Das Abkominen von 1890 zwischen England und dem...

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~ Das Abkominen von 1890 zwischen England und dem Deutschen Reich rief in den Kreisen der deutschen Kolonialinteressenten Entrüstung hervor. Im Jahre 1891 gründeten führende Persönlichkeiten auf kolonialem Gebiet sowie Vertreter der Schwerindustrie und der Finanz den Alldeutschen Ver- band. Er bezweckte die Ausarbeitung von Plänen für den Kampf gegen England, um die Weltherrschaft Deutschlands zu errichten. Ein fester Be- standteil dieser Pläne war auch der Kampf gegen die slawischen Völker. Der Alldeutsche Verband spielte eine große Rolle bei der Herausbildung der Ideologie des deutschen Imperialismus. Die englisch-deutschen \Vider-' sprüche verschärften sich durch den Konkurrenzkampf der beiden Mächte, der durch den industriellen Fortschritt Deutschlands bedingt war. Dieses hatte Anfang der 90er Jahre des 19.Jh. Frankreich überholt und kam jetzt in bezug auf die Höhe seiner Industrieproduktion England immer näher. Die Krise von 1890 benutzten die Unternehmer, um gegen die Arbeiter- klasse vorzugehen. Aber je mehr sich die Klassenwidersprüche verschärften, um so stärkere politische Aktivität entfaltete das Proletariat. Im Jahre 1891 nahm der Parteitag der deutschen Sozialdemokraten in Erfurt ein Pro- gramm an, das gegenüber dem Gothaer Programm einen Fortschritt be- deutete. Jedoch enthielt auch das Erfurter Programm noch beträchtliche Zugeständnisse an den Opportunismus. Engels unterzog den Entwurf zu

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~Das Abkominen von 1890 zwischen England und dem Deutschen Reich riefin den Kreisen der deutschen Kolonialinteressenten Entrüstung hervor. ImJahre 1891 gründeten führende Persönlichkeiten auf kolonialem Gebietsowie Vertreter der Schwerindustrie und der Finanz den Alldeutschen Ver-band. Er bezweckte die Ausarbeitung von Plänen für den Kampf gegenEngland, um die Weltherrschaft Deutschlands zu errichten. Ein fester Be-standteil dieser Pläne war auch der Kampf gegen die slawischen Völker.Der Alldeutsche Verband spielte eine große Rolle bei der Herausbildungder Ideologie des deutschen Imperialismus. Die englisch-deutschen \Vider-'sprüche verschärften sich durch den Konkurrenzkampf der beiden Mächte,der durch den industriellen Fortschritt Deutschlands bedingt war. Dieses hatteAnfang der 90er Jahre des 19.Jh. Frankreich überholt und kam jetztin bezug auf die Höhe seiner Industrieproduktion England immer näher.Die Krise von 1890 benutzten die Unternehmer, um gegen die Arbeiter-klasse vorzugehen. Aber je mehr sich die Klassenwidersprüche verschärften,um so stärkere politische Aktivität entfaltete das Proletariat. Im Jahre 1891nahm der Parteitag der deutschen Sozialdemokraten in Erfurt ein Pro-gramm an, das gegenüber dem Gothaer Programm einen Fortschritt be-deutete. Jedoch enthielt auch das Erfurter Programm noch beträchtlicheZugeständnisse an den Opportunismus. Engels unterzog den Entwurf zu

diesem Programm einer scharfen Kritik. Der Sozialdemokratischen Parteiwaren damals zahlreiche neue Mitglieder beigetreten, darunter, wie sichdann herausstellte, eine große Anzahl zeitweiliger »Mitläufer«. Dieser Um-stand trug dazu bei, daß der Opportunismus in der Sozialdemokratie neubelebt wurde. Lenin wies darauf hin, daß »die Opportunisten objektiv denTeil der Kleinbourgeoisie und gewisser Schichten der Arbeiterklasse dar-stellen, der vermittels der imperialistischen Extraprofite bestochen und soin Kettenhunde des Kapitalismus und Verderber der Arbeiterklasse ver-wandelt worden ist«1.

Unter diesen Umständen nahm der Kampf zwischen den beiden Rich-tungen innerhalb der Arbeiterbewegung, der revolutionären und deropportunistischen, an Schärfe zu. Es war nun von großer Bedeutung für dasErstarkender revolutionären Richtung, daß Engels 1891 trotz des Wider-standes der reformistischen sozialdemokratischen Führer (Kautsky u. a.)Marx' »Kritik des Gothaer Programms« veröffentlichte, die von den Oppor-tunisten 15 Jahre lang totgeschwiegen worden war. Nach der Aufhebungdes Ausnahmegesetzes gegen die Sozialisten konnte die Sozialdemokra-tische Partei wieder legal arbeiten. Bei den Wahlen von 189"3erhielt sie1787000 Stimmen und entsandte 44 Abgeordnete in den Reichstag.Die Arbeiterklasse gewann an organisatorischer Geschlossenheit. Gleich-zeitig wurde die Haltung der herrschenden Klassen immer reaktionärer.Nachdem der Reichstag aufgelöst worden war, da er sich einer Erhöhungder Ausgaben für das Heer widersetzt hatte, gelangte ~893 im neuenReichstag, der anders zusammengesetzt war, ein Gesetz zur Annahme, dasder Regierung die Möglichkeit gab, das Heeresbudget für einen kürzerenZeitraum (5 statt, wie bisher, 7 Jahre) zu erhöhen. Im Jahre 1894 wurde aufInitiative des Alldeutschen Verbandes in Posen der nationalistische polen-feindliche »Hakatisten«- Verein gegründet. An Caprivis Stelle trat 1894 alsReichskanzler Fürst Hohenlohe, der in seiner Außenpolitik einen noch ag-gressiveren Kurs verfolgte. Angesichts des Erstarkens der Reaktion war fürdie Arbeiterklasse die Frage nach Bundesgenossen besonders aktuell. Fürihre Beantwortung war die 1894 veröffentlichte Schrift von Engels über»Die Bauernfrage in Fra~kreich u~d Deutschland« außerordentlich wichtig.

1 B.H.JIeHJlH, Cox. (W.I.Lenin, Werke), Bd. 23, 4. Aufl., 8.99.

Darin wurde die Haltung der deutschen Sozialdemokratischen Partei in derAgrarfrage einer scharfen Kritik unterzogen, denn in dieser Haltung kamzum Ausdruck, daß ihre opportunistischen Führer nicht gewillt waren, die'Proletarier zur Eroberung der Macht zu führen, daß sie Angst vor derRevolution hatten.

Mitte der 90er Jahre setzte ein industrieller Aufschwung ein. Er führtezu einer noch stärkeren Konzentration der Produktion. Die Zahl der Kar-telle hatte sich gegen 1896 auf 250 erhöht. Ein solches Kartell hatte manch-mal 7 bis 8 Zehntel der gesamten Produktion eines bestimmten Industrie-zweiges in seiner Hand, Junkertum und Großbourgeoisie, die die sozialeBasis des deutschen Imperialismus bildeten, waren durch gemeinsame wirt-schaftliche und politische Interessen sowie durch ihren Kampf gegen dieArbeiterbewegung miteinander verbunden. Agrarier wurden zu führendenGroßindustriellen und umgekehrt die bedeutendsten Iridustriemagnaten zuGroßgrundbesitzern. Lenin schreibt. über den deutschen Imperialismus:»Hier haben wir das ,letzte Wort' der modernen großkapitalistischen Tech-nik und planmäßigen Organisation, die sich dem junkerlich-bourgeoisenImperialismus untergeordnet hat,,1.

Der junkerlieh-bourgeoise deutsche Imperialismus betrat den Schauplatzder Weltgeschichte zu einer Zeit, da die Erde im wesentlichen bereits auf-geteilt war. Darin liegt seine außergewöhnliche Aggressivität, sein räuberi-scher Charakter begründet. Anfang 1896 unternahm Wilhelm II. im Inter-esse der Monopolisten den Versuch, Transvaal unter deutsches Protek-torat zu stellen. Die Transvaalkrise drohte zum Kriege zu führen. Doch'weder England .noch Deutschland konnte den Krieg beginnen, weil diedeutsche Regierung über keine ausreichende Kriegsflotte verfügte und Eng-land auf 'dem europäischen Festland keinen Verbündeten hatte.rdessen essich zur Verwirklichung seiner Pläne hätte bedienen können.

Nachdem das Deutsche Reich Dsterreich-Ungarn und Italien brutal unterpolitischen Druck gesetzt hatte, erreichte es 1897 eine Verlängerung desaggressiven Dreibundvertrages. Um die Expansion des deutschen Imperia-lismus in Richtung .auf die Türkei zu sichern,. das französisch-russischeBündnis zu sprengen und eine Annäherung zwischen Rußland und Eng-land zu vereiteln, förderte die deutsche Regierung die Entfesselung des

1 Ebenda, Bd.27, S.306.

griechisch-türkischen Krieges im Jahre 1897. Ende des gleichen Jahr-es gingDeutschland an die Realisierung seiner Expansionspläne 'im Fernen Osten.Nachdem Deutschland im November 1897 an der chinesischen Küste Trup-pen hatte landen lassen, annektierte es im März 1898 Kiautschou und zwangdadurch die chinesische Regierung, ihm mehrere Bergbaukonzessionen inSchantung und eine weitere Konzession zum Bau zweier Eisenbahnliniendaselbst zu erteilen. Im Frühjahr 1898 wurde vom Reichstag der erste Ge-setzentwurf über den Flottenbau angenommen, der sich als eine schwereLast für die Arbeiter auswirken sollte. Die Annahme des Flottenbaupro-gramms, dessen Initiator der Admiral Tirpitz war, bedeutete den Beginnder englisch-deutschen Rivalität zur See. Der deutsche Imperialismus be-gann jetzt mit großer Aktivität zum Kriege um die Aufteilung der Erdezu rüsten. »Deutschland begann England zu überholen und forderte für sichauf Kosten anderer Staaten, vor allem auf Kosten Englands, eirien Platz.an der Sonne' ... der imperialistische Krieg (1914-1918) brach gerade imZusammenhang mit diesem Umstand aus.«! Die aggressive Außenpolitik •des deutschen Imperialismus stärkte wiederum die Reaktion in Deutschland.Während er zum Kriege rüstete, ging die Regierung besonders aktiv gegendie Arbeiterklasse vor und betrieb die nationale Unterdrückung mit nochgrößerer Energie.

Deutschland trat in den Kampf um die Neuaufteilung der Erde in demAugenblick ein, als auf dem Schauplatz des Weltgeschehens ein weitererRäuber, der junge amerikanische Imperialismus, erschien. Der spanisch-amerikanische Krieg 1898 war der erste Krieg, der um die Neuaufteilungder Erde geführt wurde. Der deutsche Imperialismus beteiligte sich an ihm,indem er ein Geschwader nach Manila entsandte, in der Absicht, diePhilippinen in Besitz zu nehmen oder doch wenigstens ihre Teilung zu er-reichen. Das Ergebnis war der Erwerb der Karolinen, der Marianen unddes Palau-Archipels. Die deutsche Expansion richtete sich auch auf Latein-amerika. Im Jahre 1898 suchte sich das Deutsche Reich mit England überdie Auf teilung der portugiesischen Kolonien zu verständigen. Damalswurden auf Initiative Englands auch Versuche unternommen, ein englisch-

1 :H. B. CTaJJIlH, COq. (J. W. Stalin, Werke), Bd.8, S.253; deutsch: ebenda,Berlin 1952, S.226f.

deutsches Abkommen gegen Rußland zu .treffen. Ein solcher Vertrag kamjedoch nicht zustande, Deutschland und England konnten, wie Lenin be-:merkt hat, wegen der englisch-deutschen Widersprüche nicht handels-einig werden'. Die Gegensätze zwischen England und dem Deutschen Reichwaren schwerwiegender Natur und sollten, worauf Stalin hingewiesen hat,für die Entstehung und Entwicklung. des ersten Weltkrieges nahezu aus-schlaggebend sein". Diese Widersprüche verschärften sich im Zusammen-hang mit dem Kampf des deutschen Imperialismus um die Konzession fürdie Bagdadbahn noch mehr. Die Verschlechterung der Beziehungen zuRußland und England wurde von' den imperialistischen Kreisen Deutsch-lands, die die. Weltherrschaft erstrebten, als Vorwand benutzt, um dasLand weiter zt1'Wilitarisieren. Am 16. März 1899 nahm der Reichstag einenneuen Gesetze~fwurf über eine Heeresverstärkung an. Vorgesehen warferner die Einbringung eines neuen Flottenprogramms im gleichen Jahr.

Ende der 90er Jahre des 19.Jh. gewann die Arbeiterbewegung immermehr an Boden. Hauptforderungen der Arbeiter waren die Erhöhung derArbeitslöhne und die Verkürzung des Arbeitstages. Während des Juni-streiks der Bergleute (1899), der von den Arbeitermassen ganz Deutsch-lands unterstützt wurde, kam es zu Zusammenstößen zwischen Arbeiternund Militär. Durch den Junistreik wurde die Einbringungdes Flotten-programms verhindert. Der Versuch der Regierung, Ende 1899 ein Gesetzzum Schutz der Streikbrecher durchzubringen, mißlang.

Im Kampfe gegen die Arbeiterbewegung stützte sich die Bourgeoisie aufihre Agentur, die Opportunisten. Bernstein, der schon vorher in einerReihe von Fragen eine opportunistische Haltung eingenommen hatte, for-derte jetzt die Revision des Marxismus (Revisionismus). Unter demDruck der Arbeiterbewegung stimmten die sozialdemokratischen Reichs-tagsabgeordneten gegen das Flottenprogramm, .das vom Reichstag imJuni 1900 angenommen wurd~ und eine Verdopplung der Stärke der

.deutschen Kriegsflotte vorsah. Sie sollte dadurch zur stärksten Kriegsflotte

1 VgJ. B.H. JIeHHH, Terpana lIO HMlIepHaJIH3MY (W. I. Lenin, Hefte über denImperialismus), 1939, S.474.

2 VgJ.H. CTaJIHII, 0 crarse 9HreJThCa «Buemnaa lIOJIIITlllta pyccxoro rrapH3Ma. '(J. Stalin, Über den Artikel von Engels "Die auswärtige Politik des russischen Zaren-thums"). "Bolschewik", 1941, Heft 9.

der Welt nächst der englischen werden. Indessen, nicht' einmal die revo-lutionäre Sozialdemokratie hatte das imperialistische Wesen der deutsdienAußenpolitik und ihre enge Verbindung mit den Interessen der kapita-listischen Monopole begriffen. Die opportunistischen Führer der Sozial-demokratie (Bernstein u. a.), die für den Klassenfrieden eintraten, warenvielmehr bereit, die Regierung in ihrer Kolonialpolitik zu unterstützen.

Deutschland von 1900 bis 1914

Die im Jahre 1900 einsetzende Wirtschaftskrise beschleunigte den Kon-zentrationsprozeß in Industrie und Bankwesen ganz außerordentlich. Diekapitalistischen Monopole standen an erster Stelle in der Volkswirtschaftwie in der Politik, »der Imperialismus hat sich aus Ansätzen zum herr-schenden System entwickelt«l. Die deutsche Wirtschaft machte so stürmischeFortschritte, daß es ihr gelang, binnen 15 bis 20 Jahren die englische zuüberholen. Der Verlauf der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlandsbestätigte die Leitsätze des 1915 von Lenin entdeckten Gesetzes der un-gleichmäßigen Entwicklung des Kapitalismus unter den Verhältnissen desImperialismus in besonders drastischer Weise. Im Jahre 1892 wurden inDeutschland 4,9 Mill. t Roheisen hergestellt, in: England 6,8 Mill.; 1912 be-stand bereits ein Verhältnis von 17,6 Mill. t zu 9,0 Mill t. »Es fragt sich«,schreibt Lenin, »welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Ka-{ntalismus geben außer dem Krieg, um das Mißverhältnis zwischen derEntwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitalseinerseits, der Verteilung der Kolonien und der Einflußsphären des Finanz-kapitals andererseits zu beseitigene", Die Politik der deutschen Regierungwurde so immer reaktionärer und aggressiver. Die erste Amtshandlung desReichskanzlers v. Bülow, der 1900 Hohenlohes Nachfolger wurde, war dieIntervention in China zur Unterdrückung der nationalen Befreiungs-bewegung (des Ngi-ho-t'uan-Aufstandes). Bestrebt, das Bündnis des Mono-polkapitals mit den Junkern zu festigen, setzte Bülow 1902 im Reichstagdie Annahme eines Zolltarifs durch, der eine beträchtliche Erhöhung der

1 B. M. JIeHI1H, COq. (W. 1. Lenin, Werke), Bd.22, 4. Aufl., S.271; deutsch:W. I. Lenin, Ausgew. Wel(ke in 2 Bdn., Bd. I, Berlin 1952, S. 857.

2 Ebenda, S. 262; deutsch: a. a. 0., S.848.

Getreidezölle mit" sich brachte und sich auf die Lage der Werktätigennachteilig auswirkte. Im Jahre 1903 kam es zu einem sechs Monate dauern-den Streik derTextilarbeiter in Crimmitschau (Königreich Sachsen). Aberda sich die opportunistischen Gewerkschaftsführer mit den Unternehmernverständigten, endete er mit einer Niederlage der Arbeiter. .

Infolge der Annäherung zwischen Italien und Frankreich sowie einesAbkommens zwischen England und Frankreich, durch das der Grundsteinzur Entente gelegt wurde, mußte die deutsche Regierung befürchten,politisch isoliert zu werden, und setzte deshalb Ende 1904 ihr Ränkespielnoch eifriger fort, um das russisch-französische Bündnis zu unterwühlenund die Entente zu sprengen. Dem ersteren Zweck dienten die Verhand-lungen, die zwischen. der deutschen und russischen Regierung im Herbst 1904wegen eines russisch-deutschen Bündnisses geführt wurden, sowie eine Poli-tik, die darauf ausging, den Russisch-japanischen Krieg 1904/05 nach Mög-lichkeit zu verlängern, an dessen Entfesselung das Deutsche Reich einen be-trächtlichen Anteil gehabt hatte; Auch der Vertrag von Björkö vom Jahre1905 zwischen Wilhe1m 11. und Nikolaus 11. verfolgte dieses Ziel. EinenVersuch, der englisch-französischen Entente ein Ende zu bereiten, stellte dasAuftreten Wilhe1ms 11. in Tanger im März 1905 sowie sein Wirken gegendie französische Marokkopolitik dar (Marokkokrisen). Jedoch im Hinblickauf die internationale Lage sah sich der deutsche Imperialismus, der da-mals seine Kriegsrüstungen noch nicht beendet hatte, zu Konzessionengegenüber Frankreich veranlaßt. Das Deutsche Reich erkannte die »beson-deren Interessen« Frankreichs in Marokko an. Der Beginn der russischenRevolution von 1905-1907 bewog die deutsche Regierung, die Politik derVerlängerung des Russisch-japanischen Krieges aufzugeben und zumSchutze der Zarenmonarchie Vorbereitungen zu einer konterrevolutionärenIntervention in Rußland zu lreffen.

Die russische Revolution von 1905-1907 beeinflußte die" Arbeiter-bewegung Deutschlands in starkem Maße. Sie löste machtvolle Demonstra- .tionen der deutschen Arbeiter zum Zeichen ihrer Solidarität mit der rus-sischen Arbeiterklasse aus, desgleichen ein Anwachsen der Streikbewegung.. Im Januar und Februar 1905 streikten im Ruhrgebiet 360000 Bergleute.Gegen diesen Zeitpunkt traten innerhalb der Sozialdemokratie deutlichdrei Strömungen hervor: die linken Sozialdemokraten, die Reditsopportu-

nisten und die Zentristen. Die Politik der Zentristen »bestand«, nach einemWorte Stalins, »darin, den Opportunismus der Rechten mit linken Phrasenzu schmücken und die Linken den. Rechten zu unterwerfen-- .. Unter demDruck der revolutionären Massen faßte der Jenaer Parteitag der deutschenSozialdemokratie, der im Herbst 1905 stattfand, einen Beschluß, in demder politische Massenstreik als Methode des revolutionären Kampfes gut-geheißen wurde. Der Parteitag vermied jedoch die Frage des bewaffnetenAufstandes. Außerdem wurde der Beschluß über den Generalstreik durcheinen Beschluß des Mannheimer Parteitages von 1906 faktisch wieder zu-nichte gemacht. Dies erklärt sich aus der Schwäche und theoretischen Un-reife des linken, revolutionären Flügels der deutschen Sozialdemokratiemit Rosa Luxemburg u. a. an der Spitze, der die führende Rolle der Parteiunterschätzte und manche anderen Fehler beging. Lenin und Stalin habenauf die Fehler der deutschen linken Sozialdemokraten mehrfach aufmerk-sam gemacht. Die opportunistischen Partei- und Gewerkschaftsführer allerSchattierungen, darunter die Revisionisten, lehnten die revolutionärenMethoden des Kampfes auch weiterhin entschieden ab. Lenin entlarvte dieOpportunisten in »Was tun?« und in anderen Arbeiten, Stalin tat dasgleiche in seiner »Kurzen Darlegung der Meinungsverschiedenheiten in derPartei« sowie in anderen Schriften. .

Im Gegensatz zur opportunistischen Führung veranstalteten die Dres-dener Arbeiter im Dezember 1905 Massendemonstrationen unter derLosung der Einführung des allgemeinen Wahlrechts in Preußen undSachsen. In Hamburg fand ein politischer Massenstreik statt. Durch den'machtvollen Aufschwung der Arbeiterbewegung sah sich die Regierung zuTeilzugeständnissen gezwungen. Im Jahre 1906 wurde das allgemeineWahlrecht in Bayern und Württemberg eingeführt. Gleichzeitig ließ Wil-helm 11. Vorbereitungen treffen, um an den deutschen Arbeitern ein blu-tiges Strafgericht zu vollziehen.

Die außenpolitische Situation gestaltete sich ungünstig für das DeutscheReich. Auf der Konferenz von Algeciras 1906 gelang es der deutschen.Diplomatie weder Rußland und, Frankreich zu trennen noch eine Annullie-rung des englisch-französischen Abkommens von 1904 herbeizuführen. Dieaußenpolitische Situation des Deutschen Reiches wurde noch schwieriger,

1 Ir. B. CUJI H H, C01J. (J. W. Stalin, Werke), Bd. 11, S. 282.

als England und Rußland 1907 ein Abkommen trafen, durch das sich dieEntente endgültig konstituierte. Diese stand dem Dreibund gegenüber, .dessen Zerfall mit dem Abschluß der italienisch-französischen Verträgevon 1900 und 1902 begonnen hatte.

Die Wirtschaftskrise von 190i beschleunigte das Anwachsen der Mono-pole. Sämtliche materiellen Hilfsquellen des Landes waren in der Handvon dreihundert Kapitalmagnaten konzentriert. Die Krise beschleunigteauch die Gründung von monopolistischen Verbänden, die den Binnen- undExportmarkt unter sich aufteilten. Gab es 1897 noch rund 40 internationaleKartelle mit deutscher Beteiligung, so waren es 1910 bereits ungefähr 100.1907 wurde zwischen dem deutschen Trust der »Allgemeinen Elektrizitäts-gesellschaft« und dem amerikanischen Trust der »General Electric Company«ein Vertrag über die Aufteilung der Welt geschlossen. Angesichts der Wirt-schaftskrise wuchs die revolutionäre Arbeiterbewegung.; in Südwestafrikaerhoben sich die Herero und Hottentotten gegen die deutsche Herrschaft.Bei den Reichstagswahlen von 1907 gelang es Bülow, unter der Paroleeiner aktiven Kolonialpolitik einen junkerlich-bürgerlichen Block zu-stande zu bringen. Dieser ist, da er die Mittel für die Unterdrückung desAufstandes in Südwestafrika bewilligte, unter dem Namen »Hottentotten-block- bekannt geworden. Die sozialdemokratischen Führer leisteten derim Vordringen begriffenen Reaktion keinen Widerstand. Im Gegenteil,auf dem Essener Parteitag der Sozialdemokratischen Partei im Jahre 1907faßten sie den Beschluß, in dem kommenden imperialistischen Kriege das»Vaterland- zu verteidigen. 1908 nahm der Reichstag ein Gesetz über dieweitere Erhöhung des Marinebudgets an, die durch den Bau von neuartigenKriegsschiffen, den Dreadnoughts, veranlaßt war. Dieses Gesetz und andereGesetze ähnlichen Inhalts ruhten mit ihrer ganzen Last auf den Schulternder werktätigen Massen. Während der Bosnischen Krise von 1908/09wollte die deutsche Regierung einen kriegerischen Zusammenstoß zwischenRußland und Osterreich-Ungarn provozieren und unterstützte deshalbletzteres aktiv bei der Annexion Bosniens und der Herzegowina. ImSommer 1909 mußte Bülow zurücktreten.

Der neue Reichskanzler v. Bethmann-Hollweg begann seine Amts-fiihrung mit der blutigen Unterdrückung der Arbeiterbewegung, die sichmit Beginn des Jahres 1910 breit entfaltete. Am 6. März 19JO wurden de-

monstrierende Berliner Arbeiter von berittener Polizei auseinandergejagt.,Dieser Tag ist unter der Bezeichnung »deutseher Blutsonntag« in die Ge-schichte eingegangen. Dieses Strafgericht wurde von den Bauarbeitern in fastsämtlichen deutschen Großstädten mit dem Streik beantwortet. Im Herbst1910 kam es in Berliner Stadtteilen (Moabit und Wedding) zu Kämpfender streikenden Arbeiter mit der Polizei, die mehrere Tage andauerten.

Auf außenpolitischem Gebiet unternahm Bethmann-Hollweg, wie zu er-warten war, den Versuch, Rußland der Entente abspenstig zu machen. 'Esgelang dem Kanzler jedoch nicht, durch das Potsdamer Abkommen zwischendem Deutschen Reich und Rußland vom Jahre 1911 die Entente zu spren-gen. Im Sommer 1911 war Deutschland einer Bemerkung Lenins zufolgenur um Haaresbreite vom Kriege mit Frankreich und England entfernt. Diefranzösischen und die deutschen Interessen prallten in Afrika aufeinander,als Frankreich Marokko besetzte (Zwischenfall von Agadir). Nach langenVerhandlungen wurde im November 1911 ein Abkommen zwischen Frank-reich und dem Deutschen Reich unterzeichnet, in dem dieses das franzö-sische Protektorat über Marokko anerkannte und hierfür durch einen Teilvon Französisch-Kongo entschädigt wurde. Die sozialdemokratischenFührer gaben die Parole aus: »Gleiches Recht für alle Staaten in denKolonien!« Sie wollten dadurch faktisch die räuberische Politik desdeutschen Imperialismus rechtfertigen. Im Wettstreit mit der englischenRegierung ließ sich die deutsche Regierung von 1911 an jedes Jahr höhereBeträge für den Heeres- und Marinehaushalt vom Reichstag bewilligen.Die Ausgaben des Deutschen Reiches für Heer und Flotte waren von 1879bis 1914, in 35 Jahren, auf das Fünffache gestiegen.

In der Lage der' Arbeitermassen setzte eine katastrophale Verschlechte-rung ein. Im März 1912 traten 250000 Ruhrbergleute in den Ausstand, dasie sich mit den streikenden Bergarbeitern Englands und Belgiens solida-risch erklärten; der Ruhrstreik wurde aber von den opportunistischen Ge-werkschaftsführern abgebrochen. Im Jahre 1913 fanden im Elsaß preußen-feindliche Demonstrationen statt, hervorgerufen durch den sogenanntenFall Zabern 1913.

In Deutschland reifte eine politische Krise heran. Indessen, es gab dortkeine wahrhaft revolutionäre Partei, die imstande gewesen wäre, die Füh-rung der Arbeiterbewegung und die Leitung des Kampfes gegen den Krieg

zu übernehmen, dessen Beginn die Imperialisten beschleunigen wollten,um einen revolutionären Ausbruch innerhalb Deutschlands zu vermeiden.Die zahlenmäßig starke Sozialdemokratische Partei (1912 etwa 1'Mill.Mitglieder) und die Gewerkschaften (1912 ungefähr 2,5 Mill. Mitglieder)standen im wesentlichen unter der Leitung der Opportunisten, d. h. derrechten Sozialdemokraten und sog. Zentristen, die eine bürgerliche Politikbetrieben. Die Zentristen (Kautsky u. a.) operierten zwar in demagogischerWeise mit marxistischen Ausdrücken, trieben aber eine, Politik der V~r-ständigung mit den rechten Sozialdemokraten. Wie Lenin einmal bemerkthat, lehnten die offenen Opportunisten in Deutschland (Bernstein u. a.)' dieDiktatur des Proletariats direkt ab, taten das offizielle Programm der Sozial-demokratischen Partei und Kautsky das gleiche indirekt, schwiegen dieseSozialdemokraten die Diktatur des Proletariats in ihrer Agitation tot undduldeten das Renegatenturn der Anhänger Bernsteins. Die sozialdemokra-tischen Führer, die im Reichstag 111 Sitze innehatten, benutzten nicht einmaldie Rednertribüne, um die räuberische Politik der Regierung zu entlarven.Im Jahre 1913 stimmten die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten,die im Grunde sozialchauvinistische Positionen einnahmen, für neue direkteSteuern zur Deckung der Ausgaben für Heer und Marine. Wie Stalin inseiner Schrift »Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus«bemerkt, hatten die linken Sozialdemokraten große und wertvolle revo-lutionäre Leistungen vollbracht, waren aber noch zu schwach, begingenschwere politische und theoretische Fehler, hatten sich noch nicht von demmenschewistischen Ballast befreit und fürchteten sich vor einem Bruch mitden Opportunisten. Lenin und Stalin führten einen konsequenten Kampfgegen den Opportunismus. Mit Entschiedenheit forderten sie die linkendeutschen Sozialdemokraten auf, sich von den Opportunisten organisa-torisch zu trennen: durch ihren Kampf um die Reinerhaltung der bolsche-wistischen Partei gaben sie ein Beispiel unversöhnlicher Haltung gegenüberdem Opportunismus.

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Deutschland im ersten Weltkrieg 1914·bis 1918

In der Nacht zum 1. August 1914 erklärte das Deutsche Reich Ruß-land den Krieg, wobei es die Ermordung des Erzherzogs Franz Ferdinandvon Osterreich durch serbische Nationalisten am 28. Juni dieses Jahres undden anschließend begonnenen Angriff Osterreich-Ungarns gegen Serbienzum Vorwand nahm. Am 3. August 1914 wurde Frankreich vom DeutschenReich der Krieg erklärt. Am 4. August 1914 folgte die Kriegserklärung Eng-lands 'an Deutschland. Dem Dreibundstand somit die englisch-französisch-russische Entente gegenüber. Deutschland verfügte vor Ausbruch des Krieges'über ,5,1Infanteriedivisionen, 11 Kavalleriedivisionen (bis zum I. Septem-ber 1914 waren 120 Infanteriedivisionen aufgestellt), etwa 240'Flugzeugeund eine 'starke Flotte. Die Entfesselung des Krieges durch das DeutscheReich war durch die provokatorische Politik Englands während desösterreichisch-serbischen Konfliktes begünstigt worden, da sie Deutsch-land zu der Erwartung berechtigte, England werde in dem bevorstehendenKriege neutral bleiben. So begann der erste Weltkrieg 1914-1918. Am4. August 1914 stimmte die sozialdemokratische Reichstagsfraktionfür dieKriegskredite und damit für die Unterstützung des imperialistischen Krieges,Ihren Verrat am Proletariat suchte sie mit dem verlogenen Hinweis auf denfortschrittlichen Charakter eines Krieges gegen die russische Selbstherr-schaft als den Gendarm Europas zu rechtfertigen, während gleichzeitig diewirklichen Gendarmen Europas, die über genügend Kräfte und Mittel ver-fügten, um tatsächlich Gendarmen sein zu können, nicht in Petrograd,sondern in Berlin, Paris und London saßen", Die rechten Sozialdemokratennahmen eine offen sozialchauvinistische Stellung ein, während die Zen-tristen ihren Sozialchauvinismus mit allen Mitteln zu tarnen suchten. Diedeutschen linken Sozialdemokraten bekämpften zwar die Sozialchauvi-nisten entschlossen und rückhaltlos, aber sie brachen nicht sofort mit ihnenund begingen Fehler in Fragen, die sich auf den damals geführten imperia-listischen Krieg und die nationale Befreiungsbewegung bezogen. Leninund Stalin entlarvten die Sozialchauvinisten als die Handlanger des Im-perialismus und übten scharfe K~itik an den Fehlern der linken Sozi~l-

1 Vgl. H. B. C1'aJIHH, CO'l. (J. W. Stalin, Werke), Bd. 5, S. 73; deutsch: ebenda,Berlin 1952, S. 63.

demokraten. Sie brachten diese Gruppe auf den richtigen Weg, der zur, Festigung des revolutionären Flügels der Sozialdemokratie und später zur

Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands führte. Die deutscheArbeiterklasse beantwortete die Kriegserklärung der Regierung durchProtestversammlungen und -dernonstrationen. Am 31. Oktober 1914 ver-öffentlichten Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg, Klara Zetkin und anderelinke Sozialdemokraten in der »Berner Tagewacht« eine Erklärung gegendie Unterstützung des Krieges durch die Führung der deutschen Sozial-demokratie. .

Bei der Kriegserklärung hatte die deutsche Regierung damit gerechnet,daß der Krieg gemäß dem Plan des Generals Grafen v. Schlieffen in achtWochen beendet sein werde. Aber bereits nach der Niederlage der deutschenTruppen in der Marne-Schlacht (3.-10. September 1914), die durch den An-griff der russischen Armee auf Ostpreußen hervorgerufen worden war, er-gab es sich, daß der Plan eines Blitzkrieges mißlungen war. Die LageDeutschlands verschlechterte sich, als die besten Streitkräfte des mit Deutsch-land verbündeten iJsterreich-Ungarn im September 1914 von den Russenin Galizien vernichtend geschlagen wurden und der andere Bundesgenosse,Italien, im Mai 1915 auf die Seite der Entente trat. Die deutsche Regierungmobilisierte jetzt immer größere Massen (insgesamt wurden während desKrieges 13 Mill. Mann zum Heer einberufen). Im Laufe des Krieges ver-doppelte sich die Gesamtstärke der bewaffneten Macht Deutschlands - von4,5 Mill. Mann im Jahre 1914 stieg sie auf 8 Mill. im Jahre 1918 an.

Im Jahre 1915 warfen Deutschland und iJsterreich-Ungarn ihre Haupt-kräfte,'gegen' Rußland, um es aus dem Kriege auszuschalten. Die Russenwaren, obwohl sie etwas zurückgehen mußten, 'nodI genügend stark, umdem Gegner hartriäckigen Widerstand zu leisten und dadurch die Pläneder deutschen Obersten Heeresleitung zu vereiteln. Deutschland vermochtemit seiner strategischen Hauptaufgabe, Rußland aus dem Kriege auszu-schalten, nicht fertig zu werden. Das russische Heer hatte die Hauptmachtdes Gegners auf sich gezogen und dadurch England und Frankreich eineAtempause verschafft, die beide Mächte zur Vorbereitung militärischerOperationen gegen Deutschland benutzten. Der Krieg führte einerseits zurProfitsteigerung für die Imperialisten und andererseits zur Verelendungder werktätigen Massen. Während die Profite Krupps von 33,9 Mill. Mark

im Jahre 1913 auf 86,4 Mill. Mark im Jahre 1914 anstiegen, war der Real-lohn der Arbeiter bereits gegen Mitte 1915 um die Hälfte gesunken. In derProduktion wurden die Dienstpflicht und der Zwölfstundentag eingeführt,

. die Ausbeutung der Frauen, Halbwüchsigen und Kinder wurde in ver-stärktem Maße betrieben, Streiks wurden verboten. Für die wichtigstenNahrungsmittel gab es jetzt ein Kartensystem. Im März 1915 setzten wiederStraßen demonstrationen der Arbeiter sowie Streiks ein. Die Bewegungunter. den Arbeitern veranlaßte auch einen Teil der Zentristen, zusammenmit den -linken Sozialdemokraten an den Weltkonferenzen der Inter-nationalisten teilzunehmen; die im September 1915 in Zimmerwald undim Frühjahr 1916 in Kienthai stattfanden. Diese Konferenzen waren, daauch Lenj,9: an ihnen teilnahm, von großer Bedeutung für den Zusammen-schluß der linken Sozialdemokraten und ihre Abgrenzung gegenüber demSozialchauvinismus .. Das deutsche Heer vermochte, da es in den Kämpfen an der russischen

Front geschwächt worden war, keinen entscheidenden Angriff zu unter-nehmen, der die gesamte Westfront aufgerollt hätte, sondern sah sich ge-nötigt, sich auf die Lösung einer Teilaufgabe zu beschränken, die Einnahmedes Festungsrayons von Verdun. Am 2L Februar 1916 trat die deutscheArmee zum Sturm auf Verdun an, der (mit geringen Unterbrechungen) zehnMonate währte. Der Versuch der Obersten deutschen Heeresleitung, den Siegdurch Zermürbung des Gegners bei Ver dun zu erringen, schlug fehl. DieDeutschen erlitten dabei weit höhere Vcrluste als die Franzosen. Sie verlorenim Verlauf der Kämpfe bei Verdun ungefähr 600000 Mann. Von großerBedeutung für den Gesamtverlauf des Krieges waren die Operationen derRussen. Im Juni 1916 durchbrachen sie die Südwestfront, wodurch die Lageder Franzosen und Engländer an der Westfront bedeutend erleichtertwurde. Infolge des Durchbruchs der russischen Armeen an der Südwest-front mußte die deutsche Oberste Heeresleitung ungefähr 24 Divisionenvon der französischen Front an die Ostfront werfen und die Angriffe beiVerdun einstellen. Der deutsche Imperialismus konnte die Blockade wederim Osten noch im Westen, weder im Südosten noch zur See durchbrechen.

Je länger sich der Krieg hinzog, um so mehr verschlechterte sich die Lageder werktätigen Massen. Deutschland litt, wie Lenin feststellte, »glänzendorganisierten Hunger«. Die Ernährung der Bevölkerung war 1916 gegen-

über der Vorkriegszeit um das Dreifache zurückgegangen. Am 1. Mai 1916'veranstaltete eine Gruppe der deutschen linken Sozialdemokraten, die»Internationale« (1918 in »Spartakusbund- umbenannt), eine Demonstra-tion auf dem Potsdamer Platz zu Berlin, obwohl diese von den opportu-nistischen sozialdemokratischen Führern sabotiert wurde. Während dieserDemonstration wurde Karl Liebknecht verhaftet und anschließend zuZuchthaus verurteilt. Als Antwort auf die Verurteilung Kar! Liebknechtstraten 60000 Berliner Arbeiter und Zehntausende von Arbeitern eini-ger anderer Städte Deutschlands in den politischen Streik. Die Streik-bewegung wuchs. Unvollständigen Angaben des Statistischen Reichsamtszufolge beteiligten sich im zweiten Halbjahr 1914 21000 Personen anStreiks, 1915 wurden 137 Streiks mit 47000 Beteiligten registriert. 1916fanden 240 Streiks mit 422000 Teilnehmern statt. Die militärischen Miß-erfolge, die äußerste Erschöpfung der wirtschaftlichen Hilfsquellen Deutsch-lands und das Wachstum der Arbeiterbewegung gaben den deutschen Re-gierungskreisen Veranlassung, im Herbst 1916 Versuche zum Abschluß einesimperialistischen Separatfriedens zu unternehmen, die aber fehlschlugen.

Lenin durchschaute die Taktik des deutschen Imperialismus. Im No-vember 1916 schrieb er: »In Deutschland macht sich in letzter Zeit bei derBourgeoisie (und nach ihr auch bei den Sozialchauvinisten) auf der ganzenLinie ein Umschwung bemerkbar, und zwar zur Russenfreundlichkeit, zumSeparatfrieden mit Rußland, ein Bestreben, Rußland zu begütigen, umdann mit ganzer Kraft gegen England loszuschlagene".

Im Feldzug des Jahres 1917 lag die Initiative auf seiten der Entente.Die deutsche Koalition befand sich in einer schwierigen Lage. Im Hinblickdarauf gingen die deutsche Oberste Heeresleitung und ihre Bundes-genossen auf dem Festland zur Defensive über, um durch den unein-geschränkten U'-Boot-Krieg der Wirtschaft des Hauptfeindes England einenschweren Schlag zu versetzen. Der deutsche Plan eines uneingeschränktenV-Boot-Krieges scheiterte jedoch. Auf dem Festland gelang es der deutschenKoalition, unter großen Verlusten die Angriffe der Entente abzuweisenund den Zerfall Osterreich-Ungarns durch erfolgreiche Operationen an deritalienischen Front (Caporetto) hinauszuzögern.

1 B.IL JIeIIIIH, CO'I. (W. 1. Le n in , Werke), Bd. 23,4. Aufl., S.1l8.

In Deutschland wuchs die. revolutionäre Bewegung. Unter dem Einflußder russischen bürgerlich-demokratischen Revolution vom Februar 1917 zogsie noch weitere Kreise. In diesem Jahr stieg die Anzahl der Streiks inDeutschland auf 561 an, die Zahl der Streikenden auf 1467000. Am16. April 1917 traten 300000 Arbeiter der Rüstungsbetriebe Berlins in denStreik. Der Streik dehnte sich auf zahlreiche andere Städte Deutschlandsaus. So streikten in Leipzig 18000 Arbeiter. Außer Brot und Kohle forder-ten sie einen Frieden ohne Annexionen und ohne Kontributionen sowiedie Wa41 eines Rates der Arbeiterdeputierten. An der Front begannen sichdie Soldaten zu verbrüdern, und in der Flotte bahnte sich eine revolu-tionä~e Bewegung an. Von den Matrosen wurden auf den Schiffen nachdem Vorbild der während der Revolution in Rußland gebildeten SowjetsKommissionen eingesetzt. Die Bewegung erfaßte 12 Kriegsschiffe, wurdeaber brutal unterdrückt. Die Regierung verurteilte die Führer und aktivenTeilnehmer der revolutionären Aktionen zu Zuchthaus- und Gefängnis-strafen.

Im Mai 1917 unternahmen die Sozialchauvinisten in der Rolle von offi-ziellen Diplomaten der imperialistischen Regierung Versuche, mit denSozialchauvinisten der anderen kriegführenden Länder über einen Frie-densschluß zu verhandeln. Durch Vermittlung des dänischen Sozialdemo-kraten Borgbjerg machten sie den Vorschlag, eine sog. Sozialistenkonferenznach Stockholm einzuberufen. Lenin entlarvte damals die deutschen Sozial-chauvinisten als imperialistische Agenten. Während die deutsche Arbeiter-bewegung immer mehr an Boden gewann - ein Beweis für die Krise in den»unteren« Schichten des Volkes --, begann die Krise auch in den »oberen«Schichten. Ain 14. Juli 1917 erhielt Bethmann-Hollweg seine Entlassungals Reichskanzler. Sein Nachfolger Michaelis war politisch ohne Bedeutung.Die Macht war faktisch in der Hand der Militärdiktatoren v. Hindenburgund Ludendorff konzentriert. Deutschland erstickte in wirtschaftlicher Zer-rüttung, Hunger, Arbeitslosigkeit, Teuerung und Elend. Die Verluste anMenschen waren hoch. Der Krieg raubte Millionen Menschenleben: alleindie Zahl der Gefallenen und der während des Krieges Verschollenen betrugungefähr 2 Millionen, zusammen mit den Gefangenen und Verwundetenwaren es 7,5 Millionen. Die rechten Sozialdemokraten und Zentristen such-ten mit allen Mitteln zu verhindern, daß die revolutionäre Situation in eine

Revolution überging. Da die Arbeitermassen den rechten Sozialdemokratenden Rücken kehrten, machten die Zentristen ein Manöver: um die Arbeiter-,klasse ihrem Einfluß nicht entgleiten zu lassen, inszenierten sie einen Bruchmit den rechten Sozialdemokraten und gründeten die reformistische sog.»Unabhängige Sozialdemokratische Partei« (9. April 1917). Dadurch er-schwerten sie die Schaffung einer wahrhaft revolutionären deutschen Ar-beiterpartei.

Deutschland in der Periode des revolutionären Aufschwungsunter dem

Einfluß der Großen Sozialistischen Oktoberrevolutionin Rußland

Die Große Sozialistische Oktoberrevolution, die die Ära des Zusammen-bruches des Kapitalismus eröffnete, übte einen entscheidenden Einfluß aufdie Entwicklung der revolutionären Bewegung in Deutschland aus. Am25. November 1917 kam es in Berlin zu einer Massendemonstration der Ar-beiter. Das Volk begrüßte die Errichtung der Sowjetmacht in Rußland undforderte die unverzügliche Einstellung des Krieges.

Als Antwort auf die räuberischen Friedensbedingungen, die von derkaiserlichen deutschen Regierung bei den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk Sowjetrußland gestellt wurden, brach am 28. Januar 1918 in Ber-lin ein politischer Streik aus. "Das Verbrechen«, schrieb Wilhelm Pieck, "dasin Brest-Litowsk gegen die junge Sowjetregierung begangen wurde, warauch gleichzeitig ein Verbrechen gegen das deutsche Volk selbst«. Binnenkurzem erfaßte der Streik die wichtigsten Zentren des Landes. Es streiktenmehr als eine Million Arbeiter, die den unverzüglichen Abschluß eines Frie-densvertrages mit Sowjetrußland ohne Annexionen und Kontributionensowie die Demokratisierung des politischen Lebens in Deutschland forder-ten. In Berlin und in einer Reihe anderer deutscher Städte wurden Arbei-ter- und Soldatenräte gebildet. Während der Streikperiode entstand dieEinrichtung der »revolutionären Obleute«, Zwischen den streikenden Ar-beitern und der Polizei kam es zu Zusammenstößen. Die sozialdemokrati-schen Führer, die sich an die Spitze des Streiks gestellt hatten, nur um ihn

,abzuwürgen, gaben am 3. Februar 1918 seinen allgemeinen Abbruch be-kannt. Nach den Worten Ernst Thälmanns war der Januarstreik ein Zei-chen dafür, daß »die Welle der russischen Revolution; der siegreiche Okto-ber, nicht an der Grenze Rußlands halt machte, sondern auch andere Län-der erfaßte«.

Nachdem die Friedensverhandlungen in Brest durch den Verrat derTrotzkisten unterbrochen worden waren, ging Deutschland an der gesamtenOstfront zum Angriff über, besetzte einen bedeutenden Teil sowjetrussi-sehen Tetritoriums und bedrohte Petrograd. Die deutschen Imperialistenverfolgten dabei das Ziel, die Sowjetmacht zu stürzen und Rußland in einedeutsche Kolonie zu verwandeln. Als aber die Rote Armee am 23. Februar1918 den-deutschen Okkupanten bei Narwa und Pskow eine entscheidendeAbfuhr erteilte, ging Deutschland im März 1918 auf die Unterzeichnungdes Friedensvertrages mit Sowjetrußland ein. Trotz des bestehenden Frie-densvertrages setzten die deutschen Imperialisten jedoch alles daran, dasSowjetland zu isolieren, zu schwächen und zugrunde zu richten. Unter Be-rufung auf einen »Vertrag« mit der ukrainischen Rada trennten sie dieUkraine von Sowjetrußland ab, ließen auf Grund von Abmachungen mitgrusinischen und aserbaidshanischen Nationalisten deutsche und türkischeTruppen in Transkaukasien einmarschieren und begannen, sich in Tiflis undBaku als Herren aufzuspielen. In den von den deutschen und öster-reichischen Truppen besetzten Gebieten entbrannte der vaterländischeKrieg des Sowjetvolkes gegen die Eindringlinge, der mit der Vertreibungder deutschen Okkupanten endete.

Die deutsche Oberste Heeresleitung beabsichtigte, durch die Interventiongegen den Sowjetstaat ihre Hilfsquellenfür den Kampf im Westen zuvermehren. Diese Pläne schlugen jedoch fehl. Anstatt neue Ressourcen zugewinnen, waren die deutschen Imperialisten gezwungen, starke Kräftenach Osten abzuziehen; so konnten sie sich nicht einmal von dem Zwei-frontenkrieg frei~achen. Die deutsche Truppenführung, die erkannt hatte,daß dem kaiserlichen Deutschland durch Verlängerung des Krieges der Zu-sammenbruch drohte, unternahm im Verlauf des Frühjahrs und des Som-mers 1918 eine Offensive an der Westfront. Diese abenteuerlichen Angriffs-operationen konnten die hoffnungslose militärische Gesamtlage Deutsch-lands nicht verbessern. Am 8. August H1l8 gingen die Truppen der Entente

an der gesamten Westfront zur Offensive über. Die Armeen Deutschlandsund seiner Verbündeten waren durch die langen, erfolglosen Kämpfe er-schöpft und erlitten eine Niederlage. Am 29. September 1918 kapituliertedas mit Deutschland verbündete Bulgarien und am 3. November das aus-einanderfallende Osterreich- Ungarn. Die militärische Niederlage beschleu-nigte die' Entwicklung der politischen Krise in Deutschland. Die herr-schende Clique Deutschlands nahm zu' einem Manöver Zuflucht. Um sichvor der Revolution zu retten, bildeten die deutschen Imperialisten am3. Oktober 1918 unter Prinz Max von Baden eine Koalitionsregierung. Indieser sog. »demokratischen« Regierung war die Sozialdemokratie mitihren Führern Scheidemann und Bauer vertreten. Die Bildung dieserneuen Regierung war von dem Präsidenten der USA, W oodrow Wilson,diktiert worden. Die amerikanischen Monopolherren traten bereits damalsoffen als Retter des deutschen Imperialismus auf. In der Nacht zum5. Oktober wandte sich die neue Regierung an den Präsidenten der USAmit der Bitte, Waffenstillstand zu schließen und Friedensverhandlungeneinzuleiten. Die militärische Katastrophe Deutschlands verschärfte die zujener Zeit herangereifte politische Krise und beschleunigte den Ausbruchder Revolution.

Am 3. November erhoben sich im Kieler Hafen die Matrosen der Kriegs-flotte. Im Laufe der ersten Novemberwoche erfaßte der Aufstand nahezudas ganze Land. Auf Geheiß der anglo-amerikanischen Imperialisten,die die bewaffnete' Intervention gegen den Sowjetstaat durchfiihrtenv ,brach die deutsche Regierung am 5. November 1918 die diplomatischenBeziehungen zu Sowjetrußland ab und forderte die Abreise der sowje-tischen Botschaft aus Berlin.

Unterdessen griff der Aufstand immer weiter um sich. In einigen deut-schen Staaten wurden die Dynastien gestürzt. überall bildeten sich Ar-beiter- und Soldatenräte. Der »Spartakusbund« förderte durch seine revo-lutionäre Propaganda die Schaffung von Räten in ganz Deutschland; erwar jedoch organisatorisch schwach und vermochte nicht, sich an die Spitzeder revolutionären Massenbewegung zu stellen.

Die rechten Sozialdemokraten und die Mitglieder der sog. Unab-hängigen Sozialdemokratischen Partei (die »Unabhängigen«), die sich dasFehlen einer einigen revolutionären Partei zunutze machten, rissen in den

Räten die Führung an sich, um mit Hilfe der Räte die Konterrevolution. vor der Revolution zu schützen".

Am 9. November traten die Arbeiter Berlins nach einem Aufruf desSpartakusbundes in den Generalstreik. Die Arbeiter und mit ihnen dieSoldaten besetzten die wichtigsten Regierungsgebäude, die Post, das Tele-grafenamt, die Bahnhöfe u. a. Unter dem Druck der revolutionären Massenbrach die Monarchie der Hohenzollern zusammen.

Kaiser Wilhe1m II. floh nach Holland. Während die sozialdemokra-tischen Fiihrer ihre Pläne zur Rettung des zusammengebrochenen deutschenImperialismus entwarfen, rief Karl Liebknecht am 9. November auf einergewaltigen Massendemonstration die Räterepublik aus. Zwei Stundenspäter proklamierte Scheidemann die bürgerliche Republik. Die erschütterteBourgeoisie legte die Rettung des deutschen Imperialismus in die Händedes rechten Sozialdemokraten Ebert, dem Prinz Max von Baden die Regie-rung übergab. An die Macht gelangt, rief Ebert das Volk auf, nach Hausezu gehen, die kaiserlichen Beamten aber ersuchte er, auf ihren Plätzen zubleiben. Am 10. November trat die Vollversammlung der Berliner Rätezusammen und bestätigte die tags zuvor in Geheimverhandlungen gebildeteRegierung, den sog. "Rat der Volksbeauftragten«, bestehend aus dreirechten Sozialdemokraten (Ebert, Scheidemann und Landsberg) und drei»Unabhängigen« (Haase, Dittmann und Barth). Einige kaiserliche Staats-sekretäre wurden als »unentbehrliche Fachleute« in der Regierung belassen.Karl Liebknecht lehnte es ab, dem Rat der Volksbeauftragten anzugehören,da seine Bedingung, Deutschland zur sozialistischen Republik zu erklären,alle Macht den Räten zu übertragen und die bürgerlichen Politiker aus derRegierung auszuschalten, nicht angenommen worden war.

Der Rat der Volksbeauftragten, der zur Irreführung der Massen radikaleErklärungen abgab, verfolgte in Wirklichkeit eine bürgerliche Politik, diesich gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung richtete. Der gesamtebürgerliche Staatsapparat blieb unangetastet. Das Eigentum der Monopole,der Großgrundbesitz und die Privilegien des Junkerturns wurden durchdie neue Macht geschützt. Die Regierung untersagte den Räten, sich in

1 Vgl. M. B. CraJID H, CO'!. (J. W. Stalin, Werke). Bd.13, S.226; deutsch:J. Stalin, Fragen des Leninismus. Berlin 1951, S.489.

Angelegenheiten des Eisenbahnverkehrs. der Kohlenindustrie und der Ver-sorgung einzumischen. Am 15. November schlossen die Führer der refor-mistischen Gewerkschaften mit dem Unternehmerverband ein Abkomrrienüber »Zusammenarbeite '. Aus Furcht, die Revolution könne weiter umsich greifen, kam den deutschen Imperialisten die französische, englischeund amerikanische Bourgeoisie zu Hilfe .. Am 11. November 1918 wurdedas Waffenstillstandsabkommen von Compiegne unterzeichnet. Für denKampf gegen die revolutionäre Bewegung in Deutschland und den Krieggegen Sowjetrußland erklärte sich die Entente (gemäß den Waffenstill-standsbedingungen) mit der Beibehaltung einer deutschen Armee einver-standen; die deutsche sozialdemokratische Regierung verpflichtete sich frei-willig, an .der antisowjetischen Intervention 'teilzunehmen. Der Stab derObersten Heeresleitung wurde zum Stab der deutschen Konterrevolution.

Die Spartakusleute entlarvten die reaktionäre Politik der RegierungEbert-Scheidemann. Die Werktätigen begannen allmählich zu begreifen,daß die Politik des Rates der Volksbeauftragten gegen das Volk gerichtetwar. Ende November 1918 brach ein großer Streik aus, der Berlin, Ober-schlesien, das Ruhrgebiet und andere Industriegebiete des Landes erfaßte.Die Arbeiter forderten Lohnerhöhungen und die Sozialisierung der Groß-industrie. Ebert und Scheidemann. die bereits am 9. November 1918 mitder Obersten Heeresleitung ein Geheimabkommen über den gemeinsamenKampf gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung abgeschlossen hatten,nahmen die Aufstellung konterrevolutionärer Streitkräfte in Angriff. Am6. Dezember organisierten die Reaktionäre einen Putsch, um mit derArbeiterklasse abzurechnen. Die Arbeiter kämpften jedoch die konter-revolutionäre Verschwörung nieder.

Als die bürgerlichen Parteien und die opportunistischen Führer derSozialdemokratie erkannten, daß es nicht gelingen würde, die Monarchiewiederherzustellen, orientierten sie sich auf eine bürgerliche Republik. Sieforderten die Beseitigung der Räte und die sofortige Einberufung einerverfassunggebenden Nationalversammlung. Vom 16. bis 21. Dezemberfand der erste Reichsrätekongreß statt. Den Sozialverrätern, die den ge-samten Staats- und Parteiapparat mobilisiert hatten, gelang es, auf dem

1 Die sog. Zentralarbeitsgemeinschaft. (Die Red. d. dtsch, Ausg.)

Kongreß die überwältigende Mehrheit zu erzielen (373 von 485 Sitzen).Trotz der am 16. Dezember vom Spartakusbund organisierten Dernon-stration von 250000 Werktätigen, die unter der Losung »Proklamierung'Deutschlands zu einer sozialistischen Republik und Bündnis mit Sowjet-rußland« stand, nahm der Kongreß mit Stimmenmehrheit den Beschlußüber die Durchführung von Wahlen zur verfassunggebenden National-versammlung an. Der Beschluß des Kongresses bedeutete die Selbstauf-lösung der Räte. Am 23. und 2-1.Dezember 1918 wurde mit Hilfe Ebertsder zweite Versuch eines konterrevolutionären Putsches unternommen, derebenfalls' scheiterte. In dem Bestreben, den rechten Sozialdemokraten beider Beseitigung der Räte nicht im Wege zu stehen und gleichzeitig ihrenEinfluß unter den Massen zu erhalten, schieden die Vertreter der »Unab-hängigen« aus der Regierung der Volksbeauftragten aus. Ihre .Plätzenahmen Rechtssozialdemokraten ein.

Am 29. Dezember 1918 faßte die Reichskonferenz des »Spartakus-bundes« den Beschluß zur Gründung der Kommunistischen Partei Deutsch-lands (KPD). Die Kommunistische Partei wurde auf dem Gründungs-parteitag vom 30. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 ins Leben gerufen.Der Parteitag verkündete den Kampf um die Macht der Räte und die Dik-tatur des Proletariats als die unmittelbare Aufgabe des deutschen Prole-tariats. Die Delegierten des Parteitages brachten ihre uneingeschränkteSolidarität mit Sowjetrußland zum Ausdruck. Das vom Parteitag gleich-zeitig angenommene Programm enthielt jedoch schwerwiegende halbzentri-stische Irrtümer Rosa Luxemburgs, wie sie dem Spartakusbund eigen waren,z. B. die mangelnde Erkenntnis der Rolle der Partei als Vorhut derArbeiterklasse, die Unterschätzung der Bauernschaft als Verbündeter desProletariats u. a. In dem Programm wurde nichts über die Zerschlagungdes bürgerlichen Staatsapparates, die Säuberung der Räte von Sozialrefor-misten und Versöhnlern und die Vorbereitung des bewaffneten Aufstandesdes Ptolet~riats gesagt; anstelle des Prinzips des demokratischen Zentra-lismus verkündete der Parteitag die politische urid organisatorische Selb-ständigkeit der örtlichen Parteigruppen; er lehnte ferner die Teilnahme anden Wahlen zur Nationalversammlung und die Arbeit in den refor-mistischen Gewerkschaften ab. Die Gründung der KPD festigte die Posi-tionen des Proletariats jedoch bedeutend.