Der Krake | Leseprobe "liberal"

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Vor 30 Jahren trat Fernsehkommissar Corrado Cattani seinen Dienst an:

Schnell entwickelte sich „Allein gegen die Mafia“ zu einem Meilenstein der

TV-Geschichte. Zehn Staffeln wurden gedreht, und auch das deutsche

Publikum saß gebannt vor dem Fernseher. Zu verdanken ist dieser Erfolg

vor allem Regisseur Damiano Damiani und Hauptdarsteller Michele Placido.

// TEXT // SANDRO MATTIOLI

C

ommissario Cattani ist um

seinen Job nicht zu beneiden:

Kaum jemandem kann er ver-

trauen, seinen Vorgänger hat dieMafia erschossen, und kaum hat er seinen

Dienst angetreten, wird auch ihm selbst

der allzu blutige Ernst seiner Arbeit

schnell klar: Eine seiner wenigen Vertrau-

enspersonen, sein Vizekommissar Leo De

Maria, bekommt von einem inhaftierten

Mafioso Informationen zugesteckt. Doch

noch bevor er sie seinem Chef weiterge-

ben kann, liegt er schon niedergestreckt

in einer Bar. Was für ein dramatischer

Auftakt!Es war der Beginn eines immensen

Fernseherfolgs: In 80 Länder wurde die

Serie verkauft. Die Koproduktion des

deutschen ZDF und der italienischen RAI

ging in Deutschland erstmals am 6. Mai

1984 auf Sendung. Hier wie in Italien war

sie von der ersten Stunde an ein Publi-

kumsliebling. Neun Staff eln sollten folgen,

in Italien waren es sogar zehn, die letzte

wurde im Jahr 2003 gedreht.

Die Mafia ist im Jahr 1984 zwar schon

längst in Deutschland aktiv, doch es wird

Der Krake

Der lange Arm der

Mafia: Commissario

Cattani (Michele

Placido) ermittelt am

Tatort. Opfer der

Gewalttat war Salvatore

„Acciduzzo“ Frolo

(Mario Adorf).

GESELLSCHAFT ALLEIN GEGEN DIE MAFIA

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nicht viel von ihr gesprochen. Viele

Mitglieder der süditalienischen Verbre-cherorganisationen – der Cosa Nostra ausSizilien, der ’Ndrangheta aus Kalabrien,der Sacra Corona Unita aus Apulien undder Camorra aus Neapel – waren schonJahrzehnte zuvor ins Land gekommen.Sie reisten wie viele andere, unbescholte-ne Italiener infolge der deutsch-italieni-schen Anwerbeverträge aus dem Jahr1955 als Gastarbeiter ein. Doch die Mafiain Deutschland blieb lange unauff ällig. Im

Jahr 1984 macht sie in Deutschlandlediglich in Form dieser TV-Serie von sichreden, aber nicht wegen ihrer kriminel-len Geschäfte oder gar blutiger Fehdenzwischen den einzelnen mafiösen Fami-lien. Erst rund zehn Jahre später undnach einigen öff entlichkeitswirksamenHinrichtungen von Mafiosi, zum Beispielin Mannheim, sollte sich das ändern.

Mit dem Fall der Mauer im Jahr 1989setzen sich die Clans in Deutschland

dann richtig fest. Immense Investitionenfließen in die damals neuen Bundeslän-der, zugleich verstecken sich in Italiengesuchte Kriminelle in der bundesdeut-schen Idylle. Und dann, in den 90er-Jahren, tötet die Mafia auch – und dendeutschen Sicherheitskräften wirdschlagartig klar, dass es ein massivesProblem in ihrem Land gibt. Die Mafia-Morde sorgen für Aufsehen, der Druckauf die Ermittler bei der Polizei und den

Landeskriminalämtern wächst. „Wirhaben damals Kronzeugen aus Italieneingeladen, um überhaupt ein Basiswis-sen über die Mafia zu bekommen“, be-richtet ein ranghoher Ermittler einesLandeskriminalamtes über diese Zeit.„Wir wollten wissen, wo welche Clansvertreten sind, welche Geschäfte siemachen.“

Der geübte Fernsehzuschauer verfüg-te da schon längst über Basiswissen:Bereits die erste Staff el der Serie „Alleingegen die Mafia“ hatte in nur sechs Fol-

 gen ein realistisches Bild über das Wirkender Verbrecherbande auf Sizilien vermit-telt, über das komplexe Geflecht, in dem

die Mafia überhaupt erst existieren kann,ihre Verflochtenheit mit dem Staatsappa-rat und gesellschaftlich höheren Schich-ten. Auch die Funktion der Kirche wurdethematisiert und natürlich immer dieNöte und Schwierigkeiten der Polizei beiihrer Arbeit. Die weiteren Folgen vertief-ten diese Sicht.

Zur besten Sendezeit, am Sonntag-abend um halb acht, konnten die deut-schen Zuschauer nun einen engagierten

und aufrichtigen Ermittler bei seiner Arbeit beobachten, aber nicht nur dort.Die heute allgegenwärtige Präsenz desPrivaten, wie man sie etwa aus „Tatort“-Krimis kennt, hat die Serie ebenfalls

 vorweggenommen: Der Commissario war hübsch, seine Frau Else ebenso, dazueine kleine Tochter und eine kurze Aff äreder Gattin – eben doch keine Musterfami-lie. Schon von der ersten Folge der Seriean plagten sich der schöne Corrado unddie blonde Else mit ihren Beziehungspro-blemen, küssten sich zugleich aber auch

 vor Cattanis Vorgesetzten. Welch frischer Wind im Fernsehen!

Dies ist aber nur eine Erklärung für

den immensen Erfolg in Deutschland.Denn den Machern von „Allein gegendie Mafia“ ist etwas gelungen, was selten

 gelingt: Sie haben eine bis dato weithinunreflektierte Realität in den Fokus

 gerückt und einer breiten Öff entlichkeitein Bild von der Mafia vermittelt. InDeutschland hat wenige Jahre zuvoreine strukturell ähnliche Serie fürFurore gesorgt, obgleich thematischkomplett verschieden: die US-amerika-

nische Serie „Holocaust“. Sie zwang derdeutschen Öff entlichkeit im Jahr 1978eine Diskussion über die Gräuel desNS-Staates auf.

Das wollte auch Damiano Damiani,der prägende Kopf hinter dieser Serie.Der italienische Regisseur hatte bereitsin den Jahren zuvor mit mehrerenMafia-Filmen Erfolge gefeiert. Mit dieserSerie verfolgte er nun einen

 gesellschafts-politischen

 Ansatz.

Schusswechsel: Corrado

(Michele Placido, r.)

verteidigt Puparo

(Marcello Tusco, l.) gegen

angreifende Mafiosi.

Lesen Sie weiter in der

aktuellen liberal 

Lesen Sie in der  

ak tuellen libe r al das Inter v iew  mit 

MIC HE LE  P LAC IDO