Energiekosten senken

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b Die chemische Industrie muss den spezifischen Energieeinsatz ständig weiter reduzieren, 1) denn aufgrund begrenzter Rohstoff- ressourcen ist deren effiziente Nutzung unentbehrlich; mit erhöhter Energieeffizienz lassen sich Umwelt- und Klima- schutzziele leichter erreichen; bessere Energieeffizienz senkt die Importabhängigkeit von Energieträgern und erhöht die Versorgungssicherheit; energieeffiziente Technik und Produkte sind ein Zukunfts- markt; gesenkte Energiekosten erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit. Die chemische Industrie hält dazu an der Selbstverpflichtungserklä- rung vom November 2000 fest. 2) Diese Erklärung beschreibt das Prin- zip der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) und die Entkopplung des Energieverbrauchs vom Produktionswachstum. Energiekosten machen in der chemischen Industrie im Durch- schnitt 10 % der Betriebskosten aus. Während der Anteil in der Pharmaindustrie maximal 2 % be- trägt, schlägt der Energieverbrauch in der Grundstoffchemie mit bis zu 40 % zu Buche. 3) Um für eine effi- ziente Energienutzung Potenziale an der richtigen Stelle zu heben, sind die gesamte Anlage und der zugehörige Gebäudekomplex sys- tematisch zu prüfen (Abbildung 1). Zu den bekanntesten Maßnah- men, welche die Energieeffizienz er- höhen, gehören verfahrenstechni- sche wie Wärmeintegration und Wirkungsgradverbesserungen. Kom- plexere Prozesse sowie Wärme- und Stoffverkopplungen zwischen meh- reren Anlagen stellen aber auch im- mer höhere Anforderungen an die Automatisierungstechnik. Vor allem interdisziplinäre Ansätze, in denen die Automatisierung eine zentrale Rolle spielt, identifizieren und he- ben Potenziale. 6) Obwohl die Che- mieindustrie in den letzten Jahren ihre Anlagen bereits energieeffizien- ter machte, ließen sich durch Pro- zessautomation noch 10 bis 25 % Energie einsparen. 5) Energieeffizienz auf allen Ebenen b Die Arbeitsgebiete der Automa- tisierungstechnik lassen sich als Pyramide mit mehreren Ebenen darstellen (Abbildung 2). Die Produktionsanlage bildet die Basis. Darüber stehen die Mess- und Stellgeräte für die Grundfunk- tionen der Automatisierung. Dazu gehören Sensoren (z. B. für Druck, Temperatur) sowie die entspre- chenden Aktoren (z. B. Ventile, An- triebe). Damit die Anlage energie- effizient arbeiten kann, muss die Messtechnik an der richtigen Stelle angemessen genaue Daten an das Prozessleitsystem (PLS) übergeben. Die PLS-Ebene enthält Funktio- nen wie Messen, Stellen, Steuern, Überwachen sowie die dazugehöri- gen Anzeige-, Protokoll- und Be- dienfunktionen. Die Ebene umfasst die Basisregelung, die Messwerte mit geeigneten Stellgrößen ver- knüpft und so den bestimmungsge- mäßen Betrieb einstellt. Über der Basisregelung stehen Methoden der übergeordneten Pro- zesskontrolle (Advanced Process Control, APC). Diese Ebene macht Vorgaben für den optimierten Be- trieb und gibt Startwerte an die Regler im PLS. Das aus Erfahrung und Modellen gewonnene Prozess- wissen kann hier genutzt werden, um den Prozessverlauf möglichst nah an das energetische Optimum zu bewegen, ohne die Sicherheit der Anlage und die Qualität des Produkts zu gefährden. Das Betriebsführungssystem (Ma- nufacturing Execution System, MES) bündelt die Daten aus den Gunther Windecker Wie Automatisierungstechnik chemische Anlagen energieeffizienter macht. Energiekosten senken BChemiewirtschaftV Abb. 1. Zwiebelmodell. 4) Jede einzelne Schicht ist zu prüfen, um den Betrieb einer Anlage energieeffizienter zu gestalten. Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten 152

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b Die chemische Industrie muss den spezifischen Energieeinsatz ständig weiter reduzieren,1) denn

• aufgrund begrenzter Rohstoff-ressourcen ist deren effiziente Nutzung unentbehrlich;

• mit erhöhter Energieeffizienz lassen sich Umwelt- und Klima-schutzziele leichter erreichen;

• bessere Energieeffizienz senkt die Importabhängigkeit von Energieträgern und erhöht die Versorgungssicherheit;

• energieeffiziente Technik und Produkte sind ein Zukunfts-markt;

• gesenkte Energiekosten erhöhen die Wettbewerbsfähigkeit.

Die chemische Industrie hält dazu an der Selbstverpflichtungserklä-rung vom November 2000 fest.2) Diese Erklärung beschreibt das Prin-zip der nachhaltigen Entwicklung (Sustainable Development) und die Entkopplung des Energieverbrauchs vom Produktionswachstum.

Energiekosten machen in der chemischen Industrie im Durch-schnitt 10 % der Betriebskosten

aus. Während der Anteil in der Pharmaindustrie maximal 2 % be-trägt, schlägt der Energieverbrauch in der Grundstoffchemie mit bis zu 40 % zu Buche.3) Um für eine effi-ziente Energienutzung Potenziale an der richtigen Stelle zu heben, sind die gesamte Anlage und der zugehörige Gebäudekomplex sys-tematisch zu prüfen (Abbildung 1).

Zu den bekanntesten Maßnah-men, welche die Energieeffizienz er-höhen, gehören verfahrenstechni-sche wie Wärmeintegration und Wirkungsgradverbesserungen. Kom -plexere Prozesse sowie Wärme- und Stoffverkopplungen zwischen meh-reren Anlagen stellen aber auch im-mer höhere Anforderungen an die Automatisierungstechnik. Vor allem interdisziplinäre Ansätze, in denen die Automatisierung eine zentrale Rolle spielt, identifizieren und he-ben Potenziale.6) Obwohl die Che-mieindustrie in den letzten Jahren ihre Anlagen bereits energieeffizien-ter machte, ließen sich durch Pro-zessautomation noch 10 bis 25 % Energie einsparen.5)

Energieeffizienz auf allen Ebenen

b Die Arbeitsgebiete der Automa-tisierungstechnik lassen sich als Pyramide mit mehreren Ebenen darstellen (Abbildung 2).

Die Produktionsanlage bildet die Basis. Darüber stehen die Mess- und Stellgeräte für die Grundfunk-tionen der Automatisierung. Dazu gehören Sensoren (z. B. für Druck, Temperatur) sowie die entspre-chenden Aktoren (z. B. Ventile, An-triebe). Damit die Anlage energie-effizient arbeiten kann, muss die Messtechnik an der richtigen Stelle angemessen genaue Daten an das Prozessleitsystem (PLS) übergeben.

Die PLS-Ebene enthält Funktio-nen wie Messen, Stellen, Steuern, Überwachen sowie die dazugehöri-gen Anzeige-, Protokoll- und Be-dienfunktionen. Die Ebene umfasst die Basisregelung, die Messwerte mit geeigneten Stellgrößen ver-knüpft und so den bestimmungsge-mäßen Betrieb einstellt.

Über der Basisregelung stehen Methoden der übergeordneten Pro-zesskontrolle (Advanced Process Control, APC). Diese Ebene macht Vorgaben für den optimierten Be-trieb und gibt Startwerte an die Regler im PLS. Das aus Erfahrung und Modellen gewonnene Prozess-wissen kann hier genutzt werden, um den Prozessverlauf möglichst nah an das energetische Optimum zu bewegen, ohne die Sicherheit der Anlage und die Qualität des Produkts zu gefährden.

Das Betriebsführungssystem (Ma -nufacturing Execution System, MES) bündelt die Daten aus den

Gunther Windecker

Wie Automatisierungstechnik chemische Anlagen energieeffizienter macht.

Energiekosten senken

BChemiewirtschaftV

Abb. 1. Zwiebelmodell.4) Jede einzelne Schicht ist zu prüfen, um den Betrieb einer Anlage

energieeffizienter zu gestalten.

Nachrichten aus der Chemie| 62 | Februar 2014 | www.gdch.de/nachrichten

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Prozesseinheiten. So lassen sich Produktionsprozesse betriebsüber-greifend zusammenstellen, visuali-sieren und archivieren.

Die meisten Anlagen sind heute an Betriebsdateninformationssyste-me angeschlossen. Sie liefern Pro-zessparameter anhand von Mes-sungen sowie Änderungen in der Anlagenkonfiguration in Echtzeit. Eine Datenanalyse auf dieser Ebene eignet sich besonders, um betrieb-liche Energieeffizienzpotenziale zu ermitteln, den Energieverbrauch zu überwachen und das Reporting von Effizienzmaßnahmen. Fach-gremien wie Namur (Kasten) und der Verband der Deutschen Indus-trie erarbeiteten einheitliche MES-Funktionen, die Produktionspro-zesse effizienter machen können.8)

Auf der Ebene des Enterprise Re-source Planning System (ERP) an der Pyramidenspitze lässt sich der Energieverbrauch eines Unterneh-mens verfolgen und kontrollieren: Das ERP fasst die Daten aus dem MES zusammen.

In der Praxis

b Der Ist-Zustand eines Prozesses enthält grundsätzlich Daten zu Energiebezug und -verbrauch. Eine Grobanalyse identifiziert die Hauptenergieverbraucher und -kostenverursacher. Dadurch er-scheinen die zentralen Ansatz-punkte zum Sparen, und es wird klar, welche Maßnahmen zuerst durchzuführen sind. Da sich die Randbedingungen im Lauf der Zeit ändern können, muss diese Poten-zialanalyse regelmäßig wiederholt werden.

Die Feinanalyse wertet den Energieverbrauch aus und stellt ihn grafisch dar. Sie ordnet den Verbrauch Prozessabläufen und Umgebungseinflüssen zu. Energie-ineffiziente Prozesse werden so identifiziert, Energie-Performance-Indikatoren und das dazugehörige Energiemonitoring erstellt. Daraus Daraus lassen sich Ansatzpunkte für eine energieoptimierte Prozess-führung ableiten. Maßnahmen werden dann anhand technischer,

ökonomischer und ökologischer Kriterien gewählt. Kriterien ge-wählt und priorisiert. Anschlie-ßend müssen der dauerhafte Erfolg kontrolliert und die Einsparungen dokumentiert werden. Dies dient als Grundlage für Nachfolgeprojek-te.

Für nachhaltige technische Lö-sungen in der Prozessindustrie sind eine starke Unterstützung auf Managementebene und entspre-chende personelle Ressourcen mit spezifischem Know-how der che-mischen Industrie notwendig.

Gunther Windecker ist Obmann des Namur-

Arbeitskreises 4.17 Energieeffizienz. Bei der

BASF ist er Teamleiter zur Einführung des The-

menfelds „Energiemanagements und Energie-

effizienz“. Über konzeptionelle Ansätze für ein

intelligentes Energiemanagement spricht

Windecker während der 3. Fachtagung „Pro-

duktion in der chemischen Industrie“ der Che-

macademy am 18. Februar in Köln.

[email protected]

Literatur

1) O. Kahrs, S. Hoffmann: Energieeffizienz –

Kurzbericht aus dem Namur-Arbeits-

kreis 4.17, atp-Edition 1–2/2010.

2) VDI 2001: Weiterentwickelte Selbstver-

pflichtungserklärung der chemischen

Industrie im Rahmen der Klimaschutz-

vereinbarung der deutschen Wirtschaft

vom November 2000, Verband der che-

mischen Industrie (2001); www.vci.de/

default~cmd~shd~docnr~65734.htm

(abgerufen am 16.05.2011).

3) J. Rudolph, Chemie Ingenieur Technik

2006, 78, 381–388.

4) A. Jupke, H.-J. Leimkühler, Bayer Techno-

logy Services 2009: Nachhaltige Imple-

mentierung von Energie- und Klimaeffi-

zienz, Processnet-Jahrestagung, Mann-

heim, 2009; Kurzfassung in: Chemie In-

genieur Technik 2009, 81, 1106.

5) ZVEI, Infobroschüre‚ Mit Hightech für

Umwelt- und Klimaschutz. Automation:

Wir machen’s energieeffizient!, Frank-

furt am Main, 2010.

6) K. Schächtele, S. Krämer, Energieoptimie-

rung in der Chemieindustrie, atp Editi-

on, Vulkan-Verlag, Essen, 2012, 35–43.

7) Namur NA 140, Vorgehensweise zur

Steigerung der Energieeffizienz in che-

mischen Anlagen, 2012.

8) Namur Arbeitsblätter NA 94, NA 110, NA

128, Namur Empfehlung NE 59, VDI-

Richtlinie 5600.

Abb. 2. Automatisierungspyramide. Maßnahmen zur Energieeffizienz knüpfen auf allen

Ebenen an.

b Energie sparen mit Arbeitsblatt

Um den Beitrag der Automatisierungstechnik zur

Energieeffizienz herauszuarbeiten, hat der Namur-

Arbeitskreis 4.17 „Energieeffizienz“ ein Arbeitsblatt

mit allgemein gültiger Vorgehensweise und auto-

matisierungstechnischen Praxisbeispielen ver-

fasst.7) Es enthält den Ablauf von Energieeffizienz-

projekten in Anlehnung an die Richtlinie VDI 3922.

Dabei unterstützen Checklisten den Leser; Beispie-

le aus der chemischen und chemisch-pharmazeu-

tischen Industrie zeigen, wie automatisierungs-

technischen Methoden Energie sparen. Dieser Teil ist

nach verfahrenstechnischen Funktionen und Aufga-

ben gegliedert und umfasst Beispiele zu Stromver-

brauchern, Reaktion, Destillation, Verbrennungspro-

zessen und zur Dampferzeugung.

Die Namur ist der Interessenverband der Anwen-

der der Automatisierungstechnik. Er repräsentiert

mehrere Tausend Fachleute der Prozessleittechnik;

davon arbeiten etwa 300 in einem der 37 Arbeits-

kreise zu Messen, Steuern, Regeln, Automatisie-

rung, Kommunikation, Prozessführung und Elek-

trotechnik.

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