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Historischer Verein Wolfratshausen – Das Vierjahreszeiten-Haus - 1 - Historischer Verein Wolfratshausen 1. Auflage 2002 Das Vierjahreszeiten-Haus Ein Bauwerk prägt das Wolfratshauser Stadtbild Dokumentation des Arbeitskreises Häusergeschichte(n) Inhalt Seite Dr. Sybille Krafft Vorwort 2 Harald Staub Der Erbauer des Vierjahreszeiten-Hauses und die Bauregeln von damals 4 Ursula Hämmerling Die Besitzer und die Bewohner des Vierjahreszeiten-Hauses 6 Dr. Sybille Krafft Tagelöhner im 19. Jahrhundert 10 Stadtarchiv „Grüße aus Wolfratshausen“ Das Vierjahreszeiten-Haus als Postkartenmotiv Bis heute ziert das Gebäude die schönste Ansicht der Stadt 12 Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten über das Leben im Vierjahreszeiten-Haus Otto Martin Ein königlicher Schlossverwalter kauft sich im Vierjahreszeiten-Haus ein Mit Erinnerungen von Frau Elisabeth Pfluger 13 Bernhard Reisner „Ein Stück Heimat“ Linde Karrer erzählt über ihre Kindheit im Vierjahreszeiten-Haus 16 Dr. Sybille Krafft Der Herbst - oder das „Wetzsteinerhaus“ Mit Erinnerungen von Hermann Nagenrauft 22 Ursula Hämmerling Was soll aus dem Vierjahreszeiten-Haus werden? 25 Harald Staub Das Loisachufer und der Bebauungsplan 22a 27 Otto Martin Im Brennpunkt: Das Vierjahreszeiten-Haus macht Schlagzeilen 29 Impressum 32

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Historischer Verein Wolfratshausen – Das Vierjahreszeiten-Haus - 1 -

Historischer Verein Wolfratshausen

1. Auflage 2002

Das Vierjahreszeiten-Haus

Ein Bauwerk prägt das Wolfratshauser Stadtbild Dokumentation des Arbeitskreises Häusergeschichte(n)

Inhalt Seite Dr. Sybille Krafft Vorwort 2 Harald Staub Der Erbauer des Vierjahreszeiten-Hauses

und die Bauregeln von damals 4

Ursula Hämmerling Die Besitzer und die Bewohner des

Vierjahreszeiten-Hauses 6

Dr. Sybille Krafft Tagelöhner im 19. Jahrhundert 10 Stadtarchiv „Grüße aus Wolfratshausen“

Das Vierjahreszeiten-Haus als Postkartenmotiv Bis heute ziert das Gebäude die schönste Ansicht der Stadt

12

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen berichten über das Leben im

Vierjahreszeiten-Haus

Otto Martin Ein königlicher Schlossverwalter kauft sich im

Vierjahreszeiten-Haus ein Mit Erinnerungen von Frau Elisabeth Pfluger

13

Bernhard Reisner „Ein Stück Heimat“

Linde Karrer erzählt über ihre Kindheit im Vierjahreszeiten-Haus

16

Dr. Sybille Krafft Der Herbst - oder das „Wetzsteinerhaus“

Mit Erinnerungen von Hermann Nagenrauft 22

Ursula Hämmerling Was soll aus dem Vierjahreszeiten-Haus werden? 25 Harald Staub Das Loisachufer und der Bebauungsplan 22a 27 Otto Martin Im Brennpunkt:

Das Vierjahreszeiten-Haus macht Schlagzeilen 29

Impressum 32

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„Wir dürfen nicht nur Schlösser und Burgen erhalten. Ein Arme-Leute-Haus wie das Vierjahreszeiten-Haus

gehört genauso zu unserer Geschichte.“ (Dieter Wieland)

Vorwort Der Historische Verein Wolfratshausen hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte unseres Altlandkreises zu erforschen und zu pflegen. Einen Teil unseres geschichtlichen Erbes bildet die historische Bausubstanz, wobei nicht nur schmucke Bürger- und Bauernhäuser mit Stuck und Lüftlmalerei „erinnerungswürdig“ sind. Auch ein einfaches Arbeiterhaus kann für die Nachwelt wichtig und erhaltenswert sein, gerade wenn es so „geschichtsträchtig“ ist wie das Wolfratshauser Vierjahreszeiten-Haus. Im Zuge der Neugestaltung des Loisachufers droht nun aber sein Abriss. Dabei gibt es gute Gründe, dieses einmalige Gebäude zu erhalten: 1. Das Vierjahreszeiten-Haus ist ein Stück Wolfratshauser Geschichte. So unscheinbar es auf den ersten Blick auch sein mag, dieses Gebäude ist ein stadt-geschichtliches Dokument. Das 1858/9 am Loisachufer erbaute Anwesen ist eines der wenigen noch erhaltenen Zeugnisse für das frühere Leben von Tagelöhnern in dieser Stadt. Denn Wolfratshausen war seit jeher auch eine Stadt der „einfachen Leute“, der Flößer, Floßknechte, Handwerksgesellen und Tagelöhner. 2. Das Vierjahreszeiten-Haus ist eine baugeschichtliche Besonderheit. Mit seinem vierfach gespiegelten Grundriss ist es – laut Denkmalamt – einzigartig in ganz Bayern. Es besteht aus vier identischen Teilen mit vier Eingängen, vier Treppenhäusern und vier nach den Himmelsrichtungen orientierten Fassaden. Nirgendwo in Bayern findet sich eine vergleichbare symmetrische Innen- und Außenaufteilung, die dem Haus im Volksmund ja auch seinen Namen gegeben hat. 3. Das Vierjahreszeiten-Haus ist ein Wolfratshauser Wahrzeichen. Mit seiner exponierten Lage an der Loisach prägt es seit fast eineinhalb Jahrhunderten das Stadtbild. Blickt man nämlich vom östlichen Loisachufer auf die Altstadt, auf Wolf-ratshausens „Schokoladenseite“, so ist dieses markante Gebäude unübersehbar. Das Vierjahreszeiten-Haus ist deshalb auch auf vielen Fotografien verewigt und bis heute auf fast allen Wolfratshauser Ansichtskarten abgebildet. 4. Das Vierjahreszeiten-Haus ist ein Haus mit Charme und Charakter. Es zeigt sich zeitlos, schlicht und schnörkellos – nicht „aufgebrezelt“ und grell geschminkt wie nach den neuesten Architekturmoden. Damit ist es ein eigenwilliges Gegenstück zum heute leider so allgegenwärtigen geschichts- und gesichtslosen Einheitsbrei am Bau. Zugegeben, das Anwesen ist heruntergekommen, aber man hat es auch – mit Absicht oder aus Ignoranz – Jahrzehnte lang herunterkommen lassen. Seine Bausubstanz ist jedoch nicht schlechter als die vieler alter Häuser in dieser Stadt, wie Architekten und Bauingenieure auf einer Podiumsdiskussion des Historischen Vereins übereinstimmend

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erklärt haben. Natürlich kostet eine Instandsetzung Geld, aber es gäbe durchaus Zuschüsse von der Städtebauförderung und vom Denkmalamt. Unsere Nachforschungen und unsere Gespräche mit ehemaligen Besitzern und Be-wohnern haben gezeigt, dass das Vierjahreszeiten-Haus voller Geschichte und Geschichten steckt. Es abzureißen wäre deshalb nicht nur eine städtebauliche Fehlentscheidung – auch ein Stück Stadtgeschichte würde damit unwiederbringlich verloren gehen. Dieses Haus mit Vergangenheit sollte in Wolfratshausen eine Zukunft haben!

Dr. Sybille Krafft

1. Vorsitzende des Historischen Vereins Wolfratshausen

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Der Erbauer des Vierjahreszeiten-Hauses und die Bauregeln von damals Harald Staub In den Kaufverträgen für die einzelnen Viertel des Vierjahreszeiten-Hauses fallen die gleich lautende Jahreszahl (1859) und der Name des Verkäufers auf. Er hieß Joseph Sappl und war ein Vorläufer unserer heutigen Bauträger. Joseph Sappl wurde 1807 in Miesbach geboren. Seine Ehefrau Franziska, geborene Pereti (1813-1837, Heirat 1831), war gebürtige Wolfratshauserin. Nach ihrem frühen Tod heira-tete Joseph Sappl am 30. Oktober des gleichen Jahres die aus Pähl stammende Theres Schelle (1818-1871). Aus dieser Ehe gingen 13 Kinder hervor.

1859 schon im Bauträgergeschäft: Joseph Sappl, der Erbauer des

Vierjahreszeiten-Hauses Joseph Sappl wohnte mit seiner Familie im „Maurermeisterhaus“, dem späteren Bauhof an der Königsdorfer Straße. Er plante und realisierte verschiedene Projekte in Wolfrats-hausen, unter anderem auch das „Vierjahreszeiten-Haus“ im damaligen Kloibergassl. Das Grundstück mit einem Stadl darauf erwarb er 1858. In den Kaufverträgen ist von einem „Umbau“ in eine „Herberge“ die Rede. Zu Zeiten des Baumeisters Joseph Sappl galten bereits – je nach künstlerischem Anspruch mehr oder weniger genau einzuhaltende – Regeln bei der Errichtung von Wohngebäuden. Die gestalterischen Vorgaben und Regelmaße waren von der „Bau-Commission München“ im Juni 1818 festgelegt worden.

Ein Haus der „III-Klasse“ Ohne „eitle Dekorationen“, aber „von schönster Zweckmäßigkeit“

Das Vierjahreszeiten-Haus zeichnet sich durch das Fehlen „eitler Dekorationen, geschmackloser Verzierungen, läppischer Feldereinteilungen, angehängter Erker und Abtritte“ auch heute noch gegenüber manchem zeitgenössischen Machwerk aus. Dem stehen „schönste Zweckmäßigkeit und einfache Fassadengestaltung“ gegenüber. Anhand der bestehenden Maße lässt sich das Gebäude der „III. Klasse“ gemäß der damals gebräuchlichen Einteilung in drei „Klassen“ zuordnen. Hierbei fallen vor allem die relativ großzügigen Raumhöhen auf. Lediglich die vorgegebenen Stufenmaße der Treppen wurden wohl in der ursprünglichen Ausführung aus Platzgründen nicht eingehalten. (Die Treppen wurden vermutlich beim Einbau der Bäder bei drei der vier Viertel in geänderter Form neu eingebaut.) Zumindest jeder Fachmann muss von der einfachen, zweckmäßigen und klaren Umsetzung der Vorgabe, vier Einfamilienhäuser unter einem Dach auf kleinster Grund-fläche zu errichten, beeindruckt sein.

Bauweise und Raumaufteilung des

Vierjahreszeiten-Hauses entsprechen heutigen Baustandards.

Über alle vier Viertel betrachtet sind zum Beispiel in jedem Stockwerk sieben von acht Zimmern nach Osten, Süden oder Westen ausgerichtet, lediglich ein Zimmer liegt nach Norden. Im Dachgeschoss befinden sich Speicher und Dachkammern, wobei das Südwesthaus durch den einzigen Balkon in diesem Stockwerk auffällt. Wie aus alten

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Ansichten ersichtlich ist, wurden dieser Balkon sowie der ursprünglich nicht vorhandene giebelseitige Dachüberstand an dieser Seite des Hauses zwischen den Jahren 1897 und 1905 angebracht.

Durch fachgerechte Sanierung könnte das Vierjahreszeiten-Haus wieder zu

einem einzigartigen Quartier am Loisachufer gemacht werden.

Insgesamt gesehen entspricht der einfache Baukörper den auch heute noch – oder wie-der – geltenden Regeln für kostengünstige Erstellung Energie sparender Häuser. Durch fachgerechte Sanierung der durchaus ordentlichen Bausubstanz, Anpassung der sanitären Ausstattung an heutige Verhältnisse und Verbesserung des durch kurzsichtige Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogenen Umfeldes könnte das Vierjahreszeiten-Haus wieder zu dem einzigartigen Quartier (für z.B. vier junge Familien) am Loisachufer werden. Dass früher viele Menschen hier glücklich zusammen lebten, beweisen die nachfolgenden Zeitzeugenaussagen.

Planungsskizze zur Genehmigung einer Abortanlage im Vierjahreszeiten-Haus (1942)

(Stadtarchiv Wolfratshausen)

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Die Besitzer und die Bewohner des Vierjahreszeiten-Hauses Ursula Hämmerling In der folgenden Aufstellung werden all die Familien genannt, die über einen längeren Zeitraum hinweg einen Hausteil besaßen. Die jeweiligen Eigentümer wohnten jedoch nicht immer im Vierjahreszeiten-Haus. Es würde aber zu weit führen, alle Mieter aufzu-führen. Deshalb werden in dieser Dokumentation nur die Mieter erwähnt, deren Namen auch in den Gesprächen mit unseren Zeitzeugen auftauchten. Ursprünglich war das Vierjahreszeiten-Haus unter den Hausnummern 10–10c verzeich-net. In den Jahren 1933 bis 1945 lautete die Adresse ‚Adolf Hitlerstraße Nr. 10‘. Danach Obermarkt 10–10c. Erst 1954 wurde der Straßenname Seilergassl 2–8 eingeführt. Die einzelnen Hausteile wurden in den Jahren zwischen 1987 und 1997 an die Stadt Wolfratshausen verkauft.

„Frühling“

Der Frühling ist das Südosthaus mit der Hausnummer Seilergassl 8 (früher Nummer 10c), das auch Trottlanwesen genannt wurde. Nach dem bayerischen Sprachforscher Johann Andreas Schmeller waren „Trottl“ fahrende Händler.

1859 kauft der Tagelöhner Josef Mayer (1807–1890) das Haus für 1.050 Gulden. Er wohnt dort mit seiner Frau Josefa (1817–1895) und den drei Kindern. 1890 übernimmt der Sohn Andreas, ein Maurer, das Haus und lebt dort mit seiner Ehefrau Anna, geb. Strauss bis zum Wegzug aus Wolfratshausen im Jahre 1897. Für 22.000 Mark kauft der Bader Georg Kotz (geb. 1852) im selben Jahr das Anwesen. Nach seinem Tod im Jahr 1906 erbt seine Witwe Rosina (1861–1945) das „Frühlings-haus“ und lebt darin mit ihren fünf Kindern bis 1918. Das Trottlanwesen wird 1918 von dem Schlossverwalter Heinrich Utz gekauft und 1923 an seinen Sohn, den Kaufmann Heinrich Utz aus Riederau und an seine Tochter Maria (1877–1957), verheiratete Pössl, überschrieben. Von 1926 bis 1933 mietet die Familie Josef Buchwieser das Parterre. Danach war Maria Dimpfl, mit der die Zeitzeugin Linde Karrer regen Kontakt pflegte, bis 1959 langjährige Mieterin in diesem Hausteil. 1948, kurz vor der Währungsreform, übernimmt Maria Pössls Tochter Gabriele (1909 bis 1982) für 6.291,29 RM das Haus.

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Am 23. August 1950 wird der Verkauf an den kaufmännischen Angestellten Herbert Leretz aus Herrnhausen-Blöcken, notariell beglaubigt. Der Kaufpreis beträgt 4.500 DM. Herbert Leretz wohnte selbst nicht im Vierjahreszeiten-Haus, wohl aber Verwandte von ihm. Bis zum Verkauf an die Stadt Wolfratshausen bleibt das Haus im Besitz der Familie Leretz.

Der „Frühling“ – Südostansicht des Vierjahreszeiten-Hauses (Bild Stadtarchiv )

Der Südwestteil des Vierjahreszeiten-Hauses im Seilergassl 6 (früher Nummer 10b) wurde das „Bergmannhaus“ genannt.

„Sommer“

Nach seiner Fertigstellung kaufen der Tagelöhner Michael Bergmann (1808–1868) und seine Frau Anna geb. Lidl (1813–1887) diesen Hausteil für 900 Gulden. Nach dem Tod ihres Ehemannes erben Anna Bergmann und ihre Tochter Anastasia (1852–1928) das Haus.

1881 heiratet Anastasia den Flößer Johann Dräxler (1849–1896). Sie haben vier Kinder, wobei ihr jüngster Sohn Andreas 1896 mit fünf Jahren in der Loisach ertrinkt. Johann Dräxler stirbt 1896 und im folgenden Jahr heiratet seine Witwe Andreas Drexler (1865–1937), über dessen Beruf es unterschiedliche Angaben gibt. So ist er in den Quellen sowohl als 'ehemaliger Flößer' als auch als 'Metzger' verzeichnet. Anastasia macht ihn zum Miteigentümer. Nach ihrem Tod wird er 1928 Alleinbesitzer des Anwesens. In den Jahren 1938 bis 1946 sind der Metallarbeiter Johann Friedrich Herrnböck und seine Ehefrau Rosa Mieter im „Bergmannhaus“. Ihre Tochter, Frau Linde Karrer, erinnert sich noch heute lebhaft an diese Zeit.

(Siehe den Beitrag: „Ein Stück Heimat“, Seite 22) Besitzer dieses Hausviertels war damals der Oberpostschaffner Alois Held, der mit seiner Frau, der Krämerswitwe Cäcilia, geb. Breitenlohner von 1938 bis 1958 im Grundbuch ein-getragen ist. 1958 übernehmen der Hilfsarbeiter Bartholomäus Loth (1907–1978) und seine Frau Margarete, geb. Schwaighofer, das Anwesen, in deren Händen es bis zum Verkauf an die Stadt Wolfratshausen bleibt.

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„Herbst“

Das Nordwesthaus mit der Hausnummer Seiler-gassl 2, früher Nr. 10, hieß „Wetzsteinerhaus“. Am 6.9.1859 kauft der Tagelöhner Johann Rahm (1802–1872) in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau Barbara den Neubau für 900 Gulden.

Nach deren Tod 1863 heiratet er die 30 Jahre jüngere Ottilie Grünwald (1832–1911). Nach dem Tod von Johann Rahm geht Ottilie 1873 die Ehe mit dem Flößer Michael Kopfs-gutter (1838–1877) ein. Das Hauserbe geht jedoch an den Sohn aus erster Ehe, den Tagelöhner Sebastian Rahm, der das Haus endgültig 1892 übernimmt, nachdem seine Mutter es zwischenzeitlich von ihm zurückgekauft hatte. Sebastian Rahm heiratet Theres Schmotz (1871–1931), die ab 1901 Miteigentümerin und ab 1924 Alleineigentümerin ist. 1932 erfolgt die Umschreibung auf Rahms Stieftochter Maria (geb. 1892), die mit ihrem Mann, dem Hilfsarbeiter Gustav Nagenrauft aus dem Elsass, und den fünf Kindern dort lebt. 1954 wird der jüngste Sohn, Hermann Nagenrauft, Eigentümer des Anwesens und bewohnt das Haus bis 1992 mit seiner Ehefrau Barbara, geb. Wilfert, und seinen zwei Söhnen Wolfgang Hermann (geb. 1955) und Hermann Günther (geb. 1964). 1996 verkauft Hermann Nagenrauft das „Wetzsteinerhaus“ an die Stadt.

„Winter“

Seilergassl 4, früher Nr. 10a, auch „Schön-wastlhaus“ genannt. Silvest Friedl, ebenfalls ein Tagelöhner, kauft 1859 mit seiner Frau Theres den Hausteil für 910 Gulden. Nach seinem Tod erbt seine Witwe 1870 das Haus.

1878 geht das Anwesen an Anna Fastl über. 1886 ist das „Schönwastlhaus“ im Besitz des Maurers Josef Gattinger (1852–1937), der dort mit seiner Ehefrau Anna geb. Werkmeister (1852–1928), Näherin, und ihren zwei Töchtern wohnt. Nach Annas Tod wird Josef Gattinger 1928 Alleinbesitzer.

Die Ostseite des Vierjahreszeiten-Hauses (Bild Stadtarchiv)

1937, nach seinem Tod, wird das Haus auf seine Tochter Josefa eingetragen. Sie ist mit dem Straßenbahnschaffner Georg Haseitl verheiratet und wohnt in München. Regierungs-Oberbauinspektor Max Gattinger (geb. 1905) aus München-Untermenzing lässt das Haus am 4. März 1960 unter Vorlage des Erbscheins auf seinen Namen

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umschreiben. Seine Familie, die selbst nic ht dort wohnt, verkauft das Haus schließlich ebenfalls an die Stadt Wolfratshausen.

Szenen aus dem Vierjahreszeiten-Haus (Bilder aus Privatbesitz)

Vor dem „Herbst“: Hermann Nagenrauft mit seinem neu geborenen

Vor dem „Frühling“ von links: Gabriele Pössl, Maria Buchwieser,

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Tagelöhner im 19. Jahrhundert Dr. Sybille Krafft Das Vierjahreszeiten-Haus wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von den Tagelöhnerfamilien Bergmann, Friedl, Mayer und Rahm gekauft. Über diese ursprünglichen Besitzer wissen wir nur wenig, weil dazu aus jener Zeit – abgesehen von den Kaufverträgen und den Einwohnermeldebögen – kaum Archivalien überliefert sind. Um welche Wolfratshauser wird es sich damals wohl gehandelt haben? „Tag(e)löhner“ hießen einst nicht ausgebildete Personen, die man heute als Gelegen-heits-, Hilfs- oder angelernte Arbeiter bezeichnen würde. Im 19. Jahrhundert war die breite Schicht der Tagelöhner jedoch keine einheitliche Gruppe, sondern in sich sehr vielgestaltig. Einige Tagelöhner besaßen ein eigenes Haus mit kleinem Garten und dazu manchmal noch eine kleine landwirtschaftliche Nutzfläche mit Weideland für eine Kuh, ein Schwein, ein paar Schafe oder Gänse. Es waren die „Häusler“, „Söldner“ oder „Gütler“, die mit ihrer bäuerlichen Kleinstelle aber keine Familie ernähren konnten und deshalb einen Teil ihres Unterhalts durch Lohnarbeit hinzu verdienen mussten. Die „Inwohner“, „Einlieger“ oder „Losleute“ dagegen gehörten zu den landlosen Tagelöh-nern, die auf Gütern und Höfen zur Miete wohnten und ihre Arbeitskraft gegen Natura lien und Bargeldlöhne verkauften. Ihre Zahl stieg seit 1848 steil an.

Eine begehrte Arbeit bei den Wolfratshauser

Tagelöhnern in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts: der Kanalbau.

Mit dabei war auch Gustav Nagenrauft aus

dem Vierjahreszeiten-Haus (2. Reihe, 3. von links).

(Bild Stadtarchiv)

Eine Sondergruppe bildeten die durch langfristige Kontrakte fest gebundenen Gutstage-löhner, die es vor allem im ostelbischen Preußen gab und die dort „Instleute“ oder „Hof-tagelöhner“ hießen. Freie, ganz von einem Geldlohn abhängige Tagelöhner sind historisch gesehen eine relativ junge Erscheinung. Auf dem Land gibt es sie erst ab dem 18. Jahrhundert in nennenswertem Umfang; im Zuge der Bauernbefreiung stieg dann ihre Zahl erheblich an. 1907 lebten im Deutschen Reich allein über 1,8 Millionen landwirtschaftliche Tagelöhner, von denen etwa 250 000 über ein eigenes oder gepachtetes Land verfügten. Regional war die landwirtschaftliche Tagelöhnerei allerdings sehr unterschiedlich ver-breitet: Während sie auf den Gutswirtschaften des preußischen Ostens eine große Rolle spielte, kam sie auf den mittleren und größeren bayerischen Höfen seltener vor, da hier der Gesindedienst vorherrschte. Tagelöhner gab es damals in Stadt und Land, im agrarischen und gewerblichen Be reich, wobei auch zahlreiche Mischformen auftraten: Ab dem Frühjahr arbeiteten viele auf wechselnden Baustellen oder waren mit Torf-stechen, Holzfällen oder Grabenmachen beschäftigt.

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Im Sommer leisteten sie oft auf Gütern und auf größeren Bauernhöfen Saisonarbeit, indem sie bei der Ernte halfen. Im Herbst brauchte man sie dann häufig tageweise beim Ausdreschen des Getreides oder bei diversen allgemeinen öffentlichen Arbeiten. Im Winter dagegen waren die meisten Tagelöhner arbeitslos, wobei einige mit einer vor-übergehenden Tätigkeit im Heimgewerbe ihren Familien die Existenz zu sichern suchten.

Auch beim Bau der Wolfratshauser Marienbrücke (ca. 1905) war

„Tagelöhner-Arbeit“ unentbehrlich

(Bild Stadtarchiv)

Abgesehen von dieser „klassischen“ Tagelöhnerei im Jahreslauf konnte man im 19. Jahr-hundert in Wolfratshausen auch eine mehr oder weniger kurzfristige Beschäftigung im Hoch- und Tiefbau, im Brauereigewerbe oder in der Flößerei finden. Besonders beim Be- und Entladen der Flöße wurden immer wieder stunden- oder tageweise Aushilfskräfte gebraucht. Gemeinsames Kennzeichen aller Tagelöhner-Arbeit war, dass sie in der Regel unqualifi-ziert, monoton und körperlich sehr anstrengend war. Entlohnt wurde sie vergleichsweise schlecht, zumal die Betroffenen immer wieder längere Phasen der Arbeitslosigkeit finanziell überbrücken mussten. Häufig waren deshalb vor allem landarme oder landlose Tagelöhner bitterer Armut ausgesetzt. Um die Familie über Wasser zu halten, mussten die Frauen stets mit verdienen – sei es selbst im Tagelohn als Wäscherin, Steinklauberin für die Kalkbrenner, Putzfrau oder „Mörtelweib“, sei es als Handlangerin in verschiedenen Gewerbezweigen, sei es als Heim-arbeiterin oder als Ersatzmutter für Kost- und Pflegekinder. Bei günstiger Arbeitsmarktlage und wenigen Kindern oder bei so glücklichen Umständen wie einer guten Mitgift oder einer kleinen Erbschaft, konnten sich einige Tagelöhner durchaus einen bescheidenen Besitz leisten. Zu dieser Gruppe gehörten wohl auch jene vier Wolfratshauser Tagelöhnerfamilien, die in den 50er-Jahren des 19. Jahrhunderts das Vierjahreszeiten-Haus erworben haben. Literatur: Friedrich-Wilhelm Henning: Handbuch der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands, Bd.2, München/Wien 1996 Gerhard A. Ritter/Klaus Tenfelde: Arbeiter im Deutschen Kaiserreich 1871 bis 1914, Bonn 1992

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„Grüße aus Wolfratshausen“ Das Vierjahreszeiten-Haus als Postkartenmotiv Bis heute ziert das Gebäude die schönste Ansicht der Stadt Stadtarchiv

Vor 1890 1897 – mit Balkon an der Südseite

1902 mit Balkon und Vordach an der Südseite

1913 Zwei Gauben an der Ostseite

1941

1960

(Alle Bilder Stadtarchiv)

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Ein königlicher Schlossverwalter kauft sich im Vierjahreszeiten-Haus ein Mit Erinnerungen von Frau Elisabeth Pfluger und Fotos aus dem Privatbesitz von Josef Buchwieser jun. Otto Martin Die Nachbarn aus dem Vierjahreszeiten-Haus haben sich sicherlich gewundert, als 1918 der königliche Schlossverwalter Heinrich Utz aus München in Wolfratshausen aufkreuzte und den südöstlichen Teil des Hauses, das so genannte Trottlanwesen, kaufte. Da kam plötzlich ein wohlhabender Beamter aus der Hauptstadt, um für sich und seine Familie das „Frühlingsviertel“ zu einer Sommer- und Freizeitwohnung umzubauen und zu nutzen. Als königlicher Schlossverwalter hatte Heinrich Utz seine Hauptwohnung in der Münchner Residenz. Dort wohnte während ihrer ersten Ehejahre auch seine Tochter Maria (1877 bis 1957) mit ihrem Mann Josef Pössl (1882–1947). Maria Pössl hatte ständig Kontakt mit den bayerischen Prinzessinnen und erfreute diese durch Erzählungen aus ihrem reichen Märchenschatz. In der Schlosswohnung wurde 1909 auch deren Tochter Gabriele geboren, die später den Dipl.-Ing. Albrecht Ehrler heiratete. Prinzessin Gabriele von Bayern war denn auch die Taufpatin ihrer Tochter. Josef Pössl hat 1922 einen Sanitär-Großhandel in der Augustenstraße 65 in München eröffnet. Er befindet sich noch heute im Besitz der Familie Ehrler. Als 1923 Heinrich Utz stirbt, der unter drei bayerischen Regenten (König Ludwig II, Prinzregent Luitpold, König Ludwig III) Verwalter war, erben sein Sohn Heinrich Utz, der in Riederau am Ammersee wohnte, und seine Tochter Maria Pössl das Frühlingshaus in Wolfratshausen.

Die neuen Lebensgewohnheiten, die diese großbürgerliche Familie aus München mit nach Wolfratshausen brachte, dürfte wohl bei den bisherigen Bewohnern des Vierjahreszeiten-Hauses großes Erstaunen ausgelöst haben. Die Tagelöhner und Arbeiter mit ihrem be-scheidenen Einkommen mussten mit ihren meist vielköpfigen Familien in den wenigen und kleinen Räumen wohnen, während der „Frühling“ von dem Ehepaar Pössl und ihrer Tochter nur an Wochenenden und in den Sommerferien genutzt wurde.

Blick auf die Südostseite des Vierjahreszeiten-Hauses in den 20er-Jahren (Bild Stadtarchiv )

Und noch etwas änderte sich: Hermann Nagenrauft, der 1925 geboren und im „Herbst-haus“ mit vier Geschwistern aufgewachsen ist, erinnert sich, dass sie immer von ihrer Mutter ermahnt wurden, leise zu sein, wenn die Familie Pössl das Frühlingshaus bewohnte.

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Der Familie Pössl muss es im früheren Wolfratshausen sehr gut gefallen haben. Wie Frau Elisabeth Pfluger, Jahrgang 1924 und ehemalige Lehrerin an der hiesigen Realschule schreibt, liebten die Pössls vor allem die schönen Alleestrassen mit den vielen Garten-Villen. Der Paradiesweg mit seinen Ruhebänken und das Bad, das in einen alten Loisach-arm hineingebaut war, waren wohl weitere lebenswerte Flecken für die Großstadtfamilie. Natürlich erfreuten sich die Pössls auch an den vielen Wandermöglichkeiten im Umkreis der Loisachstadt. Am liebsten wanderten sie hinüber zum Buchsee und zum Starnberger See. Auf gemeinsamen Wanderungen und über die Familie Kratzmeir (Kolonialwarengeschäft mit Kaffeerösterei am Obermarkt) hatte sich die Familie Pfluger, die damals im zweiten Stock des heutigen Müller-Marktes wohnte, mit der Familie Pössl angefreundet. In Frau Pflugers Erinnerungen klingt eine große Begeisterung an, wenn sie über die Ausgestaltung des Hausviertels und des Gartens der Familie Pössl berichtet: "Der Frühlingsteil des Vierjahreszeiten-Hauses war traumhaft schön hergerichtet. Der Garten, der damals erheblich größer als heute war und bis zur Loisach hinunter führte, war mit Ziersträuchern, Blumenrabatten, Rosenrankgittern und einem Obstbaum wundervoll angelegt. Den Uferweg und den sperrigen Hochwasserdamm gab es damals noch nicht. Ein ausgebauter und gesicherter Steg lud zum Verweilen und zum Erfrischen ein. Zusammen mit der Familie Buchwieser und auch anderen Gästen fanden viele kleine zauberhafte Gartenfeste statt." Und Herr Buchwieser jun. ergänzt noch, dass die Haustüre und die Fensterläden dunkel-grün mit weiß abgesetzt gestrichen waren und auf diese Weise zu dem zauberhaften Eindruck des Anwesens beigetragen haben. Die am Haus vorbei fließende und damals noch saubere Loisach lud zum Baden ein und diese willkommene Abwechslung wurde, wie es die beiden Aufnahmen Ende der Zwanzigerjahre zeigen, gerne genutzt.

Maria Pössl und Josef Buchwieser Gabriele Pössl

(Privatbilder)

Von 1926 bis 1933 hatte die Familie Pössl das Parterre des Hausviertels an den Hafner-meister Josef Buchwieser (1889–1973) und an seine Frau Maria (1902–1954) vermietet. Aus dieser Zeit stammt auch das Foto von Josef Buchwieser jun. (Jahrgang 1925), das in der Gartenlaube des „Frühlings“ etwa 1929 aufgenommen wurde. Der Wohnbereich der Familie Pössl war laut Frau Pfluger romantisch gemütlich gestaltet und verbreitete eine anheimelnde Atmosphäre: „Als kleines Mädchen war ich von dem

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wunderschönen Ambiente sehr beeindruckt. Begeistert war ich aber auch von den Mär-chen und zauberhaften Geschichten, die Frau Pössl meisterhaft vortragen konnte. Noch heute, nach mehr als siebzig Jahren leuchtet diese einzigartige Traumwelt in meinem Gedächtnis“.

Laubenromantik im Vierjahreszeiten-Haus Von links: Josef Buchwieser jun., Gabriele Pössl,

Maria Pössl, Josef Pössl, Maria Bchwieser, Josef Buchwieser sen.

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„Ein Stück Heimat“ Linde Karrer erzählt über ihre Kindheit im Vierjahreszeiten-Haus Bernhard Reisner „Das ‚Vierjahreszeiten-Haus‘ ist für mich ein Stück Heimat, da ich darin geboren wurde, und ein Stück Heimat lasse ich mir nicht so einfach aus dem Herzen reißen . . .“, so schrieb Linde Karrer in einem Leserbrief im Mai 1998. Der Zweite Weltkrieg begann, als Theodolinde Herrnböck 1939 im „Sommer“ des Vier-jahreszeiten-Hauses geboren wurde. Der „Sommer“, das ist das Südwesthaus des vier-geteilten Gebäudes, das unschwer an dem einzigen Balkon, den das Haus trägt, zu erkennen ist. Lindes Vater, der Sohn eines Glasbläsers aus dem niederbayerischen Bischofsmais, war 1928 nach Wolfratshausen gekommen und hatte in der Glashütte an der Geltinger Straße Arbeit gefunden. Die Mutter stammte aus München und half in den Haushaltungen verschiedener Wolfratshauser Familien mit. Die Herrnböcks hatten das „Sommerhaus“ gemietet, in dem Linde sieben Jahre ihrer Kindheit verbrachte. Schon kurz nach ihrer Geburt musste der Vater in den Krieg und die kleine Linde sah ihn, abgesehen von ein paar Fronturlauben, bis nach seiner Rückkehr als Versehrter aus der Kriegsgefangenschaft 1946 nicht mehr.

Wie viele Kinder in der damaligen Zeit wuchs Linde alleine mit ihrer Mutter und den anderen Mitbewohnern des Vierjahreszeiten-Hauses auf. Auch von den anderen Familien waren alle wehrpflichtigen Männer in den Kriegsdienst eingezogen, so dass die Frauen mit ihren Kindern im Vierjahreszeiten-Haus größtenteils auf sich alleine gestellt waren. Linde Herrnböck ist im Vierjahreszeiten-Haus geboren und verbrachte dort ihre Kindheit. Die Aufnahme stammt aus dem Jahr 1941 (Privatbild)

Trotz aller Entbehrungen, die der Krieg mit sich brachte, erinnert sich Linde Karrer aber an eine sehr schöne Kindheit. „Das Vierjahreszeiten-Haus und seine Umgebung waren für mich ein Paradies.“ „Da war der Garten zur Loisach hinunter, der Steg in den Fluss hinein, das Seilergassl, der Kratzmeirgarten . . .“. Linde Karrers Augen leuchten, wenn sie über ihre Kindheits-erinnerungen von diesem „göttlichen Flecken Erde“ erzählt. Sie fühlte sich wohl in ihrer Welt, in der sie alle Nachbarn und jeden Winkel entlang der Loisach und bis hinauf zum Markt und zum Humplgassl kannte. Linde hatte ein sehr inniges Verhältnis zu ihrer Mutter, die es trotz des Krieges verstan-den hat, durch ihre Lebensfreude die Zeit mit ihrer Tochter so angenehm wie möglich zu gestalten.

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Wenn die Mutter unterwegs war, um ein paar Mark zu dem kargen Wehrsold des Vaters in den Haushalten von Wolfratshauser Familien hinzu zu verdienen, war die kleine Linde bei der Nachbarin ‚Fiffi‘ bestens aufgehoben. Harte Schicksalsschläge während des Krieges Maria Dimpfl, die von all ihren Freunden und Bekannten Fiffi genannt wurde, wohnte im „Frühlingshaus“ gleich nebenan und war eine der wichtigsten Bezugspersonen von Linde. Fiffi arbeitete im Hotel Humplbräu als Zimmerfrau und für Linde gab es nichts Schöneres, als in das Hotel mitgehen und Fiffi beim Mangeln der duftenden Bettwäsche zusehen zu dürfen. Leider musste Fiffi während des Krieges zwei sehr harte Schicksalsschläge hinnehmen: 1942 erhielt sie die traurige Nachricht, dass ihr Sohn gefallen ist, und 1943 starb auch noch ihr Mann. Natürlich blieb diese familiäre Katastrophe dem kleinen Mädchen Linde nicht verborgen. In Erinnerung ist ihr heute noch, dass alle Nachbarn großen Anteil an Fiffis Trauer nahmen und zu trösten und zu helfen versuchten, wo immer sie nur konnten. Fiffi war eine sehr gläubige Frau, die die kleine Linde öfter mit zur Kirche nahm. „Am liebsten ging ich aber mit zur feierlichen Fronleichnamsprozession“, erinnert sich Linde Karrer heute. „Für mich als kleines Mädchen war es sehr beeindruckend, mit Fiffi der feierlichen Musik zu folgen und trotz der Kriegsjahre über kunstvoll gelegte Blumen-teppiche zu gehen. In der Bahnhofstraße, etwa in Höhe des Hauses, in dem sich heute die Firma Kurzböck befindet, war ein Altar aufgebaut. Von dort zog der Pfarrer mit sei-nem Gefolge über den Floßkanal weiter bis zum Bartl am Wasen und von da ging’s über die Johannisbrücke zurück zum Markt.“ Im Zuber in der Küche wurde gebadet Die Grundstücke des Vierjahreszeiten-Hauses waren nicht durch Zäune voneinander getrennt, so dass Linde das gesamte Areal als Spielplatz zur Verfügung stand. In Fiffis Garten stand ein großer Apfelbaum, unter dem Linde am liebsten spielte. An der Südseite des Grundstücks befand sich ein langgezogener Holzschuppen und an die Nordseite des Grundstücks war das Waschhaus gebaut. „Was das Wäsche waschen anbelangt, herrschte unter den Bewohnern des viergeteilten Hauses eine große Disziplin“, erzählt die Wolfratshauserin, „denn jede Familie hatte ihren festen Waschtag, an dem der Kessel angeheizt und die Wäsche in mühevoller Handarbeit sauber gerubbelt und gewrungen wurde.“ In dem 1859 von Joseph Sappl erbauten Haus beschränkten sich die sanitären Einrich-tungen lediglich auf eine Toilette im Flur. Da es kein Bad gab, holte Lindes Mutter einmal in der Woche einen großen Zuber in die Küche, in dem die Kleine abgeschrubbt wurde. Auf der gegenüberliegenden Loisachseite, in der Hammerschmiedschule, gab es zwar ein Bad, das von der Öffentlichkeit gegen Entrichtung eines kleinen Entgeltes benutzt hätte werden können, Linde und ihre Mutter mochten die öffentliche Badeanstalt aber nicht besonders und zogen daher den Zuber in der Küche vor.

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Schwimmen war lebenswichtig für die Kinder an der Loisach Durch das Leben in unmittelbarer Nähe des Flusses war es für die kleine Linde lebens-wichtig, so schnell wie möglich schwimmen zu lernen. Daher machte sie bereits als kleines Kind ihre ersten Schwimmversuche in dem damals weithin bekannten Wolfratshauser Freibad an der Badstraße. Linde übte fleißig und schon bald war sie fähig, von ihrem Geburtshaus aus die Loisach zu durchqueren. Wie gefährlich der „Spielplatz Loisach“ für Kinder ist, die nicht oder nicht gut schwimmen können, bekam die kleine Linde Herrnböck eines Tages grausam vor Augen geführt. Während des Krieges waren im Wolfratshauser Stadtgebiet viele evakuierte Familien untergebracht. Ein etwa fünfjähriges Mädchen, das erst vor kurzem nach Wolfratshausen gekommen war, tobte mit Linde und deren Freunden mit aufgeblasenen Autoreifen auf der Loisach herum. Plötzlich rutschte das schmächtige Kind von dem Reifen ab und versank in den Fluten. „Ich werde mein ganzes Leben lang nicht vergessen, wie ich an der ‚Reiserbrücke‘ nur mehr die Hand des Kindes aus dem Wasser ragen sah“, sagt die heute 63-jährige Frau noch immer tief bewegt. „Alle Rettungsversuche von uns Kindern und den herbei-gerufenen Erwachsenen kamen zu spät. Obwohl ich das ertrunkene Kind kaum kannte, hat dieses furchtbare Erlebnis meine Freunde und mich sehr lange beschäftigt.“ Schräg gegenüber vom Vierjahreszeiten-Haus befindet sich die alte Floßlände. Linde Karrer hat aber während ihrer Kindheit kaum ein Floß gesehen, da die Flößerei auf der Loisach und auf der Isar in den Kriegsjahren und auch noch einige Jahre danach fast gänzlich zum Erliegen gekommen war. Erst in den 50er-Jahren wurden wieder einige Flöße für Ausflugsfahrten in Wolfratshausen eingesetzt. Kaffee- und Rosenduft vom nahen Kratzmeir-Anwesen Zu den Pflichten Lindes gehörte es, täglich Milch in der Molkerei in der Marktstrasse zu holen. Im Seilergassl musste sie dabei am Kratzmeir-Haus vorbei. Dort roch es aus einem vergitterten Fenster heraus oft fein nach Bohnenkaffee, den der Herr Kratzmeir selber brannte. Linde blieb des Öfteren stehen und schnupperte genüsslich an dem feinen Duft des frisch gebrannten Kaffees. Bohnenkaffee war während der Kriegsjahre etwas ganz Besonderes und Wertvolles, daher gab es ihn in den meisten Wolfratshauser Familien auch nur an Feiertagen. Auch Lindes Mutter kaufte zu solchen Gelegenheiten immer 50 Gramm, die sorgsam gehütet wurden. Aber nicht nur die Kaffeebrennerei faszinierte Linde an dem Kratzmeir-Anwesen, das sich direkt im Westen an das Vierjahreszeiten-Haus anschloss und sich bis zum Markt hinaufzog. In der Kratzmeir-Küche gab es auch feinen gelben Maiskuchen, von dem Linde öfter ein Stück abbekam. „Überhaupt war das Kratzmeir-Anwesen für mich ein ständiges Erlebnis“, schwärmt Linde Karrer. „Der Herr Kratzmeir, der im Hauptberuf Seiler war, hat im Garten lange dicke Seile hergestellt. Für mich war es immer faszinierend zuzusehen, wie der mit einer blauen Schürze bekleidete Mann aus dem gerupften Hanf diese festen und starken Seile drehte.“ Die große Passion von Herrn Kratzmeir, zu dem Linde großes Zutrauen hatte und der für sie so etwas Ähnliches wie einen Vaterersatz darstellte, war die Rosenzucht in seinem Garten.

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Das „Sommerhaus“ mit seinem Balkon, in dem Linde Karrer geboren und aufgewachsen ist

(Bild Stadtarchiv)

Jede freie Minute verbrachte er bei seinen Rosenstöcken, die er zu einer unglaublichen Blütenpracht brachte. „Einmal habe ich beim Ballspielen eine Rose entblättert. Statt mich zu schimpfen, klärte mich der Herr Kratzmeir darüber auf, wie mühevoll es ist, eine Rose zum Blühen zu bringen. Fortan war ich vorsichtig im Umgang mit den kratzmeirschen Rosenstöcken . . .“ Im Süden war eine Gerberei, die roch nicht so gut . . . An der Südseite des Vierjahreszeiten-Hauses, hinter dem Holzschuppen, war die Gerberei Kerscher. Von dort roch es zeitweise aber gar nicht so gut herüber, wie Linde das vom Kratzmeir-Anwesen her gewohnt war. Vor allem wenn die Tierhäute angeliefert wurden, breitete sich ein sehr unangenehmer Geruch über die ganze Nachbarschaft entlang der Loisach aus. „Beim Kerscher erinnere ich mich noch an ein kleines buckliges Weiberl, das schwer gearbeitet und die Lohe (Glut aus Baumrinde) für den Gerbprozess vorbereitet hat . . “, erzählt die Wolfratshauserin. Beim Anwesen weiter südlich, im Anschluss an die Gerberei roch es dann wieder ganz anders, dort war nämlich die Wirtschaft des Maislbräu, die sich ebenfalls direkt an der Loisach befand. Eine der Lieblingsbeschäftigungen von Linde und ihren Freunden war „Versteckerl-spielen“, zu dem die Umgebung des Vierjahreszeiten-Hauses beste Voraussetzungen bot. Dabei weiteten die Kinder ihr Gebiet über das Seilergassl bis zum Humplgassl hinauf aus. „Einmal entdeckte ich ein loses Brett an einer Wand im Humplgassl. Flugs schlüpfte ich dahinter, um mich vor meinen Freunden zu verstecken“, berichtet die heutige Ruhe-ständlerin mit einem listigen Augenzwinkern und fährt fort: „Ich traute aber meinen Augen nicht, als ich mich in meinem Versteck umsah. Vor mir waren unzählige Säcke mit unverderblichen Lebensmitteln gestapelt. Bei näherem Hinsehen stellte ich fest, dass sich in den meisten Säcken Nüsse befanden. Unverhofft war ich durch das lose Brett in das Vorratslager einer Firma geraten, die im ‚Humpelkeller’ Schokolade herstellte. So viele Vorräte auf einmal hatte ich noch nie gesehen, daher konnte ich nicht an mich halten und nahm einige Nüsse in meiner Schürzentasche mit. Einige Tage später war das lose Brett wieder befestigt, und für mich war nicht nur ein hervorragendes Versteck verloren gegangen . . .“

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Bei Fliegeralarm mussten die „Vierjahreszeitler“ in einen Keller im Humplgassl Lindes Mutter war Luftschutzwart für das Vierjahreszeiten-Haus. Da das Gebäude nicht unterkellert ist, mussten sich seine Bewohner zu jedem Fliegeralarm in den ‘Stumpfkeller’ im Humplgassl begeben. Linde Karrer erinnert sich, dass dort viele Stockbetten mit weiß-blau karierter Bettwäsche aufgestellt waren. Es sah immer sehr bedrohlich aus, wenn die englischen und amerikanischen Bomber in weitem Bogen von Süden her über Wolf ratshausen ihre Ziele in München anflogen. Der ganze nördliche Horizont hinter dem Dorfener Berg schimmerte nach solchen Angriffen immer in einem tiefen Rot. Außer in Weidach, wo ein Bauernhof niedergebrannt ist, hat nach Linde Karrers Erinne-rung Gott sei Dank keines dieser Flugzeuge seine unheilvolle Fracht über Wolfratshausen abgeladen. Gerumst hat es allerdings in den letzten Kriegstagen dann doch noch gewaltig, als eine SS-Einheit aus ‚strategischen Gründen‘ die Johannisbrücke sprengte. Zur Zeit der Sprengung saß Linde zu Hause in einem Sessel und die gewaltige Druckwelle hat das Kind förmlich aus dem Sitzmöbel geworfen. In ewiger Erinnerung bleibt Linde Karrer allerdings auch der nicht enden wollende Zug der KZ-Häftlinge, die von ihren Schergen Ende April 1945 von Dorfen aus kommend mitten durch den Markt getrieben wurden. Die sechsjährige Linde stand mit ihrer Mutter am oberen Ende des Seilergassls, als die ausgezehrten Menschen vorbei zogen. Die Wolfratshauser waren schockiert über das erbarmungsvolle Bild, das sich ihnen bot. Viele von ihnen, darunter auch Lindes Mutter, riefen den Wachmannschaften zu: „Gebt den Leuten um Himmels Willen etwas zu essen!“ Vom Dorfener Berg herunter kamen dann am 30. April 1945 auch die amerikanischen Panzer, die das Ende des Krieges für Wolfratshausen bedeuteten. Linde Karrer erinnert sich, wie im Humplbräu fieberhaft nach einem weißen Leintuch gesucht und zu einem Fenster hinaus gehängt wurde. Fremdfamilien wurden Ende des Krieges in das Vierjahreszeiten-Haus einquartiert Der Krieg war zwar aus, aber die vielen Heimatvertriebenen und Flüchtlinge, die in der Gegend in und um Wolfratshausen gelandet waren mussten untergebracht und versorgt werden. So kam es, dass auch im Vierjahreszeiten-Haus bei den Herrnböcks in den oberen Stock-werken zwei Fremdfamilien einquartiert wurden. Linde und ihre Mutter bewohnten fortan bis zur Rückkehr des Vaters aus der Kriegs-gefangenschaft nur noch das Erdgeschoss. Schulbesuch im Klösterl Im September 1945 wurde Linde Herrnböck eingeschult. Die Grundschule befand sich damals im so genannten Klösterl neben der St.-Andreas-Kirche. Im Klösterl unterrichteten die „Armen Schulschwestern“ und Lindes Lehrerin war die ge-strenge Schwester Consalva.

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„Die Consalva hatte jeden Morgen eine ‚andere Überraschung‘ für uns Kinder parat und parieren mussten wir bei der alle . . .“, berichtet Linde Karrer auch heute noch respektvoll. „Den Singunterricht begleitete Schwester Consalva immer mit einer Violine und jeden Morgen mussten wir um 7 Uhr in die Frühmesse. Wehe ein Kind hat unent-schuldigt gefehlt . . . Aber geärgert haben wir die Consalva auch, als wir Maikäfer im Klassenzimmer ausgesetzt haben, die an ihrer Kutte hoch gekrabbelt sind . . .“

Linde Karrer (Privatbild)

Linde Karrer ist in ihrem Element, wenn sie über die lustigen Streiche aus ihrer Kindheit erzählt. In Ihrer Erzähllaune fährt sie fort: „Über die Dorle muss ich auch noch berichten. Die Dorle war meine beste Freundin. Sie war die Tochter des evangelischen Pfarrers und wohnte drüben im Pfarrhaus an der Mi-chaelskirche. Wir haben viel zusammengesteckt und oft habe ich mit der Dorle die Kir-chenglocken geläutet. Natürlich lernte ich durch meine Freundin auch die evangelische Pfarrkirche sehr gut kennen. Was mich damals am meisten beeindruckt hat, war die Tat-sache, dass es bei den Evangelischen keine Beichtstühle gab. Als die Schulschwestern und mein Religionslehrer herausgefunden haben, dass ich eng mit der evangelischen Pfarrerstochter befreundet bin, haben sie mir den Kontakt mit der Dorle verboten. Aber in dieser Beziehung haben sich die Zeiten ja inzwischen geändert . . .“ Linde Karrer könnte noch viel über und um das Vierjahreszeiten-Haus und ihre Kindheit erzählen. Die Fülle ihrer Erinnerungen würde aber den Rahmen dieses Dokumentations-beitrages sprengen. Übrigens hat die Wolfratshauserin, die heute als Ruheständlerin mit ihrer Familie in Waldram wohnt, einige ihrer Kindheits- und Jugenderinnerungen in 13 Kurzgeschichten zusammengefasst. Zwölf davon werden demnächst im Heimatbuch erscheinen und damit einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Noch einmal zurück zum Vierjahreszeiten-Haus: Nachdem der Vater aus der Kriegsge-fangenschaft zurückgekommen war, wurde der Familie Herrnböck das Erdgeschoss im „Sommer“ zu klein. Deshalb zog Linde mit ihren Eltern 1946 in eine größere Wohnung an der Sauerlacher Straße. Ihr Geburtshaus, das das Stadtbild Wolf ratshausens seit fast 1½ Jahrhunderten prägt, hat Linde Karrer aber ihr Leben lang nie aus den Augen verloren. Es ist und bleibt für sie immer ein Stück Heimat.

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Der „Herbst“ – oder das Wetzsteinerhaus Mit Erinnerungen von Hermann Nagenrauft Dr. Sybille Krafft Ein weiteres Viertel des Vierjahreszeiten-Hauses bildet das so genannte Wetzsteinerhaus. Es liegt in nordwestlicher Richtung und wird im Volksmund dem Herbst zugeordnet. Der Hausname weist darauf hin, dass ein früherer Besitzer wahrscheinlich mit Wetz-steinen gehandelt hat, die damals auf Loisachflößen aus Tirol importiert wurden. Ohnehin war das Vierjahreszeiten-Haus mit der Flößerei eng verbunden, denn so mancher Bewohner verdiente sich beim Be- und Entladen der Flöße im Taglohn ein Zubrot oder arbeitete als Floßknecht oder Flößer. Schließlich befand sich der alte Holzlagerplatz, der später auch als kleine Lände genutzt wurde, genau gegenüber vom Vierjahreszeiten-Haus, am Ostufer der Loisach. Das Besondere am „Herbsthaus“ ist, dass es bis zu seinem Verkauf an die Stadt Wolfrats-hausen im Jahre 1996 im Besitz einer einzigen Familie blieb, während die Eigentümer der anderen drei Hausviertel zum Teil recht häufig wechselten. Über sechs Generationen lang lebten die Rahms bzw. Nagenraufts im Vierjahreszeiten-Haus im Seilergassl 2. Ihr „Stammvater“ war der Tagelöhner Johann Rahm (1802–1872), der das Anwesen mit seiner Frau Barbara 1859 gekauft hatte. Als Johann Rahm 1872 starb, heiratete seine Witwe ein Jahr später den Flößer Michael Kopfsgutter und übergab das Haus 1892 ihrem Sohn Sebastian aus erster Ehe. Sebastian Rahm (1865–1924) verdingte sich zunächst – wie schon sein Vater – als Tagelöhner. Später pachtete er den Wolfratshauser „Besenbräu“, mit dem er sich Waldbesitz und Wohlstand erwirtschaftete. Nach seinem Tod erbt 1924 seine Frau Therese Schmotz das Wetzsteinerhaus und 1932 wird es an deren Tochter Maria Schmotz übertragen, die 1916 den elsässischen Tagelöhner Gustav Nagenrauft geheiratet hatte und fünf Kinder gebar. Marias jüngster Sohn, Hermann Nagenrauft (geb. 1925), lebt heute in Gelting und erinnert sich mit einem verschmitzten Lächeln an das Familienleben im Vierjahreszeiten-Haus: „Bei uns ist’s schon lebhaft zugegangen, denn bei fünf Kindern mit all ihren Freunden war immer was los!“ Die siebenköpfige Familie lebte in beengten Verhältnissen. Im Parterre befanden sic h die Küche und das Schlafzimmer der Mutter, wo auch Tochter Therese schlief. Von den beiden kleinen Zimmern im ersten Stock wurde eines untervermietet und das andere mussten sich die vier Nagenrauft-Buben teilen – jeweils zu zweit in einem Bett. Im Speicherzimmer wohnte der Vater ganz allein, denn die Ehe war schon früh wieder geschieden worden.

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Ausschnitt aus dem Kaufvertrag zwischen Joseph Sappl und Johann Rahm

vom 6.9.1859 über das Nordwestviertel des Vierjahreszeiten-Hauses. Der Kaufpreis betrug 900 Gulden.

(Stadtarchiv Wolfratshausen) Gustav Nagenrauft soll – nach der Schilderung seines Sohnes – „ein ganz eigener Mensch“ gewesen sein. Obwohl er keine Be rufsausbildung hatte und sich als Tagelöhner mit Gelegenheitsarbeiten wie dem Aushub des Loisachkanals durchschlug, muss er recht belesen gewesen sein. „Oft hat er Heine oder Nietzsche zitiert und sich mit seinen Büchern in die Berge verzogen“, erinnert sich Hermann Nagenrauft. Sein Vater war außerdem politisch sehr engagiert und mehrere Jahre Schriftführer der Wolfratshauser SPD (sein Sohn Kurt setzte übrigens in den 1960er-Jahren als Stadtrat die sozial-demokratische Familientradition fort). Um 1935 verließ Gustav Nagenrauft die Familie, und die Mutter musste nun als Kellnerin sich und ihre fünf Kinder alleine durchbringen. Sie bediente vor allem im „Humplbräu“ und in der Klosterwirtschaft von Schäftlarn, wo sie nachts durch die Isarauen alleine zu Fuß heimgehen musste. Maria Nagenrauft half außerdem noch in vielen Wolfratshauser Wirtschaften aus und als sie 1956 starb, soll der Arzt nur lakonisch bemerkt haben: „Sie hat sich halt zu Tode gearbeitet.“ Hermann Nagenrauft erinnert sich, es habe immer geheißen „Geht’s zum Spielen auf den Berg!“ Der Bergwald war damals der natürliche Spielplatz der Wolfratshauser Kinder, wo man zu jeder Jahreszeit seine Abenteuer finden konnte. Er eignete sich vor allem als idealer „Kriegsschauplatz“ für die legendären Gefechte zwischen den jungen „Ober-marktlern“ und den jungen „Untermarktlern“.

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Familie Nagenrauft um 1931 Von links: Rudolf, Mutter Maria, Kurt, Therese, Franz, Hermann und Vater Gustav Nagenrauft

(Privatbild)

Ansonsten war die Loisach der ebenso nahe liegende wie gefährliche Spielplatz der Kinder vom Vierjahreszeiten-Haus: „Wir haben eine Flasche in die Loisach geworfen, sind dann am Ufer mitgelaufen und am Wehr haben wir versucht, sie wieder rauszufischen. Viele von uns haben gar nicht schwimmen können, aber wir haben halt einen Schutz-engel gehabt.“ Die Erwachsenen fischten dagegen Brennholz aus der Loisach, wenn nach einem Unwetter in den Bergen entwurzelte Bäume, Sträucher und Äste flussabwärts trieben. Zum Trocknen gestapelt wurden sie dann in den großen Holzlegen an der Nord- und Süd-seite des Vierjahreszeiten-Hauses. Der Fluss war auch in einer ganz anderer Hinsicht hilfreich: Wie viele Wolfratshause-rinnen, so hat auch Mutter Maria Nagenrauft all ihre Wäsche in der Loisach gewaschen. Manche Frauen sind später zwar nur noch zum Spülen hierher gekommen, doch Hermann Nagenraufts Ehefrau Ba rbara hat auch noch in den 50er-Jahren am Holzsteg vom Vier-jahreszeiten-Haus die Windeln ihrer beiden Kinder in der Loisach gewaschen. Die Bausubstanz des Vierjahreszeiten-Hauses, so Hermann Nagenrauft, war immer sehr gut, auch bei Hochwasser sei nie Wasser in das direkt an der Loisach gelegene Haus gelaufen, obwohl es damals noch keinen Damm gab. Die Mauern, die besonders im Erdgeschoss sehr dick sind, hätten erst gegen Ende des Zweiten Weltkriegs Risse bekom-men, als die Nazis die Johannisbrücke gesprengt haben, um den vorrückenden Ameri-kanern den Weg abzuschneiden. Als in den 70er-Jahren dann die Kanalisation gebaut wurde, seien weitere Schäden hin-zugekommen. Dass das Anwesen aber jetzt so verkommt, kann Hermann Nagenrauft nicht fassen. Als er Mitte der 50er-Jahre das „Wetzsteinerhaus“ übernahm, legte er sofort das alte „Plumpsklo“ im Schuppen trocken und baute Bad und Toilette ins Haus; 1969 deckte er zusammen mit Familie Loth auch das Dach neu ein. „Meine Jugendzeit war hier so schön, aber seit der Uferweg gebaut wurde, ging’s bergab. Zum Schluss sind wir von Discolärm und Parkplatz suchenden Autos arg geplagt worden“, berichtet Herrmann Nagenrauft etwas wehmütig. 1992 ist er dann mit seiner Familie ausgezogen, nachdem er über 60 Jahre im Vierjahreszeiten-Haus gewohnt hat.

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Was soll aus dem Vierjahreszeiten-Haus werden? Ursula Hämmerling „Doppelt lebt, wer auch Vergangenes genießt.“ Knapp 2000 Jahre ist dieses Epigramm des römischen Dichters Marcus Martial alt. Kann dieser Spruch auch auf das Vierjahreszeiten-Haus angewandt werden, das zwar um ein Beträchtliches jünger ist, das aber wegen seiner Konstruktion und Baugeschichte ein ein-zigartiges, wenn auch bescheidenes Denkmal aus einer vergangenen Zeit darstellt? Kann dieses Gebäude wieder einem Zweck zugeführt und so hergerichtet werden, dass wir seinen Anblick genießen können? Beim „Tag der offenen Tür zum Vierjahreszeiten-Haus“ Anfang März 2001 wurden von Wolfratshauser Bürgerinnen und Bürgern mehrere Vorschläge für eine sinnvolle Nutzung gemacht. So bietet sich das zentral gelegene Gebäude zum Beispiel als Bürger- oder Vereinshaus an. Der Historische Verein Wolfratshausen hat beispielsweise bereits 1997 bei der Stadt sein Interesse an einem Raum angemeldet. Auch eine Verwendung als Künstlerhaus oder kunstgewerbliche Werkstatt mit ange-schlossener Wohnung wäre denkbar; oder – vielleicht mit Cafeteria – als Stadtgalerie und Ausstellungshaus, wo zum Beispiel die Darstellung bestimmter Epochen der Stadtge-schichte möglich wäre.

Künstler- oder Vereinshaus, Galerie oder Bistro,

Stadtinfothek oder Gästehaus . . .

Möglichkeiten für eine Verwendung des Vierjahreszeiten-Hauses gäbe es viele.

Detail des Treppengeländers am Nordosteingang des

Vierjahreszeiten-Hauses

(Bild Joachim Melf)

Wegen der reizvollen Lage am Loisachufer wäre das Haus sicher auch für ein Bistro oder Café geeignet oder, wie ein Vorschlag lautet, für einen Seniorentreff.

Warum eigentlich nicht? Unterkunft für junge Familien

Darüber hinaus wurde angeregt, im Vierjahreszeiten-Haus ein Gästehaus der Stadt Wolf-ratshausen zum Beispiel für Besucher aus den Partnerstädten einzurichten oder zumin-dest eine Stadt-Infothek vorzusehen, wo Wissenswertes über Wolfratshausen angeboten würde.

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Natürlich könnte das Haus auch wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt werden und als Unterkunft für junge Familien dienen. Auch für Geschäfte oder Boutiquen wäre der Standort an der Loisach sicherlich lukrativ.

Mittel aus der Städtebauförderung für die Renovierung? Dass allerdings die Finanzierung des Projektes ein ganz entscheidendes Problem darstellt, darüber sind sich alle, die sich für das Vierjahreszeiten-Haus engagieren, im Klaren. Auch dazu wurden im März 2001 einige Vorschläge gemacht. So gäbe es zum Beispiel die Möglichkeit, Mittel aus der Städtebau-Förderung oder vom Landesdenkmalamt zu erhalten. Auch der Verkauf des Gebäudes an engagierte Mitbürger, die sich der Wichtigkeit dieses städtebaulichen Kleinods bewusst sind, könnte durchaus in Erwägung gezogen werden. „Und übrigens“, gab jemand zu bedenken, „würde ein eventueller Abbruch des Hauses auch einige nicht unerhebliche Kosten für die Stadt verursachen.“ Wie die Vorschläge der Wolfratshauserinnen und Wolfratshauser zeigen, sind der Erhalt und die sinnvolle Nutzung des Vierjahreszeiten-Hauses durchaus vorstellbar. Auch die Finanzierung der Sanierung sollte mit etwas gutem Willen und einer „kreativen“ Herangehensweise durchaus darstellbar sein.

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Das Loisachufer und der Bebauungsplan 22a 9 Gründe, warum das Vierjahreszeiten-Haus nicht abgerissen werden darf Harald Staub Im Jahre 1974 wurde der Bebauungsplan 22a für das Loisachufer von der Stadt Wolf-ratshausen verabschiedet. In den derzeitigen Diskussionen wird immer wieder auf diesen Bebauungsplan verwiesen. Unter anderem wird behauptet, zur Umsetzung dieses Bebau-ungsplanes müsse das Vierjahreszeiten-Haus abgeris sen werden und der Bebauungsplan sei nicht zu ändern, ohne dass erhebliche Schadensersatzforderungen seitens der Eigen-tümer der betroffenen Grundstücke auf die Stadt zukämen. Da die Zukunft des Vierjahreszeiten-Hauses in direktem Zusammenhang mit der zukünf-tigen Gestaltung des Loisachufers steht, sind zum Bebauungsplan 22a folgende sach-lichen Feststellungen zu machen: 1. Jeder Bebauungsplan kann geändert werden, im einfachsten Fall mittels einer

„vereinfachten Änderung“. 2. Die im Bebauungsplan vorgegebene Straßenbreite ist für die Feuerwehranfahrt

nicht erforderlich. Es gibt wesentlich schmälere Straßen im Stadtgebiet, an denen – im Gegensatz zum Markt – Gebäude stehen, die ausschließlich durch diese Straßen erreichbar sind.

3. Im Bebauungsplan ist das Vierjahreszeiten-Haus nicht als abzubrechendes

Gebäude dargestellt. 4. Durch eine reduzierte Straßenbreite und/oder Umgestaltung des westseitigen

Straßenrandbereiches würde die nordwestseitige Ecke des Vierjahreszeiten-Hauses nicht mehr in den Straßenraum hineinragen und somit dieser „Grund“ für einen Abbruch entfallen.

5. Die vorgenannten Änderungen und die Erhaltung des Vierjahreszeiten-Hauses

beeinträchtigen das Baurecht für die übrigen Grundstücke nicht und begründen deshalb keinerlei Schadensersatzansprüche an die Stadt. Abgesehen davon hat die Stadt keinerlei Nutzen aus dem damals den Eigentümern ohne zwingenden Grund zugestandenen überhöhten Baurecht.

6. Geradezu absurd ist die Behauptung, das Vierjahreszeiten-Haus passe nicht zu

der übrigen im Bebauungsplan vorgesehene Bebauung und müsse deshalb abgebrochen werden. Besser ein Vierjahreszeiten-Haus zwischen neuen Häusern (die in diesem Bereich ohnehin max. zwei Vollgeschosse haben dürfen, also auch nicht größer als das Vierjahreszeiten-Haus wären) als gar kein Vier-jahreszeiten-Haus mehr. Nicht das alte Haus bedarf einer Existenzberechtigung zwischen den neuen, sondern umgekehrt. Die Neubebauung muss sich dem alten, bauhistorisch bereits wertvollen Bestand unterordnen.

7. Der Bebauungsplan ist in mehrfacher Hinsicht nicht mehr zeitgemäß. So wird

heutzutage niemand mehr ernsthaft Flachdachbauten mit Kiespressdächern verlangen oder eine Überbauung des eben erst wieder freigelegten Baches an der Johannisbrücke fordern, wie es der Bebauungsplan 22a aber noch vorsieht.

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8. Ein Bebauungsplan stellt Regeln für eine mögliche Bebauung dar. Er zwingt

niemanden zum Bauen. Somit kann er auch keine zwingende Verpflichtung zum Abbruch eines Hauses darstellen, nur weil an dieser Stelle eine andere Bebauung eingezeichnet ist. Im Vorfeld des Bebauungsplanbeschlusses war das Vierjahreszeiten-Haus sogar ausdrücklich als Mittelpunkt der Loisachufer-Bebauung zum Erhalt vorgesehen.

9. Im Übrigen gilt: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Der einzigartige Baldachin über der Tür des Schönwastlhauses

an der Nordseite

(Bild Joachim Melf)

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Im Brennpunkt: Das Vierjahreszeiten-Haus macht Schlagzeilen

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Historischer Verein Wolfratshausen – Das Vierjahreszeiten-Haus - 30 -

Isar-Loisachbote 23. Februar 2001

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Historischer Verein Wolfratshausen – Das Vierjahreszeiten-Haus - 31 -

Isar-Loisachbote 30. Juni 2001

Die Schlagzeilen und Berichte wurden gesammelt von Otto Martin

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Historischer Verein Wolfratshausen – Das Vierjahreszeiten-Haus - 32 -

Impressum Verantwortlich für den Inhalt: Historischer Verein Wolfratshausen, Arbeitskreis Häusergeschichte(n) Die Autorinnen und Autoren:

Ursula Hämmerling Gymnasiallehrerin Mitglied im Historischen Verein seit 1997

Dr. Sybille Krafft Historikerin Vorsitzende des Historischen Vereins seit 2001

Otto Martin Industriekaufmann Mitglied im Historischen Verein seit 2001

Bernhard Reisner Diplom-Kaufmann Mitglied im Historischen Verein seit 2001

Harald Staub Diplom-Ingenieur Mitglied im Historischen Verein seit 2002

Redaktion und Gestaltung: Bernhard Reisner

Wir danken dem Stadtarchiv Wolfratshausen, insbesondere Frau Balder und Herrn Bauereis, für die großzügige Unterstützung mit Dokumenten und

Bildmaterial und der Sparkasse Bad Tölz-Wolfratshausen für ihren Druckkostenzuschuss.

© Historischer Verein Wolfratshausen 2002

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