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62 Natürlich | 7-2005 Die Pferderetterin Die Schweizerin Claudia Feh siedelt die vom Aussterben bedrohten Przewalski-Pferde in der Mongolei wieder an. Mit ihrem Projekt schützt sie die Umwelt und hilft den Nomaden. Text: Fiona McWilliam Fotos: Rolex Awards / Heine Pedersen

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Die PferderetterinDie Schweizerin Claudia Feh siedelt die vom Aussterben bedrohten

Przewalski-Pferde in der Mongolei wieder an.

Mit ihrem Projekt schützt sie die Umwelt und hilft den Nomaden.

Text: Fiona McWilliam Fotos: Rolex Awards/Heine Pedersen

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Porträt GESELLSCHAFT

Das Przewalski-Pferd, das in derMongolei Tachi genannt wird,ist das letzte echte Wildpferdder Welt und ein naher Ver-

wandter jener Pferde, die in der Vorge-schichte in Zentralasien, China undWesteuropa lebten. Mit seinem grossenKopf und seiner Stehmähne sieht es denPferden der 17 000 Jahre alten Höhlen-malereien von Lascaux im SüdwestenFrankreichs zum Verwechseln ähnlich.Diese sah Claudia Feh im Alter von 19Jahren zum ersten Mal.

Sie war damals bereits eine Pferde-närrin und nahm sich vor, ihr Leben der

Erforschung von Wildpferden zu wid-men. Jahre später beschäftigte sie sichzunächst mit den Pferden der südfran-zösischen Camargue und dann mit demvom Aussterben bedrohten Przewalski-Pferd (Equus przewalskii), auch Asia-tisches Wildpferd oder MongolischesWildpferd genannt.

Götterboten und WissenschaftlerFür Mongolen sind Pferde Boten derMenschen an die Götter und das Tachigilt als heiliges Tier. Dennoch wurden in

der Mongolei die letzten Exemplare desin freier Wildbahn lebenden Przewalski-Pferdes, das ursprünglich in mehrerenLändern beheimatet war, in den Siebzi-gerjahren gesichtet.

Für Feh steht die Wiederansiedlungdes Przewalski-Pferdes exemplarisch fürihr ehrgeiziges Umweltschutzprojekt inder Mongolei. Wild Horse Mesh, so derName des Projekts, bietet Nomaden ausder Region sowie mongolischen und aus-ländischen Wissenschaftlern eine einzig-artige Möglichkeit, Informationen in ei-nem multidisziplinären Lernforum aus-zutauschen und in Projekten zusammen-zuarbeiten – zum Nutzen aller Beteiligtenund zum Wohle der Umwelt.

Hauptaufgaben des Wild Horse Meshsind der Schutz des Habitats sowie Mass-nahmen zur Erhaltung gefährdeter Pflan-zen, Vögel, Säugetiere und des Prze-walski-Pferdes. Dies in enger Zusammen-arbeit mit den Nomaden, die in vielerleiHinsicht davon profitieren. Ferner bietetWild Horse Mesh Gesundheitserziehungsowie ein Impfprogramm vorwiegend fürKinder an.

Wilde Zucht in FrankreichFeh, die sich auf die Verhaltensforschungvon Pferden spezialisiert hat, ist heuteeine weltweit anerkannte Expertin ihresFachgebiets. Dank jahrzehntelanger For-schungsarbeit konnte sie eine Reihe gän-giger Überzeugungen im Hinblick auf diePferdehaltung in Frage stellen, darunteretwa die Ansicht, es sei riskant, erwach-sene Hengste und Stuten zusammen zuhalten.

1992 gründete sie TAKH, eine Verei-nigung, die sich der Wiederansiedlungdes Przewalski-Pferdes in seinem ur-sprünglichen Habitat sowie dessen Erhal-tung widmet. Um die Probleme der Ge-fangenschaftszucht zu umgehen, begannTAKH vor zehn Jahren mit der Aufzuchteiner wilden Herde von Przewalski-Pfer-den. Die Herde lebt auf einem 400 Hektargrossen Gelände auf dem Causse Méjean,einem Hochplateau im Süden Frank-reichs, das wegen seiner Ähnlichkeitenmit der unwirtlichen mongolischenSteppe ausgewählt wurde.

Diese Methode unterscheidet sichgrundsätzlich von der zweier andererOrganisationen, die Anfang der Neunzi-gerjahre gegründet wurden und es sich

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ebenfalls zur Aufgabe gemacht haben,das Przewalski-Pferd in der Mongoleiwieder anzusiedeln. Sowohl die Stiftungfür die Erhaltung des Przewalski-Pferdesals auch die International Takhi Groupbringen Wildpferde aus zoologischenGärten in die Mongolei. Die Projekte er-gänzen sich: Die Internationale Unionzum Schutz der Natur (IUCN) empfiehltfür die Wiederansiedlung die Auswilde-rung von drei bis fünf geografisch ge-trennten Populationen.

Gen-Armut und Kämpfesind tödlichAlle der 1500 heute lebenden Przewalski-Pferde stammen von 13 in Gefangen-schaft gehaltenen Tieren ab, und diemeisten von ihnen leben auch weiterhinin Zoos. Ein derart begrenzter Genpoolmacht jegliche Säugetierpopulation an-fällig für genetische Defekte.

Nachdem Claudia Feh elf genetischkompatible Pferde aus verschiedeneneuropäischen Zoos erworben hatte, fasstesie Anfang der Neunzigerjahre den vonvielen Experten als riskant betrachtetenBeschluss, diese Pferde frei zusammen-leben zu lassen, das heisst, weder inihr Paarungsverhalten noch in die Bil-

dung sozialer Gruppen einzugreifen. Siehatte beobachtet, dass sich erwachseneHengste unter den Bedingungen der Ge-fangenschaft manchmal bis auf den Todbekämpfen. Und sie wusste, dass sich inder Gefangenschaft aufgrund räumlicherBegrenzung und der Einschränkung so-zialer Beziehungen auch andere aggres-sive Verhaltensweisen entwickeln. So istzum Beispiel bekannt, dass Hengstemanchmal Fohlen töten. Feh hatte Wild-pferde während 6000 Stunden beobach-tet. Dabei ist sie zur Überzeugung ge-langt, dass derartige asoziale Verhaltens-weisen in freier Wildbahn verschwindenund sich damit die Überlebenschancender Pferde verbessern würden.

Kooperation – Triebkraft der EvolutionSie sollte Recht behalten. «Unter unserenHengsten hat sich eine natürliche Hierar-chie entwickelt», erklärt sie. «Kämpfegibt es auch weiterhin, jedoch nur nochin ritualisierter Form, und folglich sindsie kein ernsthaftes Problem mehr.» ImGegenteil: «Bei Gefahr verbünden sichdie Tiere, selbst wenn sie sonst Konkur-renten sind.» Die Tötung von Fohlen, soFeh, verschwinde in der zweiten Gene-

ration völlig. Viele Pferdekenner seienzwar nach wie vor skeptisch, «doch siedürften sich überzeugen lassen, wennsie das Verhalten der Tiere mit eigenenAugen sehen.»

In Le Villaret, dem von TAKH in Frank-reich unterhaltenen Gehege, wird zurzeitdie dritte Generation von Przewalski-Pfer-den geboren. Die dort lebenden 55 Tierehaben sich zu fünf Familien und zwei Jung-gesellengruppen zusammengeschlossen,eine typische soziale Ordnung für in freierWildbahn lebende Pferde und zudem eineentscheidende Voraussetzung für ihr lang-fristiges Überleben.

Für jedes Wiederansiedlungsprojektist es von ausschlaggebender Bedeutung,dass die mit einem hoch entwickeltenSozialverhalten ausgestatteten Pferde ler-nen zusammenzuleben und trotz Kon-kurrenz zu kooperieren. «Kooperation»,sagt Feh, «ist mein Lieblingsthema. Sieist eine der Triebkräfte der Evolution,und doch wird sie als Forschungsthemaleider sehr häufig zugunsten der Wett-bewerbsforschung vernachlässigt.»

Ohne Nomaden geht es nicht1996 begann Feh mit der Suche nacheinem Ort für die Wiederansiedlung derPferde. Sie entschied sich für KhomiinTal, ein abgelegenes Gebiet in der westli-

Die Mongolen glauben, dass die Pferde Götterboten sind.

Das Przewalski-Pferdwurde in den 70er-Jahren

zum letzten Mal in derWüste Gobi

wild angetroffen.

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chen Mongolei, das mit seinen 2500 Qua-dratkilometern eine Pufferzone amRande des Khar Us Nuur Nationalparksbildet. Dieses Gebiet erfüllt die ökologi-schen Voraussetzungen für die Auswilde-

rung der Pferde – es bietet genügendWasser, Futter und natürlichen Schutz –und ist durch ursprüngliche Grenzen wieeinen See, einen Fluss und hohe Sand-dünen gut isoliert.

Bei den Vorbereitungen für die imSeptember 2004 begonnene Wieder-ansiedlung des Przewalski-Pferdes inder Mongolei wurde Feh klar, dass daslangfristige Überleben der Tiere von derMitarbeit der dort lebenden Nomadenabhängt, denn deren Ziegen- und Schaf-herden wachsen schnell und überweidenbereits das Grasland der Steppe. Ausser-dem fasste Feh die Möglichkeit ins Auge,die Wiederansiedlung des Przewalski-Pferdes als Modell für ein breiter angeleg-tes integriertes Naturschutz- und Ent-wicklungsprogramm zu nutzen. Die 35bis 50 Nomadenfamilien der Gegend,deren Anzahl sich jedes Jahr ändert,sind begeistert vom Projekt und freuensich, das Tachi wieder in freier Wildbahnzu sehen.

Die Vereinigung TAKH hat das 135Quadratkilometer grosse Auswilderungs-gebiet eingezäunt. Bereits nimmt dieVegetation und Vielfalt im Gehege zu. Mitden Hirten verhandelt TAKH darüber,dass sie in den kommenden 20 Jahrenihre Hauspferde nicht in die Wieder-ansiedlungszone von 2500 Quadratkilo-metern lassen, denn Paarungen vonHaus- und Wildpferden würden das Pro-jekt gefährden.

Claudia FehDie Arbeit Claudia Fehs zeugt von Geduld, Durchsetzungsvermögen und einem aus-

geprägten Unternehmungsgeist. Für dieses hervorragend geplante und gründlich

recherchierte Projekt, das der Bevölkerung der Mongolei, dem Umweltschutz, den

Przewalski-Pferden und der Wissenschaft zugute kommt, erhält Claudia Feh einen

Rolex-Preis für Unternehmungsgeist. Die prämierten Projekte erweitern das Wissen

über die Welt oder verbessern die Lebensqualität. Mit dem Preisgeld wird Feh die

Renovierung und Ausstattung eines Gebäudes finanzieren, das Wild Horse Mesh

als Zentrale dienen wird. Nach Meinung Fehs wird durch diese Zentrale die Region

wieder belebt werden, denn sie verschafft der einheimischen Bevölkerung Arbeits-

plätze und den dringend benötigten Funkkontakt zur Aussenwelt. Obwohl sie ihr

Studium 1974 abbrach, um der Beobachtung frei lebender Pferde mehr Zeit widmen

zu können, erwarb sie einen akademischen Titel und internationale Anerkennung

als Spezialistin für das Verhalten von Equiden (Pferde, Esel, Maultiere, Maulesel).

1986 promovierte sie an der Universität Marseille über neurowissenschaftliche

Verhaltensforschung. Feh veröffentlicht regelmässig Beiträge in wissenschaftlichen

Publikationen. Jury Rolex-Preis für Unternehmungsgeist

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Von Pferderennen und PferdeparasitenWild Horse Mesh ist für zunächst dreiJahre einschliesslich eines jährlichenForums von sechs Wochen geplant.Thema des ersten Umweltforums imAugust ist das Pferd und speziell dieWiederansiedlung des Przewalski-Pfer-des. Die wissenschaftlichen Mitarbeiterder Vereinigung TAKH aus der Mongoleiund Frankreich sowie in- und ausländi-sche Referenten halten unter anderemVorträge über das Sozialverhalten vonWildpferden, über Pferdeparasiten undüber das Pferd als Symbol im Buddhis-mus. Einheimische Fachleute sprechenüber Themen wie Akupunktur fürPferde und traditionelle Weidewirt-schaft. Ihre Mitarbeit ist laut Feh aus-schlaggebend für das Projekt.

Um das Interesse der einheimischenBevölkerung zu wecken, ist ein traditio-nelles Pferderennen geplant, in dessenRahmen Trainingsmethoden für mongo-lische Rennpferde vorgestellt werden.

Da eine aktive Teilnahme der Be-völkerung am Forum erwünscht ist,wird in den Universitäten von Ulan-Bator und Chovd sowie im örtlichenRundfunk über das Programm des Fo-

rums informiert. Die Familien in Kho-miin Tal werden persönlich unterrichtet;nehmen sie teil, wird ihre An- und Ab-reise organisiert. Die ausländischen Re-

ferenten verzichten auf ihre Honorareund bleiben mindestens zwei Wochenvor Ort, um aktiv an den Feldforschun-gen teilnehmen zu können. ■

PrzewalskiDas Przewalski-Pferd hat verhältnismässig kurze Beine, einen dicken

Hals und grossen Kopf. Seine Schulterhöhe beträgt 130 bis 140 Zenti-

meter, sein Gewicht 200 bis 300 Kilogramm. Benannt ist das Prze-

walski-Pferd nach dem russischen General und Forschungsreisenden

Nikolai Przewalski (1839 bis 1888). Von 1867 bis zu seinem Tod –

er starb beim vierten Versuch Lhasa zu erreichen – machte er Ent-

deckungsreisen durch die Mongolei, Turkestan und Tibet. Er wurde

jedoch weniger für seine gewissenhaften Untersuchungen, sondern

vielmehr für seine Sammlungen von Pflanzen und Tieren bekannt.

1878 hat er einen Schädel und ein Fell von einem Wildpferd nach

Moskau gebracht und so die Art der westlichen Wissenschaft be-

kannt gemacht. Auch entdeckte er das Wildkamel. Der eigentliche

Entdecker der asiatischen Wildpferde ist Przewalski indes nicht:

In einem unveröffentlichten Manuskript von 1427 berichtete der weit

gereiste Bayer Hans Schiltberger über Wildpferde, die er in den

Bergen der Mongolei beobachtet hatte. Auch der schottische Arzt

John Bell, der von 1719 bis 1722 im Geleit von Zar Peter dem Grossen

durch Ostasien reiste, erwähnt in seinem Reisebericht Wildpferde,

die er in China sah. krea

Das Pferd ist ein zentraler Bestandteil der mongolischen Kultur.