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Die Aufnahme entstand zwei Tage nach dem Mauerfall, am 11. November 1989, am Potsdamer Platz: Vor 30 Jahren bekam die Mauer in Berlin, die den Osten vom Westen trennte, Risse. Damit war die Tür geöffnet für die Wiedervereinigung knapp ein Jahr später. Foto: Christoph Irion proKOMPAKT pro-medienmagazin.de proKOMPAKT 40 19 1

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Die Aufnahme entstand zwei Tage nach dem Mauerfall, am 11. November 1989, am Potsdamer Platz: Vor 30 Jahren bekam die Mauer in Berlin, die den Osten vom Westen trennte, Risse. Damit war die Tür geöffnet für die Wiedervereinigung knapp ein Jahr später.Foto: Christoph Irion

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Zum 29. Mal haben wir in dieser Woche den Tag der Deutschen Einheit gefeiert. Fast drei Dekaden zuvor: Zugegeben, ich weiß nur aus Erzählungen, dass meine

Eltern Jahr für Jahr mit Anspannung bis zum letzten Moment auf den erlösenden Anruf gewartet haben. Dann kam das Einverständnis: Ja, wir dürfen reisen und unsere Freunde in Halle an der Saale besuchen. Dort ist die Partnergemeinde unserer mittelhessischen Kirchengemeinde – über die Jahre waren intensive Freundschaften gewachsen.

Wir konnten die gepackten Koffer also tatsächlich in unser Auto einladen. Die Reise konnte losgehen. Was uns erwartete, stand in den Sternen. Wir mussten lange am Grenzübergang in Herleshausen warten. Gut, dass wir vorher am Rastplatz einen Pause eingelegt hatten, um die Geduldsprobe zu überstehen. Die Anspannung stieg: Welche Laune würde der Grenzpolizist haben, der uns heute filzte? Bei einem früheren Besuch im Osten hatte meine Mutter erst einmal eine Lektion erhalten, weil ich vor der Grenze eingeschlafen war. Er warf ihr vor, dass sie mich nicht richtig auf den Grenzübergang vorbereitet hatte. Wie würde der Grenzübertritt dieses Mal ablaufen? In einigen Jahren ging es relativ „problemlos“, mal musste unser Vater das ganze Auto ausräumen und den Geldbeutel bis auf den letzten Pfennig entleeren. Meistens aus reiner Schikane.

Nachdem wir die Grenze passiert hatten, wurden wir gezwungen, West-Devisen umzutauschen. Wir mussten überlegen, wofür wir die Ost-Mark ausgeben wollten. Das Angebot war rar. Wir hatten ja (fast) alles. Die kommenden Tage erlebte ich unbeschwert. Ich kann mich erinnern, dass wir für ein Fußball-Spiel in der höchsten DDR-Liga 50 Pfennig zahlen mussten und mein älterer Bruder im Restaurant, am natürlich zugewiesenen Platz, die Werbemelodie einer West-Marke anstimmte, bis meine Mutter ihm möglichst schnell Einhalt gebot. Auch, wenn wir wieder zurück im Westen waren, haben meine Eltern sich bemüht, die Partnerschaft zu leben. Das war gar nicht so einfach. Unsere Freunde waren in der Evangelischen Kirche

Liebe Leserin, lieber Leser!aktiv. Deswegen schwang bei jedem Telefonat, falls es zustande kam, der Gedanke mit, ob auch der Feind mithörte.

Ich finde es wichtig, diese Erlebnisse und Erinnerungen wachzuhalten. Spaltungen und Trennungen bringen keinem etwas. Die Zeit hat Menschen 30 Jahre nach dem Mauerfall zu ihren Eindrücken gefragt. 41 Prozent von ihnen finden, dass aktuell die Möglichkeit, die eigene Meinung frei zu äußern, schlechter geworden ist oder sich kaum verändert hat. 58 Prozent sehen dies sogar für den Schutz vor staatlicher Willkür so. Ein Alarmsignal!

Die Deutsche Einheit ist für mich das größte Ereignis der jüngsten Geschichte. Vielleicht sollten wir den Jahrestag zum Anlass nehmen, um Gräben zwischen Ost und West zuzuschütten. Die Mauer als Bauwerk ist beseitigt. In unseren Köpfen existieren nicht nur geographische Trennungen. Die Wiedervereinigung hat Arbeitsplätze und Gewissheiten gekostet, aber Zusammenwachsen braucht auch Zeit. Wir können dabei mithelfen, das Zusammenwachsen zu gestalten, indem wir die Sorgen und Nöte der Menschen anhören, sie ernst nehmen und miteinander reden. Das hilft nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch in unseren Gemeinden, am Arbeitsplatz und im Verein. Ich bin froh, dass ich bei meinem letzten Ausflug für die Strecke zwischen Wommen und Herleshausen 18 Minuten und nicht vier Stunden und 18 Minuten brauchte.Ihre pro-Redaktion

Johannes Blöcher-Weil

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Zitate„Ich habe da eine These, die Sie vielleicht für gewagt, ja für maßlos halten: Greta Thunberg ist eine Prophetin im Sinne der jüdisch-christlichen Bibel. Sie erfüllt alle Merkmale der Prophetengestalten im Alten Testament. Das hat sich auch am Klima gipfel der UNO in New York deutlich gezeigt.“Josef Hochstrasser in der Basler Zeitung. Der Theologe war römisch-katholischer Priester; nach der Heirat wurde er reformierter Pfarrer.

„Ich wurde christlich erzogen und versuche, die christlichen Werte zu leben. Mal gelingt es, mal weniger. Andere gehen zum Psychologen oder zum Mentaltrainer, ich finde meine Ruhe im Glauben. In der heutigen Zeit ist man als Trainer eines solch großen Klubs quasi ständig unter dem Vergrößerungsglas, hat kaum ein Privatleben. Da braucht man den inneren Frieden. Ansonsten kann man das nicht schaffen. Ich spüre, wie der Glaube mir hilft. Gerade in der vergangenen Saison war er sehr wichtig für mich.“Fußballtrainer Nico Kovac auf die Frage der Welt am Sonntag: „Sie sagten mal, gerade in intensiven Lebensphasen helfe Ihnen Ihr Glaube. In den nächsten Monaten spielt Ihre Mannschaft fast in jeder Woche zweimal. Wie schaffen Sie es, mal abzuschalten? Wie kompensieren Sie all den Druck und Stress?“

„Die generelle Freigabe der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung würde nicht nur Suizide von Menschen fördern, die kurz vor dem unabwendbaren Ende den Tod in die eigene Hand nehmen wollen, sondern auch von solchen, die nicht sterbenskrank sind, sich aber als ökonomische Belastung für ihre Angehörigen und die Gesellschaft erleben. Es ist zu hoffen, dass diese Aspekte vom Bundesverfassungsgericht gesehen und gewürdigt werden.“ Martin Teising, Präsident der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin, und Reinhard Lindner, Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms für Deutschland, in einem Essay in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

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Foto: funk/Kristina Schäfer

EKD-MEDIENPREIS

Robert Geisendörfer Preis 2019 verliehen

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat den Robert Geisendörfer Preis verliehen. Sechs Fernseh- und Radioproduktionen erhielten die mit insgesamt 30.000 Euro dotierten Auszeichungen.

Foto: CDU (Gerd Seidel)

HANS-EHRENBERG-PREIS

Norbert Lammert für Verdienste um Demokratie geehrtNorbert Lammert, ehemaliger Präsident des Deutschen Bundestages, wird mit dem protestantischen Hans-Ehrenberg-Preis ausgezeichnet. Nach Ansicht der Jury prägte Lammert die politische Kultur durch Leidenschaft, Esprit und Stil.

Foto: Iris Tong

HONGKONG

Ex-Bischof: Vatikan hat Glaubensgeschwister verratenWeil der Vatikan zu den Protestbewegungen in Hongkong schweigt, erntet er nun Kritik. Der ehemalige Bischof der Stadt spricht gar von Verrat.

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SHOWMASTER

Harald Schmidt: Kirche ist Konstante in meinem LebenDer Entertainer Harald Schmidt geht zum Beten immer wieder in leere Kirchen. Seine Kindheit war religiös geprägt und seinen Bezug zur Kirche habe er niemals verloren, hat der 62-Jährige in einem aktuellen Interview erklärt.Martina Blatt

Wenn der Entertainer und Moderator Harald Schmidt beten möchte, zieht er sich gern in leere Kirchen zurück. Sein Lieblingsgebet sei das „Vater unser“,

sagte der Schauspieler in einem Interview des Mannheimer Morgen.

Schmidt erklärte, dass er eigentlich Priester werden wollte. Mit einem Handtuch über den Schultern und Oblaten in der Hand übte er sich früh im Predigen und Abendmahl austeilen. Zum Pfarrer habe es wegen der „Weiber“ nicht gereicht, erklärte er in einem früheren Interview des Domradios. Er wisse mittlerweile, dass seine Bühnenerfahrungen in der Gemeinde die Basis für seinen jetzigen Beruf waren.

„Die Kirche zerlegt sich sehr solide selbst“

Der Showmaster erlebte eine religiös geprägte Kindheit und war Messdiener. Heute wie damals besuche er regelmäßig Gottesdienste im In- und Ausland, wie etwa bei den Dreharbeiten zu „Das Traumschiff“. Den Bezug zur Kirche habe der 62-Jährige nie verloren, erklärte er weiter in dem Gespräch mit dem Mannheimer Morgen. Die Kirche sei in seinem Leben eine Konstante, auch wenn er gewisse Vorbehalte gegen die Amtskirche habe. Mit Blick auf den Missbrauchsskandal sagte er der Zeitung: „Die Kirche zerlegt sich sehr solide selbst.“ Die Bischofskonferenz gehe das Thema „desaströs“ an. Die

Harald Schmidt wurde einem großen Publikum durch seine Late-Night-Show bekannt, die er zwischen 1995 und 2014 präsentierteFoto: Theater der Künste

Gründe dafür verstehe er nicht. Die Kirche könne nicht sagen: „Wir gehören nicht zum Rechtsstaat, entschuldigen uns aber, schämen uns und singen ,Maria, meine Königin'!“ Das führe dazu, dass die Kirchen leer seien.

Predigt-Dialog mit Jesuitenpater

Gerne würde Schmidt einmal den emeritierten Papst Benedikt XVI. treffen: „Ich würde ihn einfach reden lassen. Was er liest, wie er seinen Tag verbringt, was er schreibt – das würde mich echt mal interessieren.“

Schmidt kommt am Sonntag in die Mannheimer Jesuitenkirche und tritt dort mit dem Jesuitenpater Werner Holter in einen Predigtdialog. Dort werden sie über Gott und die Welt plaudern, das teilte die Katholische Kirche in Mannheim laut SWR mit. Damit wollen sie eine Marketing-Strategie für die Kirche entwerfen. Zudem ist geplant, dass der Entertainer am 26. Oktober im Speyerer Dom im Orgel-Zyklus des tschechischen Komponisten Petr Eben Texte aus dem biblischen Buch Hiob liest.

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INTERRELIGIÖSES TREFFEN

„Habe ihm einen christlichen Segen beigebracht“Der CDU-Bundestagsabgeordnete und evangelische Christ Frank Heinrich hat den Dalai Lama getroffen. Im Gespräch ging es um den gemeinsamen Kampf von Tibetern und Christen für Religionsfreiheit, Bibelkunde und Gottes Segen. Ein pro-Interview mit Frank Heinrich. Die Fragen stellte Anna Lutz

pro: Herr Heinrich, vor einigen Tagen konnten Sie den Dalai Lama zum Gespräch treffen. Wie kam es dazu?Frank Heinrich: Wir widmen uns als Menschenrechtsausschuss und Bundestagsfraktion seit einem halben Jahr dem Thema Religionsfreiheit in China. Wir beschäftigen uns thematisch mit den Christen im Land, aber auch mit anderen religiösen Minderheiten wie den Uiguren oder den Tibetern, die ja keine

Autonomie genießen. Normalerweise besuchen wir auch die entsprechenden Länder, aber China hat uns die Einreise verweigert. Deshalb haben wir das Nachbarland Indien besucht, haben dort Abgeordnete und chinesische Dissidenten getroffen und politische Gespräche geführt. In Indien lebt auch der Dalai Lama im Exil – und eines Morgens während unserer Reise kontaktierte er uns und bat um ein Treffen zum

Der Bundestagsabgeordnete und Christ Frank Heinrich hat sich eine Stunde lang mit dem religiösen Oberhaupt der tibetischen Buddhisten, dem Dalai Lama, ausgetauscht – auch über den christlichen GlaubenFoto: Presse Frank Heinrich

Austausch. Er hatte wohl aus der Zeitung erfahren, dass wir im Land sind.

Der Dalai Lama fordert mehr Autonomie für Tibet von der chinesischen Zentralregierung. Auch viele Christen leiden unter dem Regime in Peking. Kämpfen Buddhisten und Christen einen gemeinsamen Kampf?Der Dalai Lama hat sich in unserem Gespräch mit politischen Statements zurückgehalten. Er machte deutlich, dass er keine Unabhängigkeit für Tibet fordert, wohl aber mehr Freiheit innerhalb des Landes. Er selbst sieht sich eher als praktizierender tibetanischer Buddhist innerhalb Indiens und setzt sich dort für die Freiheit der Religionen ein – und zwar aller Religionen: Christen, Muslime oder Sikh sollen seiner Meinung nach die Freiheit haben, ihren Glauben zu leben, egal ob in China, Indien oder Tibet.

Sie selbst sind Christ – haben bei dem Gespräch Glaubensdifferenzen eine Rolle gespielt oder konnten Sie Gemeinsamkeiten entdecken?Ich schätze Begegnungen mit Andersglaubenden. Gerade auch den kritischen Dialog. Ich habe mich darüber gefreut, dass wir uns über unsere Sichtweisen auf die Welt austauschen konnten. Der Dalai Lama hat mir Dinge mit auf den Weg gegeben und ich ihm. So kritisierte der Dalai Lama etwa, dass die christliche Religion zu sehr auf das Jenseits ausgerichtet sei und sich deshalb nicht so sehr für den Umweltschutz engagiere, etwa bei „Fridays for Future“. Ich widersprach ihm und erklärte anhand der Bibel, warum auch Christen die Schöpfung bewahren sollen. Andersherum habe ich ihm deutlich gemacht, dass ich und auch der Menschenrechtsausschuss jenseits aller Glaubensunterschiede die Haltung vertreten, dass Religionsfreiheit das gemeinsame höhere Ziel ist, das wir verfolgen. Am Ende des Gesprächs habe ich ihm einen internationalen christlichen Segen beigebracht: „Ich grüße Dich im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen

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SPD

Lauterbach fordert ProstitutionsverbotDer Anwärter auf den SPD-Vorsitz, Karl Lauterbach, hat ein Verbot von Prostitution in Deutschland gefordert. Man könne nicht Frauenrechte fordern und gleichzeitig Zwangsprositution gesetzlich ermöglichen, sagte Lauterbach dem Kölner Stadt-Anzeiger. Genau das geschehe aber derzeit.Anna Lutz

Der SPD-Politiker Karl Lauterbach fordert ein Verbot von Prostitution in Deutschland nach Vorbild des nordischen Modells. „Prostitution trägt in Deutschland

Züge einer modernen Form von Versklavung“, sagte Lauterbach dem Kölner Stadt-Anzeiger. Derzeit bewirbt er sich gemeinsam mit Nina Scheer um den Parteivorsitz. Weiter zitiert ihn die Zeitung: „Wir können nicht einerseits Frauenrechte einfordern und andererseits Zwangsprostitution per Gesetz legalisieren. Das geschieht aktuell aber.

Deshalb spricht Lauterbach nun davon, Freier zu bestrafen, die Prostituierte aufsuchen. Die Prostituierten selbst sollen keine Konsequenzen fürchten müssen. Lauterbach will einen Vorstoß für ein entsprechendes Gesetz in den Bundestag einbringen. Eine solche Regelung könnte dem nordischen Modell ähneln. Dabei ist der Sexkauf an sich strafbar, nicht aber das Anbieten solcher Dienstleistungen. In mehreren Ländern Europas gibt es bereits ähnliche Regelungen.

Anfang September hatte die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag ebenfalls angekündigt, ein Sexkaufverbot zu unterstützen. Bereits vor der parlamentarischen Sommerpause hatten die Bundestagsabgeordneten Leni Breymaier (SPD)

und Frank Heinrich (CDU) einen fraktionsübergreifenden Parlamentskreis mit dem Namen „Prostitution – wohin?" gegründet, der nun seine Arbeit aufnehmen soll. Für eine erste Sitzung Mitte Oktober haben sich laut Heinrich Abgeordnete aller Fraktionen angemeldet.

Seit dem Jahr 2001 können Prostituierte Teil des Arbeitslosenversicherungs-, Gesundheits- und Rentensystem werden und ihren Lohn einklagen. Das entsprechende Gesetz, das unter der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder verabschiedet wurde, gilt als offizielle Legalisierung der Prostitution in Deutschland. Im Jahr 2017 trat das Prostituiertenschutzgesetz in Kraft, nach dem sich Prostituierte staatlich registrieren lassen müssen.

Der SPD-Politiker Karl Lauterbach befürwortet ein Sexkauf-Verbot und findet damit Unterstützer auch bei der UnionFoto: Deutscher Bundestag/Achim Melde

Foto: Exzellenzcluster „Religion und Politik“ / Julia Holtkötter, Brigitte Heeke

UNI MÜNSTER

Studie geplant: Wie Familien Glauben weitergebenFamilien spielen bei der Weitergabe des Glaubens eine wichtige Rolle. Münsteraner Forscher wollen dies in einer neuen Studie untersuchen. Familien können sich an den Interviews dazu beteiligen.

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HEINER BIELEFELDT

„Recht auf Religionsfreiheit gibt starke Rückendeckung“Immer mehr Universitäten in Deutschland beschränken die Rechte religiöser Hochschulgruppen. Anlässlich des 70-jährigen Bestehens der Studentenmission in Deutschland (SMD) sprach ein ausgewiesener Experte für Menschenrechte über Religionsfreiheit an Hochschulen, der Erlanger Professor Heiner Bielefeldt, Inhaber des Lehrstuhls für Menschenrechte und Menschenrechtspolitik. Den Veranstaltern stand er im Anschluss detailliert Rede und Antwort.

SMD: Herr Bielefeldt, Sie sprechen von einer gewachsenen Skepsis gegenüber der Religionsfreiheit, auch in Deutschland. Woran machen Sie das fest?Heiner Bielefeldt: Vor einigen Jahren wurde in Deutschland heftig über die religiöse Knabenbeschneidung debattiert. In Interviews wurde ich gelegentlich gefragt, ob die Menschenrechte oder die Religionsfreiheit höher stehen. Die Fragen waren ernst gemeint. Das Problem besteht nicht darin, dass die Interviewer nicht wüssten, dass die Religionsfreiheit in einschlägigen internationalen Menschenrechtsdokumenten und im Grundrechtsabschnitt des Grundgesetzes verankert sind. Es geht nicht um fehlendes Wissen, sondern um mangelndes Verständnis. Manchmal hatte ich den Eindruck, dass dahinter eine Zweiteilung steht. Die Menschenrechte werden, übrigens völlig zu Recht, dem Erbe liberaler Aufklärung zugeschlagen, die Religionsfreiheit aber eher mit Klientelismus, Unfreiheit oder gar Gegenaufklärung assoziiert. Das ist natürlich ein krasses Missverständnis. Ohne Religionsfreiheit und die Einsicht, dass Menschen als Träger existenzieller Überzeugungen Respekt verdienen, ergeben die Menschenrechte wenig Sinn. Ohne diese Einsicht bliebe auch von der Aufklärung nur ein Zerrbild übrig. Aber solche verengten Vorstellungen sind anscheinend durchaus

verbreitet und sie manifestieren sich gelegentlich auch in den Universitäten.

Die einen fordern von Staat und Institutionen wie den Hochschulen den Schutz des „christlichen Abendlandes“ und die anderen „weltanschauliche Neutralität“. Wie sehen Sie das?Die Religionsfreiheit schützt nicht Religionen als solche, geschweige denn religiös-territoriale Hegemonien, sondern die Freiheit der Menschen, in Fragen von Religion und Weltanschauung ihren eigenen Weg zu finden. Der Staat hat die Aufgabe, die Religionsfreiheit aller zu gewährleisten. Dies ist schwer denkbar, wenn der Staat sich schlicht mit einer religiösen Orientierung oder einem religiösen Erbe identifiziert. Deshalb soll der Staat sich in der Tat um religiös-weltanschauliche Neutralität bemühen. Das ist leichter gesagt als getan. Er soll sich in einer pluralistischen Gesellschaft nicht auf eine Seite schlagen, sondern für unterschiedliche Anliegen und Ansprüche offen sein. Neutralität ist ein Prinzip fairer Offenheit. Nur so ergibt diese Forderung Sinn. Nicht selten verrutscht es aber ins Restriktive, wenn Administrationen, auch in der Universität, sich von vornherein gar nicht auf religiöse Anliegen einlassen.

Heiner Bielefeldt bei seinem Festvortrag anlässlich des 70. Geburtstags der Studentenmission in Deutschland (SMD) in MarburgFoto: SMD

Was bedeutet in diesem Zusammenhang die Trennung von Staat und Religion? Die Trennungssemantik ist leicht missverständlich. Sie meint jedenfalls keine völlige Beziehungslosigkeit. Eine solche wäre weder sinnvoll noch möglich. Statt von Trennung spreche ich lieber von einer bewussten Abstandsnahme. Staat und Religionsgemeinschaften rücken auseinander, weil nur in solcher Differenz der Staat einen offenen Raum für die angst- und diskriminierungsfreie Entfaltung eines religiösen und weltanschaulichen Pluralismus’ schaffen kann. Die sogenannte Trennung, wenn man das Wort unbedingt verwenden will, bildet nur die gleichsam negative Kehrseite

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PARLAMENTSWAHL

ÖVP und Grüne punkten in ÖsterreichAbgesehen von den liberalen NEOS sind es vor allem die christdemokratische ÖVP und die Grünen, die aus der Nationalratswahl in Österreich als Wahlsieger hervorgegangen sind. Die FPÖ muss nach der Ibiza-Affäre herbe Verluste hinnehmen, das Ergebnis der SPÖ reiht sich in den allgemeinen Abwärtstrend von Europas Sozialdemokraten ein. Eine Analyse von Raffael Reithofer

Ein kurzes Video im Internet hat alles verändert. Es war die sogenannte Ibiza-Affäre, die nach nur zwei Jahren zum Ende der ÖVP-FPÖ-Regierung und schließlich zur

Neuwahl des Nationalrats in Österreich geführt hat. Der von Süddeutscher Zeitung und Spiegel aufgedeckte Skandal schlägt

sich deutlich im Wahlergebnis von Sonntagabend in Österreich nieder: Die rechtspopulistische FPÖ, deren ehemaliger Parteichef vor versteckter Kamera Korruptionsfantasien geäußert hatte, hat am stärksten verloren.

Sie erzielt laut vorläufigem Endergebnis 16 anstatt wie zuvor knapp 26 Prozent. Ein wenige Tage vor der Wahl bekannt gewordener Skandal rund um mutmaßlich veruntreute Parteigelder durch Ex-Chef Heinz-Christian Strache dürfte zusätzlich Verluste gebracht haben. Jedenfalls rückt die Partei von der Anzahl der Wählerstimmen her in die Nähe der Grünen. Letzteren ist mit knapp 14 Prozent hingegen eine deutliche Rückkehr ins Parlament gelungen – nachdem sie 2017 unter anderem aufgrund einer Parteispaltung aus der Bürgervertretung geflogen waren. Auftrieb hat ihnen offenbar die Fridays-for-Future-Bewegung beschert.

Wahlsieger ist aber in erster Linie die christdemokratisch-konservative ÖVP unter Sebastian Kurz, der seine hohen Beliebtheitswerte in Österreich in ein Plus von fast 6 Prozentpunkten für seine Partei verwandeln konnte. Mit über 37 Prozent sind die Christdemokraten nun mit Abstand die stärkste Kraft im Land, was ihr bestes Wahlergebnis seit 2002 bedeutet.

Geschichte wiederholt sich

Gewissermaßen wiederholt sich hier die Geschichte, wenn auch etwas weniger krass: Auch 2002 ging eine Koalition

Sebastian Kurz ist vorraussichtlich der alte und zugleich junge und neue Kanzler ÖsterreichsFoto: Kremlin.ru

Foto: CherryX

GERICHTSURTEIL

Rechte der Nutzer werden gestärkt

Der Europäische Gerichtshof stärkt die Rechte von Menschen, die im Internet Opfer von rechtswidrigen Beleidigungen oder Hasskommentaren werden. Facebook ist gar nicht begeistert. Drohen Einschränkungen der Meinungsfreiheit?

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EISENACH

Sonderausstellung zum „Entjudungsinstitut“ der NazisWas machen Diktaturen mit regimefeindlichen Inhalten? Sie versuchen sie auszumerzen. Im kirchlichen Bereich machte das während der Zeit des Nationalsozialismus zum Beispiel das „Entjudungsinstitut“. Zu dessen Arbeit gibt es im Lutherhaus Eisenach eine kleine, aber sehenswerte Ausstellung. Pro hat sie besucht.Johannes Blöcher-Weil

Die Nationalsozialisten haben 1939 einen historisch bedeutsamen Ort gewählt. Auf der Wartburg hatte Martin Luther das Neue Testament ins Deutsche übersetzt. Am

Fuße der Burg in Eisenach sorgte das „Entjudungsinstitut“ dafür, ab 1939 alles Jüdische aus Gesangbüchern, Bibeln und dem kirchlichen Leben zu streichen. Im Lutherhaus Eisenach beleuchtet eine Sonderausstellung die Geschichte der

Entstehung, Arbeit und Wirkung der Einrichtung genauer.Die Gründer stellten sich bewusst in die vermeintliche

Tradition Luthers. Sie vereinnahmten dessen antijüdische Aussagen für ihre Arbeit. Eine der treibenden Kräfte für die Gründung war der Jenaer Theologe Walter Grundmann. Das NSDAP-Mitglied forderte schon früh, dass die Kirchen „die Trennung von allem Jüdischen konsequent vollziehen

Schilder wie diese gehörten noch zu den harmloseren, was die Arbeit des Entjudungsinstituts betrafFoto: Stiftung Lutherhaus Eisenach

müssten“. Der Thüringer Superintendent Hugo Pich sandte im November 1938 an alle evangelischen Landesbischöfe die Aufforderung, das Amt zu gründen.

Fünf Mitarbeiter und 200 Partner arbeiten an der „Entjudung“

Elf deutsche Landeskirchen beteiligten sich – auch finanziell – an der Einrichtung. Am 6. Mai 1939 wurde sie mit hochrangigen Gästen eröffnet. Das Institut stellte sich in die Tradition des christlichen Antisemitismus. Jesus sei kein Jude gewesen und die Juden dem Christentum „wesensmäßig fremd“. Einige sahen Luther als „Vorläufer Hitlers“. Das Institut müsse dessen Absichten konsequent fortführen. Der Gründungsbeschluss wurde im Gesetzblatt der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) veröffentlicht und erlangte damit kirchenrechtlichen Rang.

Die Ausstellung verdeutlicht, wie veränderte Texte aussahen. In den Bibelstellen wird die jüdische Herkunft Josefs bewusst verschwiegen. Auch die Gottesdienstliturgie, Gebete, Lieder und die Theologenausbildung wurde nach „rassischen“ Kriterien überarbeitet, um das Bild eines „arischen Jesus“ zu erzeugen. Fünf Mitarbeiter und bis zu 200 Partner halfen mit ihrer Expertise das Ziel umzusetzen. Leiter des Instituts wurde Oberregierungsrat Siegfried Leffler. Grundmann gehörte zu den hauptamtlichen Mitarbeitern.

„Wirkung schwer messbar“

In der Praxis sah es so aus, dass sich der Standort in Jena um alle wissenschaftlichen Fragen kümmerte. Die Pressestelle war

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GOTT@DIGITAL

Christen wollen Digitalisierung mitgestaltenComputerinteressierte stehen in Gemeinden oft alleine da. Auf der Konferenz „Gott@Digital“ haben sich die IT-Profis vernetzt. Sie wollen bei der Digitalisierung ihre Gaben und Werte einbringen, Prozesse prägen und mitgestalten. Norbert Schäfer

Am Samstag haben sich in Darmstadt rund 130 Technik-und Computerinteressierte aus Kirchen, Freikirchen und christlichen Werken auf der Konferenz „Gott@

Digital“ vernetzt. Die Veranstaltung, die in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfand, richtet sich in erster Linie an IT-Profis, Digitalisierungs-Visionäre und Multiplikatoren, aber auch an Technikbegeisterte aus Gemeinden und christlichen Werken. Ziel der Konferenz ist, „digitale Projekte mit christlichem Fokus im deutschsprachigen Raum“ bekannt zu machen, zu initiieren und zu fördern. Die IT-Profis wollen die Digitalisierung mit christlichen Werten besetzen und für christliche Gemeinden und Unternehmen nutzbar machen.

„Viele Mitarbeiter, die digitale Innovationen in christlichen Organisationen und Gemeinden einführen, werden von den ‚Bewahrern des Bewährten‘ entmutigt und stehen oft alleine auf weiter Flur“, sagt Michael Zettl, Mitglied im Leitungsteams bei Gott@Digital und Vorstand einer IT-Unternehmensberatung. Die Konferenz sei ein idealer Ort, um sich neue Ideen zu holen und wieder Motivation zu erhalten.

„Mit Hilfe digitaler Innovationen können wir unsere raren und meist ehrenamtlichen Ressourcen besser nutzen“, erklärte Zettl auf Anfrage. Es sei schade, wenn Gemeinden oder Organisationen heute noch Spendengelder „verbrennen“, weil sie Prozesse nicht effektiver gestalten möchten oder könnten. „Die Konferenz bietet hierfür praxistaugliches Know-How“, sagte Zettl.

Michael Zettl, Mitglied im Leitungsteam bei Gott@Digital und IT-Profi, ist der Meinung, dass viele christliche Gemeinden und Organisationen Prozesse nicht effektiv genug gestalten Foto: pro/Norbert Schäfer

Digitale Fähigkeiten Gemeinden nutzbar machen

Viele Gemeinden wünschten sich einen gemeinsamen Cloud-Speicher für Protokolle der Gemeindegremien oder eine webbasierte Raumbelegungsübersicht. Oft mangele es in den Gemeinden an einfachsten Lösungen, weil schlicht das nötige Fachwissen für Lösungen fehle oder nicht erkannt werde. Mit der Konferenz sollen Gemeinden und digitale Fähigkeiten einander bekannt gemacht werden und die Expertise der IT-Profis für die Digitalisierung in den Gemeinden besser erschlossen werden.

Unternehmensberater Joachim Stängle hielt es für einen Fehler, beim Thema Digitalisierung zuerst an Technik in Form einer Homepage, Social Media oder irgendwelcher Apps zu denken. „Das sind Werkzeuge, die eingesetzt werden. Digitalisierung ist aber wesentlich mehr und heißt

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Mehr zum Thema: Digitaltechnik hilft der Einheit unter Christen

„Für technik- und computeraffine Menschen gibt es in den Gemeinden kaum Betätigungsfelder“, „IT-Profis werden in den Gemeinden oft damit betraut, den Beamer zu bedienen oder das Mischpult zu steuern“, sagt das Mitglied im Team der Konferenz-Initiatoren. In der Wirtschaft würden solche IT-Experten hingegen enorm gesucht.

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DVD-START

Undercover bei Al-Qaida: Preisgekrönter Film „Of Fathers and Sons“Selten ist ein derartiger Einblick in eine Welt möglich, der in seiner Brutalität und Authentizität erschreckt wie „Of Fathers and Sons – die Kinder des Kalifats“. Der syrische Filmemacher Talal Derki verbrachte zwei Jahre in einer Familie in Nordsyrien, in der die Kinder von klein auf für den Terrorkrieg vorbereitet werden. Der überaus sehenswerte Oscar-nominierte Film ist nun auf DVD erschienen. Eine Rezension von Jörn Schumacher

Was der Regisseur Talal Derki während seiner zweijährigen Zeit bei der Familie des Syrers Abu Osama auf Film gebannt hat, lässt dem Zuschauer

streckenweise den Atem stocken. In seinem Film „Of Fathers and Sons – die Kinder des Kalifats“ reiht der syrischstämmige

Berliner Einblicke aneinander, die er so gut wie unkommentiert lässt, und die doch Bände sprechen.

Acht Kinder hat Abu Osama, der zur dschihadistischen Al-Nusra-Front gehört, einer Abspaltung von Al-Qaida, und für ihn könnten es noch viel mehr sein, denn der Krieg für

Allah braucht Nachschub. Stolz zählt er die Namen seiner noch kleinen Jungen auf, und quasi alle tragen den Namen irgendeines Märtyrers. Die Attentäter vom 11. September 2001, nach denen er seine Söhne benannt hat, liebt Abu Osama. Er verehrt sie, und wenn er von ihnen spricht, bekommt er leuchtende Augen. „Ich liebe diese Menschen so sehr“, sagt Osama über Osama bin Laden, Mohammed Atta und die anderen Terroristen, „wenn ich diese Liebe über den Planeten verbreiten könnte, würde er zum Planeten der Liebe“.

Es ist diese Widersprüchlichkeit, diese Verknüpfung von Liebe und Hass, die im Alltag von Abu Osama beispielhaft für viele Anhänger der islamistischen Terrorgruppen wie Al-Qaida das Leben bestimmt, die den Film „Of Fathers and Sons“ so wertvoll macht. Denn für einen islamistischen Terroristen schließen sich die Liebe zu Allah, zu den eigenen Kindern und zum eigenen Land und der Hass auf die Ungläubigen nicht aus. Im Gegenteil: Je mehr Abu Osama Allah liebt, umso mehr hasst er Israel, Amerika und die „Ungläubigen“.

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Al-Nusra-Rebellenführer Abu Osama im Kreis seiner SöhneFoto: BASIS BERLIN Filmproduktion

Zwei Jahre lebte der Regisseur Talal Derki undercover bei der Al-Qaida-Familie im Norden Syriens. Abu Osama, dem Familienvater, erzählte er, er sei begeistert von Al-Qaida und wolle einen Film über einen glühenden Anhänger drehen. Nur ein Kameramann begleitete Derki, und selbst der wusste nichts von dessen wahrer Intention. Derkis Einblick in das Leben einer Terror-Familie ist für die westliche Welt Gold wert und gewann über ein Dutzend Filmpreise, darunter beim Sundance Film Festival oder beim SWR Doku Festival. Zudem

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ZUKUNFT DER KIRCHE

Journalisten sollen Marke „Evangelisch“ fördernDie evangelische Publizistik muss sich wandeln. Das hat die Professorin Johanna Haberer am Donnerstag beim Evangelischen Medientag in Berlin gefordert. Ihrer Meinung nach müssen christliche journalistische Angebote dazu beitragen, den Markenkern der Kirche zu stärken – und zwar über Denominationsgrenzen hinweg.Anna Lutz

Johanna Haberer, Professorin für christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg, erklärte beim Medientag des Evangelischen Medienverbandes in

Deutschland, die Menschen bräuchten heute nach wie vor Glaube, Gebet, Seelsorge und Gottesdienste – aber keine Institution Kirche mehr. Deshalb müssten evangelische publizistische Angebote daran mitarbeiten, den Markenkern Evangelisch zu fördern. „Evangelisch kann die Chance haben, ein eigenes Lebensgefühl entwickeln“, ist sie überzeugt. Oft komme der Protestantismus aber – auch in der evangelischen Publizistik – „sehr akademisch rüber“. Als Beispiel nannte sie das Portal evangelisch.de. „Ich kann sie nicht fühlen“, erklärte Haberer mit Blick auf die Kirche.

Deshalb erachtet sie es für wichtig, dass „alles, was evangelisch schnupft und niest“, gemeinsam an der Prägung eines Markenkerns arbeite, auch über denominationelle Grenzen hinweg. Evangelikale und freikirchliche Christen sollen ebenfalls dabei mithelfen, ein evangelisches Lebensgefühl vermitteln. Deshalb hält sie Debatten, wie etwa

die um die YouTuberin Jana Highholder, für fehl am Platz. Im Frühjahr war die Influencerin für die Evangelische Kirche in Deutschland in die Kritik geraten, weil sie in einem Video eine konservative Sicht auf das Verhältnis von Männern und Frauen vertreten hatte.

Zwischen Dystopie und Utopie

Die Tagung in Berlin stand unter dem Motto „Digital.Kirche.Sein“. Christian Sterzik, Leiter der Stabsstelle Digitalisierung der Evangelischen Kirche in Deutschland, sagte, wer sich über das Thema Digitalisierung informiere, bekomme meist

Johanna Haberer plädiert für eine von der Kirche unabhängige evangelische Publizistik – hält es aber für notwendig, dass Journalisten mithelfen, die Marke „Evangelisch“ zu prägenFoto: pro/Moritz Breckner

Foto: bene Verlag

NACH „THE VOICE OF GERMANY“

Samuel Rösch: Neue Single und neues Buch

Im vergangenen Jahr gewann Samuel Rösch die Castingshow „The Voice of Germany“ auf ProSieben und Sat.1. Nun hat er ein Buch geschrieben, in dem er auch über seinen Glauben schreibt. In einem Interview sagte Rösch: „Mein Glaube ist mein Orientierungspunkt und mein Halt im Leben.“

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LEE STROBEL

Ex-Journalist prüft WunderberichteIst es überholt, an ein göttliches Eingreifen zu glauben? Der ehemalige Gerichtsreporter Lee Strobel hat sich in seinem neuen Buch „Wunder“ auf eine Spurensuche begeben – und bietet erstaunliche Erkenntnisse. Eine Rezension von Nicolai Franz

1990 war Duane Miller Pastor der First Baptist Church in Brenham, Texas. Sein Leben änderte sich grundlegend, nachdem er sich eine Grippe eingefangen hatte. Das Virus

hatte seine Stimmbänder befallen und das Nervengewebe irreparabel beschädigt. Miller besuchte 63 Spezialisten, zusammen mit deren Teams insgesamt 200 Ärzte. Doch niemand konnte ihm helfen. Zwar war er nicht völlig verstummt, aber mehr als ein Krächzen brachte er nicht heraus – und auch nur, wenn er aus Leibeskräften zu brüllen versuchte. Er musste seinen Pastorenberuf aufgeben, dauerhaftes Predigen schien unmöglich. Als ein Kollege im April 1992 ausfiel, übernahm er trotzdem widerwillig einen Predigtdienst.

Es ging ausgerechnet um einen Bibeltext über Heilung, Psalm 103. Miller fühlte sich schrecklich. Für ihn war klar, dass es nur eine oberflächliche Predigt werden könnte. Er sagte: „Ich glaube, dass Gott heilt.“ Aber er dachte: „Aber warum nicht mich?“ Alle hätten sich doch schon mal gefühlt wie in der „Grube“, von der David spreche, fuhr er fort. Als Miller „Grube“, englisch: „pit“, sagte, löste sich die Blockade in seinem Hals, „als ob jemand seine würgende Hand weggenommen hätte“. Plötzlich konnte er normal sprechen. Und fuhr fort: „Wir alle kennen die Zeiten, in denen sich unser Leben anfühlt wie in einer Grube, in einem Grab, und wir haben keine Antworten darauf.“ Miller war überwältigt, die Zuhörer jubelten. Die Ärzte bestätigten: Die Stimme war voll wiederhergestellt, sie fanden keine Anzeichen eines früheren Stimmproblems.

Ein Wunder? Oder ein extrem unwahrscheinlicher Zufall?Es sind Fälle wie diese, denen Lee Strobel in seinem neuen

Buch „Wunder – Was ist wirklich dran?“ auf den Grund geht. Strobel wurde bekannt durch Bücher wie „Der Fall Jesus“ oder „Glaube im Kreuzverhör“. Der Jurist war früher Gerichtsreporter der „Chicago Tribune“, an Gott glaubte er nicht. Dafür war er zu skeptisch. Als seine Frau sich bekehrte, begann er, als Journalist Argumente gegen den Glauben an Gott zu finden. Doch statt den ultimativen Beweis gegen das Christentum zu finden, wurde er selbst Christ. Die Argumente für den Glauben waren für ihn erdrückend. Heute ist er Pastor.

Der ehemalige Journalist Lee Strobel macht sich in seinem Buch auf die Suche nach WundernFoto: Gerth Medien

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Ein Gespräch mit einem Atheisten

In seinem neuen „Wunder“-Buch geht Strobel ähnlich vor wie bei früheren Themen. Seine Ausgangsfragen lauten: Ist es plausibel, an Wunder zu glauben? Gibt es heute noch Wunder? Welche Kriterien müssen gelten, um Wundergeschichten zu prüfen? „Wunder“ sind dabei keine besonders schönen Erfahrungen wie die Geburt eines Kindes, sondern Gottes übernatürliches Eingreifen in seine Schöpfung. Dafür interviewt Strobel Kritiker und Befürworter, Theologen und Naturwissenschaftler, Ex-Christen und Pastoren. Das Ergebnis seiner Treffen verarbeitet er in Nacherzählungen der Gespräche mit den Experten.

Der Wissenschaftsjournalist Michael Shermer etwa lehnt jede Art von göttlichen Wundern ab. Früher war er selbst Christ und missionierte, heute lehnt er den Gottesglauben ab und bezeichnet sich als „Skeptiker“, der passenderweise das atheistische Wissenschaftsmagazin „Skeptic“ leitet. Er verlor endgültig den Glauben, als Gott seine durch einen Unfall querschnittsgelähmte Freundin nicht heilte. Wunder sind für ihn kein göttliches Eingreifen, sondern seltene Zufälle, für die es eine irdische Erklärung gibt.

Ganz anders Craig Keener, der ein zweibändiges Werk über Wunder geschrieben hat. Auf mehr als 1.100 Seiten

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DOKUMENTATION AUF DVD

Die fünf Bücher Mose: Fake News oder historischer Bericht?Wer hat eigentlich die fünf Bücher Mose aufgeschrieben? War es Mose selbst? Die spannende Dokumentation „Die Mose Kontroverse“ versucht zu zeigen, dass es – entgegen der gängigen Expertenmeinung – durchaus sein kann, dass Mose tatsächlich auch derjenige war, der den Auszug der Israeliten aus Ägypten und alles andere aufschrieb. Der Film ist dabei etwas weit ausholend, aber durchaus interessant. Eine Filmkritik von Jörn Schumacher

Hinter dem Film „Patterns of Evidence: Die Mose Kontroverse“ steckt der amerikanische Filmemacher Timothy Mahoney. Er hat bereits vor fünf Jahren einen

Film mit dem Titel „Patterns of Evidence“ (etwa: „Muster der Beweise“) gemacht. Damals ging es darum zu zeigen, dass sich die biblische Geschichte vom Exodus der hebräischen Sklaven aus Ägypten wirklich ereignet hat.

Dieses Mal geht es um die Frage, ob Mose, wie die Bibel behauptet, auch selbst der Autor der fünf Bücher zu Beginn der Bibel ist. In 2. Mose 24,4 heißt es immerhin: „Da schrieb Mose alle Worte des Herrn nieder.“ Die meisten Experten sind sich aber eigentlich darin einig, dass Mose die Bibel nicht aufgeschrieben haben kann. DerArchäologe und Professor Emeritus an der University of Arizona, William Dever, zeigt sich im Film sogar überzeugt: „Ich glaube nicht, dass irgendein Wissenschaftler heute noch die Ansicht vertritt.“

Nur Laien und orthodoxe Rabbiner hingen noch dieser etwas romantischen Idee an.

Doch Filmemacher Mahoney findet sehr wohl Wissenschaftler, die die gängige Ansicht hinterfragen. Es gab einfach noch keine hebräische Schrift, als Mose lebte, sagt der Mainstream der Archäologen. Mahoneys Experten halten dagegen: die gab es sehr wohl.

Warum die Frage mit dem Glauben an Jesus zusammenhängt

Dem Zuschauer wird jedenfalls sehr schnell klar, dass an dieser Frage mehr hängt als bloße Rechthaberei oder Spitzfindigkeiten unter Experten. „Da der Rest der Bibel auf den Schriften des Mose aufbaut, ist die Glaubwürdigkeit des Exodus und der gesamten Bibel direkt mit der Frage nach

Geht der Frage nach, ob Mose den Bericht über den Exodus selbst geschrieben haben könnte: die spannende Dokumentation „Patterns of Evidence: Die Mose Kontroverse“Foto: Thinking Man Films

Moses Autorschaft verbunden“, sagt Mahoney, der Erzähler im Film. „Kann man auf irgendwas davon vertrauen?“

Recht hat er. Die meisten Forscher sind der Meinung, dass die Geschichte des Exodus zunächst von Generation zu Generation mündlich weitergegeben wurde. Erst später habe sie dann wohl jemand zu Papier gebracht. Die hebräische Schrift tauchte Experten zufolge erstmals 900 vor Christus auf. Wie soll Mose den Bericht dann aufgeschrieben haben? Die nächste Frage lautet: Werden bei solchen mündlichen Überlieferungen die Inhalte nicht üblicherweise und ganz automatisch verändert, verschönt? Was später also aufgeschrieben wurde und wir als die Thora kennen, wäre demnach eine aufgeblähte, leicht veränderte Version einer

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ER PFLEGTE TYPHUS-KRANKE IM KZ

Graphic Novel über den aufopfernden Priester Richard HenkesDer deutsche Pater Richard Henkes ließ sich im Februar 1945 in die Baracke mit den todkranken Häftlingen des Konzentrationslagers Dachau schließen, um die Typhuskranken zu pflegen – wissend, dass er dadurch selbst dem Tod geweiht war. Nun ist eine Graphic Novel über den Pallottinerpater aus dem Bistum Limburg veröffentlicht worden. Eine Rezension von Jörn Schumacher

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges brach im Konzentrationslager Dachau eine Typhusepidemie aus. Der Pallottinerpater Richard Henkes, der wegen

kritischer Predigten selbst Häftling im KZ war, wollte den Todkranken helfen. Wissend um die tödliche Bedrohung, ließ er sich vom Priesterblock in den infizierten Block verlegen. Nach rund zwei Monaten, in denen er den Kranken half, infizierte sich Henkes und starb innerhalb von fünf Tagen.

Henkes wurde 1900 im Westerwaldort Ruppach geboren und 1925 in Limburg zum Priester geweiht. Seit 1931 war er als Prediger in Oberschlesien tätig. In späteren Berichten ist zu lesen, dass sich Henkes in seinen Predigten kritisch gegenüber der Nazi-Ideologie äußerte. Im April 1943 wurde er in Ratibor wegen „Aufwiegelung des Volkes von der Kanzel“ verhaftet und ins KZ Dachau gebracht. Er starb am 22. Februar 1945

an den Folgen der Typhus-Epidemie. Am 15. September 2019 wurde Henkes vom Kurienkardinal Kurt Koch im Limburger Dom seliggesprochen. Es war die erste Seligsprechung im Bistum, da diese noch bis 2005 ausschließlich im Vatikan statt in den Ortskirchen stattfanden.

„Jeder hätte in der Zeit des Naziterrors auch anders handeln können“

Nun wurde die Geschichte des Paters, der sich für andere opferte, in einen Comic für Erwachsene, eine Graphic Novel, gegossen. In dem Buch „Und wenn die Wahrheit mich vernichtet“ erzählen die Berliner Autoren und Illustratoren Alexandra Kardinar und Volker Schlecht den Lebensweg Henkes und das Leiden im KZ Dachau nach. Sie berufen sich

Erzählt die eher wenig bekannte Geschichte des katholischen Paters Richard Henkes, der sich im KZ Dachau freiwillig um Kranke kümmerte: die Graphic Novel „Und wenn die Wahrheit mich vernichtet“Foto: Pallotti Verlag / Drushba Pankow

dabei auf Berichte von Zeitgenossen sowie Briefen des Paters, die er aus dem KZ schrieb.

Eindrücklich zeigen die Bilder von Kardinar und Schlecht, die gemeinsam das Illustratoren-Kollektiv „Drushba Pankow“ bilden, das Leiden im KZ Dachau. In Baracken, die anfangs eigentlich für 50 Personen gedacht waren, sperrten die Nazis teilweise bis zu 500 Personen ein. Krankheiten wie Fleckentyphus breiteten sich aus. Die Zustände in den Räumen waren so schlimm, dass auch das Personal irgendwann nicht mehr eintrat. Die Menschen wurden in dem Dreck und Gestank eingesperrt, bis sie starben.

Das Buch erzählt in eingeschobenen Zeitsprüngen

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FLEISCHVERZICHT

Müssen Christen Bio kaufen?Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) fordert in einem neuen Text „eine neue Wertschätzung für Nutztiere“. Wie kann das konkret aussehen? Ein Besuch bei Familie Schweisfurth, die einst Europas größte Fleischfirma besaß, bevor sie konsequent auf Bio umsattelte. Von Stefanie Ramsperger

Die Frage bringt ihn zum Lachen, den alten Herrn der „Herrmannsdorfer Landwerkstätten“: Ob Christen biologische Lebensmittel kaufen müssen? „Ja“, lautet

seine entschiedene Antwort. „Überzeugte Christen müssen ökologische Lebensmittel kaufen, einfach aus Verantwortung und Respekt gegenüber der Schöpfung.“ Ökologisch hergestellte Nahrung kann man hier auf dem Hof erwerben. Hier wird sie auch produziert. Karl-Ludwig Schweisfurth hat das Unternehmen 1986 gegründet. Weitläufig erstreckt sich das Betriebsgelände am Rande des 4.000-Seelen-Ortes Glonn in Oberbayern. Hier arbeiten 100 Menschen. Rund 800 Schweine, unzählige Hühner und ein paar Rinder atmen die frische Landluft. Trotzdem wirkt das Ganze übersichtlich. Das ist Schweisfurth wichtig. Auch seine Enkelin Sophie, die den Betrieb heute leitet, betont: „Wir wollen nicht expandieren. Wir wollen mehr Mitstreiter, die für unsere Sache kämpfen.“

Sophie trägt eine hellblaue Bluse, hat ihre langen

roten Locken zusammengebunden, und sorgt für Kaffee. Selbstverständlich aus der hauseigenen Rösterei, einer von mehreren Werkstätten, die zu Herrmannsdorf gehören. „Zu uns gehört auch eine Brennerei, eine Brauerei, eine Bäckerei, eine Imkerei und eine Käserei“, zählt sie auf, und ihr Großvater beeilt sich hinzuzufügen: „Aber die Metzgerei hat erste Priorität. Das ist das wichtigste für uns!“ Schweisfurth ist gelernter Metzger. Unternehmer auch, aber er versteht sich vor allem als Handwerker.

Europas größte Fleischfirma entsteht

Schweisfurth ist 1930 in Herten im Ruhrgebiet geboren. Zu Hause ist er damals in der elterlichen Metzgerei und für ihn ist es selbstverständlich, den Familienbetrieb irgendwann zu übernehmen. Nach der Ausbildung schickt sein Vater ihn zur Horizonterweiterung in die weite Welt. Schweisfurth

60,2 Kilogramm Fleisch konsumieren die Deutschen im Schnitt jährlichFoto: Pascal Debrunner

geht nach Chicago und sieht die Arbeit großer Schlachthöfe. Er ist fasziniert von der industrialisierten Produktion und bringt viele Anregungen mit nach Hause. Die kleine Metzgerei im Ruhrpott wird zum Industriebetrieb, setzt auf Automatisierung und ist damit extrem erfolgreich. Herta entsteht, Europas größter Fleischproduzent mit Fabriken in der ganzen Welt, von Äthiopien bis Brasilien. 5.500 Mitarbeiter hat Herta damals, die jede Woche 50.000 Schweine und 3.000 Rinder schlachten und verarbeiten. „Im Vergleich zu den Dimensionen, die das heute angenommen hat, war das noch wenig“, verweist Schweisfurth auf die Zahlen der heutigen Branchenführer Westfleisch und Tönnies. In Herrmannsdorf schlachten sie 50 Schweine und zwölf Rinder pro Woche.

Und dabei soll es bleiben, da sind sich Schweisfurth

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KOLUMNE

„Wie könnt ihr es wagen?“Die Klimaaktivistin Greta Thunberg hat angesichts der drohenden Klimakatastrophe den zögerlich handelnden Vertretern der Weltgemeinschaft gehörig die Leviten gelesen. Statt einer wütenden Anklage setzt pro-Kolumnist Jürgen Mette lieber auf späte Einsichten.

Ein Teenager belehrt die Welt-Klimakonferenz der Vereinten Nationen (UN) in New York. Nicht mit Lösungen, sondern mit einer zornigen, faktisch

begründeten Anklage, im Ton irgendwo zwischen Hybris und Trotz. „How dare you?“ – „Wie könnt ihr es wagen?“

Zerbrechliche Schöpfung

Liedermacher Herbert Grönemeyer hat bereits 1986 mit dem Song „Kinder an die Macht!“ diese neue „Erweckungsbewegung“ prophezeit, so wie Hans Leyendecker, Journalist und Kirchentagspräsident das Phänomen Greta Thunberg und „Friday for Future“ bezeichnet hat. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, möchte Greta Thunberg nicht als „Heilige“ verehrt sehen. Aber er gesteht, dass dieses 16-jährige an Asperger-Autismus leidende Mädchen etwas geschafft hat, was die Kirchen nicht geschafft haben, nämlich ein weltweites Bewusstsein für die Zerbrechlichkeit der Schöpfung zu erwecken.

Der CDU-Politiker Friedrich Merz zeigte sich über Greta Thunbergs Engagement gerührt und berührt. Er könne aber ihre Bewertung nicht in allen Details bestätigen. Er würde seine Tochter jedenfalls nicht zur UN lassen, sagte der Politiker. Der Kabarettist Dieter Nuhr würde seiner Tochter die Heizung abdrehen. Und in seiner für ihn typischen Ironie setzt er noch einen drauf: „Wir müssen diese Kritik ernst nehmen. Wir haben eine Welt geschaffen, in der siebeneinhalb Milliarden

Menschen bei wachsendem Wohlstand und wachsender Gesundheit immer älter werden. Das ist beschämend.“ Damit hat er in den sozialen Medien einen heftigen Shitstorm ausgelöst.

Warum standen Christen, die den biblischen Schöpfer verehrt haben, nicht an vorderster Front, als es um die Bewahrung der Schöpfung ging? Seit dem der „Club of Rome“, ein aus 30 Nationen besetztes hochkarätiges Wissenschaftsforum, erste düstere Prognosen propagiert hatte, wussten wir alle Bescheid. Seit 1972 sind die „Grenzen des Wachstums“ bekannt. Aber wir waren thematisch meistens woanders, bis heute.

Gnade der späten Einsicht

Gretas anrührende Wutrede in New York endete nicht mit einem Appell, sondern mit diesem bedrückenden Fazit: Wir werden euch nie verzeihen!

Damit wäre aus christlicher Perspektive die Wirkung des leidenschaftlichen und bewundernswerten Einsatzes der kleinen Schwedenfrau in Frage gestellt. Eine Weckbewegung, die nicht verzeihen will, keinen Spielraum für späte Einsichten lässt, keine Gnade kennt, wird das von Menschen verursachte Problem der Klimaerwärmung nicht mit der Anklage „How dare you!“ überwinden. Wie wäre es stattdessen mit „Kyrie eleison“, mit „Herr erbarme dich!“?

Kolumnist Jürgen Mette beschäftigt sich mit der Klimaaktivistin Greta ThunbergFoto: pro/Jürgen Mette

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Impuls

Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Jedes Jahr gibt es das gleiche Programm. Und jedes Jahr gibt es die gleiche Frage: Wie wird die Ernte werden? Zugegeben: Weizen kommt auch aus Ameri-ka, Tomaten kaufen wir aus Spanien und Äpfel wachsen in Tirol. Aber auch dort geht es um eine prächtige Ernte oder das Gegenteil. Im Kalender steht ein Sonntag „Erntedank“, der uns daran

erinnert, dass unsere Lebensmittel auf Feldern und Bäumen wachsen. Gott ist es, der Brot aus der Erde hervorbringt. Wir müssen uns nicht vor Hungers-nöten fürchten. Aber manche reiben sich schon die Augen, wenn sie sehen, wie in den letzten Jahren Brot, Brokkoli und Blumenkohl teurer wurden. Seit in Massen Mais vergoren und verfeuert wird,

aus Weizen in großem Stil Bio-Benzin statt Brot gemacht wird, steigen die Preise. Der Markt für alles, was wir essen, ist ein kompliziertes Gefüge und das Wetter mit Sonne und Regen ist es nach wie vor auch. Ein Beter in der Bibel bekennt:

„Es warten alle auf dich, dass du ihnen Speise gebest zur rechten Zeit. Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt. Verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder Staub.“ (Psalm 104,27–29).

Schön mit Früchten und Blumen bedeckte Altäre, Gebete und Gottesdienste sind Zeichen unserer Ehrfurcht vor dem Schöpfer. Mit dem Danken für den gefüllten Tisch kommen die Gedanken an jene, die weniger haben. Die dürfen wir nicht vergessen.

Gesegnete Zeit,

Egmond Prill

DANKTAG

Schön mit Früchten und Blumen bedeckte Altäre, Gebete und Gottesdienste sind Zeichen unserer Ehrfurcht vor dem Schöpfer.

Seminare unter | christliche-medienakademie.de

EIN MAUSKLICK FÜR EINEN TEXT

Termin: 9. November 2019Zeit: 10–18 UhrOrt: WetzlarTrainer: Stefanie RamspergerPreis: € 145,00

„Klicken Sie hier!“ Die interaktiven und multime-dialen Möglichkeiten des Internets fordern her-aus: Wer Online-Texte schreiben will, muss sich kurz fassen, schnell auf den Punkt kommen, Querverweise und Infografiken einbauen. Ins-besondere müssen Sie Überschriften und Vor-spänne noch einladender formulieren. Denn der Leser gibt Ihnen im Netz nur wenige Sekunden, um sich überzeugen zu lassen.

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