Einführung in die Methoden und Grundbegriffe der Literatur- und Kulturwissenschaft: Bausteine des...

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Einführung in die Methoden und Grundbegriffe der Literatur- und Kulturwissenschaft: Bausteine des Erzählens 1. Rückblick: Techniken der Narrativisierung (Chronologische Zeit vs. Erzählzeit / Histoire & discours) 2. Point of view: Perspektiven der Erzählung 3. Literarischer Raum: Der Erzähltext als Koordinatensystem räumlicher Verhältnisse

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Einführung in die Methoden und Grundbegriffe der Literatur- und Kulturwissenschaft:

Bausteine des Erzählens

1. Rückblick: Techniken der Narrativisierung (Chronologische Zeit vs. Erzählzeit / Histoire & discours)

2. Point of view: Perspektiven der Erzählung

3. Literarischer Raum: Der Erzähltext als Koordinatensystem räumlicher Verhältnisse

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„When Miss Emily Grierson died, our whole town went to her funeral: the men through a sort of respectful affection for a fallen monument, the women mostly out of curiosity to see the inside of her house, which no one save an old man-servant - a combined gardener and cook - had seen

in at least ten years. […]

And so she died. Fell ill in the house filled with dust and shadows, with only a doddering Negro man to wait on her. We did not even know she was sick; we had long since given up trying to get any

information from the Negro. […]“ William Faulkner, „A Rose for Emily“ (1930)

„A Rose for Emily“ (1930)

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Histoire: Nuklearform der Erzählung

Chronologische Zeit vs. Erzählzeit

- „A Rose For Emily“: assoziative Verkettung von Erinnerungen (Zeitsprünge)

„Histoire“ und „Discours“

„Auf der allgemeinsten Ebene besitzt ein literarisches Werk zwei Aspekte: es ist gleichzeitig eine Geschichte [histoire]

und eine Rede [discours].“ Tzvetan Todorov (1966)

Discours: Darbietung, Erzählprozess

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Point of view (Erzählperspektiven)

A.) Teilnehmender Erzähler (Ich-Perspektive)

• Sicht der Hauptfigur (Adventures of Huckleberry Finn)

• Sicht einer Nebenfigur („A Rose for Emily“)

B.) Nicht-teilnehmender Erzähler (Sicht aus der 3. Person)

• Allwissender Erzähler (Einblick in alle Charaktere, „Godfather Death“)

• Einblick in Hauptfigur (Faulkner, „Barn Burning“)

• Einblick in Nebenfigur • Objektiver Erzähler („Fly on the wall“: The Maltese Falcon)

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Unreliable Narrator (Wayne Booth)

Technik der literarischen Moderne (beginnend mit Henry James)

„In a story told by an unreliable narrator, the point of view is that of a person who, we perceive, is deceptive, self-deceptive, deluded, or deranged.“

Kennedy & Gioia (1999), p. 24

Stream of consciousness (James Joyce)

„By using a particular point of view, an author may artfully withhold information, if need be, rather than immediately present it to us.“ Kennedy & Gioia (1999),

p. 25

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„Körpernahes Erzählen“ bei Faulkner

Der Erzählmodus bei Faulkner privilegiert die Dimension körperlich-sinnlicher Erfahrung gegenüber den rationalen Fähigkeiten des Geistes.

„Viele Romanfiguren Faulkners werden nicht mehr psychologisch vergegenständlicht, sondern bleiben

elementare Kräfte und isolierte Erfahrungen oder inkongruente Anhäufungen von solchen.“

Jürgen Peper, Bewußtseinslagen des Erzählens (1966), S. 14

Körpernahes (Bewußt-)Sein /

Die Grenzen zwischen Organischem und Anorganischem verwischen sich.

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Literarischer Raum

‘Raum‘ in einem Erzähltext meint […] nicht einfach nur die topographisch erfaßbare(n)

Lokalität(en), sondern die Gesamtheit homogener Objekte (Erscheinungen, Zustände, Funktionen, Figuren, Werte von Variablen, u.

dgl.), zwischen denen Relationen bestehen, die den gewöhnlichen räumlichen Relationen

gleichen. J. M. Lotman, zit. nach: Schulte-Sasse

(1977), S. 166/67

Der Erzähltext als Koordinatensystem räumlicher Verhältnisse

- Konstitution eines „geordnetenWeltmodells“ im literarischen Text

- Objektzusammenhänge können nur in raum-zeitlichen Dimensionen dargestellt werden.

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Literarischer RaumWelche Raum- und Zeitmodelle gibt es in „Young Goodman

Brown“ (1835)?

Handlung kommt in einem Erzähltext dadurch zustande, daß ein Handlungsträger die Grenze zwischen den Teilfeldern eines semantischen Feldes überwindet und in das Gegenfeld eindringt. J. M. Lotman, zit. nach: Schulte-Sasse (1977), S. 168

„Unbekehrte Wildnis“ vs. Zivilisation

Vergangenheit vs. Gegenwart /

Imagination vs. Realität

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Autonomie der „Subjektiven Vernunft“ in der Romantik (J. Peper)

Im romantischen Sinnbild wird die ‚Subjektive Vernunft‘ autonom. Ihr Ersinnen und Erahnen metaphysischer Bezüge zwischen Natur, subjektivem und objektivem Geist entfaltet sich schrankenlos. Solcher Offenheit entspricht eine unendliche Zeit und ein unendlicher Raum. J. M. Lotman, zit. nach: Schulte-Sasse (1977), S. 168

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„But, alas! it was a dream of evil omen for young Goodman Brown. A stern, a sad, a darkly meditative, a distrustful, if not a desperate man, did he become, from the night of that fearful dream. […] Often, awakening suddenly at midnight, he shrank from the bosom of Faith, and at morning or eventide, when the family knelt down at prayer, he scowled, and muttered to himself, and gazed sternly at his wife, and turned away. And when he had lived long, and was borne to his grave, a hoary corpse, followed by Faith, an aged woman, and children and grand-children, a goodly procession, besides neighbors, not a few, they carved no hopeful verse upon his tomb-stone; for his dying hour was

gloom.“ Nathaniel Hawthorne, „Young Goodman Brown“ (1835)