Engel Pal_Die Barone Ludwigs Des Grossen_1342-82

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Alba Regia, XXII, 1985 P. ENGEL DIE BARONE LUDWIGS DES GROSSEN, KÖNIG VON UNGARN (1342—1382) Das Schicksal des Königreichs Ungarn wurde im 14. Jh. vom König, der Königin und von einigen Vornehmen gelenkt, die in den Quellen am häufigsten als „Prälaten und Barone des Reiches" (prelati et barones regni) bezeichnet werden. In der Fachliteratur wird diese Gruppe gewöhnlich „königlicher Rat" genannt, treffend zwar, aber konventio- nell, denn im zeitgenössischen Wortgebrauch ist der Terminus consilium regis praktisch unbekannt. Ebenso wie in den Feudalstaaten Westeuropas kam also in der Regierung des Landes eine Art Dualismus zur Geltung. Wohl hatten die Anjou-Könige aus Süditalien auch völlig andere Gepflogenheiten mitgebracht. Nach sizilianischem Modell beriefen sie sich zuweilen gerne auf ihre „Vollmacht" (plenitudo potestatis) und trafen aus „besonderer Gnade" (de specialigratia) öfters Maßnahmen, die im Widerspruch mit den Bräuchen ihres neuen Landes standen. Das waren aber jeweils nur Ausnahmen. In ihren Entscheidungen, die das Schicksal des Landes betrafen, handelten sie, allenfalls der Form nach, jederzeit im Einvernehmen mit den Prälaten und Baronen, mit denen sie gemeinsam die Außen- und Innenpolitik des Landes bestimmten; kurzum, das Reich wurde in allen Angelegen- heiten vom Herrscher und seinen Würdenträgern gemein- sam vertreten. Dies bedeutete auch, daß der königliche Rat nicht nur eine beratende Körperschaft zur Erleichterung des Regie- rens, sondern ein dem König beinahe gleichgestellter Teilhaber der Machtbefugnisse war. Falls der König in einer Angelegenheit persönlich betroffen war, trat der Rat in Vertretung des Landes auch als selbständige Körperschaft auf. So verpflichteten sich im Jahre 1323, als Karl-Robert von Anjou einen Vertrag mit den Habsburgern einging, elf hohe Würdenträger in einer eigenen Urkunde, den Herrscher nach bestem Können (prout nobis fuerit pos- sibile) zum Einhalten des Vertrages zu ermutigen, ihm vertragswidrige Ratschläge niemals zu geben und, mehr noch, auch selbst das Abkommen getreu einhalten zu wollen. Noch deutlicher zeigte sich die öffentlich-rechtliche Bedeutung des Rates einige Jahre später, als Felicián Záh, der auf die königliche Familie einen Anschlag verübt hatte, abgeurteilt wurde. Da der Leidtragende der Herrscher selbst war, wurde das Urteil im Namen „des gesamten Adels von Ungarn" von 24 Baronen gefällt und mit ihren Siegeln bekräftigt. In anderen Fällen, wenn der König mit auswärtigen Mächten einen Kontrakt abschloß, leisteten die Würden- träger entweder gemeinsam mit ihm den Ratifizierungseid, oder sie garantierten die Einhaltung des Vertrages in einer eigenen Klausel unter ihrem Siegel. Im Jahre 1348 schwur Ludwig d. Gr. mit zwanzig seiner Baronen, und zwar mit den „vornehmsten" (de dignioribus et magis prepositis regni nostri negotiis), das mit Venedig ausgehandelte Waffenstill- standsabkommen einzuhalten. Den Frieden von Zara ratifizierte er 1358 gemeinsam mit fünfzehn Baronen. Die Verlobung der Prinzessin Katharina mit Ludwig Herzog von Orléans wurde im Jahre 1374 durch zwölf „höhere Barone und Adelige" (barones et nobile s de maioribus) bekräftigt, während 1376, als König Ludwig sich mit dem Patriarchen von Aquileja verbündete, die Bündnistreue mit dem Schwur von einundzwanzig kirchlichen und weltlichen Würdenträgern (barones regni Hungarie princi- paliores) „im Namen ganz Ungarns" sowohl mit den eigenen wie auch den Reichsgütern (cum obligatione bonorum nostrorum et dicti regni) gewährleistet wurde. Im Jahre 1380 verlobte sich Ludwigs andere Tochter, Hedwig, mit Wilhelm Herzog von Österreich. Unga- rischerseits wurde der Heiratsvertrag diesmal von neun Kirchenfürsten (principes ... ecclesiastici) und achtund- zwanzig „weltlichen Fürsten, Grafen und Baronen" (seculares principes, comités et barones) garantiert. Dem Ausland gegenüber wurde also das Land vom König und seinen Würdenträgern gemeinsam repräsentiert. Merkwürdigerweise kommt aber derselbe Dualismus auch in jenen Maßnahmen zur Geltung, die im Interesse der „Landesbewohner" (regnicole) getroffen wurden. Auch diesmal wird die „immerwährende Gültigkeit" der könig- lichen Urkunde dadurch gewährleistet, daß das Einver- nehmen der Würdenträger symbolisch mit inbegriffen ist. 11

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  • Alba Regia, XXII, 1985

    P. ENGEL

    DIE BARONE LUDWIGS DES GROSSEN, KNIG VON UNGARN (13421382)

    Das Schicksal des Knigreichs Ungarn wurde im 14. Jh. vom Knig, der Knigin und von einigen Vornehmen gelenkt, die in den Quellen am hufigsten als Prlaten und Barone des Reiches" (prelati et barones regni) bezeichnet werden. In der Fachliteratur wird diese Gruppe gewhnlich kniglicher Rat" genannt, treffend zwar, aber konventio-nell, denn im zeitgenssischen Wortgebrauch ist der Terminus consilium regis praktisch unbekannt.

    Ebenso wie in den Feudalstaaten Westeuropas kam also in der Regierung des Landes eine Art Dualismus zur Geltung. Wohl hatten die Anjou-Knige aus Sditalien auch vllig andere Gepflogenheiten mitgebracht. Nach sizilianischem Modell beriefen sie sich zuweilen gerne auf ihre Vollmacht" (plenitudo potestatis) und trafen aus besonderer Gnade" (de specialigratia) fters Manahmen, die im Widerspruch mit den Bruchen ihres neuen Landes standen. Das waren aber jeweils nur Ausnahmen. In ihren Entscheidungen, die das Schicksal des Landes betrafen, handelten sie, allenfalls der Form nach, jederzeit im Einvernehmen mit den Prlaten und Baronen, mit denen sie gemeinsam die Auen- und Innenpolitik des Landes bestimmten; kurzum, das Reich wurde in allen Angelegen-heiten vom Herrscher und seinen Wrdentrgern gemein-sam vertreten.

    Dies bedeutete auch, da der knigliche Rat nicht nur eine beratende Krperschaft zur Erleichterung des Regie-rens, sondern ein dem Knig beinahe gleichgestellter Teilhaber der Machtbefugnisse war. Falls der Knig in einer Angelegenheit persnlich betroffen war, trat der Rat in Vertretung des Landes auch als selbstndige Krperschaft auf. So verpflichteten sich im Jahre 1323, als Karl-Robert von Anjou einen Vertrag mit den Habsburgern einging, elf hohe Wrdentrger in einer eigenen Urkunde, den Herrscher nach bestem Knnen (prout nobis fuerit pos-sibile) zum Einhalten des Vertrages zu ermutigen, ihm vertragswidrige Ratschlge niemals zu geben und, mehr noch, auch selbst das Abkommen getreu einhalten zu wollen. Noch deutlicher zeigte sich die ffentlich-rechtliche Bedeutung des Rates einige Jahre spter, als Felicin Zh,

    der auf die knigliche Familie einen Anschlag verbt hatte, abgeurteilt wurde. Da der Leidtragende der Herrscher selbst war, wurde das Urteil im Namen des gesamten Adels von Ungarn" von 24 Baronen gefllt und mit ihren Siegeln bekrftigt.

    In anderen Fllen, wenn der Knig mit auswrtigen Mchten einen Kontrakt abschlo, leisteten die Wrden-trger entweder gemeinsam mit ihm den Ratifizierungseid, oder sie garantierten die Einhaltung des Vertrages in einer eigenen Klausel unter ihrem Siegel. Im Jahre 1348 schwur Ludwig d. Gr. mit zwanzig seiner Baronen, und zwar mit den vornehmsten" (de dignioribus et magis prepositis regni nostri negotiis), das mit Venedig ausgehandelte Waffenstill-standsabkommen einzuhalten. Den Frieden von Zara ratifizierte er 1358 gemeinsam mit fnfzehn Baronen. Die Verlobung der Prinzessin Katharina mit Ludwig Herzog von Orlans wurde im Jahre 1374 durch zwlf hhere Barone und Adelige" (barones et nobile s de maioribus) bekrftigt, whrend 1376, als Knig Ludwig sich mit dem Patriarchen von Aquileja verbndete, die Bndnistreue mit dem Schwur von einundzwanzig kirchlichen und weltlichen Wrdentrgern (barones regni Hungarie princi-paliores) im Namen ganz Ungarns" sowohl mit den eigenen wie auch den Reichsgtern (cum obligatione bonorum nostrorum et dicti regni) gewhrleistet wurde. Im Jahre 1380 verlobte sich Ludwigs andere Tochter, Hedwig, mit Wilhelm Herzog von sterreich. Unga-rischerseits wurde der Heiratsvertrag diesmal von neun Kirchenfrsten (principes ... ecclesiastici) und achtund-zwanzig weltlichen Frsten, Grafen und Baronen" (seculares principes, comits et barones) garantiert.

    Dem Ausland gegenber wurde also das Land vom Knig und seinen Wrdentrgern gemeinsam reprsentiert. Merkwrdigerweise kommt aber derselbe Dualismus auch in jenen Manahmen zur Geltung, die im Interesse der Landesbewohner" (regnicole) getroffen wurden. Auch diesmal wird die immerwhrende Gltigkeit" der knig-lichen Urkunde dadurch gewhrleistet, da das Einver-nehmen der Wrdentrger symbolisch mit inbegriffen ist.

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  • In der endgltigen, feierlichen Formulierung jeden knig-lichen Privilegs finden wir den Ausdruck, der Beschlu sei nach dem Rat unserer Prlaten und Barone" (de consilio prelatorum et baronum nostrorum) getroffen worden; anschlieend folgt, gleichsam eine Klausel, die stereotype Aufzhlung der amtierenden Bischfe und der wichtigsten weltlichen Wrdentrger, die sog. Wrdenreihe. Die Formel lt auch durchblicken, da die namentlich Genannten den kniglichen Rat nur symbolisieren, aber nicht ausschpfen; der Manahme pflichteten nicht nur sie bei, sondern alle die Wrdentrger des Landes (et aliis quampluribus comitatus regni nostri tenentibus et honores).

    Die Herrschaft ber das Land wurde also vom Knig und seinem Rat gemeinsam ausgebt. Niemand anderer auer der Knigin hatte bei den Entscheidungen ein Mitspracherecht. Es sei hier eigens betont, da auch die Adelsgesellschaft in keinerlei organisierter Form an der Staatslenkung beteiligt war. Ein Reichstag", d.h. die Einberufung des Adels, fand unter Ludwig d. Gr. nur ein einziges Mal, im Jahre 1351, statt, denn sonst hielten es Ludwig und seine Wrdentrger offensichtlich nicht fr notwendig, den gesamten Adel um seine Meinung zu ihren Beschlssen zu bitten. Bekanntlich blieb der Reichstag bis zu den 1430er Jahren ein ganz seltenes Ereignis, welches eher aus Krisensituationen denn aus der Regierungsroutine folgte. Unter Ludwig war jedenfalls die Macht unbestritten in den Hnden des Knigs, der Kirchenfrsten und der Barone konzentriert.

    Der knigliche Rat um bei diesem blichen Ausdruck zu bleiben ist also nichts anderes als das Lenkungsorgan desAnjou-Staates, nmlich die Gemeinschaft jener Personen, die zusammen mit dem Knig die politischen Entscheidun-gen treffen, also die Verkrperung des Herrschaftssystems schlechthin. Infolgedessen ist die nachfolgende Untersu-chung der Zusammensetzung dieses Rates kein Problem der Verfassungsgeschichte", sondern der politischen Geschichte. In der Beurteilung des Charakters des Anjou-Knigreiches ist es von erstrangiger Bedeutung zu prfen, wer zum kniglichen Rat gehrte, mit anderen Worten, wer die Teilhaber, die Leiter und die Nutznieer dieses poli-tischen Systems waren.

    An dieser Stelle mchte ich die Untersuchung der Zusammensetzung des Rates auf die Kirchenfrsten nicht erstrecken, nicht als ob dieser Aspekt der Frage kein Studium erforderte, aber die Kirche ist eben doch ein relativ stabiles und daher besser bekanntes Element der ungarischen Gesellschaft. Wer in Ludwigs Urkunden unter Prlaten" gemeint sind, knnen wir mit mehr oder weniger Gewiheit erraten: Offenbar sind es die Bischfe und noch einige hohe Wrdentrger der Kirche. Anders verhlt sich die Lage mit der Bezeichnung barones: Ihre Interpretierung ist noch bei weitem nicht geklrt, und so wollen wir unsere Aufmerksamkeit an erster Stelle dieser Frage widmen.

    Die Zusammensetzung des kniglichen Rates der Anjou-Zeit wurde bisher mit modernen Methoden noch nicht untersucht. Die Ansichten, die in dieser Frage heute sozusagen als allgemein verbreitet gelten, wurden vor etlichen Jahrzehnten formuliert und bestehen nicht die Probe einer Gegenberstellung mit den Quellenangaben. Wir wollen nun sehen, um welche Ansichten es sich

    handelt und aus welchem Gesichtpunkt diese zu beanstan-den sind.

    Unsere Kenntnisse ber den Kniglichen Rat wurden bekanntlich zunchst ganz allgemein von Nndor n a u z (1859) und dann ausfhrlicher von Bdog S c h i l l e r (1900) begrndet. Es sei allerdings vorausgeschickt, da dies noch zu einer Zeit geschah, da sich die ungarische Rechtsgeschichtsschreibung noch berhaupt nicht der Bedeutung bewut war, die dem 15. Jahrhundert in bezug auf die Entwicklung der ungarischen Stndeverfassung zusteht. Damals herrschte noch die Meinung vor, da die stndische Gesellschaft und Staatsorganisation Ungarns im Laufe des 13. Jh. im Groen und Ganzen ihre endgltige Form erreichten, woraus sich die praktische Konsequenz ergab, da unter den Knigen der sog. gemischten Dyna-stien das Institutionssystem keinen wesentlichen Vernde-rungen ausgesetzt war und daher einheitlich behandelt werden kann oder gar soll. S c h i l l e r ging also still-schweigend von dieser Grundthese aus, als er die Struktur des kniglichen Rates des 14.15. Jh. unter die Lupe nahm. Er dachte gar nicht daran, die Institutionen des 14. und des 15. Jahrhunderts, der Anjou- bzw. der Hu-nyadi-Epoche, voneinander getrennt oder gar einander gegenbergestellt zu untersuchen. Er bemhte sich viel-mehr, seine Generalisierungen in einer fr beide gltigen Form abzufassen, was zwangslufig zu mehreren irrtm-lichen Feststellungen fhren mute. Mit der einen, auf die man sich bis heute fters beruft, mssen wir uns ausfhrlicher befassen, da sie mit dem Gegenstand der vorliegenden Arbeit, der Interpretation des Wortes barones, eng zusammenhngt.

    Schiller wie vor ihm auch Knauz vertrat die An-sicht, da es unter den Knigen der gemischten Dyna-stien" zwei knigliche Rte gab: nmlich ein engeres", operatives Organ, welches die alltglichen Aufgaben der Staatsfhrung erfllte, und ein weiteres", welches er mit der in den Quellen angefhrten Versammlung der Prla-ten und Barone" identifizierte und fr die eigenartigste Institution" jener Zeiten hielt. Dies wre die Krper-schaft, von der schon bisher die Rede war. S c h i l l e r trachtete das Wesen dieses greren Rates zu bestimmen; alles, was er an Hand eines reichhaltigen Quellenmaterials ber die Funktion, die Befugnisse und die ffentlich-rechtliche Bedeutung dieser Krperschaft feststellte, ist im allgemeinen auch heute annehmbar, nicht so die Ansicht, die er in bezug auf die Struktur des Rates und die Art seiner Ttigkeit vertrat.

    S c h i l l e r meinte nmlich, wir htten unter den Ba-ronen des kniglichen Rates die Grogrundbesitzer des Landes zu verstehen, und versuchte, die Ttigkeit des Rates aufgrund dieser Hypothese aufzuzeichnen. Der knigliche Rat sei eben nichts anderes als die spontane, gelegentliche Versammlung der Kirchenfrsten und je-weiligen Grogrundbesitzer des Landes; dieser Zusammen-kunft wohnten jene bei, die zwecks Erledigung ihrer An-liegen am Knigshof weilten. Die Versammlung des Rates sei demnach eine Sache des Zufalls gewesen. Wenn die Magnaten wegen ihrer offiziellen oder persnlichen Angelegenheiten die es ja immer gab den Hof auf-suchten, dann war auf einmal, rein zufllig, ohne jeden Grund und jede Ursache, der grere knigliche Rat

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  • beisammen". Infolgedessen war die Zusammensetzung des Rates hchst unbestndig. Es war das natrliche Recht eines jeden Magnaten, dem kniglichen Rat beizuwohnen. . . Doch infolge der Unbestimmtheit . . . des Begriffes .Grogrundbesitz' war auch der Begriff Magnat' nicht klar, deutlich und exakt umschreibbar; daher waren auch die unteren Grenzen der dem kniglichen Rat angehrenden Klasse der Grogrundbesitzer, der Magnaten, verschwommen und schwankend."

    S c h i l l e r s Konzeption bedeutete eine entschiedene Opposition gegenber der traditionellen Auffassung ungarischer Rechtsgeschichtsschreibung. Unter Berufung auf das Tripartitum von Istvn Werbczy betrachtete diese nmlich die jeweiligen hchsten Wrdentrger des Landes als echte Barone des Landes" (veri barones regni). Schiller setzte gegen die Autoritt des Tripartitum eine ganze Menge zeitgenssischer Quellen ein, so etwa all jene Urkunden aus dem 14. und 15. Jh., worin die Wrdentrger des Landes namentlich aufgezhlt werden und folgerte daraus, da sehr viele Urkunden unter den Groen, die den Versammlungen des kniglichen Rates beiwohnten, auch solche Herren erwhnen, die kein ffentliches Amt bekleideten, sondern auf rein privatrechtlicher Basis als vornehm galten". Seine Beweisfhrung, wobei er sich auch auf auslndische Parallelen berief, stand auf dem hchsten Niveau der damaligen Rechtsgeschichtsschreibung, wirkte in jeder Hinsicht berzeugend und wurde infolgedessen sehr bald ein fester Bestandteil der ungarischen Verfassungsgeschichte. Man kann zweifellos behaupten, da zwei seiner Thesen auch heute gleichsam als Axiom im Kreis der ungarischen Historiker leben: 1) auch im 14. Jh. hatte der ungarische Adel eine Oberschicht, die in ihrer Eigenschaft als Grogrundbesitzer" eine ffentlichrechtliche Rolle spielte; und in den Quellen aus der Anjou-Zeit ist unter der Bezeichnung barones" vor allem diese Schicht zu verstehen; 2) die Mitglieder dieser Schicht beteiligten sich in jener unorganisierten, spontanen Form an der Staatslenkung, wie sie von S c h i l l e r so anschaulich beschrieben wurde.

    Denken wir nun im Besitz unserer heutigen Kenntnisse auf diese Beschreibung zurck, so fllt uns unverzglich auf, da S c h i l l e r , als er sich die Ttigkeit des Kniglichen Rates vom 14.15. Jh. vorstellte, das Bild vom ungarischen Stndestaat vor Augen hatte. Dies mu deshalb eigens betont werden, weil man zu seiner Zeit die Entwicklung der Stndegesellschaft noch vom Jahrhundert der Goldenen Bulle (1222) rechnete und es als Selbver-stndlichkeit galt, da das Begriffsgut des Stndewesens auch auf die Anjou-Zeit mit Gewiheit anwendbar sei. In dieses Koordinatensystem ordnete Schiller den Kniglichen Rat der Magnaten des 14. Jh. ein.

    Heute wissen wir aber schon, da die frhreife" Entwicklung des ungarischen Stndewesens nach den letzten Jahrzehnten des 13. Jh. keine Fortsetzung fand, und da der Stndestaat tatschlich erst unter den Hunyadis zustande kam. Jedoch ist dies nicht nur fr den Stndestaat gltig. Auch der Adel teilt sich erst um jene Zeit mehr oder weniger deutlich in Hoch- und Gemeinadel auf, genauer aus dem Verband des bislang begrifflich einheitlichen Adels erhebt sich um diese Zeit jene zahlenmig geringe, relativ klar umgrenzbare Gruppe, die wir

    nunmehr zweifelsohne zu Recht Grogrundbesitzer und Hochadel" nennen knnen. Gyrgy B o n i s registrierte vor einigen Jahrzehnten (1947) ganz genau auch die terminologischen nderungen, die parallel mit diesem Proze im Wort gebrauch der Urkunden eintraten. Erst um die Zeit, also nicht frher als in der ersten Hlfte des 15. Jh., wird die oberste, meistbegterte Schicht des Adels in den Urkunden mit einem eigenen Namen bezeichnet und es werden ihre Mitglieder zusammenfassend Hochadel" (potentiores, potiores nobiles), Magnaten" (magnates) und am hufigsten Barone" (barones) genannt. Whrend noch im Laufe des 14. Jh. die Bezeichnung barones ausschlielich den hchsten Wrdentrgern des Landes zustand, wurden zur Zeit der Hunyadis und Jagellonen nicht mehr nur diese, sondern auch die Mitglieder der mchtigsten Geschlechter des Hochadels darunter verstanden. Die letzteren sind es, die im Jahre 1487 als natrliche Barone" (barones naturales) fr die Einhaltung der Waffenruhe von St. Polten haften; die im 22. Gesetz des Jahres 1498 berechtigt werden, eigene Banderien zu halten und die anllich des Reichstages bei Rkos (1505) unter dem Titel barones vor den anderen Stnden (proceres) und den Abgesandten des Landadels rangieren. Und schlielich sind natrlich sie es, die Werbczy unter den nur nominellen Baronen" (barones solo nomine) versteht, die neuerdings diesen Rang fr sich beanspruchen, obgleich er in Wirklichkeit nur bestimmten Wrdentrgern des Landes, den echten Baronen" (veri barones regni) gebhrt.

    Ein suggestives Bild dieses neuen Baronenstandes, der neuen Aristokratie der im Entstehen begriffenen stndischen Gesellschaft zeichnete jngstens Erik F g e d i (1970) auf, wobei er sich schon auch der zeitgemen Methoden der Soziologie bediente. Die Barone des 15. Jh., von denen er schreibt, sind schon vor allem mchtige Burgherren im Besitz von ausgedehnten Lndereien, die aufgrund ihres Vermgens an der Staatslenkung teilhaben und die hchsten mter des Landes besetzen. Im Mittelpunkt ihrer Politik steht ihre eigene Familie, um deren Zukunft sie sich auch dann bemhen, wenn sie in Reichssachen" ttig sind. Den gleichen Stellenwert hat das Familienvermgen, auf dem ihr Einflu beruht und dessen stndige Vermehrung daher den wahren Sinn ihres irdischen Daseins darstellt. Die Politik der Barone ist solcherart zwangslufig eine Familienpolitik, die sich in den Kontrakten, Bndnissen oder zuweilen auch in den offenen Zusammensten der groen Geschlechter realisierte. Die Beteiligung an der Staatslenkung war nicht die Quelle, sondern eher die mehr oder weniger zwangslufige Folge ihrer Macht. Zu dieser, nunmehr als stndisch zu bezeichnenden gesellschaftlichen und zugleich politischen Struktur gehrte deshalb eine typisch hochherrschaftliche" Rolle, zu deren Besetzung der Spling der Baronenfamilie von Geburt an erzogen wurde, nmlich die Rolle des aufgrund seines Vermgens und seiner Abstammung zur Staatslenkung berufenen Magnaten. Die einschlgigen typischen Bewutseinsuerungen und gegenstndlichen Attribute wurden von F g e d i vorzglich zusammengefat.

    Es ist unschwer zu erkennen, da sich S c h i l l e r die hochadeligen Mitglieder des kniglichen Rates vom 14.15. Jh. genau in dieser Rolle vorgestellt hat. Seine

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  • Redewendungen zeugen davon, da die Ratsmitglieder sind bei ihm ganz selbstverstndlich Gutsherren, deren natrlicher Lebensraum das Familiengut mit Burg oder Landschlo ist. Von dort suchen sie von Zeit zu Zeit den Hof auf, hauptschlich um ihre eigenen Anliegen zu erledigen. Bei dieser Gelegenheit, gleichsam nebenschlich, wohnen sie auch der Ratssitzung bei und uern sich zu den Sachen des Landes, denn dies ist ja ihr natrliches Recht". Nach verrichteter Arbeit kehren sie freilich heim, denn es erwartet sie das Familienvermgen, dessen Verwaltung ihre erstrangige Aufgabe und ihr eigentlicher Beruf ist.

    Eine derartige Beschreibung des Herrschaftssystems stimmt mehr oder weniger in den krzeren oder lngeren Zeitabschnitten der mittelalterlichen Geschichte Ungarns, als es keine starke und wirksame knigliche Macht gab und daher das Schicksal des Landes tatschlich vom Willen jener abhing, die nach dem Knig die grten Machthaber waren. Dies drfte also fr die strmischen Jahrzehnte der Mitte des 15. Jh. gelten und ungefhr ebenso auch fr die Zeit der Jagelionen. Unannehmbar ist sie jedoch in bezug auf die Zeiten vor dem Entstehen des Stndestaates und erst recht auf die jahrzehntelange Regierungszeit Ludwigs d. Gr., als die knigliche Macht ihren Hhepunkt erreichte. Im Anjou-Staat, wo den Herrscher jederzeit mit Ehrfurcht umgab und wo auf seinen Befehl ganze Heere in den Sattel stiegen, um fr dynastische Ziele ihr Blut zu vergieen, mute das Verhltnis zwischen Knig und Baronen vllig anders gewesen sein als etwa hundert oder hundertfnfzig Jahre spter. Nachstehend wollen wir dieses Verhltnis kurz umreien.

    Seit S c h i l l e r die Institution des kniglichen Rates mit den herkmmlichen Methoden des Rechtshistorikers untersucht hatte, erreichte die Geschichtsforschung eine beachtliche Entwicklung. Damals richtete sich eine derartige Untersuchung noch unmittelbar auf die Institutionen selbst und widmete nur wenig Aufmerksamkeit den Individuen, die diese Institutionen belebten oder gar bildeten. Heute mu eine hnliche Analyse bereits von den Individuen her an das Wesen der Institution herangehen, nicht auf die Umstnde, sondern unter den Umstnden auf den Menschen" (L. STONE) ausgerichtet sein, d.h. die Beziehung zwischen der Institution und der Gesellschaft aufklren. Hierbei steht eine entscheidende, allmhlich ausschlieliche Rolle der biographischen Methode in der Historikersprache der Prosopographie zu, d. h. der Sammlung biographischer Angaben der im untersuchten Milieu wirkenden Personen. Es erbrigt sich zu betonen, da es sich in der ungarischen Geschichte des 14. Jh. keineswegs um die Zusammenstellung vollstndiger Biographien, sondern selbst im gnstigsten Fall nur um biographische Brocken handeln kann, die wir im Bereich der Amtskarriere, der Vermgensbildung und der sozialen Verbindungen der betreffenden Person hie und da finden und manchmal auch zusammenfgen knnen. Im vorliegenden Fall reichen aber auch diese Brocken aus, um die wichtigsten Fragen zu beantworten.

    Der prosopographischen Untersuchung ist vor allem zu entnehmen, da zur Zeit Ludwigs d. Gr. der Kreis der weltlichen Groen aus den hchsten Wrdentrgern des Landes bestand. S c h i l l e r irrte sich, als er auch in

    bezug auf diese Zeit behauptete, unter den hohen Wrdentrgern kmen auch Grogrundbesitzer" regelmig vor, die kein Amt bekleideten. Es gibt zwar einige Beispiele dafr, da die Wrde des Betreffenden nicht angefhrt wird, so etwa im Jahre 1380, als Tams Szentgyrgyi, damals (13781382) Tavernicus, den Vertrag von Altsohl Zlyom nur als Thomas cornes de Sancto Georgio garantiert, whrend kos Prodavizi, gewesener Gespan von Pozsega und damals Kastellan zu Somly, nur als Akus filius condam bani angefhrt wird. Aber es ist eine ganz seltene Ausnahme, unter den Groen auch solche zu finden, die weder damals, noch vorher irgendein Amt bekleidet htten. Nur sind eben auch diese nicht einfach Grogrundbesitzer", denn wir wissen ja oder knnen allenfalls vermuten, da sie als Hofritter" faule regie miles) hochangesehene Mitglieder der kniglichen Aula waren.

    Die Tatsache, da wir unter den Groen neben den Amtstrgern auch Hofritter finden, entspricht vllig dem, was wir aus anderen Quellen ber die gewohnte Umgebung des Knigs erfahren knnen. Gewi war diese nicht in dem Ma unorganisiert wie allgemein angenommen. Wohl stand es jedem Edelmann im Prinzip zu, sich dem Knigshof anzuschlieen und diesem berall hin zu folgen, insofern er sich es materiell leisten konnte; so steht es jedenfalls im Freibrief von Karl-Robert, mit dem dieser die untreuen Heinrichsshne von Kszeg (Gns) wieder in seine Gunst aufnahm. In einem der ersten Punkte dieses Schreibens wird ihnen nmlich gestattet, sowohl daheim wie auch anderswo ohne Mitrauen und Widerspruch" vor dem Knig zu erscheinen, neben ihm zu bleiben und ihm geziemende Dienste zu leicten"; hingegen seien sie nicht verpflichtet, unbesoldet mit dem Knig im Ausland ins Feld zu ziehen. In Wirklichkeit war aber die Aula viel deutlicher umrissen. Die Chronisten erwhnen des fteren Barone und Ritter als Ludwigs Geleit, whrend der Knig selbst seine Umgebung als aus seinen Baronen sowie den Rittern und Jnglingen seines Hofes bestehend bezeichnete. Diese Feststellung wird auch durch die Prfung der Kanzleinotizen besttigt. Die Personen, die bis Anfang des 15. Jh, als Relatores der kniglichen Urkunden vorkommen, gehren nachweisbar fast ausnahmslos einer der obgenannten drei Gruppen an.

    Diese drei Gruppen sind freilich nicht neben-, sondern untergeordnet. Der Hof der Anjou-Knige war hierarchisch gegliedert: auf der untersten Stufe standen die Jnglinge des Hofes faule iuvenes), in der Mitte die Hofritter faule milites) und auf dem Gipfel die Barone des Landes. Es ist dies eine sehr einfache Hierarchie, im Vergleich etwa mit dem fast unbersichtlichen Titel- und Rangsystem des byzantinischen Hofes; eine Hierarchie immerhin, die sich auch in der Titulatur widerspiegelt.

    Man knnte nicht behaupten, da die Schriftlichkeit der Anjou-Zeit in dieser Hinsicht strengst konsequent gewesen wre, doch sind gewisse Tendenzen ganz entschieden zu beobachten, vor allem darin, da wenigstens der Prestige-Titel magist er im allgemeinen jedem Hfling gebhrte. Nur selten stand er nicht vor dem Namen der Jnglinge", gehrte aber unbedingt zu den Attributen der Ritter. Nur ganz wenige trugen wegen ihres hohen Amtes den Titel magister nicht mehr: so der Palatin, der

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  • iudex curiae, der Woivode von Siebenbrgen und spter auch der von Ruland" (Galizien), der Banus von Slawonien, Dalmatien-Kroatien, Macs, Sewerin, der Tavernicus des Knigs und der Knigin und der iudex curiae der letzteren. Sie waren die Reichsbarone" im engsten Sinne des Wortes, die gewhnlich de Titeln magnificus vir trugen. Meistens wurde dieser Titel auch einigen anderen Hof Wrdentrgern verliehen, so etwa dem Erzschenk, dem Truchse, dem Oberstallmeister und dem Hofmeister des Knigs (seltener auch der Knigin) und manchmal auch den Inhabern von wichtigeren Ge-spanschaften, doch niemals solchen Personen, die kein Amt bekleideten. Der Hochadel der Anjou-Zeit war vor allem eine Aristokratie der Wrdentrger.

    Zwischen den magistri und magnifia, den einfachen Rittern und groen Baronen finden wir eine recht zahl-reiche Schar von Hflingen etwa 2030 Personen , die sich vor allem aus den Wrdentrgern der Gespan-schaften, den kniglichen Kastellanen, den obersten Wr-dentrgern am Hof der Knigin sowie aus Personen ritter-lichen Standes der vornehmsten Familien zusammen-setzte. Da diese hher standen als ein einfacher magister, wurden sie oft mit dem Titel strenuus vir geehrt, der mit dem magnificus schon beinahe, wenn auch nicht ganz gleichwertig war. Da man seit dem 13. Jh. im weiteren Sinne auch die Inhaber der Gespanschaften und honores zu den Baronen zu zhlen pflegte, gehrten in diesem Sinne auch sie zu den obersten Wrdentrgern des Landes, deren Namen hufig unter den vornehmen Vertretern des Landes vorkommen.

    Im engsten Sinne umfate also zu jener Zeit der Begriff Baron" die allerhchsten Wrdentrger, etwa zehn an der Zahl, im weiteren Sinne jedoch alle jene, die im Lande Gespanschaften und honores besaen, insgesamt weitere 2030 Personen. Hier sei bemerkt, da die sog. Wrden-reihen der kniglichen Privilegien noch keine mage-bliche Grundlage bieten, um daraus den Kreis der Barone zu definieren. Die auch spter gebruchliche kanonische" Form dieser Namenslisten entstand in den 1350er Jahren, so da man die zwlf wichtigsten der amtierenden Barone auswhlte und im weiteren gewhnlich nur die Inhaber dieser zwlf Amter aufzhlte. Doch aus irgendeinem Grund wurde seit 1355 der Schatzmeister der Knigin aus der Liste gestrichen, obwohl er auch fortan zum bis Tode der K-nigin Maria einer der angesehensten Barone des Landes blieb; angefhrt wurde hingegen als Einziger dieses Ranges der Gespan von Preburg (Pozsony), obwohl er laut anderen Urkunden nur den Rang eines magisters innehatte und zu jener Zeit als um nichts vornehmer galt als z. B. die Gespane von Vasvr, Zips, Szatmr oder der Szekler.

    Ein recht klares Bild der hohen Wrdentrger Ludwigs d. Gr. erhalten wir aus den wenigen insgesamt sechs Namenslisten, die in den Klauseln der veischiedenen internationalen Vertrge erhalten sind. Wenn wir nun im folgenden die Barone Ludwigs d. Gr. als eine mehr oder weniger umgrenzbare gesellschaftliche Gruppe zu charak-terisieren versuchen, werden unter Barones im allgeme-inen stets die amtierenden hohen Wrdentrger gemeint, ungeachtet dessen, ob sie in den Quellen als magnificus oder als magister angefhrt werden.

    Was die Anzahl der Barone Ludwigs d. Gr. anbelangt, war dieser Kreis ungefhr gleich gro mit dem der Per-sonen, die im Gesetzartikel 22 vom Jahre 1498 als Mag-naten des Landes im Range eines Bannerherren ange-fhrt werden. In diesem Gesetz werden insgesamt 38 Mitglieder der 30 meistbegterten Familien sowie zweier mchtiger kroatischer Dynastien, der Grafen von Korbavia und Frangepan genannt. In den drei Namenslisten, die aus den letzten Regierungsjahren Ludwigs (1374, 1376, 1380) erhalten sind, werden insgesamt 36 weltliche Per-sonen erwhnt, also fast genau ebenso viele. Hier sei bemerkt, da die Lage auch unter Karl-Robert nicht anders war: In drei hnlichen Namenslisten aus den Jahren 13281333 finden wir 39 verschiedene Personen.

    In einer weiteren wesentlichen Beziehung finden wir ebenfalls eine allerdings oberflchliche hnlichkeit zwischen der Aristokratie der Jagelionen und der Anjous. Fr beide politische Systeme war, jeweils auf eigene Art, die Herrschaft der Grogrundbesitzer-Familien bezeich-nend; gerade dieser Umstand fhrte die Forscher des 14. Jh. in der Beurteilung des Herrschaftssystems lange Zeit auf den Irrweg. Die Barone Ludwigs d. Gr. waren nmlich ausnahmslos Besitzer groer Familienvermgen und ge-hrten in ihrer Mehrheit zu den grten Gutsherren des damaligen Ungarns. Dies bedeutete eigentlich einen ziem-lich engen Gesellschaftskreis: 8590 Prozent der Wrden-trger der Anjou-Zeit gehrten lediglich 4550 Familien an, daher begegnen wir immer wieder denselben Namen, wenn wir in der Archonthologie der Grobarone und Gespane des 14. Jahrhunderts blttern.

    Dieser Kreis, d.h. die Baronenfamilien des 14. Jh., unterschied sich obendrein kaum von dem der Magnaten-familien des 15. Jh. Unter den Vorfahren der Bannerher-ren des Jahres 1498 kommen Mitglieder der Familien jlaki, Drgfi, Bnfi de Alslendva und Bolondc, Btori, Bebek, Homonnai (Drugeth), Kanizsai, Szentgyrgyi, Bazini, Szcsi, Kompolti, Losonci und Hdervri auch unter den Wrdentrgern Ludwigs d. Gr. vor und das gleiche gilt auch fr mehrere bekannte Geschlechter des 15. Jh, die schon vor 1498 ausgestorben sind: die Vorfahren der Familien Czudar, Garai, Krgyi, Szcsnyi, Treutel de Nevna, Mrcz de Meggyes waren fhrende Personen am Hofe Ludwigs d. Gr., doch finden wir dort, mit den letztgenannten beinahe oder ganz gleichgestellt, auch die Ahnen der ebenfalls ausgestorbenen Familien Gnyi, Debreceni, Egregyi (Klesei), Pohros, Kerekegyhzi (Lackfi), Jnki de Nagylak, Frakni (Nagymartoni), Ttts de Btmonostor, Psafi de Szer. Einige fhrende Familien der Anjou-Zeit wurden von den Parteifehden nach 1384 und den innenpolitischen Strmen der darauf-folgenden Jahrhundertwende fortgefegt: der angesehenste Ast der Familie Lackfi, die Erben des Banus kos Mikes, ferner die Familien Giltfi, Horvti und Nekcsei. Gleich-zeitig verarmten, wenn auch nicht vollstndig, auch die Familien Paksi und Ostfi unter den Nachkommen der Barone Ludwigs.

    Auer den Genannten gab es noch einige Wrdentrger der Anjou-Zeit, deren Geschlechter zwar noch die Schlacht bei Mohcs erlebten, aber dennoch auerstande waren, sich aus der Reihe des Gemeinadels zu erheben, da sie von ihrem Ahnherren nicht gengend Vermgen geerbt haben,

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  • um dies zuwege zu bringen. Hierher zhlen die Nachkommen von Benedek Himfi, ferner die Familien Gyulafi de Rtt, Hagyms (Hagymssy) de Bereksz, Telegdi, L-rntfi de Serke (Nachkommen des Woiwoden von Ruland", Jnos Kaplai), Derencsnyi, Herczeg de Szekcs, von denen manche offenbar nicht aus Zufall spter unter den Fhrern des Gemeinadels der Jagellonen-Zeit bzw. im Dienst der Dynastie Szapolyai erscheinen.

    Die Kontinuitt zwischen der politischen Fhrungsschicht der Anjou-Zeit und der Stndeepoche ist also ziemlich auffallend. Es hat den Anschein, als wre das Land zu beiden Zeiten ungefhr von derselben kleinen Gruppe von Familien verwaltet worden, und als htte die Zusammensetzung dieser Gruppe nur kaum ein anderer Faktor verndert als der natrliche Tauschproze, der infolge des Aussterbens einiger Familien eintrat. Wenn aber die Zusammensetzung der herrschenden Gruppe im wesentlichen unverndert blieb, so knnen wir daraus nur all zu leicht den Schlu ziehen, da sich auch die Regierungsweise nicht wesentlich nderte. Diese Schlufolgerung ist aber, meines Erachtens, falsch.

    Im Land, welches zu verwalten war, herrschten nmlich im Jahre 1498 vllig andere Zustnde, als im Jahre 1382 beim Tod Ludwigs d. Gr. In den Besitzverhltnissen vollzog sich mittlerweile eine derartige Wandlung, die auch auf das Herrschaftssystem und infolgedessen auf die Regierungsweise nicht wirkungslos bleiben konnte.

    Der Kern der Umwandlung bestand im fast vollstndigen Verschwinden der kniglichen Domne. Als Ludwig starb, stand rund die Hlfte aller Burgen des Landes insgesamt 150 Burgherrschaften mit den dazugehrigen Drfern unter der unmittelbaren Befugnis des Knigs, der Knigin und ihrer Barone. Diese Zahl fiel unter dem Luxemburger Sigismund auf die Hlfte zurck und schrumpfte nach dessen Tod (1437) derart zusammen, da Ende des Jahrhunderts der Knig nur mehr einer der greren Grundbesitzer war. Hier einige Zahlen, um die radikale Umwandlung zu veranschaulichen, die durch diese Vernderung in der politischen Atmosphre der Provinz bewirkt wurde. stlich der Thei und in Siebenbrgen sind uns aus dem Jahre 1382 24 knigliche Burgen, aber nicht mehr als vier weltliche Herrschaften bekannt. Unter Wladislaus IL (14901516) befanden sich nur mehr die Burgen Huszt sowie in Siebenbrgen Dva, Grgny, Trcsvr und Hltvny als Burgen des Voiwoden in der Hand des Knigs, whrend in den meisten Komitaten Magnatendynastien wie Gerb, Pongrc, Btori u. a. herrschten. Im sdwestlichen Teil des Landes, in Slawonien (Vrasd und Pozsega inbegriffen) gab es unter Ludwig d. Gr. 21 knigliche Burgen; der Banus, der ber neun Burgen befahl, war nicht nur der hchste Wrdentrger, sondern auch der grte Gutsbesitzer der Provinz. Im Jahre 1498 hatte der Banus hier schon keine einzige Burg mehr; die ganze Provinz stand unter der Kontrolle von Jnos Cor-vinus sowie der Familien Ernuszt, Frangepan und anderer Magnaten. Der spektakulrste Erdrutsch ereignete sich im Nordwesten des Landes, im ehemaligen Reich" des Oligarchien Mt Csk. Hier waren die Anjou-Knige auf die Erhaltung ihrer Machtposition ganz besonders bedacht. Im Jahre 1382 befanden sich in zehn Komitaten nicht weniger als 51 von insgesamt 64 Burgen in kniglichem

    Besitz. Im Vergleich dazu waren selbst die relativ bedeutenden Privatvermgen, so im Komitat Pozsony die Lndereien der Familie Szentgyrgyi, im Komitat Nyitra die Familie der jlaki, im Komitat Ngrd die der Szcsnyi und Losonc geradezu verschwindend klein. Unter den Jagellonen hingegen finden wir in diesem ausgedehnten Gebiet nur mehr zwei knigliche Burgen, Pozsony und Damsd, und eine dritte, die Burg Zlyom, gehrte der Kniginwitwe; all die anderen bis auf vier-fnf bischfliche Burgen befanden sich im Besitz weltlicher Herren.

    Schon diesen wenigen Angaben ist zu entnehmen, da die Regierungsweise innerhalb des Jahrhunderts nach Ludwigs Tod eine grundlegende nderung erfahren mute. Um 1490 waren die meisten Burgen und Herrschaften des Landes unter 3040 Magnatengeschlechtern verteilt; offenbar konnte die politische Fhrungsschicht des Landes nur aus diesen bestehen. Ebenso wie, laut Bonfini, im Komitat Ugocsa das Pernyi Geschlecht regierte", bernahmen auch in anderen Landesteilen die rtlichen Magnaten die Fhrung, weshalb eine Zentralmacht, die diese Tatsache auer acht gelassen htte, schwer vorstellbar gewesen wre. Nicht so unter den Anjous, als die Krfteverhltnisse gerade umgekehrt standen: ber die Mehrzahl der Burgen verfgten der Knig und sein Rat, weshalb die politische Fhrungsschicht nur aus dem Kreis jener bestehen konnte, die die kniglichen Burgen in Besitz hielten, d.h. aus der Aristokratie der amtstragenden Barone. Darin besteht der grundlegende Unterschied zwischen den natrlichen Baronen" der Jagelionen und den amtstragenden Baronen der Anjous.

    Die letzteren verwalteten die kniglichen Gter im Rahmen des quasi-feudalen" Systems der kniglichen Amtslehen (honores). Da ich dieses System bei anderer Gelegenheit bereits ausfhrlich beschrieben habe, mchte ich mich hier nur auf einen kurzen Hinweis beschrnken. Im wesentlichen geht es darum, da die kniglichen Burgdomne grtenteils Dienstgter waren, die den Baronen als Amtslehen zur Nutznieung fr die Dauer ihrer Amtszeit verliehen wurden. Mit dem Amt (honor) gingen also die Einknfte ausgedehnter Grundbesitze und des fteren auch die Verwaltung ganzer Landesteile einher, aber nicht als Eigentum sondern als jederzeit widerruf bares Benefizium, fr die Dauer der kniglichen Gunst".

    Die Gre der Honorgter war hchst unterschiedlich und richtete sich vor allem nach dem Prestige des betreffenden Wrdentrgers und seiner Position innerhalb der Hofhierarchie. Die grten Benefizien gebhrten den Grobaronen, den echten Leitern der Regierung, und waren meist ebenso gro, wenn nicht grer als die Lndereien der bedeutenden Magnatengeschlechter des 15. Jh. Der Palatin bekleidete gewhnlich die Gespanschaft von vier, fnf oder mehr Komitaten und war der Benefiziar der in seinen Komitaten befindlichen Reichsgter. Das bliche Benefizium des jeweiligen iudex curiae bestand im 14. Jh. aus einer greren Gruppe von Burgen an der Waag, zuweilen mit zustzlichen Gespanschaften und Gtern. Die zehn kniglichen Burgen Siebenbrgens unterstanden dem jeweiligen Woiwoden. Mit ungefhr gleichem honor war auch die slawonische Banschaf t belehnt. Der Banus von Macs bekleidete mit stndigem Charakter in fnf Komitaten des Mutterlandes das Amt des Gespans, und besa

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  • auerdem auch sdlich der Sava, in Macs selbst, einige Burgen. Gewhnlich allenfalls bis zu den 1370er Jahren erhielten auch die Hofwrdentrger des Knigs und der Knigin Honordomne. Im Jahre 1366 hatte z. B. der Tavernicus Jnos Giltfi in den Komitaten Zala und Veszprm, der Erzschenk Pter Czudar in Abauj und Borsod, der Hofmeister Jnos Gnyi in Gyr und Bakony und der Oberstallmeister Imre Lackfi in Mihld und Sebes die Gespanschaften bzw. Burgen inne. Unter den Baronen der Knigin finden wir an der Spitze der jeweiligen Gespanschaft den Tavernicus Gyrgy Bebek in Lipt, den Hofmeister Mikls Hdervri in Fejr und Tolna und den Ober Stallmeister Pter Dari in Csongrd, Die brigen Gespanschaften und Burgen wurden anderen Hof Wrdentrgern verliehen, zuweilen in Form hchst beachtlicher Honores: Einige Gespanschaften, etwa die von Pozsony, Vas, Krass oder Vrasd (Zagoria) mit den dazu gehrenden Domnen galten als Wrden von groer territorialer Bedeutung. Kleinere Honordonationen, bestehend aus je einer Burgherrschaft, wurden den jungen Magnaten zu Beginn ihrer Karriere und den besonders bevorzugten Rittern des Knigs verliehen.

    Es folgte aus der Gre der Amtslehen da nur der Amtsbesitz die gesellschaftliche Existenz dieser Aristokratie der Barone bestimmen und ihre Machtbasis sein konnte. Da die kniglichen Burgen insgesamt die im Privatbesitz befindlichen Burgen erheblich bertrafen, konnten die Familienvermgen und mochten sie noch so gro sein in diesem System nur eine untergeordnete Rolle spielen. Im Vergleich zur Macht, die dem Inhaber einer bedeutenden Gespanschaft oder Baronenwrde zustand, war die Bedeutung des Privatvermgens verschwindend klein. Die meisten Barone besaen zwar auch 12 eigene Burgen, doch wer schon mehr als zwei hatte, galt als besonders reich. Gegen Ende der Anjou-Zeit stand an der Spitze der Gutsbesitzer angesichts der Zahl ihrer Burgen das Geschlecht Lackfi (7 Burgen); auerdem besaen nur noch einige groe Geschlechter drei oder mehr Burgen: Die Familie des Palatins Mikls Kont, Vorfahren der Ujlakis (5), Nachkommen des Banus Mikes kos (5), die Enkel von Tams Szcsnyi (4), de Familien Drugeth (3), Bebek (3) und Garai (3). Es sei daran erinnert, da gleichzeitig der Gespan des Komitats Vas in sieben und der von Pozsony in sechs Burgen befehligte, und selbst zu einem Honor zweiter Klasse" wie die Gespanschaft von Lipt immerhin noch drei Burgherrschaften gehrten. Unter solchen Umstnden war es schlechthin undenkbar, da irgendein Grogrundbesitzer, gesttzt auf das eigene Vermgen, gegen dem Hof Machtansprche erheben knnte. Eine Beteiligung an den Regierungsgeschften war nur im Besitz eines Amtes mglich und es war nur ganz natrlich, da die Drugeth, nachdem sie 1355 vom Hof verdrngt wurden und keine Honores mehr erhielten, trotz ihrer ausgedehnten Lndereien fr lange Jahrzehnte auch ihren politischen Einflu vllig einbten.

    Wie lt sich nunmehr die Position der Barone in der politischen Struktur des Staates Ludwigs d. Gr. charakterisieren?

    Wir sahen, da der Mittelpunkt dieser Struktur der Hof und die Hofaristokratie waren. Ebenso wie die gesamte Kultur jener Epoche vom Knig und seiner

    Umgebung gestaltet wurde, hing auch das Schicksal des Landes von ihnen ab. Es gab nur einen einzigen Hof: Die stndig sich unterwegs befindende knigliche aula, deren jeweilige Residenz dadurch bestimmt war, wo sich der Knig mit seinem Gefolge im Laufe der hufigen Feldzge, Reisen und Jagden aufhielt. Die stndigen Mitglieder des Gefolges waren die kirchlichen und weltlichen Wrdentrger sowie die in die Aula zugelassenen Ritter und Jnglinge. Obwohl gelegentlich auch andere Edelleute vor dem Knig erscheinen durften, bestand der organisierte Hof aus dieser Gruppe; dieser gehrten jene Personen an, die das Schicksal des Landes tatschlich lenkten, vor allem die Inhaber der grten Honores, die Barone.

    Der einzige Machthaber, der ausschlieliche Nutznieer der Herrschaft ber dem Lande war die Hofaristokratie. In diesem Kreis wurden alle innen- und auenpolitischen Entscheidungen getroffen, von den wichtigsten bis zu den belanglosesten. Hier entschied der Knig mit seinen Baronen, ob es Krieg geben soll oder Frieden, hier verteilte man, gleichsam unter sich, die Honores des Landes, hier wurden alle gewichtigen Streitsachen entschieden und nur hier konnte man sich bereichern, d.h. als knigliche Schenkung Grund und Boden erhalten. Wer in diesen Kreis nicht eindringen konnte oder aus irgendeinem Grund daraus ausgeschlossen war, mute auf seinem Landgut leben, was damals mit der Verbannung gleichbedeutend war. Der Betreffende konnte nicht an der Regierung des Landes teilnehmen und zhlte auch ungeachtet seines Vermgens nicht zu den Mchtigen"; hatte er dann mit einem sihrer Dienstleute einen Zwist, so konnte er mit Gewiheit erwarten, im Proze den krzeren zu ziehen.

    Es war daher das Hauptbestreben eines Edelmannes, sogar zum Preis materieller Opfer am Hof festen Fu zu fassen und womglich beim Knig selbst in Dienst gestellt zu werden; sollte dies nicht gelingen, so wenigstens bei einem der Barone. Vermochte er sodann noch hher emporzusteigen und in die enge Elite einzudringen, die ber die Honores verfgte, so hatte er gewonnenes Spiel: Fortan blieb er wahrscheinlich bis zu seinem Tod Mitglied der Aristokratie und hatte sogar die besten Chancen, um seine errungene Position seinen Shnen zu vererben. Denn es stimmt zwar, da innerhalb des Hofes wie in jeder hnlichen Organisation ein harter Machtkampf um die wichtigeren Positionen, die reichen Pfrnde und die erhltlichen Privilegien gefhrt wurde und da dieser Kampf ab und zu auch seine Opfer forderte. Letzten Endes ist es aber fr den Kreis der Barone dennoch eher bezeichnend, da sich die mter wechselten, das Recht" dazu aber auf Lebenszeit galt, und zwar in der Form, da es im allgemeinen unangemessen war, jemanden ein niedrigeres oder weniger ertragreiches Amt zu verleihen als dieser schon bekleidete; langsamer oder schneller, aber ohne Unterla stieg also der Baron auf seiner Laufbahn immer hher, erwarb sich immer grere Honores, bis es ihm schlielich vielleicht gelang, den Gipfel zu erreichen : so die Wrde des Palatins, eines Gespans" (d.h. iudex curiae), Woiwoden oder Banus. Eine derartige Karriere hob nicht nur ihn selbst, sondern auch seine Nachkommen endgltig aus dem weiteren Kreis der Hflinge hervor: Ihm gebhrte nun schon unbedingt der prestigetrchtigste Titel magnificus, und seine Kinder und Kindeskinder werden sich jederzeit

    2 Alba Regia . 17

  • mit Stolz darauf berufen, da ihr Ahnherr einst auf der hchsten Stufe der Hierarchie stand, sie selbst also Palatins-shne", Gespansshne", Woiwodenshne" oder Banus-shne", das heit, Baronensohne" (filii baronum) sind.

    Wie bereits erwhnt, war eine Position in der Hof-aristokratie meist hereditr. Nicht die Honordomne wurde erblich dafr gibt es praktisch kein Beispiel , wohl aber der Baronenstatus selbst, die damit einhergehende gesellschaftliche Position und die Mglichkeit, da der Sohn des Barons, sobald er vollberechtigtes Mitglied des Hofes wurde, auch selbst ein Honor erhielt und seine Amtskarriere antrat, wie es einst sein Vater tat. In der zweiten oder dritten Generation beginnt diese Karriere freilich frher und verlangt weniger Krafteinsatz. Der Vater sichert gewhnlich noch zu Lebzeiten seinem Sohn eine Position im Kreise der Privilegierten, und eine derart gestartete Laufbahn fhrte ja bald in die Hhe. Durch diese Praxis des hereditren Status gestaltete sich die zahlenmig geringe, aber um so mchtigere Oligarchie der Barone. Die Mitglieder mancher Familien, die ihr angehrten, berfluteten nachgerade die verschiedenen mter und eigneten sich einige fr Jahrzehnte an, wie etwa die Lackfis die Wrde des Oberstallmeisters oder des Woiwoden von Siebenbrgen.

    Die knigliche Macht, allenfalls unter Ludwig d. Gr., nahm durch dieses System keinen Schaden. Die Oligarchie, mit der der Knig gemeinsam regieren mute, bestand ja schlielich ausnahmslos aus den Kreaturen der Anjous, ausgewhlt entweder von Ludwig selbst oder noch von seinem Vater Karl-Robert. Das politische System, welches sie leiteten, haben sie selbst, gemeinsam mit der Dynastie, begrndet, ihnen gehrte darin jede Macht. Warum htten sie auch dagegen etwas auszusetzen gehabt? Die ganze Regierungsgeschichte Ludwigs beweist ohne Zweifel, da sie sich jederzeit bereitwillig seinem Willen unterwarfen, ihm mit ihren Truppen berall folgten, wo immer er sie hinfhren oder schicken mochte, und unseres Wissens kein einziges Mal versuchten, sich ihm zu widersetzen. Gegen-ber dem ganzen Rat htte freilich ein einziger Baron gar keine Erfolgschancen gehabt; die Gefahr bestand vielmehr darin, da sich die Zwistigkeiten zwischen den Machthabern in bewaffnete Konflikte entarten und das Land in einen Brgerkrieg strzen. Einstweilen gebannt durch Ludwigs persnliche Autoritt konnte diese Gefahr zwar erst nach dessen Tod Wirklichkeit werden, fhrte aber dann in wenigen Jahren zum Zusammenbruch des Anjou-Reiches.

    Die Herrschaft einer Amtsaristokratie hat es im Laufe der Geschichte schon oft und in vielerlei Formen gegeben, doch erscheint in ihren als klassisch geltenden Varianten fast zwangslufig jenes bedauerliche Syndrom sozialen Verhaltens, welches in der politischen Umgangssprache seit Gibbon als Byzantinismus bezeichnet wird. In Spuren sind zwar solche Erscheinungen auch an Ludwigs Hof zu ent-decken, doch hat sich das ungarische Honorsystem in einer vllig anderen gesellschaftlichen Atmosphre entwickelt und einen ganz anderen Herrschaftsform der Wrdentrger reprsentiert.

    Gegenber den asiatisch" geprgten Varianten bedeu-tete den Unterschied des gesellschaftlichen Systems das Vorhandensein des auf dem Erbgut beruhenden Geburts-adels. Im 14. Jh. war die ungarische Gesellschaft in zwei

    hchst ungleiche Gruppen getrennt: Auf der einen Seite standen die Wenigen, die im Besitz eines geerbten Adels-gutes oder einer kniglichen Schenkung zur privilegierten Kaste der begterten Menschen" (homines possessionati), d.h. der Adeligen zhlten, auf der anderen die Vielen, die mangels eigenen Grundbesitzes als Unadelige (ignobiles) auf dem Gut der begterten Klasse lebten, unter fremdem Dach verborgen", um in der Ausdrucksweise der damaligen Zeit zu sprechen. Der Adelszustand bedeutete zwar nicht zugleich auch die Beteiligung an der politischen Macht, doch das Regime beruhte von vornherein auf dem Prinzip der Dichotomie der Gesellschaft. Wenngleich aus den Mengen der Adeligen nur relativ wenige unter die Nutz-nieer der Macht aufstiegen, waren die Aufgestiegenen doch ausnahmslos Adelige. Unadelige konnten am Anjou-Hof keinerlei Rolle spielen, es sei denn, auf kirchlicher Laufbahn. Die Atmosphre des Hofes war also durch den Aristokra-tismus des Geburtsadels bestimmt.

    Darber hinaus spielten aber in der Ausgestaltung des Herrschaftssystems auch andere gesellschaftliche Normen eine Rolle. Nach uralter Regel und jahrhundertelanger Praxis mute der Knig seine Mitregenten aus der Reihe der Hochadeligen whlen, und zwar jeweils der reichsten und vornehmsten. Die Regel blieb nicht ungeschrieben: Sie wurde von Anonymus als dritter Punkt des Blutver-trages" formuliert; demnach stand den Nachkommen der frstlichen Landeseroberer" jederzeit ein Platz im Rat und bei der Verteilung der Wrden zu. In dieser Form war dies freilich nur ein Wunschtraum von Wenigen, doch galt es jederzeit als Norm, da der Gesamtadel des Landes durch die Allergrten vertreten werden soll, der knigliche Rat also aus Grogrundbesitzern zu bestehen hat. Auch die Anjous hielten sich streng an diese Regel, teils indem sie ihre Parteignger aus den knigstreuen Mitgliedern der vornehmeren Geschlechter anwarben, hauptschlich aber so, da sie den Personen, denen sie Machtbefugnisse zukommen lassen wollten, angemessene Schenkungen verliehen. Nach diesen Gesichtspunkten schuf Karl-Robert in seinen neuen System die Aristokratie der Barone, und auch Ludwig d. Gr. folgte diesem Brauch. Er sorgte dafr, da seine Gnstlinge, denen er die meiste Macht anver-traute, auch auf der Skala des Reichtums immer vornehme Pltze einnehmen konnten : so bereicherte er der Reihe nach die Lackfis sowie Mikls Kont und Mikls Garai, deshalb lie er Pter Czudar und seinen Geschwistern bescheidener Herkunft ein mchtiges Vermgen zukom-men; darum bertrug er beinahe die ganze Erbschaft des ehemaligen Palatins, Dnes Pc, seinem Banus von Kroa-tien, Johannes Csuz, wodurch er diesen sozusagen aus dem Nichts emporhob und er von einem Tag zum an-deren ein mchtiger Burgherr wurde.

    Als Gesamtwirkung all dieser Faktoren ist die Aristokra-tie der Barone in der Anjou-Zeit ein eigenartiges doppel-kpfiges" gesellschaftliches Gebilde. Sie ist einerseits eine Amts und Hofaristokratie, deren Machtbefugnisse, die Beteiligung am Regieren, auf ihren mtern und den damit einhergehenden Dienstgtern beruht; andererseits ist sie auch eine Geburtsaristokratie mit dem Selbst Verstndnis eines Hochadels, im vollen Bewutsein ihrer von Geburt und Erbvermgen herrhrenden gesellschaftlichen Bedeu-tung, eine Elitgruppe, deren neue Generationen bereits

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  • in dem Bewutsein aufwuchsen, da die Beteiligung an der Staatsfhrung ihnen unabhngig von der kniglichen Gunst, kraft ihrer gesellschaftlichen Position gebhrt (secundum decentiam status et conditionis eorum), wie es in der Dekret der Landesgroen aus dem Jahre 1386 festgelegt war, Dieses neue stndische Selbstbewutsein manifestierte sich im Vertrag, den die Barone 1387 von Sigismund bei seiner Thronbesteigung erzwangen, und anderthalb Jahr-zehnte spter wird dasselbe Selbstbewutsein fast alle Nachkommen der Barone Ludwigs d. Gr. dazu bewegen, sich dem Knig offen zu widersetzen, um ihre frhere Machtposition zurckzugewinnen. Wie bekannt, sind dies schon die Vorzeichen des Stndewesens.

    Ich bin noch eine abschlieende Bemerkung schuldig. Das Herrschaftssystem, das ich vorangehend aufzuzeichnen versuchte, mag auf den ersten Augenblick eigenartig oder gar als Einzelfall erscheinen, es ist aber in Wirklichkeit

    nicht. An anderer Stelle habe ich bereits darauf verwiesen, da das Honorsystem der Anjou-Zeit eine strukturelle Analogie mit viel frheren westeuropischen Institutionen aufweist. Dasselbe gilt nun fr diese eigenartige Aristokra-tie der Barone. Gerd Tellenbach, einer der namhaftesten Bahnbrecher der deutschen Geschichtsschreibung und der prosopographischen Methode, hat schon vor Jahrzehnten den Begriff Reichsadel" zur Beschreibung jenes sozialen Gebildes eingefhrt, welches den Staat der Karolinger und spter der Ottonen regierte. Dieser Reichsadel bedeutete jene drei bis vier Dutzende hochadeliger Familien, die aus der Reihe der anderen hnlichen Familien hervorrag-ten und aus des Herrschers Gnade die Amtslehen ver-walteten und untereinander verteilten, und deren Macht auf dem Amt, auf dem Amts- und Lehensgut, nicht aber auf ihrem Erb vermgen beruhte".

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