Das Mikrophon und der Körper – Teil 2 (The Microphone and ... 27. TONMEISTERTAGUNG – VDT...

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27. TONMEISTERTAGUNG – VDT INTERNATIONAL CONVENTION, November 2012 Das Mikrophon und der Körper – Teil 2 (The Microphone and the Body – Part 2) Martin Schneider*, Jürgen Breitlow** *Georg Neumann GmbH, martin.schneider @neumann.com **Georg Neumann GmbH, [email protected] Kurzfassung Der Einfluss eines Sängers oder Sprechers auf die Eigenschaften eines Mikro- phons wurde in einem Vortrag „Das Mikrophon und der Körper“ auf der TMT 2006 [1] besprochen. Kopf und Körper wirken dabei als „akustische Störkör- per“, die den Freifeld-Frequenzgang und die Richtcharakteristik des Mikrophons beeinträchtigen. Infolge der veränderten Richtcharakteristik steigt typischerwei- se die Rückkopplungsempfindlichkeit des Mikrophons. In diesem Vortrag werden Folgeuntersuchungen zum Thema besprochen, wie der Einfluss der Hand und von Kopfbedeckungen, sowie naturgetreuere Mes- sungen mit realen Personen. Es werden Schlussfolgerungen für den Anwender und Toningenieur gegeben. 1. Einleitung Ein besonders ausgeprägter Fall findet sich bei Bühnenmikrophonen, die dafür konzipiert sind, aus der Nähe besprochen und in die Hand genommen zu werden. Ein solches Mikrophon kann auf möglichst linearen Frequenzgang hin entwickelt werden [3], aber dann…. Was kann man alles „falsch“ machen? man kann sich vor das Mikrophon stellen, man kann das Mikrophon in die Hand nehmen, man kann das Mikrophon mit der Hand umfassen, man kann das Mikrophon sich beim Klatschen unter den Arm klemmen, man kann den Mund öffnen, man kann das Mikrophon „abschatten“, wenn es „pfeift“, man kann sich einen Hut aufsetzen. Dies sind aus der Sicht des Nutzers alles zulässige Verhaltensweisen, die dem Toningenieur allerdings Kopfzerbrechen bereiten können. Im Folgenden sollen die verschiedenen Auswirkungen, die man aus der Praxis kennt, auch messtechnisch erfasst werden. Wie schon in [1,2] beschrieben, werden zur Beurteilung der Beeinflussung des Nutzschalls (Gesang, Sprache) Messungen mit einem künstlichen Mund [4,5] als Signalquelle durchgeführt. Zur Messung der Auswirkungen auf den diffusen Sekundärschall (Störschall, Orchester, Band, PA) werden Freifeldmessungen in einem reflexionsarmen Raum mit einem

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Das Mikrophon und der Körper – Teil 2

(The Microphone and the Body – Part 2)

Martin Schneider*, Jürgen Breitlow**

*Georg Neumann GmbH, martin.schneider @neumann.com **Georg Neumann GmbH, [email protected]

Kurzfassung

Der Einfluss eines Sängers oder Sprechers auf die Eigenschaften eines Mikro-phons wurde in einem Vortrag „Das Mikrophon und der Körper“ auf der TMT 2006 [1] besprochen. Kopf und Körper wirken dabei als „akustische Störkör-per“, die den Freifeld-Frequenzgang und die Richtcharakteristik des Mikrophons beeinträchtigen. Infolge der veränderten Richtcharakteristik steigt typischerwei-se die Rückkopplungsempfindlichkeit des Mikrophons. In diesem Vortrag werden Folgeuntersuchungen zum Thema besprochen, wie der Einfluss der Hand und von Kopfbedeckungen, sowie naturgetreuere Mes-sungen mit realen Personen. Es werden Schlussfolgerungen für den Anwender und Toningenieur gegeben.

1. Einleitung

Ein besonders ausgeprägter Fall findet sich bei Bühnenmikrophonen, die dafür konzipiert sind, aus der Nähe besprochen und in die Hand genommen zu werden. Ein solches Mikrophon kann auf möglichst linearen Frequenzgang hin entwickelt werden [3], aber dann…. Was kann man alles „falsch“ machen?

man kann sich vor das Mikrophon stellen,

man kann das Mikrophon in die Hand nehmen,

man kann das Mikrophon mit der Hand umfassen,

man kann das Mikrophon sich beim Klatschen unter den Arm klemmen,

man kann den Mund öffnen,

man kann das Mikrophon „abschatten“, wenn es „pfeift“,

man kann sich einen Hut aufsetzen.

Dies sind aus der Sicht des Nutzers alles zulässige Verhaltensweisen, die dem Toningenieur allerdings Kopfzerbrechen bereiten können. Im Folgenden sollen die verschiedenen Auswirkungen, die man aus der Praxis kennt, auch messtechnisch erfasst werden. Wie schon in [1,2] beschrieben, werden zur Beurteilung der Beeinflussung des Nutzschalls (Gesang, Sprache) Messungen mit einem künstlichen Mund [4,5] als Signalquelle durchgeführt. Zur Messung der Auswirkungen auf den diffusen Sekundärschall (Störschall, Orchester, Band, PA) werden Freifeldmessungen in einem reflexionsarmen Raum mit einem

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Lautsprecher in >1m Abstand verwendet (Abb. 1), jeweils mit bzw. ohne Störkörpern. Man erhält damit den folgenden Informationssatz:

Nahbesprechungs-Frequenzgang, für den Klang des Sängers / der Sängerin, Freifeld-Frequenzgang, für den Klang entfernter Schallquellen und das Rückkopp-

lungsverhalten, in Abwesenheit des Sängers / der Sängerin, Freifeld-Frequenzgang mit Kopf / Körper, für den Klang entfernter Schallquellen

und das Rückkopplungsverhalten, in Anwesenheit des Sängers / der Sängerin.

Abb. 1: Messaufbau im reflexionsarmen Raum, mit Kunstkopf als Störkörper, aus [1]

2. Der Kopf

Der Kopf in der Nähe eines Mikrophons stellt angenähert einen kugelförmigen, reflektieren-den Störkörper dar. Es treten die bekannten Effekte von Beugung, Abschattung und Reflektion am Kopf auf. Die Freifeld-Frequenzgänge mit und ohne Kopf sind in Abb. 2 und 3 dargestellt.

Die Messergebnisse wurden rechnerisch mit einem einfachen Spiegelschallquellen-Modell bei einer reflektierenden Wand abgeglichen (Abb. 4). Durch Variation der Parameter Abstand, Reflektionsfaktor und Druckgradientenanteil A [aus cos)1()( AAs ] ergibt sich schon mit diesem einfachen Modell eine gute prinzipielle Übereinstimmung zwischen Modellrechnung und Messungen. Der elektrisch und akustisch erzeugte Tiefenabfall ab 200 Hz aus Abb. 2 und 3 wurde dabei nicht modelliert.

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Abb. 2: Freifeld-FG eines Nierenmikrophons ohne / mit Kunstkopf, aus[1]

Abb. 3: Freifeld-FG eines Supernierenmikrophons ohne / mit Kunstkopf, aus[1]

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Abb. 4: Mikrophon vor reflektierender Wand, links: Direkter Schalleinfall (rot) und

reflektierter frontaler Schalleinfall (blau). rechts: Rechenmodell mit Spiegelmikrophon

Abb. 5: Berechnete Auslöschungsfrequenzgänge für 135°(rot) und 180°(grün) für Nieren- (A=4,8) und Supernierencharakteristiken (A=3,66).Gerade Linien: ungestörtes Schallfeld,

wellige Linien: mit spiegelnder Wandreflektion

Die Simulation (Abb. 5) bestätigt die messtechnisch ermittelten Zusammenhänge für die Auswirkungen, die ein Kopf auf Frequenzgang und Richtcharakteristik des Mikrophons hat:

Im tief- und mittelfrequenten Bereich wird die Richtwirkung eines Mikrophons reduziert, die Niere tendiert zur breiten Niere; die Superniere zur Niere.

im mittel- und hochfrequenten Bereich wird die Empfindlichkeit für Störschall aus bestimmten Richtungen erhöht; es treten Kammfiltereffekte auf; die Richtwirkung ändert sich um 180°.

3. Die Hand

Klassischer Gesang wird auch bei Situationen mit Verstärkung üblicherweise mit statisch positionierten Mikrophonen abgenommen, häufig auch mit Typen, die für den Studiobetrieb entwickelt wurden. Typische Bühnengesangsmikrophone in der Popularmusik werden allerdings in die Hand genommen, ebenso wie Sprach- und Moderationsmikrophone. Um größtmögliche Rückkopplungssicherheit bzw. maximale Verstärkung („gain-before-feedback“) zu gewährleisten, wird meist mit Nieren- oder Supernierencharakteristik gearbeitet. Niere für die größte Auslöschung für Schalleinfall unter 180°, Superniere für das größte Verhältnis zwischen Aufnahme des vorderen Halbraums (0°-90°) zum hinteren Halbraum (90°-180°). Wie bei allen Druckgradientenempfängern basiert die Richtwirkung auf exakt eingestellten Druck- und Laufzeitdifferenzen zwischen Schalleinfall an der Vorder- und der Rückseite der Membran [6]. Die Hand am Mikrophon ändert diese Verhältnisse und verändert damit die Richtcharakteristik und damit auch die richtungsab-hängigen Frequenzgänge. Zur Bestimmung der Effekte wurden Messungen mit echten und künstlichen Händen, im Freifeld wie auch mit künstlichem Mund durchgeführt (Abb. 6).

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Abb. 6: links: künstliche Hand; rechts: Hand in Stellung „Rap“ vor künstlichem Mund

3.1. Die einfache Hand

Die Membran der Mikrophonkapsel ist üblicherweise mittig im Einsprachekorb positioniert (Abb. 7, links), der Schalleinfall aus dem hinteren Halbraum findet meist durch die hintere Hälfte des Korbs statt. Eine Hand am Schaft des Mikrophons verändert diese Schallwege nur geringfügig (Abb. 7, rechts). Dementsprechend gering ist auch die Auswirkung auf die Frequenzgänge (Abb. 8). Die Auslöschung bei 135° und 180° verringert sich geringfügig.

Abb. 7: Bühnengesangsmikrophon mit Nierencharakteristik:

Schallwege zur Vorderseite (rot) und Rückseite der Membran (blau),

links: freistehendes Mikrophon; rechts: Mikrophon mit Hand am Schaft

Abb. 8: Freifeld-FG eines Nierenmikrophons mit künstlicher Hand am Schaft

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3.2. Die „Rap“-Hand

Anders gestaltet sich die Situation bei der Eigenheit mancher Sänger, den Mikrophonkorb fast vollständig zu umfassen und an die Lippen zu pressen. Dabei werden die hinteren Schalleinlässe abgedichtet und die Schallwege für rückwärtigen Schalleinfall gravierend geändert (Abb. 9, links). Zusätzlich wird aber auch frontaler Schall an der jetzt durch die Hand abgeschlossene Rückwand des Korbs reflektiert und führt in Kombination mit dem direkten Schalleinfall zu Interferenzen und damit Kammfiltern.

Abb. 9: Bühnenmikrophon mit Hand, die die hintere Hälfte des Korbs vollständig umfasst:

Schallwege zur Vorderseite (rot) und Rückseite der Membran (blau),

links: rückwärtiger Schalleinfall, rechts: frontaler Schalleinfall, mit Reflektion (gestrichelt) am verschlossenen hinteren Korb

Bei einem zusätzlichen Laufweg der Reflektionen von z.B. λ/2=5,5 cm ergäbe sich damit bei einer Wellenlänge von 11 cm, entsprechend 3 kHz die erste Auslöschung. Dies ist bei einem Mikrophon mit Kugelcharakteristik auch so messbar (Abb. 10). Die leichten tieffrequenten Welligkeiten ergeben sich dabei durch den Körper des Sängers.

Abb. 10: Freifeld-FG eines Kugelmikrophons mit echter Hand am hinteren Korb

Bei den typischen Nieren- und Supernierenmikrophonen treffen die Reflektionen aber bevorzugt die hinteren Schalleinlässe und damit die Rückseite der Membran. Damit wirkt die Reflektion mit gedrehter Polarität und führt damit zu einer erhöhten Empfindlichkeit bei 3 kHz (Abb. 11). Zusätzlich führen die gestörten rückwärtigen Schalleinlasswege aber auch zu einer breitbandig verringerten Richtwirkung, die im gezeigten Fall dann nur noch ungefähr einer breiten Niere entspricht.

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Mit diesen beiden Effekten erklärt sich die erhöhte Rückkopplungsempfindlichkeit, wenn der Mikrophonkorb vollständig umfasst wird. Besonders anfällig sollte dabei, abhängig von der Größe des jeweiligen Mikrophonkorbs und der Position der Kapsel, der Bereich zwischen 2,5 und 4 kHz sein.

Abb. 11: Freifeld-FG eines Nierenmikrophons mit echter Hand am hinteren Korb

Diese Klangverfärbung für Schalleinfall aus 0° gilt nicht nur im Freifeld, d.h. für entfernte Störschallquellen, sondern auch für den Nutzschall aus geringer Entfernung. Hierfür wurden Messungen mit künstlichem Mund und künstlicher Hand durchgeführt, die die Anhebung im Bereich 3 kHz und den damit entstehenden metallisch-nasalen Klang dokumentieren (Abb. 12). Dies gilt für alle typischen Schalleinfallsrichtungen von 0°-90°.

Abb. 12: Nahbesprechungs-FG eines Supernierenmikrophons mit künstlicher Hand am

hinteren Korb

3.3. Die Achselhöhle

In Fällen, in denen ein Künstler ein Publikum zum Mitklatschen animieren will, kann es vorkommen, dass das Mikrophon unter den Arm geklemmt wird. Dieser Fall ähnelt dem der „Rap-Hand“, indem die hinteren Schalleinlässe verschlossen werden und die Richtcharakte-ristik Richtung Kugel tendiert. Zusätzlich kann der Körper dabei noch als Grenzfläche wirken und ab dem mittelfrequenten Spektrum zu einer Pegelanhebung führen. Die Rückkopplungsgefahr steigt damit erheblich an.

4. Der Mund

Wie sehr beeinflusst der geöffnete Mund des Sängers das aufgenommene Signal. Da der verwendete künstliche Mund den Vokaltrakt nicht nachbildet, wurden hierzu exemplarisch

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Freifeldmessungen mit „echtem“ Mund, bei seitlicher Beschallung unter 90° durchgeführt (Abb. 13). Die Lippen berührten dabei den Mikrophonkorb. Es zeigt sich selbst bei dieser minimalen Distanz nur ein geringer Effekt, der sich auch nur schmalbandig um 1 kHz ausprägt. Die Formanten beim weit geöffneten Mund (Vokal „a“) liegen bei 800 Hz und 1,2 kHz [7]. Bei der stark vereinfachten Annahme eines einseitig abgeschlossenen Rohrs läge die λ/4-Resonanz bei einer angenommenen Rachentiefe von 9,5 cm bei 900 Hz.

Dies lässt sich auch in einem praktischen Versuch bestätigen, indem bei an einem Mikrophon kurz vor der Rückkopplungsgrenze der Mund geöffnet und geschlossen wird, und damit Frequenzen in diesem Bereich zur Rückkopplung angeregt werden können.

Erfreulicherweise ist dieser Effekt aber im Vergleich zu den anderen untersuchten Einflüssen vernachlässigbar, ganz abgesehen davon, dass es nun einmal die unvermeidliche Aufgabe eines Sängers ist, den Mund zu öffnen.

Abb. 13: Freifeld-FG eines Nierenmikrophons unter 90°, mit geöffnetem Mund.

0: Mund geschlossen, 1: halb offen, 2: offen

5. Der (vergebliche) Schutz

Weiterhin wird eine typische Reaktion vieler ungeübter Nutzer untersucht: das Abschatten des Mikrophonkorbs bei einsetzender Rückkopplung. In der wohlmeinenden Absicht, die Rückkopplung damit zu reduzieren, wird der Korb mit der Hand umfasst (Abb. 14) und damit das akustische System, mit dem die Richtwirkung erzielt wird, empfindlich gestört. Da es sich hierbei wieder um den Sekundärschall (Rückkopplung) handelt, wurden Freifeldmessungen mit künstlicher Hand vor dem Mikrophon durchgeführt (Abb. 15).

Abb. 14: Künstliche Hand in abschattender Position

Bei tiefen Frequenzen ist die Hand im Vergleich zur Wellenlänge wieder vernachlässigbar klein, so dass der tieffrequente 0°-Frequenzgang unbeeinflusst bleibt. Durch den Schallum-weg wird aber das Laufzeitglied empfindlich gestört und man erhält nur noch eine breite Niere als tieffrequente Richtcharakteristik. Im hochfrequenten Bereich wirkt die Hand hingegen als reflektierende Schallwand, und man erhält eine gespiegelte Richtcharakteristik,

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über die konkave Hand sogar verstärkt, mit Empfindlichkeitsmaximum bei 180°. Dazwischen, im Übergangsbereich um 1,5 kHz, zeigt sich zusätzlich der schlimmstmögliche Fall, eine Kugelcharakteristik. In dieser Situation bleibt dem Toningenieur nur der Griff zum Regler, um den Kanal herunterzuregeln.

Abb. 15: Freifeld-FG eines Nierenmikrophons mit abschattender Hand

6. Der Hut

Gewisse Musikstile bringen die Notwendigkeit mit sich, als Sänger eine Kopfbedeckung zu tragen. Aus Anekdoten von kanadischen Kollegen bekannt, sollte auch dieser Aspekt kurz untersucht werden. Der Mund strahlt auch in einer Elevationsrichtung von 60° relevante Signale breitbandig ab [8]. Ein Hut wird als zusätzlicher Reflektor sowohl den Störschall und damit die Rückkopplungsgefahr erhöhen, aber auch den Nutzschall beeinflussen. Im Rahmen erster Untersuchungen wurde der Einfluss auf die Aufnahme der Stimme untersucht. Um eine möglichst naturgetreue zu erhalten, wurde ein Kunstkopf mit künstlichem Mund versehen und ein typisches Studiomikrophon mit Nierencharakteristik in 20 cm Abstand davor montiert. Dem Kunstkopf wurden dann unterschiedliche Kopfbede-ckungen aufgesetzt (Abb. 16): Strohhut, Filzhut, Basecap (Schirm vorne), Fellmütze.

Der künstliche Mund wurde in 20 cm Entfernung mit einem Messmikrophon gemessen, der erhaltene Frequenzgang von den Messungen des Studiomikrophons subtrahiert. Somit erhält man den Nahbesprechungsfrequenzgang mit Kopf und Hüten (Abb. 17).

Bei Annahme einer spiegelnden Reflektion an der Hutkrempe errechnet sich für eine zusätzliche Wegstrecke von λ/2 die erste destruktive Interferenz zu ~1,5 kHz. Dieses Ergebnis spiegelt sich auch in den Messungen wider. Der Strohhut und die Fellmütze erzeugen dabei aufgrund ihres Materials bzw. ihrer Geometrie nur eine geringe Welligkeit. Der Filzhut und die Schirmmütze hingegen erzeugen eine Welligkeit in der Größenordnung von 4 dB. Da sich der Sänger typischerweise auch bewegen wird, kann dies also zu einem relevanten variablen und damit auch gut hörbaren Kammfiltereffekt führen. Dass genre-abhängig Basecaps bevorzugt mit dem Schirm nach hinten getragen werden, kann den Toningenieur beruhigen. Im Bereich Country&Western hingegen ist mit größeren potentiellen Problemen zu rechnen. Ein originaler Cowboy-Hut stand für die Versuche leider nicht zur Verfügung.

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Abb. 16: Der singende Kunstkopf mit diversen Kopfbedeckungen

Abb. 17: Nahfeld-FG eines Studiomikrophons in 20 cm Abstand vor Kunstkopf mit künstlichem Mund, mit diversen Kopfbedeckungen

0: ohne, 1: Strohhut, 2: Filzhut, 3: Schirmmütze (Schirm vorne), 4: Fellmütze

7. Diskussion & Schlussfolgerungen

Im Vorhergehenden wurden die teils starken, teils geringen Auswirkungen von mechani-schen Störeinflüssen auf die Eigenschaften von Mikrophonen beschrieben. Dabei wurden die einzelnen Einflüsse weitestgehend separiert und einzeln betrachtet. In der Kombination, z.B. Sänger mit Hut und Hand am Mikrophon ergibt sich dann eine Überlagerung der einzelnen Effekte, wobei nicht davon auszugehen ist, dass sich Konstellationen ergeben, bei denen sich negative Effekte gegenseitig kompensieren. Während Auslöschungen zwar den Klang negativ beeinflussen, führen sie nicht zu erhöhter Rückkopplungsgefahr. Da sind die schmalbandig angehobenen Frequenzbänder der Rap-Hand und der abschattenden Hand

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weitaus gravierender. Bei der Einstellung des Klangs am Mischpult sollte in jedem Fall (wie auch sonst empfehlenswert) auf zusätzliche Anhebungen von Frequenzbändern verzichtet und möglichst nur mit Absenkungen gearbeitet werden.

Die Störungen durch Reflektion verstärken sich mit abnehmender Distanz zum Mikrophon. Über die verringerte Richtwirkung erhöht sich die Rückkopplungsempfindlichkeit. Andererseits erhöht sich das Nutzsignal bei Annäherung an das Mikrophon. Nimmt man den Mund als eine Punktschallquelle an, gilt näherungsweise im Nahbereich, dass der Schalldruckpegel bei halbiertem Abstand um 6 dB ansteigt. Damit ist bei widrigen Bedingungen, nah an der Rückkopplungsgrenze, eine extreme Nahmikrophonierung dennoch zu bevorzugen.

Angesichts der teils starken Auswirkungen könnte ein Fazit lauten: Finger (und Sänger) weg vom Mikrophon! Dies gilt aber nur eingeschränkt. Bei geeigneter Wahl der Richtcharakte-ristik (z.B. Superniere), guter Handhabung (keine Abschattung, kein Umfassen) und Vermeidung stark reflektierender Kopfbedeckungen verringern sich die Störeinflüsse, so dass auch dem Live-Toningenieur eine Chance gegeben wird, ein Mikrophon mit neutralem Klang und geringer Rückkopplungsempfindlichkeit zu betreiben. Beim Soundcheck sollte jedenfalls immer der schlechtest mögliche Fall mit überprüft werden: ein Sänger sehr dicht am Mikrophon, mit der Hand am Mikrophon, und das Mikrophon in verschiedene Richtungen ausrichten, und sich dann die Zeit nehmen auch kurz diese Parameter zu variieren.

8. Danksagungen

Die Autoren danken Rasmus Leuschner (HfM Detmold) und Athanassios Lykartsis (TU Berlin) für akustische Messungen, sowie Ausdauer und Beharrlichkeit beim Kneten von künstlichen Händen; Dominic Haul für die Durchführung und Schnitt der Audioaufnahmen; Dirk Mietle für die Mechanik des singenden Kunstkopfs.

9. Quellenverzeichnis

[1] Schneider, M (2006) “Das Mikrophon und der Körper”, 24. Tonmeistertagung, 2006, Leipzig

[2] Schneider M (2006) “The effect of the singer’s head on vocalist microphones”, preprint no. 6634, 120th AES Conv., Paris

[3] Schneider M (2000) “On Developing a Vocalist Condenser Microphone”, preprint no. 5078, 108th AES Conv., Paris

[4] ITU-T P.51 (1996) “Artificial Mouth”, International Telecommunication Union

[5] IEC 60268-4 (2010) „Sound system equipment - Part 4: Microphones” (Geneva, 2010)

[6] Boré G, Peus S (1999) “Mikrophone”, Georg Neumann GmbH, download auf www.neumann.com

[7] Kob M (2002) “Physical Modeling of the Singing Voice”, Dissertation, RWTH Aachen

[8] Meyer J, Marshall A (1984) “Schallabstrahlung und Gehörseindruck beim Sänger“, 13. Tonmeistertagung, 1984, München