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Biotechnologie und Patentrecht Die Patentierbarkeit von Erfindungen betreffend Organismen Bericht Eidg. Justiz- und Polizeidepartement August 1993

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Biotechnologie und

Patentrecht

Die Patentierbarkeit

von Erfindungen

betreffend Organismen

Bericht

Eidg. Justiz- und

Polizeidepartement

August 1993

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Biotechnologie und

Patentrecht

Die Patentierbarkeit

von Erfindungen

betreffend Organismen

Bericht

ausgearbeitet durch das Bundesamt für geistiges Eigentum, unter Mitwirkung der Direktion für

internationale Organisationen, der Direktion für Völkerrecht, der Direktion für

Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, des Bundesamtes für Umwelt, Wald und

Landschaft, der Gruppe für Wissenschaft und Forschung (Bundesamt für Bildung und

Wissenschaft), des Bundesamtes für Gesundheitswesen, des Bundesamtes für Justiz, der Eidg.

Finanzverwaltung, des Bundesamtes für Landwirtschaft, des Bundesamtes für Aussenwirtschaft,

des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit und des Bundesamtes für Veterinärwesen,

einschliesslich des Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe.

Eidg. Justiz- und

Polizeidepartement

August 1993

Herausgeber: EJPD

Vertrieb: EDMZ, 3000 Bern, Artikel-Nr. 407.761d

C 12.91 29

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Inhalt

Teil I: Grundlagen 1

1. Einführung 1

2. Die Kontroverse 32.1 Gründe für das Prinzip der Patentierbarkeit

von Erfindungen betreffend Organismen 4a) Voraussetzung für Forschung und Entwicklung

im Bereich der modernen Biotechnologie 4b) Internationaler Wettbewerb 5c) Forschungs-, Entwicklungs- und

Produktionsstandort Schweiz 5d) Transparenz der Forschung 6

2.2 Gründe gegen das Prinzip der Patentierbarkeitvon Erfindungen betreffend Organismen 7a) Ablehnung der Bio- und Gentechnologie 7b) Ablehnung ausschliesslicher Rechte 7c) Veröffentlichung von Forschungsergebnissen 8

2.3 Entwicklungspolitische Aspekte des Problems 9a) Auswirkungen auf den Austausch von Genmaterial 10b) Auswirkungen auf das Nord-Süd-Gefälle,

die Technologiekooperation und den Handel 11c) Verarmung oder Entwicklung? 12d) Abnahme oder Vermehrung der

biologischen Vielfalt? 13

3. Die bisherige Haltung des Bundesrates 15

4. Die gegenwärtige Rechtslage in der Schweiz 184.1 Einschränkungen der Patentierbarkeit 18

a) Erfindungsbegriff 18b) Erfordernis der Offenbarung 19c) Anschluss von Pflanzensorten und Tierrassen 19d) Ordre public, gute Sitten 21

4.2 Grenzen der Rechte aus dem Patent 21a) Kein Anspruch auf Verwendung der Erfindung 21

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b) Zeitliche Beschränkung 21c) Territorialitätsprinzip 22d) Sachliche Begrenzung 22e) Zwangslizenzen 23

5. Rechtliche Hauptprobleme 235.1 Ungenügende internationale Minimalstandards 23

5.2 Ungeeignete Abgrenzungskriterien 23

5.3 Unterschiedliche Regelungsbedürfnissein Nord und Süd 25

Teil II: Elemente einer schweizerischenPatentpolitik im Bereich von Organismen 26

6. Der verfassungsrechtliche Rahmen 266.1 Besondere Bestimmungen 27

6.2 Grundrechte und Verfassungsgrundsätze 28

6.3 Die Notwendigkeit sorgfältiger Güterabwägung 33

7. Elemente der Patentpolitik in bezugauf Industriestaaten 347.1 Abkehr von klassifikatorischen Ausschlussgründen

und Betonung verfassungsrechtlicher Werte 35

7.2 Verfahrensrechtliche Ausgestaltung 37

7.3 Flankierende Bestimmungen 38

8. Elemente der Patentpolitik in bezugauf die Entwicklungsländer 398.1 Ergebnisse der GATT-Verhandlungen als Grundlage

für die Frage der Patentierbarkeit 39

8.2 Förderung des vertraglichen Zugangs zugentechnologischen Erfindungen im Rahmender Konvention über die biologische Vielfalt 40

9. Haltung gegenüber den mittel- undosteuropäischen Reformstaaten 41

10. Die Haltung des Bundesrates vom 23. Juni 1993 42

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Abkürzungsverzeichnis

KOBAGO Interdepartementale Koordinationsstellefür die Anwendung von rDNS-Organismen

GATT Allgemeines Zoll- und Handelsabkommenvom 30. Oktober 1947 (SR 0.632.21)

UNCED Konferenz der Vereinten Nationen überUmwelt und Entwicklung

BBl Bundesblatt

Amtl. Bull. Amtliches Bulletin der Bundesversammlung

FAO UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung

HUGO Human-Genom-Organisation

PatG Bundesgesetz vom 25. Juni 1952 betreffenddie Erfindungspatente (SR 232.14)

EPA Europäisches Patentamt

EPUe Übereinkommen vom 5. Oktober 1973 über die ErteilungEuropäischer Patente (SR 0.232.142.2)

BAGE Bundesamt für geistiges Eigentum

BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaftvom 29. Mai 1874 (SR 101)

TRIPs-Abkommen Abkommen über «Trade-Related Aspects ofIntellectual Property Rights» (im Rahmen derUruguay-Runde des GATT, noch nicht abgeschlossen)

IDAGEN Interdepartementale Arbeitsgruppe fürGentechnologie

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Biotechnologie und Patentrecht

Die Patentierbarkeit von Erfindungen betreffend Organismen

Bericht

ausgearbeitet durch das Bundesamt für geistiges Eigentum, unter Mitwirkung der Direktion für

internationale Organisationen, der Direktion für Völkerrecht, der Direktion für

Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe, des Bundesamtes für Umwelt, Wald und

Landschaft, der Gruppe für Wissenschaft und Forschung (Bundesamt für Bildung und

Wissenschaft), des Bundesamtes für Gesundheitswesen, des Bundesamtes für Justiz, der Eidg.

Finanzverwaltung, des Bundesamtes für Landwirtschaft, des Bundesamtes für Aussenwirtschaft,

des Bundesamtes für Industrie, Gewerbe und Arbeit und des Bundesamtes für Veterinärwesen,

einschliesslich des Instituts für Viruskrankheiten und Immunprophylaxe.

Teil I: Grundlagen

1. Einführung

Im Rahmen internationaler Verhandlungen, insbesondere im GATT, beauftragte der Bundesrat das

Eidg. Justiz- und Polizeidepartement, in Zusammenarbeit mit den anderen betroffenen

Departementen, namentlich mit dem Departement des Innern, ein Aussprachepapier zum Problem

der Patentierbarkeit lebender Materie vorzulegen.

Der Bundesrat befasste sich am 23. Juni 1993 mit dieser Problematik.

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Dieser Bericht orientiert im einzelnen über die Überlegungen, welche zur Haltung des Bundesrates

(Ziff. 10) geführt haben.

Die Frage der Patentierbarkeit von Erfindungen, die Organismen betreffen1, stellt sich im Rahmen

der allgemeinen Problematik der modernen Bio- und Gentechnologie. Ihre Beantwortung wirft

bekanntlich schwierige Fragen auf, die wesentlich im Bericht der Interdepartementalen

Koordinationsstelle für die Anwendung von rDNS-Organismen (KOBAGO) vom April 1992

behandelt und deren Beantwortung vom Bundesrat zur Kenntnis genommen wurde2.

Der vorliegende Bericht knüpft an die dort behandelten Chancen und Risiken der Gentechnologie

an. Er beschränkt sich in der Folge auf die Frage des immaterialgüterrechtlichen Schutzes von bio-

und gentechnologischen Erfindungen im Lichte der vielseitigen Probleme und unterschiedlichen

Interessen, welche von der wirtschaftlichen Bedeutung dieser Schlüsseltechnologie im

internationalen Umfeld bis zu vielschichtigen Sicherheitsproblemen und ethischen Fragestellungen

reichen. Sie alle haben Auswirkungen auch auf die spezielle Frage der Patentierbarkeit von

Erfindungen, welche Organismen betreffen.

Mehr als in andern Rechtsbereichen hängt die Ausgestaltung des schweizerischen Patentrechts von

staatsvertraglichen

1 Im vorliegenden Bericht wird statt von Erfindungen betreffend «lebender Materie» der umfassendere Begriff «Organismen» verwendet.

Der oft verwendete Begriff «lebende Materie» ist nämlich zu eng gefasst, da auch einzelne Gene und Fragmente von Erbmaterial

miteinbezogen werden sollen. Im folgenden wird unter dem Begriff Organismus immer eine beliebige Kombination der genannten

Möglichkeiten verstanden. Organismen sind zelluläre und nichtzelluläre biologische Einheiten, die zur Vermehrung oder zur Weitergabe

von Erbmaterial fähig sind; ihnen gleichgestellt sind Gemische und Gegenstände, die solche Einheiten enthalten. Dazu gehören namentlich:

Tiere und Pflanzen; Mikroorganismen einschliesslich Viren, Viroide und Plasmide; Kulturen menschlicher, tierischer und pflanzlicher Zellen,

s. Interdisziplinäre Schweizerische Kommission für Biologische Sicherheit in Forschung und Technik [SKBS]: Richtlinien für das Arbeiten

mit gentechnisch veränderten Organismen, Version Februar 1992, Anhang I, Ziff. 4.

2 «Gentechnologie: aktueller Stand und Zukunftsperspektiven». Bericht an den Bundesrat (KOBAGO-Bericht), Bundesratsbeschlussvom 27.5.92.

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Bestimmungen und damit von der internationalen Rechtsentwicklung ab. Das ausgebaute

europäische Patentsystem auf Grundlage des europäischen Patentübereinkommens3 lässt

Sonderlösungen im Rahmen des nationalen Rechts ohne die Gefahr grosser Rechtsunsicherheit, von

Standortnachteilen und Wettbewerbsverzerrungen bzw. Retorsionsmassnahmen nicht mehr zu. Die

Teilhabe an der europäischen Integration, aber auch die zunehmende Bedeutung des geistigen

Eigentums als Verhandlungsgegenstand des GATT sowie indirekt auch im Rahmen der UNCED

bestärken diesen Befund.

2. Die Kontroverse

Die Frage der Patentierbarkeit von Organismen gehört zu den grossen Kontroversen der Gegenwart

und der näheren Zukunft. An ihr wird sich die Auseinandersetzung des technischen

Fortschrittsglaubens mit der europäischen Skepsis des ausgehenden Jahrhunderts und ihrer

notwendigen Besinnung auf die Natur, die Umwelt und die Grenzen des quantitativen Wachstums

kristallisieren. Das Ziel der Politik muss der Ausgleich zwischen diesen Polen sein, die beide für

die Zukunft der Menschheit bedeutsam sind. Sie muss zu Lösungen führen, welche die nachhaltige

und umweltverträgliche Entwicklung im Norden wie im Süden der Erde fördern.

Im folgenden werden vorerst Gründe für und gegen eine Patentierbarkeit von Organismen

dargelegt, gefolgt von abwägenden Überlegungen aus entwicklungs- und umweltpolitischer Sicht.

Sie alle bilden die Grundlagen einer differenzierten Haltung in Teil II des Papiers.

3 SR 0.232.142.2.

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2.1 Gründe für das Prinzip der Patentierbarkeit von Erfindungen

betreffend Organismen

a) Voraussetzung für Forschung und Entwicklung im Bereich

der modernen Biotechnologie

Der Förderung der Forschung und Entwicklung im Bereich der modernen Biotechnologie4 liegt die

Auffassung zugrunde, dass die heutige und zukünftige moderne Biotechnologie die

wissenschaftlichen Grundlagen insbesondere der Pharma- und Lebensmittelindustrie grundlegend

verändern wird und, unter bestimmten Voraussetzungen, einen positiven Beitrag für die

wirtschaftliche Entwicklung leisten kann5. Das gilt auch für die langfristige Perspektive einer

gezielteren Forschung, welche dank der Gentechnologie ressourceneffizienter arbeiten kann.

Das Immaterialgüterrecht und im besonderen das Patentrecht ist für alle Bereiche der Technik, und

gerade für die sehr kostenintensiven Industriezweige, eine wesentliche Voraussetzung für die

Tätigung und Sicherung von Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das gilt insbesondere

für den privaten Sektor und zunehmend auch für die öffentliche Hand (Forschungsanstalten etc.).

Ohne die Gewährung eines zeitlich beschränkten, ausschliesslichen Vermarktungsrechts können die

Risiken hoher Investitionen nicht eingegangen werden. Es ist daher nicht erstaunlich, dass der

Kampf gegen die Gentechnologie operationell wesentlich beim Patentrecht einsetzt. In dem Masse

aber als die Gentechnologie grundsätzlich als ein nützlicher und sinnvoller Beitrag anerkannt wird,

muss deren Entwicklung auch ein wirksamer immaterialgüterrechtlicher Schutz gewährt werden.

4 Botschaft über die Förderung der wissenschaftlichen Forschung in den Jahren 1992–l995 und eine konzertierte Aktion Mikroelektronik Schweiz,

BBl 1991 I 605, 612, 663 ff. Beantragt wurde ein Beitrag von 98 Mio Franken. Die Räte genehmigten am 30.9.91 den Betrag von 83 Mio Fr.,

BBl 1991 IV 193, der aber im Rahmen der Sanierungsmassnahmen 1992 für den Bundeshaushalt auf rund 50 Mio Fr. reduziert wurde.

5 S. im einzelnen Ziff. 23 und 25 KOBAGO-Bericht, Anm. 2. Vgl. dazu auch das Kapitel 16, Punkt 1 der Agenda 21 über «Environmentally sound

management of biotechnology».

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b) Internationaler Wettbewerb

Die Patentierbarkeit bio- und gentechnologischer Erfindungen muss wesentlich im Lichte des

internationalen Wettbewerbs um die heutigen und künftigen Schlüsseltechnologien beurteilt

werden. Die Möglichkeit der Patentierung von Verfahren und Erzeugnissen der Gentechnologie ist

ein wichtiges Mittel zur Förderung dieser zukunftsträchtigen Technologie. Dies gilt insbesondere

auch mit Rücksicht auf das internationale Umfeld, in welchem bedeutende Industriestaaten, wie

namentlich die USA, Japan und Australien, mit Bezug auf die Patentierung von Organismen eine

sehr liberale Haltung einnehmen, die ihnen bedeutsame Wettbewerbsvorteile verschafft.

Unterschiedliche Regelungen in den verschiedenen Industriestaaten führen zu Vor- und Nachteilen

im Standort und damit zu Wettbewerbsverzerrungen. Fehlender Schutz bedeutet nichts anderes, als

dass Erfindungen von jedermann frei und ohne Beteiligung an den Forschungskosten verwendbar

sind, während sie in Rechtsordnungen mit weitgehender Patentierbarkeit oder anderen

gleichwertigen Schutzsystemen Rechtsschutz geniessen. Mittelfristig wird dieses Gefälle zu

politischen Druckversuchen und möglichen Handelsverzerrungen mit Retorsionsmassnahmen

führen.

c) Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstandort Schweiz

Die Frage der Patentierbarkeit biotechnologischer und gentechnologischer Produkte ist gerade für

die auf diesem Gebiet tätige schweizerische Industrie von zentraler Bedeutung. Noch befindet sie

sich in einer guten Ausgangslage. Mit den Unsicherheiten der heutigen Rechtslage in Europa (Ziff.

4) besteht indessen die Gefahr einer zunehmenden Verschlechterung der rechtlichen

Rahmenbedingungen namentlich für die Lebensmittel-, die pharmazeutische und die chemische

Industrie, welche die Auslagerung und Abwanderung beschleunigen könnte. Es ist verständlich,

wenn die Industrie ihren Standort dorthin verlegt, wo die Bedingungen für Tätigkeiten im Gebiet

der modernen Biotechnologie günstiger sind. Dabei wird bei der Standortbestimmung auch der

Ausgestaltung des immaterialgüterrechtlichen Schutzes und insbesondere des Patentrechts

Bedeutung beigemessen. Denn ohne Patentierungsmöglich-

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keit steht die Industrie bei Veröffentlichung ihrer Forschungs- und Entwicklungsergebnisse

schutzlos da. Das zwischen den (utilitaristisch denkenden) USA und Westeuropa heute bestehende

Rechtsgefälle hat bereits dazu beigetragen, dass 1990 lediglich noch 1,6 Prozent aller europäischen

Investitionen im Bereich der Bio- und Gentechnologie in Europa getätigt werden6. Europa läuft

Gefahr, auf Forschung und Produktion zu verzichten und sich längerfristig auf eine

Konsumentenrolle zu beschränken. Der schweizerischen Schwerpunktbildung genetischer

Forschung in Kalifornien (Genentech) kommt aus dieser Sicht mehr als symbolische Bedeutung zu.

d) Transparenz der Forschung

Patentschutz verschafft nicht nur ein beschränktes Recht, andere von der Benützung der Erfindung

auszuschliessen. Als Gegenleistung enthält er die Publikation (sog. Offenbarung) der Erfindung.

Damit ein gültiges Patent erlangt werden kann, muss die Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich

gemacht werden. Diese Funktion des Patentrechts ist von zunehmender Bedeutung. Die

Patentinformation erlaubt es, gezielter zu forschen und gewissermassen die Neuerfindung des

Rades zu vermeiden. Die Offenbarung hat aber auch wichtige Auswirkungen in bezug auf die

wirksame Kontrolle der neuen Technologien. Sie schafft dazu günstige Voraussetzungen, ohne

allein schon zu genügen. Nur wo die neuen Technologien transparent7 gemacht werden, kann die

Verwendung ihrer Ergebnisse wirksam überwacht werden.

6 O.A. Stamm, GATT Negotiations for the Protection of New Technologies, Journal of the Patent and Trademark Office Society, Vol. 73, S. 693.

Experten schätzen, dass bis zum Jahre 2000 jedes zweite, echt neue Arzneimittel gentechnologisch hergestellt wird oder dass dessen Synthese

zumindest einen bio- oder gentechnologischen Teilschritt enthält. Gerade für die Pharmaindustrie, die 30'000 in der Regel hochqualifizierte

Arbeitsplätze unterhält und als weltdrittgrösster Exporteur von Arzneimitteln ein Exportvolumen von 8 Milliarden Franken erwirtschaftet sowie

6 Milliarden Franken zum in diesem Bereich hohen Exportüberschuss beiträgt, sind günstige Rahmenbedingungen deshalb von entscheidender

Bedeutung (Pharma-Daten Schweiz 1990/91, Pharmainformation Basel).

7 Zu befürchteten Nachteilen der Offenbarung vgl. Ziffer 2.2.c).

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2.2 Gründe gegen das Prinzip der Patentierbarkeit von Erfindungen

betreffend Organismen

a) Ablehnung der Bio- und Gentechnologie

Die Ablehnung der Bio- und Gentechnologie an sich führt konsequenterweise auch zur Ablehnung

der Patentierbarkeit, da diese, wie gesagt, eine wesentliche Voraussetzung dieser kostenintensiven

Schlüsselindustrie ist. Die generelle Ablehnung der Bio- und Gentechnologie aus religiösen,

ethischen und/oder ökologischen Gründen richtet sich gegen eine utilitaristische Nutzung von

Organismen (oder Lebewesen) und den mit ihr verbundenen Glauben an Technik und menschliche

Machbarkeit überhaupt. Die Erfahrungen in den Auseinandersetzungen um die Nuklearenergie,

namentlich mit den ungelösten Fragen der Abfallbeseitigung, der Unfallgefahr und der

ökologischen Risiken, begünstigen grundlegende Zweifel und setzen menschlichem Eingriff in die

Schöpfung berechtigterweise Grenzen.

Eine weitere Auffassung in diesem Kontext lehnt hingegen Gentechnologie und damit die

Patentierbarkeit nicht allgemein ab, sondern differenziert mit Bezug auf spezifische Bereiche (z.B.

Eingriffe in die menschliche Keimbahn). Die Patentierbarkeit findet ihre Grenzen nach dieser

Auffassung auf jeden Fall insoweit die Technologie in gewissen Bereichen abgelehnt wird8.

b) Ablehnung ausschliesslicher Rechte

Eine zweite Gruppe von Überlegungen richtet sich nicht gegen die Bio- und Gentechnologie,

sondern lediglich gegen die Patentierbarkeit.

Gegen die Patentierbarkeit von Organismen, insbesondere von höheren Lebewesen, werden aus

grundsätzlicher Sicht religiöse und ethische Bedenken erhoben. Die Zuweisung von

ausschliesslichen Rechten namentlich an Tieren über Generationen hinweg wird - über den Eingriff

in die Schöpfung und

8 Vgl. dazu KOBAGO-Bericht (Anm. 2), 29ff.

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Natur hinaus – aus dieser Sicht als gegenläufig zu den sich allmählich entwickelnden Rechten der

Natur (Rechte künftiger Generationen) beurteilt.

Gegenstand der Kritik ist sodann aus wirtschaftlicher und entwicklungspolitischer Sicht die

Zuweisung von Schutzrechten, welche Monopolstellungen verschaffen. Diese Begründung hat

einen besonderen Stellenwert im Falle der Patentierung biotechnologischer Erfindungen, welche ja

von genetischen Ressourcen ausgehen, die in vielen Fällen in einem Entwicklungsland erhalten,

durch die lokalen Gemeinschaften weiterentwickelt oder bekannt gemacht wurden, ohne dass deren

Leistung heute abgegolten wird. Durch die Patentierung besteht die Gefahr, dass der Zugang der

Entwicklungsländer zu «veredelten» genetischen Ressourcen und die Nutzung deren wertvoller

Eigenschaften behindert wird.

c) Veröffentlichung von Forschungsergebnissen

Wissenschaftler sind daran interessiert, neue Erkenntnisse so schnell wie möglich und vollständig

in internationalen Zeitschriften zu veröffentlichen. Es wird befürchtet, dass die Patentierung zu

einer bloss selektiven und zu späten Veröffentlichung von Ergebnissen führen kann. In zahlreichen

Fällen wird lediglich das für die Offenbarung notwendige Minimum an Informationen

bekanntgegeben. Die selektive Information führt dazu, dass einzig die patentierte, d.h. die in dieser

Weise veröffentlichte Neuerung bekannt wird und erworben werden kann.

Diese Einwände gelten kaum für die an Hochschulen und staatlichen Forschungsanstalten erzielten

Ergebnisse, solange diese, wie bislang in der Schweiz üblich, nicht patentiert werden. In dem

Masse wie universitäre Forschung, im Sinne von Auftragsforschung, vermehrt privat finanziert

wird und folglich auch zu einem vermehrten Schutz der Ergebnisse führt, würden die obigen

Einwände auch in der Schweiz an Bedeutung gewinnen, wie die Entwicklung in den USA zeigt.

Generell ist zu berücksichtigen, dass das Patentsystem die Veröffentlichung privatwirtschaftlich

erzielter Ergebnisse überhaupt oft

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erst ermöglicht und sicherstellt. Einerseits ist die Veröffentlichung der Erfindung der Preis, welcher

für die Erlangung des Schutzrechts zu zahlen ist, und andererseits wird der Erfinder beim Fehlen

dieser Schutzmöglichkeit auf den allein noch verbleibenden Geheimnisschutz zurückgreifen

müssen und seine Erfindung gar nicht veröffentlichen. Im übrigen steht das Patentsystem auch

einer frühen Veröffentlichung nicht im Weg: Sobald die Erfindung zum Patent angemeldet ist,

beeinflusst ihre Veröffentlichung die Gültigkeit des Patents nicht mehr. Zudem ist im Rahmen der

patentrechtlichen Harmonisierungsbestrebungen die Einführung einer einjährigen Schutzfrist (grace

period) geplant, während der eine vorgängige Publikation der Ergebnisse durch den Erfinder (z.B.

in einer wissenschaftlichen Zeitschrift) den Patentschutz nicht behindert9.

Religiöse, ethische, ökologische und wirtschaftliche Bedenken gegen die Patentierbarkeit

biotechnologischer Erfindungen wie auch gegen die Biotechnologie an sich sind oft überlappend.

2.3 Entwicklungspolitische Aspekte des Problems

Die entwicklungspolitischen Bedenken gegen bzw. Gründe für eine Patentierbarkeit von

Organismen in den Entwicklungsländern sind verschiedenartig und vielschichtig. Die Patentierung

wird sich in verschiedenen Bereichen wie Pharma, Viehzucht oder Saatgut denn auch

unterschiedlich auswirken. Zu unterscheiden ist auch zwischen den Auswirkungen der

Patentierbarkeit von Organismen in den Industriestaaten und in den Entwicklungsländern selbst.

Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass Patentierbarkeit in der Schweiz oder in Europa nicht

bedeutet, dass auch in den Entwicklungsländern Patentrechte bestehen10. Organismen sind bis heute

in den

9 Records of the Diplomatic Conference for the Conclusion of a Treaty supplementing the Paris Convention as far as Patents are concerned,

Volume 1: First Part of the Diplomatic Conference, The Hague, 1991 (WIPO Publication No. 351 E), Text of the Draft Treaty as presented to the

Diplomatic Conference, Article 12 (1).

10 Zum patentrechtlichen Territorialitätsprinzip vgl. Ziffer 4.2.c).

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wenigsten Entwicklungsländern immaterialgüterrechtlich schützbar. Eine besondere Schwierigkeit

besteht daher darin, dass es noch weitgehend an empirisch gefestigten Erfahrungen fehlt. Daher

muss man sich auf prospektive Abschätzungen der möglichen Auswirkungen abstützen.

a) Auswirkungen auf den Austausch von Genmaterial

Die Patentierung von Pflanzenmaterial kann insbesondere den Zugang der Entwicklungsländer zu

«veredelten» pflanzengenetischen Ressourcen erschweren. Züchter in Entwicklungsländern hätten

nur noch Zugang zu den Zuchtlinien, die aus öffentlichen Programmen stammen, oder zu

denjenigen, für die sie vorgängig Lizenzen bezahlt haben. Die für die Züchtung massgebliche

Verbindung verschiedenster Erbträger würde praktisch eingeschränkt. Verschiedene, u.a. von der

schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit unterstützte, nationale Saatgutprogramme sowie

regionale Süd-Süd-Forschungszusammenarbeiten (Netzwerke) würden durch die Einschränkungen

beim Zugang und beim Austausch zu Sorten und Züchtungslinien in ihrer Funktion bedroht. In der

Folge würde die landwirtschaftliche Entwicklung, insbesondere in ärmeren Entwicklungsländern

und ärmeren Regionen, behindert.

Dieser Argumentation kann entgegengesetzt werden, dass auch patentierte Ressourcen zu

Forschungszwecken verwendet werden können und durch entsprechende Abhängigkeitslizenzen

der Weiterentwicklung durch Dritte, einschliesslich staatlicher Programme, offen stehen. Durch

Lizenzfinanzierungen kann der Zugang zu veredelten Sorten erleichtert werden. Schliesslich

entsteht zwischen privater und staatlicher Entwicklung eine Wettbewerbslage, welche sich günstig

auf die Kosten auswirken kann. Durch die fehlende Patentierbarkeit in den Entwicklungsländern

wird im übrigen die Tendenz zu einer Konzentration von Forschung und Entwicklung auf

kaufkräftige Landwirtschaften noch verschärft, wodurch dann für die sog. «orphan crops» (Millet,

Sorgho, Manioc etc.) noch weniger geforscht wird.

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b) Auswirkungen auf das Nord-Süd-Gefälle, die Technologiekooperation

und den Handel

Die Auswirkungen des Patentschutzes auf das Nord-Süd-Gefälle sind empirisch noch nicht

gesichert und umstritten. Es ist abschätzbar, dass Investitionen dort getätigt werden, wo ein

genügend grosses Marktpotential besteht. Das heisst, dass primär die Hauptkulturen, jedoch kaum

die Kulturpflanzen von weltweit nur sekundärer Bedeutung, welche aber lokal/regional sehr

wichtig sein können, gentechnologisch bearbeitet werden. Ähnliches gilt für die Wahl der Sorten

innerhalb der wichtigsten Kulturpflanzen. Patentierung von Organismen vergrössert und verlängert

den Vorsprung der schon heute in Forschung und Entwicklung führenden Länder und

Unternehmen. Daher müssen in erster Linie eigene Technologieentwicklungskapazitäten im Süden

mittels Ausbildungs- und Forschungsförderungsprogrammen gestärkt werden. Der Transfer von

ausgewählten Bio- und Gentechnologien müsste komplementär zur Kapazitätenförderung im Süden

gefördert werden. Dieser Transfer setzt voraus, dass die Verwendung der Technologie im

Empfängerland verbindlich vereinbart wird, was durch angemessene Schutzsysteme begünstigt

würde.

In diesem Sinne kann der immaterialgüterrechtliche Schutz als wesentliche Voraussetzung für

einen rechtlich geregelten Technologietransfer in die Entwicklungsländer beurteilt werden. Unter

der heutigen Rechtslage in vielen Entwicklungsländern ist die Forschung und Entwicklung dazu

verurteilt, im Dunkeln zu arbeiten, was weder Lizenzverträge noch technische Kooperation

begünstigt. Überdies entfällt die Grundlage für Lizenzfinanzierungen. Im Saatgutbereich führt dies

vermehrt zur Vermarktung von hybriden Sorten, welche sich nach ein oder zwei Generationen nicht

mehr vermehren lassen. Dies ist weder für die in der Gentechnologie besonders erforderliche

Transparenz noch für die Übertragung von effektivem Know-how in die Entwicklungsländer von

Vorteil. Der in den Verhandlungen der GATT-Uruguay-Runde zum Ausdruck gebrachte Wandel

der Entwicklungsländer in ihrer Einstellung zum geistigen Eigentum als notwendige, wenn auch

nicht hinreichende Voraussetzung für Technologiekooperation und Transfer von Know-how

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gilt auch für die moderne Biotechnologie und stellt die hergebrachten Bedenken zunehmend in

Frage.

Als gesichert kann gelten, dass die Frage der Patentierbarkeit mit dem Entwicklungsstand der

interessierten Länder abgestimmt werden muss und daher nicht allgemein beantwortet werden

kann. Besteht bei den am wenigsten entwickelten Staaten kein Bedürfnis nach Schutzsystemen, so

sieht dies namentlich in Schwellenländern anders aus, welche durch den Export von ungeschützten

und von Dritten veredelten Ressourcen erhebliche Handelsverzerrungen auf Drittmärkten

herbeiführen können. Diesem Ergebnis tragen auch die Ergebnisse der GATT-Verhandlungen

Rechnung.

c) Verarmung oder Entwicklung?

Ungewiss sind mangels Erfahrung auch die längerfristigen Auswirkungen eines verstärkten

Patentschutzes in den Entwicklungsländern. Im Gegensatz zum heutigen Sortenschutzrecht könnten

künftig patentierte Sorten von Bauern und Kooperativen nicht mehr unentgeltlich nachgebaut

werden. Sie müssten das Saatgut jährlich neu kaufen, dürften die eigene Ernte nicht zur Nachsaat

verwenden. Der Kauf von patentiertem Saatgut wäre auf Kulturen, Regionen und Märkte

beschränkt, in denen Kaufkraft vorhanden ist, wo die Saatgutvermarktung funktioniert und die

Landwirtschaft finanziell lohnend ist. Im Gegensatz zum Patentrecht erlaubt der Sortenschutz

sowohl den unentgeltlichen Nachbau durch die Landwirte (Landwirteprivileg) wie auch die

Weiterverwendung geschützten Materials in lokalen Züchtungsprogrammen (Züchtervorbehalt)11.

Letzteres ermöglicht die Verbindung geschützter Leistungsmerkmale mit den in kleinbäuerlichen

Systemen wichtigen Landsorten. Im Falle der Patentierung dürfte sich der Graben zwischen

marktorientierter Landwirtschaft und der in Entwicklungsländern nach wie vor dominierenden

Landwirtschaft mit mehr oder weniger ausgeprägtem Subsistenzcharakter weiter vergrössern.

11 Das Landwirteprivileg umfasst das Recht des Landwirts, im Rahmen seines Betriebs Erntegut, welches aufgrund geschützten Saatguts erhalten

wurde, für eine oder mehrere weitere Aussaaten zu verwenden. Der Züchtervorbehalt umfasst das Recht, aufgrund von geschützten

Pflanzensorten neue Sorten zu entwickeln und kommerziell zu verwerten.

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Dem könnte entgegengehalten werden, dass kein Produzent gezwungen ist, patentierte Sorten zu

kaufen. Die Weiterverwendung von traditionellem, unentgeltlichem, aber oft weniger ertragreichem

Saatgut bleibt eine Option, welche sich auch dämpfend auf die Lizenzpreise auswirkt. Die

Lizenzfinanzierung sowie die Förderung von staatlichen Programmen zugunsten wirtschaftlich

weniger leistungsfähiger Regionen eines Entwicklungslandes können dazu beitragen, die im Gesetz

über die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit statuierte Hilfe zur Selbsthilfe zu

unterstützen. Das Ziel dieser Strategie müsste darin bestehen, den Transfer von Technologie in die

Entwicklungsländer zu fördern und Forschung, Entwicklung und Produktion «vor Ort» zu

ermöglichen.

d) Abnahme oder Vermehrung der biologischen Vielfalt?

Die Frage lässt sich heute nicht schlüssig beantworten. Mögliche Nachteile und Vorteile der

Patentierbarkeit stehen sich gegenüber.

Landwirte- und Züchterprivilegien sind im heutigen Patentrecht nicht vorgesehen. Eine generelle

Einführung der Patentierung würde zur Schwächung dezentralisierter lokaler Sortenzüchtung

führen. Dies würde den Gebrauch lokalen, angepassten Erbgutes reduzieren und dadurch auch die

Sortenvielfalt verringern. Eine Abnahme der biologischen Vielfalt bedeutet neben der Verarmung

der Umwelt ein Risiko für die Nachhaltigkeit der Landwirtschaft. Patentierung wichtiger

pflanzlicher und tierischer Arten, Sorten oder Charakteristika führt mehrheitlich zu einer Reduktion

der genutzten Sorten und Arten: Die grosse Ausdehnung einzelner Sorten vergrössert das

Verbreitungsrisiko von Krankheiten und Schädlingen. Konzentration von Sorten und von

Saatgutproduktion beeinträchtigt Lebens- und Artenvielfalt. Mit Bio- und Gentechnologie wie auch

mit traditionellen Züchtungsmethoden werden neue Sorten, neue Genkombinationen geschaffen.

Wesentlich für die biologische Vielfalt ist aber letztlich, was angebaut wird, also die Vielfalt im

Feld. Produktivere Sorten mit Leistungsmerkmalen wie z.B. Resistenzfaktoren können andere

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Sorten, Landrassen oder auch Arten verdrängen. Dieser Vorgang würde durch die Patentierung

noch beschleunigt, da Weiterverwendung in lokalen Züchtungsprogrammen und damit der Einbau

vorteilhafter Leistungsmerkmale in die lokale Vielfalt nicht mehr ohne weiteres möglich wären.

Die Lebens- und Artenvielfalt wird am wirksamsten durch eine vielfältige, die Naturkräfte

bestmöglich ausnützende, mit der Umwelt im Gleichgewicht stehende Bewirtschaftung der

fruchtbaren Anbaugebiete, aber auch der sog. Grenzertragsböden (welche bis heute eine wenn auch

karge Existenz der autochtonen Bevölkerungen ermöglicht haben) sichergestellt.

Es ist indes empirisch nicht erhärtet, dass die Eröffnung der Patentierungsmöglichkeit und eine auf

den Kampf gegen Hunger und Armut der Bevölkerung ausgerichtete gezielte Saatgutentwicklung

(z.B. fäulnis- oder dürreresistente Sorten oder auch solche, die in salinierten Böden oder ohne

Herbizide und Pestizide gedeihen) wirklich zur Verarmung der Sortenvielfalt führt. Oft wird diese

Wirkung generell der modernen Biotechnologie an sich zugeschrieben. Dabei wird übersehen, dass

diese Technologie gerade auch neue Sorten schafft, also an sich die biologische Vielfalt bereichert.

Soweit befürchtet wird, dass die Gentechnologie zur Verarmung der biologischen Vielfalt dadurch

beiträgt, dass ihre Produkte andere Sorten und Rassen verdrängen, so ist festzustellen, dass dieser

Vorgang auch ohne Sorten- oder Patentschutz, z.B. bei den in Europa angebauten Getreidesorten,

mehrmals geschehen ist. Der Patentschutz sollte wegen der eingeschränkten Verfügbarkeit zum

freien Anbau der geschützten Züchtungen eher bremsend wirken. Im übrigen bleibt es auch hier

möglich, durch den Verzicht auf immaterialgüterrechtlichen Schutz von Erfindungen der

öffentlichen Hand (Universitäten, Zuchtanstalten) den Zugang und die Weiterzüchtung von

Pflanzensorten im Bereich staatlicher Forschungsergebnisse sicherzustellen. Soweit der private

Sektor angesprochen ist, könnte der Zugang zu Neuentwicklungen auch durch die bereits erwähnte

Lizenzfinanzierung erleichtert werden.

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3. Die bisherige Haltung des Bundesrates

Der Bundesrat hat sich zur Frage der Gentechnologie wie auch der Patentierbarkeit von

Organismen bereits verschiedentlich geäussert. Seine grundlegende Haltung basiert auf der

Bejahung und Förderung der neuen Schlüsseltechnologie. Gleichzeitig hat er in

Verhandlungsmandaten und Antworten auf parlamentarische Anfragen Ansätze für eine vermehrt

ethische Betrachtungsweise entwickelt:

– Der Bundesrat erachtet die Gentechnologie grundsätzlich als förderungswürdige Technologie

und hat hierfür dem Parlament beantragt, der Forschung erhebliche Mittel zur Verfügung zu

stellen12.

– In der Botschaft zu einer Änderung des Bundesgesetzes betreffend die Erfindungspatente vom

16. August 1989 spricht sich der Bundesrat für die grundsätzliche Patentierbarkeit von

Organismen aus13.

– Im Rahmen der Verhandlungen der Uruguay-Runde des GATT befürwortet der Bundesrat

ebenfalls grundsätzlich die Patentierbarkeit von Organismen. Dabei spricht er sich dafür aus,

Erfindungen dann von der Patentierung auszunehmen, wenn deren Verwertung gegen die

öffentliche Ordnung, gegen die Grundsätze der Moral oder gegen die Menschenwürde verstösst

oder wenn sie das Risiko einer ernsten Schädigung der Umwelt enthält (eingehend dazu Ziff. 6

und 7).

– Die gleiche Haltung nimmt der Bundesrat in seiner Antwort auf die Interpellation (Baerlocher-)

Bäumlin vom 14. Juni 1990 ein14, auf die er auch in seiner Antwort auf die Interpellation

Bäumlin vom 13. Dezember 1991 verweist15. In

12 S. Anm. 4.

13 BBl 1989 III 232, 248ff.

14 Amtl. Bull. NR 19925.660f.

15 Amtl. Bull. NR 19925.1255f.

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bezug auf die Entwicklungsländer stellt sich der Bundesrat in der zuletzt genannten Antwort auf

den Standpunkt, dass der Zugang zu «veredelten» genetischen Ressourcen (s. vorne Ziff. 2.3 lit.

a) nicht kostenlosen Zugang bedeutet, sondern durch gegenseitige Übereinkünfte geregelt

werden soll. Mit dem rechtlich zwar nicht verbindlichen «Engagement international sur les

ressources phytogénétiques» der FAO hat sich der Bundesrat bereit erklärt, die

Forschungsergebnisse der Bundesanstalten frei zur Verfügung zu stellen16. Im übrigen betont der

Bundesrat in der Antwort, dass der immaterialgüterrechtliche Schutz wesentliche Voraussetzung

dafür ist und bleibt, dass der private Technologietransfer in der modernen Biotechnologie,

insbesondere im Saatgutbereich, verstärkt und auch durch Lizenzfinanzierung unterstützt werden

kann.

– Im Rahmen der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED),

welche im Juni 1992 in Rio de Janeiro stattgefunden hat, präzisiert der Bundesrat ebenfalls seine

Haltung in bezug auf die Entwicklungsländer:

Er befürwortet den Zugang dieser Länder zu den Technologien im Bereich der Erhaltung der

biologischen Vielfalt unter Wahrung des geistigen Eigentums des unmittelbar betroffenen

privaten Sektors. Er anerkennt ferner die Notwendigkeit der Schaffung von nationalen und

internationalen Rahmenbedingungen, die Anreize für Forschung, Investitionen und den Transfer

von Technologie und Know-how schaffen, unter

16 Das FAO-Engagement sieht vor, dass die Regierungen und die staatlichen Forschungsinstitute den freien Zugang zu Stichproben des

aufbewahrten Materials, über das sie verfügen können, sicherstellen. Dabei sind diese Proben entweder gratis, im Falle von Gegenseitigkeit, oder

unter bestimmten Bedingungen, die vorgängig vereinbart wurden, abzugeben. Anlässlich des Beitrittes zum Engagement im März 1987 hat das

Bundesamt für Landwirtschaft die schweizerische Haltung dazu wie folgt dargelegt: 1. «Veredelte» pflanzengenetische Ressourcen fallen nach

schweizerischer Auffassung nicht unter den Geltungsbereich des Engagements. 2. Die Schweiz geht davon aus, dass der Beitritt zum

Engagement keine zusätzlichen finanziellen Verpflichtungen auslöst. 3. Der Zugang kann nur zu jenen pflanzengenetischen Ressourcen gewährt

werden, über welche die Behörden nach der nationalen Gesetzgebung verfügen können (d.h. zu den Ressourcen der Forschungsanstalten des

Bundes). Diese Haltung hat das Bundesamt für Landwirtschaft im November 1990 bestätigt und zudem ausdrücklich die Einführung des

faktischen Sortenschutz- sowie des Patentschutzvorbehaltes in der FAO-Resolution 4/89 begrüsst.

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Einschluss staatlicher Lizenzfinanzierung. Der Bundesrat spricht sich dafür aus, dass die

Bestimmungen über den Schutz des geistigen Eigentums in diesem Sinne verbessert werden

sollen, als deren positiver Beitrag zum Technologietransfer anerkannt wird. Im Bereich der

Patentierbarkeit von Organismen soll sich die Schweiz auf die vorläufigen Ergebnisse der

Verhandlungen zum geistigen Eigentum im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT sowie auf

die Grundsätze des «Engagement international sur les ressources phytogénétiques» der FAO

stützen. Die vorläufigen Ergebnisse der Uruguay-Runde anerkennen die grundsätzliche

Patentierbarkeit von Erfindungen betreffend Organismen und belassen im übrigen den

Entwicklungsländern einen hinreichenden Spielraum.

Anlässlich der erwähnten Konferenz in Rio de Janeiro hat die Schweiz am 11. Juni 1992 die

Konvention über die biologische Vielfalt unterzeichnet17. In einer auslegenden Erklärung18 zur

Unterzeichnung hat die Schweiz (vertreten durch Herrn Bundesrat Cotti) die Wichtigkeit der

Grundsätze und Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums, namentlich in

Hochtechnologiebereichen wie der Biotechnologie, betont. Auf der Grundlage dieser Auslegung sei

die schweizerische Regierung zu gegebener Zeit bereit, in der Konvention über die biologische

Vielfalt vorgesehene Massnahmen zur Förderung der Zusammenarbeit, auf einer vertraglichen

Basis, zwischen schweizerischen Unternehmen und privaten Unternehmen sowie staatlichen Stellen

anderer Vertragsstaaten zu ergreifen.

Im folgenden geht es darum, diese Haltung auf Grundlage der gegenwärtigen Rechtslage zu

vertiefen.

17 Konvention über die biologische Vielfalt vom 5. Juni 1992.

18 Interpretative Erklärung der Schweiz anlässlich der Unterzeichnung der Konvention über die biologische Vielfalt während der Konferenz der

Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung am 11. Juni 1992.

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4. Die gegenwärtige Rechtslage in der Schweiz

Das bestehende in der Schweiz geltende Patentrecht bejaht grundsätzlich die Patentierbarkeit von

Erfindungen betreffend Organismen. Es kennt aber Einschränkungen der Patentierbarkeit und setzt

zudem der Ausübung der Rechte aus dem Patent Schranken:

4.1 Einschränkungen der Patentierbarkeit

Das Patentrecht kennt Voraussetzungen, die sich als inhärente Schranken der Patentierbarkeit von

Organismen auswirken:

a) Erfindungsbegriff

Im vorliegenden Zusammenhang ist wesentlich, dass Patente allgemein und daher auch im neuen

Bereich der modernen Biotechnologie nur für Erfindungen erteilt werden. Entdeckungen sind

demgegenüber nicht patentierbar. Wo die Abgrenzungen im Bereich der Bio- und Gentechnologie

rechtlich im einzelnen liegen, wird heute international diskutiert und ist noch nicht gelöst.

Vereinfacht kann zur Unterscheidung zwischen Entdeckung und Erfindung aber doch gesagt

werden, dass die Entdeckung etwas, was in der Natur vorkommt, beschreibt, während die

Erfindung diese Erkenntnis zum technischen Handeln benützt, also angibt, wie sie verwendet

werden kann; dort also Beschreibung von Naturkräften, hier deren Anwendung. Schutzbegehren

«auf Vorrat» mit breitesten Ansprüchen, ohne dass in den Patentunterlagen gesagt wird, zu was das

Beanspruchte dient (z.B. die Beschreibung von genetischen Ressourcen, so wie sie in der Natur

vorkommen, ohne Angabe ihrer wirtschaftlichen und gewerblichen Verwendung), können daher

nicht zu gültigen Patenten führen. Schon daher wäre die Patentierung der kürzlich in den USA zum

Patent angemeldeten zahlreichen menschlichen Gene (HUGO-Projekt), deren Verwendungen

offenbar nicht angegeben wurden, höchst fragwürdig sowie forschungspolitisch unerwünscht.

Endgültige Entscheide in diesen Fällen, die zu internationalen Diskussionen Anlass gaben, sind

unseres Wissens bisher noch nicht gefallen. Zu-

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lässig ist hingegen die Beanspruchung von Genen, welche für bestimmte Zwecke (z.B. die

Herstellung eines Heilmittels) verwendet werden.

b) Erfordernis der Offenbarung

Eine weitere Schranke ergibt sich aus dem Erfordernis der sog. Offenbarung. Erfindungen, die

nicht so dargelegt werden, dass eine fachlich qualifizierte Person sie gestützt auf die Angaben

ausführen kann, können nicht gültig patentiert werden. Ausnahmsweise können bei

Mikroorganismen Schwierigkeiten einer derartigen Darstellung bestehen. Sie können durch eine

entsprechende Hinterlegung des Organismus überwunden werden19. In andern Bereichen der

Gentechnologie kann sich das Erfordernis der Offenbarung indes einschränkend auswirken.

c) Ausschluss von Pflanzensorten und Tierrassen

Eine weitere Beschränkung der Patentierbarkeit ergibt sich aus einem ausdrücklichen gesetzlichen

Ausschluss im Bereich von Organismen: Artikel 1a des Bundesgesetzes vom 25. Juni 1954

betreffend die Erfindungspatente (PatG)20 und Artikel 53 Buchstabe b des Übereinkommens vom 5.

Oktober 1973 über die Erteilung Europäischer Patente (EPUe)21 schliessen Pflanzensorten und

Tierrassen sowie im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen und Tieren

von der Patentierung aus. Die Regel geht auf eine Zeit zurück, als die (technischen) Methoden der

modernen Biotechnologie noch nicht bekannt waren und insbesondere die Wiederholbarkeit nicht

gewährleistet war. Die erwähnten Gegenstände wurden daher als nicht-technisch von der

Patentierung ausgeschlossen, also aus patentrechtlichen Gründen. Mit dem Aufkommen der

Gentechnologie sind diese Gründe weggefallen, da die Beschäftigung mit Organismen in das

Gebiet der Technik rückte und die Wiederholbarkeit verbessert wurde. Aus diesem Grunde werden

die er-

19 Budapester Vertrag vom 28.4.1977 über die internationale Anerkennung der Hinterlegung von Mikroorganismen für die Zwecke von

Patentverfahren, SR 0.232.145.1.

20 SR 232.14.

21 SR 0.232.142.2.

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wähnten Bestimmungen vom Europäischen Patentamt (EPA) in München22 als auch von den

Richtlinien des BAGE eng ausgelegt. Für Tiere, Pflanzen oder Teile davon werden Patente dann

erteilt, wenn sie in den Patentansprüchen nicht durch rassen- bzw. sortenspezifische Merkmale

charakterisiert werden.

Für Pflanzensorten hat sich ein besonderes Schutzsystem entwickelt (Sortenschutz23), das

eigenständige Merkmale aufweist und zum Teil weitergehende Möglichkeiten als das Patentrecht

bietet: Zulassung von Entdeckungen, geringere Anforderungen an die Neuheit, längere

Schutzfristen, Fehlen von Abhängigkeitslizenzen. Umgekehrt ist im Sortenschutzrecht ein

Züchtervorbehalt sowie ein Landwirteprivileg vorgesehen und die Schutzwirkung betrifft nur das

Vermehrungsmaterial. Der Schutz geht hier also weniger weit als im Patentrecht. Anlässlich der

letzten, von der Schweiz unterzeichneten Revision des Internationalen Übereinkommens vom 2.

Dezember 1961 zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV-Übereinkommen) vom 19. März

199124 wurde aber der Züchtervorbehalt im Bereich der abgeleiteten Sorte beseitigt und die

Einführung des Landwirteprivilegs steht im Belieben der Vertragsstaaten. Das gleiche gilt mit

Bezug auf das sog. Doppelschutzverbot, mit dem der frühere Vertrag eine gleichzeitige

Möglichkeit des Patentschutzes für Pflanzensorten ausschloss. Den Staaten wird es freistehen, das

Doppelschutzverbot aufzuheben. Ferner wurde die Schutzwirkung über das Vermehrungsmaterial

hinaus ausgedehnt. Man erkennt auch darin, dass sich Sortenschutz und Patentschutz gegenseitig

zusehends annähern und gegenseitiger Öffnung nichts im Wege steht.

22 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.1 vom 26.7.1983, T 49/83, Amtsblatt EPA 1984, 112 - «Vermehrungsgut/CIBA-

GEIGY»; Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 vom 10.11.1988, T 320/87, Amtsblatt EPA 1990, 71 -

«Hybridpflanzen/Lubrizol».

23 Bundesgesetz vom 20. März 1975 über den Schutz von Pflanzenzüchtungen, SR 232.16; Internationales Übereinkommen vom 2. Dezember 1961

zum Schutz von Pflanzenzüchtungen (UPOV-Übereinkommen), SR 0.232.162.

24 Internationales Abkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen vom 2.12.1961, revidiert in Genf am 10. November 1972, am 23.10.1978 und

am l9. März 1991, UPQV Veröffentlichung Nr. 221(G).

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d) Ordre public, gute Sitten

Das schweizerische und europäische Patentrecht kennen ferner den Ausschluss der Patentierbarkeit

bei Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder

gegen die guten Sitten verstösst (Art. 2 Bst. a PatG, Art. 53 Bst. a EPUe). Dieser Ausschlussgrund

wurde bislang in der Praxis kaum angerufen. Ihm kommt aber als Ausgangspunkt für weitere

Differenzierungen in der Gentechnologie eine erhöhte Bedeutung zu. Darauf ist zurückzukommen.

4.2 Grenzen der Rechte aus dem Patent

Die Ausübung der Rechte aus dem erteilten Patent unterliegt verschiedenen Schranken, die im

vorliegenden Zusammenhang bedeutsam sind:

a) Kein Anspruch auf Verwendung der Erfindung

Das Patentrecht gibt keinen Anspruch auf Verwendung der Erfindung. Ob die Erfindung verwertet

werden kann, hängt von der massgeblichen Gesetzgebung ab, welche z.B. eine behördliche

Zulassung (im Falle von Medikamenten durch die Interkantonale Kontrollstelle für Heilmittel oder

das Bundesamt für Gesundheitswesen) verlangen kann.

b) Zeitliche Beschränkung

Das Schutzrecht ist zeitlich auf maximal 20 Jahre beschränkt25. Dabei ist bemerkenswert, dass von

den in der Schweiz erteilten Patenten nur ein Bruchteil für die gesamte Patentdauer

aufrechterhalten werden. So waren beispielsweise Ende 1990 nur noch 7% der schweizerischen

Patente, welche aus Anmeldungen im Jahr 1971 hervorgingen, in Kraft.

25 Vgl. aber die Verordnung 1786/92 EWG vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Arzneimittel. Mit dem

ergänzenden Schutzzertifikat wird ein Teil der Laufzeit des Patentschutzes für Arzneimittel, der durch die Genehmigungsverfahren für das

Inverkehrbringen desselben Arzneimittels verloren geht, kompensiert. Eine vergleichbare Lösung ist auch in der Schweiz geplant.

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c) Territorialitätsprinzip

Das Schutzrecht ist territorial beschränkt. Es entfaltet seine Geltung nur im Land, welches das

Patent erteilt hat oder für welches es erteilt wurde. Ein hohes Schutzniveau, etwa in der Schweiz,

bleibt ohne Auswirkungen auf den Schutz in Drittstaaten, insbesondere in Entwicklungsländern.

Den internationalen Minimalstandards namentlich im Rahmen des GATT kommt daher zentrale

Bedeutung zu.

d) Sachliche Begrenzung

Das Schutzrecht ist sachlich beschränkt, indem es grundsätzlich nur für das Schutz gewährt, was

beansprucht worden ist. Dabei sind zu unterscheiden Erzeugnis- und Verfahrenspatente.

Erzeugnispatente verleihen dem geschützten Erzeugnis Schutz unabhängig davon, ob es nach dem

in den Patentunterlagen beschriebenen Verfahren hergestellt wird. Handelt es sich dabei um

biologisch vermehrbare Materie, erstreckt sich der Schutz auf alle Erzeugnisse, auch wenn sie

durch biologische Vermehrung erhalten werden. Es verhält sich hier gleich wie bei toter Materie:

Sowenig dort jemand ein patentiertes Erzeugnis ohne Zustimmung des Patentinhabers nachbauen

darf, sowenig darf jemand die Vermehrungsfähigkeit biologischer Materie dazu benützen, um

dasselbe Ziel zu erreichen. Wäre es anders, wäre das Erzeugnispatent völlig wertlos. Beim

Verfahrenspatent hingegen ist Schutzgegenstand zunächst nur ein Verfahren (z.B. zur Herstellung

eines Erzeugnisses). Kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift (Art. 8 Abs. 3 PatG) wird aber das

unmittelbare Erzeugnis des Verfahrens ebenfalls geschützt, aber eben nur soweit es nach diesem

Verfahren hergestellt wurde. Bei biologisch vermehrbarer Materie werden also nach dem geltenden

Recht Erzeugnisse, die durch Vermehrung des unmittelbaren Verfahrensproduktes erhalten werden,

nicht von dem durch das Verfahrenspatent verliehenen Schutz erfasst.

e) Zwangslizenzen

Patentrechte unterliegen in verschiedener Hinsicht der Möglichkeit von Zwangslizenzen gegen

monopolistische Praktiken, zur Sicherung wichtiger öffentlicher Interessen (z.B.

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Sicherung der Ernährung) oder gegen das Verbot, eine patentierte Erfindung für die Ausführung

einer Zweiterfindung zu benützen (Abhängigkeitslizenz). In Übereinstimmung mit der

Transparenzfunktion des Patentsystems bleibt überdies die Möglichkeit der Verwendung einer

patentierten Erfindung zu Versuchszwecken unbenommen.

5. Rechtliche Hauptprobleme

5.1 Ungenügende internationale Minimalstandards

Trotz einer zunehmend globalisierten Wirtschaft unterscheiden sich die Schutzniveaus in den

verschiedenen Staaten noch stark voneinander. Das internationale Recht hat sich bislang

weitgehend auf die Harmonisierung von Verfahren zur Erlangung von Schutzrechten beschränkt

und zeichnet sich im materiellen Recht durch eine permissive Grundhaltung aus. Mit den

Verhandlungen im Rahmen der Uruguay-Runde des GATT ist es gelungen, mit Bezug auf die

Entwicklungsländer genügende internationale Minimalstandards auszuhandeln. Anders ist es aber

nach wie vor für die Verhältnisse in und unter Industriestaaten (zu den unterschiedlichen

Regelungsbedürfnissen vgl. Ziff. 5.3).

5.2 Ungeeignete Abgrenzungskriterien

Die materiellen Vorschriften des Europäischen Patentübereinkommens und damit auch des

geltenden schweizerischen Rechts sind nicht in der Lage, die Probleme der Patentierbarkeit der

modernen Biotechnologie vollkommen adäquat anzugehen.

Artikel 53 Buchstabe b EPUe und Artikel 1a PatG gehen auf eine Zeit zurück, wo

Pflanzenzüchtungen und auch Tierzüchtungen den patentrechtlichen Erfordernissen einer

Erfindung (technische Lehre) nicht genügten. Ein eigenes Schutzsystem für Pflanzensorten war die

Folge (Sortenschutz). Mit der modernen Biotechnologie sind diese Abgrenzungen überholt und

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revisionsbedürftig. Sie sind Ursache einer erheblichen Rechtsunsicherheit und von

Standortnachteilen, zumal etwa das Recht der Vereinigten Staaten diese Ausschlussgründe nicht

kennt. Es erstaunt daher nicht, dass die Auslegung dieser Bestimmungen durch das Europäische

Patentamt in München umstritten ist und im Rahmen der Patentierung der sog. Harvard-Maus die

Administrativbehörden und Gerichte noch eingehend beschäftigen wird26. Schwierigkeiten werden

auch durch die Fähigkeit biologischer Materie, sich zu vermehren, geschaffen (vgl. Ziff. 7.3). So

oder so erlauben die heutigen Grundlagen keine konsensfähigen Entscheidungen. Die

Rechtsentwicklung wird stark vom Fallrecht der Gerichte bestimmt werden. Das gleiche gilt mit

Bezug auf den Ausschluss wegen Verstosses gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten

Sitten. Ihre Konkretisierung im Rahmen der Gentechnologie ist derzeit zu offen und bedarf

verstärkter Richtungsgebung auch durch den Gesetzgeber.

5.3 Unterschiedliche Regelungsbedürfnisse in Nord und Süd

Die dargelegten Probleme betreffen vorab die Situation in den Industriestaaten, insbesondere im

europäischen Rahmen. Der in Teil II aufgezeigte Lösungsansatz betrifft daher vorerst die Haltung,

welche die Schweiz in bezug auf die Ausgestaltung der Patentierungsmöglichkeiten in diesem

Rahmen einnehmen soll. Bei dieser Ausgestaltung ist dem genannten Umstand Rechnung zu

tragen, dass wichtige Industriestaaten wie die USA,

26 Beim «Harvard-Maus-Fall» geht es um die Patentierung von nicht menschlichen Säugetieren, im besonderen Nagetiere, in die ein Onkogen

eingeschleust wird, welches sie besonders krebsanfällig macht. Das Europäische Patentamt wies die Patentanmeldung zunächst unter anderem

mit der Begründung zurück, die Erfindung falle unter den Anwendungsbereich von Art. 53 Bst. b EPUe, welcher Tierrassen von der Patentierung

ausschliesst. Auf Beschwerde hin hob die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamtes diesen Entscheid auf, weil die genannte

Bestimmung nicht generell Tiere von der Patentierung ausschliesse. Sie wies das Europäische Patentamt an, die Anmeldung unter dem

Gesichtspunkt von Art. 53 Bst. a EPUe zu prüfen (Entscheid T 19190, publ. in AB1. EPA 1990, 476). Art. 53 Bst. a EPUe schliesst Erfindungen,

deren Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstösst, von der Patentierbarkeit aus. Das Europäische Patentamt

erteilte auf Grund einer Güterabwägung am 13. Mai 1992 das Patent (publ. im Europäischen Patentblatt 20/1992 vom 13.5.1992 unter EP Nr. 0

169 672), AB1. EPA 1992, 5B9.

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Japan und Australien in bezug auf die Gentechnologie überhaupt und die Patentierbarkeit von

Organismen im besonderen eine wesentlich liberalere und transparentere Haltung einnehmen, als

dies in Europa der Fall ist. Ohne Rechtssicherheit und angemessenen Patentschutz für die

europäische und damit auch für die schweizerische Industrie bestehen oder drohen

Standortnachteile und Wettbewerbsverzerrungen. Umgekehrt zeigt sich mit Bezug auf die

Entwicklungsländer, dass die Frage der Auswirkungen der Patentierbarkeit von Organismen auf

Entwicklung, Artenvielfalt und Umwelt im heutigen Zeitpunkt und ohne empirische Erfahrungen

vor allem mit Bezug auf das im Vordergrund stehende Problem der Saatgutproduktion noch

zuwenig konkludent beantwortet werden kann. Entwicklungsexperten erwarten, dass sich die

Patentierbarkeit von Organismen, vor allem in ärmeren Entwicklungsländern, auf Entwicklung,

Biodiversität (v.a. Vielfalt in der Landwirtschaft), Umwelt und das wichtige Problem der

Saatgutproduktion eher nachteilig auswirken würde. Anderseits müssen die Vorteile der

Rechtssicherheit für Investitionen, Zusammenarbeit und Lizenzfinanzierung ebenso

Berücksichtigung finden. Die Patentpolitik muss unter Berücksichtigung der Interdependenz daher

zwischen Beziehungen unter Industriestaaten (einschliesslich der Innenpolitik) und dem Verhältnis

zu den Entwicklungsländern sowie den an diese gestellten Erwartungen unterscheiden.

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Teil II

Elemente einer schweizerischen Patentpolitik im Bereich von Organismen

6. Der verfassungsrechtliche Rahmen

In einem ethisch umstrittenen und noch wenig gefestigten Bereich wie der Gentechnologie kommt

der Besinnung auf die Verfassung und dem Rückgriff auf ihre Werte als Gerechtigkeitskriterien für

die Lösung des Problems grundlegende Bedeutung zu.

Verfassungsgrundsätze und Grundrechte bieten neben der Wirtschaftsverfassung für die

Formulierung der Patentpolitik wesentliche Wertmassstäbe und Orientierungspunkte, welche

vorliegend eine verfassungsrechtlich gebotene Notwendigkeit differenzierter Lösungen zu

begründen vermögen. Die Bundesverfassung enthält keine ausdrückliche, allgemeine und

grundsätzliche Entscheidung für oder gegen den Schutz von bio- und gentechnologisch veränderten

Organismen.27 Dem geltenden Verfassungsrecht lassen sich allenfalls punktuelle Einschränkungen,

aber weder ein ausdrückliches Verbot noch ein zwingendes Gebot der Patentierbarkeit von

Organismen entnehmen. Der geschriebenen Verfassung lassen sich Antworten auf die vorliegende

Fragestellung indessen in Teilbereichen entnehmen. Darüber hinaus kommt verschiedenen

Grundrechten der Verfassung namentlich im Rahmen ihrer programmatischen Schicht28

27 Der Nationalrat hat am 20.3.91 einen im Rahmen des Gegenvorschlages zur Beobachter-Initiative gestellten Antrag Wyss (BE) auf ein

generelles Patentierungsverbot für Lebewesen (mit Ausnahme von Mikroorganismen) mit 79:67 Stimmen abgelehnt, Amtl. Bull. NR 1991 S.

624, 636, NZZ Nr. 67 vom 21.3.91 S. 26. Die Frage einer generellen Regelung wird sich erneut im Rahmen der im Frühjahr 1992 lancierten

Volksinitiative «zum Schutz von Leben und Umwelt vor Genmanipulationen (Gen-Schutz-Initiative)», BBl 1992 II 1652, stellen, welche ein

generelles verfassungsrechtliches Verbot der Patentierung insbesondere von Pflanzen und Tieren anstrebt.

28 Grundlegend J.P. Müller, Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie, Bern 1982, S. 4-15, und insbesondere S. 48: «Grundrechte

sind ihrer verfassungsrechtlichen Funktion gemäss auch objektive, fundamentale Gestaltungsprinzipien für das gesamte Staatswesen, für

Rechtssetzung und Rechtsdurchsetzung. Angesprochen ist in diesem Zusammenhang vor allem der Gesetzgeber, dem oft zuallererst obliegt, die

Verfahren, Institutionen und materiellen Kriterien zu schaffen, die für

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wegleitende Bedeutung zu. Die Grundrechtsrelevanz des Problems zeigt sich allein schon darin,

dass Art. 27 Abs. 2 der Allgemeinen Menschenrechtserklärung von 1948 der Vereinten Nationen

einen Anspruch auf Schutz der moralischen und materiellen Interessen umfasst, welche u.a. auch

aus Erfindungen resultieren können29, und andererseits eben dieser Schutz gerade im vorliegenden

Bereich wiederum Grundrechtsinteressen Dritter beeinträchtigen kann.

6.1 Besondere Bestimmungen

Spezifische Anhaltspunkte für die vorliegende Fragestellung finden sich vorerst in Art. 24novies BV.

Mit dieser am 17. Mai 1992 angenommenen Bestimmung werden namentlich Eingriffe in das

Erbgut von menschlichen Keimzellen und Embryonen als unzulässig erklärt, wie auch bestimmt

wird, dass nichtmenschliches Keim- und Erbgut nicht in menschliches Keimgut eingebracht werden

oder mit ihm verschmolzen werden darf. Aufgrund dieses klaren und punktuellen

verfassungsrechtlichen Verbotes gewisser Handlungen kann gefolgert werden, dass einschlägigen

und speziell für derartige Handlungen entwickelten Technologien auch der

immaterialgüterrechtliche Schutz versagt werden muss. Es handelt sich bei derartigen Eingriffen

nach geltendem Recht klar um eine Verletzung des Grundrechts der Persönlichen Freiheit und der

menschlichen Würde, welche in Art. 24novies BV neben dem Schutz der Familie zusätzlich

kodifiziert wurde und nun als ausdrückliches Grundrecht und Grundsatz der Verfassung gerade im

hier interessierenden Bereich der Gentechnologie hervorragende Bedeutung als Leitsatz auch für

die Gesetzgebung erlangt.

die Grundrechtsverwirklichung massgebend sein sollen; in solchen Fällen setzen Grundrechte nur das Ziel, sie sind in ihrer programmatischen

Funktion nicht weniger verbindlich, aber von anderem normativem Charakter als in ihrem direkt anspruchsbegründenden Gehalt: Sie lassen in

der Regel dem Gesetzgeber eine – je nach normativer Aussagekraft des Grundrechts verschieden grosse – Gestaltungsfreiheit.»

29 «Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der moralischen und materiellen Interessen, die sich aus jeder wissenschaftlichen, literarischen oder

künstlerischen Produktion ergeben, deren Urheber er ist»; Übersetzung nach Sartorius II, Internationale Verträge, Europarecht, Nr. 19.

(Loseblatt, München 1977).

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Gleiches gilt – mit Bezug auf den ausserhumanen Bereich – für die Rücksichtnahme auf die Würde

der Kreatur und den Schutz der Umwelt und der biologischen Vielfalt, wobei hier das positive

Verfassungsrecht bislang auf Grund der bestehenden blossen Kompetenz- und

Auftragsbestimmungen von Art. 24sexies Abs. 4 und Art. 25bis BV (Tier- und Pflanzenschutz) sowie

Art. 24septies BV (Umweltschutz) normativ weit weniger ergiebig ist als im Humanbereich.

6.2 Grundrechte und Verfassungsgrundsätze

Neben den genannten Verfassungsbestimmungen sprechen im Sinne von Leitlinien und

programmatischer Elemente namentlich die folgenden Grundrechte und Grundsätze der

Bundesverfassung für das Prinzip der Patentierbarkeit von Organismen:

– Die Rechtsgleichheit: Art. 4 BV kommt besondere Bedeutung insofern zu, als dass das

Patentrecht, soweit es eben besteht, grundsätzlich allen Bereichen der Technik offenstehen muss

(Nichtdiskriminierungsgebot). Nach Möglichkeit sollten Kriterien gefunden werden, die auf alle

Bereiche der Technik Anwendung finden können. Soweit dennoch für die Gentechnologie

Abweichungen erforderlich wären, bedürfen sie einer eingehenden Begründung der

Ungleichbehandlung.

– Die Eigentumsgarantie: Die verfassungsrechtliche Eigentumsgarantie umfasst auch das

Immaterialgüterrecht30 und somit immaterielle Leistungen und Güter31. Dabei sind die

Wirkungen der Verfassung im einzelnen noch wenig geklärt.

30 S. J.P. Müller, Die Grundrechte der schweizerischen Bundesverfassung, zweite überarbeitete Auflage, Bern 1991, S. 327; G. Müller in: J.F.

Aubert et al. (Hrsg.), Kommentar zur Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 29. Mai 1874, Basel/Bern/Zürich 1991,

Art. 22ter RZ 2.

31 Entsprechend verleihen das schweizerische Patentgesetz und das Europäische Patentübereinkommen einen Rechtsanspruch, das Recht auf das

Patent (Art. 3 PatG, Art. 60 EPUe). Sind die patentrechtlichen Bedingungen erfüllt, kann die Erteilung des Patentes vom BAGE (oder vom

Europäischen Patentamt) nicht verweigert werden; vgl. E. Blum/M. Pedrazzini, Das schweizerische Patentrecht 2.A., Bd. I, Bern 1975, S. 171.

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29

Zwischen Sacheigentum und immateriellem Eigentum bestehen strukturelle Unterschiede in

bezug auf Gegenstand und Dauer der ausschliesslichen Verfügungsrechte. Auch lässt sich nicht

sagen, dass die Eigentumsgarantie zwingend die Einführung des Patentrechts verlangt. Sie

verlangt aber als objektives Strukturprinzip der Verfassung die Bereitstellung eines

immaterialgüterrechtlichen Schutzsystems. Aus der Eigentumsgarantie lässt sich jedoch nicht

ableiten, ob und in welchem Ausmass einzelne konkrete technologische Entwicklungen

immaterialgüterrechtlichen Schutz geniessen sollen. Es ist vielmehr Sache des Gesetzgebers,

Umfang und Grenzen der Schutzsysteme festzulegen. Die Kompetenz zur Gesetzgebung über

den Schutz von Erfindungen wurde dem Bund in Art. 64 Abs. 1 BV bereits 1887 übertragen. Im

Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung, welche entscheidend auf privater Investitions- und

Innovationstätigkeit basiert, muss die Absicherung von Investitionen durch die Gewährung von

Schutzrechten wie im Sacheigentum auch für immateriales Kapital und Leistungen von

natürlichen und juristischen Personen gelten. In diesem Sinne fällt z.B. auch das

Immaterialgüterrecht nach der Praxis des Europäischen Gerichtshofes unter Art. 222 des EWG-

Vertrages und unterliegt gleich wie das Sacheigentum dem Schutz der nationalstaatlichen

Eigentumsordnungen der Mitgliedstaaten.

– Handels- und Gewerbefreiheit: Gleich wie der Eigentumsgarantie als Schutz von Investitionen

kommt auch der Wirtschaftsfreiheit (auch als Aussenhandelsfreiheit) des Art. 31 BV im

vorliegenden Bereich eine konstitutive und programmatische Bedeutung zu. Fehlender Schutz

von Erfindungen bedeutet nichts anderes als dass sich jede Person der Erfindung bedienen und

sie - ohne Forschungsaufwendungen – auf den Markt bringen kann, was zu

Wettbewerbsverzerrungen führt. Fehlender Schutz des geistigen Eigentums kann sich, wie die

GATT-Verhandlungen (TRIPs) sowie jene zum EWR-Abkommen zeigten, als faktische

Handelsverzerrung und Handelshemmnis auswirken und zu Retorsionsmassnahmen führen. All

dies kann die Ausübung der Wirtschaftsfreiheit beeinträchtigen.

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30

– Die Forschungsfreiheit: Private Forschung ist aus den bereits im Rahmen der Eigentumsgarantie

aufgeführten Gründen entscheidend auf die Sicherung getätigter Investitionen angewiesen.

Gleiches gilt in zunehmendem Masse jedenfalls im Ausland auch für die universitäre Forschung

und ihre Finanzierung. Ohne Investitionsschutz kann die Forschungsfreiheit auch nicht mehr im

gleichen Masse realisiert werden. Dazu kommt, dass das Patentrecht mit seiner

Transparenzfunktion (Publikation von Erfindungen) und dem Recht, Erfindungen zu

Versuchszwecken zu verwenden, im Sinne notwendiger Rahmenbedingungen und mit gewissen

Einschränkungen wesentlich zu einem offenen Forschungsumfeld beiträgt. Auf diese Weise

stützt es flankierend das vom Bundesrat in konstanter Praxis anerkannte32 ungeschriebene

Verfassungsrecht der Lehr- und Forschungsfreiheit, die auch durch Art. 3 des

Forschungsgesetzes33 gewährleistet wird34.

Diesen Rechten und objektiven Strukturprinzipien stehen virtuell folgende Grundrechte, Prinzipien

und weitere Verfassungswerte entgegen:

– Die menschliche Würde und die Persönliche Freiheit: Über die spezifischen

Verfassungsbestimmungen von Art. 24novies BV hinaus bieten diese Grundrechte eine wesentliche

Grundlage zur Einschränkung der Gentechnologie und damit auch der Patentierbarkeit

entsprechender Erfindungen. Die Grenzen sind indessen ausserordentlich schwierig zu ziehen.

Das Grundrecht der menschlichen Würde ist eine absolute Schranke, die keiner Relativierung

zugänglich ist. Das Problem besteht aber gerade darin, ihren Gehalt im vorliegenden Kontext

hinreichend klar zu definieren. In der

32 S. J.P. Müller (Anm. 30), S. 120ff., mit weiteren Hinweisen.

33 Bundesgesetz vom 7. Oktober 1983 über die Forschung (SR 420.1).

34 Eine ausdrückliche Anerkennung der Forschungsfreiheit als ungeschriebenes Verfassungsrecht - anstelle oder neben einer Anerkennung als

Teilgehalt insbesondere der Persönlichen Freiheit, der Handels- und Gewerbefreiheit, der Presse- oder der Meinungsfreiheit - wird auch vom

Bundesgericht nicht mehr ausgeschlossen, BGE 115 Ia 234, 268ff. A.A. H. Gruber, Forschungsförderung und Erkenntnisfreiheit, Diss. Bern

l986, S. 175ff.

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31

Schweiz bildet das Grundrecht der Persönlichen Freiheit mit seinem Schutz nicht nur der

Bewegungsfreiheit, sondern auch elementarer Entfaltungsmöglichkeiten und Lebenschancen

eine etwas konkretere Grundlage für die Aktualisierung des Grundrechtsschutzes im Bereich der

Gentechnologie. Darauf liesse sich gründen, dass Eingriffe unzulässig und Patentierungen da

ausgeschlossen sind, wo Erfindungen den Menschen als solchen betreffen und seine Personalität

beeinträchtigen können. Das Verbot von Eingriffen in die Keimbahn ist eine erste

verfassungsrechtliche Konkretisierung. Es darf indes nicht übersehen werden, dass die

Grundrechte der Würde und der Persönlichen Freiheit nicht bloss einschränkenden Charakter

haben, sondern auch für die Anwendung gewisser Technologien sprechen können. Aus der Sicht

des Bluters etwa sprechen z.B. Menschenwürde und die persönliche Freiheit für den Einsatz

gentechnologischer Methoden zur Behandlung erblicher Blutkrankheiten. Das gleiche gilt auch

für andere Erbleiden.

– Die Würde der Kreatur: Die Frage stellt sich, ob dieses nun in Art. 24novies BV verankerte und

noch wenig konkretisierte Prinzip die Patentierbarkeit gleich wie nach Massgabe der

menschlichen Würde ausschliesst. Stellt man die in der geltenden Rechtsordnung bestehenden

eigentumsrechtlichen Verhältnisse an Tieren und Pflanzen und deren wirtschaftliche Nutzung

durch den Menschen in den Vordergrund, wäre die Frage wohl zu verneinen. Solange die

Möglichkeit des Sacheigentums an Tier und Pflanzen besteht, liegt eine andere Ausgangslage als

beim Menschen vor, welche eine generelle Verneinung von immaterialgüterrechtlichem

Eigentum an Tier und Pflanzen nicht zulässt. Aber selbst wo man im Sinne neuerer Lehren dem

Tier Rechtssubjektivität einräumt, werden gentechnologische Eingriffe gerechtfertigt, wenn sie

zur Abwendung eines

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32

existenzbedrohenden menschlichen Leidens notwendig sind35 und sie beim Menschen selbst

einen unzulässigen Eingriff in Würde oder persönliche Freiheit bilden würden.

– Umwelt und Schutz der biologischen Vielfalt: Der Verfassungsauftrag zum Schutze der

biologischen Vielfalt – als Ausdruck der Würde auch der Kreatur – in Art. 24novies Abs. 3 BV

kann mit den vorgenannten Grundrechtsinteressen in dem Masse in Spannung treten, als die

Verwertung der immaterialgüterrechtlich geschützten Erfindung Schutz (Patent- oder

Sortenschutz) im Einzelfall zum Niedergang der biologischen Vielfalt beitragen würde. Im

Zeitpunkt der Patenterteilung ist dies indes häufig kaum zu erfassen. Die eigentliche

«Umweltverträglichkeitsprüfung» erfolgt im Stadium von Marktzulassungsverfahren,

Freisetzungsversuchen oder ähnlichen Prozeduren. Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass

Patent- und Sortenschutz aber auch günstige Voraussetzungen für die Erhaltung und weitere

Entwicklung der Vielfalt sein können und generelle Antworten nicht a priori möglich sind. So

hat der immaterialgüterrechtliche Schutz unter anderem zur Wirkung, dass die im Wettbewerb

stehenden Saatgutproduzenten nach verschiedenen Verfahren und Produkten für ein gleiches

Marktsegment suchen. Das gleiche gilt auch für den Umweltschutz allgemein. Bio- und

gentechnologische Erfindungen und Produkte können auch positive Beiträge zur Erhaltung einer

gesunden Umwelt (etwa der Einsatz von gentechnisch veränderten Mikroorganismen zum

Abbau von Schadstoffen, z.B. in Kläranlagen) leisten. Auch hier sind pauschale Antworten nicht

möglich.

35 Zu diesem Ergebnis kommen mit Bezug auf die Zulässigkeit transgener Tiere und damit wohl auch der Patentierbarkeitsfrage auch Ansätze,

welche von einer dem Menschen grundsätzlich gleichgestellten Rechtsstellung des Tieres ausgehen, z.B. Sitter, Transgene Tiere: Skandal oder

Chance, Zeitschrift für schweiz. Recht NF 110 (1991) S. 301, 334 ff., 340 f.: Die «Vernutzung von Tieren, auch die Herstellung und

Verwendung transgener Tiere» bedürfe im «Bestreben nach Erfüllung existentieller Zwecke, zu welchen Selbst- und Gesunderhaltung, aber auch

die Sorge für andere, also generell Prävention, Diagnose und Therapie schwerer Krankheiten gehören», «keiner grundsätzlichen ethischen

Rechtfertigung, weil sie sich einer solchen» entziehe. Herstellung und Verwendung von transgenen Tieren in der biomedizinischen Forschung

lasse sich «nur im Rückgriff auf existentielle, d.h. lebensnotwendige Zwecke ethisch zureichend legitimieren» (Hervorhebungen durch den

Autor).

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33

– Weitere öffentliche Interessen: Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass hier die relevanten

Interessen nicht abschliessend aufgelistet werden können. Jedes öffentliche Interesse, auch ohne

dass es Verfassungsrang hat und soweit es als überwiegend beurteilt wird, kann

Grundrechtsinteressen beschränken, solange es deren Kerngehalt nicht verletzt.

6.3 Die Notwendigkeit sorgfältiger Güterabwägung

Die (nicht notwendigerweise abschliessend genannten) Werte und Prinzipien und öffentlichen

Interessen können zu Zielkonflikten mit andern Grundrechtsgehalten und Verfassungswerten

führen. Solche Konflikte können, wie im Fall der Eingriffe in das Erbgut von menschlichen

Keimzellen und Embryonen, gezielt durch Entscheid des Verfassungsgebers gelöst werden. Sie

können dem Gesetzgeber übertragen werden, der seinerseits die Konfliktregelung angesichts der

Vielfalt und Komplexität wiederum der Einzelfallentscheidung überlassen kann.

Wesentlich ist hier, dass die Pluralität der betroffenen Grundrechte und verfassungsrechtlichen

Grundwerte deutlich macht, dass allgemeine und absolute Lösungen weder nach der einen noch

andern Richtung verfassungsrechtlich vertretbar sind. Die menschliche Würde und die persönliche

Freiheit bilden wesentliche Eckpfeiler; bei der Tierwürde und Artenvielfalt sind die Grenzen

schon offener. Ein genereller Ausschluss der Patentierbarkeit von Organismen, wie er erneut in

einer 1992 lancierten Verfassungsinitiative gefordert wird36, oder eine völlig uneingeschränkte

Bejahung der Patentierbarkeit, käme einem radikalen Bruch mit dem heutigen

verfassungsrechtlichen Rahmen gleich. Vielmehr sind differenzierte Lösungen erforderlich.

36 Volksinitiative «zum Schutz von Lebewesen und Umwelt vor Genmanipulation (Gen-Schutz-Initiative)», BBl 1992 II 1652.

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34

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die hier relevanten Grundrechte und

Verfassungsgrundsätze sowie die dahinter stehenden Wertmassstäbe im Rahmen der

Wirtschaftsverfassung und des bestehenden Patentsystems unter Berücksichtigung besonderer

Bestimmungen dafür sprechen, vom Prinzip der Patentierbarkeit auszugehen, das aber unter dem

Vorbehalt des ordre public steht. Sie zeigen vor allem auch, dass sie anhand ganz konkreter

Fragestellungen mittels Güterabwägungen auf Gesetzesstufe und durch Einzelfallentscheidung zu

aktualisieren sind. Auf der gleichen Grundlage beruht der geänderte Vorschlag der Kommission der

Europäischen Gemeinschaften vom 16. Dezember 1992 für eine Richtlinie des Rates über den

Rechtsschutz für biotechnologische Erfindungen37. Im Rahmen der Gesamtpolitik zur

Gentechnologie sowie im Lichte der verfassungsrechtlichen Überlegungen wurde dem Bundesrat

vorgeschlagen, seine Auffassung, dass Organismen als Gegenstand einer Erfindung in

Übereinstimmung mit dem geltenden Recht im Prinzip und unter Vorbehalt der darzulegenden

Einschränkungen patentierbar sind, zu bestätigen.

7. Elemente der Patentpolitik in bezug auf Industriestaaten

Auf Grundlage dieses verfassungsrechtlichen Rahmens ergeben sich Überlegungen und

Folgerungen für Regelungen in der Schweiz, aber auch im Völkerrecht. Die nationale

Meinungsbildung muss sich dabei in erster Linie auf internationale Verhandlungen und

Vereinbarungen ausrichten. Wie erwähnt, müssen all die nachstehend vorgeschlagenen

Bemühungen in erster Linie auf internationaler Ebene an die Hand genommen werden. Parallele

Entwicklungen sind auch im nationalen Recht vorzusehen, doch ist klar in Erinnerung zu rufen,

dass die wegleitenden Entscheidungen gerade im Bereich der Gentechnologie nicht mehr hier,

sondern vielmehr im Rahmen des EPUe und künftig des EG-Rechts mit Auswirkungen für die

Schweiz getroffen werden.

37 KOM (92)589 endg. - SYN l59, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. C 44 vom 16.2.93.

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35

7.1 Abkehr von klassifikatorischen Ausschlussgründen und Betonung

verfassungsrechtlicher Werte

Anstelle von starren Beschränkungen und schwierigen Unterscheidungen, wie z.B. zwischen

Pflanzen und Pflanzensorten bzw. Tieren und Tierrassen im geltenden Recht (vgl. Ziff. 4.1 c) und

5.2), ist aus verfassungsrechtlicher Optik de lege ferenda insbesondere von ethischen

Gesichtspunkten auszugehen, welche die Patentierbarkeit auf Grundlage der Würde des Menschen

bzw. der Persönlichen Freiheit und der Würde der Kreatur sowie der Schonung der Umwelt und der

Erhaltung der biologischen Vielfalt punktuell und durch Vornahme einer differenzierten

Güterabwägung einzuschränken vermögen.

Diese Einschränkungen sind im Kern bereits in den heute geltenden, aber verfassungsrechtlich

noch wenig aufgearbeiteten Ausschlussbestimmungen wegen Verstosses gegen den ordre public

oder die guten Sitten enthalten (s. Ziff. 4.1 lit. d). Sie bedürfen jedoch zur Sicherung ihrer

Praktikabilität der Konkretisierung. So kann mit der Erwähnung der Menschenwürde und der

Persönlichen Freiheit klargestellt werden, dass unerwünschte Anwendungen der Gentechnologie im

menschlichen Bereich (z.B. Erfindungen, die den Menschen als solchen oder nach heutiger

Rechtslage Eingriffe in die menschliche Keimbahn zum Gegenstand haben) dem Patentrecht nicht

zugänglich sind. In bezug auf Tiere könnte die Konkretisierung der Würde der Kreatur dadurch

erfolgen, dass Erfindungen nicht patentiert werden, deren Verwertung einem Tier Schmerzen,

Leiden oder Schäden zufügt, die nicht als notwendige Voraussetzung zur Linderung des Leidens

von andern Tieren oder von Menschen gerechtfertigt werden können. Hier erfolgt eine

Güterabwägung. Die bei der Beurteilung der Patentierung von Tieren angewandten Kriterien des

Europäischen Patentamtes gehen deutlich ebenfalls in diese Richtung. Während bei der Harvard-

Maus so die Patentierbarkeit bejaht wurde, wurde sie

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36

in einem anderen Fall («Woll-Maus»38) mit gleicher Methode vorläufig in Frage gestellt. In

gleicher Weise könnte, als Konkretisierung des Verstosses gegen die öffentliche Ordnung, den

Erfindungen das Patent versagt werden, bei denen feststeht, dass ihre Verwendung die Gesundheit

der Menschen oder Kreatur in schwerwiegender Weise gefährdet oder dass sie unweigerlich zu

ernstem Schaden für Umwelt, einschliesslich der biologischen Vielfalt, führt. Während die

Güterabwägung bei ethischen Fragen bereits im Zeitpunkt der Patentprüfung möglich ist, können

indes die erforderlichen Grundlagen fehlen, wo es um den Schutz der Gesundheit oder der Umwelt

geht. Die entsprechenden Entscheidgrundlagen - Versuche, klinische Abklärungen - können hier

naturgemäss im Zeitpunkt der Patentprüfung noch gar nicht vorhanden sein. In diesen Bereichen

wird ein Patent deshalb nur in krassen Fällen nicht erteilt werden können. Mit der Verbindung von

Erfindung und ihrer Verwendung soll im übrigen auch verhindert werden, dass Produkte zwar zum

Markt zugelassen, aber vorgängig oder gleichzeitig aus protektionistischen Gründen und unter

Berufung auf ethische Ausschlussgründe von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden.

Mit Bezug auf Pflanzen führt der Ansatz unter Vorbehalt der Erhaltung der biologischen Vielfalt zu

einer Erweiterung der Patentierbarkeit und damit einer Wahlmöglichkeit des Züchters,

gentechnologisch veränderte Organismen neben oder anstelle des traditionellen Sortenschutzes

auch patentrechtlich zu schützen, sofern die spezifischen Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. Ziff.

4.1).

Einen ähnlichen Ansatz in bezug auf die Güterabwägung enthält der geänderte Vorschlag für eine

EG-Richtlinie über den Rechtsschutz für biotechnologische Erfindungen vom

38 Die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamtes entschied in einem ersten Bescheid im Rahmen des Patenterteilungsverfahrens, der

beschränkte Nutzen der Erfindung (transgenes Tier, namentlich Maus, das der Erforschung des Woll- bzw. Haarwachstums dient) für die

Menschheit rechtfertige das Leiden des Tieres nicht. Fehlendes Haarwachstum, namentlich beim Menschen, und Wollproduktion seien nicht, im

Gegensatz zum Krebs bei der sog. Harvard-Maus (s. Anm. 26), mit einer ernsthaften Gefahr für den Menschen verbunden.

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37

16. Dezember 199239. Er geht allerdings noch von dem im Europäischen Patentübereinkommen

enthaltenen starren Ausschlussgrund für Pflanzensorten und Tierrassen aus, da sich das EG-Recht

im Rahmen des geltenden Übereinkommens bewegen muss.

7.2 Verfahrensrechtliche Ausgestaltung

Wie in andern komplexen Rechtsbereichen wird auch hier weder möglich noch erwünscht sein,

abschliessende Regelungen im Gesetz zu verankern. Zur Vermeidung der Gefahr der Erstarrung

kann überdies der Konkretisierungsgrad nicht zu hoch angesetzt werden. Die Gentechnologie wird

sich weiter entwickeln und verlangt nach Lösungen, die in der Praxis Anpassungen und

Weiterentwicklungen unter Berücksichtigung auch der Akzeptanz in der Öffentlichkeit erlauben.

Die einzelfallgerechte Beurteilung wird immer eine wichtige Rolle spielen. Es ist daher

erforderlich, der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung besondere Beachtung zu schenken.

Die Patentämter verfügen heute über einen Stab gut ausgebildeter Techniker. Diese sind indessen,

wie auch die Amtsleitung und die Fachjuristen, in den sich hier stellenden schwierigen

Abgrenzungsfragen längerfristig auf die Beratung externer Fachleute angewiesen. Zu denken ist

daher an eine Ethik-Kommission, wie sie im Rahmen der IDAGEN diskutiert worden ist.

Zweitens kommt der Möglichkeit, die Richtigkeit der Patenterteilung zu überprüfen, wesentliche

Bedeutung zu. Im europäischen Patentsystem steht hierzu ein jedermann offenstehendes

Verwaltungsverfahren (Einspruch-, Beschwerdeverfahren) zur Verfügung. Darüber hinaus können

sowohl europäische wie auch schweizerische Patente mit Nichtigkeitsklage vor einem Gericht

angefochten werden. Die Anforderungen an das Rechtsschutzinteresse des Klägers sind nach der

39 S. Anm. 37.

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38

schweizerischen Rechtsprechung nicht sehr hoch. Es ist anzunehmen, dass bei Anfechtungen

wegen Verstosses gegen die hier relevanten Ausschlussgründe praktisch jedermann zur Klage

berechtigt ist. Um jeden Zweifel zu beseitigen, könnte jedoch ausdrücklich vorgesehen werden,

dass in solchen Fällen das Klagerecht jedermann, einschliesslich Organisationen mit

entsprechender Zielsetzung, eingeräumt wird.

7.3 Flankierende Bestimmungen

Die Vermehrbarkeit von Organismen verlangt, wie im Rahmen der Vorlage zur Revision des

Patentgesetzes von 1989 vorgesehen, besondere Regelungen, z.B. in bezug auf die Erschöpfung der

Rechte aus dem Patent sowie den derivierten Stoffschutz40. Diese Postulate der Revision gelten

weiterhin, doch haben die bisherigen parlamentarischen Beratungen gezeigt, dass diese

flankierenden Bestimmungen letztlich nicht ohne den Einbezug von Artikel 1a PatG eingeführt

werden können. Die gleichen Probleme stellen sich nach wie vor auch auf europäischer Ebene im

Rahmen des geänderten Vorschlags der Kommission der EG vom 16. Dezember 1992 für eine

Richtlinie des Rates zum Schutz biotechnologischer Erfindungen41. Hier wie dort wird ein

Fortschritt erst erzielt werden können, wenn die grundlegenden Fragen der Patentierbarkeit und

ihrer Beschränkung gelöst worden sind.

40 Der Grundsatz der Erschöpfung der Rechte besagt, dass der Patentinhaber in bezug auf ein patentgeschütztes Produkt, das er in Verkehr gesetzt

hat, keine Rechte aus dem Patent mehr geltend machen kann. Das gilt aber nur für das konkret in Verkehr gebrachte Produkt und nicht auch für

die durch biologische Vermehrung dieses Produkts erhaltenen Erzeugnisse. Die Revision bezweckt, die bestimmungsgemässe Verwendung

dieser Erzeugnisse zu ermöglichen (z.B. Aussaat und Vermehrung von Saatgut zur Herstellung von Mehl).

Der derivierte Stoffschutz betrifft den Schutz des unmittelbaren Erzeugnisses eines patentierten Verfahrens (s. Ziff. 4.2 Bst. d a.E.). Die in der

Revisionsvorlage vorgesehene Erweiterung dieses Schutzes auf die durch biologische Vermehrung der unmittelbaren Erzeugnisse erhaltenen

Produkte bezweckt, der Umgebung des Verfahrenspatents durch Vermehrung im patentfreien Ausland und anschliessender Einfuhr einen Riegel

zu schieben.

41 S. Anm. 37.

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39

8. Elemente der Patentpolitik in bezug auf die Entwicklungsländer

8.1 Ergebnisse der GATT-Verhandlungen als Grundlage für die Frage

der Patentierbarkeit

Während die im Rahmen der EPUe und gegenüber der Europäischen Gemeinschaft zu verfolgende

Politik in erster Linie für die Beziehungen unter Industriestaaten zentral ist, befassen sich die

Verhandlungen im Rahmen des GATT und der OMPI mit Rahmenbedingungen, welche nicht nur

die Industriestaaten und deren gegenseitiges Verhältnis, sondern auch die Entwicklungsländer

betreffen. Hier geht es darum, jene Minimalbestimmungen zu schaffen, welche auf globaler Ebene

einerseits Handelsverzerrungen vermeiden, die erforderlichen Voraussetzungen für den

Technologietransfer und die Kooperation schaffen und andererseits auch die Interessen der

Entwicklungsländer auf Schutz ihrer eigenen genetischen Ressourcen berücksichtigen.

Die heutigen Ergebnisse der GATT-Verhandlungen (TRIPs-Abkommen) bilden hier eine solide

Grundlage und bedürfen zurzeit keiner weiteren Überprüfung. Die allgemeinen Ausschlussgründe

basieren neu ganz wesentlich auf ethischen Überlegungen, wenngleich die explizite Aufnahme der

menschlichen Würde trotz schweizerischen Bemühungen nicht gelang. Die Staaten sind frei,

Erfindungen, deren Verwertung die guten Sitten oder die öffentliche Ordnung sowie die Umwelt

auf schwerwiegende Weise beeinträchtigen, von der Patentierbarkeit auszunehmen. Den

Mitgliedstaaten ist es sodann gestattet, Tiere und Pflanzen, nicht aber Mikroorganismen, generell

von der Patentierbarkeit auszunehmen. Dabei sind sie jedoch verpflichtet, für Pflanzensorten ein

Schutzsystem zu schaffen. Die Ausgestaltung dieses Systems ist nicht bestimmt. Es lässt daher

Spielraum, die eigenen genetischen Ressourcen und deren Ausfuhr zu regeln, wie dies auch in der

Konvention über die Biologische Vielfalt vorgesehen ist. Es lässt aber auch Spielraum für die

Regelung der sog. «farmers’ rights». Diese beruhen auf dem gleichen Gedanken wie der

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40

Schutz des geistigen Eigentums und betreffen insbesondere die Rechte der Bauern aus der

Erhaltung der traditionellen Sorten in den Entwicklungsländern42. Das rechtlich zwar

unverbindliche «Engagement international sur les ressources phytogénétiques» der FAO hat die

Notwendigkeit der Ausgestaltung diesbezüglicher Schutzsysteme bejaht. Das Minimalerfordernis

des eigenen Schutzsystems stellt aber sicher, dass importiertes Saatgut nicht mehr ohne Beteiligung

an den Forschungskosten reproduziert und an Dritte exportiert wird und so unfaire

Handelsverzerrungen hervorruft.

Wo monopolistische Praktiken auftreten sollten, stellt das TRIPs-Abkommen es den Staaten frei,

Massnahmen gegen restriktive Geschäftspraktiken und Wettbewerbsbeschränkungen, unter dem

Einsatz von Zwangs- und Abhängigkeitslizenzen, zu ergreifen.

Schliesslich ist festzuhalten, dass nach dem TRIPs-Abkommen die am wenigsten entwickelten

Staaten eine dauernde Ausnahmeregelung mit Bezug auf die Einführung des Patentschutzes u.a.

auch im Bereiche der Biotechnologie geniessen.

Mit der vorgeschlagenen Lösung wird den in Ziffer 2.3 erwähnten Bedenken

entwicklungspolitischer Art Rechnung getragen. Insbesondere für die in diesem Bereich

bedeutsamen Pflanzensorten fordert sie von den Entwicklungsländern nicht die Einführung von

Patentschutz, sondern belässt ihnen in der Ausgestaltung des Schutzsystems weitgehenden

Spielraum.

8.2 Förderung des vertraglichen Zugangs zu gentechnologischen Erfindungen

im Rahmen der Konvention über die biologische Vielfalt

Das künftige TRIPs-Abkommen erlaubt es zudem, die in der Konvention über die Biologische

Vielfalt vorgesehenen administrativen, gesetzgeberischen und politischen Massnahmen vor-

42 Zu den andersartigen Landwirteprivilegien vgl. Anm. 11.

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zunehmen. Damit soll Entwicklungsländern der Zugang zu Erfindungen erleichtert werden, welche

für die Erhaltung der biologischen Vielfalt relevant sind oder die von ihren genetischen Ressourcen

abgeleitet wurden. Dabei muss allerdings unterschieden werden zwischen den

Forschungsergebnissen des öffentlichen Sektors einerseits und des privaten Sektors andererseits

(vgl. die auslegende Erklärung der Schweiz anlässlich der Unterzeichnung der Konvention über die

Biologische Vielfalt43): Was die Forschungsergebnisse der öffentlichen Hand anbelangt, steht es

der Schweiz frei, den Zugang der Entwicklungsländer bis hin zur unentgeltlichen Zulassung zu

erleichtern. Diese Freiheit besteht auch auf Grundlage des «Engagement international sur les

ressources phytogénétiques» der FAO44. Was hingegen die Forschungsergebnisse des privaten

Sektors anbelangt, muss der Zugang auf freiwilliger, vertraglicher Basis auf Grund von

Kooperationsprogrammen, von gemeinsamer Forschung und von Technologietransfer erleichtert

werden, unter Wahrung der Grundsätze und Regeln des geistigen Eigentums. Ein wesentliches

Mittel zur Förderung dieser Tätigkeiten ist die im Rahmen des UNCED-Prozesses ins Auge

gefasste Finanzierung von Lizenzen. Hier liegt, auf der Grundlage des Schutzes des geistigen

Eigentums, ein entwicklungsfähiges Instrument vor, das dem wirklichen Transfer von Technologie

und Know-how auf vertraglicher Basis mehr bringt, als dies auf der Grundlage eines fehlenden

Schutzes und damit einer auf das Geschäftsgeheimnis angewiesenen Geschäftspolitik der Fall sein

kann.

9. Haltung gegenüber den mittel- und osteuropäischen Reformstaaten

Im Hinblick auf die Eingliederung der osteuropäischen Reformstaaten in das europäische

Patentsystem sollte weiterhin eine Politik verfolgt werden, welche diese Staaten nach einer den

Umständen angemessenen Übergangsfrist mindestens auf das

43 S. Anm. 18.

44 Zur schweizerischen Haltung hiezu vgl. Anm. 18.

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Niveau des materiellen Rechts des EPUe verpflichtet, so dass die Entwicklung im Gleichschritt wie

in Westeuropa erfolgt. Angesichts des starken Willens dieser Staaten zur Integration und zur

Schaffung günstiger Investitionsbedingungen bestehen diesbezüglich keine Probleme.

10. Die Haltung des Bundesrates vom 23. Juni 1993

Gestützt auf die vorstehenden Überlegungen wurden dem Bundesrat Elemente für seine Haltung

mit Bezug auf die Rechtsfortbildung auf nationaler und internationaler Ebene in der Frage der

Patentierbarkeit von Organismen vorgeschlagen. Der Bundesrat hat diese am 23.6.1993 zur

Kenntnis genommen. Sie wurden in den nachstehenden 12 Punkten zusammengefasst:

1. Im Rahmen der Gesamtpolitik zur Gentechnologie sowie im Lichte der

verfassungsrechtlichen Überlegungen bestätigt der Bundesrat seine Auffassung, dass

Erfindungen, die Organismen betreffen, in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht im

Prinzip und unter Vorbehalt der nachstehenden Einschränkungen patentierbar sind.

2. Gentechnologische Entwicklungen müssen als primäre Voraussetzung für die Patentierbarkeit

Erfindungen sein. Blosse Entdeckungen genügen nicht. Der Bundesrat hält daher fest, dass

unveränderte Organismen, z.B. Gene, die in der Natur vorkommen, von vorneherein von der

Patentierbarkeit ausgeschlossen bleiben. Darüber hinaus müssen Erfindungen den Kriterien

der Neuheit, der erfinderischen Tätigkeit sowie der gewerblichen Anwendbarkeit genügen.

Schon daraus folgt, dass zum Beispiel die Patentierung von Erfindungen betreffend

menschlicher Gene ohne Bestimmung des wirtschaftlichen Verwendungszweckes der

Erfindung ausgeschlossen ist.

3. Die Komplexität des Problems verlangt darüber hinaus nach einem differenzierten Ansatz zur

Bestimmung besonderer ethisch und ökologisch motivierter Aus-

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schlussgründe auf der Grundlage einer Güterabwägung zwischen betroffenen

Grundrechtsinteressen und Verfassungsprinzipien: Erfindungen, deren Verwertung gegen die

Würde des Menschen, die Persönliche Freiheit oder die Würde der Kreatur verstösst oder die

Umwelt einschliesslich der biologischen Vielfalt ernsthaft gefährdet, sind von der

Patentierung ausgeschlossen. Der Ausschluss besteht a priori, wo die Erfindung den

Menschen als solchen zum Gegenstand hat. Ausgeschlossen sind ferner, aufgrund einer

Güterabwägung, Erfindungen, deren Verwertung einem Lebewesen in ungerechtfertigter

Weise Schmerz, Leiden oder Schäden zufügt oder unweigerlich zu ernsten Schäden für

Mensch und Umwelt führen würde. Dieser Ansatz ist mit dem allgemeinen Vorbehalt der

öffentlichen Ordnung und der guten Sitten im Kern bereits im geltenden Patentrecht

enthalten, muss aber im vorgenannten Sinne weiter vertieft und konkretisiert werden. Eine

vergleichbare Lösung steht auch in der Europäischen Gemeinschaft zur Diskussion, wo die

Grenzen der Patentierbarkeit unter Berufung auf die Moralität, die menschliche Würde und

bei Tieren durch eine Güterabwägung zwischen Nutzen und zugefügtem Leiden abgesteckt

werden sollen.

4. Der flexible Ansatz soll den im Zeitalter der Gentechnologie überholten starren Ausschluss

von Tierrassen und von Pflanzensorten in Artikel 53 Buchstabe b EPUe und Artikel 1a PatG

ersetzen. Er setzt eine Konkretisierung des Vorbehaltes der öffentlichen Ordnung und der

guten Sitten in Artikel 53 Buchstabe a EPUe und Artikel 2 Buchstabe a PatG im Sinne von

Ziffer 3 voraus.

5. Für die Entscheidfindung sind angemessene Mechanismen bereitzustellen, welche eine

interdisziplinäre Beurteilung eingereichter Patentgesuche im Bereich der Bio- und

Gentechnologie erlauben.

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6. Die Verwirklichung der Neuregelung muss vorerst und mittelfristig auf europäischer Ebene,

insbesondere im Rahmen des Europäischen Patentübereinkommens, an die Hand genommen

werden, bevor eine Revision von Artikel 1a und Artikel 2 lit. a PatG vorgenommen werden

kann.

7. Aus umwelt- und entwicklungspolitischer Perspektive anerkennt der Bundesrat das Prinzip

des Schutzes und der Abgeltung erfinderischer Leistungen. Er unterstützt differenzierte

Lösungen. Diese umfassen den Interessenausgleich zwischen dem immaterialgüterrechtlichen

Schutz von Erfindungen, dem Schutz der Rechte, die sich aus der Erhaltung und Pflege der

traditionellen genetischen Ressourcen der Entwicklungsländer ergeben, sowie dem Gebot der

Erhaltung der Artenvielfalt. Sie erlauben den Entwicklungsländern, diejenigen Schutzrechte

zu bestimmen, die ihren Bedürfnissen am besten gerecht werden und, im Falle der am

wenigsten entwickelten Länder, von solchen abzusehen.

8. Die Haltung gegenüber den Entwicklungsländern stützt sich auf das GATT-TRIPs-

Abkommen (bzw. den Entwurf vom 20. Dezember 1991 bis zum Abschluss der

Verhandlungen), die UNCED-Konvention über die biologische Vielfalt sowie das FAO-

Engagement über pflanzengenetische Ressourcen:

9. Das GATT-TRIPs-Abkommen gewährt den Entwicklungsländern einen hinreichenden

Spielraum für die Ausgestaltung von ihren Bedürfnissen angemessenen Lösungen.

Insbesondere verlangt es nicht die Patentierbarkeit von Pflanzensorten und Tierrassen,

sondern erlaubt diesbezüglich die Einführung anderweitiger Schutzsysteme. Zudem sieht das

Abkommen grosszügige Übergangsfristen vor. Weitergehende Bemühungen müssen da

vorbehalten werden, wo der fehlende Schutz namentlich seitens von Schwellenländern zu

erheblichen Handelsverzerrungen führt, d.h. diese in bezug auf ihre Exporttätigkeit nicht

mehr eigentlich Entwicklungsland sind.

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10. Der Schutz des geistigen Eigentums mit dem Mittel der Patentierung in den Industriestaaten

schliesst die Anerkennung und Ausgestaltung anderer Rechte nicht aus, insbesondere der

«farmers’ rights» und der Rechte der Entwicklungsländer auf Beteiligung an Gewinnen, die

sich aus der Konvention über die biologische Vielfalt ergeben können. Diese Rechte werden

im Grundsatz anerkannt, und die Schweiz unterstützt die Bemühungen zu ihrer Ausgestaltung

unter Berücksichtigung ihrer zur Konvention abgegebenen auslegenden Erklärung. In diesem

Sinne sind die Möglichkeiten einer vermehrten Abgeltung für die Verwendung von

natürlichen Ressourcen durch die Industrie und die Beteiligung an erzielten Gewinnen sowie

die geeignete Verwendung solcher Beiträge eingehend zu prüfen.

11. Die Technologiekooperation unter Einschluss staatlicher Lizenzfinanzierung ist als Mittel des

Technologietransfers im Rahmen der Ziele der schweizerischen

Entwicklungszusammenarbeit zu fördern. Die vom Bundesrat unterzeichnete Konvention

über die biologische Vielfalt als auch das «FAO Engagement international sur les ressources

phytogénétiques» bilden eine wesentliche Grundlage für Arbeiten in dieser Richtung.

12. In bezug auf die mittel- und osteuropäischen Reformstaaten ist mindestens das Niveau des

materiellen Rechts des EPUe anzustreben.