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Die Bundestagswahl 2013

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Karl-Rudolf Korte (Hrsg.)

Die Bundestagswahl 2013

Analysen der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung

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ISBN 978-3-658-02914-2 ISBN 978-3-658-02915-9 (eBook)DOI 10.1007/978-3-658-02915-9

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Lektorat: Dr. Jan Treibel, Monika Mülhausen

Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier

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HerausgeberUniv.-Prof. Dr. Karl-Rudolf KorteNRW School of GovernanceInstitut für PolitikwissenschaftUniversität Duisburg-EssenDuisburg, Deutschland

Redaktion: Jan Schoofs M.A. (Leitung) und Jan Dinter B.A. (NRW School of Gover-nance, Universität Duisburg-Essen)

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Karl-Rudolf KorteDie Bundestagswahl 2013 – ein halber Machtwechsel: Problemstellungen der Wahl-, Parteien- Kommunikations- und Regierungsforschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Teil I: Wahlforschung

Matthias Jung/Yvonne Schroth/Andrea WolfWählerverhalten und Wahlergebnis: Angela Merkels Sieg in der Mitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

Gerd StrohmeierDie Bundestagswahl 2013 unter dem reformierten Wahlsystem: Vollausgleich der Überhangmandate, aber weniger Erfolgswertgleichheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

Ossip FürnbergStimmensplitting bei der Bundestagswahl 2013: Beendet das neue Wahlsystem den Trend zu mehr Stimmensplitting ? . . . 79

Armin Schäfer/Sigrid RoßteutscherRäumliche Unterschiede der Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2013: Die soziale Topografie der Nichtwahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

Inhalt

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6 Inhalt

Ulrich Rosar/Hanna HoffmannEinflüsse der Bewertung der Kanzler kandidaten Steinbrück und Merkel auf die Wahlchancen ihrer Parteien bei der Bundestagswahl 2013: War er der Falsche, war sie die Richtige ? . . . . . . 119

Teil II: Parteienforschung

Frank DeckerZur Entwicklung des bundesdeutschen Parteiensystems vor und nach der Bundestagswahl 2013: Überwindung der koalitionspolitischen Segmentierung . . . . . . . . . . 143

Steffen Bender/Matthias Bianchi/Karina Hohl/Andreas Jüschke/Jan Schoofs/Susanne SteitzDie ideologisch-programmatischen Positionen der Parteien bei der Bundestagswahl 2013: Eine Analyse mit dem Duisburger-Wahl-Index (DWI) . . . . . . . . . . . . 165

Uwe Wagschal/Pascal KönigDie Links-Rechts-Positionierung der Parteien bei den Bundestagswahlen 2005 bis 2013: Eine empirische Analyse anhand des Wahl-O-Mat . . . . . . . . . . . . . 185

Andreas BlätteDie Stimmen der Migranten im Bundes tagswahlkampf 2013: Wahlkampf in der Einwanderungsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 211

Sebastian BukowDas innerparteiliche Kampagnen management im Bundestagswahlkampf 2013: Angebotsbasierte Steuerung als Antwort auf die parteiliche Stratarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

Hendrik TrägerInnerparteiliche Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse zur Bundestagswahl 2013: Eine Urwahl, zwei Mitgliederentscheide und neue Verfahren der Wahlprogrammerarbeitung . . . . . . . . . . . 269

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Inhalt 7

Teil III: Kommunikationsforschung

Matthias Bianchi/Karl-Rudolf KorteDie Wahlkommunikation zur Bundestagswahl 2013: Perspektiven der Parteien- und Mediendemokratie . . . . . . . . . . . . 293

Bettina Westle/Christian Begemann/Astrid RütterWahlprogrammatik und politische Berichterstattung: Vermittlung politischer Themen und Issues durch Tageszeitungen . . . . . 317

Stephanie Geise/Klaus KampsNegative Campaigning auf Wahlplakaten: Konstruktion, Operationalisierung, Wirkungspotentiale . . . . . . . . . . 343

Sebastian JarzebskiWahlkampf als Erzählung: Metaphern und Narrative im TV-Duell . . . . . 367

Andreas Elter/Andreas KöhlerKollektiverzählungen und mythische Narrative in Politikerreden: Angela Merkel und Peer Steinbrück im Wahlkampf 2013 . . . . . . . . . . 387

Kay HinzWahlkampf auf Facebook und Twitter: Einflussfaktoren auf die Informationsaktivität der Kandidaten zur Bundestagswahl 2013 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407

Teil IV: Regierungsforschung

Daniela Kallinich/Frauke SchulzEine Regierungsbilanz der schwarz-gelben Koalition 2009 – 2013: Erklärungsarmer Pragmatismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

Eric Linhart/Susumu ShikanoKoalitionsbildung nach der Bundestags wahl 2013: Parteien im Spannungsfeld zwischen Ämter-, Politik- und Stimmenmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

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8 Inhalt

Martin FlorackRegierungsbildung der Kernexekutive: Institutionelle Transformationsprozesse der Regierungsorganisation zur Herstellung kollektiver Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . 485

Timo GrundenDas Programm der Großen Koalition: Eine Regierung der sozialstaatlichen Restauration ? . . . . . . . . . . . . 509

Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529Tabellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541

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Die Bundestagswahl 2013 – ein halber Machtwechsel: Problemstellungen der Wahl-, Parteien- Kommunikations- und Regierungsforschung

Karl-Rudolf Korte

Abstract Trotz ihrer an manchen Stellen historischen Einschnitte wird die Bundestags-wahl 2013 in der Geschichte der Wahlforschung vermutlich keine signifikanten Spuren hinterlassen. Angesichts der deutschen Stabilitätskultur, dem ausgeprägten Sicher-heitskonservatismus und dem hohen Wohlfahrtsniveau erscheint die Große Koalition im Rückblick als absolut verlässlich erwartbare Konstellation. » Sorgenvolle Zufrieden-heit «, » entspannter Fatalismus « – in solchen Formulierungen kulminiert eine Form von stabiler Ambivalenz, die sich durch Einstellungen, Wahlabsichten, Entscheidungen und Verhandlungen von Akteuren zieht. In sechs Aspekten lassen sich markante Befunde aus Sicht der Wahl-, Parteien- Kommunikations- und Regierungsforschung struktu-rieren.

1 Die Bundestagswahl aus Sicht der Wahl-, Parteien-, Kommunikations- und Regierungsforschung

» Merkel plus X « – so stellte sich für die meisten Wähler die Wahloption für die Bundestagswahl am 22. September 2013 dar. Über viele Monate hinweg zeichnete sich für keines der beiden traditionellen Lager von Union und FDP auf der einen sowie SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf der anderen Seite eine eigene Mehr-heit ab. Die extrem hohen und stabilen lagerübergreifenden Zustimmungswerte zur Programm-Person der Kanzlerin machten die Bundestagswahl dieses Mal zu einer ausgeprägten Personenwahl: Angela Merkel fungierte als Orientierungs-Auto rität in Zeiten relativer Zufriedenheit. Merkel – plus eine ergänzende, mehr-heitsbeschaffende Partei, so wollten es die meisten Wähler. Die Kanzlerin konnte im Parteienwettbewerb triumphieren: Die hohe Zufriedenheit mit ihrer Leistung steht dabei im Kontrast zu einer gleichermaßen ausgeprägten Unzufriedenheit mit der Regierungsperformanz. Offenbar lag nur ein partieller Wechselwunsch

Karl-Rudolf Korte (Hrsg.), Die Bundestagswahl 2013, DOI 10.1007/978-3-658-02915-9_1,© Springer Fachmedien Wiesbaden 2015

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vor. Umfragen dokumentierten erstmals, dass als Wunsch-Koalition eine Große Koalition der Favorit war (Neu 2013). So kam es zum dosierten Machtwechsel, bei dem kontinuitätsverbürgend jeweils ein Koalitionspartner aus der vorherge-henden Regierung auch einen Teil der neuen Regierung stellt. Dieser Typus eines » halben « Machtwechsels ist der Favorit in Deutschland (Korte 2013a).

Die Kanzlerin nutzte auch in diesem Wahlkampf die Dramaturgie der Ge-wöhnung an eine ausgeprägte Krisen-Dialektik: » Weiter so ! « und » Keine Expe-rimente ! « waren die Kernbotschaften. Mit einem Vermeidungswahlkampf auf Samtpfoten erzwang Merkel auf diese Weise wie bereits bei der Bundestagswahl 2009 systematisch und strategisch professionell eine Demobilisierung der SPD. Potenziell konfliktträchtige Themen wie der Mindestlohn und die Mietpreis-bremse übernahm die Union in ihr Programm, so dass die Wettbewerber früh der Merkel-Mimikry erlagen. Merkel agierte als Kanzlerpräsidentin mit hohen per-sönlichen Sympathiewerten. Mit forcierter Passivität (Korte 2012a) navigierte sie durch den Wahlkampf wie auch durch die Krise. Den Wählern genügte das. Fak-tisch lagen in zentralen innen- und gesellschaftspolitischen Fragestellungen wich-tige Unterschiede zwischen den Parteien vor, die aber medial kaum eine Rolle spielten (Bianchi u. a. 2013; Bender u. a., Wagschal/König und Linhart/Shikano in diesem Band).

1.1 Das Überraschende am Wahlergebnis

1.1.1 Parteien und asymmetrisches Parteiensystem

Unerwartet legten die Volksparteien in der Wählergunst zu. Sie profitierten erst-mals seit 2002 wieder von Stimmenzuwächsen. Dass die Stimmengewinne der einen Volkspartei nicht zu Lasten der anderen Volkspartei gingen, sondern beide zeitgleich zulegten, trat zuletzt bei der Bundestagswahl 1965 ein (Bundeswahl-leiter 2013: 10). Angela Merkel siegte 2013 in historischen Ausmaßen. Zeitweilig schien am Wahlabend sogar eine absolute Mehrheit möglich, wie es bislang ledig-lich Konrad Adenauer 1957 gelang. Nur Adenauer und Kohl schafften es zudem, nach einer Bundestagswahl zum dritten Mal wiedergewählt zu werden. Merkel ist die erste Kanzlerin, die drei Legislaturperioden in Folge mit jeweils anderen Ko-alitionspartnern eine Regierung bildet: Schwarz-Rot, Schwarz-Gelb, Schwarz-Rot. Doch die Große Koalition von 2005 ist mit der von 2013 nur formal vergleich-bar. Damals trennten beide Volksparteien knapp 440 000 Stimmen. Diesmal wa-ren der Abstand deutlich größer (6 913 231 Stimmen) und die Koalition erwart-bar. Erstmals in der Geschichte der Wahlumfragen wünschten sich die Deutschen mehrheitlich die Große Koalition (Jung/Schroth/Wolf in diesem Band).

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Es zogen überraschend wenige Parteien in den Bundestag ein: Union, SPD, Linke, Grüne. Die Großen sind diesmal größer geworden, aber in einer asym-metrischen Verteilung, denn der Abstand zwischen Union und SPD entspricht dem traditionellen Verständnis von Koalitionspartnerschaften: kleine Parteien (in diesem Fall die SPD) verhelfen großen Volksparteien zur notwendigen Mehr-heit (Decker in diesem Band). Nach der Großen Koalition 2009 schrumpften die Großen erwartungsgemäß und die Kleinen feierten Superlative – eine systemati-sche Konsequenz, die nach Großen Koalitionen die Regel ist (Korte 2010a). Das Parteiensystem ist asymmetrisch aufgeladen und bunt: Das sogenannte bürger-liche Lager vertreten die Unionsparteien und die Liberalen. Alle anderen Parteien sind deutlich kleiner und eher links von der Mitte positioniert. Diese linke Grup-pierung hat rechnerisch die Mehrheit im Bundestag, die wohl bis zur kommen-den Bundestagswahl 2017 ungenutzt bleiben wird. Das Parteiensystem zeigt sich gleichzeitig vital, robust, belastbar: Neue Parteien haben sichtbar eine Chance. Zwar konnten die Piraten nicht ihre Erfolge der Landtagswahlen für den Bun-destag umsetzen. Doch die neu gegründete Alternative für Deutschland (AfD) schaffte es beinahe, sich zu parlamentarisieren. Alte Parteien gehen scheinbar un-ter, wenn sie keine gesellschaftlichen Grundkonflikte mehr ausreichend abbilden, wie es sich bei der FDP aus Wählersicht offensichtlich darstellte.

Während die Sozialdemokraten trotz leichter Stimmenzuwächse das zweit-schlechteste Bundestagswahlergebnis ihrer Geschichte hinnehmen mussten, feier-te die Union ihren Kantersieg. Die ehemals mittelgroßen Parteien haben hingegen an Stimmen verloren. Desaströs ist das Wahlergebnis vor allem für die FDP: Mit ihren 4,8 Prozent verfehlte sie den Einzug in den Bundestag um nur 90 000 Stim-men. Die Liberalen sind erstmals nicht im Parlament vertreten – ein existenzieller Schock für eine Partei, die im Bund so lange Regierungsverantwortung trug wie keine andere. An der Sperrklausel scheiterte ebenfalls die AfD, die mit ihrer Anti-Euro-Programmatik auf Anhieb 4,7 Prozent der Wählerstimmen erhielt. Wie auch bei den Wahlen zuvor hatten links- und rechtsradikale Parteien keine Chance.

1.1.2 Wählertypen und Wahlkampfkommunikation

Zu den Überraschungen der Bundestagswahl zählt auch die immer deutlicher werdende Aufteilung der Wählerschaft in Früh- und Spätwähler. Immer mehr nutzen die Briefwahl – ihr Anteil stieg von 21,4 Prozent (2009) auf 24,3 Prozent (Feldkamp 2014: 4). Für die Frühentscheider ist der Höhepunkt des Wahlkampfs irrelevant. Sie legen sich frühzeitig fest, weil sie unter allen Umständen an der Wahl teilnehmen möchten. So sind sie langfristig frei und unabhängig in der per-sönlichen Gestaltung des Wahltages. Das Pendant zum Frühentscheider ist der

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Spätentscheider. Da sich knapp 40 Prozent der Wähler erst in den letzten zehn Ta-gen zu einer Wahlentscheidung durchringen (Politbarometer September II/13), ist es aus Sicht der Parteizentralen rational, den Höhepunkt des Wahlkampfs auf die Schluss-Phase zu verlegen. Die Medien haben dies seit Frühjahr 2013 immer wie-der kritisiert. Die meisten Medien vermissten die Präsenz des Wahlkampfs. Das ist nicht neu – bereits 2009 hatten Journalisten mehrfach die Absenz eines Wahl-kampfs artikuliert (Wilke/Leidecker 2010: 365). Im diesjährigen Wahlkampf for-derten sie die Parteien und die Spitzenkandidaten früh auf, mit der polarisieren-den Auseinandersetzung zu beginnen. Bei anderen Bundestagswahlkämpfen war dies bislang in dieser Ausprägung nicht zu beobachten.

Selbst in den Sommerferien, wenn der öffentliche Wahlkampf auf den Markt-plätzen und in den Sonderformaten des » Politainment « (Dörner 2001) eher ruht, waren die Journalisten extrem ungeduldig. Das hing mit Sicherheit auch da-mit zusammen, dass insgesamt und wie schon 2009 nicht nur ein später, son-dern auch ein langweiliger Wahlkampf attestiert wurde (Assheuer 2013; Schoofs/Treibel 2014): » Valium-Wahlkämpfe « setzen auf geringe Polarisierung, um eine Gegenmobilisierung zu verhindern. Merkel inszenierte einen » Brigitte-Wahl-kampf « (Korte 2013b) – persönlich, aber nie privat. Sie nutzte Frauen- und Fami-lienzeitschriften, um sich zu vermarkten. Die Medien hatten sich schnell auf ein Motto verständigt, das eher Harmonie, Stabilität, Sicherheit intonierte und jede Form von inhaltlicher Auseinandersetzung scheute. Insofern war der medial be-gleitete Wahlkampf nicht nur langweilig, sondern auch für die Medien verspätet. Auf den » Hauch von Wahlkampf « (Tenscher 2013) 2009 folgte die » große Flaute « (Prantl 2013). In welchem Ausmaß nunmehr auch ein Wahlkampf unter das Dik-tat von Beschleunigung rückt, war 2013 weniger am Wahlkampf selbst als viel-mehr an der Ungeduld der Journalisten erkennbar. Paradox erscheinen die Lange-weilbekundungen der Journalisten ohnehin, denn ausgerechnet sie selbst leisten einen wesentlichen Beitrag zur fortwährenden Reproduktion eben jener Lange-weile (Florack 2013: 3).

An Beschleunigung nahm der Wahlkampf in seiner Endphase auf. Was sich bereits 2009 mit vereinzelten Aktionen – vor allem im digitalen Raum – abzeich-nete (Bieber 2011; Albers 2010), gehörte im Jahr 2013 zum Standardrepertoire: der quasi-ubiquitäre Wahlkampf. Rund um die Uhr wurden in ganz Deutschland letzte Mobilisierungsversuche unternommen. Aktionen wie » Drei-Tage-Wach « der grünen Jugend hatten es 2009 vorgemacht. Fast schon obligatorisch hieß es bei den Jusos in diesem dieses Jahr » Sieben Tage wach «. In den letzten Tagen vor der Wahl sollen solche Projekte wankelmütige Wechselwähler und Spätentschlos-sene auf den letzten Kampagnenmetern mobilisieren. Einen nicht unerheblichen Anteil an diesen last-minute-Aktionen haben die politischen Jugendorganisatio-nen. Insbesondere die Jusos und die Junge Union verfügen über ein enormes Mo-

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bilisierungspotenzial – vor allem in der Gruppe der Jung- und Erstwähler. Die enge Anbindung der Jugendkampagnen an die Wahlkampfzentralen in diesem Jahr zeugt davon (Jungblut/Weber 2013).

In den letzten Wochen vor der Wahl dominierten in den Medien die Suche und die Typisierung nach dem Nichtwähler. Neben der Aufarbeitung der Hete-rogenität dieser Gruppe spielten auch die Konsequenzen für den Wahlausgang eine besondere Rolle – deutlich vor allem nach der Landtagswahl in Bayern eine Woche vor der Bundestagswahl. Niemals zuvor traten Nichtwähler so prominent in Erscheinung. Intellektuellen Glanz verlieh ihnen auf dem eher linken Flügel Harald Welzer, der durch den Aufruf zur Wahlenthaltung dafür warb, die Ökolo-gie zu stärken. Der eher rechte Flügel um den Journalisten Gabor Steingart plä-dierte dafür, durch Wahlenthaltung die Euro-Rettung zu stoppen (Lau 2013). Viele andere Medien stimmten in diese Grundmelodie ein, wonach ein neues Selbstbe-wusstsein der bürgerlichen Nichtwähler zu konstatieren sei. Man konnte den Ein-druck gewinnen, dass sich Kampagnenmaterial aneinanderreiht, um der Forde-rung nach Wahlenthaltung weiter Nachdruck zu verleihen – ganz im Gegensatz zu früheren Wahlkämpfen, in denen mehr oder weniger bekannte Prominente immer wieder für eine Wahlteilnahme geworben hatten.

1.1.3 Beschleunigung und Gründung

Niemals zuvor konnte eine Partei in nur sechsmonatiger Gründungsgeschichte fast den Einzug in den Deutschen Bundestag schaffen. Die Besonderheit der AfD liegt somit im Tempo der Parteiwerdung, die bis zum Stichtag der Anmeldung für die Bundestagswahl in allen Bundesländern gelang. Vielleicht liegt aber auch ge-nau in dieser spezifischen Dynamisierung eine Erklärung für das Wahlergebnis, denn für Parteineugründungen ist der Zeitkorridor zwischen Aufmerksamkeit und Verfall immer schmal. Am Beginn dominiert die Aufmerksamkeit der Me-dien überproportional. Im Zeitverlauf ziehen solche Neugründungen aber auch sehr viele Mitglieder an, die aus Unzufriedenheit mit anderen Parteien die Mit-gliedschaft wechseln. Magnetisch entsteht ein Sog in Richtung von protestorien-tierten Neumitgliedern, die in der Regel nur sehr schwer zu integrieren sind. Auch der Erfolg von sogenannten » Defizit-Parteien « wie der AfD, welche die sichtbare Lücke im Themenhaushalt der anderen Parteien ausgleichen (Höhlein/Smolka 2013), zeugt von der Vitalität des deutschen Parteiensystems, das dennoch nach wie vor mittezentriert und durch moderaten Pluralismus geprägt ist. Die zukünf-tigen Chancen solcher Defizit-Parteien, die sich wie ein start-up-Unternehmen plötzlich formieren, werden unter den Bedingungen der beschleunigten Demo-kratie (Korte 2011) zunehmen. Ergänzt durch eine wachsende Volatilität am Wäh-

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lermarkt bleiben insofern Chancen für Neugründungen – aber gleichsam auch für kurzfristige Auf- und Abstiege der etablierten Parteien.

1.1.4 Wahlsystem und Legitimität

Zur Überraschung des Wahltags gehörte auch, dass der Bundestag nicht überpro-portional an Abgeordneten gewachsen ist (Strohmeier in diesem Band). Im Vor-feld galt es weithin als ausgemacht, dass sich die Zahl der Abgeordneten durch die Modifikation des Wahlsystems deutlich erhöhen wird (Korte 2013c: 52 – 53). Doch bei dieser Wahl erhielt die CDU lediglich vier Überhangmandate. Diese wurden erstmals mit 29 zusätzlichen Mandaten ausgeglichen, wovon zehn auf die SPD, vier auf Die Linke und zwei auf die Grünen entfielen. 13 zusätzliche Parlaments-sitze für die CDU sollen die mit dem Wahlergebnis vorgegebene Proportionali-tät der Sitzverteilung wahren. Der neu gewählte Bundestag besteht daher statt aus den regulären 598 aus insgesamt 631 Abgeordneten.

Künftige Wahlrechtsformen könnten die Sperrklausel betreffen. Sie regelt, dass bei der Sitzverteilung ausschließlich diejenigen Parteien berücksichtigt wer-den, die mehr als fünf Prozent der Zweistimmen erhalten oder mindestens drei Direktmandate errungen haben. Indem auf diesem Wege der Einzug von Split-terparteien in den Bundestag verhindert wird, soll seine Funktionsfähigkeit ge-wahrt bleiben. Wie problematisch die Sperrklausel für das Verhältniswahlsystem jedoch sein kann, zeigte sich bei dieser Wahl: Knapp sieben Millionen Wähler-stimmen (15,7 Prozent) – davon allein jeweils 2,1 Millionen Stimmen von FDP und AfD – fielen der Fünfprozenthürde zum Opfer: so viele wie bei keiner Wahl zu-vor. Vergrößert sich zukünftig der Anteil der » Sonstigen «, stellt sich die Frage der Repräsentation und der Legitimation des Ergebnisses gleichermaßen. Wenn der Wahlabsicht von immer mehr Wählern keine Entsprechung im Bundestag folgt, entsteht auf diese Weise ein Legitimationsvakuum.

1.1.5 Kollaborative Wahlprogrammformulierung und -kommunikation

Überraschend kollaborativ kamen diesmal die Wahlprogramme vieler Parteien zustande. Als Visitenkarten der Parteien beschreiben Wahlprogramme zeit liche Projekte. Sie sind als kondensierte Wahlversprechen Momentaufnahmen mit baldigem Verfallsdatum. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Denn Wahlpro-gramme dienen in ihrer über Wochen in Parteigremien ausgearbeiteten Langver-sion immer auch der Selbstverständigung (Merz/Regel 2013: 212 – 217). Wahlver-sprechen sind insofern strategische Instrumente der Wählermobilisierung. Auf

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was sich eine Partei in einer bestimmten Phase einigt, beschreibt die aktuellen Machtgewichte zwischen ihren verschiedenen Strömungen und Flügeln. So fü-gen die Programme für ein paar Monate das diszipliniert zusammen, was ansons-ten den innerparteilichen Alltag von Parteien als » lose verkoppelte Anarchien « (Wiesen dahl 1998) faktisch ausmacht.

Meist dienen die ausformulierten Langfassungen der Programme als konkrete Vorlagen für die Koalitionsverhandlungen. Die wenigen Befunde der Wahlpro-grammforschung dokumentieren, dass angesichts der innerparteilichen Kompro-miss-Suche die Verständlichkeit der Formulierungen eher in den Hintergrund tritt (Kercher/Brettschneider 2013). Vielfach sind die Aussagen deshalb nicht nur vage, sondern gleichzeitig verklausuliert und für Außenstehende nur schwer ver-ständlich. Größere Außenwirkung erfahren die Programme durch die jeweilige Kurzfassung, die eine hohe Verständlichkeit voraussetzt, medial aufbereitet ist und zudem idealerweise mit einem Gesicht als Programmträger verbunden wer-den kann.

Im Bundestagswahlkampf 2013 übertrafen sich die Parteien bei der Erstellung ihrer Wahlprogramme erstmals im originellen Wettbewerb um die Beteiligung ih-rer Mitglieder (Träger in diesem Band). Die politisch-kulturelle Grundstimmung von neuen bunten, partizipativen Beteiligungsarchitekturen hat diesen Wahl-kampf erfasst. Alle Parteien haben sowohl ihren Mitgliedern wie auch den Nicht-Mitgliedern mehr oder weniger kollaborative Mitwirkungsmöglichkeiten eröffnet (Korte/Schoofs 2013; vgl. grundsätzlich auch Leggewie 2013). Die Grünen orga-nisierten als einzige Bundestagspartei sogar einen formellen Mitgliederentscheid über das Wahlprogramm, auch wenn dieser Prozess, in dem über die prioritä-ren Themen abgestimmt wurde, der Entstehung des Bundestagswahlprogramms nachgelagert angelegt war.

Doch Wahlprogramme bleiben, trotz neuer Teilhabe-Modelle, für die aller-meisten Wähler unbekannt (Merz/Regel 2013: 224 – 226). Wählerische Wähler ken-nen die Bundestagswahlprogramme genau so wenig wie die Stammwähler. Wis-sen ist insofern kein Hauptmotiv für die Wahlentscheidung. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Wähler zu wissen glaubt, welche Partei die für ihn individu-ell relevanten Probleme zukünftig am kompetentesten zu lösen vermag. Wahltage sind keine Ernte-Dank-Feste. Die Leistungsbilanz interessiert den Wähler nur am Rande. Stattdessen wird die Zukunft gewählt und damit immer auch eine Anmu-tung von unterstelltem Politikmanagement.

Da Politik weitestgehend medienvermittelt ist, erfährt der Bürger über das Bundestagswahljahr all das, was er liest, hört, sieht (Maurer 2013). Die wenigs-ten haben direkten Kontakt zu einem Politiker oder besuchen Wahlveranstaltun-gen mit dem politischen Spitzenpersonal. Man ist somit auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen, um sich ein Urteil zu bilden – es sei denn, man kann

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live mithören oder im Fernsehen bei einer Talkrunde sogenannte O-Töne mit-nehmen. Dass die interpersonale Kommunikation wahlentscheidend ist, weist die Wahlforschung nach: Was wir aus medial vermittelter Politik in unsere persön-lichen Gespräche übernehmen, hinterlässt Spuren, die bis zum Wahltag wirken (Schmitt-Beck 2003: 369 – 404; Kim/Wyatt/Katz 1999). Was wir zum individuellen Gesprächsthema machen, ist jedoch häufig medial gesteuert. So erklärt sich der indirekte Einfluss der Medien auf die Entscheidungen der Politik.

Wenn Wähler keine Wahlprogramme lesen und nur extrem selten einen un-mittelbaren Kontakt zu Politikern haben, sind sie in der Beurteilung der Politik und der Politiker auf sich selbst gestellt und auf das medienvermittelte Bild vom Wahlkampf angewiesen. Doch sie sind nicht allein. Denn Bürger sind gruppen-orientiert (Schmitt-Beck 1996): Wir lieben bei den Wahlen die Favoriten ! Wir möchten gerne zu den Siegern gehören ! Unser Einstellungssetting richtet sich an der Meinung derer aus, die uns wichtig sind ! Wahlverhalten ist immer noch sozia-les Gruppenverhalten, wenngleich sich traditionelle Milieus aufgelöst und Partei-Hochburgen inzwischen Seltenheitscharakter haben (Korte 2013c: 101 – 116).

Zu all dem kommt die gewachsene Erfahrung hinzu. Die allermeisten Bürger misstrauen den Versprechungen im Wahlkampf. Das generelle Misstrauen hängt mit diffusen Kenntnissen des Regierungssystems zusammen. In einer politisch-kulturellen Schlichtungsdemokratie wie der Bundesrepublik Deutschland ist es nicht ungewöhnlich, von Koalitionsregierungen im Regierungsalltag Kompro-misse zu erwarten und zu akzeptieren. Keine Partei kann in der deutschen Koali-tionsdemokratie (Korte/Fröhlich 2009: 96 – 100) ihr Wahlprogramm vollständig umsetzen, sondern braucht für die Mehrheit einen Partner, der wiederum seine eigenen Interessen beim Regieren einbringt. Die Bürger lesen also keine Wahl-programme und misstrauen den Zusagen der Parteien. Gleichwohl hat die Re-gierungsforschung nachgewiesen, dass Wahlversprechen mit hoher Wahrschein-lichkeit von Regierungen auch tatsächlich umgesetzt werden (Merz/Regel 2013: 229 – 231). Es macht für die Regierungspolitik einen Unterschied, ob CDU/CSU oder SPD an der Macht sind (Schmidt 1996; Zohlnhöfer 2001).

Wähler spüren Unterschiede zwischen den Parteiangeboten und den Spitzen-kandidaten. Und das gilt sogar für den Wahlkampf 2013, der keine dominieren-den Lager-Themen hervorbrachte. Die Unterschiede haben aber nicht zuletzt mit Psychologie zu tun. In vielen Bereichen bleiben die Wahlprogramme souverän unscharf, denn nur der politische Dilettant formuliert glasklar. Unschärfe in der Rhetorik sichert politische Optionen, die ein Politiker immer offen halten muss, um bei stimmungsflüchtigen Mehrheiten handlungsfähig zu bleiben. Da mitt-lerweile Experten die Wahlprogramme öffentlich analysieren und sezieren, zahlt sich auch hierfür Vagheit in der Programmaussage aus. Selektiv werden nicht nur Teilinhalte medial vermarktet (Westle/Begemann/Rütter in diesem Band), son-

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dern eben auch Teilaussagen einem Fakten-Check unterzogen. Da ist mystifi-zierender Sprachnebel strategisch hilfreich. Die Aura der Intransparenz sichert Macht. Unschärfe im Wahlprogramm ist aber auch dienlich für die Phase nach dem Wahltag, wenn keine klaren Mehrheiten erkennbar sind. Das gilt vor allem für Koalitionsaussagen. Keine Regierung wird durch einen offenen Bruch ihres Koalitionsversprechens ins Amt kommen (Korte 2013d: 50 – 52). Wahrhaftigkeit ist hier wichtiger als Klarheit. Rhetorisch haben sich die Parteien viele Auswege ge-lassen, so dass es am Ende Hierarchien der Wahrheit gibt, denen sie folgen wer-den, um eine Mehrheit zu erreichen – vielleicht sogar erst nach vielen Monaten des Verhandelns.

Wer es als Politiker schafft, anschaulich zu begründen, warum seine Aussa-gen vor der Wahl nicht mit denen nach der Wahl übereinstimmen, verliert keines-wegs gleich die Mehrheit. Das hängt zunächst mit der Vergesslichkeit von Wäh-lern zusammen, die sich nur rudimentär an Wahlversprechen erinnern. Aber vor allem können Politiker einen Politikwechsel organisieren, wenn sich die Zeitläufe sichtbar verändert haben. Wichtig bleibt, dass immer ein positiver und vor allem systematischer Bezug zu den politisch-kulturellen Grundströmungen den Poli-tikwechsel kommunikativ und substanziell begleitet. Wer von der sogenannten Pfad abhängigkeit bei Veränderungsprozessen abweicht, wird abgestraft – egal, ob er es zuvor angekündigt hatte oder nicht. Für viele Wähler drängte sich im Wahl-jahr der Eindruck auf: Wer erliegt am Ende welcher Versuchung ? Dies bezog sich nicht auf Inhalte, sondern auf das Optionsmodell von denkbaren Koalitionen an-gesichts fehlender Mehrheiten.

1.2 Das Politisch-Romantische am Wahlergebnis

Die Bundespublik Deutschland ist eine verhandelnde Wettbewerbsdemokratie (Korte/Fröhlich 2009: 75 – 81), die sich politisch-kulturell als Schlichtungs- und Konsensdemokratie präsentiert. Wahlen werden entsprechend immer in der po-litischen Mitte gewonnen. Konfliktscheu und parteienkritisch zeigen sich viele Deutsche. Umgekehrt favorisieren sie Überparteilichkeit. Der Ausstieg aus den Kompliziertheiten des politischen Alltags führte in der ideengeschichtlichen Ent-wicklung häufig ins Reich des Absoluten (von Krockow 1983). Machtworte sind in der Bevölkerung ebenso populär wie präsidentielle Harmonie. Diese politisch-kulturelle Spielart von politischer Romantik und Innerlichkeit hat eine große Tra-dition in Deutschland. Sie findet sich auch als ein Erklärungsmuster für das Wahl-ergebnis.

Da steht zunächst die Kanzlerin mit ihrem Regierungsstil einer Kanzlerprä-sidentin im Interessenfokus (Korte 2010b): Sie agierte wie bereits in ihrer ersten

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Amtszeit als Kanzlerin meist präsidentiell-überparteilich, organisiert lagerüber-greifende (Fast-)Allparteien-Mehrheiten im Bundestag, erscheint in Finanzfra-gen als Krisenlotsin und zeigt sich extrem pragmatisch in der Aneignung von Lösungsideen aus dem parteipolitisch gegnerischen Lager. Zum Politisch-Roman-tischen am Ergebnis gehört letztlich auch der immerwährende Wunsch nach einer Großen Koalition als dem Abbild eines heiligen Grals in der Mitte der Gesell-schaft. Gefragt nach der wichtigsten Rolle einer Opposition im Bundestag, ant-worten über zwei Drittel der Befragten: die Mitarbeit an der Regierung (Bürklin/Jung 2001: 706). Das ist extremer Ausdruck einer Konsensgesellschaft, die das Überparteiliche höherbewertet als den Interessenkonflikt. Letztlich steckt auch in den hohen Zustimmungswerten für die AfD ein Stück Romantik. Denn diese Partei galt als reine Professorenpartei. Der Wunsch nach einer Expertokratie, die ausschließlich wissensbasiert – und eben nicht parteipolitisch – entscheidet, hat romantische Züge. Auch im benachbarten Ausland hat es dazu in Hochzei-ten der Verschuldungs- und Finanzkrise Modelle für Regierungsbildungen gege-ben, wie beispielsweise in Italien das Expertenkabinett unter Ministerpräsident Mario Monti.

Der Wahlkampf in Deutschland hat die Grundmelodie der Schlichtungsde-mokratie übernommen, was aber auch mit dem gewachsenen Grad an Medienver-drossenheit der Bürger zusammenhängt. Der Wahlkampf war geprägt von einer Empörungsverweigerung der Deutschen. Journalisten ereiferten sich über Tri-vialitäten und erreichten damit nur noch sich selbst. Selbstrefenziell verlief der mediale Wahlkampf gerade auch deshalb, weil journalistisches Schwarmverhal-ten unter digitalen Bedingungen tendenziell deutlich zugenommen hat (Pörk-sen 2013). Die politische Öffentlichkeit war selten so gespalten wie diesmal: Die Medien beschäftigten sich mit dem Versuch, Skandale zu beflügeln. Das Publi-kum strömte zu den Veranstaltungen und diskutierte interessiert entlang der vie-len Unterschiede zwischen den Parteien. Ein Klima der Zufriedenheit hat immer den Nachteil, dass politische Kontroversen eher gedämpft diskutiert werden. Be-rufsempörung hatte aber nichts mit Empörung des Publikums zu tun. Es stimmt, dass kein Thema der Parteien wirklich lautstarke, emotionale oder intellektuelle Debatten provoziert hat. Aber das ist nicht identisch mit unterstellter Langeweile. Vielmehr ist eine mit sich selbst zufriedene Schlichtungsdemokratie pragmatisch aufgelegt. Der häufige Konsens spiegelt sich dann auch häufig in intellektueller Trägheit wider. Das ist der Preis der Zufriedenheit, das ist deutsche Biedermeier-lichkeit (Gujer 2013). Doch Unterschiede zwischen den Parteien und Lagern wa-ren in zahlreichen markanten Punkten durchaus vorhanden (Bianchi u. a. 2013; Bender u. a. sowie Wagschal/König in diesem Band). Steuergerechtigkeit war ein solches Thema, ebenso die Erhöhung des Spitzensteuersatzes und der Erbschafts-steuer oder die Einführung einer Vermögensabgabe. Hier gab es entlang der La-

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gergrenzen klare Fronten: pro Oppositions-, contra Regierungsparteien. Doch sogenannte Aufregerthemen blieben in der Erregungsdemokratie Deutschland diesmal weitgehend wirkungslos (Köcher 2013).

1.3 Das Richtungspolitische am Wahlergebnis

Das Wahlergebnis legt die Dominanz wohlfahrtsstaatlicher und weniger gerech-tigkeitsorientierter Zielbilder nahe. Wohlfahrtsstaatliche Themen im Sinne eines » Weiter so ! « haben die Wahl entschieden. Die meisten Bürger waren 2013 in ih-rer persönlichen und allgemeinen Einschätzung deutlich zufriedener und zu-kunftsoptimistischer als 2009 (Neu 2013; Jung/Schroth/Wolf in diesem Band). Mit Merkel als Garantin dieses Wohlfahrtsniveaus sollten auch die kommenden vier Jahre zumindest für eine sichernde Stabilisierung auf diesem hohen Niveau sorgen. Wechselstimmung war deshalb nicht messbar. Gerechtigkeits- und Bürgerrechts-themen haben in so einem Klima sehr geringe Mobilisierungschancen. Merkel galt für viele als diejenige, die als sichere Anwältin der Steuergelder international auftrat: » Wir geben nichts « – so lautete das Credo. Viele verbanden damit rich-tungspolitisch auch keine Steuererhöhungen oder Haushaltskonsolidierung. Viel-mehr wurde das Primat der Sicherheit gewählt: tiefe Sehnsucht nach Sicherheit (objektive Sicherheitslage und subjektives Sicherheitsgefühl), Absicherung des so-zialen Status und gesellschaftliche Selbstvergewisserung in moralischen Urteilen. Häufig orientiert sich diese Sicherheitssehnsucht nicht am Geld, sondern eher an bestimmten Gefühlen: es geht um Anschluss und Austausch mit anderen Men-schen, eine soziale Identität und verlässliche Zukunftsplanung. Wohlfahrtsteige-rungen müssen mit solchen Gefühlen einhergehen, wenn es zu mehrheitsfähigen Mobilisierungserfolgen führen soll (Lotz 2013). Letztlich wurde das Resilienzma-nagement der Kanzlerin honoriert bzw. ihr die Aura dazu unterstellt: Gleichgül-tig welcher Krisenabstieg drohen könnte, mit Merkel geht es im Aufwärtstrend ir-gendwie immer weiter – so die Wählereinschätzung.

Historische Dimensionen hatte die Wahl, weil seit 1949 die FDP nicht mehr im Bundestag vertreten ist. Eine Funktions- und Mehrheitsbeschafferpartei hat ihre Funktion offensichtlich im Wählervotum verloren. Zudem blieb bis zum Schluss unklar, worin das inhaltliche Korrektiv einer FDP in erneuter Regierungsverant-wortung bestehen könnte, um die Union zu disziplinieren oder zu ergänzen. Das ist in doppelter Hinsicht problematisch: Die Union ist als jahrzehntelange Regie-rungspartei normativ entkernt und ihr erklärungsarmer Pragmatismus als Staats-partei orientiert sich immer stärker an Meinungsumfragen (Kallinich/Schulze in diesem Band). Da braucht man als Union kein ordnungspolitisches Korrektiv. Aber genau diese wendige Sachorientiertheit der Kanzlerin goutierte eine deut-

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liche Mehrheit der Wähler. Welches inhaltliche Korrektiv hätte von der FDP aus-gehen können ? Richtungspolitisch konnten die meisten Wähler die FDP diesmal nicht verorten. Ihr kommuniziertes inhaltliches Profil blieb im Wählerbild diffus. Den Wählern musste bei der Ausgangssituation der fehlenden Lagermehrheiten klar sein, dass die Mehrheitsfindung für die Union als stärkste Partei – ohne die FDP – systematisch zu einer Koalition führen muss, die richtungspolitisch linker als die Union aufgestellt ist. Viele verbinden auf der links-rechts-Achse dazu die Themen: mehr Umverteilung, mehr Regulierung des Arbeitsmarkts, mehr Vertei-lungsgerechtigkeit (Trüdinger/Bollow 2011).

Das Richtungspolitische am Wahlergebnis und der Regierungsbildung muss immer auch den Entscheidungsraum des Bundesrats berücksichtigen (Korte/Fröhlich 2009: 65 – 68). Die Mehrheitsverhältnisse zwischen Bundestag und Bun-desrat sind in der Regel ein gutes Abbild der deutschen Schlichtungsdemokratie. In den meisten Regierungsjahren seit 1949 lagen jeweils gegensätzliche Mehrhei-ten vor. Keine richtungspolitische Großentscheidung sollte dominant sein, son-dern abgemildert, eingehegt, abgeschliffen werden – dazu dienten im dialek-tischen Verständnis häufig die zeitversetzten Landtagswahlen im Hinblick auf den bundespolitischen Großtrend. Das Regieren mit dem Bundesrat wird für die Große Koalition schwer, aber nicht unmöglich, obwohl sie bisher nur über 27 eigene Stimmen (fünf Große Koalitionen und jeweils absolute Mehrheiten in Bayern und Hamburg) verfügt. Denn zwei Themen werden die nächsten vier Jahre bestimmen: Die Schuldenbremse und die Neuordnung des Länderfinanzaus-gleichs auf Grund von Karlsruher Urteilen. Dabei ist die Differenzierung nach rei-chen und armen Ländern politisch wichtiger als die jeweiligen Parteifarben. Auch nach der schwarz-grünen Regierungsbildung in Hessen verändert sich das Mehr-heitsbild im Bundesrat nicht. Die Grünen regieren – mit Ausnahme von Bayern – in allen großen Bundeländern mit. 34 Stimmen bringen diese Bundesländer (Ba-den-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) ergänzt durch Bremen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Wenn noch das von einer rot-roten-Regierung geführte Brandenburg hinzukommt, dann verfügen die Grünen über eine Mehrheit im Bundesrat (Bannas 2013). Ob dies dem Wählervotum zur Bundestagswahl entspricht, darf bezweifelt werden. Gerade die Richtungsvorga-ben der Grünen im Hinblick auf höhere Steuern für gute Zwecke stießen auf ge-ringe Resonanz.

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1.4 Das Europäische am Wahlergebnis

Europa hat die Wahl entschieden: Da sich keine der etablierten Parteien um eine ernsthafte an Gestaltungszielen ausgerichtete Europapolitik im Wahlkampf ge-kümmert hat, stiegen die Chancen der euro-kritischen AfD (Kaeding 2013). So-lange die Parteien der Mitte im traditionellen alt-bundesrepublikanischen Euro-padenken befangen sind, öffnen sich Themenspielräume für andere Parteien, die nicht grundsätzlich europafeindlich sind, aber weniger befangen im Hinblick auf Defizite der europäischen Integration argumentieren. Die ausgehöhlte institutio-nelle Architektur, das Demokratiedefizit, die zunehmende exekutive Entschei-dungsfindung – all das hätten die etablierten Parteien thematisieren können, nicht nur Europa als Euro-Krise. Die Stimmen für die AfD – ob nun im Parlament ver-treten oder nicht – fehlten dem schwarz-gelben Regierungslager. Merkel erklärte ihren Europakurs schon frühzeitig als » alternativlos «. Das führte zur Namensge-bung der AfD, die bewusst Alternativen vorschlug.

Ein anderer Europabezug ist ebenso ausschlaggebend: beim Euro haben All-parteien-Entscheidungen des Bundestages gezeigt, dass in der Krise viele zusam-menhalten. Warum sollen die Wähler dann nicht gleich eine Große Koalition wählen ? Europa hat auch mit dem Wahlklima zu tun: Wählen in Zeiten der Zu-friedenheit ist diesmal für die meisten Bundesbürger angesagt gewesen – gerade im Vergleich mit vielen anderen krisengeschüttelten Mitgliedsländern der EU. Zahlreiche Regierungen sind seit der Lehmann-Krise 2008 in Europa abgewählt worden – wegen der Banken-, Verschuldungs-, Eurokrise. Merkel wurde hinge-gen wegen ihres Krisenmanagements im Euro-Raum gewählt. Und zu guter Letzt: Deutschland ist sichtbar die Zentralmacht Europas, von der geldpolitisch alles ab-hängt. Merkel dominiert allein schon durch ihre langjährige Präsenz auf der gou-vernementalen Europa-Bühne, die ihr einen unschätzbar wichtigen Erfahrungs-vorsprung sichert.

1.5 Das Konservativ-Fortschrittliche am Wahlergebnis

Es gehört zum Kernbestand der Wahlforschung, dass in Deutschland die Schnitt-mengen aus drei Bereichen zum Wahlerfolg führen: ökonomische Effizienz, so-ziale Gerechtigkeit und kulturelle Modernisierung (Giddens 1999). Wer in allen drei Bereichen über Problemlösungskompetenz und personelle Sichtbarkeit ver-fügt, steigt in der Wählergunst. In der Regel konnten diese drei Bereiche auf eine zwei Parteien-Koalition verteilt wiedergefunden werden. Das Besondere an dem Wahlergebnis diesmal ist jedoch der Eindruck, dass bei einer fast absoluten Mehr-heit für CDU/CSU viele Wähler den Unionsparteien in allen drei Bereichen Ver-

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trauen und Kompetenz entgegenbrachten (Jung/Schroth/Wolf in diesem Band). Die von Merkel betriebene sanfte Öffnung der CDU vor allem in gesellschafts- und familienpolitischen Themen brachte der Union die Meinungsführerschaft bei » weichen « Themen (Reinecke 2013). Die rot-grüne kulturelle Hegemonie in die-sem Themenspektrum existiert nicht mehr.

Ökonomische Effizienz wird CDU/CSU bei Wahlumfragen konstant zuge-sprochen. Durch die Koalition mit der FDP hatte die Union die Chance, auch im Bereich der sozialen Gerechtigkeit in der Wahrnehmung der Wähler zuzulegen. Das Konservativ-Fortschrittliche am Wahlergebnis (Reinecke 2013) liegt in der Dominanz einer Partei, die offensichtlich lagerübergreifende Zustimmungswerte und damit Fortschritt und Konservatismus gleichermaßen miteinander verbindet. Ohne diese Anmutung der Union wäre auch nicht nachvollziehbar, wie es zu der-art intensiven Sondierungen zwischen Union und Grünen nach den Wahlen kam. In den bislang trennenden Lebensstilfragen haben sich die beiden Parteien mar-kant angenähert, ohne dabei völlig übereinzustimmen. Doch in vielen Bereichen scheint es nur noch eine Frage des Wann, aber nicht mehr des Ob zu sein, dass die neubürgerlichen Schnittmengen zwischen grüner und schwarzer Programma-tik größer werden.

1.6 Das Postheroische am Wahlergebnis

Merkel verfügt ganz offensichtlich über einen » Popularitätspanzer « (Güllner 2013): Da sie sich häufig in der Öffentlichkeit extrem rar macht, besteht auch (noch) nicht die Gefahr des Überdrusses. Keine Kritik an ihrem Regierungsstil, an Führungsentscheidungen als Parteivorsitzende oder abrupten Themenände-rungen blieb negativ an ihr haften (Kellermann/Mikfeld 2014). Ihr Image ist un-verändert: sie dient pflichtbewusst der Sache und nimmt das Amt, aber nicht sich selbst wichtig. Sie erscheint integer und geerdet. Ihr Habitus ist nicht auf Bedeu-tung aus. Ihr Bekenntnis orientiert sich daher eher an Kartoffelsuppen und Haus-mannskost statt an der Molekularküche (Korte 2009; Korte 2013b; Dausend 2013). Post heroisch geht sie mit dem Gebaren der Macht um, eher als wandelndes Un-derstatement. Inszenierte Macht unterläuft sie systematisch durch Macht ohne Gesten. Ihre Macht ist wenig sichtbar, aber angesichts des Wahlergebnisses noch-mals enorm gewachsen. Konsensuale Dominanz wird sie als Machtmittel erneut für die zweite Große Koalition unter ihrer Führung einsetzen. Man hatte den Ein-druck, dass sie am Wahlabend die absolute Mehrheit für die Union fürchtete und froh darüber war, dass sie nicht eintrat. Ihren erklärungsarmen Pragmatismus goutieren die meisten Wähler. Sie soll moderieren und Tagesentscheidungspolitik betreiben. Das » auf Sicht fahren « ist populär, weil das ein adäquater Regierungs-

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stil in beschleunigten Krisenzeiten zu sein scheint (Korte 2012b; Korte 2011; Laux/Rosa 2013). Wenn Gewissheitsschwund in der Politik das Risiko zum Regelfall macht, muss das Politikmanagement extrem pragmatisch daherkommen.

Die Wahlkampagne der Union zielte professionell auf die ruhige Stärke der Amtsinhaberin als Soliditätsgarant. Die » Merkel-Raute « hat einen ikonografi-schen Wert erhalten: Deutschland ist in guten Händen. Das sollte das Wahlpla-kat mit den als Raute formierten Händen suggerieren – mehr Stimmung als in-haltliche Programmatik. Doch Vertrauen, Glaubwürdigkeit, moralische Integrität sollten in diesem Kampagne mitschwingen, nicht zuletzt auch Problemlösungs-kompetenz. Denn auch die Raute als Symbol verdichtet Wirtschaftskompetenz der Amtsinhaberin – der deutsche Wohlfahrtsstaat bleibt in guten Händen und guter Verfassung.

Dieser Politikstil kommt postheroisch daher und beschreibt alltägliche Wirk-lichkeiten. Das ist die Stärke der Kanzlerin, die mit ihrer Sprache der Wirklich-keitsbeschreibungen auch für die meisten Bürger sehr gut verstehbar ist. Merkels Sprache und Regierungsstil erscheinen als Prototyp für das Regieren unter Be-dingungen globalisierter Governance (Zürn 2011; Heinze 2013). Ruhige Stärke und forcierte Passivität charakterisieren die Rhythmen ihres Politikmanagements. Dieses Politikmanagement befriedigt in vielerlei Hinsicht den Eindruck, dass die Bürger beim problemlösenden Regieren direkt mitgenommen werden. Faktisch können so jedoch immer nur Wirklichkeiten durch die Kanzlerin beschrieben werden, nie Möglichkeiten und Gestaltungsziele. Deliberation und Dezision prä-gen in wechselseitiger Abhängigkeit unsere Demokratie. Ein Regierungsstil, der mit Geschwindigkeitsgrenzen bei den Entscheidungen kämpft und weitgehend auf argumentative Gestaltung verzichtet, verändert die Qualität der Demokratie. Doch wie die Bundestagswahl 2013 zeigte, honorieren die meisten Wähler genau diesen Politikstil, der auf immerwährendes Kümmern setzt. Die Kanzlerin scheint mit ihrem Stil des Entscheidens eine adäquate Antwort auf die Herausforderun-gen der Risikokompetenz gefunden zu haben. Politik erschien als Ort der Sensibi-litätsschulung für das Eintreten unerwarteter Ereignisse.

2 Ein halber Machtwechsel

Die Bundestagswahl 2013 wird in der Geschichte der Wahlforschung keine signi-fikanten Spuren hinterlassen. Die überraschenden – an manchen Stellen auch his-torischen – Einschnitte relativieren sich im Verlauf der Zeit. » Sorgenvolle Zufrie-denheit « und » entspannter Fatalismus « – in solchen Formulierungen kulminiert eine Form von stabiler Ambivalenz, die für die Bundestagswahl 2013 prägend war und zu einem halben Machtwechsel führte. Im Rückblick erscheint die Große Ko-

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alition insofern als absolut verlässlich erwartbare Konstellation. Die charakteris-tische Stabilitätskultur, der ausgeprägte Sicherheitskonservatismus und das hohe Wohlfahrtsniveau in Deutschland deuten gleichzeitig auf lange Serien mittezent-rierter Regierungen hin, wenngleich sich die Mitte manchmal mit neuen Parteien auch umsortiert.

Die Irrtumswahrscheinlichkeiten bei Vorhersagen von Wahlergebnissen wer-den deshalb nicht geringer, weil Wähler- und Parteienmärkte dynamisch bleiben. Wichtig bleibt für das Gesamtbild einer Bundestagswahl-Analyse der Komplexi-tätsbefund: Die inneren Widersprüche der Wähler, die jede Umfrage transportiert, müssen insgesamt als Einstellungs- und Handlungsrepertoire gewürdigt werden. Anders ist nicht erklärbar, warum der Wunsch nach einer CDU-Kanzlern mit SPD-Aura wächst.

Die Politikwissenschaft kann zur Schärfung des Analyseblicks von der Verhal-tensökonomie lernen, die Rationales durch Irrationales anreichert oder zumin-dest dem Irrationalen einen wichtigen Bereich zuweist. Vor diesem Hintergrund ist der Versuch, Komplexität in der Analyse von Bundestagswahlen zuzulassen, wie es die nachfolgenden Beiträge dieses Bandes vorsehen, auch wissenschafts-programmatisch sinnvoll. Denn die Orientierung der Wähler und der politi-schen Akteure vollzieht sich auf unterschiedlichen Dimensionen: kognitiv (ob die Wähler, die Welt, in der sie leben und handeln, verstehen), emotional (ob sie das Gefühl für Sicherheit und Geborgenheit haben), politisch (ob sie den Eindruck haben, dass es fair, gerecht, demokratisch zugeht) und partizipativ (ob sie sich ein-bringen und teilhaben können) (Dettling 1995: 17). Idealerweise muss der Analy-seblick diese Dimensionen verbinden.

Auch professionelle Politik antizipiert diese verschiedenen Ebenen. Ob das der Großen Koalition und ihren Akteuren gelingen wird, ist im Moment nicht abseh-bar. Die Bürger haben allerdings die Erwartung, dass die Große Koalition auch die großen Probleme Deutschlands – Energiewende, Staatsverschuldung, Neuord-nung des deutschen Föderalismus – zu lösen vermag. Doch fest steht auch: Trotz der nahezu überwältigenden 80-Prozent-Parlamentsmehrheit wird es ein Durch-regieren in keinem Fall geben können, denn Regieren in Deutschland bedeutet immer Interdependenzmanagement (Korte/Fröhlich 2009: 80). In der deutschen Konsens- und Schlichtungsdemokratie verfügen zahlreiche Vetospieler und Ne-benregierungen über formal gesicherte Mitspracherechte: Bundesrat, Bundes-verfassungsgericht, die Institutionen der Europäischen Union und organisierte Interessengruppen entscheiden bei vielen Fragen mit. Und auch politisch-kultu-rell haben sich die Deutschen dem Ausgleich verschrieben. Gegenwärtig ist noch nicht abzusehen, wie sich die Lage im Euro-Währungsgebiet weiter entwickeln wird. Gerade die Finanz-, Wirtschafts- und Eurokrise lassen das Regieren in Deutschland zum Regieren unter beschleunigten Zeit- und komplexen Risikobe-

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dingungen werden: Politische Akteure haben immer weniger Zeit, um Entschei-dungen mit immer längerer Wirkungszeit zu treffen – bei gleichzeitig steigendem Nicht-Wissen hinsichtlich möglicher Folgen. All das macht die Große Koalition zu einem gefesselten Riesen.

In dieser kursorisch angelegten einführenden Analyse sind einige markante Aspekte der Bundestagswahl 2013 skizziert worden. Dabei wurde ein multiper-spektivistischer Zugang gewählt, der auch diesem Konzeptband seine vierglied-rige Struktur verleiht: Analysen aus dem Bereich der Wahlforschung werden ergänzt durch Untersuchungen der Parteien-, Kommunikations- und Regierungs-forschung. Insofern erfährt die Vermessung des Wählerverhaltens eine Erweite-rung, um der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes gerecht zu werden und unterschiedliche Stränge politikwissenschaftlicher Forschung zu integrie-ren. Die Beiträge des Bandes sind im Rahmen eines call für contributions ausge-wählt und auf einer Autorenkonferenz an der NRW School of Governance disku-tiert worden.

Den Anfang machen Beiträge aus dem Bereich der Wahlforschung. Matthias Jung, Yvonne Schroth und Andrea Wolf zeichnen die Wahl aus demoskopischer Sicht nach. Ein zentraler Befund: Aus einer partiellen Wechselstimmung heraus schaffte es die Union mit ihrer Spitzenkandidatin, ihre Wählerbasis schichtüber-greifend auszuweiten und so fast die absolute Mehrheit zu erringen. Das Wahl-ergebnis 2013 hat insofern mit der Mär aufgeräumt, dass das Ende der Volks-parteien zwangsläufig gekommen ist. Im Anschluss skizziert Gerd Strohmeier das neue Bundestagswahlrecht und dessen Auswirkungen auf das Wahlergebnis. Trotz Vollausgleich aller Überhangmandate führten die jüngsten Reformen über-raschenderweise nicht zu mehr, sondern sogar zu weniger Erfolgswertgleichheit der Stimmen. Ursächlich war die Sperrklausel, die in der Diskussion bislang häu-fig ausgeblendet wurde und mit dieser Wahl neue Brisanz erhalten hat. Dass die jüngsten Wahlrechtsänderungen keinen nennenswerten Einfluss auf das Stim-mensplitting hatten, zeigt Ossip Fürnberg. Der Splittinganteil ging nur marginal zurück und blieb mit 23,5 Prozent immer noch hoch. Das Phänomen der Wahlab-stinez steht bei Sigrid Roßteutscher und Armin Schäfer im Fokus. Sie weisen eine » Geografie der Nichtwahl « empirisch nach: In Wohngegenden, in denen soziale Problemlagen verdichtet auftreten, erreicht die Beteiligung an Wahlen Tiefstwerte. Ulrich Rosar und Hanna Hoffmann fragen schließlich danach, welchen Einfluss die Kanzlerkandidaten-Bewertung auf die Wahlchancen ihrer Parteien hatte. Wie ihre Untersuchung zeigt, konnte Merkel ihre Popularität in Stimmen für die CDU ummünzen, während dies ihrem Kontrahenten Steinbrück weniger gelang.

Darauf folgen Analysen der Parteienforschung. Den Konsequenzen der Wahl für die einzelnen Parteien, das Parteiensystem und die Koalitionsbildung widmet sich Frank Decker. Für ihn hat die Phase der doppelten koalitionspolitischen Seg-

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mentierung mit der Bundestagswahl 2013 ein Ende gefunden, wofür vor allem die ernsthaften Sondierungen von Union und Bündnis 90/Die Grünen ein Zei-chen waren. Die vielfach unterstellte programmatische Gleichheit der Parteien im Wahlkampf entlarven Steffen Bender, Matthias Bianchi, Karina Hohl, Andreas Jüschke, Jan Schoofs und Susanne Steitz als Mythos. In einer Wahlprogramm-Ana-lyse weisen die Autoren mithilfe des Duisburger-Wahl-Index (DWI) durchaus unterscheidbare Positionen der Bundestagsparteien und der Piraten entlang der sozio-ökonomischen sowie der sozio-kulturellen Konfliktlinie des Parteienwett-bewerbs nach. Dass nach wie vor zwei programmatische Lager erkennbar sind, belegt auch die Analyse von Uwe Wagschal und Pascal König, die in ihrem Beitrag die Parteien bei den Bundestagswahlen 2005, 2009 und 2013 mithilfe der Wahl-O-Mat-Daten auf einer Links-Rechts-Achse verorten. Während SPD, Grüne, Linke und Piraten ein programmatisch homogenes » linkes « Lager bilden, sind die Po-licy-Distanzen zwischen Union, FDP und AfD im » bürgerlichen « Lager deut-lich ausgeprägter. Dies ist nicht zuletzt an der Integrations- und Migrationspolitik festzumachen, deren besonderen Stellenwert im Bundestagswahlkampf Andreas Blätte erkundet. Er stellt die Strategien der Parteien zur Ansprache von Wählern mit Mitgrationshintergrund anhand ihres Kandidaten- und Themenangebots so-wie der Einbindung migrantischer (Vorfeld-)Organisationen in den Fokus. Aus Sicht der organisationssoziologischen Parteienforschung blickt Sebastian Bukow auf das Kampagnenmanagement der Parteien: Alle Parteien setzten in diesem Wahlkampf auf eine partielle Zentralisierung und auf Elemente einer angebots-basierten Steuerung, um eine bundesweit einheitliche Kampagne zu organisieren. Neue Wege gingen die Parteien bei der Beteiligung ihrer Mitglieder. Wie Hendrik Träger in seinem Beitrag zeigt, setzten die Grünen (Urwahl der Spitzenkandida-ten) und die SPD (Mitgliedervotum über die Koalitionsvereinbarung) Meilen-steine bei der Mitbestimmung ihrer Basis. Auch die anderen Parteien boten on-line wie offline verschiedene Beteiligungsformen an.

Die Beiträge des dritten Teils beleuchten die Bundestagswahl aus Perspektive der Kommunikationsforschung. Mit den Kommunikationsstrategien der Parteien sowie den Funktionslogiken und Rahmenbedingungen des Medienwahlkampfs beschäftigen sich Matthias Bianchi und Karl-Rudolf Korte. Parteien wie Massen-medien prägten zwar einige neue Formate im Bundestagswahlkampf 2013 – un-vorhergesehene, paradigmatisch neue Kommunikationsformate konnten sich allerdings weder aus der Perspektive der Medien- noch aus Perspektive der Par-teiendemokratie etablieren. Bettina Westle, Christian Begemann und Astrid Rütter widmen sich der Frage, welche Informationen zu politischen Streitthemen der Wählerschaft in ausgewählten Printmedien angeboten wurden und inwieweit sich dieses Angebot mit den Inhalten der Wahlprogramme deckte. Ihre Analyse zeigt, dass die europäische Finanzkrise bei fast allen Tageszeitungen das dominierende

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Thema war, während die aus vergangenen Wahlkämpfen bekannte große Bedeu-tung der Arbeitslosenquote sich 2013 nicht wiederfinden ließ. Neben der CDU/CSU gelang es nur den Grünen, ein mediales Profil entsprechend der Schwer-punktthemen ihrer Wahlprogramme zu entwickeln. Stephanie Geise und Klaus Kamps unterziehen das Phänomen des Negative Campaigning einer kommunika-tionswissenschaftlichen Betrachtung. Auch im Bundestagswahlkampf 2013 setz-ten fast alle Parteien Plakate mit entsprechenden Elementen ein. Gleichwohl wei-sen die Autoren in ihrer Studie ambivalente Effekte nach: Zwar werden Negative Campaining-Plakate durchweg als solche erkannt, doch ihnen werden kaum Wir-kungspotenziale zugeschrieben. Zwei Beiträge greifen den Stellenwert von Nar-ration auf. Sebastian Jarzebski konzeptualisiert Wahlkampf als Erzählung, die über das Konzept der Politischen Narrative zum Zentrum seiner Analyse wird. Jarzebski illustriert anhand des TV-Duells zwischen Merkel und Steinbrück, wie Erzählungen und das Erzählen im Zusammenspiel die Diskurse des Wahlkampfes beeinflussten. Einen anderen Fokus wählen Andreas Elter und Andreas Köhler. Sie zeigen, dass beide Spitzenkandidaten durch den Einsatz mythischer Narrative in ihren Wahlkampfreden kollektive Identitäten geschaffen haben. Kay Hinz analy-siert schließlich das Agieren von Bundestagskandidaten bei facebook und Twitter: Gerade professionalisierte, junge und medial präsente Kandidaten waren in die-sen Online-Netzwerken aktiv, so der Befund.

Zu Beginn der Analysen aus Sicht der Regierungsforschung ziehen Daniela Kallinich und Frauke Schulz eine Regierungsbilanz. Was bleibt von der christlich-liberalen Bundesregierung ? Zwei Begriffe sind es, welche die Regierungszeit aus ihrer Sicht charakterisierten: Krise und Pragmatismus. Die anschließenden Bei-träge richten den Blick auf die neue Bundesregierung. Eric Linhart und Susumu Shikano untersuchen das Zusammenspiel von Ämter-, Politik- und Stimmenmo-tivation der Parteien bei der Koalitionsbildung. Demnach wäre ein rot-rot-grünes Bündnis diejenige Koalition gewesen, bei der alle an ihr beteiligten Parteien ihre Motivationen am besten erfüllt sehen sollten. Die Große Koalition bietet für die Parteien hingegen suboptimale Ergebnisse. Wie die Bildung der dritten Großen Koalition und ihre Startphase verliefen, zeichnet Martin Florack in seiner Ana-lyse der » informellen Machtarchitekturen « anhand institutionentheoretischer Ansätze nach. Timo Grunden wagt schließlich den Blick nach vorne. Er skizziert das Programm und die Handlungsspielräume der Regierung entlang der Tradi-tionslinien von Union und SPD. Grunden hält fest, dass sich das Regierungspro-gramm der Großen Koalition auf zwei Ebenen verteilt: Das innenpolitische Pro-gramm mag in einer » sozialdemokratischen Handschrift « geschrieben sein. Das euro päische Programm wird seiner Analyse nach aber auch noch dann die Regie-rungspolitik in konservativ-liberale Bahnen zwingen, wenn die Große Koalition schon längst Zeitgeschichte geworden ist.

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