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Historischer Roman Der K reuzzug des F ischers J. Michael Schumacher Peter Hein

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Historischer Roman

Der Kreuzzugdes Fischers

J. Michael Schumacher Peter Hein

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J. Michael Schumacher, Peter Hein – Der Kreuzzug des FischersHistorischer Roman

ISBN 978-3-943886-57-3

3. Auflage 03/2014© Bergischer Verlag, © by J. Michael Schumacher und Peter Hein

Bergischer VerlagRS Gesellschaft für Informationstechnik mbH & Co. KGVerleger Arndt Halbach, Martin CziallaKonrad-Adenauer-Str. 6 / 42853 RemscheidE-Mail: [email protected] / www.BergischerVerlag.de

Lektorat: Klaus SöhnelUmschlagmotiv: Collage von Wandgemälden auf Schloss Burg, SolingenGesamtherstellung: Bergischer Verlag, Ernst-Wilhelm BruchhausDruck: AALEXX Buchproduktion

Das Werk ist vollumfänglich urheberrechtlich geschützt.Jede Verwertung wie zum Beispiel die Verbreitung, der auszugsweise Nachdruck,die fotomechanische Verarbeitung sowie die Verarbeitung und Speicherung inelektronischen Systemen bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Verlag.

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Der 5. Kreuzzug Sommer 1217 – Herbst 1221

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1. Buch, Prolog

Im Niltal, Herbst 1220

Im Halbdunkeln des Verlieses machte sich eine zerlumpte, bärtige Gestalt an der modrigen Wand zu schaffen. Aus zahllosen Ritzen traten winzige Rinnsale brackigen Wassers aus, die sich am Fuß der Wand zu einer Art Quelle sammelten, um dann irgendwo unter den Steinplatten zu versickern und sich ihren Weg zurück zum Nil zu suchen. Es roch nach Fäulnis und Exkrementen. Auf dem fadenscheinigen, verdreckten Gewand der Gestalt war noch schwach ein stilisiertes rotes Kreuz zu erkennen. An den Fü-ßen klirrte eine schwere eiserne Kette. Mit einem schartigen, verbogenen Löffel ritzte der Mann, dem die Kerkerhaft bislang scheinbar weder den Stolz noch Gesundheit und Lebenskraft zu rauben vermocht hatte, dünne Linien in den Stein. Zwei Jahre schon, davon eines in diesem verfluch-ten Kerker, grübelte er, als er innehielt und sein seit Monaten wachsendes Werk aus senkrechten Linien betrachtete. Jeweils sieben stellten eine volle Woche dar. Der primitive Kalender half ihm dabei, nicht den Verstand zu verlieren. Ein leises Stöhnen von der gegenüberliegenden Seite ließ ihn, so schnell es das Hindernis an seinen Fußgelenken erlaubte, zu seinem Ge-fährten eilen, dem es deutlich schlechter ging als ihm. Seit Wochen lag der junge Franke im Fieber und wurde von heftigen Albträumen geschüttelt. Auch jetzt schien er wieder zu fantasieren.

„Das Sterben … das viele Sterben“, kam dem abgemagerten, von schweiß-nassen Haaren eingerahmten Gesicht über die zerfurchten Lippen, „es muss ein Ende haben.“

Die zittrige Stimme war kaum zu verstehen. „Sei unbesorgt, du stirbst noch nicht“, versuchte ihn der Kräftigere zu beruhigen, „das lasse ich nicht zu. Den Gefallen wollen wir den Sarazenen und diesem fetten Eunuchen doch nicht tun!“

Da schlug sein Gefährte die Augen auf und ergriff mit erstaunlicher Fes-tigkeit das Handgelenk des Freundes. Diesmal weilte er offenbar nicht im Fiebertraum. „Um mich selbst sorge ich mich nicht“, keuchte er, „ich habe es nicht besser verdient, zu oft habe ich mein Glück herausgefordert …“ Er machte eine Pause, um seine Kräfte zu sammeln. „Aber all die anderen – so viele sind gestorben. Und noch hat das Sterben kein Ende …“

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Dabei versuchte er, sich ein wenig auf dem fauligen Strohlager aufzu-richten , das die einzige Bequemlichkeit in dem steinernen Gewölbe dar-stellte. „Ich musste an meinen Herrn denken, der gefallen ist – in der Blüte seiner Jahre –, und mit ihm viele der tapfersten Männer, gefallen unter den Krummschwertern der Muselmanen. Oder sie sind dem Fieber er-legen, das in den Sümpfen lauert und jedem, der nicht hier geboren ist, in die Glieder kriecht. Dieses vermaledeite Land saugt uns das Leben aus, wie die elenden Mücken unser Blut …“

Vor ihrem geistigen Auge wurden Erinnerungen lebendig, Erinnerun-gen an die gewaltige Flotte, mit der sie aufgebrochen waren, Erinnerungen an schier unzählige Schlachten, die sie ausgefochten hatten, an die unsäg-lichen Mühen, die der Bau der Belagerungsmaschinen gekostet hatte, an die fürchterlichen Verbrennungen, die das griechische Feuer hervorrief, und an die Ausweglosigkeit der Gefangenschaft. Aber hatten sie es sich nicht selbst zuzuschreiben? Warum waren sie überhaupt hier? Der Nil war weit entfernt von Jerusalem, zu dessen Befreiung sie einst aufgebrochen waren. Aber hätten sie ihren Entschluss geändert, wenn sie sich der Ge-fahren in vollem Umfang bewusst gewesen wären? Oder wäre die Aussicht auf Ruhm und Ehre, auf Vergebung aller Sünden und auf die Reichtümer des Morgenlandes nicht doch zu verführerisch gewesen? Ein Rasseln an der Tür riss sie aus den Gedanken. Als der feiste Kopf mit dem nur allzu gut bekannten Turban und der waffenstarrenden Begleitung unter dem Sturz erschien, warfen sich die beiden einen stummen Blick zu. Der Ritter mit dem verblassenden Kreuz auf dem Rock musste seinem Freund im Stillen recht geben. Noch hatte das Sterben vermutlich kein Ende – und es war nur eine Frage der Zeit, bis die Reihe an ihnen war.

Im Tal der Wupper, Herbst 1212

„Starr nicht ständig in den Lichtertanz, das bekommt den Augen nicht. Wenn sie kommen, wird uns das schon nicht entgehen!“ Sein Vater hatte recht, das gleißende Licht schmerzte in der Tat in den Augen. Seit Stunden schon spähte Thomas von seinem Ausguck auf einem schmalen Fels im Flussbett aus angestrengt in die sich stetig kräuselnden Wellen der Wup-per. Nun ließ der schräge Einfall der Sonne, die soeben über die Baum-wipfel des südöstlichen Ufers kletterte, tausend Blitze auf den Schaum-

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kronen des reißenden Flusses tanzen. In seiner Fantasie wurde das Licht von den Schuppen und Flossen unzähliger Fische zurückgeworfen, einem Heer glitzernder Lachse, die sich endlich den Weg flussaufwärts bahnten. Seinem Vater tat er hingegen mit Bedacht nur eine Kurzfassung seiner Ge-danken kund. „Der Fluss brodelt, wie von einem riesigen Schwarm“, brüllte er über das Tosen der Strömung hinweg, handelte sich jedoch selbst dafür einen nicht unerwarteten Tadel ein. „Du bist ein Träumer!“, rief sein Vater zurück, wobei er sich bemühte, betont ernst zu klingen, „sieh zu, dass du nicht in die Fluten fällst, so wie du da auf dem wackeligen Stein hockst!“ Thomas lachte und sein Vater musste im Stillen zugeben, dass auch ihm ähnliche Gedanken gekommen waren. Aber romantische Gefühle pflegte Ulrich Grimbergen stets mit rauen Kommentaren zu ersticken. Trotz sei-ner schroffen Warnung beäugte er jedoch selbst hoffnungsvoll jede Bewe-gung auf der Wasseroberfläche, wobei er auf seiner Uferseite knietief ins Wasser gewatet war. Trugbilder, zu schön, um wahr zu sein, rief sich der Fischer in Erinnerung. Seit Tagen warteten sie bereits vergeblich auf die Rückkehr der Wanderfische und auf einen guten Fang.

Der Herbst des Jahres 1212 drohte einmal mehr, nicht die erhoffte Ern-te zu bringen. Schon seit vier Jahren bescherten verregnete Sommer und ständige Unruhen den Bauern nur Missernten. Hungersnöte herrschten im Land zwischen Rhein, Ruhr, Wupper und Sülz, das nach seinem Herrscher-haus benannt war, den Grafen „von Berg“ bzw. lateinisch „de Monte“.

Der regierende Graf Adolf war ein guter Herrscher, weilte aber häufig nicht im Land, sondern auf irgendwelchen Feldzügen oder am Königshof. Mit seinem Bruder Engelbert befand er sich gerade weit in Europas Süden auf einem Kreuzzug gegen die abtrünnige Christensekte der Albigenser.

Thomas’ Vater interessierte sich wie jeder einfache Mann nicht sonder-lich für Politik und derlei Geschehnisse, solange keine Raubritter die hei-matlichen Gefilde verheerten. Er hatte hungrige Mäuler zu stopfen und war es gewohnt, dafür allein sorgen zu müssen. Mit seinen vierzehn Jah-ren war sein Sohn gottlob alt genug, ihm zur Hand zu gehen. Aber von hohen Herren war keine Hilfe zu erwarten, so viel stand für ihn fest. Aus der Not heraus war Ulrich vor Jahren auf die Idee gekommen, die ma-gere Feldwirtschaft mit Fischfang aufzubessern, zuerst zeitweilig, dann vollends. Dadurch hatte sich vieles verändert. Die Wupper, die Lebens-ader des Landes, führte Bachforellen, Barben, Aale und Krebse und zu be-stimmten Zeiten auch Lachse. Damit hatte Ulrich seine Familie schon im ersten Jahr gut über den Winter gebracht. Für Thomas hatte sich gar eine

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neue Welt aufgetan, die ihm wesentlich besser gefiel als die Feldarbeit, der er nie viel hatte abgewinnen können. Mit Netz, Angel, Reuse und Speer auf Fischfang zu gehen war doch etwas anderes, als in der lehmigen Erde herumzuwühlen. Allein dafür war er seinem Vater unendlich dankbar. Mehr noch bewunderte er ihn für dessen scharfen Verstand.

„Wie bist du eigentlich darauf gekommen, uns zu Fischern zu machen?“, hatte der Junge seinen Vater einmal gefragt, während sie ihr Netz in einer Flussbiegung auslegten. „Nun, die Heiligen haben mich darauf gebracht“, hatte der mit einem Augenzwinkern geantwortet. Darauf musste Thomas ein selten verständnisloses Gesicht gemacht haben, schließlich hatte er sei-nen Vater bislang nicht gerade als besonders frommen Mann erlebt. So hat-te sich Ulrich lachend genötigt gesehen, seinem Sohn Erleuchtung zu ver-schaffen. „Ich gebe zu, es waren nicht die frommen Botschaften“, hatte er ihn verschmitzt wissen lassen, „sondern vielmehr die strengen Regeln der Kirche für die Fastenzeit, die mich in Petrus’ Fußstapfen treten ließen …“

Fisch galt jahrhundertelang als Arme-Leute-Essen und diente lediglich als Fastenmahlzeit. Diesbezüglich war der Bedarf deutlich gestiegen, seit der christliche Glaube seine Fühler auch in die entlegenen Täler und Wäl-der ausdehnte. Überall entstanden neue Kirchen und Klöster, die unter-schiedlichen Heiligen gewidmet wurden. Mit den Klöstern und den zu häufigem Fasten angehaltenen Brüdern hatte der Fisch seinen Siegeszug auf die Speisetafeln angetreten. Deshalb war Ulrich Fischer geworden. Vor drei Jahren hatte er beim Grafen das Fischereirecht an einem Fluss-abschnitt der Wupper erwirkt. Dafür musste er den zehnten Teil seiner Einkünfte in Naturalien abliefern. Seine Fischereirechte bezogen sich auf einen flussabwärts gelegenen Abschnitt der Wupper und reichten bis zu den Stromschnellen, nahe denen ein Schwertschleifer aus Solengen ein hölzernes Räderwerk errichtet hatte, das nun seinen Schleifstein antrieb. In unmittelbarer Nähe der dunklen, mit Farnen, Sträuchern und allerlei Blattwerk überwucherten Ufer hatte Ulrich Aalkörbe aufgestellt, denn Aale, frisch oder geräuchert, gehörten zu den beliebtesten Fischsorten. Außerdem wimmelte es hier von Forellen.

Das Handwerk hatte sich schnell als so einträglich erwiesen, dass ande-re Männer bald Ulrichs Beispiel gefolgt waren. Am Fuße des Felsens, auf dem weithin sichtbar die Burg Neuenberge, der Amtssitz der Grafen von Berg, thronte und wo die Wupper seit alters her im rechten Winkel ihren Lauf ändert, war das bislang unbedeutende Handwerker- und Fischerdorf deutlich gewachsen.

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Mit den Fängen konnten in guten Jahren nicht nur der Hof des Gra-fen und die nähere Umgebung versorgt werden, sondern es war auch ein lebhafter Handel mit der Stadt Köln entstanden. Der Fluss war zugleich die Transportader. Um seine Fänge wie auch zuweilen aus Köln über den Fluss angelieferte Waren den Berg hinauf zur Burg bringen zu können, hatte sich Ulrich Grimbergen einen zweirädrigen Karren zugelegt, war also im Zweitberuf auch noch Fuhrmann geworden. Damit konnte er sei-ne Familie nun schon einige Jahre mehr als leidlich ernähren.

In den letzten Wochen hatten sie allerdings wenig Glück mit ihren Fän-gen gehabt. Dies würde sich jedoch bald ändern, hoffte Ulrich. Jetzt im Herbst erwartete er die rückkehrenden Lachse. Nahe den Stromschnellen hatten sein Sohn und er mit Netzen den Weg der Wanderfische abgesperrt und nur einen kleinen Durchgang gelassen, um die zu ihren Laichgrün-den im Oberlauf zurückkehrenden Lachse gezielt abfischen zu können. Doch bislang warteten sie vergebens.

Karl der Quade zog ächzend sein bestes Stück aus der rothaarigen Hure, die er sich von seinem letzten halben Pfennig geleistet hatte.

Wie Brot und Wein waren auch die Liebesdienste in der großen Stadt am Rhein teuer geworden. Eigentlich war er es nicht gewohnt, für Weiber zu bezahlen. Üblicherweise reichte ein anderes, schärferes Stück Metall, um sie gefügig zu machen. Damit kannte er sich aus. Aber in den engen Gassen Kölns musste man vorsichtig sein, da konnte man schneller am Galgen enden, als es einem lieb war. Die Stadtwache verstand diesbezüg-lich keinen Spaß. Obendrein lief man derzeit Gefahr, nicht mal eine letzte Beichte und Absolution zu bekommen, da der Papst aufgrund des steten Streits der rivalisierenden Bischöfe das Interdikt über die Stadt verhängt hatte. Damit fehlte selbst Trauungen und Beerdigungen jeglicher kirch-liche Segen. Aber Karl der Quade plante für sich weder das eine noch das andere. Es wurde Zeit, dass er sein gewohntes Leben wieder aufnahm. Zu lange schon mangelte es ihm nicht nur an Frauen, sondern auch an einer gut gefüllten Börse, seit seine Raubzüge seltener geworden waren. Seine Auftraggeber hielten sich seit Monaten bedeckt. Aber das würde sich bald ändern, wie die kurze Botschaft verhieß, die er am Abend zu-vor bekommen hatte. Nachdenklich kratzte er seinen kahlen Schädel, ließ einen beachtlichen Furz, schlug die fleckigen Laken zur Seite und stand von dem klammen Lager auf, das er mit der Hure im Hinterzimmer einer

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einschlägigen Schänke geteilt hatte. Dabei warf er einen kurzen Blick auf sein Gemächt, das er dazu prüfend in der Hand wiegte. Zu seinem Unmut stellte er fest, dass dieses rot von Blut war. Irgendwie endeten fast alle seine Handlungen in Bluttaten, schoss es ihm durch den Kopf. „Mach dir nichts draus“, krächzte die Dirne, die sich nun ebenfalls aufgerichtet und seinen aufkeimenden Zorn mitbekommen hatte, „wenigstens kannst du sicher sein, dass du mich nicht geschwängert hast.“ Dabei lachte sie eine Spur zu laut und zu dümmlich. Krachend schlug er ihr den Handrücken ins Ge-sicht, wobei ihr Kopf nach hinten flog und hart gegen das feuchte Mauer-werk prallte. Augenblicklich zeichnete sich ein noch dunklerer Fleck auf dem ohnehin schon düsteren Gestein ab, der sich schnell nach unten ver-größerte. Irgendwie endete bei ihm alles in einer Bluttat. Karl der Quade schlüpfte fluchend in seine Beinkleider und verschwand.

Wie ein zäher Lindwurm wand sich der Tross der bergischen Ritter auf der alten Heerstraße über die Höhen des Bergischen Landes. Den etwa zwanzig Reitern in ihren farbenprächtigen Wappenröcken auf ihren schweren, mit bunten Schabracken geschmückten Pferden folgten drei Dutzend Fußsoldaten und zwei schwerfällige Karren mit den Waffen und Verwundeten. Krähen und Bussarde kreisten über ihnen, in der Hoff-nung, aufgescheuchte oder von Hufen und Rädern zermalmte Nagetiere erbeuten zu können. Langsam, viel zu langsam nach dem Geschmack des Grafen Adolf, kam der Zug voran. Offiziell war er der dritte Landesherr mit Namen Adolf, andere nannten ihn den VI., aufgrund der Fülle von Vorfahren gleichen Namens wusste dies jedoch niemand so genau zu sa-gen. Äußerlich wie innerlich eine geborene Führernatur, mit dunkelblon-dem Haar und ebensolchem Bart, der nach den Wochen im Feld noch länger war als sonst, ritt er wie immer an der Spitze, direkt neben seinem hoch aufgeschossenen, charismatischen Bruder Engelbert.

Aus dem Süden des Frankenreiches kommend, hatten sie einige Zeit in Köln verbracht, wo sein Bruder als Propst die äußeren Angelegenheiten sowohl des Domkapitels als auch des Stiftes St. Severin leitete. Und in Köln hatte sie beunruhigende Kunde erreicht. Das ganze Land war in Aufruhr. Überall trieben Raubritter ihr Unwesen. Ein Kreuzzug der Kinder war von Köln aus nach Süden aufgebrochen. Wichtiger noch: Der Thronstreit

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zwischen den Welfen und den Staufern war in eine neue Runde getreten. Gleich zwei Könige erhoben Anspruch auf die deutsche Krone: Otto IV.,

der amtierende, aber beim Papst in Ungnade gefallene Kaiser aus dem Hause der Welfen, und Friedrich II., der gerade einmal siebzehnjährige Herrscher von Sizilien, Enkel des berühmten Kaisers Barbarossa aus dem Haus der Staufer. Unterstützt von Papst, Kirche und seiner weitläufigen Sippe hatte Friedrich nun deutschen Boden betreten und befand sich auf einem Siegeszug durch das obere Rheintal, wobei immer mehr Fürsten zu ihm überliefen. Derweil befand sich Otto auf dem Rückzug nach Köln. Die Domstadt hielt dem Kaiser die Treue, weil Otto ein Verwandter des englischen Königshauses war, mit dem Köln einen schwungvollen Handel betrieb. Diese Veränderungen beschäftigten Adolf, als er nun sein Pferd näher an das seines Bruders lenkte.

„Es gefällt mir nicht, was sich da zusammenbraut“, sagte er in gedämpf-tem Ton zu Engelbert, damit nicht gleich jeder in ihrer Nähe seine Gedan-ken mitbekam. „Wir werden uns früher oder später entscheiden müssen, auf welcher Seite wir stehen. Und das wird von entscheidender Bedeutung für unser ganzes Land sein.“

Der Jüngere der beiden Brüder nickte betont beiläufig, verriet äußerlich aber mit keiner Miene, was er dachte. Sein schwarzes Gewand, das ihn als Kirchenmann auswies, unterstrich seinen ernsten Gesichtsausdruck, passte ansonsten aber wenig zur schillernden, für die Zeit außerordentlich groß gewachsenen Gestalt Engelberts mit dem säuberlich nach neuester Mode geschnittenen Blondhaar und der schweren Goldkette um seine Brust. Als Zweitgeborenen hatte man ihn früh für eine kirchliche Lauf-bahn ausersehen, während der ältere Adolf ihrem Vater in der weltlichen Macht nachgefolgt war.

„Auf welcher Seite wir letztlich stehen, ist wohl kaum die Frage. Oder willst du einem sinkenden Stern die ungeliebte Treue halten?“, antwortete Engelbert mit einer Gegenfrage.

„Wohl kaum“, schüttelte Adolf den Kopf. „Nur sollten wir diesmal unse-re Schritte besonders vorsichtig erwägen, denn Freund und Feind sind schwer zu unterscheiden.“

Zehn Jahre schon währte der Thronstreit zwischen den Welfen und Stau-fern, wobei mal die eine, mal die andere Seite die Oberhand zu gewinnen schien. Anfangs aufseiten des Kaisers stehend, hatte Adolf schließlich Par-tei für die Staufer ergriffen, sich dann aber doch Kaiser Otto unterwerfen müssen. Nun drohte sich das Szenario zu wiederholen.

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„Es wird die Kunst sein, am Ende auf der richtigen Seite zu stehen, ohne bis dahin zu viele Federn zu lassen. Wir sollten zusehen, dass der Konflikt nicht auf unseren Feldern ausgetragen wird“, fügte Adolf hinzu.

„Nun, zumindest vor unseren Toren ist er schon angekommen. So wird das Land um eine Fehde wohl nicht herumkommen“, überlegte Engelbert, „aber es wird Friedrich sein, der sich durchsetzt, dessen bin ich sicher. Vorerst wird es jedoch Geduld und Fingerspitzengefühl erfordern, nicht zwischen die Fronten zu geraten.“

Engelbert machte eine Pause, um mit einem schnellen Seitenblick im Gesicht des Bruders zu lesen. Adolf nickte gedankenverloren. „Köln ist welfentreu, der Klerus wird sich jedoch dem Wunsch des Papstes beugen müssen, der, wie es scheint, nun seine Wahl zugunsten des Staufers getrof-fen hat“, fuhr der Dompropst fort. „Und dem Papst werde ich mich nicht noch einmal entgegenstellen, zumindest nicht in der jetzigen Position als Dompfaff.“

Engelberts Karriere hatte steil begonnen. Schon mit zwölf Jahren war er Propst zu St. Georg in Köln geworden, ein Jahr später Dompropst. Somit oblagen ihm die äußeren Angelegenheiten der Domverwaltung. Schon mehrmals hatten es Mitglieder seiner Familie gar bis zum Erzbischof von Köln gebracht. Zuletzt hatte der streitbare Adolf von Altena, ein westfäli-scher Vetter der Brüder, dieses Amt bekleidet, sich dann aber durch sein Bekenntnis zu den Staufern mit Papst und Kaiser angelegt. Engelbert hatte seinen älteren Vetter tatkräftig unterstützt und dafür sogar die Domkas-se geplündert. Gemeinsam waren sie gegen rheinische Widersacher zu Felde gezogen. Dafür hatte der Papst sie gebannt, exkommuniziert und abgesetzt, später aber begnadigt. Zur Buße hatte Engelbert 60 Tage lang am Kreuzzug gegen die Ketzer in Südfrankreich teilnehmen müssen. Er hatte sich also die Finger verbrannt und hinsichtlich seiner Karriere einen Dämpfer bekommen, von dem er sich gerade erholte.

„Eben darum sollten wir so lange wie möglich den Anschein des Un-parteiischen erwecken“, gab Adolf zu bedenken. „Das wird unserem Vetter Adolf aber gar nicht gefallen“, entgegnete Engelbert mit zyni-schem Lächeln. „Er drängt mit buchstäblich aller Gewalt zurück auf den Stuhl des Erzbischofs von Köln. Dafür ist ihm jedes Mittel recht, wie ich ihn kenne.“

Der jahrzehntelange Thronstreit spiegelte sich im Kölner Raum im Kampf um die Position des Erzbischofs, die Engelberts Vetter nicht kampflos auf-geben wollte. Nun hatte der Papst die Seite gewechselt, den kaisertreuen

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Erzbischof gleich mit entthront und Adolf von Altena zumindest kom-missarisch wieder die Geschäfte des Erzstiftes übertragen. Der sah sich im Geiste schon wieder als Erzbischof eingesetzt, wovon allerdings nicht die Rede war. Also ließen beide Seiten die Waffen sprechen und überfie-len Güter der jeweils anderen Partei. Das führte zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen im Kölner Raum.

„Und damit hat unser einst mächtiger Vetter schon genug angerichtet. Wir werden ihn bei unserem Treffen bremsen müssen. Die Raubritterma-nieren dürfen wir ihm nicht durchgehen lassen“, bestimmte der Graf mit Entschlossenheit in seinen tiefgrünen Augen.

„Er wird sein Ansinnen ohnehin nicht erreichen“, ließ Engelbert verneh-men. „Erzbischof Dietrich von Hengebach ist zwar offiziell vom Papst ab-gesetzt, wird seinen Stuhl aber nicht freiwillig räumen. Wie ich höre, will er einen Prozess in Rom anstrengen. Das kann Jahre dauern. Bis dahin kann er, wie auch Noch-König Otto, der Unterstützung der Kölner sicher sein. Schlechte Karten also für unseren Vetter.“

„Ganz zu schweigen von deinen eigenen Ambitionen auf den Erzstuhl, nicht wahr, Bruder?“, fügte Adolf hinzu. Engelbert lächelte.

„Wir werden also die eine Seite stützen, ohne die andere gänzlich zu ver-prellen – um damit deine Position in Köln nicht unnötig zu schwächen“, beschloss Adolf. „Dann sollten wir dies dem lieben Vetter so schmackhaft wie möglich machen.“

Bei diesen Worten wendete er sein Pferd und hieß den Tross halten. Mit knappen Befehlen betraute er einen Gefolgsmann mit der Führung des Zuges zur heimischen Burg. Er selbst würde mit seinem Bruder zu einem benachbarten Hof reiten, um dort nach dem Rechten zu sehen, gab er vor. Nur zwei Reisige aus Engelberts Kölner Gefolge und Arnold von Cleve, Adolfs treuester Waffengefährte, sollten sie begleiten. Dieser hatte sich während des Gesprächs der beiden Brüder im Hintergrund gehalten und warf dem Freund nun einen fragenden Blick zu. Mit einem Nicken bedeutete ihm der Graf, dass die Brüder einer Meinung waren. In diesem Moment eilten Adolfs Knappen heran, allen voran ein heißsporniger Rot-schopf, die es gewohnt waren, an seiner Seite zu bleiben, und die sich von dem Abstecher eine willkommene Abwechslung versprachen. Doch auch die hieß der Graf, beim Tross zu bleiben. Augenblicke später sprengten die fünf Reiter davon. Entschlossen gaben sie ihren Pferden die Sporen und jagten im Galopp über die Felder, immer nach Norden, dem Tal der Wupper zu.