard, Das Zusammenspiel von Landesverwal-tungsgerichten und Verwaltungsbehörden, in Büßjäger/Gamper/Ranacher/Sonntag, Die neuen Landesverwal-tungsgerichte. Grundlagen – Organisation – Verfahren (2013) 125 (145); in diesem Sinn auch Pabel, Das Verfah-ren vor den Verwaltungsgerichten, in Fischer/Pabel/N. Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit (2014) 379 (411 Rz 67).

    32) Dazu ErlRV 2009 BlgNR XXIV. GP 7 sowie ausführ-lich Leeb, Das Verfahrensrecht der (allgemeinen) Verwal-tungsgerichte unter Berücksichtigung ihrer Kognitions-befugnis, in Janko/Leeb, Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz (2013) 85 (108 ff); Pabel in Fischer/Pabel/N. Raschauer, Verwaltungsgerichtsbarkeit 410 Rz 66 ff.

    drei Höchstgerichte entgegen Teilen der Lehre33) entschieden haben.34) Mit anderen Worten: es er-setzt den Bescheid. Da gegen ein solches Erkennt-nis Revision an den VwGH erhoben werden kann und diese an das Revisionssystem der ZPO angegli-chen wurde, kann nunmehr sogar der VwGH in ähnlicher Weise in der Sache selbst entscheiden (§ 42 Abs 1 VwGG) und damit wiederum das Er-kenntnis des VwG ersetzen.35)

    Im Ergebnis kann also entweder ein Erkenntnis eines (Landes-/Bundes-)VwG oder sogar ein sol-ches des VwGH funktional an die Stelle eines Be-scheids treten, sodass in Zukunft alle diese Ent-scheidungsformen möglicher Gegenstand einer Bindung im Zivilprozess sein können.36) Wird ein Bescheid oder Erkenntnis nur teilweise angefoch-ten und dementsprechend wegen der eingetretenen Teilrechtskraft bloß insoweit abgeändert (vgl nur § 27 VwGVG), koexistieren Bescheid und Erkennt-nis des VwG bzw VwGH sogar und entfalten ihre verbindliche Wirkung wohl einander ergänzend.37) Ein sachlich richtiger und auch sprachlich an-nehmbarer Oberbegriff für diese Entscheidungs-formen ist freilich nicht einfach zu finden. Man möge es daher verzeihen, dass schon bisher und in weiterer Folge von den Wortungetümern „Verwal-tungs(gerichts)entscheidungen“ oder „Entschei-dungen im VwRZ“ die Rede ist und die Verwal-tungsbehörden und -gerichte zusammen bisweilen als „Verwaltungsvollziehungsorgane“ bezeichnet werden.

    C. Ausgestaltung der Bindungswirkung

    I. Voraussetzungen der Bindung

    1. Keine Ausnahme für „absolut nichtige Beschei-de/Erkenntnisse“

    Die stRsp anerkennt wie gesagt zu Recht (A.) die grundsätzliche Bindungswirkung verwaltungsbe-

    33) So Hauer, Die neue Funktion der Gemeindeaufsicht, in Kommunalwissenschaftliche Gesellschaft, Verwal-tungsreform – Verwaltungsgerichtsbarkeit (2014) 61 (69 f); Stolzlechner, Zur Rechtswirkung von Erkenntnis-sen der VwG auf bekämpfte Bescheide – dargestellt an-hand der Interpretation des § 359c GewO, ZVG 2014, 640 (646 f); Ranacher, Amtswegige Aufhebung und Abände-rung von Bescheiden neben und nach dem verwaltungs-gerichtlichen Beschwerdeverfahren, ZfV 2015, 15 (23); tendenziell auch Herbst, Die Rechtswirkungen des erstin-stanzlichen verwaltungsgerichtlichen Urteils im fortge-setzten Verfahren, in Holoubek/Lang, Verwaltungsge-richtsbarkeit erster Instanz (2013) 239 (246 f).

    34) VfGH E 1286/2014; VwGH 2015/03/0032; OGH 1 Ob 127/15f; aus der Lehre ebenso Leeb in Janko/Leeb, Ver-waltungsgerichtsbarkeit 85 (111); Germann, Das Verfah-ren vor den Landesverwaltungsgerichten – das VwGVG aus der Perspektive der Vorgaben des B-VG, in Büßjäger/Gamper/Ranacher/Sonntag, Landesverwaltungsgerichte 149 (164 f); Schiffkorn, „Rechtskraft“ nach dem System der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, ZVG 2014, 628 (636).

    35) Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts2 (2013) Rz 475.

    36) Vgl zutreffend OGH 1 Ob 127/15f.37) Vgl insoweit zutreffend Schmoll, Die Wiederauf-

    nahme des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens, ÖJZ 2014, 101 (106); Ranacher, ZfV 2015, 22 ff.

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    hördlicher Entscheidungen, schränkt diese aller-dings gerade in älteren Judikaten insoweit ein, als die Entscheidung nicht „absolut nichtig“ sein dür-fe.38) Eine solche Nichtigkeit nimmt der OGH wohl in Anlehnung an Schell39) an, wenn die entschei-dende Behörde offenkundig unzuständig war, ihren Wirkungskreis überschritten hat oder der Verwal-tungsakt sonst offenkundig unzulässig war.40) An diesen Kriterien ist zunächst zu kritisieren, dass sie klare Konturen vermissen lassen und ein Gericht bei deren Anwendung eine Bindung fast immer ausschließen können wird, wenn es von der inhalt-lichen Unrichtigkeit der verwaltungsbehördlichen Entscheidung ausgeht; das mag zwar höhere Ein-zelfallgerechtigkeit gewährleisten, konterkariert aber die eigentliche Funktion einer Bindungswir-kung. Noch schwerer wiegt es, dass keine gesetzli-che Grundlage für diese Einschränkungen ersicht-lich ist. Die Verwaltungsrechtslehre lässt die Wir-kungen eines Bescheids, und ähnliches wird nun-mehr für ein VwG-Erkenntnis gelten, nämlich nur bei derart gravierenden Fehlern entfallen, dass bis-weilen sogar von einem „Nicht-Bescheid“ gespro-chen wird (siehe auch § 68 AVG).41) Das ist etwa der Fall, wenn der Bescheid von einem „Nichtorgan-walter“ (anschaulich: Putzkraft, Hausmeister) aus-gestellt wird oder sonst nicht ordnungsgemäß un-terschrieben ist, es keinen Spruch gibt42) oder sogar der Adressat fehlt etc.43) Im Übrigen ist die Kreati-on des „absolut nichtigen Bescheids“ iS des Ver-ständnisses des OGH indessen als gesetzesfremd abzulehnen.

    Zuzustimmen ist vielmehr jener mittlerweile überwiegenden Ansicht im Schrifttum, welche die Bindungswirkung – vorbehaltlich eines „echten Nicht-Bescheids“ – uneingeschränkt bejaht.44) An-deres ist entgegen einer Literaturmeinung45) auch nicht zu rechtfertigen, wenn eine Verwaltungsbe-hörde den Bescheid selbst gemäß § 68 AVG wieder aufheben kann oder bei der Bescheiderlassung – angeblich – eine gerichtliche Zuständigkeit in An-

    38) OGH 1044/27 = SZ 10/51; 1 Ob 308/50 = SZ 23/176; 1 Ob 767/80; 9 ObA 117/91; 8 Ob 632/91; 10 ObS 25/01a und viele mehr.

    39) JBl 1925, 218.40) OGH 3 Ob 532/83; 6 Ob 584/89; 4 Ob 599/88; 5 Ob

    220/08a; 10 Ob 15/08s; RIS-Justiz RS0037078.41) Statt vieler Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwal-

    tungsverfahrensrecht10 Rz 436, 440, 451.42) Mangels eines solchen hätte wohl auch der Fall in

    OGH 2 Ob 238/57 = JBl 1957, 565, in dem die Bindung an eine lediglich faktische Beschlagnahme durch die Wehr-macht in Frage stand, bedenkenlos gelöst werden können.

    43) Ausführlich in diesem Zusammenhang jüngst Höll-werth in Fasching/Konecny, ZPG II/33 § 190 ZPO Rz 34 ff; allgemein zB Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungs-verfahrensrecht10 Rz 440; Hengstschläger/Leeb, AVG2 § 56 Rz 6 ff je mwN.

    44) H. Schima, ÖJZ 1955, 526; Neuwirth in Fasching, ZPG II1 912; Walter, ÖJZ 1996, 605 ff; Spitzer, ÖJZ 2003, 57; Höllwerth in Fasching/Konecny, ZPG II/33 § 190 ZPO Rz 34 ff.

    45) W. Kralik, Die Bindung der Gerichte an Entschei-dungen der Verwaltungsbehörden, JBl 1975, 309 (310); Rechberger/Simotta, Grundriss des österreichischen Zi-vilprozessrechts Erkenntnisverfahren8 (2010) Rz 901.

    spruch genommen wurde.46) Man kann dementspre-chend hoffen, dass es als „beredtes Schweigen“ aufzufassen ist, wenn der 1. Senat des OGH in der erwähnten, ersten Entscheidung nach der VwG-Novelle 2012 die soeben skizzierten Kriterien eines absolut nichtigen Bescheid gar nicht mehr erwähnt, mögen sie auch konkret ohnehin keine Rolle ge-spielt haben.47) Auch der 5. Senat hat bereits 2001 die Schranke der absoluten Nichtigkeit entspre-chend der hier vertretenen Auffassung nur mehr dahingehend verstanden, dass „in Wahrheit also gar kein Bescheid existiert“.48)

    2. Keine Ausnahme für Feststellungsbescheide/ -erkenntnisse

    Das Wesen der normativen Verbindlichkeit als dogmatisches Fundament der Bindungswirkung verkennen ferner – soweit ersichtlich – drei höchst-richterliche Entscheidungen,49) die eine solche ei-nem Feststellungsbescheid mangels rechtsgestal-tender Wirkung absprechen. Dies entspricht im Ergebnis der bereits erwähnten Ansicht von Fa-sching (oben A.II.).

    Analysiert man diese Entscheidungen, wäre diese Einschränkung freilich gar nicht „notwendig“ ge-wesen, um zu den offenbar als sachgerecht empfun-denen Ergebnissen zu gelangen: So wurde die Wen-dung in 4 Ob 261/05v überhaupt nur als obiter dic-tum gebraucht. In 4 Ob 209/03v wurde damit die Bindung an die Erklärung in einem Baubescheid verneint, dass gewisse Emissionsschwellenwerte nicht überschritten wurden. Auch wenn dem wie-dergegebenen Sachverhalt wenig zu entnehmen ist, hätte dies vermutlich einfach damit begründet wer-den können, dass es sich bei dieser „Feststellung“ nur um eine Vorfrage für den allein bindenden Spruch (dazu unten C.II.1.), nämlich die Erteilung der Baubewilligung, gehandelt hat. Eine vom Lan-deshauptmann in 6 Ob 218/01d bescheidmäßig ge-troffene Feststellung, dass für eine Verwendung von Pistenraupe und Schidoo die Zustimmung des Grundeigentümers erforderlich sei, wäre dagegen möglicherweise50) – der wiedergegebene Sachver-halt ist insoweit ebenfalls nicht ausführlich genug – bindend gewesen. Am Ausgang des Prozesses hät-te sich dennoch nichts geändert, weil dieser Be-scheid erst nach rechtskräftiger Entscheidung der Abweisung einer Unterlassungsklage dieses Grund-eigentümers erlassen wurde; das Zivilgericht hatte die Vorfrage also selbst zu einem Zeitpunkt gelöst, als der Bescheid noch gar nicht existierte und des-halb keine Bindungswirkung entfalten konnte. Dass eine nachträglich abweichende Beurteilung der Vorfrage durch die Verwaltungsbehörde aber weder eine Wiederaufnahme legitimiert noch als novum productum einen neuen Streitgegenstand schafft (vgl oben A.II.) – insofern kam der fehlen-

    46) Zutreffend Spitzer, ÖJZ 2003, 58.47) OGH 1 Ob 127/15f.48) OGH 5 Ob 117/01; richtig auch bereits OGH 4 Ob

    609/30 = SZ 13/81.49) OGH 6 Ob 218/01d; 4 Ob 209/03v; 4 Ob 261/05v.50) Fraglich ist insbesondere, ob beide Parteien in dem

    diesem Bescheid zugrundeliegenden Verfahren rechtli-ches Gehör hatten (siehe unten C.I.4.).

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    den Gestaltungswirkung des Bescheids tatsächlich Bedeutung zu –, wird noch zu zeigen sein (unten D.II.). Im Ergebnis wurde die zweite Unterlas-sungsklage wegen res iudicata jedenfalls zu Recht zurückgewiesen.

    Es bleibt also dabei: Auch Feststellungsbescheide binden die Gerichte, die gegenteilige Rsp sollte auf-gegeben werden. Bezeichnenderweise stellt schon der Wortlaut des § 190 ZPO dementsprechend dar-auf ab, dass das präjudizielle Rechtsverhältnis im Verwaltungsverfahren „festzustellen“ ist. Auch in der verwaltungsrechtlichen Rsp und Lehre besteht kein Zweifel, dass gerade Feststellungsbescheide Bindungswirkung entfalten.51)

    3. Tribunalqualität der erkennenden Behörde

    Eine andere Begrenzung der Bindungswirkung hat sich mit der VwG-Novelle 2012 erfreulicher-weise erübrigt: Bislang war herrschend, dass eine Bindung der Zivilgerichte verfassungswidrig ist, wenn Gegenstand der Vorfrage ein civil right iS des Art 6 EMRK war und darüber kein Tribunal ent-schieden hat.52) Da Art 6 EMRK verlangt, dass bei einem zivilrechtlichen Anspruch über sämtliche Tat- und Rechtsfragen ein solches Tribunal ent-scheiden muss,53) war mE sogar eine Bindung des Zivilrichters an die Entscheidung öffentlich-recht-licher Vorfragen durch ein Nicht-Tribunal gravie-renden verfassungsrechtlichen Bedenken unter-worfen.54) Die Möglichkeit einer Bescheidbe-schwerde an den VwGH konnte diese Bedenken wegen seiner unzureichenden Kognitionsbefugnis nicht zerstreuen. Mit der seit der VwG-Novelle 2012 stets bestehenden Möglichkeit der Anrufung der VwG mit voller Kognitionsbefugnis (§ 28 Abs 2 Z 2 VwGVG) hat sich diese Problematik aber nun-mehr wie gesagt erledigt.55)

    4. Subjektive Voraussetzung: Parteistellung oder parteigleiche Partizipationsrechte

    a) Unter dem Schlagwort der „subjektiven Gren-zen der Rechtskraft“ verbirgt sich eine weitere Voraussetzung für die Bindungswirkung, indem die Parteien des Zivilprozesses, in dem die verwal-tungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidung bin-den soll, im vorangegangenen Verwaltungs(gerichts).

    51) Ausführlich Leeb, Bescheidwirkungen 35 ff mwN. Auf den ersten Blick problematisch könnte hingegen die vom VwGH bisweilen postulierte Beschränkung auf „rechtsfeststellende und -gestaltende Bescheide“ für Leistungsbescheide sein. Auch insoweit bestehen in der Sache aber keine durchgreifenden Bedenken (siehe Leeb, aaO 37 f).

    52) Walter, ÖJZ 1996, 609 f; Spitzer, ÖJZ 2003, 55 f; Schragel in Fasching/Konecny, ZPG II/22 § 190 ZPO Rz 3; zweifelnd Thienel/Schulev/Steindl, Verwaltungsverfah-rensrecht5 236.

    53) EGMR 17.12.1996, 49/1995/555/641 (Terra Wonin-gen BV/Niederlande) = EvBl-EMRK 1998/3; 28.04.2005, 43578/98 (I.D./Bulgarien).

    54) Zutreffend Oberhammer, Kollektiver Rechtsschutz bei Anlegerklagen, Gutachten zum 19. ÖJT (2015) 73 (101 mwN); aA Spitzer, ÖJZ 2003, 55 f.

    55) Ebenso Höllwerth in Fasching/Konecny, ZPG II/33 § 190 ZPO Rz 12.

    verfahren eine gewisse „Rechtsstellung“ gehabt ha-ben mussten. Schon in der Verwaltungsrechtslehre steht im Grundsatz außer Frage, dass nur die Par-teien eines Verfahrens an den daraus resultieren-den Bescheid gebunden werden.56) Eine Bindung gegenüber nicht verfahrensbeteiligten Dritten wird allerdings bei sogenannten „dinglichen Beschei-den“ angenommen,57) die gegenüber jedem wirken, der an der betroffenen Sache gewisse Rechte er-wirbt. Insbesondere sind davon Rechtsnachfolger betroffen, was zum Teil auch ausdrücklich ange-ordnet wird (§ 80 Abs 5 GewO; § 60 Abs 3 WRG).

    Unabhängig von diesen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen kann ein Verwaltungsbescheid im Zi-vilprozess nach zutreffender hL58) prinzipiell nur solchen Personen gegenüber Bindungswirkung ent-falten, denen rechtliches Gehör gewährt wurde und nur soweit dies geschehen ist. Zu begründen ist diese – möglicherweise59) über die Bindung anderer Verwaltungsbehörden/-gerichte hinausgehende – Beschränkung des gebundenen Personenkreises da-mit, dass im Zivilprozess zwangsläufig civil rights iS des Art 6 EMRK betroffen sind60) und daher die Garantien eines fairen Verfahrens uneingeschränkt gewährleistet sein müssen. Da ein fair trial iS des Art 6 EMRK rechtliches Gehör der Parteien vor-aussetzt, eine Bindung dieses aber per definitionem ausschließt (dazu noch ausführlich unten C.IV.2.), verlangt eine verfassungskonforme Interpretati-on61) grundsätzlich eine Begrenzung der Bindung auf solche Personen, die ihren Standpunkt zumin-dest im Vorprozess effektiv vertreten konnten.62) Eine Bindung zulasten eines „Unbeteiligten“ wäre lediglich dann unbedenklich, wenn ihm das Ergeb-nis des Vorprozesses ausschließlich zum Vorteil ge-reicht, wie dies bei einer strafrechtlichen Verurtei-lung seines Prozessgegners der Fall ist (siehe noch unten C.I.5.).63)

    Es ist folglich mehr als problematisch, nach F. Bydlinski64) sogar ein „rechtsstaatliches Trauer-

    56) VwGH 2006/03/0151; Thienel/Schulev/Steindl, Ver-waltungsverfahrensrecht5 237; Eberhard/Lachmayr in Holoubek/Lang, Rechtskraft 109 f; Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 Rz 485; ausführ-lich Leeb, Bescheidwirkungen 123 ff mwN.

    57) VwGH 98/07/0078; 2006/03/0151; Thienel/Schulev/Steindl, Verwaltungsverfahrensrecht5 237 und viele an-dere.

    58) Walter, RZ 1999, 61; Spitzer, ÖJZ 2003, 52 f; Rech-berger/Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 901; Fucik in Rech-berger, ZPO4 (2014) § 190 Rz 5.

    59) Zum Verwaltungsverfahren werden gegen eine Bin-dungswirkung erga omnes ebenfalls verfassungsrechtli-che Bedenken geäußert, auch im Hinblick auf die Wah-rung effektiven Rechtsschutzes, so Leeb, Bescheidwir-kungen 193; Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsver-fahrensrecht10 Rz 489.

    60) Spitzer, ÖJZ 2003, 55 bei und in Fn 124.61) Die EMRK steht in Österreich bekanntlich im Ver-

    fassungsrang (BGBl 59/1964 Art II Z 7).62) RIS-Justiz RS0074953, zB OGH 1 Ob 694/89; 3 Ob

    185/94; im Ergebnis bereits Walter, JBl 1963, 349 ff; der-selbe in FS H. Schmitz I 459; zur Bindung an andere Zivil urteile ebenso OGH 1 Ob 694/89; 1 Ob 380/97g; RIS-Justiz RS0074953.

    63) Vgl VfGH G 73/89.64) Anmerkung zu OGH 2 Ob 92/70, JBl 1971, 249.

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    spiel“, wenn der OGH zumindest in älteren Ent-scheidungen eine Bindung an Verwaltungsbeschei-de undifferenziert auch gegenüber solchen Perso-nen bejaht hat, die im Verwaltungsverfahren keine Parteistellung hatten.65) Die Bindung „Unbeteilig-ter“ lässt sich nämlich entgegen wohl noch immer hA66) auch nicht pauschal unter Hinweis auf eine angebliche67) Erga-omnes-Wirkung einer Tatbe-stands-68) oder Gestaltungswirkung begründen. Denn für Art 6 EMRK ist es bei gebotener funktio-naler Betrachtungsweise gleichgültig, auf welcher dogmatischen Grundlage der Ausschluss des recht-lichen Gehörs basiert.69) Selbst eine (einfach-)ge-setzliche Rechtskrafterstreckung muss sich dem-nach an der Verfassungsbestimmung des Art 6 EMRK messen lassen. Der OGH erkennt diese Auf-fassung in neuerer Rsp freilich ohnehin zunehmend an: Vorbildlich ist etwa die Ansicht, dass die Ge-nehmigung einer Betriebsanlage70) oder einer „Zivilflugplatzbewilligung“71) gegenüber demjeni-gen Nachbarn nicht zwingend als „behördlich ge-nehmigte Anlage“ iS des § 364a ABGB anzusehen ist, der dem Verwaltungsverfahren nicht beigezo-gen wurde.72)

    b) Auch in der älteren Auffassung einer Erga-om-nes-Wirkung von Entscheidungen mit Tatbestands- und Gestaltungswirkung dürfte freilich ein Keim Wahrheit stecken, weil es doch zweifelhaft ist, ob die Bindung einer Person an die Feststellung ver-einzelter Tatbestandsmerkmale aus einem ihr „fremden“ Verfahren wirklich immer und absolut unzulässig ist. Noch nicht ausreichend erforscht er-scheint mir diesbezüglich die exakte „Reichweite“

    65) OGH 5 Ob 31/67 = SZ 40/101; 4 Ob 45/95; 4 Ob 192/06y; RIS-Justiz RS0036865.

    66) RIS-Justiz RS0114910; OGH 10 ObS 25/01a; 4 Ob 192/06y; 9 Ob 83/10m; 10 ObS 23/11x; 7 Ob 55/12g; 6 Ob 42/12p; 9 Ob 27/15h; Höllwerth in Fasching/Konecny, ZPG II/33 § 190 ZPO Rz 40, 46 ff; Sperl, Lehrbuch 833 f; Ballon, Zivilprozessrecht12 Rz 292; jüngst auch B. Schnei-der, Anmerkung zu OGH 2 Ob 71/15b, ÖJZ 2016, 80; vgl bereits A. Ehrenzweig, System des österreichischen allge-meinen Privatrechts I/12 (1951) 351; nicht ausreichend differenziert auch noch Trenker/Demetz, Schiedsfähig-keit von Beschlussmängelstreitigkeiten in der GmbH, wbl 2013, 1 (12).

    67) Zur Entwicklung dieses Dogmas ausführlich Ober-hammer, Rechtsgestaltung 18 ff.

    68) Anerkennt man, dass auch die Tatbestandswirkung gewissen Grenzen unterliegen kann, bietet es sich an, die-se fortan so zu umschreiben, dass eine hoheitliche Ent-scheidung zwar notwendige, aber nicht unbedingt hinrei-chende Voraussetzung der Verwirklichung des jeweiligen Tatbestandsmerkmals ist.

    69) Zutreffend OGH 1 Ob 694/89; 4 Ob 151/15g; Musger, Verfahrensrechtliche Bindungswirkung und Art 6 EMRK, JBl 1991, 420 (insbesondere 428); Oberhammer, Rechtsge-staltung 82 ff; Rechberger/Oberhammer, Das Recht auf Mitwirkung im österreichischen Zivilverfahren im Lichte von Art 6 EMRK, ZZP 106 (1993) 347 (360); im Ergebnis auch OGH 4 Ob 47/99m.

    70) OGH 8 Ob 95/11w.71) OGH 8 Ob 128/09w mit ausführlicher Darstellung

    des Meinungsstands.72) Siehe nur RIS-Justiz RS0117838; RS0126291; in

    diesem Sinn bereits OGH 4 Ob 619/74; RIS-Justiz RS0010682; siehe auch Fn 62.

    von Art 6 EMRK. Dieses „monographiebedürftige“ Problem kann selbstverständlich an dieser Stelle nicht annähernd aussagekräftig gelöst werden, er-laubt sei aber folgender Gedanke: Besonders im Kontext verwaltungsrechtlicher Materien73) ist als Lösungsausweg anzudenken, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art 6 EMRK iS eines ungeschriebenen materiellen Gesetzesvorbehalts zugunsten öffentlicher Interessen oder zum Schutz anderer Grundrechtspositionen, inklusive der Ein-haltung der Garantien von Art 6 EMRK zugunsten des Prozessgegners, beschränkt werden kann.74)

    Im Ergebnis davon gar nicht so verschieden ha-ben VfGH75) und OGH76) zB die Bindung des Ar-beitgebers an die Entscheidung über die Behinder-tenstellung des Arbeitnehmers, die ohne Beteili-gung des Arbeitgebers getroffen wird, auch durch eine Interessenabwägung gerechtfertigt; formal wurde letztlich jedoch mit dem „Totschlagargu-ment“ operiert, dass es sich bei einer solchen Status entscheidung aus Sicht des Arbeitgebers eben nicht um „seine Sache“ handle.77) Einen ähn-lichen Weg geht der EGMR, indem er einen Aus-schluss des rechtlichen Gehörs für zulässig erach-tet, wenn eine Vorfragenentscheidung nur „remote consequences“ für eine Person habe.78) Da weder das Kriterium, wann eine Sache aus Sicht eines Be-troffenen „seine“ ist, noch der Begriff der „remote consequences“ klare Konturen und sachliche Ab-grenzungen ermöglichen, ist es methodisch über-zeugender, sich von vornherein zu einer Abwägung der jeweils betroffenen öffentlichen und privaten Interessen zu bekennen, wobei diesfalls selbstver-

    73) Bei zivilrechtlichen Vorfragen wird bisweilen zu-dem mit guten Gründen angedacht, eine Bindung ohne rechtliches Gehör dann zu erlauben, wenn der gebundene Dritte auch eine privatautonome Disposition der Parteien des Vorprozesses hinnehmen müsste (so zB Schlosser, Ge-staltungsklagen und Gestaltungsurteile [1966] 182 f; vgl auch noch Oberhammer, Das Auftragsverfahren in Be-standstreitigkeiten [1992] 182 ff; aA derselbe, Rechtsge-staltung 60 ff; derselbe, Die OHG im Zivilprozeß [1998] 60 f, 104, 346). Diese Auffassung ist nicht mit der abzu-lehnenden Lehre von der Rechtskrafterstreckung kraft zivilrechtlicher Abhängigkeit zu verwechseln, bei der eine Bindung nicht nur für vereinbar mit dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs gehalten wird, sondern ex lege eintreten soll (so A. Blomeyer, Rechtskrafterstreckung infolge zivilrechtlicher Abhängigkeit, ZZP 75 [1962] 1; Schwab, Rechtskrafterstreckung auf Dritte und Drittwir-kung der Rechtskraft, ZZP 77 [1964] 124 [132 ff]).

    74) So Kerschner, Art 6 EMRK und Zivilrecht, JBl 1999, 689 (699 f); in diesem Sinn auch Fasching, Buchbespre-chung zu Rechberger, Kommentar zur ZPO, ZZP 109 (1996) 529 (532); ähnlich derselbe, Rechtliches Gehör und Rationalisierung des zivilgerichtlichen Verfahrens, in Heldrich/Uchida, FS Nakamura (1996) 117 (122 ff); vgl auch Musger, JBl 1991, 423 ff; Puschner, Konkurs und Europäische Menschenrechtskonvention (2000) 88; aA Oberhammer, Rechtsgestaltung 60 ff.

    75) VfGH B 639/87.76) OGH 9 ObA 104/98d; 9 ObA 86/06x und andere

    mehr; RIS-Justiz RS0110351.77) VfGH B 639/87; so auch jüngst OGH 2 Ob 71/15b in

    mE durchaus problematischer Weise. 78) EGMR 06.04.2000, 27644/95 (Greenpeace/Schweiz)

    = EvBl-EMRK 2001/10, 317 mwN.

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    ständlich auch die Intensität des Eingriffs in die Rechtssphäre der jeweiligen Parteien des Zivilpro-zesses berücksichtigt werden kann. Dadurch wird die Entscheidungsfindung letztlich transparenter und besser überprüfbar. Egal welcher dogmati-schen Lösung man aber den Vorzug gibt, darf da-durch kein „Persilschein“ für eine undifferenzierte Bindung zulasten unbeteiligter „Dritter“ eröffnet werden, will man nicht den Wesensgehalt von Art 6 EMRK aushöhlen.

    5. Sonderfall: Verwaltungsstrafbescheid/-erkennt-nis

    a) Spannend ist schließlich, ob ein rechtskräftiger/s Verwaltungsstrafbescheid/-erkenntnis die Zivilge-richte zu binden vermag. Im Spruch und nicht nur in der Begründung eines Verwaltungsstrafbe-scheids wird gemäß § 44a VStG bindend festge-stellt, dass und welche Tat der Bescheidadressat schuldhaft (§ 5 VStG) begangen hat. Wäre diese Entscheidung bindend, könnte der Bestrafte in ei-nem zivilrechtlichen (Schadenersatz-)Prozess sohin nicht mehr behaupten, die Tat nicht begangen zu haben. Auch dass er rechtswidrig oder schuldhaft gehandelt hat, wäre wohl unumstößlich festgestellt. Praxisrelevant könnte dies etwa bei einer Verwal-tungsstrafe (§ 48 Abs 1 Z 2 BörseG) wegen Versto-ßes gegen eine Ad-hoc-Meldepflicht werden, weil § 48d BörseG von der hM als Schutzgesetz nach § 1311 ABGB eingestuft wird.79) Dessen Verletzung wird daher in aller Regel80) Grundvoraussetzung für den Ersatz reiner Vermögensschäden der ge-schädigten Anleger sein. Vorweg ist noch klarzu-stellen, dass eine Bindung allenfalls zulasten des Bestraften in Betracht kommt. Währenddessen wäre eine Bindung an einen ausnahmsweise ergan-genen (§ 45 Abs 2 VStG) „Einstellungsbescheid“ mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör des am Verwaltungsstrafverfahren unbeteiligten, späteren Zivilprozessgegners unvereinbar (vgl schon oben C.I.4. bei und in Fn 63). Aus diesem Grund hob der VfGH bekanntlich auch den früheren § 268 ZPO aF zur Bindung der Gerichte an Urteile von Strafge-richten als verfassungswidrig auf. Denn die Norm differenzierte nicht zwischen verurteilenden und freisprechenden Entscheidungen.81)

    Freilich hat diese Aufhebung die Rsp nicht davon abgehalten, ausgehend von einer Grundsatzent-scheidung eines verstärkten Senats82) eine Bindung des gerichtlich verurteilten Straftäters in einem nachfolgenden Zivilprozess gegenüber „jeder-mann“ anzunehmen.83) In 9 ObA 80/03k hat der

    79) OGH 6 Ob 28/12d; 8 Ob 104/12w; 9 Ob 26/14k.80) An einer vertraglichen oder sonstigen Sonderrechts-

    beziehung, wie sie für einen Ersatz reiner Vermögens-schäden erforderlich ist (siehe nur RIS-Justiz RS0022813, zB OGH 1 Ob 601/92; Koziol, Österreichisches Haft-pflichtrecht I3 [1997] Rz 4/36), zwischen den typischen Geschädigten und den Meldepflichtigen wird es in der Regel nämlich fehlen.

    81) VfGH G 73/89. 82) 1 Ob 612/95 (verstärkter Senat).83) RIS-Justiz RS0074219; RS0101126; OGH 5 Ob

    2339/96y; 8 Ob 69/08t; 2 Ob 46/10v; 8 Ob 89/15v und vie-le mehr.

    OGH allerdings klargestellt, dass diese Judikatur auf die hier interessierenden Entscheidungen von Verwaltungs- oder Disziplinarbehörden nicht übertragbar sei.84)

    b) Es bleibt dennoch zu prüfen, ob eine Verwal-tungsstrafentscheidung nicht in ihrer Eigenschaft als Bescheid/Erkenntnis vergleichbare85) Bin-dungswirkung entfaltet. Auch Fasching/Klicka86) meinen, dass Verwaltungsstrafbescheide in glei-cher Weise binden wie sonstige verwaltungsbe-hördliche Entscheidungen. Auch der OGH dürfte in der erwähnten Entscheidung von einer prinzipiel-len Bindung ausgegangen sein, hat sie aber konkret deshalb verneint, weil das relevante Verschulden im Verwaltungsstrafverfahren nur vom öffentlich-rechtlichen Standpunkt aus beurteilt worden sei. Obwohl unterschiedliche Verschuldensbegriffe prinzipiell denkbar sind (vgl zur Relativität der Rechtsbegriffe noch unten C.II.2.),87) überzeugt die-se Begründung in dieser Allgemeinheit nicht. An-dernfalls könnte selbst eine Verurteilung im ge-richtlichen Strafverfahren keine Bindung mehr entfalten, weil es darin ebenfalls um öffentlich-rechtliche Belange geht. Auch die speziell im Ver-waltungsstrafverfahren angeordnete „Vermutung fahrlässigen Verhaltens bei Ungehorsamsdelik-ten“88) gemäß § 5 Abs 1 VStG steht einer Bindungs-wirkung wohl nicht entgegen. Denn sie drückt für schlichte Tätigkeitsdelikte nichts anderes wie § 1297 ABGB für alle deliktischen Schadenersatz-ansprüche aus, nämlich dass der objektive Sorg-faltsverstoß zugleich subjektive Sorgfaltswidrig-keit indiziert.89)

    c) Dennoch verbleibt gerade aus praktischer Sicht ein gewisses Unbehagen gegen eine Bindung, weil Beschuldigte dem Vernehmen nach eine Ver-waltungsstrafe oftmals hinnehmen, ohne dass sie alle Verteidigungsmittel ausschöpfen. Verwal-tungsstrafen sind häufig gering, auch die „gesell-schaftliche Brandmarkung“ ist anders als bei einer gerichtlichen Strafe typischerweise marginal. Mög-liche zivilrechtliche Auswirkungen, die bei einer Bindung in Schadenersatzprozessen aber wie ge-zeigt sehr weitreichend sein können, dürften dage-gen kaum bedacht werden (mag für all das § 48d

    84) So bereits H. Schima, Die österreichische Zivilpro-zeßordnung im Lichte neuerer Prozeßtheorie, FS zur Fünfzigjahrfeier der österreichischen Zivilprozessord-nung (1948) 250 (277); vgl ebenso Mann, Zivilrechtliche Ersatzansprüche nach strafrechtlicher Verurteilung, Zak 2016, 47 (48).

    85) Die Reichweite der bindenden Wirkung von Urtei-len der Strafgerichte wird allerdings von vornherein auf alle notwendigen Tatsachen (zB eine Alkoholisierung [OGH 7 Ob 310/99k]) und ihre rechtliche Beurteilung ausgedehnt (OGH 6 Ob 265/00i; 6 Ob 14/01d; 7 Ob 180/02z; RIS-Justiz RS0074219 Beisatz T 15).

    86) In Fasching/Konecny, ZPG III2 § 411 ZPO Rz 31.87) Vielleicht meinte der OGH auch nur, dass die ver-

    waltungsbehördliche Verurteilung in casu ohnehin mit der angenommenen entschuldbaren Fehlleistung iS des § 2 OrgHG als „culpa levissima“ vereinbar war.

    88) Lewisch in Lewisch/Fister/Weilguni, Verwaltungs-strafgesetz 1991 (2013) § 5 Rz 5 ff.

    89) Statt vieler Reischauer in Rummel, ABGB II/13 (2007) § 1297 Rz 1.

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    BörseG auch kein besonders gutes Beispiel sein). Es besteht deshalb Grund zur Annahme, jedenfalls aber die Gefahr, dass sich Beschuldigte in einem Verwaltungsverfahren der mit einer Verurteilung – gesetzt man anerkennt eine Bindungswirkung – einhergehenden, gravierenden zivilrechtlichen Fol-gen typischerweise nicht bewusst wären.

    Der damit anklingende Gedanke, dass es für die Parteien vorhersehbar sein muss, welche Auswir-kung eine Entscheidung für deren zukünftige Rechtsverhältnisse hat, ist keineswegs nur eine praktische Erwägung ohne rechtsdogmatische Re-levanz. Denn diese Überlegung war das tragende Argument dafür, dass von einem Zivilurteil nur die Entscheidung in der Hauptsache Bindungswirkung entfaltet (dazu noch C.II.). Das beweist eindeutig die Diskussion zur deutschen ZPO: Die im Interesse der „Entscheidungsharmonie“ gelegene Auffas-sung Savignys,90) wonach sämtliche Entschei-dungselemente in Rechtskraft erwachsen, wurde letztlich abgelehnt, weil es für untragbar erachtet wurde, wenn die Lösung einer Vorfrage plötzlich Rechtsfolgen erzeugen würde, die von den Parteien nicht intendiert oder nicht einmal vorhergesehen wurden.91) Die daraufhin etablierte Praxis sollte anschließend auch im Zuge der Einführung der österreichischen ZPO Geltung behalten,92) weshalb § 322 dZPO als Vorbildbestimmung für § 411 ZPO bezeichnet werden kann.93)

    Henckel94) hat ausgehend von dieser Wertung des historischen Gesetzgebers sogar vorgeschlagen, die Bindungswirkung eines Zivilurteils bei einem völ-lig unterschiedlichen wirtschaftlichen Streitwert von Haupt- und Parallelprozess zu verneinen. Zwar mag diese Auffassung für die (explizit geregelte) Bindungswirkung von Zivilurteilen zu Recht auf Kritik gestoßen sein, weil sie den Interessen des ob-siegenden Prozessgegners nicht ausreichend Rech-nung trägt und zu kaum bewältigbaren Abgren-zungsproblemen führt.95) Für das Verwaltungs-strafverfahren verdient sie indes viel eher Beach-tung, zumal eine pauschale Anwendung auf das Verwaltungsstrafverfahren der Rechtssicherheit nicht abträglich ist und daran nur der Beschuldigte beteiligt ist. Anders als zB bei einem Nachbarn im Bauverfahren, dessen Einwendungen den ableh-nenden Baubescheid bewirkt haben mögen, ist kein vergleichbares Vertrauen des zukünftigen Prozess-gegners auf die Bindung an das Ergebnis eines Ver-waltungsstrafverfahrens anzuerkennen, in dem er keine Partei- oder funktional vergleichbare Stel-

    90) System des heutigen Römischen Rechts VI (1847) 350 ff, 439 ff.

    91) Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Jus-tizgesetzen II/1 (1881) 290 ff, 608 ff, mit zwei anschauli-chen Beispielen.

    92) Materialien zur ZPO I 335 f.93) Oberhammer, Objektive Grenzen der Rechtskraft:

    Bindung und Präklusion, JBl 2000, 205 (212).94) Prozessrecht und materielles Recht (1970) 171 ff; vgl

    auch OGH 4 Ob 574/94; RIS-Justiz RS0042554.95) Siehe zB Bötticher, Prozeßrecht und materielles

    Recht, ZZP 185 (1972) 1 (16); Arens, Prozeßrecht und ma-terielles Recht, AcP 173 (1973) 250 (263 f mwN).

    lung hatte.96) Mangels eines „Prozessgegners“ müsste die Bindung an Verwal tungs strafbescheide/-erkenntnisse wohl zudem gegenüber jedermann eintreten, also bedenklich weit erstreckt werden. Diese Punkte treffen zwar auch auf gerichtliche Strafverfahren zu; dort ist aber, wie gesagt, typi-scherweise gewährleistet, dass der Angeklagte das Verfahren nicht auf die leichte Schulter nimmt, weshalb die von der Rsp befürwortete Bindung eher gerechtfertigt werden kann.

    Trotz gewisser Bedenken, die eine solche Unter-scheidung zwischen Strafbescheid und sonstigem Bescheid hervorrufen, streiten mE insgesamt doch starke Gründe dafür, einem Verwaltungsstrafbe-scheid anders als sonstigen Bescheiden keine Bin-dungswirkung für ein späteres Zivilverfahren bei-zumessen. Für Organmandate und -strafverfügun-gen lehnen dies auch Fasching/Klicka97) ab. Die Begründung, dass diese Verfahren schon ihrem We-sen nach nicht auf vollständige Sachverhaltsauf-klärung ausgerichtet sind, überzeugt im Hinblick auf die bindende Wirkung von Zahlungsbefehlen (§ 244 ZPO) freilich wenig. Insoweit führt also ebenfalls nur ein umfassender Ausschluss der Bin-dungswirkung von Verwaltungsstrafbescheiden/ -erkenntnissen zu praktikablen und gleichzeitig systematisch überzeugenden Ergebnissen.

    II. Reichweite der Bindung

    1. Bindung an den Entscheidungsspruch – objek-tive Grenzen der Bindung

    Es wurde bereits angesprochen, dass von einem Zivilurteil nur die Entscheidung über die Hauptsa-che in Rechtskraft erwächst und Bindungswirkung für das Zivilgericht erzeugt.98) Nichts anderes gilt für eine Verwaltungs(gerichts)entscheidung.99) Während dies bei Zivilurteilen wie gezeigt (C.I.5. bei Fn 90 ff) historisch mit der erforderlichen Vor-hersehbarkeit der Entscheidungswirkungen ge-rechtfertigt wurde, wird bei Verwaltungsbeschei-den/-erkenntnissen besonders auf das verfassungs-rechtliche Gebot der Verankerung strikter Zustän-digkeiten rekurriert: Andernfalls könnte eine Be-hörde über nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fallende Vorfragen bindend absprechen.100)

    Bindend an einem Bescheid/Erkenntnis ist also nur sein Spruch. Die Begründung entfaltet dagegen nach hM keine Bindungswirkung: Weder festge-stellte Tatsachen noch die rechtliche Beurteilung können für sich betrachtet in einem Folgeprozess

    96) Das soll nicht bedeuten, dass eine Bindung in dieser Konstellation überhaupt mit Art 6 EMRK unvereinbar wäre, weil die Bindungswirkung ja nur zugunsten des möglicherweise Geschädigten eintreten würde (vgl oben C.I.4. bei und in Fn 63).

    97) In Fasching/Konecny, ZPG III2 § 411 ZPO Rz 31.98) Siehe nur Fasching/Klicka in Fasching/Konecny,

    ZPG III2 § 411 ZPO Rz 62 f; Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 411 Rz 10 je mwN.

    99) Speziell zur Bindung des Zivilgerichts OGH 8 ObA 252/97k; 8 Ob 50/07x; 3 Ob 247/13i; RIS-Justiz RS0037051; RS0036948; allgemein zur Wirkung des Bescheids VwGH 86/08/0239; 87/12/2004.

    100) Ausführlich zum Ganzen Leeb, Bescheidwirkungen 53 f.

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    binden.101) Sind daher in einem Gerichts- und einem Verwaltungsverfahren identische Feststellungen zu treffen und/oder dieselben Rechtssätze anzuwen-den, haben die Entscheidungsorgane die jeweils an-dere Einschätzung nicht wechselseitig als richtig zu akzeptieren. Das gilt auch, wenn sich in beiden Fäl-len jeweils dieselbe Frage als Vorfrage stellt, also auf Basis desselben „Lebenssachverhalts“ identi-sche Rechtssätze anzuwenden sind.102) Dementspre-chend wurde zB im Rahmen eines Mietrechtsstreits eine Bindung an die Einschätzung in einem Ab-bruchbescheid zu Recht verneint, wonach die Behe-bung von Baugebrechen unwirtschaftlich sei.103)

    Trotz dieser abstrakt recht einfach anmutenden Grundsätze herrscht über die exakte Verortung der objektiven Grenzen der Rechtskraft ein sogar noch intensiverer Meinungsstreit als über die subjektiven (dazu oben C.I.4.), der an dieser Stelle nur angespro-chen werden kann.104) Auch aus der Rsp lassen sich viele Fälle nachweisen, in denen die strikte Be-schränkung der Bindungswirkung auf den Spruch einer Entscheidung in Wahrheit nicht eingehalten wurde. So hat Leeb105) jüngst zahlreiche Beispiele aus der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts geliefert, in denen im Ergebnis ein extensi-veres Rechtskraftverständnis zugrunde gelegt wur-de. Aufgegeben hat der OGH aber immerhin die früher106) mehrmals postulierte, im Schrifttum hef-tig kritisierte107) Bindung an die Entscheidungs-gründe von Zivilurteilen, wenn „Rechtssicherheit und Entscheidungsharmonie keine einander wider-sprechenden Entscheidungen gestatten“.108)

    2. „Relativität der Rechtsbegriffe“ – mangelnde Präjudizialität

    Mit der Einschränkung der Reichweite der Bin-dung auf die Hauptsache der Entscheidung nicht zu

    101) OGH 3 Ob 37/94 (verstärkter Senat); 9 ObA 287/00x; 6 Ob 84/05d; RIS-Justiz RS0037015; VwGH 86/08/0239; 87/12/2004 und viele mehr.

    102) OGH 9 ObA 287/00x; 9 Ob 13/02f; 1 Ob 127/13b; 10 Ob 55/13f; RIS-Justiz RS0037015 mit Beisatz T 2; VwGH 86/08/0239; so auch W. Kralik, Vorfrage 118, der in einem Spezialfall eine weitere Reichweite anerkennt.

    103) OGH 3 Ob 37/94 (verstärkter Senat); RIS-Justiz RS0037015.

    104) Hinsichtlich der Bindung von Zivilurteilen wendet sich insbesondere Zeuner, Objektive Grenzen der Rechts-kraft (1959) passim, mit der von ihm begründeten „Lehre von den Sinnzusammenhängen“ gegen die hM. Ausführ-lich zum Meinungsstand Fasching/Klicka in Fasching/Konecny, ZPG III2 § 411 ZPO Rz 40 ff; zum deutschen Recht zB Leipold in Stein/Jonas, ZPO IV22 (2008) § 322 Rz 66 ff je mwN.

    105) Bescheidwirkungen 56 ff. Leeb (aaO 74 ff) selbst plädiert für eine Besinnung auf die hier als herrschend bezeichneten Grundsätze.

    106) So noch OGH 3 Ob 547/76 = RZ 1977, 105; 3 Ob 11/89 = JBl 1990, 52; 4 Ob 574/94; 8 ObA 291/95; RIS-Justiz RS0041157.

    107) Oberhammer, JBl 2000, 205; Rechberger in FS Na-kamura 483 ff; derselbe in Rechberger, ZPO4 § 411 Rz 11; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny, ZPG III2 § 411 ZPO Rz 40 ff.

    108) OGH 8 ObA 19/11v; 7 Ob 120/12s; 3 Ob 167/13z.

    verwechseln109) sind Konstellationen, in denen eine Bindung daran scheitert, dass identische Begriffe gerade in öffentlichen und privaten Gesetzen oft unterschiedliche Bedeutung haben („Relativität der Rechtsbegriffe“). In diesem Fall fehlt es schon an einer präjudiziellen Vorfrage. Nur weil sowohl eine zivil- als auch eine verwaltungsrechtliche Norm denselben Begriff verwenden, heißt das noch nicht, dass beide unbedingt identisch auszulegen sind.110) Obwohl ein „erster Anschein“ für eine identische Interpretation spricht, muss dies für je-den Fall erst im Wege der Auslegung ermittelt wer-den. Der OGH hat dementsprechend zB ausgespro-chen, dass die Einschätzung der Finanzbehörde ei-ner Tätigkeit als ein der freien Einkommenssteuer-pflicht unterliegendes Dienstvertragsverhältnis die Gerichte in ihrer privatrechtlichen Beurteilung des Vertragstyps nicht binde.111)

    3. Keine Bindung bei nova producta – zeitliche Grenze der Bindung

    Auch das Entstehen wesentlicher Tatsachen nach dem für die Entscheidung maßgebenden Zeitpunkt (nova producta) kann eine abweichende Einschät-zung der Vorfrage rechtfertigen. Das gebietet schon der Grundsatz effektiven rechtlichen Gehörs (Art 6 EMRK) zugunsten desjenigen, der von der Ent-scheidung im Zivilverfahren nachteilig betroffen wäre. Denn eine Tatsache, die erst nach dem „Ent-scheidungszeitpunkt“ entstanden ist, hatte er logi-scherweise nicht vorbringen können. Der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebende Zeitpunkt ist anders als im Zivilverfahren (§ 193 ZPO) nicht der Schluss der (mündlichen) Verhand-lung erster Instanz, sondern grundsätzlich der Zeit-punkt der Erlassung des Bescheids/Erkenntnis-ses.112) Alles, was sich nach diesem Zeitpunkt ereig-net, ist von der Bindungswirkung grundsätzlich nicht mehr erfasst. Ergeht eine meritorische Ent-scheidung des Verwaltungsgerichts, kommt es we-gen der Neuerungserlaubnis (siehe nur § 10 VwGVG) jedoch auf den Zeitpunkt des Erlasses dieses Erkenntnisses an.113) Eine aufgrund einer Revision daran anknüpfende Sachentscheidung durch den VwGH ändert wegen des im Revisions-verfahren sehr wohl geltenden Neuerungsver-bots114) an diesem Zeitpunkt hingegen nichts mehr (siehe § 41 VwGG).

    109) Insoweit wohl zu undifferenziert OGH 9 ObA 287/00x, was freilich im Ergebnis unproblematisch war, weil vorliegend beide Einschränkungen gegeben waren.

    110) Zutreffend OGH 5 Ob17/99g; 9 ObA 287/00x; 9 ObA 22/01b; Schlosser, Gestaltungsklagen 158.

    111) OGH 9 ObA 22/01b. Fraglich war in casu überdies, ob die Einstufung als Dienstvertrag überhaupt dem Spruch des Bescheids (dazu oben C.II.1.) angehört hat (vgl in diesem Sinn OGH 9 ObA 287/00x).

    112) B. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht4 (2013) 908.

    113) Zur alten Rechtslage hat der VwGH dementspre-chend auf den letztinstanzlichen Bescheid abgestellt (88/09/0115; 94/03/0067).

    114) Mayrhofer/Metzler, Das Verfahrensrecht des VwGH, in Fischer/Pabel/N. Raschauer, Verwaltungsge-richtsbarkeit 453 (517 f Rz 96 mwN).

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  • 4992016, Heft 8August

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    Ein anschauliches Beispiel für solche nova pro-ducta liefert die Entscheidung 3 Ob 508/93, bei der ein relativ weites Verständnis zugrunde gelegt wur-de: Die Rechtmäßigkeit einer Betriebsanlagenge-nehmigung dürfe im Kontext von § 364a ABGB schon nachgeprüft werden, wenn und weil neue wissenschaftliche Erkenntnisse über die Auswir-kungen der Anlage vorliegen. Dem Betroffenen steht es in solchen Fällen also frei, die Bindung im Zivilprozess inzidenter zu bestreiten, ohne den auf-wändigen und mitunter unökonomischen Weg ge-hen zu müssen, zuvor eine neue verwaltungsbe-hördliche/-gerichtliche Entscheidung zu erwirken.

    III. Rechtsfolge der Bindung

    Wurde nun im Grundsatz dargelegt, welche Ent-scheidungen bzw welche Teile davon gegenüber welchem Personenkreis Bindungswirkung entfal-ten können, ist noch herauszuarbeiten, was Bin-dungswirkung rechtsfolgenseitig überhaupt bedeu-tet. Der OGH beantwortet diese Frage treffend so: Es ist sowohl die Verhandlung, Beweisaufnahme als auch die neuerliche Prüfung des rechtskräftig entschiedenen Anspruchs bzw Rechtsverhältnisses ausgeschlossen.115) Das bedeutet also, dass weder der Nachweis einer unrichtigen Tatsachenfeststel-lung noch einer falschen rechtlichen Beurteilung geführt werden darf. Entsprechendes Vorbringen ist ohne weiteres zurückzuweisen. Diese Folgen knüpfen sich wie bereits angesprochen sowohl an die Bindung ieS als Folge der Normativität einer Entscheidung als auch als Effekt einer Gestal-tungs- oder Tatbestandswirkung (vgl oben A.II.).

    All das gilt aber nur, sofern eine Tatsache oder rechtliche Beurteilung nicht zugleich für sonstige Tatbestandsmerkmale des geltend gemachten An-spruchs relevant ist, hinsichtlich derer die Bin-dungswirkung nicht greift. Insoweit gilt nämlich wegen der Beschränkung der Rechtskraftwirkung auf den Spruch (oben C.II.1.), dass das Gericht im Zweitprozess zu einer anderen Einschätzung so-wohl der tatsächlichen Grundlagen als auch der rechtlichen Beurteilung als im Vorprozess gelangen darf. Das kann theoretisch zum – aus Sicht eines Nichtjuristen wohl schwer verständlichen – Ergeb-nis führen, dass ein Gericht in ein und demselben Urteil für einzelne Vorfragen Tatsachen oder eine Rechtsansicht zugrunde legt, die zur Lösung einer anderen, nämlich der bereits bindend gelösten prä-judiziellen Vorfrage in logischen Widerspruch ge-raten. Das ist aber letztlich unweigerliche Konse-quenz der relativ eng gezogenen objektiven Gren-zen der materiellen Rechtskraft (dazu C.II.1.).

    IV. Unrichtige Anwendung der Bindungswirkung als Rechtsmittelgrund

    1. Unrichtige Verneinung einer Bindung

    Die eminente Bedeutung der vorstehenden Aus-führungen zu den Ausnahmen und Grenzen der Bindungswirkung zeigt sich nicht zuletzt in der gravierenden Konsequenz, die eine Fehlbeurteilung

    115) OGH 5 Ob 703/81; 8 ObA 87/99y; 9 Ob 33/12m; 1 Ob 28/15x; RIS-Justiz RS0041251 mit Beisatz T 1.

    aufweist: Missachtet ein Gericht eine eigentlich bindende (verwaltungsbehördliche/-gerichtliche) Entscheidung, weil es zB zu Unrecht von einem ab-solut nichtig Bescheid ausgeht (oben C.I.1.), be-gründet das nach zutreffender hM einen – unge-schriebenen – Nichtigkeitsgrund.116) Dieser Fehler berechtigt wie die Missachtung eines bindenden Zivilurteils117) konsequenterweise sogar zur Wie-deraufnahme gemäß § 530 Abs 1 Z 6 ZPO (analog).

    2. Unrichtige Annahme einer Bindung

    a) Im umgekehrten Fall, dass sich ein Gericht zu Unrecht für gebunden an die Lösung einer Vorfrage durch die Verwaltungsvollziehungsorgane erach-tet, weil es beispielsweise nicht berücksichtigt, dass mittlerweile wesentliche nova producta eingetreten sind (oben C.II.3.), liegt nach überwiegender An-sicht nur ein wesentlicher Verfahrensmangel vor.118) Obwohl wesentliche Verfahrensmängel erster In-stanz nach ganz hRsp in dritter Instanz nicht mehr geltend gemacht werden können, wenn sie bereits vom Berufungsgericht verneint wurden,119) ist der OGH mehrfach mit unterschiedlicher Begründung zum Ergebnis gelangt, dass die unberechtigte Bin-dungswirkung auch noch vor dem OGH wahrnehm-bar sei: In 9 ObA 117/91 wurde dies wenig überzeu-gend kurzer Hand damit begründet, dass es sich um einen „in dritter Instanz wahrnehmbaren Stoff-sammlungsmangel“ handle.120) In 1 Ob 35/02g ist der OGH dagegen im Einklang mit seiner sonstiger Rsp121) davon ausgegangen, dass das Berufungsver-fahren mangelhaft iS des § 503 Abs 1 Z 2 ZPO sei, weil das Berufungsgericht die Mängelrüge „mit ei-ner durch die Aktenlage nicht gedeckten Begrün-dung“ verworfen hat. Schließlich wird gerade in der neueren Rsp auch manchmal unrichtige rechtli-che Beurteilung der Sache angenommen, womit ebenfalls der Weg zum OGH (§ 503 Abs 1 Z 4 ZPO) eröffnet wird.122)

    b) Blickt man auf die Folgen, welche die unbe-rechtigte Annahme einer Bindungswirkung hat, führt diese tatsächlich zwangsläufig zu einem error in procedendo: Wie gezeigt (III.3.) schließt die Bin-

    116) OGH 2 Ob 97/10v; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1539; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 881.

    117) Statt vieler Fasching/Klicka in Fasching/Konecny, ZPG III2 § 411 ZPO Rz 137.

    118) ZB Rechberger in Rechberger, ZPO4 § 411 Rz 3; G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 Rz 939.

    119) RIS-Justiz RS0042963, RS0043111, zB OGH 1 Ob 313/49; 1 Ob 92/70; 7 Ob 559/88; 1 Ob 49/01i; 3 Ob 68/14t und viele andere; ausführlich E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 503 Rz 9 mwN auch der verbreiteten Gegenan-sicht. Begründet wird die hRsp mit einem Größenschluss zu einem seinerseits problematischen Umkehrschluss aus § 519 ZPO (dazu näher Fn 128).

    120) Vgl auch OGH 10 Ob 144/05, wo eine Mangelhaftig-keit des Berufungsverfahrens bejaht wurde, weil die Bin-dungswirkung dazu geführt hat, dass eine Beweis- und Verfahrensrüge nicht inhaltlich behandelt wurde. Diese Begründung verkennt aber, dass dies nur eine Folge des sehr wohl behandelten und verneinten Mangels einer zu Unrecht angenommenen Bindung ist.

    121) RIS-Justiz RS0043086 mit Beisatz T 4, T 5, T 7. 122) OGH 5 Ob 220/10d; 5 Ob 253/11h; tendenziell be-

    reits 10 Ob 144/05g.

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    dung jegliche Verhandlung und damit die erschöp-fende Sachverhaltserforschung inklusive einer Be-weisaufnahme aus. Damit wird den Parteien zu-gleich jede Möglichkeit zum Vortrag (§ 177 ZPO) – oder anders ausgedrückt: ihr rechtliches Gehör – genommen. Ein Entzug des rechtlichen Gehörs be-gründet nach hM aber nicht nur einen sonstigen Verfahrensmangel, sondern sogar den Nichtigkeits-grund des § 477 Abs 1 Z 4, 5 ZPO.123) Allerdings bringt beispielsweise auch die Nichtzulassung be-antragter Beweismittel eine Einschränkung des rechtlichen Gehörs mit sich, wird aber dennoch als Paradefall eines wesentlichen Verfahrensmangels gesehen.124) Abgrenzung ist daher geboten, ab wel-chem Grad an Gehörentzug noch ein wesentlicher Verfahrensmangel und ab wann schon ein Nichtig-keitsgrund vorliegt.

    Nach neuerer Rsp ist ein mit Nichtigkeit sanktio-nierter Gehörentzug bereits anzunehmen, wenn ei-ner Partei die Gelegenheit zur Äußerung zu einem bestimmten entscheidungsrelevanten Tatsachen-vorbringen und den damit verbundenen Beweiser-gebnissen verwehrt wird.125) A minore ad maius muss dann aber konsequenterweise erst Recht ein Nichtigkeitsgrund vorliegen, wenn den Parteien jegliche Möglichkeit der Stellungnahme zu einer präjudiziellen Vorfrage entzogen wird. Bei einer zu Unrecht angenommenen Bindungswirkung ist so-mit wohl von einem von Amts wegen wahrzuneh-menden Nichtigkeitsgrund (§ 494 ZPO) auszuge-hen.126) Das steht im Einklang mit der Annahme, dass eine Bindungswirkung gegenüber einem am Parallelverfahren unbeteiligten Dritten gegen das von Art 6 EMRK verbürgte rechtliche Gehör ver-stoßen kann (dazu oben C.I.4.) und harmoniert auch damit, dass die nachträgliche Aufhebung einer vom Gericht „befolgten“ bindenden Entscheidung für so schwerwiegend erachtet wird, dass der Wieder-aufnahmsgrund gemäß § 530 Abs 1 Z 5 ZPO vor-liegt (dazu ausführlich unten D.I.).

    c) Überaus fraglich ist aber, ob alternativ dazu auch eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sa-che vorliegen kann, was die Rsp, wie gezeigt,127) be-reits des Öfteren angenommen hat. Aus der Warte des Rechtsmittelwerbers hätte dies den Vorteil, dass die Verfehlung nach hier vertretener Auffas-sung einerseits als Nichtigkeitsgrund von Amts we-gen aufzugreifen und andererseits als unrichtige rechtliche Beurteilung trotz „Verwerfung“ durch

    123) Statt aller Holzhammer, Zivilprozeßrecht2 324; Fasching, Lehrbuch2 Rz 1760; Ballon, Zivilprozessrecht12 Rz 361; Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 1018; G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 Rz 1046.

    124) ZB Rechberger/Simotta, Zivilprozessrecht8 Rz 1019; G. Kodek/Mayr, Zivilprozessrecht3 Rz 1049: „Hauptan-wendungsfall“.

    125) OGH 9 ObA 237/02x; 10 Ob 28/06z; 1 Ob 9/07s; RIS-Justiz RS0074920; RS0117067; RS0005915; vgl bereits zum deutschen Recht Zeuner, Der Anspruch auf rechtli-ches Gehör, in Dietz/Hübner, FS Nipperdey I (1965) 1013 (1021 f); aA E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 477 Rz 7.

    126) Möglicherweise in diesem Sinn OGH 6 Ob 3/15g: Der OGH widersprach der Behandlung der „überschie-ßenden Bindung“ als – konkret nicht verwirklichten – Nichtigkeitsgrund durch die Unterinstanzen nicht.

    127) Oben bei und in Fn 122.

    das Berufungsgericht revisibel ist, was für Nichtig-keitsgründe von der ganz hRsp verneint wird.128)

    Dagegen könnte allerdings zunächst sprechen, dass die unberechtigte Annahme einer Bindungs-wirkung auf Basis der herrschenden prozessualen Rechtskrafttheorie129) als unrichtige Anwendung eines verfahrensrechtlichen Rechtssatzes einzustu-fen ist. Sieht man Verletzungen des Prozessrechts indes mit Teilen der Lehre bereits dann als unrich-tige rechtliche Beurteilung an, wenn sie die Unrich-tigkeit der Entscheidung über den Sachantrag zur Folge haben,130) könnte dieser Einwand wohl ent-kräftet werden. Freilich muss auch diese Ansicht „Stoffsammlungsmängel“ vom Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung ausklam-mern, zumal diese wohl unbestrittenermaßen als errores in procedendo angesehen werden;131) gerade die unberechtigte Annahme einer Bindung führt aber ebenfalls zu einer unvollständigen Erörterung wie bei einem solchen Stoffsammlungsmangel, was wiederum gegen die Qualifikation als unrichtige rechtliche Beurteilung spricht.132) Im Übrigen las-

    128) OGH 10 ObS 74/87; 1 Ob 612/95 (verstärkter Senat) und viele andere; RIS-Justiz RS0042925 mit Beisatz T 2, T 5, T 12; E. Kodek in Rechberger, ZPO4 § 503 Rz 2 mwN. Begründet wird diese Ansicht damit, dass die „Verwer-fung“ (richtig wohl: „Abweisung“) der Nichtigkeitsberu-fung im Vorverfahren gemäß § 473 Abs 1 ZPO mit Be-schluss erfolgt, dieser Beschluss aber von § 519 ZPO nicht für anfechtbar erklärt wird. Freilich: Die Entstehungsge-schichte lässt vermuten, dass der Gesetzgeber vom Vor-verfahren stets nur den Fall vor Augen hatte, dass der Nichtigkeitsberufung stattgegeben wird. Das zeigt sich auch gerade darin, dass die Materialien zur ZPO (I 355) im Hinblick auf § 519 ZPO betonen, dass das Berufungs-vorverfahren ohne mündliche Verhandlung deshalb un-bedenklich sei, weil die Entscheidung über die geltend gemachte Nichtigkeit ohnehin anfechtbar sei. Der Um-kehrschluss zu § 519 ZPO ist daher durchaus zweifelhaft. Jedenfalls problematisch wird es aber, wenn im Größen-schluss aus diesem gesetzgeberischen „Versehen“ auch noch vom Berufungsgericht verneinte sonstige Verfah-rensmängel von der Revision ausgeschlossen werden (dazu bei und in Fn 118), obwohl die Materialien zur ZPO an anderer Stelle (I 361) deutlich das gegenteilige Ver-ständnis zum Ausdruck bringen.

    129) Bei der Gestaltungs- und Tatbestandswirkung ist die Qualifikation als prozessual oder materiell freilich noch schwieriger zu treffen. Wegen der praktisch identi-schen Wirkung ist eine Gleichbehandlung mit der „Bin-dungswirkung ieS“ mE aber vorzugswürdig, auch weil jeder Gestaltungswirkung ja ebenso eine bindende dekla-ratorische Feststellung zugrunde liegt (siehe oben A.II.).

    130) Bajons, Prozeßentscheidung als Verfahrensver-stoß?, JBl 1981, 628 (632 f); Fasching, Kommentar IV1 (1971) 325 f; möglicherweise ebenso Hollaender, Die Re-visibilität von Verfahrensmängeln im Zivilprozess, RZ 2015, 106 (107); aA noch Neumann, Zivilprozeßgeset-ze II4 1360; Wolff, Grundriss des österreichischen Zivil-prozessrechts2 (1947) 363; vgl auch Sperl, Lehrbuch 666.

    131) Bajons, JBl 1981, 632 f; Fasching, Kommentar IV1 325 f.

    132) Nicht maßgebend ist es mE, dass die Behauptung einer unberechtigten Annahme einer Bindung in der Re-gel mittelbar auch den Vorwurf beinhalten wird, dass eine andere Rechtsansicht als in der vermeintlich binden-den Entscheidung richtig sei. Ein Gericht, das sich für gebunden erachtet, legt das Ergebnis aus dem Parallel-

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    M. Trenker, Bindung des Zivilgerichts an verwaltungsbehördliche/-gerichtliche Entscheidungen

    sen die akribischen Versuche einer Abgrenzung der Rechtsmittelgründe erkennen, dass ein und dersel-be Fehler eben nicht zugleich zwei Rechtsmittel-gründe verwirklichen kann.133)

    d) Aus systematischer Sicht ist es zusammenge-fasst überzeugender, nur einen Nichtigkeitsgrund anzunehmen, wenn geltend gemacht wird, dass sich das Gericht zu Unrecht für gebunden an eine Verwaltungs(gerichts)entscheidung erachtet hat. Dass die Annahme einer Nichtigkeit nach der Rsp dazu führt, dass eine Anrufung des OGH wegen dieses Mangels nicht in Betracht kommt, falls er bereits vom Berufungsgericht verneint wurde, ist bedauerlich, sollte aber eher zu einem Überdenken dieser Prämisse veranlassen134) und nicht durch fallweise und kaum systemkonforme Ausweitung des Berufungsgrunds der unrichtigen rechtlichen Beurteilung kompensiert werden.

    D. Abweichende Entscheidungen der Vorfrage nach rechtskräftigem Urteil

    Besondere Probleme ergeben sich, wenn das Ge-richt bei Ex-ante-Betrachtung die Grundsätze über die Bindung völlig richtig angewandt hat, aber sich nach rechtskräftigem Abschluss des Hauptverfah-rens herausstellt, dass eine Bindungswirkung des-halb zu ex post betrachtet „falschen“ Ergebnissen geführt hat, weil die Entscheidung im Parallelver-fahren aufgehoben und/oder abgeändert wird (D.I.). Damit nicht zu verwechseln, aber sogar noch heftiger diskutiert sind die Folgen davon, dass die eigenständige Vorfragenbeurteilung durch das Ge-richt von einer späteren meritorischen Entschei-dung abweicht, die Vorfrage also vom eigentlich in der Hauptsache zuständigen Organ nachträglich in entscheidungserheblichen Punkten anders ent-schieden wird (D.II.).

    I. Aufhebung einer für bindend erachteten Ent-scheidung

    1. Wiederaufnahme analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO – Abgrenzung zur Oppositionsklage

    a) Die Wertungslage ändert sich ohne Zweifel diametral, wenn das Zivilgericht seine Entschei-dung auf eine präjudizielle Entscheidung gestützt hat, die nach rechtskräftiger Beendigung des Zivil-verfahrens aufgehoben und/oder erheblich abgeän-dert wird. Der ZPO-Gesetzgeber hat dieses Prob-lem nur für den Fall einer Regelung zugeführt, dass ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf das die Ent-scheidung gegründet ist, durch ein rechtskräftiges Urteil aufgehoben worden ist: Diesfalls liegt der Wiederaufnahmsgrund gemäß § 530 Abs 1 Z 5 ZPO

    prozess unbesehen als richtig zugrunde und nimmt daher gar keine rechtliche Beurteilung der Vorfrage vor, wes-halb diese auch nicht falsch sein kann.

    133) In diesem Sinn konkret zum Verhältnis von Nich-tigkeitsgrund und unrichtiger rechtlicher Beurteilung Fasching, Kommentar IV1 325, der die Schwierigkeit der Abgrenzung aber mE etwas unterschätzt; vgl auch Pollak, System des österreichischen Zivilprozeßrechtes2 (1932) 605, der eine unrichtige rechtliche Beurteilung dann ver-neint, wenn ein anderer Revisionsgrund verwirklicht ist.

    134) Siehe oben in Fn 128.

    vor. Diese auf Strafurteile beschränkte Lösung mag mit der ausdrücklichen Anordnung der Bindung dieser in § 268 ZPO aF zu erklären sein, lässt aber nicht den Gegenschluss zu, bei der Aufhebung ver-waltungsbehördlicher Entscheidunge