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INDIANA 19/20 (2002/2003), 259-275 Berthold Riese * Die Zeichengruppe Z 70 (T 163, 173 & 186) der Maya- Hieroglyphenschrift (Maya-Schriftstudie 19) 1 Resumen: El presente estudio trata de definir unos cuatro signos de la escritura maya que habían sido mal catalogadas por Zimmer- mann (1956) y Thompson (1962). Además se proponen lecturas silábicas para todos: El signo Z 70b se lee mi y los demás signos, v.g. Z 70a, Z 70c, y Z 70d tienen el valor silábico de le. Estos signos corresponden al la mayor parte del los distintos signos catalogados por Thompson bajo sus números T 163, T 173 y T 186. Summary: This study intends to define four basic signs of Maya hieroglyphic writing hitherto misclassified by Zimmermann (1956) and Thompson (1962). It further proposes syllabic decipherments for all of them, namely: Z 70b as mi, Z 70a,. Z 70c, and Z 70d as le. These correspond to variants of Thompson’s signs T 163, T 173, and T 186. 1. Ausgangslage Günter Zimmermann hat in seinem Katalog der Hieroglyphen der Maya-Handschriften (1956) das Zeichen Z 70 definiert und auf Tafel 1 in zwei Varianten (a und b) sowie im Katalog unter Z 70b (S. 152) mit weiteren Varianten dargestellt, ohne zu klären, ob die Varianten sich als Grapheme (= Zeichen) oder nur als Allographe (= Varianten eines Zeichens) unterscheiden. Zimmermanns Zeichen Z 70 wird von Thompson, der in seinem Katalog (1962) auch Monumentalinschriften erfasst, unter seine Zeichen- nummern T 163, T 173 und T 186 aufgenommen. Mit den Zimmermannschen Varianten besteht nur Teilidentität, da Thompson noch weitere Varianten in den * Professor für Altamerikanistik und Ethnologie an der Universität Bonn. 1 Die Nummerierung meiner Maya-Schriftstudien dient Referenzzwecken und geschieht in der Rei- henfolge ihrer ersten Ausarbeitung, seit ich sie 1994 begonnen habe. In einem frühen Stadium hat Peter Tschohl, damals Köln, die vorliegende Studie durch grundlegende Kritik und Vorschläge zum argumentativen Aufbau wesentlich gefördert. Für abschließende kritische Stellungnahmen in den Jahren 2002 und 2003, die für die Veröffentlichung noch berücksichtigt werden konnten, danke ich Christian Prager (Bonn) und einem anonymen Gutachter.

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INDIANA 19/20 (2002/2003), 259-275

Berthold Riese*

Die Zeichengruppe Z 70 (T 163, 173 & 186) der Maya-Hieroglyphenschrift (Maya-Schriftstudie 19)1

Resumen: El presente estudio trata de definir unos cuatro signos de la escritura maya que habían sido mal catalogadas por Zimmer-mann (1956) y Thompson (1962). Además se proponen lecturas silábicas para todos: El signo Z 70b se lee mi y los demás signos, v.g. Z 70a, Z 70c, y Z 70d tienen el valor silábico de le. Estos signos corresponden al la mayor parte del los distintos signos catalogados por Thompson bajo sus números T 163, T 173 y T 186.

Summary: This study intends to define four basic signs of Maya hieroglyphic writing hitherto misclassified by Zimmermann (1956) and Thompson (1962). It further proposes syllabic decipherments for all of them, namely: Z 70b as mi, Z 70a,. Z 70c, and Z 70d as le. These correspond to variants of Thompson’s signs T 163, T 173, and T 186.

1. Ausgangslage

Günter Zimmermann hat in seinem Katalog der Hieroglyphen der Maya-Handschriften (1956) das Zeichen Z 70 definiert und auf Tafel 1 in zwei Varianten (a und b) sowie im Katalog unter Z 70b (S. 152) mit weiteren Varianten dargestellt, ohne zu klären, ob die Varianten sich als Grapheme (= Zeichen) oder nur als Allographe (= Varianten eines Zeichens) unterscheiden. Zimmermanns Zeichen Z 70 wird von Thompson, der in seinem Katalog (1962) auch Monumentalinschriften erfasst, unter seine Zeichen-nummern T 163, T 173 und T 186 aufgenommen. Mit den Zimmermannschen Varianten besteht nur Teilidentität, da Thompson noch weitere Varianten in den

* Professor für Altamerikanistik und Ethnologie an der Universität Bonn. 1 Die Nummerierung meiner Maya-Schriftstudien dient Referenzzwecken und geschieht in der Rei-

henfolge ihrer ersten Ausarbeitung, seit ich sie 1994 begonnen habe. In einem frühen Stadium hat Peter Tschohl, damals Köln, die vorliegende Studie durch grundlegende Kritik und Vorschläge zum argumentativen Aufbau wesentlich gefördert. Für abschließende kritische Stellungnahmen in den Jahren 2002 und 2003, die für die Veröffentlichung noch berücksichtigt werden konnten, danke ich Christian Prager (Bonn) und einem anonymen Gutachter.

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genannten Nummern begreift, die bei Zimmermann gar nicht vorkommen, und eine Zimmermannsche Variante bei Thompson nicht mehr erscheint. Auch Thompson schweigt sich über den schriftsystemischen Charakter seiner Zeichen und ihrer Beziehung zueinander als Grapheme oder Allographe aus. Ebenso blieben die Zuordnungsprobleme bei Grube (1990), der mit einer Abweichung (s.u.) Thompson folgt, ungelöst.

Um die unklaren Beziehungen der Formen und der Klassifizierungen der beiden hauptsächlichen Kataloge von Zimmermann und Thompson zu entwirren, habe ich sie streng nach formaler Ähnlichkeit neu bestimmt und komme zu vier zu unterschei-denden Zeichen, die ich unter Fortschreibung der Zimmermannschen Nomenklatur Z 70a, Z 70b, Z 70c und Z 70d nenne. Die Entsprechungen mit Thompsons Zeichenklassen sind folgende: Z 70a hat keine Entsprechung bei Thompson; Z 70b entspricht Thompsons Zeichen T 163, ferner den unbezeichneten Varianten links, oben und unten von Thompsons Zeichen T 173.2 Die Variante rechts von Zeichen T 173 ist graphisch durch die Innenzeichnung mit gekreuzten Bändern abweichend, kommt in den Handschriften nicht vor und wird deshalb hier außer Betracht gelassen. Z 70c entspricht der oberen, der rechten und der unteren Variante der vier nicht bezeichneten Varianten von Thompsons Zeichens T 186. Z 70d entspricht der linken Variante von Thompsons Zeichen T 186.

Ich habe diese vier Zeichenformen mit ihren Varianten in Abbildung 1 zusammen-gestellt. Fortan werde ich, wenn es um Texte, Hieroglyphen und Zeichen aus den Handschriften geht, nur noch die revidierte Zimmermannsche Nomenklatur gemäß Abbildung 1 gebrauchen. Auch beschränke ich mich in meiner Untersuchung auf Texte in den Handschriften, verwende solche in den Inschriften hingegen nur gelegentlich als Argumentationshilfen.

2. Der Zusammenhang der Zeichen Z 70b und T 173

Zeichen Z 70b kommt in den Handschriften nur viermal vor (Tab. 1 und Abb. 1). In der Form ähnelt es dem Zeichen T 173, das sich in Steininschriften findet, wo andererseits Z 70b nicht zu finden ist. Die schwarzen Partien der Handschriftenform entsprechen den schraffierten der Inschriftenform. Das ist eine auch bei anderen Schriftzeichen und in der Kunst der Tiefland-Maya übliche Äquivalenz bildlicher Ausführung zwischen Malerei und Gravur. Diese Ähnlichkeit und die komplementäre Verteilung führen zu der Vermutung, dass es sich bei Z 70b und T 173 um durch das Schriftmedium bestimmte Allographe eines einzigen Zeichens handelt.

2 Diese Neugruppierung nimmt auch Grube (1990, S. 94-95) vor.

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Abbildung 1: Die Zeichengruppe Z 70 (T 163, 173 & 186) nach den Katalogen

von Zimmermann (1956) und Thompson (1962).

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Tabelle 1: Vorkommen des Zeichens Z 70b

1 D.20b:9 100i.1342b:70b HERAB-‘e-mi kein Bild 2 D.20b:13 100i.1342b:70b HERAB-‘e-mi kein Bild 3 D.23a:13 ?.?:70b ?-?-mi Herabstürzender in erster Abteilung des

Abschnittes 4 P.17b:9 74.1342b:70b ya-‘e-mi Bild: Herabstürzender Für die Inschriftenform T 173 lautet ein plausibler Lesungsvorschlag (Grube, apud Kurbjuhn (1989) und Grube/Nahm (1990)) mi. Wenn ich mi als Silbenwert auch für die Handschriftenvorkommen ansetze, ergibt sich für die in den drei gut erhaltenen Handschriftenvorkommen von Z 70b gleiche Sequenz Z 1342b+70b die Lesung ‘e + mi > em. Diese Verbundlesung ist möglich, da Z 1342b mit dem Silbenwert ‘e entziffert ist. Ich verweise auf das Vorkommen von Z 1342b im Landa-Alphabet und die Ausführungen dazu in meiner Maya-Schriftstudie 16, die diese Lesung begründen.

Abbildung 2: Codex Dresdensis, Seite 20, Register b. Z 70b in der Hieroglyphe em

‘herabkommen’.

Em oder phonologisch genauer /e:m/ ist im yukatekischen Maya das Lexem für ‘herabkommen’.3 Die Bedeutung ‘herabkommen’ wird von zwei Textstellen in Register b von Seite 20 des Codex Dresdensis4 gestützt, da ihnen dort das Zeichen 3 Alle in dieser Abhandlung gegebenen Lesungen und Bedeutungserschließungen beziehen sich auf

das kolonialzeitliche Mayathan, wie es im Diccionario Cordemex (1980) dokumentiert ist, worauf ich im Folgenden nicht mehr hinweise.

4 Die in dieser Studie behandelten vorspanischen Maya-Handschriften sind der Codex Dresdensis (D.), der Codex Peresianus (P.) und der Codex Matritensis (M.). Zur Überprüfung meiner Aussagen

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Z 100i, das einen menschlichen Körper kopfüber darstellt, vorangeht (Abb. 2). Das bildliche Zeichen Z 100i fasse ich als semantischen Indikator für ‘kopfüber’, ‘herab’, ‘hinab’ auf,5 womit für die Gesamthieroglyphe nur ein Lexem aus diesem Bedeutungsfeld infrage kommt. em ‘herabkommen’ steht damit im Einklang. Das Bild eines kopfüber Herabstürzenden wird mit derselben Zeichenfolge Z 1342b + 70b auf S. 17 des Codex Peresianus verknüpft (Tab. 1, Nr. 4) und ist, wenn wir den Kontext etwas weiter fassen, auch für eine weitere Textstelle im Codex Dresdensis (Tab. 1, Nr. 3) plausibel, da dort der erste Abschnitt des Gesamt-Tzolkintextes mit dem Bild eines kopfüber herabstürzenden Wesens illustriert ist.

Zwischenergebnis I: Entzifferung des Zeichens Z 70b Die vier komplex logographisch und syllabisch geschriebenen Hieroglyphen in Ta-belle 1 sind durch ihren Bildbezug und ihre hieroglyphische, zum Teil bereits gesichert gelesene Umgebung fast vollständig entziffert. Das in ihnen vorkommende Zeichen Z 70b ist als Silbenzeichen mi entziffert.

3. Die Zeichen Z 70c, Z 70d und Z 70a

3.1. Das Zeichen Z 70c Alle Vorkommen von Zeichen Z 70c sind in Tabelle 2 zusammengestellt. Einen homogenen und daher zur Untersuchung geeigneten Kontext innerhalb dieser Vorkommen stellt der geschlossene Tzolkin-Abschnitt mit einer Abfolge von fünf Bild- und Texteinheiten in Register a der Seiten 89-90 des Codex Matritensis dar (Abb. 3). Dort ist im ersten und dritten Bild jeweils eine anthropomorphe Gestalt dargestellt, die eine andere ergreift. Das zweite Bild zeigt ein menschliches Wesen, das offensichtlich von einer spitzen Waffe tödlich am Hals getroffen wird. Das vierte Bild zeigt Gott M6 mit einer Schlinge in der Hand. Und das letzte Bild zeigt einen Hund mit zwei Brandfackeln in den Vorderpfoten in einem Haus. Die aus vier Hieroglyphen bestehenden Begleittexte zu den Bildern nennen zunächst jeweils eine Richtung – und zwar ‘Süden’, ‘Osten’, Norden’ und ‘Osten’.7 Dann folgt jeweils die Hieroglyphe 149:1343.70a (Tab. 2, Nr. 7-11), deren partielle Lesung aus bereits gesicherter Entzifferung der beiden ersten Zeichen xi-bi-* lautet. Wenn ich diese partielle Lesung zu xi-bi-lV > xibil ergänze, macht sie guten Sinn, denn xibil bedeutet ‘verschwinden, wie wenn sich etwas in Rauch auflöst’. Das wäre ein passender Ausdruck für die hier offensichtlich vorliegende astronomische Thematik, die durch

verweise ich auf zwei Editionen, die alle drei Handschriften reproduzieren: Lee (1985) und Villacor-ta/Villacorta (1930).

5 So schon Dütting apud Kurbjuhn (1989), s.nr.227 und Grube/Nahm (1990). 6 Nach Zimmermanns Nomenklatur Gott 22. 7 Die zweite und vierte Richtung sind gleich, intendiert sind aber wahrscheinlich vier verschiedene

Richtungen, eine der beiden genannten ist also fälschlich anstatt ‘Westen’ geschrieben. Das folgt aus zahlreichen anderen Textpassagen in den Codices Matritensis und Dresdensis.

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die einleitenden Himmelsrichtungsangaben angezeigt wird. Die abgebildeten Gestalten als Repräsentanten von Gestirnen (?) verschwinden, wie es die Abfolge von Tag und Nacht und die scheinbare Wanderung der Sonne durch den Tierkreis mit sich bringen. Die Gestirne (?) selbst und ihr Verschwinden werden anthropomorph oder theriomorph als Lebewesen beschrieben, das durch Einwirkung einer anderen Gestalt – gepackt, gewürgt oder mit einer Waffe getötet – zum Verschwinden gebracht wird oder selbst eine bildlich nicht dargestellte andere Gestalt zum Verschwinden bringt, was durch die ihr in die Hände gegebenen Instrumente ‘Schlinge’ und ‘Fackel’ angedeutet wird.

Tabelle 2: Vorkommen des Zeichens Z 70c

Nr. Textstelle Transkription Silbenlesung Bild-/Text-Zusammenhang 1 M.11c:6 71.1343:70c ti-be-le Gott C auf dem Wasser 2 M.26a:4 1303:?.70c pa-[wa]-hV? Frosch-Pawahtun? 3 M.41b:8 5.704:70c chi?-ba-le Jäger, A13a 4 M.70a:10 84:70a k’u-le Gott M mit Ara 5 M.83c:1 36:77.70c pi/si-*-le Räucheropferer 6 M.83c:5 36.77.70c pi/si-*-le Räucheropferer 7 M.89a:2 149:1343.70c xi-bi-le Chak-Ara packt Frau 8 M.89a:6 149:1343.70c xi-bi-le Gott mit Fackel in der Hand wird er-

dolcht 9 M.89a:10 149:1343?.? xi-bi-[le] Gott D packt Gott E

10 M.90a:2 149:1343.70c xi-bi-le Gott M mit Schlinge 11 M.90a:6 1343.149?.70c xi-bi-le Hund mit 2 Fackeln 12 M.90d:10 95.1341:70c chi-K’IN-le Gott G mit Speer 13 M.108c:2 71.1343:70c ti-be-le kein Bild; andere Bilder in diesem Ab-

schnitt: Wanderer oder Sämann 14 M.108c:6 80.1343:70c ti-be-le Wanderer oder Sämann 15 P.3bl:2 148.708var:70c KIM-ba?-le Katun-Prophezeiung? 16 P.4br:3 148.152:70c KIM-*-le Katun-Prophezeiung? 17 P.4br:5 148.152:70c KIM-*-le Katun-Prophezeiung?

Anmerkungen: Nomenklatur der Götter nach Zimmermann (1956), der wiederum den 1904 in endgültiger Fassung veröffentlichten Forschungsergebnissen von Paul Schellhas folgt. Zu Nr. 1: Für Z 1343 stehen je nach Kontext die Silbenlesungen be oder bi zur Verfügung, die ich entsprechend selektiv verwendet habe. Zu Nr. 3: In M.41b:8 ist anstatt Z 708 Z 704 geschrieben, was ich als Versehen interpretiere; ich lege daher für die Silbenlesung Z 708 zugrunde. Zu Nr. 11: Z 149 und Z 1343 sind in der Reihenfolge vertauscht. Zu Nr. 12: Bei Z 95, einer Ergänzung zu Zimmermanns Katalog von 1956 durch mich, handelt es sich um das von Thompson als T 143 verschlüsselte Zeichen.

Zwischenergebnis II: Teilentzifferung des Zeichens Z 70c Das Zeichen Z 70c ist vorläufig aus der Untersuchung eines textlichen und bildlichen Zusammenhangs heraus als lV entziffert. D.h. es repräsentiert eine Silbe in der für die

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Maya-Schrift kanonischen Form Konsonant + Vokal, hier Konsonant “l” + unbe-stimmter Vokal.

Abb

ildun

g 3:

C

odex

Mat

rite

nsis

, Sei

te 8

9-90

, Reg

iste

r a. Z

70a

in d

er H

iero

glyp

he x

ibil

‘ver

schw

inde

n’.

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3.2. Das Zeichen Z 70d In Tabelle 3 habe ich alle Vorkommen des Zeichens Z 70d zusammengestellt. Z 70d hebt sich vom formähnlichen Zeichen Z 70c durch die innere Schraffur ab. Die Innen-flächen von Z 70c sind im Gegensatz dazu stets leer.

Tabelle 3: Vorkommen des Zeichens Z 70d

Nr. Textstelle Transkription Silbenlesung Bild-/Text-Zusammenhang 1 D.65b:14 71.1343:70d ti-be-le Wanderer auf Weg 2 M.50c:7 10a.152:70d KIM-*-le trauernder Gott C mit geschlossenem

Auge, Katun-Prophezeiung? 3 M.97c:9 70d.1343 le-be Darreichen von keimendem Mais 4 M.98d:1 81.70d.1343 ka-le-be Darreichen von keimendem Mais 5 M.98d:7 70d.1343 le-be kein Bild 6 M.99d:2 70d.1343 le-be Malen oder Schnitzen 7 M.99d:8 70d.1343 le-be kein Bild 8 M.99d:9 70d.1343 le-be Malen oder Schnitzen 9 M.99d:16 70d:1343 le-be kein Bild

10 M.100c:20 70d.1343 le-be Gott in Laube 11 M.100d:2 70d?.1343:79 le?-be-na Gott in Laube 12 M.101b:1 81.1343 ka-be Malen oder Schnitzen 13 M.101b:7 70d.1343 le-be Malen oder Schnitzen

Anmerkungen: Zu Nr. 2: Nach Zimmermann 1956, S.50 steht Z 10a als Abkürzung für Z 148. Vgl. auch Tabelle 2, Nr.16 & 17. Zu Nr. 10: Falsche Schreibung für lot?. Zu Nr.11: Falsche Schreibung für lot-na?. Zu Nr. 12: Z 81.1344 fasse ich als falsche Schreibung für Z 70c.1343 auf, wie in Nr. 5-10 und 13. 3.2.1. Auswertung hieroglyphischer und bildlicher Kontexte zur Entzifferung von Z 70d Der Kontext von Z 70d ist mit einer Ausnahme (Tab. , Nr. 2) stets in einer Hieroglyphe gegeben, deren Kern Z 1343 enthält (Tab. 3 und Abb. 4). Z 1343 ist mit vielen guten Belegen als bi/be gelesen. Auch hierfür verweise ich auf das Maya-Alphabet von Diego de Landa und meine Maya-Schriftstudie 16, in der ich es ausführlich bespreche, und auf Kurbjuhn (1989). Die Unsicherheit über den abschließenden Vokal des Silbenzeichens interpretiere ich vorläufig und ohne ausreichende Belege, also noch sehr hypothetisch, als sprachgeschichtlich und sprachgeographisch verursacht: bi ist nach meinem Eindruck die Lesung in klassischen Texten des südlichen Tieflandes, während be eine Innovation ist, die in postklassischen Texten des nördlichen Tieflandes, auf die ich mich in dieser Studie beschränke, wirksam wird, jedoch die ursprüngliche Lesung nicht völlig verdrängt hat. Es muss daher unter Umständen mit beiden operiert werden.

In Nr. 1 der Tabelle 3 ist die Hieroglyphe mit Z 1343 aufgrund des begleitenden Bildes eines Wanderers mit Rucksack und Wanderstab auf einem Weg mit Fußspuren und aufgrund der gut verstandenen Thematik des Abschnittes und Kapitels, in die

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sie eingebunden ist, als ‘Weg’ zu deuten. Die Entzifferung, soweit gelungen, ergibt ti-be-*. Morphologisch ist das als ti (Lokativ-Präfix) + be (Nominallexem ‘Weg’) zu analysieren. Das abschließende Zeichen Z 70d kann dann phonologisch oder morpho-logisch auf zweierlei Art interpretiert werden: 1. als hV, da eine ältere Wortform für ‘Weg’ beh lautet und hieroglyphisch be + hV geschrieben würde, oder 2. als lV, da eine abstrahierende Form des Lexems be, bel, d.i. be + abstrahierendes Suffix l lautet und hieroglyphisch be + lV geschrieben würde.

Im Codex Matritensis gibt es ein Kapitel (S. 97-101), in dem Z 70d gehäuft vorkommt und zwar in Initial-Stellung (Tab. 3, Nr. 3, 5-11, 13 und Abb. 4). Die Auswertung dieser Vorkommen machen es möglich, die Entzifferungsalternativen für Z 70d auf lexikalische Stimmigkeit hin zu prüfen, wenn ich Z 70d als syllabischen Anlaut im Kontext von hieroglyphischen Konstruktionen untersuche, die sprachlich gesehen Lexeme wiedergeben; denn Lexeme lassen sich im Lexikon auffinden, und nur sie, nicht die einfachen Silbenlesungen, erlauben eine Prüfung aufgrund ihrer Bedeutung. Das in den genannten Vorkommen im Codex Matritensis mittels Z 70d konstruierte Lexem kann als lVb oder hVb rekonstruiert werden, da das auf Z 70c folgende Zeichen Z 1343 als bi/be gesichert gelesen ist, wie oben ausgeführt.

Abbildung 4: Codex Matritensis, Seite 99, Register d. Z 70d in der Hieroglyphe leb

‘öffnen’.

Zwischenergebnis III: Teilentzifferung von Zeichen Z 70d Z 70d ist als Silbenzeichen lV oder hV partiell entziffert.

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3.2.2. Lexikalische Bedeutungen zur weiteren Klärung der Entzifferung Z 70d Um zwischen den beiden alternativen Anlautkonsonanten l und h zu entscheiden, stehen zahlreiche Alternativen, entsprechend der Permutationen des innerenVokals bzw. Vokalkomplexes und der beiden alternativen Anlautkonsonanten zur Prüfung an. Ich liste sie in Tabelle 5 mit dahinter gegebenen Grundbedeutungen in verbaler oder nominaler Form (Lexeme der Maya-Sprache sind meist sowohl für Nomina wie für Verben gleich) auf.

Tabelle 5: Permutationen von Lexemen der Struktur lVb und hVb im yukate- kischen Maya

1 lab reif, alt, verfault, verbraucht, beschädigt 2 leb öffnen, so dass zwei Teile entstehen (Augenlider, Keimblätter bei Pflanzen

usw.), (am Boden) auslegen 3 lob schlecht; schädigen, harken 4 lub fallen, Raststätte, rasten, Längenmaß (legua), Zählwort für Stunden 5 hab Jahr, suchen, Unkraut jäten 6 haab Bürste, Feile 7 heb Fläche(nmaß), teilen einer Fläche 8 he’eb Schlüssel 9 hob beseitigen. zertrümmern

10 hub Schnecke, durcheinanderbringen, übertölpeln, Aufstand, (ein Haus) abreißen, Hinterteil

Wenn wir die Bilder in M.97-101 betrachten, in deren Begleittexten unsere Hiero-glyphe wiederholt vorkommt (Tab. 3), stellen wir fest, dass mehrmals ein sitzender Gott in einer Hand einen Kopf, vielleicht eine Skulptur, die er anfertigt, hält und mit der anderen ein Instrument, nämlich einen spitzen Griffel, einen Dolch, eine Ahle oder einen Pinsel, mit der Spitze ins geöffnete Auge des Bildnisses führt. Es scheint also, dass er dem Kopf das Auge malt, aussticht, oder, wenn man das Dargestellte als Herstellungsprozess versteht, dem noch nicht fertiggestellten Bildnis aus Stein oder Holz durch stechende, bohrende oder malende Bearbeitung ein Auge formt. Das andere, ebenfalls mehrmals wiederholte Bild, das unserer Hieroglyphe hier zugeordnet ist, zeigt ebenfalls einen sitzenden Gott, jedoch bei einer etwas anders gearteten Tätigkeit. Er hält in einer Hand ein Korn. Es wird nicht der natürliche Gegenstand abgebildet sondern das hieroglyphische Zeichen Z 1322, dem schlanke, nach oben ragende Streifen angefügt sind. In kalendarischen Zusammenhängen steht Z 1322 ideographisch für ‘Wind’ (ik’). In nicht-kalendarischen Zusammenhängen, und ein solcher scheint bei diesen Bildern vorzuliegen, steht es für den ‘Maiskeim’ nal. Diese Lesung wurde mir 1997 mündlich von Markus Eberl vorgetragen, und sie ist durch

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drei hieroglyphische Schreibungen gesichert,8 in denen das Lexem mit den Silbenzeichen na +li “buchstabiert”9 wird. Aus diesem hieroglyphisch durch Z 1322 dargestellten Mais sprießt oben ein großer Keim, wodurch die Lesung NAL ‘Maiskeim’ bildlich verstärkt wird. Diese beiden Darstellungen sind am besten mit der Lesung leb (Tab. 5, Nr. 2) für die ihnen zugeordnete Hieroglyphe Z 70d.1343 zu verknüpfen, denn die Maya-Wörterbücher führen für leb folgende Bedeutungen auf “abrir cosas conjuntas que facilmente se abren, como el ojo”, was auf denBild-Kontext des Schnitzens, Skulptierens oder Malens passt, und für die Phrase leb nal bieten sie “abre la mazorca”, was auf den Bildkontext des Darreichens von keimendem Mais passt, wo diese Formulierung wörtlich ?die ins Bild eingefügte Hieroglyphe in ihrer Lesung nal aufgreift.

Ist die Lesung leb schon sehr stimmig zu diesen Bildern, wird diese positive Identifizierung durch die negative der verbleibenden drei Lesungsalternativen lab, lob und lub noch verstärkt: Allesamt haben sie, wie aus Tabelle 5 erhellt, keine mit den Bildern in Einklang zu bringende Bedeutung, und auch keine Lesung mit dem Anlautkonsonant h (Tab. 5, Nr. 5-10) gibt eine auf die Bildkontexte passende Bedeutung. Damit scheiden diese Alternativen aus.

Zwischenergebnis IV: Vollständige Entzifferung von Zeichen Z 70d Z 70d ist als Silbenzeichen le vollständig entziffert.

Zwischenergebnis V: Beziehung der Entzifferung der Zeichen Z 70c und Z 70d zu-einander Da Z 70d und Z 70c die annähernd gleiche Umrissgestalt und die gleiche Zahl graphischer Elemente haben, besteht ein enger graphischer Zusammenhang. Mit ihm gleichsinnig habe ich die Entzifferung von Z 70d als le vorgeschlagen, die schon für Z 70c gelungen war. D.h. der Formähnlichkeit entspricht hier Lesungsgleichheit. Durch diese beiden konvergenten Argumentationsstränge verstärkt sich das Ergebnis, Zeichen Z 70d als Silbenzeichen le zu lesen und vice versa gilt das auch für Z 70c.

3.3. Das Zeichen Z 70a

Alle Vorkommen des Zeichens Z 70a (Abb. 1) in den Handschriften, dessen Form-varianten in Spalte 1 von Abbildung 1 zu sehen sind, habe ich in Tabelle 6 zusammen-gestellt.

8 Diese Vorkommen sind nach freundlicher Mitteilung von Christian Prager: Río Azul, Grab 7,

Wandinschrift; Río Azul, Holzschale und Costa Rica, Jadeanhänger. 9 Da die Maya-Schrift keine Buchstaben-, sondern eine Silbenschrift ist, müsste ein zu ‘buchstabieren’

analoges Wort gebildet werden. Ich möchte ‘syllabieren’ vorschlagen, verbanne diesen Vorschlag aber zunächst in diese Fußnote, da ich durch diese Innovation verursachte Verständnisschwierigkei-ten beim Leser vermeiden will.

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Tabelle 6: Vorkommen des Zeichens Z 70a

Nr. Textstelle Transkription Silbenlesung Bild-/Text-Zusammenhang 1 D. 8c:2 129.70a KIM-le Gott D vor Haus mit Gott C 2 D.10c:4 5.1360:70a chi?-ba-le Gott A/ A15a 3 D.21c:8 5.1360:70a chi?-ba-le Gott CH & Göttin I/ A15a 4 D.22a: 16 1331.5.1360:70a ?-chi?-ba-le kein Bild/ A15a 5 D.22c:15 1.5.708:70a ‘u-chi?-ba-le kein Bild/ A13a 6 D.35a:9 ?.?.70a [ti-be]-le Gott B auf Kreuzweg 7 D.41c:2 71.1343:70a ti-be-le Gott C stürzt auf Kreuzweg herab 8 D.71Ab:5 24.160:70a YAX-chi-le kein Bild

Anmerkung zu Nr. 8: Anstatt Z 70a ist vielleicht Z 70d geschrieben. Der Text ist hier nicht gut erhalten, so dass die Identifizierung schwer fällt. Zunächst untersuche ich Vorkommen von Zeichen Z 70a in der semantischen Hiero-glyphenklasse der negativen attributiven Hieroglyphen (Zimmermann 1953, 1956; Barthel 1968), also der Hieroglyphen, die auf der Bedeutungsebene als schädliche Wirkung einer Gottheit charakterisiert sind. Dort erscheint Z 70a in den gleich aufgebauten attributiven Hieroglyphen A13a und A15a (Tab. 6, Nr. 2-5 und Abb. 6, Text zum mittleren Bild). Diese beiden attributiven Hieroglyphen schienen bereits den Forschern Zimmermann und Barthel semantisch äquivalent. Die Begründung für diese Äquivalenz lässt sich zusammenfassen als: gleicher hieroglyphischer Aufbau, gleiche Wortklasse und gleicher semantischer Kontext in einer als negativ (versus positiv) konnotierten Aussage.

Abbildung 5: Codex Dresdensis, Seite 35a. Z 70a in der Hieroglyphe tibel ‘auf dem Weg’.

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Ich gehe in der Deutung weiter, indem ich nicht nur strukturelle und semantische, sondern auch sprachliche Äquivalenz behaupte. Diese lässt sich primär auf der gesicherten sprachlichen Äquivalenz der Zeichen Z 708 und Z 1360, die beide den Silbenwert ba haben, der für sie unabhängig von den hier zur Untersuchung anstehenden Kontexten erschlossen ist, aufbauen. Unter dieser Ausgangsannahme sind die beiden attributiven Hieroglyphen A13a und A 15a nicht nur strukturgleich sondern auch im Kern lautgleich. Meine sehr hypothetische Entzifferung lautet für sie chi-ba-lV >chibal, was im Mayathan ‘Biss’ und ‘Schmerz, der durch einen Biss verursacht wird’ sowie das zugehörige Verb ‘beißen’, ‘schneidend schmerzen’ bedeutet. Eine solche Äquivalenz im Sprachlichen vorausgesetzt, ist Z 70a in diesem Verbund mit derselben lautlichen Lesung wie Z 63 anzusetzen, denn diese beiden Zeichen finden sich offensichtlich austauschbar an derselben Position in den entsprechenden attributiven Hieroglyphen. Für Z 63 ist eine Lesung als la gesichert. la steuert von seiner Silbenlesung aber nur den Anlautkonsonanten l zur Lesung der betreffenden Hieroglyphe bei. Daher könnte Z 70a zwar la lauten, muss es jedoch nicht, sondern muss nur ebenfalls mit l anlauten.

Zwischenergebnis VI: vorläufige Entzifferung von Z 70a Z 70a ist mit Vorbehalt als Silbenzeichen lV partiell entziffert. Zwischenergebnis VII: Synthese der Entzifferungsergebnisse zu den Zeichen Z 70a, Z 70c und Z 70d

Abbildung 6: Codex Dresdensis, Seite 21, Register c. Z 70a in der Attributiven Hieroglyphe A15a chibal (?) ‘schmerzen’, ‘beißen’.

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Die drei untersuchten Zeichen Z 70a, Z 70c und Z 70d treten in jeweils unterschied-lichen Kontexten auf, von denen ich jeweils mindestens einen untersucht habe. Das Ergebnis war, dass jedes unabhängig von den anderen die unvollständige Silbenlesung lV zugewiesen bekam, Zeichen Z 70d sogar die vollständige und mit den unvollstän-digen kompatible Lesung le. Als Lesung nicht infrage kommt, das sei hier kontrastiv nachgetragen, der für Z 70b gewonnene Silbenwert mi, da ti-be-mi > tibem und chi-ba-mi- > chibam keine sinnvollen Wörter im yukatekischen Maya sind.

Die Konvergenz der Lesungen von Z 70a, c und d findet Bestätigungen darin, dass einige, wegen des gleichen Aufbaus und der gleichen Kontexte her gleich zu lesende Hieroglyphen mit allen drei Varianten vorkommen. Dadurch sind sie alle als freie Allographe plausibel. Es sind: Der für Z 70a häufige Kontext in der Hieroglyphe für ‘Weg’ be kommt auch bei Z 70d einmal vor (Tab. 6, Nr. 6 und Abb. 5); der für Z 70a häufige Kontext chi?-bal ist einmal auch für Z 70c belegt (Tab. 2, Nr. 2); und der Kontext KIMIL kommt mit allen drei Varianten vor (Tab. 2, Nr. 15-17, Tab. 3, Nr. 2 und Tab. 6, Nr. 1).

Ferner fällt auf, dass die Wahl unter diesen Allographen offensichtlich traditionsabhängig ist. Der Codex Dresdensis verwendet ausschließlich Z 70a, der Codex Matritensis verwendet Z 70c und Z 70d, nie jedoch Z 70a. Ob die Schwankung zwischen Z 70c und Z 70d innerhalb des Codex Matritensis ihre Ursache in verschiedenen Schreibern hat, ist noch nicht untersucht worden.

Mit diesen konvergenten Ergebnissen und der zusätzlichen semantischen Identität für einige wenige Kontexte dürfte wahrscheinlich sein, dass es sich bei den unterschiedlichen Zeichen um graphische, also vielleicht schreiberabhängige Allographe handelt, nicht jedoch um unterschiedliche Grapheme. Hinfort werde ich sie daher unter der Bezeichnung “Z 70a (neu)” zusammenfassen. Die Lesung des synthetischen Zeichens “Z 70a (neu)” lautet aufgrund der konvergierenden Einzellesungen also le.

4. Endergebnis

Das Zimmermannsche Zeichen Z 70 hat sich schriftsystemisch als aus zwei Silben-zeichen vermengt herausgestellt: Das eine, Z 70b, ist als mi zu lesen, das andere, Z 70a (einschließlich seiner Allographe Z 70c und Z 70d), ist als le zu lesen.

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Anhang: In dieser Studie angesetzte Lesungen von Maya-Schriftzeichen Ich unterscheide hier nicht zwischen Lesungen, die ich geprüft und für treffend gehalten habe, solchen, die ich ungeprüft als plausibel verwendet habe und solchen, die als konkurrierende Möglichkeiten nicht ganz ausgeschlossen werden können. Ferner ist zu beachten, dass alle Lesungen für die postklassische/frühkoloniale Zeit und das nördliche Yukatan gelten. Dieselben Schriftzeichen haben in früherer Zeit und im südlichen Maya-Tiefland, wo vornehmlich cholanische Sprachen gesprochen wurden, gelegentlich etwas andere Lesungen.

Nach Zimmermann-Nummern:

Z 1 (T 1) ‘u Z 1a (T 10) ‘u Z 5 (T 234) chi ? Z 24 (T 17) YAX Z 36 (T 146) pi/si Z 63 (T 140, 178) la Z 70a (T 173b) le/ hV? Z 70b (T 163, teilweise) mi Z 70c (T 186, teilweise) le/ hV? Z 70d (T 186, teilweise) le Z 71 (T 96) ti Z 74 (T 126) ya Z 79 (T 23) na Z 80 (T 24) ti Z 81 (T 25) ka Z 84 (T 149) k’u/ nu? Z *** (T 251) ba/ la Z 95 (T 143) chi Z 100i (T227i) ‘herab’, ‘hinab’ Z 129 (T 1053) KIM Z 146 (T 1009) xi Z 148 (T 1047) KIM Z 149 (T 1048) xi Z 160 (T 671) chi Z 708 (T 758) ba Z 708var (T 758var) ba? Z 1303 (T 586) pa Z 1322 (T 503) ik’/ NAL ‘Maiskeim’ Z 1324 (T 506) WAH ‘Mais’ Z 1341 (T 544) K’IN ‘Sonne’, ‘Tag’ Z 1342b (T 542) ‘e Z 1343 (T 585) bi/ be Z 1360 (T ***) ba

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Nach Thompson-Nummern:

T 1 (Z 1) ‘u T 10 (Z 1a) ‘u T 17 (Z 24) YAX T 23 (Z 79) na T 25 (Z 81) ka T 96 (Z 71) ti T 126 (Z 74) ya T 140 (Z 63) la T 146 (Z 36) pi/ si T 140 (Z 63) la T 143 (Z 95) chi T 149 (Z 84) k’u/ nu? T 163, teilweise (Z 70b) mi T 173b (Z 70a) le/ hv? T 178 (Z 63) la T 186, teilweise (Z 70c) le T 234 (Z 5) chi T 227i (Z 100i) ‘herab’, ‘hinab’ T 251 (Z ***) ba/ la T 503 (Z 1322) ik’ / NAL ‘Maiskeim’ T 506 (Z 1324) WAH ‘Mais’ T 542 (Z 1342b) ‘e T 544 (Z 1341) K’IN ‘Sonne’, ‘Tag’ T 585 (Z 1343) bi/ be T 586 (Z 1303) pa T 671 (Z 160) chi T 758 (Z 708) ba T 758var (Z 708var) ba? T 1009 (Z 146) xi T 1047 (Z 148) KIM T 1048 (Z 149) xi T 1053 (Z 129) KIM

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