DSO Nachrichten 11/12 2012

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Musik darf Spaß machen Sir Roger Norrington im Gespräch —–– S. 3 Neue Musikwelten Tugan Sokhiev entdeckt Mieczysław Weinberg —–– S. 5 Manege frei Die Silvesterkonzerte im Tempodrom —–– S. 6 Zauber des Orients Musikalische Traumreise mit Tugan Sokhiev —–– S. 7 DSO-NACHRICHTEN Chefdirigent und Künstlerischer Leiter TUGAN SOKHIEV November | Dezember 2012 Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin ein Ensemble der

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Inhalt: Sir Roger Norrington im Gespräch über seinen Vaughan Williams-Zyklus; Chefdirigent Tugan Sokhiev dirigiert zwei Symphoniekonzerte, moderiert ein Casual Concert, leitet das Kinderkonzert und lädt zu einem Dirigierworkshop ein; Gianandrea Noseda und Leif Ove Andsnes entdecken Frühwerke; Silvesterkonzerte mit dem Circus Roncalli – und vieles mehr zum Programm der Monate November und Dezember 2012. Die ›DSO Nachrichten‹ informieren Sie alle zwei Monate abwechslungs- und inhaltsreich über die bevorstehenden Konzerte und weiteren Ereignisse rund um das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin.

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Musik darf spaß machen Sir Roger Norrington im Gespräch —–– S. 3Neue Musikwelten Tugan Sokhiev entdeckt Mieczysław Weinberg —–– S. 5Manege frei Die Silvesterkonzerte im Tempodrom —–– S. 6zauber des orients Musikalische Traumreise mit Tugan Sokhiev —–– S. 7

Dso-NachrIchtENChefdirigent und Künstlerischer Leiter

TUGAN SOKHIEV

November | Dezember 2012

Eine Publikation des Deutschen symphonie-orchesters Berlin

ein Ensemble derein Ensemble der

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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

Mit Werken für Bläseroktett setzt das DSO sei-ne beliebte Kammermusikreihe in der Villa Elisa-beth fort. Diese Besetzung hat ihren Ursprung in den abendlichen »Harmoniemusiken« des 18. Jahr- hunderts, die bevorzugt unter freiem Himmel erklan-gen. »Nachtmusiken« nannte man sie deshalb auch in Wien. Auf dem Programm stehen mit der Partita von Franz Vinzenz Krommer und Mozarts c-Moll-Serenade zwei typische Vertreter der Gattung — und als späte Reminiszenz das Divertimento von Gideon Klein aus dem Jahr 1940. Es musizieren: Thomas Hecker und Max Werner (Oboe), Andreas Ottensamer und Johannes Zurl (Klarinette), Paolo Mendes und Ozan Cakar (Horn), Karoline Zurl und Douglas Bull (Fagott) sowie Christine Felsch (Kontrabass). Das vollständige Programm finden Sie unter dso-berlin.de/kammermusik

—––Fr 30. November 20.30 UhrVilla Elisabeth

Karten zu 15 €AboPlus-Preis, Schüler und Studenten 10 €

Editorial und Kurzmeldungen

Große Karrieren beginnen meist früh: Bereits mit 16 Jahren erhielt Tugan Sokhiev seinen ersten Dirigierun-terricht, mit 18 studierte er beim legendären Ilja Musin. Nun, mit 34 Jahren, ist er Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin und engagiert sich selbst in der Nachwuchsförderung: Am 18. November lädt er vier Dirigierschülerinnen und –schüler zu einem Work-shop ein, um mit ihnen gemeinsam an Nikolai Rimski-Korsakows Symphonischer Dichtung ›Scheherazade‹ zu arbeiten, die er an den Tagen zuvor selbst in der Phil-harmonie dirigiert —–– S. 7 Auch während der vorange-henden Probenwoche Sokhievs mit dem DSO werden die Workshopteilnehmer zugegen sein und erhalten da-bei umfassende Einblicke in die Entstehung eines Kon-zertabends.

Bewerbungsschluss ist der 31. Oktober 2012. Sie finden alle Informationen zur Bewerbung und den Teilnahme-bedingungen unter dso-berlin.de/dirigierworkshop

Schon bald nach ihrer Gründung im Jahr 1959 hat sich die Konzertreihe ›Debüt im Deutschlandradio Kultur‹ (damals ›RIAS stellt vor‹) zum Karrieresprungbrett für junge Spitzenmusiker entwickelt. Sie sind eingeladen, sich gemeinsam mit dem DSO dem Berliner Publikum vorzustellen. Am 18. Dezember gibt der britische Diri-gent, Pianist und Komponist Ryan Wigglesworth sein Debüt am Pult des Orchesters mit Werken von Men-delssohn und Debussy. Mit einer Konzertarie von Mozart und Orchesterliedern des Dirigenten ist die englische Sopranistin Claire Booth zu hören — und der Franzose Alexandre Baty gibt mit Jolivets Zweitem Trompeten-konzert seinen Berliner Einstand. Das vollständige Pro-gramm finden Sie auf —–– S. 8

—––Di 18. Dezember20 Uhr | 18.55 Uhr EinführungPhilharmonie

Karten von 10 € bis 30 €AboPlus-Preis ab 9 €

Kammerkonzert in derVilla Elisabeth am 30.11.

›Debüt im DeutschlandradioKultur‹ am 18.12.

Dirigierworkshopmit Tugan Sokhiev

INhalt

—––WillkommenEditorial und Kurzmeldungen

Musik darf Spaß machen Sir Roger Norrington und der »pure tone«

Eine orientalische PrinzessinKulturradio-Kinderkonzert mit Tugan Sokhiev

Entdeckungsreise ins Unbekannte Tugan Sokhiev und Kornelia Brandkamp

Weihnachtskonzertemit dem Staats- und Domchor Berlin

Manege freiSilvesterkonzerte mit dem Circus Roncalli

Frühe Werke Gianandrea Noseda und Leif Ove Andsnes

Zauber des OrientsTugan Sokhiev und Jean-Yves Thibaudet

KonzertkalenderAlle Konzerte im November und Dezember

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Liebe Leserinnen und Leser der DSO-Nachrichten,

vor wenigen Wochen konnten wir Tugan Sokhiev als neuen Chefdirigenten und Künstlerischen Leiter beim Deutschen Symphonie-Orchester Berlin willkommen heißen. Mit einem fulminanten Konzert im Rahmen des Musikfestes Berlin hat er am 7. September sein Amt angetreten.

Im November demonstriert Tugan Sokhiev seine Vielseitigkeit gleich an mehre-ren Abenden: Er entdeckt Weinbergs Erstes Flötenkonzert. Er spürt mit Werken von Balakirew, Rimski-Korsakow und Saint-Saëns den Verbindungslinien zwischen französischem und russischem Orientalismus nach — zusammen mit dem phan-tastischen Pianisten Jean-Yves Thibaudet. Und er erlebt eine doppelte Premiere bei unseren jungen Konzertformaten: Am Pult der Kulturradio-Kinderkonzerte und als dirigierender Moderator im Casual Concert. Ich bin sehr gespannt auf die nächsten Jahre mit Tugan Sokhiev, denn er wird die Berliner Konzertlandschaft um neue Facetten und faszinierende Entdeckungen bereichern.

Doch die kommenden Monate bieten selbstverständlich noch weitere Höhepunk-te: Gianandrea Noseda und Leif Ove Andsnes widmen sich Jugendwerken und Sir Roger Norrington beginnt einen Zyklus mit Symphonien von Ralph Vaughan Williams. Spanisch temperamentvoll endet dann das Jahr mit den Silvesterkon-zerten unter der Leitung des Costa-Ricaners Giancarlo Guerrero — wie immer mit den wunderbaren Artisten des Circus Roncalli. Lassen Sie sich verzaubern!

Herzlichst, Ihr

ALExANDER STEINBEISOrchesterdirektor des DSO

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Sir Roger Norring ton im Gespräch3

MUsIk DarF sPass MachENSir Roger Norrington im Gespräch über Ralph Vaughan Williams,

das Konzert mit dem DSO am 9.12. und sein Klangideal des »pure tone«

Seit vielen Jahren ist Sir Roger Norrington ein gern-gesehener Gast am Pult des Deutschen Symphonie- Orchesters Berlin. Er sorgte seit den Achtzigerjahren mit seinen London Classical Players für Furore, als er Herangehensweise und Klangkultur der historischen Aufführungspraxis auf die Musik des 19. Jahrhunderts anwandte. Als Chefdirigent des Radio-Sinfonieorches-ters Stuttgart kultivierte er zwischen 1998 und 2011 den vibratofreien »Stuttgart Sound«. Seit 2011 ist er Chef-dirigent des Zürcher Kammerorchesters. Am 9. Dezember leitet er das erste Konzert einer Reihe, die den Sympho-nien Ralph Vaughan Williams’ gewidmet ist.

verzichte auf das Vibrato im Orchesterklang. Das Ergeb-nis ist großartig: Die Phrasierung gewinnt an Gewicht, wird intensiver und interessanter. Vibrato erzeugt zwar einen wunderbaren Klang, aber er ist immer gleich. Ohne Vibrato beginnt das Orchester zu »sprechen«, wie ein großartiger Redner. Der »pure tone« erweitert die Aus-drucksbreite eines Klangkörpers.

Kann und muss man dabei nicht eine musikhistorische Grenze ziehen? Das ist eine interessante Frage, die sich gerade bei Vaughan Williams stellt. Wie viele andere Symphoniker des 20. Jahrhunderts begann er zu einer Zeit zu kompo-nieren, in der mit wenig Vibrato gespielt wurde, erlebte den Wechsel aber selbst mit. Was soll man also machen? Ich probiere es dann einfach aus. Manchmal klingen so-gar moderne Stücke ohne Vibrato besser. Aber als wir in Stuttgart einmal Henzes Orchesterbearbeitung der ›Wesendonck-Lieder‹ mit unserem üblichen, vibrato-freien Wagner-Ton versuchten, klang das fürchterlich. Henze braucht Vibrato. Andererseits klingt die Fünfte Symphonie von Vaughan Williams, komponiert während des Zweiten Weltkriegs, ganz wundervoll mit reinem Ton, weil sie so spirituell ist. Natürlich verwende ich Vibrato, wenn der Komponist es verlangt, etwa bei Benjamin Britten. Es gibt also keine richtige Grenze. Was sich zunächst als historische Frage stellt, ist eigentlich eine ästhetische. Gefällt es einem — oder nicht? Hilft es der Musik? Man muss das einfach ausprobieren. Ich mache das nicht, weil es richtig ist, sondern weil es schön ist.

Was bedeutet Ihnen in diesem Zusammenhang das Wort »Tradition«?Mich interessiert die Tradition aus Mozarts, Brahms’, Mahlers Zeiten, die ist etwas Wunderbares. Moderne Tradition hingegen ist gefährlich, da sie nur imitiert. Je-mand sagte einmal, Tradition sei die Erinnerung an die letzte schlechte Aufführung. [lacht] Man muss die Musik selbst befragen, was man mit ihr anstellen soll, nicht die Aufführungsgeschichte. Das ist unsere Aufgabe.

Als Chefdirigent in Stuttgart hatten Sie viel Zeit, dieses Klangideal zu perfektionieren. Wie klappt das mit einem neuen Orchester innerhalb weniger Probentage?Überraschend gut und mittlerweile fast selbstverständ-lich. Die meisten jüngeren Musiker bringen heute schon Erfahrungen auf historischen Instrumenten oder aus Barockensembles mit und wissen, was sie erwartet. Zu-dem sind derartige Aufnahmen seit 25 Jahren überall erhältlich. Man muss einfach ohne Vibrato spielen. Die-ser Klang ist da. Er entspricht dem »Zeitgeist«.

»Was sich zunächst als historische Frage stellt, ist eigent-lich eine ästhetische. Gefällt es einem — oder nicht?«

Wer hat Ihnen denn früher am meisten Widerstand ge-leistet: Musiker, Veranstalter oder das Publikum?Ab und zu kam es zwar vor, dass einige vielbeschäftigte britische Orchester ihr Management baten, mich nicht mehr einzuladen, weil ich ihnen zu viel Arbeit machte … [lacht] Aber sonst bin ich kaum auf Widerstände ge-stoßen. Denn ich bringe etwas Neues, Spannendes. Und die Orchester merken, dass ich an alte Traditionen an-knüpfe. Als sich die Musiker in Los Angeles einmal darü-ber wunderten, dass ich die Geigen einander gegenüber und die Bässe nach hinten setzte, verwies ich sie auf ein altes Foto ihres Orchesters aus den Zwanzigerjahren. Damals saßen sie genau so! Das sind nicht Sir Rogers lustige Schrullen, das ist die wahre Tradition. Die sollte man kennen, wenn man alte Musik spielen will.

Fortsetzung —–– S. 4

Sir Roger, Sie waren 1995 zum ersten Mal beim DSO zu Gast. Hätten Sie sich damals vorstellen können, dass Sie Ihre historisch informierten Klangideen nicht nur mit Spezialensembles für Alte Musik, sondern nur weni-ge Jahre später auch mit »herkömmlichen« Orches-tern umsetzen würden? Damals war das noch im Experimentierstadium. Bevor ich 1998 Chefdirigent beim Radio-Sinfonieorchester Stutt-gart wurde, habe ich am Klang von Symphonieorchestern kaum etwas geändert. Ich konzentrierte mich zunächst auf die Sitzordnung, das Tempo und die Phrasierung. Aber nach ein paar Jahren in Stuttgart merkte ich, dass auch Symphonieorchester ihren Klang in eine Richtung verändern können, die der Musik Berlioz’, Beethovens oder auch Bruckners näherkommt. Als ich 2004 wieder beim DSO gastierte, begannen wir, mit dem Orchester-klang zu experimentieren. Ich war überrascht, wie offen die Musiker für meine Ideen waren. Das DSO ist ein ex-zellentes Orchester, und ich freue mich immer wieder, hier zu Gast sein zu dürfen. Ich betrachte das also als eine Erfolgsgeschichte. Stuttgart hat mir gezeigt, dass man mit einem guten Orchester und klugen Musikern problemlos das umsetzen kann, was ich als »pure tone«, als reinen Klang ohne Vibrato bezeichne. Alle Orchester, mit denen ich weltweit arbeite, machen das mittlerweile, und sie laden mich immer wieder ein. Seit 1995 hat sich also viel geändert.

Könnte man Ihr Musikverständnis zusammenfassen als »Zurück zum Komponisten«? Ich würde eher sagen: Zurück zu dem, was der Kompo-nist damals zu hören erwartete. Natürlich gibt es keine Mitschnitte aus Brahms’ Zeiten, aber die ersten Musik-aufnahmen, die seit 1918 überliefert sind, zeigen uns deutlich, dass damals noch ohne dieses ständige Vibrato gespielt wurde. Das kam erst 15 oder 20 Jahre später auf und hat sich nach und nach wie ein Virus der Orchester bemächtigt. Ich gehe wieder einen Schritt zurück und

—––henry Purcell Suite aus ›The Fairy Queen‹Joseph haydn Symphonie Nr. 101 D-Dur ›Die Uhr‹ralph Vaughan Williams Symphonie Nr. 2 G-Dur ›A London Symphony‹

sIr rogEr NorrINgtoN

so 9. Dezember20 Uhr | 18.55 Uhr EinführungPhilharmonie

Karten von 15 € bis 45 € AboPlus-Preis ab 13 €

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Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.deSir Roger Norring ton (Forts. von Seite 3) | Kinderkonzert

EINE orIENtalIschE PrINzEssINKulturradio-Kinderkonzerte am 18.11. und 16.12.

Es war einmal vor langer, langer Zeit, da heiratete Prin-zessin Scheherazade den mächtigen Sultan Schahriar. Doch der Sultan glaubte, dass alle Frauen treulos seien und hatte jede seiner Ehefrauen schon nach der Hoch-zeitsnacht hinrichten lassen. Die Prinzessin überlegte nun, wie sie es schaffen könnte, die Nacht zu überleben.

So begann sie, dem Sultan eine spannende Geschichte zu erzählen — von Sindbad, dem Seefahrer und seinen gefährlichen Abenteuern. Als Scheherazade davon be-richtete, wie Sindbad und seine Mannschaft Schiffbruch erlitten hatten, wollte der Sultan wissen, ob Sindbad sich retten konnte. Aber Prinzessin Scheherazade war müde. Am nächsten Abend würde Sie die Geschichte fortsetzen. Und so kam es, dass zum ersten Mal eine Frau des Sultans nach der ersten Nacht nicht hingerich-tet wurde. Aus einer Nacht wurden eine Woche, ein Mo-nat, ein Jahr. Und jede Nacht endete eine Geschichte der Prinzessin genau da, wo sie besonders spannend wurde. So erzählte Scheherazade die Märchen aus ›1001 Nacht‹. Und dann? Was geschah nach 1001 Nächten?

Das erfahrt Ihr im 43. Kulturradio-Kinderkonzert am 18. November. Der russische Komponist Nikolai Rimski-Korsakow hat darüber ein wunderbares Orchesterstück geschrieben. Darin könnt Ihr Sindbads Abenteuer auf hoher See hören, Geheimnisse in einem Sultans-Palast entdecken oder erfahren, wie es auf einem orientali-schen Bazar zugeht.

Rimski-Korsakow ist in seiner Jugend übrigens selbst zur See gefahren. Und er verstand es wie kaum ein an-derer, einem großen Symphonieorchester exotische und prachtvolle Klänge zu entlocken. Schön ist auch, dass dieses Konzert von Tugan Sokhiev dirigiert wird, dem neuen Chedirigenten des DSO. Der kommt selbst aus Russland und liebt die Musik seiner Heimat ganz besonders.

Schon einen Monat später, kurz vor Weihnachten, gibt es dann eine Weihnachtsoper von Paul Hindemith zu hören, komponiert extra für Kinder: ›Tuttifäntchen‹ —die Geschichte, wie ein Holzkasper sein Herz entdeckt. Und vor den Konzerten lädt wie immer das Open House dazu ein, verschiedene Orchesterinstrumente auszu-probieren.

CHRISTIAN SCHRUFF

—––›Es war einmal … eine orientalische Prinzessin‹Nikolai rimski-korsakow ›Scheherazade‹

tUgaN sokhIEV | christian schruff Moderation

so 18. November 201212 Uhr konzert | 10.30 Uhr open househaus des rundfunks | großer sendesaal

EINE orIENtalIschE PrINzEssIN

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Orchestermusiker schätzen Sie für Ihre heitere Pro-benarbeit. Wird Humor in der Musik unterschätzt?Ja, absolut. Gerade in der Musik der Klassik. Humor, Witz und Lebendigkeit sind geradezu Grundbausteine der Musik von Haydn und Mozart. Schubert, Mendels-sohn und Schumann erzählen dann eher Geschichten. Doch auch bei Mahler spielt Humor eine große Rolle, sogar bei Bruckner. Das hört man meist nur nicht. Ernsthafte Musik darf auch Spaß machen. Und wenn das Orchester glücklich ist, dann spielt es auch gut.

»Ohne Vibrato beginnt das Orches-ter zu ›sprechen‹, wie ein großartiger Redner.«

Unter den zahlreichen Werken, die Sie in den vergan-genen 17 Jahren mit dem DSO aufgeführt haben, be-fanden sich auch Kompositionen von Ralph Vaughan Williams. Im Dezember leiten Sie nun das erste Konzert eines mehrjährigen Zyklus mit seinen Symphonien. Im deutschen Konzertleben sind sie eher selten zu fi nden. Was dürfen die Zuhörer erwarten?Phantastische Musik! Ich habe seine ersten sechs Sym-phonien in Stuttgart aufgeführt, und das Publikum war begeistert. Vaughan Williams hat einen Platz unter den wichtigsten Symphonikern des 20. Jahrhunderts ver-dient. Er ist viel englischer als Elgar.

Was ist das englische an seiner Musik?Er wollte sich möglichst wenig von kontinentaler und besonders deutscher Musik beeinfl ussen lassen. Er war der Überzeugung, Musik sei dann am besten, wenn sie einen Bezug zu ihrem Entstehungsland habe — wie die tschechische, französische, italienische oder deutsche Musik. Was Vaughan Williams’ Musik englisch macht, sind wunderbar lyrische Volkslieder. Als junger Mann hat er sie gesammelt. Er hat seine Symphonie geschrieben, wie sie ein englischer Schäfer geschrieben haben könn-te — eine phantastische Idee. [lacht] Tatsächlich hat er dabei gar keine echten Volkslieder verwendet, sondern Melodien in ihrem Geist komponiert. Das ist sehr eng-lisch. Das Berliner Publikum wird seine Werke lieben, sie sind wunderbar und warten nur darauf, entdeckt zu werden. Und hier sind sie!

Sie beginnen mit seiner Zweiten Symphonie, der ›Lon-doner‹. Er selbst sagte einmal, falls die Zuhörer glaub-ten, den Glockenschlag von big ben oder die Melodie des ›Lavender Cry‹ darin zu erkennen, so sei das kei-nesfalls beabsichtigt. Dürfen wir ihm das glauben?Nein! Alle Komponisten hatten diese programmatischen Bedenken. Selbst Berlioz, der mit den gedruckten Pro-grammen angefangen hat, bereute das am Ende seiner Karriere. Auch Mahler zog das Programm seiner ersten Symphonie später zurück. Weber schrieb ein Programm für sein ›Konzertstück‹, aber zerstörte es, nachdem die Komposition abgeschlossen war. Auch Beethovens ›Pastorale‹ sollte man eher wie ein Gemälde auffassen. Aber natürlich hat sie ein Programm — und das macht sie nicht schlechter. Vaughan Williams befürchtete, dass sein sehr emotionales Werk als Programmmusik nicht ernstgenommen würde. Zur selben Zeit spazierte Strawinsky herum und verkündete, Musik sei etwas Abs-traktes. Das ist Unsinn. Musik steht immer für etwas: für Herz, Landschaften, Klang. Alle Symphonien von Ralph Vaughan Williams sind in irgendeiner Weise programma-tisch — wie jeder einzelne Takt bei Mahler. Und ›A London Symphony‹ ist ganz klar von London inspiriert. Man hört die erwachende Stadt, das Brausen der Fabriken, die Musik im Park, das Klackern der Karren auf den Straßen. Don’t be stupid, Ralph, it’s programmatic! [lacht]

Gewinnspiel:Stell Dir mal vor, Du wärst selbst ein Prinz oder eine Prinzessin. Welche Abenteuer würdest Du dann erleben? Denk Dir dazu eine kleine Ge-schichte aus und schick’ Sie uns. Mit etwas Glück kannst Du einmal vier Eintrittskarten für das Kinderkonzert am 3. Februar gewinnen. Die schönsten Geschichten fi ndest Du ab Dezember unter: dso-berlin.de/kinderkonzerte

Einsendungen bis zum 30. november bitte an:Deutsches Symphonie-Orchester Berlinim rbb-FernsehzentrumStichwort: Kinderkonzert-GewinnspielMasurenallee 16–20 | 14057 Berlinoder an [email protected]

Sie haben Vaughan Williams noch selbst gekannt.Ja, er dirigierte oft in Oxford, wo ich damals lebte. Mein Vater leitete Oxford University Press, den Verlag, der seine Werke veröffentlichte. Die Musikabteilung befand sich allerdings in London.

»Ralph Vaughan Williams ist viel englischer als Elgar.«

Sie haben sogar einmal unter seiner Leitung im Orches-ter gespielt. Erinnern Sie sich daran?Sehr gut sogar, ich war damals 15 oder 16. Es war fast ein bisschen peinlich, denn er war so gut wie taub. Das lehrte mich zwei Dinge. Zum einen: So muss es gewesen sein, als Beethoven seine Neunte dirigierte und nicht mitbekam, wann sie zu Ende war. Zum anderen: Beim Dirigieren geht es nicht nur ums Leiten, sondern vor allem ums Zuhören. Das erste geht nicht ohne das zweite. Jedes Orchester hat sein eigenes Tempo und seinen ei-genen Rhythmus, den man aufnehmen muss. Dazu muss man hören können. Eine interessante Lektion …

Er lehrte Sie die Kunst des Zuhörens, einen Grundstein Ihrer späteren Karriere?Ja, aber unfreiwillig. [lacht] Vaughan Williams war kein eleganter Dirigent, aber ein kraftvoller. Der ganze Mann war so. Er genoss das Leben, liebte das Kino, die Kuchen und die Frauen. Er war ein echter Mensch!

Sir Roger, herzlichen Dank für das Gespräch.

DAS GESPRÄCH FÜHRTE MAxIMILIAN RAUSCHER.

—––›Es war einmal … ein Holzkasper mit Herz‹Paul hindemith ›Tuttifäntchen‹ – Weihnachtsmärchen in drei Bildern

JohaNNEs zUrl | christian schruff Moderation

so 16. Dezember 201212 Uhr konzert | 10.30 Uhr open househaus des rundfunks | großer sendesaal

Für Kinder ab 6 Jahren. Karten zu 4 € | Erwachsene 10 €

EINE orIENtalIschE PrINzEssIN

Gewinnspiel:

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Wenige Wochen nach der Saisoneröffnung mit Serge Rachmaninoffs Dritter Symphonie steht Tugan Sokhiev, der neue Chefdirigent des DSO, wieder am Pult des Orchesters. Seine musikalische Entdeckungsreise durch unbekannte osteuropäische Musikwelten, die im Zentrum der laufenden Konzertsaison steht, führt ihn am 11. November zu Mieczysław Weinberg. Zu Lebzeiten in einem Atemzug mit Schostakowitsch und Prokofjew genannt, wurde der Komponist über die Sowjetunion hinaus kaum wahrgenommen. Als Sohn eines moldawisch-jüdischen Theater-musikers und einer Schauspielerin 1919 in Warschau geboren, sammelte er schon früh pianistische Erfahrungen und begann ein Musikstudium am Warschauer Konservatorium, das er, vor den in Polen einfallenden deutschen Truppen gefl üchtet, in Minsk fortsetzte. Erst dort konzen-trierte er sich vollends aufs Komponieren. 1943 ließ er sich endgültig in Moskau nieder und pfl egte dort mit Schostakowitsch lebenslange Freundschaft und beinahe täglichen musikalischen Austausch. Der Freund setzte sich auch für Weinberg ein, als dieser 1953 kurzzeitig in die Mühlen der stalinistischen Justiz geriet. Musikalische ZeitzeugenschaftSeine Schaffenskraft blieb zeitlebens ungebrochen: Weinbergs be-achtliches Œuvre umfasst u.a. über 20 Symphonien, sechs Konzerte, sieben Opern, 17 Streichquartette und mehr als 200 Lieder, zudem dutzende Film-, Theater- und sogar Zirkusmusiken, die ihn zeitweise ernähren mussten. Erst seit der Uraufführung seines Hauptwerks, der Oper ›Die Passagierin‹ (2006 konzertant in Moskau, 2010 szenisch in Bregenz) beginnt man auch hierzulande, die sehr persönliche Musik, die voller programmatischer Elemente und jüdischer, osteuropäischer sowie zeithistorischer Einfl üsse steckt, zu entdecken.

Den Anfang macht am 11. November Weinbergs Erstes Flötenkonzert, das 1961 entstand. Den Solopart übernimmt Kornelia Brandkamp, Solo-fl ötistin des DSO (s.a. Pultnotiz rechts). Die gefragte Kammermusikerin (u.a. beim Musikfest ›Spannungen‹) stand bereits mehrfach als Solistin vor ihrem Orchester, u.a. mit Vladimir Ashkenazy und Kent Nagano. Unter der Leitung von Matthias Pintscher brachte sie dessen Kompo-sition ›Transir‹ zur deutschen Erstaufführung. Peter Ruzicka schrieb für sie ›Tombeau‹ für Flöte und Streichquartett.

Antonín Dvořáks Siebte Symphonie, die den Konzertabend am Sonntag beschließt, ist einen Tag später auch im zweiten Casual Concert der Saison zu hören. Der Abend wird, wie gewohnt, vom Dirigenten unter-haltsam und kenntnisreich moderiert. Tugan Sokhiev wird diese Rolle zum ersten Mal übernehmen und das Publikum an seinen Gedanken zu Dvořáks Meisterwerk teilhaben lassen. Und nach dem Konzert kann man Musiker und Dirigenten in der Casual Concert Lounge im Foyer der Philharmonie treffen und den Abend gemeinsam fortsetzen — während die Soul-Sängerin Leslie Clio, die unlängst mit ihrer Single ›I Told You so‹ aufhorchen ließ, und ein DJ aus den Berliner Clubs das musikali-sche Spektrum der Nacht auf ihre ganz eigene Art erweitern.

MA xIMILIAN RAUSCHER

—––gabriel Fauré Suite ›Pelléas et Mélisande‹Mieczysław Weinberg Flötenkonzert Nr. 1 d-Mollantonín Dvořák Symphonie Nr. 7 d-Moll

tUgaN sokhIEVkornelia Brandkamp Flöte

so 11. November20 Uhr | 18.55 Uhr EinführungPhilharmonie

Karten von 20 € bis 59 €AboPlus-Preis ab 17 €

—––Casual Concert antonín Dvořák Symphonie Nr. 7 d-Moll

tUgaN sokhIEV

Mo 12. November20.30 UhrPhilharmonie

Im Anschluss Casual Concert Lounge mit leslie clio (Live-Act) und Jason (DJ)

Karten zu 15 € | 10 € für Schüler, Studen-ten und im Abonnement.Freie Platzwahl

Tugan Sokhiev | Casual Concert | Pultnotiz5

ENtDEckUNgsrEIsE INs UNBEkaNNtETugan Sokhiev und Kornelia Brandkamp am 11. + 12.11.

Kornelia Brandkamp,Solo-Flötistin des DSO

PULTnOTIZ

Wenn ich nicht Flötistin geworden wäre, wäre ich heute …

ohne meinen Traumberuf.

Lampenfi eber ist …wie ein wildes Pferd, das gezähmt werden will.

Als ich zum ersten Mal auf einer bühne stand, …habe ich einfach gespielt. Lampenfi eber kannte

ich mit sieben Jahren noch nicht.

Das DSO ist für mich … mein verwirklichter Wunschtraum.

An Weinbergs Flötenkonzert reizt mich …einerseits die Virtuosität und andererseits

die Melancholie.

Wenn ich eine Zeitreise unternehmen könnte,wäre ich ...

gerne Zuhörerin auf Adolph Menzels Gemälde ›Flötenkonzert Friedrichs des Großen in Sanssouci‹.

Privat höre ich momentan am liebsten ...Klaviermusik mit Vladimir Ashkenazy, Hörbücher gemeinsam mit meiner Tochter, Herbie Hancock,

Katie Melua, Nena u.v.a.

Welche Tempobezeichnung entspricht amehesten meinem Temperament?

Allegro guisto e cantabile.

und Künstlerischer Leiter

Tuga

n So

khiev

Chefdirigent Im Rahmen seiner Weihnachtskonzerte ist das DSO 2012 zum ersten Mal beim Staats- und Domchor Berlin zu Gast. Der Knabenchor lässt sich bis ins Jahr 1465 zurückverfolgen und ist somit die älteste und tra-ditionsreichste musikalische Einrichtung Berlins. Unter der Leitung von Felix Mendelssohn Bartholdy, Otto Nicolai und August Neithardt erlangte er be-reits im 19. Jahrhundert internationales Ansehen. Aber auch die Zusammenarbeit mit dem DSO hat bereits ihre eigene Tradition: 2003 standen bei-de unter der musikalischen Leitung Kent Naganos erstmals gemeinsam auf der Bühne der Philharmo-nie, brachten 2006 Bachs ›Kreuzstab-Kantate‹ zur Aufführung, 2009 unter Ingo Metzmacher Mahlers Dritte Symphonie und zuletzt Schumanns ›Faust‹-Szenen. Am 12. und 13. Dezember stehen unter der Stabführung Kai-Uwe Jirkas, des Leiters des Staats- und Domchors Berlin, Kantaten, Choralbear-beitungen und Auszüge aus Oratorien von Bach, Men-delssohn Bartholdy und Zelter auf dem Programm. Die Solopartien übernehmen die Mezzosopranistin Vanessa Barkowski und der Bariton Nikolay Borchev, unterstützt vom Domorganisten Andreas Sieling. Das vollständige Programm fi nden Sie auf dso-berlin.de TOBIAS LIND

—––Werke von Bach, Mendelssohn Bartholdy, zelter

kaI-UWE JIrka | Vanessa Barkowski Mezzosopran Nikolay Borchev Bariton | andreas sieling Orgel staats- und Domchor Berlin

Mi 12. + Do 13. Dezember19.30 Uhr Berliner Dom

Karten von 9 € bis 32 €

Weihnachtskonzertemit dem Staats- und Domchor

am 12. + 13.12.

casual concert Mo 12.11.

Page 6: DSO Nachrichten 11/12 2012

Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.de

aUF DEM WEg zUM EIgENEN ProFIlGianandrea Noseda und Leif Ove Andsnes am 28. + 29.11. mit frühen Werken von Beethoven und Strauss

Silvesterkonzerte | Gianandrea Noseda

MaNEgE FrEISilvesterkonzerte mit dem Circus Roncalli

Es ist verbürgt, dass Richard Strauss neben Mozart, Liszt und Wagner auch Beethoven in den erlauchten Kreis der von ihm akzeptierten Komponisten aufnahm. Doch mit Beethovens Klavierkonzert Nr. 3 und der Sym-phonischen Phantasie ›Aus Italien‹ des Münchner Meis-ters stehen sich äußerst gegensätzliche Tonsprachen gegenüber: Was die eine als klare, ausdrucksbehafte-te Struktur entwickelt, löst die andere in schillernde Klangfarbenpracht auf. Ob die Interpreten der Konzerte am 28. und 29. November da einen roten Faden finden? Der Norweger Leif Ove Andsnes ist bekannt für ein quasi objektivierendes, streng dem Notentext verpflichtetes Klavierspiel — womit er auch in einem »Klassik-Schla-ger« wie dem c-Moll-Konzert noch Neues aufzuspüren vermag. Am Pult des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin wird Gianandrea Noseda, Chefdirigent des Teat-ro Regio di Torino, den Glanz der Strauss’schen Partitur mit südländischem Temperament entfachen. Gegensät-ze lassen sich also auch bei den Interpreten erwarten.

Aufwertung der KonzertformAber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an, und viel-leicht haben die beiden Werke doch mehr gemeinsam, als man auf den ersten Blick vermutet. Beide stehen am Anfang neuer Entwicklungen, bezeichnen eine Art Selbstfindung ihrer Schöpfer. Beethovens Klavierkon-zert Nr. 3 c-Moll entstand in den Jahren 1800 bis 1803. Es ist das erste Konzert, das die Sphäre unterhalten-der Virtuosität verlässt, in der ein Mozart noch bewusst verblieben war — immerhin boten die »Academien«, bei

denen der Komponist als Solist oder Dirigent auftrat, oft die einzige Möglichkeit zum Geldverdienen. Allerdings »leiht« sich Beethoven das Kopfthema von Mozarts düsterem Klavierkonzert KV 491 in der gleichen Tonart. Thematische Durcharbeitung wertet den Orchesterpart auf, macht ihn zum gleichberechtigten Dialogpartner des Solisten. Lust an schroffen Kontrasten, Dramatik und lyrische Tiefe kennzeichnen das Profil des jungen Komponisten, dessen Selbstbewusstsein so weit ging, dass er bei der Uraufführung 1803 den Solopart aus — »bis auf einige unverständliche ägyptische Hierogly-phen« — leeren Notenblättern spielte.

Überwältigende Klangphantasie30 Jahre alt war Beethoven bei der Findung seiner Konzertform, 22 Richard Strauss, als er die ihm gemä-ße Form der »Tondichtung« entwickelte. Zwar hatten bereits Berlioz die »Programmsymphonie« und Liszt die »Symphonische Dichtung« geschaffen, doch die Vorstellung einer poetischen Idee, »die sich die Form suchen muss«, entsprach ganz dem experimentierfreu-digen jungen Künstler, der später zum erfolgreichsten Opernkomponisten des 20. Jahrhunderts werden soll-te. ›Aus Italien‹, die Frucht einer Italienreise von 1896, fängt Natur- und Kunsteindrücke dagegen noch unmit-telbar beschreibend ein. ›Auf der Campagna‹ ist eine Art Präludium, in dem sich die Motive zögernd aus lang gehaltenen Pianissimo-Klängen erheben. >Fantasti-sche Bilder entschwundener Herrlichkeit< empfand der junge Strauss >in Roms Ruinen<. Dieser eigentliche

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Hauptsatz setzt scharf geschnittenen, »heldisch« auf-trumpfenden Rhythmen schwelgerische Seitenthemen entgegen. Geniale Klangerfindung mit delikat ineinan-der verwobenen Flötenläufen und Streichertrillern zeigt das Andantino >Am Strande von Sorrent< — ein filigraner Vorgriff auf ›Rosenkavalier‹-Klänge. Im Finale tobt sich der Schlager ›Funiculì, Funiculà‹ als >Neapolitanisches Volksleben< mit allen satztechnischen Finessen aus — was die schlichte Melodie über Gebühr aufbläst und bei der Uraufführung 1887 einigen Spott hervorrief. Zwar enthält diese Symphonische Fantasie kaum genuin Ita-lienisches — zumindest ist es, wie der Kritiker Richard Specht treffend bemerkte, »mit blauen deutschen Au-gen angeschaut«. Dennoch ist sie ein wunderbares und viel zu selten gespieltes Beispiel für den Farbenreich-tum und die Empfindungskraft des jungen Komponisten.

ISABEL HERZFELD

—––ludwig van Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Mollrichard strauss ›Aus Italien‹

gIaNaNDrEa NosEDaleif ove andsnes Klavier

Mi 28.11. | Do 29.11.jeweils 20 Uhr | 18.55 Uhr EinführungPhilharmonie

Karten von 20 € bis 59 € | AboPlus-Preis ab 17 €

Als das Berliner Tempodrom seinen Silvestertermin des Jahres 2003 versehentlich sowohl an das Deutsche Symphonie-Orchester, als auch an den Circus Roncalli vergab, hätte wohl niemand eine Erfolgsgeschichte vor-ausgesehen. Doch was aus der Not geboren war, wurde zum musikalischen Silvesterknaller. Denn in der Ausge-lassenheit des Jahreswechsels trifft seit neun Jahren aufeinander, was auf den ersten Blick nicht zusammen-gehört — und das hat die schönsten Folgen: Weil das Orchester von der Philharmonie in die Manege wech-selt. Weil symphonischer Orchesterklang und atembe-raubende Akrobatenkunst sich wechselseitig beflügeln. Weil die komischsten Melancholiker und die brillantes-ten Klangzauberer unter der Zirkuskuppel gemeinsam in eine grenzenlose Wunderwelt hineintanzen — in der sich Schönheit und Eleganz, Spannung und atemloses Stau-nen nahtlos ineinanderfügen.

Spanische KlängeIm Mittelpunkt der diesjährigen Silvesterkonzerte steht Musik aus Spanien und Lateinamerika. Gerade die über viele Jahrhunderte von unzähligen Einflüssen geformte Musiklandschaft des iberischen Schmelztiegels hatte es

den Komponisten angetan. Feurige Rhythmen und anda-lusische Melodien fanden ebenso Einzug in ihr Schaffen wie der bisweilen verklärte Blick gen Süden. Vor allem in Frankreich waren spanische Themen ungeheuer in Mode, nicht zuletzt bei Georges Bizet und Maurice Ra-vel. Doch auch die Sehnsuchtsorte selbst fanden ihre eigenen musikalischen Stimmen.

»Ein poetisch funkelnder, intelligenter und witziger Abend.«Udo Badelt im Tagesspiegel

Fernab der Klischees Aus der neuen Welt kommt auch Giancarlo Guerrero, mit zwei ›Grammys‹ ausgezeichneter Chefdirigent des Nashville Symphony Orchestra. Er stammt aus Costa Rica und pflegt neben seiner bemerkenswerten Karriere in den USA intensive Kontakte zur Musikwelt Südameri-kas. Auch der französische Ausnahme-Harfenist xavier de Maistre hegt eine große Affinität zur Musik spani-scher und lateinamerikanischer Komponisten. Nicht nur als Konzertsolist hat er bewiesen, dass sein Instrument

besseres verdient hat, als in der ätherischen Klischee-Ecke zu verstauben. Schmissig, brillant und hoch virtu-os gespielt, hat die Harfe in de Maistre ihren Meister gefunden. Gemeinsam mit dem DSO und den Artisten des Circus Roncalli wird er das Jahr 2012 fulminant be-schließen. Manege frei!

MA xIMILIAN RAUSCHER

—––SilvesterkonzerteWerke von Bernstein, Bizet, chabrier, de Falla, gershwin, ginastera, ravel, rimski-korsakow, Villa-lobos und Vivaldi

gIaNcarlo gUErrEroXavier de Maistre Harfe artisten des circus roncalli

Mo 31.12.15 + 19 Uhrtempodrom

Karten von 20 € bis 80 € | AboPlus-Preis ab 17 €

Page 7: DSO Nachrichten 11/12 2012

Tugan Sokhiev7

rUsslaND, FraNkrEIch UND DErzaUBEr DEs orIENts

Tugan Sokhiev und Jean-Yves Thibaudet am 16. + 17.11. mit Balakirew, Saint-Saëns und Rimski-Korsakow

Eine etwas tragische Figur war er schon: hochbegabt, blitzgescheit, ein begnadeter Musiker, in der Kunst der Töne, der Worte und der Mathematik versiert und gut gebil-det. Er war der eigentliche Kopf, der Vordenker der Gruppe, die sich selbstironisch »Mächtiges Häufl ein« nannte, und die nichts Geringeres vorhatte, als die Musik in Russland wirklich und ganz auf russische Beine zu stellen. Nur einen Nachteil brachte Mili Balakirew mit: Es dauerte ewig, Jahre, Jahrzehnte, bis er ein begonnenes Werk vollendete, und weil er ansonsten sehr mitteilsam war, hatten sich inzwischen andere die Ergebnisse seiner Expeditionen und Entdeckungen im Reich der Klänge zu eigen gemacht, und seine Kompositionen wirkten, als sie dann erschienen, nicht mehr so neuartig, wie sie es zum Zeitpunkt ihrer Konzeption waren. Das war Mili Balakirews Tragödie: ein Neuerer, der notorisch die Zeit verpasste. Wer zu spät mit dem Seinen herauskommt, den straft die Geschichte.

»Die majestätische Schönheit einer üppigen Natur und die Schönheit der Bewohner, die mit ihr harmoniert — alles dies macht auf mich einen tiefen Eindruck.« Mili Balakirew

Nur eine große Ausnahme gab es in Balakirews schöpferischem Leben, ein Werk, das er unter dem Eindruck einer Reise in und durch den Kaukasus innerhalb eines Monats für Klavier komponierte. In der Tabelle des Schwierigkeitsgrades rangiert es ganz oben, direkt neben Liszts pianistischen Brocken. Er durchsetzte das Material der gewaltigen, gedrängten Komposition mit volkstümlichen Melodien, die er auf seiner langen Fahrt vernahm; auch der Titel geht auf eine solche zurück: »Ich machte die Bekanntschaft eines Tscherkessenprinzen, der oft zu mir kam und mir Volksweisen auf einem Instrument vorspielte, das einer Geige ähnelt. Eine von ihnen, ›Islamey‹ genannt, eine Tanzweise, gefi el mir außerordentlich«, schrieb er in einem Brief.

Der Titel stand also für nichts Religiöses, sondern für die Ferne im eigenen Land, die Region, welche die St. Petersburger und Moskowiter kaum besuchten, obwohl sie zum Zarenreich gehörte. Dort im Süden, mit seinem teils lockenden, teils schroffen Bergland, öffnete sich der Blick in eine schöne fremde Welt, den Orient. Wie stets in solchen musikalischen Refl exionen einer wirklichen oder imaginären Reise mischt sich in der Tonsprache der Versuch, Impressionen in Klangbewegungen zu bannen, mit authentischem Material aus der Fremde. Sergej Ljapunow, Balakirews Kollege in der Leitung der Hofsängerkapelle und der Freien Musikschule in St. Petersburg, er-weckte die im Klavierklang verkapselten Farben zu buntem orchestralem Leben.

Reisen ins gemeinsame TraumlandTugan Sokhiev nahm sich für seine erste Chefdirigenten-Saison beim DSO vor, das Verständnis für die Breite und die Vielfalt der russischen Musik zu fördern. Im Inter-nationalen Musikleben wird in der Regel nur eine stark eingeschränkte Repertoire-auswahl gespielt. Sie vermittelt ein enges, schiefes Bild. Sokhiev kommt es außerdem darauf an, Zusammenhänge hörend erfahrbar zu machen. Die kommunizierenden Röhren zwischen der russischen und der französischen Musik sind nicht ganz un-bekannt. Komponisten um Debussy und Ravel beeindruckte die Musik Modest Mus-sorgskys wie die ersehnte Offenbarung aus einer anderen Welt. Die Ballets Russes erspielten und ertanzten sich in der französischen Hauptstadt eine beispiellose Er-folgsgeschichte und wurden rasch zu einer Pariser Institution. Diese Verbindungen sind relativ gut bekannt. Sokhiev weist in seinem Programm auf eine weitere hin. Sie liegt, in Begriffen des bildnerischen Gestaltens gesprochen, in einem gemeinsamen Fluchtpunkt, dem Orient als Wunsch- und Traumland, das den Künstlern gleichwohl nicht unerreichbar war. Sie besuchten es.

Camille Saint-Saëns’ Fünftes Klavierkonzert verdankt seine Entstehung wie ›Islamey‹ einer Reise. Der Komponist aus Paris, der seine letzten Lebenstage in Algier verbrach-te, war in seinen späteren Jahren viel unterwegs, vor allem im Mittelmeerraum. Die großen Fahrten förderten seine Gesundheit, und sie weiteten seinen Horizont, sie gaben seiner Fantasie die feste Nahrung der authentischen Erfahrung. Anfang 1896 war der inzwischen 60-Jährige auf dem Nil unterwegs. In Luxor, der alten Tempel- und Königsstadt, schrieb er sein Fünftes Klavierkonzert, das er deswegen sein ›Ägyp-tisches‹ nannte. Ein nubisches Lied zitiert er darin, träumt sich nach eigenen Worten musikalisch weiter bis in den Fernen Osten. Das Werk machte nach seiner Urauf-führung auch russische Geschichte. Es gehörte unter anderem zum Repertoire von Swjatoslaw Richter und Emil Gilels. Jean-Yves Thibaudet, der sich in Repertoire und Interpretation nicht in vorgegebene Raster zwängen lässt, ist für diesen Grenzgänger zwischen klassischer Form und Programm-Musik ein idealer Interpret.

Geteilter RuhmSokhiev beschließt sein Programm mit einem der bekannteren Werke russischer Komponisten, mit Nikolai Rimsky-Korsakows ›Scheherazade‹. In Frankreich wurde es rasch beliebt. Maurice Ravel antwortete mit einem eigenen, völlig anderen Werk zum gleichen Thema. Hier, bei der fernen orientalischen Prinzessin mit ihrer unerschöpf-lichen Märchen-Fantasie, fi nden Frankreich und Russland im Traumreich der Klänge zusammen. Die beiden Länder teilen sich den Ruhm, die bedeutendste Musik-Sche-herazade ihr Eigen nennen zu können.

HABAKUK TRABER

Viele erreichen mehr.dso-berlin.de/foerderkreis

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—––Mili Balakirew ›Islamey‹ – Orientalische Phantasie, für Orchester bearbeitet von Sergej Ljapunowcamille saint-saëns Klavierkonzert Nr. 5 F-Dur ›Ägyptisches‹Nikolai rimski-korsakow ›Scheherazade‹

tUgaN sokhIEV Jean-Yves thibaudet Klavier

Fr 16.11. + sa 17.11.jeweils 20 Uhr | 18.55 Uhr Einführung Philharmonie

Karten von 20 € bis 59 € AboPlus-Preis ab 17 €

und Künstlerischer Leiter

Tuga

n So

khiev

Chefdirigent

Page 8: DSO Nachrichten 11/12 2012

Eine Publikation des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin | dso-berlin.deKonzertvorschau | Impressum

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so 18.11.12 Uhr

Haus des Rundfunks

Kulturradio-Kinderkonzertrimski-korsakow ›Scheherazade‹tUgaN sokhIEVchristian schruff Moderation

Fr 30.11.20.30 Uhr

Villa Elisabeth

KammerkonzertWerke von krommer, klein, MozartENsEMBlE DEs Dso

Casual Concert Dvořák Symphonie Nr. 7 d-MolltUgaN sokhIEV

Mo 12.11.20.30 Uhr

Philharmonie

so 11.11.20 Uhr

Philharmonie

Fauré Suite ›Pelléas et Mélisande‹Weinberg Flötenkonzert Nr. 1 d-MollDvořák Symphonie Nr. 7 d-MolltUgaN sokhIEVkornelia Brandkamp Flöte

November

Balakirew ›Islamey‹ – Orientalische Phantasiesaint-saëns Klavierkonzert Nr. 5 F-Dur ›Ägyptisches‹rimski-korsakow ›Scheherazade‹tUgaN sokhIEV Jean-Yves thibaudet Klavier

Fr 16.11.sa 17.11.

20 Uhr Philharmonie

Mi 28.11.Do 29.11.

20 Uhr Philharmonie

Beethoven Klavierkonzert Nr. 3 c-Mollstrauss ›Aus Italien‹gIaNaNDrEa NosEDaleif ove andsnes Klavier

so 9.12.20 Uhr

Philharmonie

Purcell Suite aus ›The Fairy Queen‹haydn Symphonie Nr. 101 D-Dur ›Die Uhr‹Vaughan Williams Symphonie Nr. 2 G-Dur ›A London Symphony‹sIr rogEr NorrINgtoN

Mi 12.12.Do 13.12.19.30 Uhr

Berliner Dom

Weihnachtskonzerte mit dem Staats- und Domchor BerlinWerke von J. s. Bach, Mendelssohn Bartholdy und zelterkaI-UWE JIrka Vanessa Barkowski MezzosopranNikolay Borchev Bariton andreas sieling Orgel staats- und Domchor Berlin

so 16.12.12 Uhr

Haus des Rundfunks

Kulturradio-Kinderkonzerthindemith ›Tuttifäntchen‹ – Weihnachtsmärchen in drei BildernJohaNNEs zUrl christian schruff Moderation

Di 18.12.20 Uhr

Philharmonie

Debüt im Deutschlandradio KulturMendelssohn Bartholdy Ouvertüre ›Meeresstille und glückliche Fahrt‹Mozart Konzertarie ›Ch’io mi scordi di te?‹ Wigglesworth ›Augenlieder‹Jolivet Trompetenkonzert Nr. 2Debussy ›La mer‹rYaN WIgglEsWorth Leitung und Klavierclaire Booth Sopran alexandre Baty Trompete

Mo 31.1215 + 19 UhrTempodrom

SilvesterkonzerteWerke von de Falla, ginastera, ravel u .a. gIaNcarlo gUErrEroXavier de Maistre Harfeartisten des circus roncalli

konzerteinführungenZu allen Symphoniekonzerten in der Philharmonie – mit Ausnahme der Casual Concerts – findet jeweils 65 Minuten vor Konzertbeginn eine Einführung mit Habakuk Traber statt.

KARTEn, AbOS UnD bERATUnGRundfunk Orchester und Chöre GmbH besucherserviceCharlottenstraße 56 | 2. OG 10117 Berlin | Am GendarmenmarktÖffnungszeiten Mo bis Fr 9 – 18 UhrTel 030. 20 29 87 11 | Fax 030. 20 29 87 [email protected]

IMPRESSUMDeutsches Symphonie-Orchester berlin in der Rundfunk Orchester und Chöre GmbH Berlin im rbb-Fernsehzentrum Masurenallee 16 – 20 | 14057 BerlinTel 030. 20 29 87 530 | Fax 030. 20 29 87 539dso-berlin.de | [email protected]

Orchesterdirektor Alexander Steinbeis (V. i. S. d. P.)Orchestermanager Sebastian KönigPresse- und Öffentlichkeitsarbeit Benjamin DriesRedaktion Maximilian Rauscher, Benjamin DriesRedaktionelle Mitarbeit Tobias Lindbranding | Marketing Jutta ObrowskiAbbildungen | Fotos Urban Zintel (S. 1, Saison- bilder), Kai Bienert (S. 2 links, S. 6 rechts), David Maschalsky (S. 2 Mitte), Benjamin Ealovega (S. 2 rechts), Manfred Esser (S. 3, S. 4 oben), Dorothee Mahnkopf (Grafik S. 4 unten), Thomas Meyer | Ostkreuz (S. 5), Erik-Jan Ouwerkerk (S. 6 links, Mitte), Erik Weiss (S. 7)Art- und Fotodirektion .HENKELHIEDLRedaktionsschluss 11.10.2012 Änderungen vorbehalten© Deutsches Symphonie-Orchester Berlin 2012 Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ist ein Ensemble der Rundfunk Orchester und Chöre Gmbh Berlin.Geschäftsführer Thomas KippGesellschafter Deutschlandradio, Bundesrepublik Deutschland, Land Berlin, Rundfunk Berlin-Brandenburg

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8

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