DOPPELFLINTEN AUS DEM RHEINLAND Balance gut, alles gut! · Die Damast-Läufe der Lütticher...

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WILD UND HUND 17/2006 76 AUSRÜSTUNG DOPPELFLINTEN AUS DEM RHEINLAND Balance gut, alles gut! Was unterscheidet eine Null-acht-fünfzehn-Querflinte von der Side-by-Side, wie man sie in vor allem im Rheinland häufig antrifft? Büchsenmachermeister Max Ern stellt Flinten vor, bei denen nicht nur die Balance im Lot ist, sondern die sich auch in kleinen, aber feinen Details von englischen Modellen abheben.

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AUSRÜSTUNG

D O P P E L F L I N T E N A U S D E M R H E I N L A N D

Balance gut, alles gut!Was unterscheidet eine Null-acht-fünfzehn-Querflinte von der

Side-by-Side, wie man sie in vor allem im Rheinland häufig antrifft?

Büchsenmachermeister Max Ern stellt Flinten vor, bei denen

nicht nur die Balance im Lot ist, sondern die sich auch in kleinen,

aber feinen Details von englischen Modellen abheben.

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Zweimal Kaliber 12: Doppelflinte gefertigt in den Werkstättender „Firma Eduard Kettner, Cöln-Suhl“, mit Anson-System,

untenliegenden Abzugsstangen und Zierseitenplatten,unüblicher Purdeydrücker im Vorderschaft.

Als Auswerfer wurde der in einem Kasten gelagerte Anson & Deeley-Ejektor verwendet.

Rechts daneben eine Francotte-Querflinte, Patent 1892, mit Kastenschloss und Bunthärtung

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Für den einen kommt sie in ihrer Wer-tigkeit gleich nach der Mistgabel, fürden anderen ist die Doppelflinte –

sofern sie perfekt gemacht ist – ein Kult-objekt. Nicht nur präzise wie ein Glas-hütte-Chronometer, sondern auch mitunübertroffenen eleganten Linien, überderen eigentliche Bedeutung sich nur we-nige im Klaren sind. Was aber macht eineperfekte Flinte aus? Vor allem eins: Sie istausbalanciert. So ausbalanciert, dass mandas geringe Gewicht an sich schon garnicht mehr spürt. Sobald man sie in dieHand nimmt, schüttelt man verblüfft denKopf, wie handlich sie ist und wie gut sieschwingt.

Zugegeben, an jeder Ecke findetman solche Gewehre nicht, verhältnis-mäßig häufig aber bei uns im Rheinland.Gewissermaßen aus der Landschaft her-aus entwickelt. Hierzu muss man wissen,dass die Hinterladerflinte in ihrem Ur-sprung aus dem nahen Frankreichstammt. Von dort aus hat sie sich alsHahnflinte mit Lefaucheux-Verschluss inganz Europa durchgesetzt. Verhältnis-mäßig spät erst kam sie nach Großbritan-nien. Von dort kehrte sie Mitte der siebzi-ger Jahre des 19. Jahrhunderts als Kasten-schlossflinte mit Greenerverschlusszurück auf den Kontinent. Eine rich-tungsweisende Schlosskonstruktion, die

nicht nur den Abstand zwischen Stoß-boden und Abzügen verkürzte, sonderndie schweren Seitenschlosse ersetzte.Wenn man bedenkt, dass ein solchesSchlosspaar zwischen 200 bis 250 Grammwiegt und auf der anderen Seite desSchwerpunktes das entsprechende Ge-gengewicht haben muss, ist das schon ei-ne beachtliche Gewichtsersparnis.

Im Gegensatz zu den Jagden auf derInsel, bei denen Fasanen turmhoch überdie Bäume getrieben wurden, waren dieVerhältnisse im niederwildreichenRheinland ganz anders. Hier jagte manmeist in der Streife oder auch im Kessel.Hierzu waren die Flinten mit Seiten-schlossen, die sich aus den Hahnschlos-sen entwickelt hatten, nicht unbedingtgeeignet. Als reine Spezialgewehre, ge-trimmt auf erstklassiges Schwingungsver-halten, hohe aufeinander folgendeSchusszahlen, bequemes Laden undleichte Wartung, waren diese zu lang undzu schwer, um sie den ganzen Tag zu tra-gen, damit durch die Rüben zu laufen undgegebenenfalls über Zäune zu klettern.

Traditionell schoss man hier die leich-te belgische Querflinte. Diese Konstruk-tionen waren gleichermaßen für Treib-jagden als auch für die Suche mit dem

Hund geeignet. Allenfalls hielt man dieChoke-Bohrungen für Flinten, die vor-wiegend auf der Suche genutzt wurden,bei halb und voll. Ansonsten reichte vier-tel und dreiviertel völlig aus.

Die belgischen Büchsenmacher, die inden Niederungen um Lüttich die gleichenjagdlichen Gegebenheiten vorfanden wiedie Rheinländer, hatten sofort den Nut-zen des Anson & Deeley-Schlosses er-kannt. In Verbindung mit den Kalibern20 oder 16 konnte man Balance, Schwin-gungsverhalten und Gewichtsverteilungideal gestalten und trotzdem das Gewichtder Flinte entsprechend niedrig halten.Hier entstand die Waffe, die nahezu dreiGenerationen mit der Jagd im Rheinlandverbunden war.

Das Kaliber war meist 16 oder 20.Auch 12er waren gängig, Flinten damitneigten aber schon zur Vorderlastigkeit.Untenliegende Abzugstangen in zierli-chem keilförmigen Baskül und ein Schaftmit Pistolengriff waren üblich.

Der englische Schaft war überwiegendfür den Überkopfschuss konzipiert. Indieser Stellung muss die Hand für denzweiten Schuss am Schafthals nach hin-ten gleiten können. Hierzu eignete sichnatürlich am besten der Schaft ohne Pis-tolengriff. Solche Schüsse kamen aber beiuns relativ selten vor. Mit einem Pisto-lengriffschaft war der Schuss nach vorneoder zu Seite bequemer.

Auch in Suhl war das Kastenschlosssofort akzeptiert worden. Die deutschenBüchsenmacher waren jedoch im Ver-gleich zu ihrer ausländischen Konkurrenz

benachteiligt. Bei den verlangtenleichten Flinten gab es nicht nur

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Frühe Kastenschloss-Flinte mit feinsten Lütticher Damast-Läufen, klassisches Anson & Deeley Schloss und Anson & Deeley Ejektoren, Kaliber 12. Gewicht: 2 730 Gramm

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hunderts kam dieses Gesetz dann zumTragen. Nun fiel in diese Zeit die Umstel-lung auf die modernen Nitropulver. Un-glückseligerweise hielt man die Lauf-wandstärken aufgrund der neuen Bestim-mungen zu dick. Nun hatte man zwarstaatlich geprüfte Jagdgewehre, die aberrecht schwer waren.

Die Damast-Läufe der Lütticher Flin-ten waren zu jener Zeit weltberühmt. Dasführte dazu, dass einige Suhler Büchsen-macher enge Verbindungen nach Lüttichhielten beziehungsweise dort produzierenließen oder sogar dorthin auswanderten.In den Rheinlanden gab die geographi-

in Bezug auf die Laufwandstärken wenigkonstruktive Reserven. Die führendenHersteller in Belgien und Großbritannienpräsentierten ihren Kunden jedoch staat-lich geprüfte Erzeugnisse und garantier-ten die sichere Verwendung auch derleichtesten Gewehre.

In Deutschland jedoch gab es zu dieserZeit kein verbindliches Beschussgesetz.Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhun-derts mehrten sich die Forderungen andie Reichsregierung, ein Beschussgesetzzu erlassen, damit die deutschen Büch-senmacher der ausländischen Konkur-renz endlich ebenbürtig würden. Erst An-fang der neunziger Jahre des 19. Jahr-

Leistet seit 80 Jahren treue Dienste: Die Doppelflinte von „Firma Eduard Kettner,

Cöln-Suhl“. Mit 3 065 Gramm ist sie jedoch deutlich schwerer als eine vergleichbare Flinte aus Lüttich

sche Nähe zum belgischen Lüttich ihrÜbriges. Köln liegt gerade mal 110 Kilo-meter entfernt. Die weltbekannte FirmaEduard Kettner hatte jahrzehntelang dieVertretung von Lebau-Courally. Ebensowar die Firma Heinrich Münch in Aachenweltweit bekannt für ihre belgischen Flin-ten und Doppelbüchsen.

Es waren gute Jahre für die Jagd und fürdie Büchsenmacher. Auf den Treibjagdenerreichte Strecken von mehreren 100Stück Wild waren keine Seltenheit, unddie Ernte eines ganzen Jahres der Nieder-wildhege stieß auf eine breite Akzeptanzin der Bevölkerung. Flinte, Hund und derJagdanzug stellten einen Teil des kulturel-

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len Lebens dar.Im Jahre 1906 schoss

der Kronprinz auf einem Standanlässlich eines kurzen Besuchs auf

der gegenüberliegenden Rheinseite Kölns70 Fasanenhähne und lobte anschließenddas hohe Niveau der Jagdkultur in seinerpreußischen Rheinprovinz.

Nachdem das Kastenschloss sich inSuhl durchgesetzt hatte, wurde es auch so-fort verbessert. Die untenliegenden Ab-zugsstangen ersetzte man durch so ge-nannte hängende Stangen. Konstruktivbrachte das zwar Vorteile, beeinträchtigteaber Gewicht und Eleganz des Gewehresund wurde von den Belgiern nie ange-nommen. Im Übrigen kann man denSchaft im Systembereich erheblich massi-ver halten, solange man bei den unten-liegenden Abzugsstangen bleibt. HoheSchusszahlen vorausgesetzt, ist das vongroßer Wichtigkeit. Man beachte nur, wieoft sich schon Systeme in den Schaft hin-eingeschossen haben, bei denen die Kon-taktfläche Holz gegen Stahl zu gering ge-halten wurde.

Die Verwendung eines von hinten miteiner Schraube befestigten Schaftes ist beisolchen Flinten undenkbar – allein schonaus Gründen der Gewichtsverteilung.Ganz davon abgesehen, dass diese Art derSchaftbefestigung Feuchtigkeit deutlichbesser an die Schlossteile heranlässt.

Aus Gewichtsgründen verzichtet mansogar auf eine Schaftkappe und bohrt denSchaft aus. So wird alles vermieden, dasweit entfernt vom Schwerpunkt zusätzli-ches Gewicht an die Waffe bringen könn-

te. Denn dieses müsste aufder gegenüberliegendenSeite ja ausgeglichen werden.

Die Verteilung des Gewichtes ei-ner Flinte kann bei exakt gleichemSchwerpunkt durchaus sehr verschiedensein. Erst die Unterschiede in der Ge-wichtsverteilung machen aus einer Flinteaber entweder eine gut durchschwingendeFlugwildflinte oder eine blitzschnell anzu-schlagende Karnickelwaffe, die einmal ander Schulter angekommen, nur noch zumStochern gut ist. Am besten lässt sich dasverdeutlichen, wenn man an einen Hoch-seilartisten denkt, der mit seiner vier Me-ter langen und vier Kilogramm schwerenHolzstange über ein Seil balanciert. Gibtman diesem Akrobaten statt dessen eine 70Zentimeter lange Eisenstange, die gleich-falls vier Kilogramm schwer ist, fällt er vomSeil.

Schon damals war die Firma EduardKettner weit über die Reichsgrenzen hin-aus bekannt und zählte die prominentes-ten Persönlichkeiten zu ihren Kunden. ImGegensatz zu heute war es nicht unbedingtdie Preiswürdigkeit, die zur Kaufentschei-dung der kritischen Jägerschaft beitrug,sondern man kaufte mit ruhigem Gewis-sen das beste Markenprodukt, das mansich leisten wollte. Wohl wissend, dass dieseine Entscheidung fürs Leben war.

Aber anders als heute akzeptierte mannahezu keine Flinte ohne mitgeliefertesTrefferbild. Vor allen Dingen, wenn dieKundschaft spezielle patronenbezogeneLeistungsangaben wünschte, war dasAuszählen und Bewerten der Trefferbilder

unter Lehrlingen ge-fürchtet. Rheinland war Niederwildland,die Nachfrage nach Gewehren groß, undsomit bestand das Personal aus erfahre-nen Fachleuten.

Die oben abgebildete Francotte-Doppelflinte wurde Ende der 1970er Jah-re gebaut und wiegt im Kaliber 12/702 830 Gramm. Der Schlossmechanismusist unverändert geblieben, jedoch ist derGreenerverschluss durch die Purdey-Nase ersetzt worden. Die Verwendungverbesserter Stahlsorten machte es mög-lich, dem Gewehr so ein eleganteres Er-scheinungsbild zu geben.

Diese letzte Entwicklungsstufe stelltdie Krönung der leichten Jagdflinten dar.Nie wieder nachher sind bessere Flintenentwickelt worden. Hier handelt es sichnicht etwa um Luxusgewehre oder um ei-ne Konkurrenz zur Seitenschlossflinte. Essind sowohl feine Werkzeuge als auch Ar-beitstiere, die bis in den letzten Winkelhinein durchkonstruiert sind.

Auch heute noch müssen solche Waf-fen aufgrund ihrer feinen Bauweise undder sensiblen Balance-Abstimmung über-wiegend in Handarbeit angefertigt wer-den. Die Käufer solcher Flinten könnensich dann aber absolut sicher sein, dasBeste in den Händen zu halten, was sie fürdie abwechslungsreiche und immer wie-der neue Niederwildjagd bekommenkönnen.

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Francotte-Doppelflinte, Ende der 1970er Jahre gebaut, Kaliber 12/70, Purdey-Nase,2 830 Gramm

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