Das heilige Narrenfest

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der spiegel 31/2001 Aber niemand in dem neuen Festspiel- haus konnte sich auch an ein vergleichba- res Spektakel erinnern: Was für eine Story! Da entführten Riesen eine ehrbare Jung- frau, zwei Geschwister kopulierten unterm Wonnemond, ein Rudel wilder Weiber sammelte tote Recken auf. Ein Waldvöge- lein zwitscherte deutsch, ein Zwerg unter einem Tarnhelm wurde zur Kröte, und am Bayreuth, „dass Sie es zustande bringen würden“. Und tatsächlich schien „sehr wahrhaftig, dass so noch nie ein Künst- ler geehrt worden sei“, triumphierte Wagner: „Denn hatte man erlebt, dass ein solcher zu Kaiser und Fürsten berufen war, so konnte Niemand sich erinnern, dass je Kaiser und Fürsten zu ihm gekommen seien.“ D er Bau stand, der Text war fertig, die Musik notiert. „Ich sage nichts wei- ter!!“, hatte der Komponist unter seine „Götterdämmerung“ geschrieben. Nun ließ er bitten, die Welt konnte kommen. Und es kamen, im Hochsommer 1876, der deutsche Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Dom Pedro II. von Brasilien. Ihre Aufwar- tung machten auch der König von Bayern und der König von Württemberg. Preußi- sche Prinzessinnen ließen vorfahren, Her- zöge, Fürsten, Grafen paradierten. Über Nacht war Bayreuth geadelt. Aber es kamen auch die Tonsetzer An- ton Bruckner, Camille Saint-Saëns und Pe- ter Tschaikowski, die Maler Hans Makart, Franz von Lenbach und Adolf Menzel. Es kamen Dichter und Denker, Connaisseure und Voyeure, Exoten aus weiter Ferne und Nachbarn aus Franken. Mit einem Schlag wurde aus einer städtischen Anhöhe der Grüne Hügel – und dieser zum Mount Everest der Wagner-Welt. Er habe nie geglaubt, huldigte Seine Majestät aus Berlin dem Musiker aus Das heilige Narrenfest Bayreuth im Jubiläumstrubel: Vor 125 Jahren wurden die Wagner-Festspiele gegründet, vor 50 Jahren neu gestartet. Doch längst hat der zerstrittene Wagner-Clan die Chance verspielt, die traditionsreiche Weihestätte in ein modernes Musiktheater umzurüsten. Von Klaus Umbach GEORG CHLEBAROV / SABINE BRAUER PHOTOS Titel 136 Festspielleiter Wolfgang Wagner (mit Ehefrau Gudrun und Tochter Katharina), Prominente auf dem FRANK BOXLER / AP

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Festspielleiter Wolfgang Wagner (mit Ehefrau Gudrun und Tochter Katharina), Prominente auf dem

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Der Bau stand, der Text war fertig, dieMusik notiert. „Ich sage nichts wei-ter!!“, hatte der Komponist unter

seine „Götterdämmerung“ geschrieben.Nun ließ er bitten, die Welt konnte kommen.

Und es kamen, im Hochsommer 1876,der deutsche Kaiser Wilhelm I. und KaiserDom Pedro II. von Brasilien. Ihre Aufwar-tung machten auch der König von Bayernund der König von Württemberg. Preußi-sche Prinzessinnen ließen vorfahren, Her-zöge, Fürsten, Grafen paradierten. ÜberNacht war Bayreuth geadelt.

Aber es kamen auch die Tonsetzer An-ton Bruckner, Camille Saint-Saëns und Pe-ter Tschaikowski, die Maler Hans Makart,Franz von Lenbach und Adolf Menzel. Eskamen Dichter und Denker, Connaisseureund Voyeure, Exoten aus weiter Ferne undNachbarn aus Franken. Mit einem Schlagwurde aus einer städtischen Anhöhe derGrüne Hügel – und dieser zum MountEverest der Wagner-Welt.

Er habe nie geglaubt, huldigte Seine Majestät aus Berlin dem Musiker aus

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Bayreuth, „dass Sie es zustande bringenwürden“. Und tatsächlich schien „sehrwahrhaftig, dass so noch nie ein Künst-ler geehrt worden sei“, triumphierte Wagner: „Denn hatte man erlebt, dass einsolcher zu Kaiser und Fürsten berufen war,so konnte Niemand sich erinnern, dass je Kaiser und Fürsten zu ihm gekommenseien.“

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Aber niemand in dem neuen Festspiel-haus konnte sich auch an ein vergleichba-res Spektakel erinnern: Was für eine Story!Da entführten Riesen eine ehrbare Jung-frau, zwei Geschwister kopulierten untermWonnemond, ein Rudel wilder Weibersammelte tote Recken auf. Ein Waldvöge-lein zwitscherte deutsch, ein Zwerg untereinem Tarnhelm wurde zur Kröte, und am

Das heilige NarrenfestBayreuth im Jubiläumstrubel: Vor 125 Jahren wurden die Wagner-Festspiele

gegründet, vor 50 Jahren neu gestartet. Doch längst hat der zerstrittene Wagner-Clan die Chance verspielt, die traditionsreiche Weihestätte

in ein modernes Musiktheater umzurüsten. Von Klaus Umbach

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Festspielhaus in Bayreuth

Bayreuther Festspielhügel*: Ein Leuchtturm deutscher Leitkultur oder nur mehr der nostalgisch verklärte Spleen eines maßlosen Phantasten?

Schluss, nach 16 Stunden Mord und Tot-schlag, ging die Welt unter.

Zu diesem Mythenmix aus Sex andCrime stiegen aus einem unsichtbaren Or-chestergraben zunächst ganz leise Gluckser

* Schlagersänger Roberto Blanco, Ehefrau Mireille; Grü-nen-Chefin Claudia Roth; Angela Merkel mit EhemannJoachim Sauer, Friedrich Merz, Ehefrau Charlotte.

in Es-Dur, die quollen auf und schwollenan, und dann wollte der Strom der Tönenicht mehr enden: Vier Abende langrauschte die Flut dahin, mit Pauken undPosaunen und einem Klangkörper wie involler Kriegsbemalung, aber auch inTongespinsten so zart wie geklöppelte Spitze und in einem Sound wie aus Samtund Seide.

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Welch ein Theater! Auf drei Schwimm-wagen, jeder von einem unsichtbaren Steu-ermann gelenkt, zappelten die an Eisen-stangen festgeschnallten Rheintöchter sechsMeter über dem Bühnenboden, ein Assistentkurbelte die Maiden auf und nieder, und de-nen drehte sich, wagalaweia, der Magen.

25 Bayreuther Turner, vorab von Bal-lettmeister Fricke choreografisch unter-

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Wolfgang-Wagner-Inszenierung „Die Meistersinger von Nürnberg“ in Bayreuth: Völkischer Plunder entsorgt

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Die Debatte ist zum Glaubens-krieg eskaliert, die Sippschaft im

Clinch wie lange nicht

wiesen, behämmerten den beim KlempnerVogel ausgeliehenen Nibelungenhort, spiel-ten mit Eimern, Gießkannen und Kuchen-formen „Rheingold“ und rundeten darausim farbigen Qualm der Dampfmaschinenden Ring. Der glitt Wotan bei der Premie-re aus der Hand, und verwirrt rannte derGott in die Kulissen, um ihn zu suchen.

Dem aus Pappmaché geformten Dra-chen Fafner, vom Maler Arnold Böcklinentworfen und vom Kritiker Eduard Hans-lick als „Kreuzung aus Eidechse und Sta-chelschwein“ verhöhnt, fehlte der Schlund;die Londoner Hersteller hatten ihn irr-tümlich nach Beirut expediert. Halslos,dafür mit flammenden Nüstern, keuchtedas Ungetüm mittels Drahtzügen über dieBretter, im Innern zwei stämmige fränki-sche Burschen, die sich im Rhythmus derMusik bückten und streckten.

Am Schluss der „Götterdämmerung“brach die Gibichungenhalle mit imposan-tem Gepolter zusammen: Beherzte Män-ner, jeder in einer Säule verborgen, muss-ten beim Finalgetöse so lange wackeln, bisdie Pfeiler samt Umstürzlern kippten, den

Lebensdaten Richard Wagners

1813 Geburt am 22. Mai in Leipzig

1834 Vollendung der ersten Oper „Die Feen“

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wuchtigen Oberbau mit in die Tiefe und sodie ganze Sagenwelt Wagners in den Un-tergang rissen.

„Trübsal! Erschütterung!“, notierte Co-sima Wagner nach dem Auftakt der ersten(defizitären) Festspiele in ihrem Tagebuch,und ihren Gatten wähnte sie gar bar allerLebenslust: „Richard sehr traurig, er sagt,er möchte sterben!“

Ach was, im Gegenteil: Spätestens in je-nem August 1876 – mit der Einweihung sei-nes eigenen Opernhauses, dem erstenkompletten Durchlauf seines Riesendra-mas „Der Ring des Nibelungen“ und derGründung der ersten privaten Festspielein der Musikgeschichte – hatte sich dersächsische Gnom unsterblich gemacht undauf dem Grünen Hügel ein Denkmal ge-setzt: das Festspielhaus, die Villa Hügel sei-

1836 Eheschließung mit der Schau-spielerin Minna Planer (1809 –1866)

1839 Wegen Überschuldung Fluchtnach London und Paris

1842 Erster großer Erfolg mit derDresdner Uraufführung von „Rienzi“

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ner Träume, ein Leuchtturm deutscherLeitkultur.

Da stand nun der Zwitter, halb Scheune,halb Tempel, von dem genialen Empor-kömmling aus königlichen Schatullen undprofanen Geldschränken zusammenge-schnorrt und nur zu dem einen Zweck er-richtet, die Werke seines Bauherrn – undnur sie – wieder und wieder aufzuführen.„Die Welt ist mir schuldig, was ich brau-che“, verlautbarte dazu dieser „deutscheGeist“, dieser „deutscheste Mensch“.

Und seit jenem denkwürdigen Som-mertheater 1876 kamen sie wieder undwieder, und sie pilgern bis heute: Herr-scher und Herrschaften, Geldsäcke undModelaffen, graue Eminenzen und bunteVögel. Letzten Mittwoch, zum Auftakt der 90. Festspiele, reihten sich die ehe-maligen Bundespräsidenten Walter Scheelund Roman Herzog mit der amtierendenParteichefin Angela Merkel und demSchlagerbarden Roberto Blanco ins Defi-lee der Promis: Das „Narrenfest desStaatsmusikanten Wagner“ (Karl Marx) ist immer in Gang – auf rotem Teppich

1849 Teilnahme am Dresdner Maiaufstand,steckbrieflich gesucht, Flucht in die Schweiz

1861 Skandal um Neufassung des„Tannhäuser“ in der Pariser Opéra

1864 Erstes Treffen mit seinem GönnerKönig Ludwig II. von Bayern

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g 1876*: Drache ohne Hals

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Titel

zu noch weißen Würstchen und heili-gem Gral.

Alles hat das Festspielhaus in seinen125 Jahren überstanden: ein Kaiserreich,die Weimarer Republik, den Hitler-Staat,zwei Kriege, die Teilung Deutschlandsund dessen Wiedervereinigung, Reichs-mark, Rentenmark, Deutsche Mark, vorallem aber das Regiment jener Sipp-schaft, die den ganzen Zirkus seinerzeitauf- und bis heute durchgezogen hat –die Wagners.

Denn auch in diesem Sommer, wennsich der Gründungstag der BayreutherFestspiele zum 125. Mal jährt, herrscht,wie am ersten Tage, in dem seltsamenBacksteinbau ein Wagner – WolfgangManfred Martin, 81, Enkel des Kompo-nisten, auf Lebenszeit inthronisierterFestspielleiter und heute das schlohweißeOberhaupt des legendären Clans.

Als dieser rosenwangige Senior amvergangenen Mittwoch mit Gattin Gu-drun, 57, und Tochter Katharina auf demGrünen Hügel Hof hielt, da machte nichtnur der mit 50 Amtsjahren dienstältestePrinzipal der Opernwelt seine Honneurs,sondern auch der umstrittenste.

Mitte August wird der Dirigent Chris-tian Thielemann hier mit dem Festspiel-orchester Beethovens Neunte Sinfonieaufführen, ausdrücklich nicht nur ausFreude über das Doppel-Jubiläum, son-dern auch aus Solidarität mit dem an-geschlagenen Hausherrn – eine in derFestspielgeschichte einzigartig peinlicheDemonstration.

Seit Jahren spaltet Wolfgang Wagnerdie Szene, weit über Bayreuth hinaus.Denn der Komponisten-Enkel und un-ermüdliche Gralshüter steht heute welt-weit nicht nur für die theatralische All-macht seines Großvaters und dessenBayreuther Bollwerk, sondern er ver-körpert auf seine alten Tage auch die –fragwürdige – Zukunft des ganzen Un-ternehmens: Haben sich die Wagners inBayreuth nicht überlebt? Oder sind sie,wie sie selbst glauben, immer noch un-entbehrlich? Ist gar die ganze legendäreFestspiel-Institution, diese ebenso gro-teske wie gigantomane Ausgeburt derGründerjahre, nur mehr ein bombasti-scher Anachronismus – der nostalgischverklärte Spleen eines maßlosen Phan-tasten aus dem vorvorigen Jahrhundert?

Orthodoxe Wagnerianer und Fest-spiel-Fundis schätzen Wolfgang als jo-vialen, dabei bauernschlauen Denkmals-

69 Geburt des Sohnes Siegfried ausr Liaison mit Cosima von Bülow

70 Heirat mit Franz Liszts Tochter Cosima

72 Wagner zieht nach Bayreuth,undsteinlegung des Festspielhauses

pfleger, dessen Laden – stets vielfach über-bucht – glänzend läuft und der sich als Re-gisseur nur so viel Kunst leistet, dass esden gemeinen Opernfreund nicht graust.Langjährige Hügel-Abonnenten beobach-ten überdies die wachsende Ähnlichkeitdes alternden Wolfgang mit seinem Opaund schließen schon daraus auf einzigarti-ge Gene auch im Erbgut des Enkels. Also,lasst den alten Herrn gewähren, er wird’sschon richten.

Reformkräfte indes misstrauen dem Be-tagten; der bremse, verhindere, sei Aus-laufmodell. Bayreuth habe die Pole-Posi-tion auf dem Wagner-Kurs längst verloren;Regisseure, Dirigenten, Sänger seien zu-nehmend zweite Wahl, wenn nicht drunter;seine Schuld. Die Führung des Unterneh-mens wachse ihm über den Kopf; umsoverbissener sperre ersich gegen den längstüberfälligen Genera-tionswechsel. Mit dereinzigen ihm geneh-men Nachfolge-Kandi-datin, mit Ehefrau Gu-drun, lasse sich wederStaat noch staatstragen-des Theater machen.

Seit März 1999 nun istdiese Debatte zum Glau-benskrieg eskaliert, dieSippschaft im Clinch wielange nicht. Und wenndie Wagners so richtigRoyals spielen und wennes bei ihnen kracht wieim Buckingham Palace, dann haben selbststeifleinene Wagnerianer ihre helle Freude:Clan schlägt sich, Clan verträgt sich.

Die jüngste Lachparade der Dynastie be-gann damit, dass Wolfgang Wagner die zu-ständige Richard-Wagner-Stiftung in stel-zigem Amtsdeutsch legitimierte, „das vor-gesehene Verfahren einzuleiten, um dienotwendigen Schritte für einen künftigen

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1876 Einweihung des Festspielhausesauf dem Grünen Hügel, erste Festspiele

Richard Wagner 1871

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Wechsel der Festspielleitung zu ermögli-chen“. Dass er und wann er aus dem ihmlebenslänglich zustehenden Amt zu schei-den gedächte – wichtigste Voraussetzungfür eine seriöse Nachfolgedebatte –, sagteer nicht.

Stattdessen ließ sich das alte Schlitzohrein Hintertürchen offen, durch das er imgeeigneten Augenblick seine (zweite) FrauGudrun ins Chefzimmer schleusen oder,Arm in Arm, begleiten konnte. WolfgangsGattin, einst Bayreuther Pressedame, ver-sicherte, sie habe schon heute vor Ort „dieFäden in der Hand, sonst würde es hiernicht laufen“. Und – hätte sie auch dasZeug, wenn sie der Ruf ins Allerheiligsteereilte? „Ja, das könnte ich.“

„Lachnummer der Nation“, höhnte dar-aufhin die Literaturwissenschaftlerin Nike

Wagner, 56, über die Schnapsidee ihresOnkels und das Selbstvertrauen ihrer Tan-te; und um das Schlimmste zu verhüten,verbandelte sie sich umgehend mit ihrerCousine Eva Wagner-Pasquier, 56, derTochter aus Wolfgangs erster Ehe, und mitihrem Vetter Wieland Lafferentz, 52, ei-nem Sohn von Wolfgangs Schwester Ve-rena. Der fand zwar die offizielle Bay-reuther Nachfolgeregelung „hirnrissig“,weil das Festspielhaus „kein Erbhof“ seindürfe, machte aber mit. Nun hatte es bisdahin zwischen den dreien „außer Bussilinks, Bussi rechts bei irgendwelchen Tref-fen“ kaum Berührungspunkte gegeben,„wie das in großen und problematisch struk-turierten Familien halt so ist“ (Lafferentz).Aber man wollte ran an den Gral.

Kaum hatte das Trio angefangen, übereine dreifaltige Festspielleitung zu rat-

* Richard Wagner mit Kaiser Wilhelm I.

1882 Zweite Festspiele mit derUraufführung von Wagners letztemWerk „Parsifal“

1883 Wagner stirbt in Venedigam 13. Februar

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schen, war es auch schon über Kreuz, wiedas in problematisch strukturierten Fami-lien halt so ist: „Das ging nicht“, sagte Laf-ferentz, „drei Häuptlinge waren zu viel.“

Dann eben nicht, entschied die kamp-feslustige Nike und koalierte mit demfrüheren Hamburger OpernintendantenPeter Ruzicka. Der aber lief, kaum mit ihrim Bund, zu den Salzburger Festspielenüber, woraufhin sich die Hinterbliebenemit Elmar Weingarten, dem Ex-Intendan-ten der Berliner Philharmoniker, liierte.Reformprogramm des Duos: mehr Wag-ner, aber nicht nur Wagner, und alles inBayreuth und um Bayreuth herum.

Nebbich, polterte Allvater Wolfgang.Dieser Vorschlag widerspreche der „Wag-nerschen Festspielidee“ und der Stiftungs-satzung, er sei „unrealistisch und unreali-sierbar“. Ganz falsch war das nicht.

Derweil kündigte auch das Rumpf-DuoEva Wagner / Wieland Lafferentz seineNibelungentreue auf. Eva, so Lafferentz,habe den Gedanken gleichberechtigter Ge-schäftsführer „verraten“ und „unter Beru-fung auf die Bayreuther Hierarchie ein-deutig ihren Willen bekundet, offiziell alsFestspielleiterin aufzutreten“. Die liebeBase habe sich den Job „reichlich naiv“vorgestellt, so nach dem Motto: „Ach, ichgeh mal hin und mach mal was.“

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Hitler, Wagner-Enkel Wieland, Wolfgang (1936)Bares vom Führer

Von wegen. Ihr Cousin habe „versucht“,sie „auszubooten, indem er eine Wochevor der Präsentation ein neues Konzeptwollte, sich dann von mir getrennt hat, viel-leicht auch, weil der Grüne Hügel ihn be-arbeitet hat, ihn meiner Stiefmutter zurSeite stellen wollte“.

Na und? Dann mache sie es eben allein.Jedenfalls stimmte ihr Programm der de-zenten Retuschen – im Klartext: Bayreuthbleibt Bayreuth – die Stiftungsräte gnädig:nur keine Experimente, das wollten auchsie. Für das Gremium war Eva so gut wieinthronisiert.

Doch im Oktober 2000 – Vater Wolfganghatte die Nachfolgediskussion gerade malwieder für beendet erklärt – schmiss dieGebenedeite hin. Ihr Vater weigere sich, ei-nen Rücktrittstermin zu nennen; sie aberwolle nicht auf die lange Bank geschobenwerden; ihr derzeitiger Job bei den Fest-

Im Drachen war der WurmWie Regisseur Jürgen Flimm den „Ring 2000“ überarbeitet hat

Das ist einfach nicht zu schaffen“,diesen ganzen „Nibelungen-Ring“ in einem einzigen Som-

mer „logisch durchzuziehen“, 16 Stun-den Hochdruck-Theater, „nein, gehtnicht, jedenfalls nicht unter Bayreu-ther Bedingungen“. Regisseur JürgenFlimm, 60, schüttelt den Kopf. Und sosei das Echo der Kritik im August 2000

auch „nicht vielanders“ gewe-sen, als er „er-wartet hatte“.Über 500 Zeitun-gen hätten sei-nerzeit Kritikengedruckt, „allewichtigen kenneich“.

Tenor: lala.Vor einem Jahr

hat Flimm aufdem Grünen Hü-gel debütiert, mitmanchen Vor-schusslorbeeren für den Theater-Darling. Dochder „Ring 2000“,

Bayreuths hochspekulatives Entree insneue Jahrtausend, hatte platte, stump-fe, brüchige Stellen.

Nun bleibt ein neuer „Ring“ in Bay-reuth stets fünf Jahre im Sortiment,kann aber überarbeitet werden. Aufdem Hügel heißt das, er kommt in die„Werkstatt“; klingt solide und wecktNeugier: Der erste Durchlauf der ge-neralüberholten Tetralogie, der ver-gangenen Freitagabend begann, erhieltdamit fast den Rang eines Premieren-Dacapo. Der Flimm-„Ring“ in der re-vidierten Fassung – das ist diesen Som-mer der Clou auf dem Hügel.

Für Flimm hieß das in den vergan-genen Wochen: den Ring in Form brin-gen, im Idealfall runderneuern. Dabeiging es allerdings nicht nur um NewLook auf der Bühne.

Ein ungewöhnlich heftiger Aderlassunter den vorjährigen Singstars, allenvoran Plácido Domingo (Siegmund),Waltraud Meier (Sieglinde), GabrieleSchnaut (Brünnhilde), führte gleich zuzwölf Neubesetzungen; mehr noch:Nach dem Tod des Dirigenten Giusep-pe Sinopoli musste der Regisseur aucheinen bayreuthunerfahrenen Kapell-meister (Adam Fischer) in sein „Ring“-

Regisseur Flimm„Viel intimer“

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Team einpassen; eine – fast unver-meidliche – Zitterpartie, wie Ohren-zeugen der Orchesterproben flüstern.

In einem waren sich Regisseur Flimmund seine Kritiker schon im vorigenJahr einig: Die erste „Ring“-Hälfte,also „Rheingold“ und „Walküre“, wardie bessere Hälfte, flüssiger und schlüs-siger; das, findet Flimm auch heutenoch, „lief alles ganz ordentlich“.

Hier habe er sich deshalb „auf ein paar Retuschen beschränkt“: Diemickrige Regenbogenbrücke beispiels-weise, auf der die Götter gen Walhallschreiten, hat er demontiert, „da isteinfach nur noch ein langer Weg“.Dafür gingen die kriegslüsternen Wal-küren jetzt „richtig in die Luft“; einLifting mittels verbesserter Hydraulik.

Keine Frage, der schwache Punkt derTetralogie war „Siegfried“, der dritteAbend. Flimm räumt ein: „Das Stückhatte große Mängel.“ Nunmehr sei dasSchmiede-Bild des ersten Aktes „ex-trem verkleinert“ und dadurch „viel in-timer“, das fördere „die Konzentrationauf die Dialoge“.

Und dann steckte voriges Jahr derWurm im Drachen: Seltsam effektloswar das aus selbst auflösender Gela-tinefolie geplusterte Monstrum kol-labiert, und der Riese Fafner, der inihm steckt, tauchte erst gar nicht mehrauf, der sang aus dem Off. Jetzt also„ist Fafner wieder da, der Drache darf sich personifizieren, das ist einfachplausibler“.

Den radikalsten Eingriff gestattet sichFlimm im Finale der „Götterdämme-rung“. Da hatte er 2000 zur schwärme-rischen Schlussmusik nach der Apoka-lypse einen knäbischen Ritter vor eingroßes, verschlossenes Metalltor pos-tiert und ließ das Premierenpublikumrätseln, worauf er damit anspielte.„Dieser Jung-Parsifal“, sagt Flimm, „istaus meiner überarbeiteten Version ver-schwunden, ersatzlos gestrichen. DieGeschichte hört jetzt damit auf, dassdie Menschen den Ort des Welten-brands und auch das Theater wortlosverlassen.“

Ob sich dieser Abgang überzeugen-der in Wagners rauschhaften Final-hymnus einpasst, bleibt – bis Mittwochdieser Woche – abzuwarten. Trost fürFlimm: Auch Richard Wagner selbsthatte mit dem Ende der Götterwelt sei-ne liebe Not.

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Die DynastieVier Generationen Wagner

Cosima von Bülowgeb. Liszt1837–1930

Richard Wagner1813–1883

Franz Beidler1872–1930

Isolde1865–1919

Eva1867–1942

Houston StewartChamberlain1855–1927

Siegfried1869–1930

Winifred WilliamsKlindworth1897–1980

Wolfgang1919

Ellen Drexel1919

Friedelind1918–1991

GertrudReissinger1916–1998

Wieland1917–1966

Franz Wilhelm1901–1981

Gudrun Mack1944

Verena1920

BodoLafferentz1897–197

Iris 1942

Wolf Siegfried 1943

Nike 1945

Daphne 1946

Eva 1945

Gottfried1947

Katharina1978

Verena 1952

Amélie 1944

Manfred 194

Winifred 194

Wieland 1949

„Diesem Bub müssen wir endlich die Bomben aus der

Hand nehmen“

spielen von Aix-en-Provence vertrage sichnicht mit dem Bayreuther Vabanque.

Eineinhalb Jahre hatte der Stiftungsrat –lange Zeit ein Schnarchverein aus haus-backenen Bayreuthianern und politischenLeisetretern – dem Mummenschanz derWagner-Sippschaft seelenruhig zugesehen.Doch jetzt riss selbst ihm der Gedulds-faden. „Wir lassen uns nicht länger an derNase herumführen“, wetterte der ober-fränkische Regierungspräsident Hans An-gerer; es müsse jetzt endgültig „zum Ge-nerationswechsel kommen“, forderte Kul-turstaatsminister Julian Nida-Rümelin.Ende der leisen Diplomatie.

Damit schlug die Stunde des bayerischenKunstministers Johannes Baptist Zehet-mair, der den Hügel im Handstreich alsweiß-blaue Domäne besetzte. Über vieleJahre hatte sich der Christsoziale mit demFestspielchef bestens verstanden. Aber

* Ehefrau Cosima, Richard Wagner, Schwiegervater FranzLiszt; Komponisten-Sohn Siegfried, Ehefrau Winifred,Kinder.

Bayreuther Wagner-Clan*: Wenn es kracht wie

jetzt war Schluss, Tacheles, „Daumen-schrauben“: „Diesem Bub müssen wir end-gültig die Bomben aus der Hand nehmen.“

Nur, bitte, wie? Wolfgang Wagner bliebstur: „So auf die krumme Tour wird michder Stiftungsrat nicht los.“ Kein verbind-licher Abtrittstermin, nicht mal ein vagesVersprechen: „Ich will mich doch nichtselbst kastrieren.“

Zehetmair begann ein Ping und Pong mitLock- und Druckmitteln. Erst rechnete ereine satte Abfindung hoch, wenn der Alteverzichte; wenn nicht, könne ihm entwe-der der Mietvertrag über das Festspielhausgekündigt oder ein Aufpasser zugeordnetwerden, beides juristisch windige Tricks.

„Was die da vorhaben, sehe und erwar-te ich ganz gelassen“, konterte Wolfgang

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im Buckingham Palace, haben Wagnerianer i

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Wagner; Zehetmair verbreite „frei er-fundene Behauptungen“, betreibe die„Demontage meiner Persönlichkeit“und habe ihn „in unglaublicher Wei-se verleumdet“.

Man kenne ja „die Entwicklungen,die mit erhöhtem Alter eintreten“,ließ Zehetmair daraufhin in hinter-fotziger Pastorenmilde verbreiten;den greisen Prinzipal mit seiner „Un-beweglichkeit und seinem Starrsinn“lasse „offensichtlich das Gedächtnisim Stich“; was dieser von sich gebe,gehöre „in die Abteilung Rumpel-stilzchen“.

Nun hatte sich der Erbfolgekriegendgültig ins Märchenhafte vergeis-tigt, und da war, kurz vor dem letztenWeihnachtsfest, auch die gute Fee

nicht weit: Comeback von Eva, die Zehet-mairs Drängen nachgegeben hatte undneuerlich kandidierte. „Bayreuth wirdweiblich“, titelte der „Stern“ in vorausei-lendem Jubel. Ende März dieses Jahreswurde sie vom Stiftungsrat mit klarerMehrheit zur künftigen Festspielleiterin er-nannt. Amtsantritt: „So bald wie möglich“.

Gut gesagt, dumm gelaufen. Am 15. Junigibt Zehetmairs Wunschmaid zum zwei-ten Mal auf, lässt aber sogleich durch-blicken, dass ihr der Stiftungsrat bei Gele-genheit durchaus ein neues Angebot un-terbreiten könne. Wenig später teilt NikeWagner mit, sie kandidiere weiter, jetzt,gültig ab 2006, im Tandem mit dem erfolg-reichen Stuttgarter Opernchef Klaus Ze-helein. Der wiederum sieht sich „nicht inder Warteschleife“ und ist „nicht bereit,für Bayreuth irgendwelche Pläne zu ma-chen“. Kaum hat Wolfgang Wagner versi-chert, „alles fest in meinen Händen“ zuhaben und für eine „Zukunft“ zu planen,„die ich bestimmen werde“, da setzte erzum Beweis seines ungebrochenen Taten-

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Hitler legte den Frack an, wenn er dem „größten Deutschen“

huldigte, „der je gelebt hat“

Flimm-Inszenierung „Götterdämmerung“ in Bayreuth: 16 Stunden Mord und Totschlag

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drangs seine beim Stiftungsrat durchgefal-lene Gattin Gudrun im Handstreich alsneuen Bayreuther Orchestervorstand ein.Seit letzter Woche verdichten sich auf demHügel Gerüchte, Wolfgang wolle den Ber-liner Generalmusikdirektor Thielemann,der am Mittwoch fulminante „Meistersin-ger“ dirigierte, in die Festivalleitung beru-fen. „Bunte“: „Bayreuth dröhnt vom La-chen des Alten.“ Es stimmt: Das Festspiel-haus 2001 ist ein Tollhaus.

Nun waren die Wagners schon immerein besonderes, sonderbares Geschlecht,ein „eigensüchtiger, erbedünkliger, zin-kennasiger, kinnlastiger Atridenclan“, wieMitglied Nike erfrischend respektlos fest-gestellt hat. Spätestens seit der ÜbervaterRichard 1883 vermutlich durch eine Rupturder rechten Herzkammer in Venedig ent-schlafen war, gehörte Stunk zur Sippe wieTristan zu Isolde. Und die Welt hatte stetsihren Spaß an den Kesselflickern aus demFrankenland.

Aber ein richtiger Familienkrach bei denWagners war auch schon immer mehr alsdas übliche Gezänk unter lieben Ver-wandten. Er war Machtkampf um die Büh-ne Bayreuth. Und je fruchtbarer sich dieDynastie des sächsischen Genies vermehr-te und je üppiger sich dessen Stammbaumverzweigte, umso verbissener rissen sichdie Abkömmlinge um einen Zipfel vomMantel der Geschichte, dem kostbarstenRequisit Bayreuths.

Viel mehr war ihnen ja auch nicht ge-blieben. 1973 hatte die Sippschaft nämlichden wertvollen Nachlass, vor allem Fest-

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spielhaus und Villa Wahnfried, in eine Stif-tung eingebracht und dafür 12,4 MillionenMark in drei Raten kassiert. Damit war ausder Privatfirma eine staatlich abgesicherteInstitution geworden, mit einer folgen-schweren Fußnote: Alleiniger Geschäfts-führer der Festspiele und Mieter des Fest-spielhauses wurde Wolfgang, durch ein Ge-flecht von 26 Verträgen bis ans Ende seinerTage abgesichert.

Nun war Richards Festspielhaus mit ei-ner jährlichen Spielzeit von gerade malfünf Wochen und mit einer Monokultur –Wagner, Wagner, nichts als Wagner – nieein stinknormales Opernhaus. Es war auchimmer eine Kathedrale, wo eingefleischteWagnerianer Leitmotive kifften und derenSchöpfer im Rausch zu ihrem Heiland er-

koren, und es war, jedenfalls nach dem Ho-helied der reaktionären „Bayreuther Blät-ter“, vor allem eine „herrliche Arierburg“,ein „Kunsttempel zur Erfrischung des ari-schen Blutes“.

Auf dem Grünen Hügel hatte sich nichtnur der 1,53 Meter kleine Sachse zum„Schöpfer der überwältigendsten dramati-schen Vision und Schaustellung des mo-dernen Abendlands“ (Thomas Mann) aus-gewachsen, sondern hier hatte auch derChauvinismus einen gefährlichen Nährbo-

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den gefunden, hier lag viel völkisches Ge-dünst in der Luft.

So war Bayreuth, nachdem Wagner dorterst einmal seine Wahlstadt und Wir-kungsstätte gefunden hatte, nie wieder dasverschlafene Nest im oberfränkischenHerrgottswinkel, mit 14 000 Seelen, 11Brauereien und 76 Wirtshäusern. Es warvielmehr eine Hauptstadt der – rechten –Bewegung geworden, wo „das Deutschtumin seiner wahrsten Gestalt“ auftrat.

Die erschien endgültig 1925 mit AdolfHitler, der damals, bei seiner ersten Bay-reuth-Visite, tagsüber „in der kurzenWichs“ eines Sommerfrischlers durch dieStadt geschlendert war und Frack oderSmoking erst angelegt hatte, wenn erabends im Festspielhaus dem „größtenDeutschen“ huldigte, „der je gelebt hat“.

In dem Bewusstsein, dass Bayreuth „dasgeistige Schwert geschmiedet“ habe, „mitdem wir heute fechten“, wurde er nachseiner Machtübernahme Stammgast, ver-brachte pro Saison bis zu 40 Stunden imFestspielhaus, hörte sich dort im Sommer1936 seinen Jugendtraum „Lohengrin“gleich dreimal hintereinander an und bandBayreuth regelrecht in seine Reiseroutenein: Einmal hob er in Bayreuth morgensum acht mit einer JU 52 nach Münchenab, schüttelte dort italienischen Faschistendie Hände, setzte um 11.30 Uhr in Berlinauf, um einen Admiral zu bestatten, undhockte am Nachmittag schon wieder für„Siegfried“ in der Loge.

Dort saß, ihm zur Seite, die junge Fest-spielchefin Winifred Wagner, Witwe von

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Richards Sohn Siegfried, und lächelte – der„Wolf“ neben „Winni“. Gut Freund warensie, ein Herz und eine Seele im Zeichen desMeisters, dessen Werke nach Ansicht desFührers „alles in sich schließen, was derNationalsozialismus erstrebt“. Und wennzum Schluss des „Ring“ die Götterburg zu-sammenkrachte, küsste der Gast Frau Win-ni ergebenst die Hand.

Im Gegenzug spekulierte die Hofierte,die bei ihrem Hausfreund „vor allen Din-gen das Auge, ganz blau, ungeheuer an-ziehend“ fand, auf Subventionen aus der großdeutschen Kasse; mit Erfolg. Gernließ Hitler Bares springen, und notfallskaufte das Reich auch Restkarten auf.Nach Kriegsausbruch kamen Kraft-durch-Freude-Kunden und verstümmelte Land-ser gratis ins Festspielhaus, auf KostenBerlins.

1944, kurz vor dem Attentat vom 20. Juli, schaute Hitler ein letztes Mal inWahnfried vorbei: „Ich höre die Flügel derSiegesgöttin rauschen“, sagte er beim Ab-schied. Ende des Jahres kam sein letztesWeihnachtspaket mit echtem Bohnen-kaffee. Am 5. April wurde die Heimstattder Wagners von Bomben zerstört. Bay-reuth lag am Boden.

Rheintöchter-Szene (1876): Mythenmix aus Sex and Crime

Historisches Bühnenbild mit RheintöchternZappelnde Maiden an Eisenstangen

War mit der realen Apokalypse nunauch der ganze theatralische Spuk vorbei,war Götterdämmerung auch im Festspiel-haus, dieser Trutzburg deutscher Groß-mannssucht? Hatten sich mit den braunenSchwaden auf dem Hügel und den Brand-wolken über den brennenden Städten auchWagners Phantastereien und die seiner Pa-ladine in nichts aufgelöst?

Fast schien es so. Winifred Wagner hat-te sich ins Fichtelgebirge verkrochen, ins„Exil“, wie sie schrieb, und erwartete ihr

Entnazifizierungsverfahren. Dort war auchihr Sohn Wolfgang untergekommen. Wolf-gangs älterer Bruder Wieland hingegen leb-te in Nußdorf am Bodensee, französischeZone, die er als ehemaliger Parteigenossenicht verlassen durfte. Schwester Friede-lind, die Deutschland schon vor dem Kriegden Rücken gekehrt hatte, weilte in denUSA und schickte von dort Care-Pakete.

Doch was eine Renaissance der Fest-spiele am meisten erschwerte: RichardWagner selbst war in Verruf. Nach Kriegs-ende galt er, obwohl über 60 Jahre tot, alsHofkomponist der Nazis, sein Werk alsideale Stimmungsmache für den groß-deutschen Schlachtenlärm.

Skrupellos hatten sich die braunenMachthaber für ihre Propaganda seiner ef-fektvollen Tonsprache bemächtigtund deren theatralischen Pomp, einSound wie von Krupp, als martiali-sches Aufputschmittel missbraucht –ein Umstand, der erst jüngst wieder,beim Israel-Gastspiel von DanielBarenboim und der StaatskapelleBerlin, zu glaubenskriegerischenTumulten führte.

Gleichzeitig war aber auch imJahr der Kapitulation der Rang des C

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Dichter-Komponisten global unbestritten,Wagner – heftig befehdet und kultisch ver-ehrt – eine Jahrhundertfigur. Verwurzeltin der Tradition Beethovens und Carl Ma-ria von Webers, hatte er die Möglichkeitendes Orchesters in ungeahnte dynamischeExtreme und harmonische Finessen aus-gereizt und das traditionelle Prinzip derNummernoper (Rezitativ, Arie, Ensemble)durch sein Ideal der „unendlichen Melo-die“ ersetzt. Aus dem übersichtlich geglie-derten Singspiel wurde das pausenlose Mu-

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sikdrama, aus dem Tutti, das begleitet, einsinfonischer Machtapparat. Und nirgendsschienen diese endlosen Kunststücke ausMythos und Psychologie besser aufgeho-ben als in des Meisters guter Stube.

Nun hatte, o Wunder, das Festspielhausnicht nur die alliierten Bombenangriffe über-standen, sondern auch den Amüsierbetriebder Besatzer, die dort in Germanenfellenaus dem Fundus gebechert und mit fränki-schen Frolleins Jitterbug getanzt hatten. DasHaus war beschlagnahmt, aber intakt.

Doch „mir persönlich ist völlig gleich-gültig“, gestand Wieland seinem Bruder1947, „in welches Verhältnis unsere Fami-lie zu dem Haus da oben zu stehen kommt,da ich unsere Familie für diese Aufgabeunfähig halte“.

Umso eifriger überlegten die amerikani-schen Aufseher und eilfertige deutscheNeudemokraten, wie der stillgelegte Sing-tempel genutzt werden könnte. Als Kino?Als ein Uraufführungstheater für zeit-genössische Opern? Oder lieber doch alsGedenkstätte für NS-verfolgte Tonschöp-fer? Vielleicht gar als internationale Stif-tung mit Thomas Mann als Präsident?

Derlei Spekulationen verfolgten dieWagners, allen Schwüren zum Trotz, mitNeugier und Unbehagen. Das Haus warlaut Siegfrieds Testament schließlich Wag-nersche Scholle, da wollten sie denn dochauch mitreden.

Nur die „Herrin von Bayreuth“ durftenicht mehr. Hitler-Freundin Winifred wur-de 1948 als „Minderbelastete“ zu zweiein-halb Jahren Bewährungsfrist, 6000 Markan einen Wiedergutmachungsfonds undder Zusage verdonnert, nie mehr ein Un-ternehmen zu führen. Im Januar 1949 ver-zichtete sie schriftlich auf jedes Mitspra-cherecht bei den Festspielen und bevoll-mächtigte zugleich ihre Söhne Wieland undWolfgang, „im Namen der Familie zu spre-chen und zu handeln“.

Nun fanden auch die beiden Komponis-ten-Enkel langsam wieder Spaß an einemFestspiel-Revival. Stiekum hatten sie sich

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„Eine tragische Geschichte“Startenor Plácido Domingo, 60, über den langen Abschied des Festivalchefs Wolfgang Wagner

und einen „Ring des Nibelungen“, den er in Los Angeles herausbringen will

r Domingo*: „Mit ganzer Leidenschaft“

SPIEGEL: Herr Domingo, die Welt kenntSie vor allem als herausragenden Sän-ger. Doch seit einigen Jahren arbeitenSie auch als künstlerischer Leiter derOpern von Washington und Los Ange-les. Füllt die Singerei Sie nicht aus?Domingo: Alles, was ich tue, mache ichmit ganzer Leidenschaft. Und diese Lei-denschaft verdrängt die Zweifelund die Müdigkeit, wenn manwieder mal eine Nacht im Flug-zeug verbracht hat.SPIEGEL: In Los Angeles hauen Sieleidenschaftlich auf die Pauke:Von 2003 bis 2005 wollen SieRichard Wagners „Ring“ heraus-bringen – mit Kent Nagano amPult. Was soll dieses teutonischeWerk in der Metropole der Un-terhaltungsindustrie?Domingo: Sie werden schon sehen– es wird ein „Ring“ werden, wieer noch nie auf einer Bühne zu se-hen war: Wir arbeiten zusammenmit ILM, Industrial Light + Ma-gic, der Spezialeffekte-Firma vonGeorge Lucas … SPIEGEL: … dem Erfinder der le-gendären Science-Fiction-Kino-reihe „Krieg der Sterne“. Verra-ten Sie damit nicht das heiligeBayreuth an Hollywood?Domingo: Bayreuth ist durchnichts zu ersetzen, aber sowohlWagner wie Lucas waren und sind Ge-nies. Außerdem lebt der Mythos derWagner-Opern doch auch von den Bil-dern: Sehen Sie sich den Beginn der„Walküre“ an oder das Ende der „Göt-terdämmerung“, den Kampf mit demDrachen, den Einzug nach Walhall –das ist wie ein moderner Fantasy-Film.Wir machen nichts Verrücktes, derklassische Rahmen bleibt erhalten. DieLeute in Lucas’ Studios haben dieIdeen unseres Regisseurs Peter Muss-bach in phantastische Bilder umgesetzt.SPIEGEL: Werden die von ILM entwor-fenen Dinosaurier aus „Jurassic Park“plötzlich durch den „Ring“ rennen?Domingo: Hollywood schafft es jeden-falls, die Massen zu erreichen – dieOpernwelt hingegen bleibt vielen Men-schen verschlossen, auch deshalb, weilsie an diese Kultur nicht herangeführtwerden.

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SPIEGEL: Eine Minute Computer-Ani-mation kostet bei Hollywood-Filmpro-duktionen rund eine Million Dollar.Der „Ring“ dauert etwa 16 Stunden.Wer soll diese Sensation bezahlen?Domingo: Es wird ganz sicher der teu-erste „Ring“ sein, der je produziertwurde. Wenn alle Ideen umgesetzt wer-

den sollten, kann das leicht 25 bis 30Millionen Dollar ausmachen.SPIEGEL: Noch einmal: Wer zahlt?Domingo: An der Finanzierung arbei-ten wir noch. Die Oper von Los Angeles ist eine Non-Profit-Organi-sation. Zuwendungen an uns könnensteuerlich abgesetzt werden. Außer-dem stehen wir mit einem Co-Pro-duzenten in Verhandlungen, der bereitist, 50 Prozent der Gesamtkosten zutragen. SPIEGEL: Vernachlässigen Sie über Ihrenzahlreichen Nebenjobs – als künstleri-scher Leiter zweier Opern und alsDirigent – nicht Ihre Karriere als Sän-ger? Im letzten Jahr hat sich deshalbBayreuths Festspielchef Wolfgang Wag-ner im Zorn von Ihnen getrennt.

* Mit der Sängerin Denyce Graves 1998 in New Yorkin der Saint-Saëns-Oper „Samson und Dalila“.

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Domingo: Das war kein Zorn, kein böser Abschied. Wir sind beide zivi-lisierte Menschen. Er ist stets freund-lich zu mir gewesen. Wolfgang hatallerdings Probleme, wenn ihm jemandwiderspricht. Seine Einstellung ist ganz klar: Wenn einer den Parsifal oder den Siegmund nicht singen will,

dann holt er sich eben jemandanderen. SPIEGEL: Er hatte Ihnen angebo-ten, in diesem Jahr wieder denSiegmund zu singen. NachdemSie wegen einer Verpflichtung mitden Berliner Philharmonikern …Domingo: Die ich dirigieren sollte. SPIEGEL: … zu zwei von Wagnerangesetzten Probetagen nicht er-scheinen konnten, hat er auf IhrEngagement verzichtet. Wie ver-trägt sich das mit dem Selbst-wertgefühl eines Weltstars, vom81-jährigen Wagner-Enkel einfachso abserviert zu werden? Domingo: Ich war über das Endeäußerst traurig – der tragischer-weise gestorbene „Ring“-DirigentGiuseppe Sinopoli war bereit, diefür mich problematischen zweiProbentermine zu ändern, Wolf-gang nicht. Dabei habe ich sehrgern in Bayreuth gesungen undhätte mich über die nächsten drei,vier Jahre verpflichtet, in der

„Walküre“ zu singen, wenn Wagnermich gefragt hätte. Wäre ich 40 Jahre altgewesen, hätte ich auf die Zeit nachWolfgang bauen können, doch in mei-nem Alter sah der Abschied auch wiedas Ende meiner Bayreuth-Ära aus. SPIEGEL: Wer auch immer nach Wolf-gang Wagner die Festspiele überneh-men wird – was muss sich ändern? Domingo: Es muss sich sofort ein drin-gend notwendiges Gefühl des Aufbruchseinstellen, und man muss eine neue Be-geisterung und mehr Interesse unterhochkarätigen Künstlern hervorrufen.Wolfgangs Beharren auf seiner Positionist in gewisser menschlicher Hinsichttraurig: Nichts ist schlimmer für alle Be-teiligten, als wenn sich die Leute lautoder leise fragen: Wann geht der Kerlendlich? Eine tragische Geschichte, die-ser Abschied. Echt Wagner.

Interview: Helmut Sorge

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Mit kräftigem Händedruck bewiesen die Komponisten-EnkelTatendrang nach Art des Hauses

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Bayreuth-Stars Kleiber, Birgit Nilsson, Peter Hofmann: Hypnotische Räusche

schon lange vorher belauert und jede ver-dächtige Aktivität des anderen argwöh-nisch verfolgt. Wieland hatte sogar schonden Verdacht, der Bruder habe den Haus-freund Hitler zur Sicherung einer Vor-machtstellung einzuspannen versucht; be-reits 1940 hatte wiederum Wolfgang sei-nem Bruder eine Art Teilung der künftigenFestspielleitung vorgeschlagen, was Wie-land verschnupft quittierte: „Traust du mirso wenig über den Weg, dass du michschriftlich oder mündlich für die Zukunftfestlegen willst?“

Derlei Scharmützel waren nicht verges-sen, als die Youngsters an den Neustartgingen. „Sowohl dem böse mitgenomme-nen deutschen Namen wie der diskredi-tierten deutschen Kultur“ werde mit Bay-reuths Wiedergeburt „ein guter Dienst er-wiesen“, tönte der örtliche KulturreferentKarl Würzberger in patriotischem Tremo-lo, und die weltweite Wagner-Gemeindevernahm es mit wonnigem Schauder.

Chéreau-Inszenierung „Götterdämmerung“ in B

Sogleich wollten auch andere Ab-kömmlinge des Komponisten bei der Re-kultivierung des Grünen Hügels mit-mischen. Aus der Schweiz meldete sichFranz Wilhelm Beidler, Sohn der erstenTochter von Richard und Cosima Wagner,und schlug die Gründung einer Stiftungvor, was die restliche Sippe misstrauischablehnte. Aus Amerika ließ FriedelindWagner wissen, dass auch sie Ansprüchegeltend mache und gegen Exklusivrechteund Extrawürste ihrer Brüder gerichtlichvorgehen werde (was sie dann erfolglosversuchte).

Um zu verhindern, dass sich die Brüderwegen der Festspielleitung weiter ver-zankten, verabschiedete der Familienrateine „Vereinbarung“ mit klaren Kompe-tenzen: Beide würden die Festspiele „alsVeranstalter im eigenen Namen und aufeigene Rechnung fortführen“; beim Toddes einen trete „der Überlebende in dessenRechte und Pflichten ein“.

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ayreuth (1976): 101 Vorhänge und 85 Minuten B

Okay, Deutschland war entnazifiziert,die Deutsche Mark in Umlauf. Da konntenim Sommer 1951 auf dem Grünen Hügelauch endlich wieder die Walküren reiten.

In die letzten Vorbereitungen platzte einDonnerwetter. Mitte Juni zerstörte ein Ha-gelschlag den Blumenschmuck der Stadt(Gesamtschaden: 1,5 Millionen Mark) undverpasste dem renovierten Festspielhauseinen Dachschaden (Kosten: 15000 Mark).Zu allem Unglück sagten BundespräsidentTheodor Heuss und drei Mitglieder desägyptischen Königshauses ihren Besuch ab.

Der städtische Quartiermeister GeorgArzberger, vom Volksmund damals „Ma-tratzendirektor“ genannt, hatte kurz vordem Festspielstart immer noch nicht genü-gend Privatquartiere für die auswärtigenGäste requiriert, und die Eintrittskartenwaren auch noch nicht alle verkauft: Umunliebsame Lücken im Parkett auszu-schließen, verschenkte Komponisten-En-

kel Wieland sogar Billetts in einer Flei-scherei. Kleinlaut bibberte das einst groß-spurige Bayreuth, Wagners Weimar, sei-ner Wiedergeburt als Wagner-Metropoleentgegen.

Doch pünktlich zum Auftakt der erstenFestspiele nach dem Zweiten Weltkrieg warreichlich frischer Blumenschmuck aus denNachbargemeinden rangekarrt, die Nass-zelle im Festspielhaus abgedichtet, das er-forderliche Bettenkontingent erstellt und

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„Walküre“-Inszenierung in Meiningen: Durchlauf ohne Ruhetag

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Die Reibereien wurden hitziger,als sich die Wagners

richtig auf die Pelle rückten

allenthalben für gutbürgerliche Stimmunggesorgt worden: Ein Einzelzimmer kostetegerade mal 8 Mark, eine Mahlzeit mit Sup-pe und Fleischgericht 1,50 Mark, ein Abendim Festspielhaus höchstens 50 Mark.

In Vertretung des Wagner-VerächtersHeuss reiste Verkehrsminister Hans-Chris-toph Seebohm an und ließ sich gleich amBayreuther Bahnhof von sudetendeut-schen Flüchtlingskindern blühende Gebin-de überreichen. Die drei Hohen Kommis-sare John McCloy (USA), André François-Poncet (Frankreich) und Sir Ivone Kirkpa-trick (Großbritannien) rollten in eigenenSonderzügen vor. An die planmäßigenSchnellverbindungen von Amsterdam,Salzburg, Zürich und Wien wurden be-sondere Kurswagen gehängt, Zielort: Bay-reuth. Der Express von Prag nach Brüssellegte im benachbarten Schnabelwaid einenExtra-Halt ein, um Festspielgästen ein be-quemes Umsteigen zu ermöglichen.

Am 29. Juli, zur Feier der Wiederge-burt, fuhren 753 Automobile aus 22 Län-dern unter einer internationalen Flaggen-

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parade hügelan, 12000 Bayreuther säum-ten die Straßen, winkten und jubelten:Erst jetzt, beim lang ersehnten Comebackder Promis, war für sie der Krieg richtig zu Ende.

Bilder wie aus alten, besseren Tagen.Groß und gewichtig schritt beispielsweiseder graubärtige Minister Alois Hundham-mer als Repräsentant des Freistaats Bayerndurch das Spalier der Zaungäste. AuchTennis-As und Wagner-Freak Gottfried vonCramm suchte nach diversen Davis-Cup-Runden Erholung am Gral. Der in Sektreisende Max Schmeling hatte den örtli-chen Hoteliers sein Schaumwein-Trio„Schmeling-Privat“, „Schmeling-Gold“ und„Schmeling-Trocken“ andienen könnenund ging deshalb dankbar mit EhefrauAnny Ondra auf Freikarten ins Festspiel-haus: „Offen gesagt, ich verstehe nichtsvon Musik.“

Kaum anders dürfte es auch der Fuß-ball-Elf von Schalke 04 ergangen sein, diedamals komplett zur Wagner-Feier antratund ihre Reisekosten durch ein Freund-

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schaftsmatch gegen den 1. FC Bayreutheinspielen musste.

So war sie also schon im Sommer 1951wieder beisammen – Bayreuths große Ko-alition aus Eingeweihten und Kannitver-stans. In Hochachtung einig schien dieNachkriegskundschaft allerdings über dasjugendfrische Doppel, das sich am Kö-nigsportal des Singtempels postiert hatte.Da standen Wieland, 34, und Wolfgang,31, Enkel und Festspielleiter, als Emp-fangschefs und bewiesen mit kräftigemHändedruck den Tatendrang nach Art des Hauses.

Für die beiden Enkel, die in Regie, Thea-terpraxis, Organisation und Buchführungwenig Erfahrung hatten, war der Neu-beginn zweifellos ein Himmelfahrtskom-mando. Zwar hatten die öffentliche Handund private Gönner zur Begleichung derAnlaufkosten sechsstellige Summen locker-gemacht, und für die 21 Vorstellungenkonnten immerhin 37800 Eintrittskartenan rund 12000 Besucher abgesetzt werden.Die Starsänger kassierten nur 800 MarkAbendgage, selbst Shooting-Star Herbertvon Karajan begnügte sich für ein „Ring“-Dirigat mit 12000 Mark pauschal. Am Endeder Festspiele ergab sich bei einem Ge-samtetat von knapp zwei Millionen Marknur ein geringes Defizit. Die befürchtetePleite wurde abgewendet.

Aber was Publikum und Kritik mehr be-schäftigte als ein glücklicher Kassensturzwar die Bayreuther Bühne, wie die Brüdersie an-, aus- oder zurichten würden. In ei-nem beispiellosen Kraftakt hatten die Ge-schwister gleich sechs Neuinszenierungenauf ihr Startprogramm gewuchtet, und denLöwenanteil – „Parsifal“ und den viermalabendfüllenden „Ring“ – mutete sich Wie-land auch noch als Regisseur zu.

Und dann das: der blanke Hohn, ein pu-res Nichts; der Gral im Sommerloch, „Par-sifal“, Wagners Evangelium, als Nulllösung.Keine Aue, kein Schwan, nichts von alldem heiligen Bimbam des Stücks war zusehen; stattdessen gleißende Lichter, ma-

gische Spots, eine Radikal-Ästhetik in Wattund Volt. „Und das von einem Wagner-Enkel!“, entfuhr es der entsetzten Wini-fred, und die sprach damit allen Oldtimernaus dem Herzen. Alte Kameraden grün-deten alsbald eine „Vereinigung für diewerktreue Wiedergabe der Dramen Ri-chard Wagners“.

Dabei wurde die vermeintliche Schän-dung der Schlager der Saison: Endlich warder ganze völkische Plunder der letztenJahrzehnte entsorgt, mit einem Schlag dieBühne von allem wilhelminischen Muffund bräunlichen Müll befreit. „Entrümpe-

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lung“ nannte der gescholtene Regisseurseine Radikalkur. Voilà, Vorhang auf für„Neu-Bayreuth“ – und für neuen Knatschhinter den Kulissen.

Je eindeutiger sich Wieland mit flottenSprüchen („Walhall ist Wall Street“) undentschlackten Inszenierungen zum Star derFestspiele profilierte, umso mehr fühlte

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Kandidaten Nike Wagner, Lafferentz, Eva Wagner-Pasquier: „Bussi links, Bussi rechts“

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Festspielgäste auf dem Grünen Hügel: „Auf rotem

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sich Bruder Wolfgang, für Finanzen undVerwaltung zuständig, ins Bayreuther Kon-tor abgeschoben. Aber auch er – nominellschließlich gleichberechtigter Festspielleiter– wollte an die Rampe.

Die unvermeidlichen Reibereien zwi-schen den Brüdern wurden hitziger, alssich ein Teil der Wagners nach dem Neu-beginn der Festspiele auch privat wieder imSchatten des Grünen Hügels niederließund so richtig schön auf die Pelle rückte.

Nachdem Winifred angefangen hatte, ge-legentlich mit Edda Göring, der Tochterdes Reichsmarschalls, und Frau Ilse Heßbei Kaffee und Kuchen zu plaudern, zogWieland eine Mauer durch den Garten vonWahnfried, „um diese Mischpoke nichtewig sehen zu müssen“. Als Wielands Kin-der ihrer Oma entsetzt von KZ-Filmen be-richteten, wurden sie aufgeklärt: „Alles ge-fälscht, alles entstellt.“ Wielands Sohn WolfSiegfried („Wummi“) beschmierte eine Türmit Kaffeesatz: „So braun war meineGroßmutter.“

Mitten in diese häusliche Idylle platzte1953 die Amerika-flüchtige Friedelind.Wolfgang wähnte in der Schwester soforteine weitere Konkurrentin um den Fest-spielthron und wollte sie am liebsten als„Werbeagentin“ gleich wieder in die USAabschieben. Doch Wieland half der Heim-kehrerin bei der Gründung der „Bay-reuther Festspiel-Meisterklassen“, dieWolfgang als einen Haufen „neugierigerDilettanten“ verspottete.

Als der konservative Wolfgang 1960 einen „Nibelungen-Ring“ mit viel ger-manischem Krimskrams in altdeutscherVerpackung herausbrachte, tobte Wielandlos: „So etwas darf in Bayreuth ein-fach nicht passieren.“ Fortan hatten dieBrüder nur noch schriftlich Kontakt, odersie brüllten sich an. Ihre Kinder durf-ten nicht mehr miteinander spielen, das-selbe Internat besuchen oder die jewei-

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ligen Aufführungen des bösen Onkelsangucken.

Für eine pikante Zuspitzung in derBluts-Bande sorgte die junge SopranistinAnja Silja, die, erstmals 1960 engagiert,gern im Mini über den Hügel schritt undangeblich ein lustvolles Dasein pries: „Ichschlafe mit jedem Mann nur einmal, nur

mit Wieland mach ich’s anders.“ Danachwar die kesse Berlinerin für Winifred nurnoch die „Kurfürstendammnutte“, wasWieland mit juristischen Schritten zu ahn-den drohte.

Jedenfalls wurde in der Beziehungskiste,in der sich Wieland, seine Ehefrau Ger-trud und, als dritte Kraft, Anja Silja einzu-richten versuchten, „gelogen und betro-gen, geliebt und gelitten“, wie der Wag-ner-Biograf Hans-Joachim Bauer in seinerneuen Familienchronik „Die Wagners“schreibt. Mal gingen die beiden Rivalinnengemeinsam spazieren, dann wieder erteil-te Gertrud Anja Hausverbot. Bayreuth hat-te viel zu tuscheln.

Damit war kurze Zeit Schluss, als imOktober 1966, genau 15 Jahre nach demNeubeginn der Festspiele, Wieland in Mün-chen starb. Doch der inzwischen weltweitangesehene Regisseur war kaum beige-setzt, da probte der Clan erneut Rambaund Zamba.

Witwe Gertrud sah sich nach Jahren derehelichen Zusammenarbeit „verpflichtet,das künstlerische Erbe Wielands fortzuset-zen“. Wolfgang bestand auf seiner Rolleals „alleiniger Verwalter des Erbes“ unduntersagte der Schwägerin, vorerst auchnur irgendeine Wagner-Oper anzurühren:„Wenn du redest, inszenierst, schreibst,sperr ich dir das Geld!“ „Eine heimtücki-sche Erpressung“, schäumte die Choreo-grafin. Gleichzeitig kündigte Winifred ihrerSchwiegertochter und ihren vier Enkel-kindern das Wohnrecht in Wahnfried:„Wenn der Förster stirbt, dann hat die Förs-tersfamilie das Forsthaus zu verlassen.“

Nun, hojotoho, war die Sippschaft sorichtig in Fahrt. „Wer etwas Gutes übermeinen Vater sagte“, erinnerte sich Wie-lands Tochter Nike, fiel bei Wolfgang inUngnade. Winifred verbot ihrer TochterFriedelind – „Das ist nicht dein Sitz“ – dasBänkchen in der Familienloge und ließ dort

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lieber Edda Göring und andere rechtePromis Platz nehmen. Wolfgang untersag-te seiner Schwester sogar das Betreten desWeiheareals.

Nach dem Vorbild der Ahnen motztebald auch die nächste Generation, RichardsUrenkel. Wieland-Sohn Wolf Siegfriedkündigte an, sich „auf dem Weg durch dieProvinz natürlich für Bayreuth zu profilie-ren“: „Ich heiße Wagner, ich inszeniereWagner“, und Wolfgang solle sich „keinenIllusionen hingeben“, „ich kämpfe um Bay-reuth“. Wolfgang erließ Hausverbot.

Auch Wolf Siegfrieds Schwester Nikeließ an Wolfgangs Bayreuth und ihrem On-kel kein gutes Haar. Er sei „der Striese sei-nes Ahnen“, lästerte die streitbare Publi-zistin, seine Festspiele wirkten „verkalkt,verkrampft, verkrustet“; er habe „die Fa-milienbande gelöst“, Wahnfried sei „einFriedhof“. Der Festspielchef: „Eine ein-malige Niedertracht.“

Ungleich leiser, dafür besonders innighatten sich derweil Wolfgang und seineTochter Eva auseinander gelebt. Als derFestspielleiter sich von seiner Frau trenn-te, um 1976 Gudrun Mack zu ehelichen,hielt Eva zu ihrer Mutter und musste baldden Hügel verlassen. „Leider ist Eva weg-gegangen“, sagte Wolfgang. „Mein Vaterhat mich rausgeschmissen“, korrigierteEva. Seitdem schweigen sich beide an.

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„In keinem Theater der Welt hat sich bisher

Vergleichbares ereignet“

Besonders ruppig ging der Musikwis-senschaftler Gottfried mit dem Festspiel-leiter Wolfgang ins Gericht, der Sohn mitdem Vater. Auf Fragen zur Nazi-Zeit habeer daheim „immer nur schrille und grelleLügen“ gehört, ließ Gottfried den Rest derWelt wissen; die „Aushängeschilder Le-vine und Barenboim“, zwei jüdische Diri-genten, habe der Herr Papa nur als „Alibi-juden“ engagiert; unter der väterlichenÄgide sei Bayreuth zum „Mittelding zwi-schen Investitionsbörse und Alteisen-markt“ verkommen. Per Fax ließ daraufhinder Festspielchef seinen Filius wissen,„künftig inner- und außerhalb Bayreuthsnachdrücklich auf absoluter Distanz zwi-schen Dir und mir sowie den BayreutherFestspielen bestehen zu müssen“.

Und damit der Nachwelt von all dem to-xischen Tratsch auch nur ja kein bösesWort verloren ging, gaben die Streithähneeifrig zu Protokoll; seitdem fliegen die Fet-zen auch noch mal zwischen Buchdeckeln:Wolfgang veröffentlichte seine „Lebens-Akte“, Friedelind die „Nacht über Bay-reuth“, Nike das „Wagner Theater“, Gott-fried „Wer nicht mit dem Wolf heult“; Ger-trud Wagner wurde durch ihre BiografinRenate Schostack gewürdigt („HinterWahnfrieds Mauern“), Anja Silja („DieSehnsucht nach dem Unerreichbaren“) voneigener Hand; alles keine Poesiealben.

ich zu noch weißen Würstchen“

Aber nun reicht es. Mag ja sein, dassdieses vermaledeite HerrschergeschlechtBallast abwerfen und sich Frust von derLeber schreiben musste, und der Versuch,so was wie reinen Tisch zu machen, istauch im Fall der Wagners nicht unehren-haft, wenn auch, wie sich gezeigt hat, un-tauglich.

Aber gerade in dem letzten halben Jahr-hundert, wo die große Chance zur Wendebestanden hat und Bayreuth gleichzeitigsein historisches Charisma hätte erneuernund stabilisieren können, hat sich der Clanmehr mit sich und seinen Verfallserschei-nungen beschäftigt als mit der Idee, diediese Festspiele auch noch im 21. Jahrhun-dert rechtfertigen könnte. Jedenfalls ist derkategorische Imperativ des AhnherrnRichard – „Kinder, schafft Neues!“ – aufdem Hügel nur mehr historisches Zitat,nicht aktuelle Devise.

Spätestens seit dem Tode des geniali-schen Enkels Wieland liefern die Festspie-le vor allem Mittelmaß und Hausmanns-kost. Die allerorts gängigen Regisseure ha-

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ben längst auch hier solide abgeliefert; be-wegt hat das wenig. Die allgegenwärtigenKapellmeister sind auch hier verlässlichaufs Podium gestiegen; Sternstunden wa-ren das nicht.

Brillante Ausnahmen bestätigen die be-schämende Regel. 1974 übernahm der Di-rigent Carlos Kleiber den „Tristan“ undversetzte das Publikum mit seiner Ekstasein geradezu hypnotische Räusche; Glanzvon gestern. Zwei Jahre später stellte derfranzösische Regisseur Patrice Chéreau,damals 31 und Wagner-Novize, einen vonpsychologischer Hochspannung und phä-nomenaler Bühnenvirtuosität geprägten„Ring“ vor, der das Bayreuther Publikumradikal entzweite: Die Premiere drohte imTumult trillerpfeifender Radaubrüder un-terzugehen, Chéreau und Wolfgang Wag-ner erhielten Morddrohungen, WagnersFrau Gudrun wurde von einem Aufrührerdas Abendkleid zerrissen; die letzte Auf-führung dagegen endete bei 101 Vorhängenund 85 Minuten Beifall. „Ich wage zu be-haupten“, urteilte der Festspielleiter in sei-ner „Lebens-Akte“, „dass sich bisher wohlnoch in keinem Theater der Welt Ver-gleichbares ereignete.“

Richtig, aber auch Bayreuth hat Ver-gleichbares nicht mehr geschafft, nicht malein paar Nummern kleiner und ein paarPhon weniger. Musikalisch und szenischhat es sein Ziel verpasst, in Sachen Wagnerspitze zu sein, gar Avantgarde. In den 25Jahren seit jenem „Ring“-Skandal habenandere Theater, normale Opernhäuser mitvollem Spielbetrieb, der fränkischen Vor-zeigebühne die Show gestohlen.

Brüssel ließ sich auf das Risiko ein, denganzen „Ring“ erstmals in einem einzigenBühnenbild zu inszenieren; ein radikaler,imposanter Versuch. Stuttgart wagte einenanderen Coup und überließ die TetralogieStück für Stück vier verschiedenen Regis-seuren; ein kolossales, sogar amüsantes Ex-periment. Selbst das sonst eher provinziel-le Meiningen nahm sich, alle Achtung,mehr heraus als das saturierte Bayreuth: Imvergangenen Frühjahr spielte das thüringi-sche Theater den „Ring“ erstmals in ei-nem viertägigen Durchlauf ohne Ruhetag,dafür mit zwei verschiedenen Orchestern.

Bayreuth dagegen, einst eine ersteAdresse, hat heute vor allem mit demTheater der Wagners und dem Theater umdie Wagners zu tun: mit einem grantelndenGreis, der gehen soll, aber nicht will undnicht muss; mit Nichten und Neffen undBasen, die sich liebend gern in den Haarenliegen und die allein ihren Nachnamenschon für einen Führungsausweis halten;und mit einem Stiftungsrat, der zahnlosum sich beißt.

So stimmt also, was die Nornen am Hü-gel schon lange raunen: Nach mehr als ei-nem Jahrhundert hat der Stammbaum desgroßen Richard seine letzten Ruhmesblät-ter verloren. Die Wagners haben ausge-dient – und Bayreuth gleich mit. ™

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