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Ermessen im Wohnungs- eigentumsrecht von Richter am Amtsgericht Dr. Oliver Elzer
Ermessen im WEG Seite 2 von 36
Inhalt
I. Einleitung ..........................................................................................................................3 II. Zum Begriff des Ermessens im Wohnungseigentumsrecht .........................................4
1. Allgemeines ...................................................................................................................4 2. Der Zweck des Ermessens.............................................................................................4 3. Eine schlechte Begriffswahl............................................................................................5 4. Ermessensfehler ............................................................................................................6
a. Ermessensüberschreitung..........................................................................................7 b. Ermessensunterschreitung.........................................................................................7 c. Ermessensfehlgebrauch.............................................................................................8
III. Zum Ermessen des Verwalters ....................................................................................10 1. Allgemeines .................................................................................................................10 2. Einengende Handlungsanweisungen des Verwalterermessens ...................................11
a. Gesetz......................................................................................................................11 b. Anweisungen der Eigentümer...................................................................................11
3. Zwei Beispiele..............................................................................................................14 a. Versammlungszeit....................................................................................................15 b. Versammlungsort .....................................................................................................16
4. Abgeleitetes Ermessen ................................................................................................18 IV. Vorbereitung der Ermessensentscheidung durch den Verwalter .............................20 V. Ermessen der Eigentümer ............................................................................................21
1. Grundlagen ..................................................................................................................21 2. Ermessen aus anderen Gesetzen ................................................................................23 3. Ermessensinhalte.........................................................................................................23 4. Grenzen .......................................................................................................................25
a. Allgemeines..............................................................................................................25 b. Insbesondere Zweitbeschlüsse und Öffnungsklauseln .............................................26 c. Überschreitung .........................................................................................................27
5. Sonderfälle...................................................................................................................27 VI. Ermessen des Verwaltungsbeirats..............................................................................29 VII. Gerichtliche Überprüfung ...........................................................................................30 VIII. Gerichtliches Ersetzung von Verwaltungsermessen (Regelungsstreitigkeit) ........32
1. Grundlage ....................................................................................................................32 2. Subsidiarität .................................................................................................................33 3. Änderung eines Beschlusses .......................................................................................35
IX. Originäres richterliches Ermessen..............................................................................36
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I. Einleitung
Eigentümer und Verwalter müssen sich in vielen Lagen entscheiden. Im Idealfall wollen sie
sich „richtig“ entscheiden. Aber: was ist richtig? Eine Antwort hierauf fällt nicht leicht. Si-
cher ist, dass viele Entscheidungen der Verwalter nicht ordnungsmäßig im Sinne von § 21
Abs. 4 WEG sind. Und offenkundig werden von den Wohnungseigentumsgerichten viele
Beschlüsse nach einer Anfechtung gem. §§ 23 Abs. 4, 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG für ungültig
erklärt. Diese Beschlussanfechtungen sind erfolgreich, weil viele Praktiker nicht wissen,
welche Entscheidung „korrekt“ ist – und also eine forensische Prüfung übersteht. Eine Ur-
sache hierfür ist darin zu sehen, dass das Gesetz – notwendiger Weise und zu Recht –
den Eigentümern, den Funktionsträgern des gemeinschaftlichen Eigentums, den Organen
der in bestimmten Beziehungen rechtsfähigen Gemeinschaft und schließlich auch dem
Gericht für Gebrauchs- und Verwaltungsregelungen weite Handlungsspielräume einräumt.
In §§ 15 Abs. 3, 21 Abs. 4, 44 Abs. 3 wählt das WEG zur Umschreibung dieser jeweilig
zugeordneten Prärogative (Vorrechte) den Begriff des „Ermessens“1. Freilich: die Unsi-
cherheiten müssten nicht sein. Denn das Gesetz macht für die Frage, wie die jeweils ein-
geräumten Bewegungsfreiheiten zu verstehen sind, erstaunlich klare und nur teilweise
näher zu definierende Vorgaben. Das Versprechen, hier für Klarheit zu sorgen, ist noch
einzulösen. An dieser Stelle nur der Hinweis, dass das WEG zur Ausübung der Verwal-
tung und der Grenzen des Gebrauchs einen letztlich gut handhabbaren Maßstab vorgibt:
Jede Entscheidung muss sich an dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer
messen lassen. Haben sich also – wie häufig – in einer Regelung nur Partikularinteressen
niedergeschlagen, ist diese nicht ordnungsmäßig. Mit dieser Erkenntnis verbindet sich
große Rechtssicherheit: Das Gesetz wünscht keine Herrschaft der Mehrheit über die Min-
derheit. Die Mehrheit muss vielmehr stets die Interessen aller mitdenken.
1 Wie noch zu zeigen ist, ist dieser Begriff schlecht gewählt – und mit Vorsicht zu gebrauchen. Der Begriff
verführt dazu, ihn in dem Sinne zu verstehen, wie er aus dem Verwaltungsrecht vertraut ist. Diese Sicht-
weise ist falsch.
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II. Zum Begriff des Ermessens im Wohnungseigentumsrecht 1. Allgemeines
Eine Ursache der hier behaupteten Unsicherheit ist schnell zu benennen: Das WEG be-
dient sich – wie so oft – sowohl unbestimmter Rechtsbegriffe (ordnungsmäßige Verwal-
tung) als auch einer offenen Rechtsfolgenseite (Ermessen). Kritik wäre verfrüht. Denn die-
se Rechtstechnik hat ihren Grund. Sie dient der Vielgestaltigkeit und Dynamik von Le-
benssachverhalten. Um diesen gerecht zu werden, räumt der Gesetzgeber bei der Verwal-
tung des gemeinschaftlichen Eigentums und bei dem Gebrauch von Sonder- und Gemein-
schaftseigentum Handlungsspielräume ein. Während das WEG auf der Tatbestandsseite
„Ordnungsmäßigkeit“ einfordert, besteht auf der Rechtsfolgenseite nach §§ 15 Abs. 3, 21
Abs. 4 WEG Ermessen. Allein dieses „Ermessen“ ist Gegenstand der weiteren Betrach-
tungen2.
2. Der Zweck des Ermessens
Die Einräumung von Ermessen bezweckt etwas Gutes: Die an der Handlungsorganisation
der Wohnungseigentümergemeinschaft Beteiligten erhalten dadurch Bewegungsfreiheit,
Freiheit von staatlichen Regelungen. Sie haben die Möglichkeit, selbst zu bestimmen, wie
sie ein Problem lösen, welche (vertretbare) Entscheidung sie treffen wollen. Vertretbare
Entscheidungen können von außen nicht korrigiert werden. Die ratio, Entfaltungsmöglich-
keiten zuzuweisen, liegt also darin, Dritten ein Selbstorganisations-3, ein Selbstbestim-
mungsrecht einzuräumen. Kommen im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung mehrere
Maßnahmen in Betracht, ist z.B. zu entscheiden, ob und wenn ja wann eine Tür zu schlie-
ßen ist4 oder ist eine Sanierung der Dachgauben, Terrassen und Dachrinnen und die Er-
hebung einer Sonderumlage zu beurteilen5, ist es danach etwa Sache der Wohnungsei-
gentümer, durch Beschlussfassung in der Eigentümerversammlung eine sachgerechte
Auswahl zu treffen. Die Wohnungseigentümer besitzen also das Recht, für sich zu 2 Genau so spannend ist die Frage, was ordnungsmäßig ist. Erwägungen hierzu stehen nicht in Vorder-
grund. Nur soweit sich die Begriffe verschränken, wird die Ordnungsmäßigkeit hier weiter verfolgt. 3 BGH, ZMR 1999, 41, 44. 4 Siehe dazu Jacoby, WE 2000, 156. 5 OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18. 1. 1999 - 3 Wx 394/98.
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bestimmen, welche von mehreren möglichen Entscheidungen in ihrem Zusammenleben
„gerecht“, „richtig“ und damit „wahr“ sein sollen.
3. Eine schlechte Begriffswahl
Die offensichtlich an die verwaltungsrechtliche Begrifflichkeit angelehnte Wortwahl „Er-
messen“ für den eingeräumten Handlungsspielraum ist schlecht gewählt. Denn kaum ein
Rechtsbegriff ist so vielschichtig und demgemäß schwer zu erfassen wie der Begriff des
Ermessens6. Das hat vor allem zwei Gründe: Innerhalb unserer Rechtsordnung gibt es für
ihn erstens kein einheitliches Verständnis. Und zweitens setzen die Vorschriften, die Er-
messen einräumen, Begriff, Wesen und Grenzen des Ermessensbegriffs voraus. Der
Wortstamm „Maß“ zeigt aber nur sehr vage an, dass sich eine Handlung, soweit ihr Er-
messen zugeordnet ist, im Gegensatz zum Belieben an einem Maßstab auszurichten hat.
Um solchen, ganz allgemeinen und nicht auf das WEG beschränkten Fragen gründlich
nachzugehen, ist hier kein Platz. Für den Zweck, das Ermessen im Wohnungseigentums-
recht näher einzugrenzen, muss die Feststellung genügen, dass der Begriff „Ermessen“
blutleer ist. Ihm muss durch Rechtsprechung und Lehre erst Leben „eingehaucht“ werden.
Für sich genommen, ist der Begriff nutzlos – und gefährlich. Bei einer oberflächlichen Be-
trachtung könnte es der Begriff des Ermessens außerdem nahe legen, dass die Ermes-
sens-Handlungsspielräume der an der Verwaltung jeweils Beteiligten gleich sind. Und er
könnte überdies eine Freiheit suggerieren, die das Gesetz nicht einräumt. Denn der Ein-
druck, Ermessen sei gleich Ermessen und Ermessen sei „frei“ oder „beliebig“, ist gleich
zweifach falsch.
Das Ermessen der Eigentümer und das des Verwalters ist nicht gleich. Und das Ermessen
ist nie frei. Etwa die Funktionsträger/Organe und das Gericht müssen handeln. Sie haben
regelmäßig keine Wahl, ob sie eine Entscheidung treffen wollen. Und sowohl die Funkti-
onsträger/Organe als auch das Gericht sind einem klaren Zweck unterworfen: sie müssen
ihre Spielräume pflichtgemäß ausfüllen und haben kaum eine Möglichkeit, eigenen Wer-
tungen Raum zu geben. Beleg und Zeuge für diese Behauptung ist das Gesetz selbst.
Allerdings ist sein Aufbau unklar – und gibt immer wieder zu Missverständnissen Anlass.
6 So auch Stickelbrock, Ermessen, Köln 2002, § 2 I.
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Neben dem Ermessen (und in seinem Bezug nicht ohne weiteres klar) steht nämlich – wie
bereits erwähnt – der Begriff der ordnungsmäßigen Verwaltung bzw. des ordnungsmäßi-
gen Gebrauchs (§§ 21 Abs. 3, Abs. 4, 15 Abs. 2, Abs. 3 WEG). Wenn nun über die Ord-
nungsmäßigkeit im Wege der Stimmenmehrheit beschlossen werden kann, verführt dies
zu der (falschen) Annahme, die Mehrheit könne ohne weiteres definieren, was ordnungs-
gemäß ist. Dies ist ebenso falsch wie die Behauptung, das Gesetz habe durch §§ 21 Abs.
3, Abs. 4, 15 Abs. 2, Abs. 3 WEG einen „Wertungswiderspruch“ aufgebaut7. Richtig ist,
dass das WEG zwar sowohl für die Verwaltung als auch für den Gebrauch Mehrheits-
macht zulässt. Diese Macht ist aber gefesselt. Wie sich aus §§ 21 Abs. 4, 15 Abs. 3 WEG
ableiten lässt, muss jede Mehrheitsentscheidung zur Verwaltung und zum Gebrauch dem
Gesetz sowie den Vereinbarungen und Beschlüssen genügen. Und außerdem muss sie
dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen ent-
sprechen. Die Mehrheit muss also immer die Interessen aller Eigentümer im Blick haben.
Die Mehrheit kann sich mit anderen Worten nur dann durchsetzen8, wenn sie mit ihrer
Entscheidung auch den Anliegen der Minderheit angemessen Rechnung getragen hat.
Unangemessene Benachteiligungen, Diskriminierungen oder eine nicht zu rechtfertigende
Ungleichbehandlung scheiden damit auch unter dem Regiment einer Mehrheit ohne weite-
res als nicht ordnungsmäßig aus9. Neben diesen Aspekten ist die gerade zuletzt an Be-
deutung noch gewachsene Treuepflicht der Eigentümer gegenüber den anderen Eigentü-
mern und der Gemeinschaft als Verband zu beachten10.
4. Ermessensfehler
Ermessen kann falsch ausgeübt werden. Diese Aussage gilt in allen Rechtsgebieten. Sie
gilt auch im WEG. Wird Ermessen falsch ausgeübt, ist eine Entscheidung nicht ordnungs-
mäßig. Die allgemeinen Anforderungen an fehlerfreies Ermessen ergeben sich daher aus
§ 21 Abs. 4, Abs. 3 WEG. Eine Überschreitung der dort normierten Ermessensgrenzen
bedingt die Rechtswidrigkeit einer jeden Ermessensentscheidung. Als Ermessensfehler
kommen im Wohnungseigentumsrecht jedenfalls Ermessensmangel (Ermessensnicht- 7 So aber Jennißen, ZMR 2004, 564. 8 Soweit der Beschluss angefochten wird oder nicht nichtig ist. 9 Jennißen, ZMR 2004, 564, 565. 10 BGH ZMR 2005, 547, 554 [Teilrechtsfähigkeit].
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gebrauch, Ermessensunterschreitung), Ermessensüberschreitung und Ermessensfehl-
gebrauch (Ermessensmissbrauch) in Betracht.
a. Ermessensüberschreitung
Als eine Ermessensüberschreitung ist vor allem ein Verstoß gegen das Gesetz, eine Ver-
einbarung oder gegen einen Beschluss anzusehen. Ermessen ist nur dort vorstellbar, wo
eine Regelung nicht klar vorgegeben ist. Legen die Eigentümer einem einzelnen Eigentü-
mer z. B. eine im Gesetz nicht vorgesehene Handlungspflicht auf (tätige Mithilfe), ist das
ihnen eingeräumte Ermessen überschritten und der Beschluss nicht ordnungsmäßig. Da
es eben dadurch, dass eine Erlaubnisnorm fehlt, aber auch an einer Beschlusskompetenz
fehlt, wird der Ermessensfehler in der Rechtsprechung nicht problematisiert. Die neueren
Judikate begnügen sich damit, Nichtigkeit auszusprechen.
b. Ermessensunterschreitung
Als eine Ermessensunterschreitung ist z.B. eine unzureichende Tatsachengrundlage11
anzusehen. Damit die Eigentümer von ihrem Auswahlermessen sinnvoll Gebrauch ma-
chen können, ist es notwendig, dass ihnen eine ausreichende Entscheidungsgrundlage
zur Verfügung steht12. Bei großen Instandsetzungsmaßnahmen ist es z.B. erforderlich,
dass der Schadensumfang und der Instandsetzungsbedarf vorher festgestellt werden13;
außerdem sind in der Regel mehrere Angebote für die Instandsetzungsarbeiten14 oder die
Verwalterbestellung15 einzuholen. Etwa ein Eigentümerbeschluss, mit dem ohne vorherige
Einholung von Vergleichsangeboten über die Durchführung einer größeren Baumaßnah-
me entschieden wird, entspricht in der Regel nicht ordnungsmäßiger Verwaltung16.
11 BayObLG ZMR 2004, 927, 928. 12 BayObLG ZMR 2004, 927, 928. 13 BayObLG NJW-RR 1999, 307, 308. 14 BayObLG WuM 1995, 677; WuM 1995, 287. 15 OLG Hamm ZMR 2003, 51, 53; offen gelassen von OLG Köln ZMR 2005, 811. 16 BayObLG ZWE 2000, 37, 38 = ZMR 2000, 39.
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c. Ermessensfehlgebrauch
Ermessen wird fehl gebraucht, wenn sich die Entscheidung nicht an dem Interesse der
Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen ausrichtet17. Ein Verstoß
gegen dieses Gebot sind z.B. sachfremde Erwägungen, eine Ermessensausübung aus
persönlichen Gründen oder eine Ermessensausübung aus Opportunismus. Insbesondere
im Bereich des Fehlgebrauchs „kollidiert“ und „vermengt“ sich also der Begriff des Ermes-
sens mit dem der ordnungsmäßigen Verwaltung nach §§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 3 WEG. Denn
ordnungsmäßig ist vor allem auch das, was ermessensfehlerfrei ist. Soweit eine Regelung
ordnungsmäßig ist, ist sie auch ermessensfehlerfrei (in anderem Zusammenhang spricht
man insoweit von einer Identität des Argumentationshaushaltes). Exemplarisch sei hier auf
Baumaßnahmen verwiesen. Bauliche Maßnahmen verlangen, dass einerseits eine tech-
nisch einwandfreie Lösung zu wählen ist, die eine dauerhafte Beseitigung vorhandener
Mängel und Schäden verspricht, dass aber andererseits auf die Wirtschaftlichkeit geachtet
werden muss und ein überteuerter Auftrag nicht erteilt werden darf. Deshalb sind in der
Regel vor Vergabe eines größeren Auftrags Alternativ- oder Konkurrenzangebote einzuho-
len18.
Eine Maßnahme entspricht im Übrigen ordnungsmäßiger Verwaltung (und liegt damit dann
im Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer) im Sinne von §§ 15 Abs. 2, Abs.
3, 21 Abs. 4, Abs. 5 Nr. 2 WEG, wenn sie bei objektiv vernünftiger Betrachtung oder Be-
rücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls nützlich ist19. Der Begriff der
ordnungsmäßigen Verwaltung gibt also gleichsam den Rahmen vor, unter welchen Mög-
lichkeiten eine Wahl besteht. Sowohl die Organe/Funktionsträger als auch die Eigentümer
sind zu Entscheidungen nur befugt, soweit diese ordnungsmäßig sind. Das Problem be-
steht darin, dass mehrere Entscheidungen ordnungsmäßig sein können. Z.B. kann die
Wahl des Kandidaten A zum Verwalter einer bestimmten Anlage nicht vertretbar sein, die
Wahl der Kandidaten B, C, D oder E hingegen jeweils beanstandungsfrei. In allen diesen
Fällen, in denen mehrere Entscheidungen gleichermaßen getroffen werden könnten, aber 17 Zum Teil wird zur Beschreibung der Grenze hier § 14 Nr. 1 WEG zitiert, vgl. etwa BayObLG MDR 1985,
676; Derleder in FS Seuß [1987], 115, 120. 18 BayObLG NJW-RR 1999, 307; 1989, 1293, 1294; WE 1995, 287, 288. 19 BayObLG ZMR 2004, 927, 928.
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nur eine von ihnen ausführbar ist, haben die Eigentümer und die Organe/Funktionsträger
Ermessen.
Die Begriffe Ermessen und ordnungsmäßige Verwaltung sind daher letztlich weder de-
ckungsgleich noch haben sie ähnliche Funktionen. Während der Begriff „ordnungsmäßige
Verwaltung“ den Rahmen vorgibt, hat der Begriff „Ermessen“ die Aufgabe, vor allem bei
der Überprüfung, ob die innerhalb des Rahmens liegenden Wahlmöglichkeiten ordnungs-
mäßig ausgesucht werden. Anderseits sind sie für die Belange des WEG auch nicht
sachgerecht voneinander trennbar.
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III. Zum Ermessen des Verwalters 1. Allgemeines
Das Gesetz sieht den Verwalter als bedeutet und selbstbestimmt an. In vielen Bereichen
bindet es seine Entscheidungen nicht. Das WEG legt vor allem die Entscheidungen in Zu-
sammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Eigentümerversammlung in die
Hände des – nach dem Leitbild des Gesetzes und der Ausprägung die es durch die
Rechtsprechung erhalten hat – professionellen Verwalters. Daneben besteht vor allem
Ermessen, soweit der Verwalter Beschlüsse der Eigentümerversammlung gem. § 27 Abs.
1 Nr. 1 WEG auszuführen hat20. Der Verwalter besitzt etwa grundsätzlich Ermessen, wann
er gem. § 28 Abs. 2 WEG Wohngelder abruft, sofern kein Beschluss oder eine Vereinba-
rung die Fälligkeit regeln. Der Verwalter hat auch Ermessen, ob er die Kosten für eine
noch nicht und ggf. nie beschlossene Instandhaltungsmaßnahme in einen Wirtschaftsplan
aufnimmt – der im Falle einer Ablehnung der Maßnahme dann zu hoch kalkuliert ist – oder
für die Maßnahme von vornherein eine Sonderumlage (Deckungsumlage) vorsieht.
Dass es sich hierbei jeweils wirklich um „Ermessen“ handelt, obwohl das Gesetz diesen
Begriff nicht nutzt, ergibt sich mittelbar aus § 21 Abs. 4 WEG. Durch diese Bestimmung
wird sicherlich den Eigentümern „Ermessen“ eingeräumt: Soweit nicht durch das WEG
oder durch eine Vereinbarung der Wohnungseigentümer etwas anderes bestimmt ist, steht
die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums den Wohnungseigentümern zu. Soweit
die Verwaltung nach dem Gesetz oder auf Grund einer Vereinbarung dem Verwalter über-
tragen worden ist, können die Eigentümer aber auch von ihm eine Verwaltung nach „billi-
gem Ermessen“ verlangen21.
Ein Problem besteht, wenn der Verwalter von seinem Ermessen keinen Gebrauch macht.
Ihm ist regelmäßig nur gestattet, eine Entscheidung später zu treffen. Nach einem Be-
schluss nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG muss er etwa sofort handeln. Wird der Verwalter
nicht tätig, kann nach § 21 Abs. 4 WEG eine Handlung erzwungen werden. Ggf. ist ein
20 Zur Klarstellung: Kein Ermessen für das „ob“. Aber Ermessen für das „wie“, soweit nichts anderes be-
stimmt ist. 21 So auch Merle in Bärmann/Pick/Merle, 8. Aufl. 2000, § 21 WEG Rdnr. 78.
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Notverwalter zu bestellen oder Eigentümer (Beirat) werden selbst im Aufgabenbereich des
Verwalters tätig.
2. Einengende Handlungsanweisungen des Verwalterermessens
Das Ermessen des Verwalters ist nicht frei. Der Verwalter ist bei seiner Ermessensaus-
übung neben dem Gesetz Vereinbarungen und Beschlüssen der Eigentümer unterworfen
und insoweit gefesselt.
a. Gesetz
Nach dem Gesetz muss der Verwalter sein Ermessen pflichtgemäß und also nach Sinn
und Zweck der Norm ausüben, die ihm Handlungsspielräume gewährt. § 21 Abs. 4 WEG
beschreibt diese Zwecke allgemein: Die Verwaltung des Verwalters muss dem Interesse
der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entsprechen22. Andere
Zwecke nennt etwa § 27 WEG. Danach kann der Verwalter selbst nur tätig werden, wenn
dies „erforderlich“ ist.
Die Maßnahme eines Verwalters ist deshalb abstrakt betrachtet dann pflichtgemäß, wenn
der von ihm gewählte Einsatz des Mittels für das Interesse der Gesamtheit der Woh-
nungseigentümer geeignet, erforderlich und zur Erreichung des Zieles angemessen ist
(Verhältnismäßigkeitsgrundsatz).
b. Anweisungen der Eigentümer
Der Verwalter ist bei seiner Ermessensausübung ferner Vereinbarungen und Beschlüssen
der Eigentümer unterworfen. Der Verwalter kann sich diesen Regelungen nicht wegen
seines ggf. überlegenen Wissens entgegenstellen. Dies wird z. B. deutlich, wenn der Ver-
walter erkennt, dass ein angefochtener Beschluss evident ordnungswidrig ist und seiner 22 Unsicher ist, ob Wissenschaft und Rechtsprechung hier künftig die Interessen der Wohnungseigentü-
mergemeinschaft hineinlesen. Diese können, müssen aber nicht mit den Interessen der Eigentümer de-ckungsgleich sein. Der Gesetzeswortlaut ist freilich eigentlich klar: Maßstab sind die Eigentümerinteres-
sen.
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Einschätzung nach nicht durchgeführt werden sollte23. Denn nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG
hat der Verwalter auch angefochtene Beschlüsse sofort und ohne schuldhaftes Zögern (§
121 BGB) durchzuführen24. Aus § 23 Abs. 4 WEG folgt, dass ein bloß anfechtbarer Be-
schluss, der nicht vom Gericht für nichtig erklärt worden ist, vom Funktionsträger bzw. Or-
gan Verwalter als Ausführender stets durchzuführen ist25. Das Gesetz trifft keine Unter-
scheidung zwischen angefochtenen und bestandskräftigen Beschlüssen. Ein Ermessen,
Beschlüsse durchzuführen, gibt es also nicht26. Im Einzelfall folgt nicht anderes aus der
Treuepflicht des Verwalters. Zwar trifft den Verwalter eine Schadensabwendungspflicht: er
muss nach Kräften verhindern, dass es nach erkennbarer Ungültigerklärung eines Be-
schlusses (z.B. wenn ein Beschluss evident bemangelt ist) durch das Gericht zu Stö-
rungsbeseitigungs- und Rückbauansprüchen als Gegenstand eines Folgenbeseitigungs-
anspruches kommt. Instrumente für dieses Interesse sind aber eine Anfechtung durch den
Verwalter, eine Anordnung des Gerichts nach § 44 Abs. 3 WEG und eine Aufklärung durch
den Verwalter. Der Verwalter ist hingegen auch in diesem Falle nicht befugt, die Feststel-
lung mit Blick auf seine Vertragspflichten gegenüber allen Eigentümer zu verweigern oder
den Beschluss zögerlich oder gar nicht auszuführen27.
Obwohl dies zuletzt häufiger diskutiert wurde28, kann es im Ergebnis wohl keinem Zweifel
unterliegen, dass der Verwalter an Vereinbarungen und Beschlüsse unmittelbar gebunden
ist. Vereinbarungen und Beschlüsse die dem Verwalter zu einer bestimmten Handlung
23 Es gibt auch kein Ermessen, einen ordnungswidrigen Beschluss nicht festzustellen oder zu verkünden.
Siehe dazu die Diskussion in DWE 2005, 5 ff. 24 BayObLG ZMR 2000, 314, 315; Riecke/Vogel ZfIR 2002, 1029; Wenzel WE 1998, 455. 25 So auch Wenzel WE 1998, 455, 456; Müller WE 1994, 7. 26 A.A. Gottschalg ZWE 2003 225, 229; Reuter ZWE 2001, 286, 292 und Deckert WE 1992, 16 und PiG 30,
37, 47: WEG kenne keine Durchführungspflicht. 27 Der Verwalter macht sich auch nicht schadensersatzpflichtig (weder gegenüber den Eigentümern noch
gegenüber Dritten), wenn er einen Beschluss durchführt, der nachträglich für ungültig erklärt wird, Bay-
ObLG WE 1991, 198 = WuM 1990, 366; Wenzel WE 1998, 455, 456; Deckert WE 1996, 326, 328; Müller WE 1994, 7; siehe auch Gottschalg FGPrax 2004, 212, 213.
28 Deckert ZWE 2003, 247, 251; Merle ZWE 2001, 145.
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anweisen, bedürfen keiner weiteren Ausführung oder Regelung29. Für Organisationsmaß-
nahmen ergibt sich dies also ohne weiteres aus § 24 Abs. 2 WEG. Danach muss die Ver-
sammlung der Wohnungseigentümer von dem Verwalter in den durch Vereinbarung be-
stimmten Fällen einberufen werden. Die Bindung ergibt sich aber vor allem aus § 21 Abs.
4 WEG. Aus diesem ist ganz allgemein abzuleiten, dass der Verwalter, aber auch z.B. der
Verwaltungsbeirat, sämtliche Vereinbarungen und Beschlüsse bei der Durchführung der
Verwaltung beachten muss, soweit diese Aussagen über die Art und Weise der Durchfüh-
rung ihrer jeweiligen privaten Ämter enthalten (Organisationsvereinbarungen). Ist in einer
Vereinbarung etwa bestimmt, dass die jährliche Eigentümerversammlung im ersten Quar-
tal abzuhalten ist, bindet dies den Verwalter auch ohne entsprechenden Beschluss, § 24
Abs. 2 WEG. Ist in der Gemeinschaftsordnung eine verbindliche Einberufungsfrist von
zwei Wochen vereinbart worden, ist der Verwalter auch hieran gebunden30. Einer entspre-
chenden Aufnahme in den Verwaltervertrag bedarf es nach § 21 Abs. 4 WEG selbstver-
ständlich nicht31. Ebenso ist der Verwalter daran gebunden, wenn etwa für die Nieder-
schrift der Versammlung eine bestimmte Form vereinbart worden ist32 oder die Fälligkeit
der Wohngelder durch eine Vereinbarung geregelt ist33.
Etwas anderes gilt auch nicht für solche Vereinbarungen, die nicht den Inhalt des Amtes
der Funktionsträger/Organe näher ausgestalten, sondern diese zu einem bestimmten Ver-
halten verpflichten (Durchführungsvereinbarungen). Nach § 27 Abs. 1 Nr. 1 WEG muss
der Verwalter zwar nur Beschlüsse durchführen. Diese Vorschrift ist aber nach ihrem Sinn
und Zweck und im Kontext mit § 21 Abs. 4 WEG und der daraus folgenden Bindung erst
Recht auf die Durchführung sowohl der ursprünglichen oder „verdinglichten“ Vereinbarun-
gen34 als auch auf alle übrigen schuldrechtlichen Vereinbarungen anzuwenden35. Nur an
29 A.A. BGH ZMR 2002, 766, 768 und OLG Hamburg ZMR 2001, 997, 998, die jedenfalls eine dem Be-
schlussinhalt entsprechende rechtsgeschäftliche Erklärung fordern; siehe auch Becker/Kümmel ZWE
2001, 128, 133 m.w.N. 30 BayObLG WuM 2005, 148. 31 Bub NZM 2001, 502, 505. 32 BGH ZMR 1998, 171, 172; Gottschalg ZWE 2003, 225, 228. 33 Jennißen, Verwaltabrechnung, 5. Aufl. 2004, VI. Rdnr. 30. 34 BayObLGZ 2004, 15, 18 = ZMR 2004, 601, 602. 35 Deckert ZWE 2003, 247, 250.
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eine Vereinbarung, mit der die Wohnungseigentümer eine ihnen gesetzlich obliegende
Pflicht auf einen Funktionsträger/ein Organ übertragen wollen, ist dieser/dieses ohne
sein/ihr Einverständnis nicht gebunden36.
3. Zwei Beispiele
Wo es für den Verwalter nach dem Gesetz Ermessensspielräume gibt und woran sich das
Ermessen bemisst, soll exemplarisch für die Eigentümerversammlung und wenigstens
zweier, mit ihr zusammenhängender Aspekte dargestellt werden. Die Eigentümerver-
sammlung bietet sich an, weil sie regelmäßig im Mittelpunkt einer Eigentümergemein-
schaft steht. Insbesondere ihre sorgfältige Vorbereitung und Durchführung durch den Ver-
walter ist Garant für Frieden und gedeihliches Zusammenleben. Das dem Verwalter inso-
weit eingeräumte Ermessen ist eine beeindruckende Aufstellung und zeugt von der gro-
ßen Verantwortung des Verwalters. Im Überblick stellen sich die vom Verwalter pflichtge-
mäß auszufüllenden Spielräume wie folgt dar:
• die Frage, ob überhaupt eine Versammlung einberufen wird
• die Form der Einberufung
• die Frist, zwischen Einberufung und Versammlung
• der Zeitpunkt (Datum und Uhrzeit) der Eigentümerversammlung
• der Versammlungsort der Eigentümerversammlung
• die Erstellung der Tagesordnung
• die Formulierung der Beschlussanträge
• die ggf. einzuladenden Personen
• die Absage und Verschiebung einer Eigentümerversammlung
• die allgemeine Durchführung des Vorsitzes der Eigentümerversammlung (z.B. Haus-
recht; Redezeit; Ausschluss von Dritten; Zurückweisung von Vollmachten)
• die Wahl des Abstimmungsverfahrens
• die Feststellung von nichtigen Beschlüssen; str.
• Probeabstimmungen
• die Bestimmung des Schlusses oder einer Unterbrechung der Versammlung
36 BayObLG ZMR 2005, 137 [Rolltor] = NJW-RR 2005, 100; a. A. OLG Frankfurt aM OLGZ 1993, 188, 190.
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• die Fassung der Niederschrift
Für alle diese Punkte enthält das Gesetz keine unmittelbaren Vorgaben. Welche Prüfstei-
ne vom Verwalter zu beachten und welche Grenzen ihm gesetzt sind, ergibt sich daher
zum einen aus entsprechenden Regelungen der Eigentümer (Vereinbarungen und Be-
schlüsse). Es ist etwa möglich, durch eine Vereinbarung einen Versammlungsort festzule-
gen37. Das Ermessen des Verwalters findet seinen wesentlichen Maßstab aber vor allem
in allgemeinen Erwägungen. Denn wie das Ermessen auszuüben ist, ist eben nicht völlig
frei (und schon gar nicht beliebig), sondern nach den Regeln des § 21 Abs. 4 WEG über
die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums und also nach dem Interesse der Ge-
samtheit der Wohnungseigentümer und „billig“ zu beantworten38. Hierin liegt eine ganz
erhebliche Einschränkung – im Einzelfall sogar eine Auslöschung (nämlich im Falle einer
Reduktion des Ermessens auf Null39) – der Handlungsspielräume des Verwalters. Zum
Beleg dieser letztlich allgemein anerkannten Ansicht seien hier zwei Beispiele genannt.
Beide zeigen plakativ, dass der Verwalter in seine Erwägungen viele Gesichtspunkte ein-
beziehen muss und nur dann ordnungsmäßig handelt, wenn er diese sorgfältig miteinan-
der abwägt.
a. Versammlungszeit
Das WEG enthält zwar keine Regelung darüber, an welchen Tagen und zu welcher Uhr-
zeit und wie lange eine Versammlung stattfinden soll oder kann40. Sicher ist aber, dass
nicht jeder beliebige Tag und jede Uhrzeit (z.B. Sonntag um 23.00 Uhr) ordnungsmäßig
sein muss. Welche Zeit angemessen ist, muss daher nach allgemeinen Regelungen be-
stimmt werden. Abwägung und Auswahl muss sich dabei an den Besonderheiten der An-
lage und den Belangen der Eigentümer ausrichten und kann im Einzelfall sehr stark ab-
weichen. Gesichert ist insoweit, dass der Zeitpunkt jedenfalls verkehrsüblich und zumutbar
37 OLG Celle NZM 1998, 822. 38 OLG Köln ZMR 2005, 77; BayObLG NJW-RR 1987, 1362, 1363. 39 Siehe dazu BGH ZMR 2003, 937, 941. 40 OLG Köln ZMR 2005, 77.
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sein muss. Dies folgt daraus, dass allen Wohnungseigentümern die Teilnahme an der
Versammlung ermöglicht werden muss und nicht erschwert werden darf41.
Das sind aber nur allgemeine Grenzen. In seine Abwägung, welche Zeit angemessen ist,
muss der Verwalter auch Wünsche der Eigentümer berücksichtigen, auch einer Minder-
heit, soweit diese berechtigte Belange geltend macht, die Größe der Anlage, die Anzahl
der zu besprechenden Punkte42, die voraussichtliche Dauer der Versammlung, die Anzahl
der Eigentümer, die Frage, ob die Einheiten selbstgenutzt und vermietet sind oder es sich
um Ferienwohnungen handelt, die Frage, ob die Eigentümer vor Ort ansässig sind, die
Frage, wie der gewählte Versammlungsort zu erreichen ist, die gewöhnlichen Arbeitszei-
ten, ob der gewählte Zeitpunkt mit anderen Veranstaltungen kollidiert, gesetzliche oder
kirchliche Feiertage43 und Schulferien.
Die Folge der Abwägung dieser Punkte und aller Umstände kann sein, dass für die Stadt
Köln eine Eigentümerversammlung an Werktagen um 17.00 Uhr (Beginn) ordnungswidrig
ist. Andererseits kann ein Versammlungsbeginn auch in Köln werktags um 15.00 Uhr für
eine auf fünf Stunden überlegte Versammlung für eine Anlage mit mehr als 500 Woh-
nungseigentümern ordnungsgemäß sein44.
b. Versammlungsort
Wo Versammlungsort und Versammlungsstätte zu sein haben, ist im Gesetz nicht gere-
gelt. Auch ihre Auswahl und Festlegung unterfällt daher im Grundsatz dem Gestaltungs-
spielraum des Einberufenden, regelmäßig also dem Verwalter. Die Kriterien, nach denen
er sich zu richten hat, sind durch die Rechtsprechung teilweise vorgegeben. Grenzen er-
geben sich aber auch hier vor allem aus der Funktion der Wohnungseigentümerversamm-
lung als Ort der gemeinsamen Willensbildung. Der Ort muss daher so gewählt werden,
41 OLG Zweibrücken WE 1994, 146. 42 OLG Köln ZMR 2005, 77. 43 Soll eine Wohnungseigentümerversammlung z.B. zwischen Weihnachten und Neujahr stattfinden, ist auf
das Interesse der einzelnen Wohnungseigentümer, in dieser Zeit ihre Angehörigen zu besuchen, beson-dere Rücksicht zu nehmen.
44 OLG Köln ZMR 2005, 77.
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dass allen Wohnungseigentümern die Teilnahme an der Versammlung möglich ist45. Es
gibt im Wesentlichen also zwei Prüfsteine: Zum einen die Verkehrsüblichkeit. Der Begriff
schließt Verkehrsangebundenheit, insbesondere die Erreichbarkeit mit öffentlichen Nah-
verkehrsmitteln ein. Es ist außerdem grundsätzlich darauf zu achten, dass der Versamm-
lungsort noch einen örtlichen Bezug zur Wohnanlage hat. Zum anderen die Zumutbarkeit.
Die Frage der Zumutbarkeit ist anhand der konkreten Anlage zu beantworten. Von Belang
ist z.B. das Alter der Eigentümer, ihre Mobilität, ob die Anlage selbstgenutzt oder vermietet
ist, außerdem die Größe der Anlage.
Etwa in der Bestimmung des Versammlungsortes im dritten Stock eines Bürogebäudes
ohne Fahrstuhl kann ein Verstoß gegen § 24 WEG liegen, wenn für einen bekannterma-
ßen gehbehinderten Wohnungseigentümer das Aufsuchen des Versammlungsortes un-
zumutbar erscheint46. Auch eine Eigentümerversammlung in einem Wohnwagen des Ver-
walters kann für einzelne Wohnungseigentümer unzumutbar sein, wenn zwischen ihnen
und dem Verwalter gespannte zwischenmenschliche Beziehungen bestehen47. Auch dass
bei Ferienanlagen oder Kapitalanlegerobjekten die Mehrheit der Eigentümer meist nicht
„anlagenah“ lebt, stellt ein Auswahlkriterium dar. Die Versammlungsstätte muss von der
Größe her die Teilnahme aller Wohnungseigentümer zulassen. Hierbei soll es den Woh-
nungseigentümern für begrenzte Zeit zur Einsparung von Versammlungskosten auch zu-
mutbar sein, gewisse Unbequemlichkeiten in Kauf zu nehmen48. Sind in kleineren Anlagen
im Versammlungsvorfeld zwischen einigen Wohnungseigentümern bereits Reibereien auf-
getreten und Weiterungen nicht auszuschließen, ist die Wahl eines Wohnwagens als Ver-
sammlungsstätte ermessensfehlerhaft49.
45 OLG Hamm ZWE 2001, 560, 561; NJW-RR 2001, 516 = FGPrax 2001, 64. 46 LG Bonn ZMR 2004, 218. 47 OLG Hamm NJW-RR 2001, 516 = FGPrax 2001, 64. 48 OLG Düsseldorf WuM 1993, 305 = DWE 1993, 99 zur Waschküche als Versammlungsort; Gottschalg
NZM 1998, 825. 49 OLG Hamm ZMR 2001, 383 = NZM 2001, 297 = OLGR 2001, 207.
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Für Eigentümerversammlungen gilt der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit50. Die Angele-
genheiten der Gemeinschaft sollen nicht aus dem Kreis der Wohnungseigentümer nach
außen getragen werden. Die Eigentümerversammlung hat daher – soweit nicht anderes
vereinbart ist – in einer nicht öffentlichen Versammlungsstätte in der Gemeinde oder Stadt,
in der sich auch die Wohnungseigentumsanlage befindet oder in unmittelbarer geographi-
scher Nähe, stattzufinden. Ein frei zugänglicher Gaststättenraum oder der Vorgarten einer
Gaststätte stellen deshalb keinen angemessenen Ort für eine Eigentümerversammlung
dar51. Falsch wäre es aber, aus dem Grundsatz der Nichtöffentlichkeit abzuleiten, dass
eine Versammlung nur in abgeschlossenen Räumen stattfinden darf. Sind sowohl äußere
Lärmbeeinträchtigungen als auch die Wahrnehmbarkeit des gesprochenen Wortes für
Nachbarn oder Passanten ausgeschlossen, kann auch die Versammlung im Freien, etwa
im Garten der Anlage, abgehalten werden.
4. Abgeleitetes Ermessen
Der Verwalter besitzt nach dem Gesetz für die Verwaltung in bestimmten Bereichen aus-
drücklich oder nach Sinn und Zweck einer Regelung originäres Ermessen. Fehlt es an ei-
ner Zuweisung, müssen die Eigentümer das Ermessen ausüben. Die Eigentümer können
dem Verwalter im Wege der Vereinbarung aber auch ihre Ermessens-Kompetenz übertra-
gen52. Z.B. können sie ihm die Macht einräumen, Gebrauchs- und Nutzungsregelung zu
bestimmen, die Inhalte der Hausordnung festzulegen oder die Entscheidung zu treffen,
wie ein Teileigentum gewerblich zu nutzen ist. In allen diesen Fällen hat der Verwalter
nach §§ 315 ff. BGB jeweils eine angemessene Entscheidung nach billigem Ermessen zu
treffen53. Für die Ausübung gilt das eben Gesagte entsprechend. Streitig ist, ob die Eigen-
tümer dort subsidiär zu eigenen Entscheidungen berufen sind, wo der Verwalter nicht tätig
wird und von übertragener Kompetenz keinen Gebrauch macht. Meines Erachtens können
die Eigentümer über diese Materie dann keinen Beschluss fassen, sondern sie nur verein-
50 BGH WE 1993, 165 = NJW 1993, 1329 = ZMR 1993, 287; BayObLG ZMR 2002, 844; ZMR 1997, 478;
KG ZWE 2001, 75, 76 m.w.N. 51 KG WE 1998, 31 = FGPrax 1997, 175, 176 52 Elzer in Riecke/Schmid, Wohnungseigentumsrecht, § 20 WEG Rz. 52 ff. 53 Elzer in Riecke/Schmid, Wohnungseigentumsrecht, § 20 WEG Rz. 54 ff.
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baren54. Etwas anderes gilt nur für Bestimmungen des Verwalters in Beschlussangelegen-
heiten. Hier besitzen die Eigentümer die gesetzliche Befugnis, Vereinbarungen auch durch
Beschlüsse zu ändern55.
54 Elzer in Riecke/Schmid, Wohnungseigentumsrecht, § 20 WEG Rz. 57 m.w.N.; a.A. die h.M. etwa KG
NZM 2004, 910, 912; ZMR 2002, 147 = NZM 2001, 959 BayObLG ZMR 2004, 133; Lüke WE 1996, 372, 373.
55 Ausführlich dazu Elzer in Riecke/Schmid, Wohnungseigentumsrecht, § 10 WEG Rz. 75 ff.
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IV. Vorbereitung der Ermessensentscheidung durch den Verwalter
Der Verwalter muss neben seinen eigenen Entscheidungen auch Grundlagen für eine Er-
messensentscheidung der Eigentümer schaffen. Er ist für eine fehlerfreie Entscheidung
mitverantwortlich56. Bei größeren Instandsetzungsmaßnahmen ist der Verwalter etwa
grundsätzlich verpflichtet, Konkurrenzangebote einzuholen und den Wohnungseigentü-
mern vorzulegen57. Der Verwalter hat nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG etwa die Aufgabe, eine
Beschlussfassung der Wohnungseigentümer über die Instandhaltung vorzubereiten und
herbeizuführen. Für diesen Zweck hat er etwa schon vor der Beschlussfassung alle Mög-
lichkeiten der Instandhaltung und Instandsetzung wie deren voraussichtliche Kosten, z. B.
durch Einholung von Angeboten, zu ermitteln. Auf einzelne Empfehlungen von Fachleuten
darf er sich dabei nicht verlassen58. Prüfsteine können sein:
• Einholen von Angeboten für das Auswahlermessen59 mit dem Ziel einer vernünftigen
Entscheidungsgrundlage
• Darstellung der Alternativen, z.B. Vertretung der Gemeinschaft vor Gericht
56 OLG Celle ZMR 2001, 642, 643. 57 BayObLG ZMR 2004, 606, 607; ZMR 2002, 689, 693. 58 OLG Hamm MZM 2003, 486, 487. 59 BayObLG ZMR 2004, 927, 926.
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V. Ermessen der Eigentümer 1. Grundlagen
Das WEG spricht vor allem den Eigentümern für Regelungen über den Gebrauch und sol-
che der Verwaltung Ermessen zu, §§ 15 Abs. 3, 21 Abs. 4 WEG. In der forensischen Pra-
xis und in den gängigen Kommentierung werden diese Vorschriften und der Begriff des
„Ermessens“ freilich nicht sauber vom Begriff der „Ordnungsmäßigkeit“ in §§ 15 Abs. 2, 21
Abs. 3 WEG getrennt. Vielfach wird in den Ermessenquellen §§ 15, Abs. 3, 21 Abs. 4
WEG verkürzend nur ein Anspruch auf Verwaltung erkannt60. Diese Deutung vernebelt
aber den jeweiligen Regelungsinhalt. Neben dem Anspruch auf Verwaltung geben §§ 15,
Abs. 3, 21 Abs. 4 WEG nämlich auch einen Hinweis darauf, wie primär die Funktionsträ-
ger/Organe und nur subsidiär das Gericht61 im Regelungsstreit zu entscheiden haben:
nämlich nach billigem Ermessen.
So gelesen haben diese Bestimmungen eine Doppelfunktion. Sie geben dem An-
spruchsteller einerseits einen Anspruch. Und sie bestimmen daneben nach welchen Krite-
rien der Anspruchsgegner (die anderen Eigentümer, ggf. aber auch der Verwalter oder der
Beirat) diesen Anspruch zu erfüllen haben. Diese Konstruktion ist interessant, weil bereits
§§ 15 Abs. 2, 21 Abs. 3 WEG für Beschlüsse einen Regelungsgehalt vorgeben: sie müs-
sen einer ordnungsmäßigen Verwaltung entsprechen. Das ist aber – wie ausgeführt –
nicht dasselbe. Denn während der unbestimmte Rechtsbegriff „ordnungsmäßigen Verwal-
tung“ einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterworfen ist, kann „billiges Ermessen“
nur auf Fehler hin untersucht werden. Stellt sich mithin die Auswahl als frei von Fehlern
dar, ist sie hinzunehmen. Entspricht ein Beschluss hingegen nicht ordnungsmäßiger Ver-
waltung, ist er aufzuheben.
Es ist wohl vor allem die Schuld der Rechtsprechung, diesen Zusammenhang und das
Zusammenspiel der an sich klaren Regelungen durch die Wahl willkürlicher Begriffe ve- 60 Deutlich Pick in Bärmann/Pick/Merle, 8. Aufl. 2000, § 15 WEG Rdnr. 30; Merle in Bärmann/Pick/Merle, 8.
Aufl. 2000, § 21 WEG Rdnr. 76; Lüke in Weitnauer, 9. Aufl. 2005, § 15 WEG Rz. 11 und § 21 WEG Rdnr.
21. 61 Eine Regelungsstreit wäre unzulässig, wenn der Anspruchsteller nicht zunächst versucht hätte, eine
Regelung der Eigentümer zu erlangen, Mansel in Weitnauer, 9. Aufl. 2005, § 43 WEG Rz. 1 a.E.
Ermessen im WEG Seite 22 von 36
runklart zu haben. Tatsächlich findet sich dort die hier vorgestellte, dem Gesetz zu Grunde
liegende und einfache Konstruktion nicht. Die Gerichte wählen statt dessen dem Gesetz
fremde und inhaltslose Begriffshüllen. Besonders unklar ist es, wenn die Rechtsprechung
von Beurteilungsermessen spricht. Beurteilungsspielräume werden nämlich gemeinhin für
die Tatbestandseite diskutiert. Beurteilungsspielraum ist dabei der der Verwaltung bei un-
bestimmten Rechtsbegriffen zustehende Auslegungsspielraum. Er ist ein Bereich eigener,
gerichtlich nicht überprüfbarer Wertung und Entscheidung der Verwaltung. Fallgruppen bei
denen ein Beurteilungsspielraum vorliegen kann, sind Prüfungs- und prüfungsähnliche
Entscheidungen, wertende Entscheidungen im Beamtenrecht durch weisungsfreie, mit
Sachverständigen und/oder Interessenvertretern pluralistisch besetzte Ausschüsse oder
Prognoseentscheidungen und Risikobewertungen im Technik-, Umwelt- und Wirtschafts-
verwaltungsrecht. Weitere Beispiele für Ermessen und Ordnungsmäßigkeit vermengende
Entscheidungen sind etwa:
• OLG Düsseldorf ZMR 1995, 554: ... bei der typischen Spannungslage zwischen dem
Grundrecht des einzelnen Wohnungseigentümers auf Informationsfreiheit und den Ei-
gentümerinteressen der übrigen Miteigentümer ist der Eigentümerversammlung jeden-
falls im Zusammenhang mit der Art und Weise der Installation einer solchen Parabol-
antennenanlage ein gewisses Direktionsrecht und Beurteilungsermessen zuzubilligen
(OLG Celle NJW-RR 1994, 977).
• OLG Saarbrücken ZMR 1998, 50: Gerade in einem solchen Fall, in dem es mehrere
Möglichkeiten gibt, wie das gemeinschaftliche Eigentum instandgehalten oder instand-
gesetzt werden kann, ist es Sache der Wohnungseigentümerversammlung, im Rah-
men des ihr insoweit zustehenden Beurteilungsermessens zu entscheiden, welche die-
ser Möglichkeiten gewählt werden soll.
• OLG Düsseldorf NZM 1999, 766, 767: Bei der Beschlussfassung über Sanierungs-
maßnahmen hat die Eigentümergemeinschaft einen Ermessensspielraum.
• OLG Düsseldorf ZMR 2003, 695, 696: Der Gemeinschaft ist bei der Entschließung wie
auch bei der Durchführung von Verwaltungsmaßnahmen ein gewisser Ermessensspiel-
raum zuzugestehen.
• OLG Frankfurt aM ZMR 2004, 290: Häufiger wird es … mehrere vertretbare Regelun-
gen geben. Ist das der Fall, steht der Wohnungseigentümergemeinschaft ein Beurtei-
Ermessen im WEG Seite 23 von 36
lungsspielraum62 zu, d. h. sie kann wählen, ob sie diese oder eine andere Maßnahme
ergreift oder unterlässt.
• BayObLG ZMR 2005, 337, 379: Die Wohnungseigentümer haben ein Beurteilungser-
messen, für welche Möglichkeit sie sich entscheiden wollen.
2. Ermessen aus anderen Gesetzen
Begründung und Grenzen des Eigentümerermessens sind nicht nur im WEG zu suchen.
Sie können auch aus einem anderen Gesetz folgen. So sind die Eigentümer etwa gem. §§
3, 4 HeizkostenV verpflichtet, den anteiligen Verbrauch der Nutzer an Wärme und Warm-
wasser zu erfassen. Die Beachtung kann nach § 21 Abs. 4 WEG von jedem Wohnungsei-
gentümer verlangt werden63. Dieser Anspruch gibt den Wohnungseigentümern auch ein
Recht auf Anbringung der Ausstattungen zur Verbrauchserfassung64. Insoweit besteht kein
Ermessen65. Hingegen räumt die HeizkostenV in § 7 Abs. 1 den Eigentümern etwa für die
Bestimmung der Gewichtung der Verbrauchsanteile (mindestens 50 %, höchstens 70 %)
ausdrücklich Ermessen ein. Die Besonderheit ist, dass durch eine Vereinbarung, nicht a-
ber durch einen Beschluss auch mehr als 70 % Verbrauchsanteile bestimmt werden kön-
nen, § 10 HeizkostenV.
3. Ermessensinhalte
Für die Eigentümer besteht Ermessen, ob sie eine zulässige Maßnahme überhaupt treffen
wollen (Entschließungsermessen). Sie können z.B. darüber entscheiden, ob sie dem Ver-
walter eine Anweisung erteilen, wie der seinen Aufgaben nachkommen soll66. Und es be-
62 So auch Briesemeister ZMR 1998, 321, 322: „Die Wohnungseigentümer haben einen weiten Beurtei-
lungsspielraum, ob sie einen Miteigentümer durch Prozess zur Veräußerung seines Wohnungseigen-
tums zwingen wollen. Die Ablehnung eines Eigentümerbeschlusses nach § 18 Abs. 3 WEG ist deshalb
gerichtlich nur dahin überprüfbar, ob die Verweigerung außerhalb dieses Beurteilungsspielraums liegt und damit Grundsätzen ordnungsmäßiger Verwaltung widerspricht, KG WuM 1996, 299“.
63 BayObLG, GE 1988, 1235. 64 BayObLG WuM 2003, 100, 101. 65 Jennißen, Verwaltabrechnung, 5. Aufl. 2004, V Rdnr. 7. 66 KG NJW-RR 1996, 526, 527.
Ermessen im WEG Seite 24 von 36
steht Ermessen, welche von mehreren zulässigen Maßnahmen sie im Fall des Tätigwer-
dens ergreifen wollen (Auswahlermessen). Die Wohnungseigentümer haben bei der Ver-
waltung des gemeinschaftlichen Eigentums also ebenso wie bei der Regelung seines
Gebrauchs ein aus ihrer Verwaltungsautonomie entspringendes Ermessen, was Notwen-
digkeit und Zweckmäßigkeit einer Regelung angeht. Billigem Ermessen entspricht dabei,
was dem geordneten Zusammenleben in der Gemeinschaft und dem Interesse der Ge-
samtheit der Wohnungseigentümer dient67. Soweit das Gesetz den Eigentümern Ermes-
sen einräumt, müssen sie alle für und gegen eine Maßnahme sprechenden Umstände
abwägen68. Vertretbare Mehrheitsentscheidungen sind dann aber hinzunehmen69. Es
kommt also nicht darauf an, dass eine Regelung, ggf. aus Sicht einer Minderheit, in jeder
Hinsicht notwendig und zweckmäßig ist70: Denn mehrere Maßnahmen können ermessens-
fehlerfrei sein. Die Wohnungseigentümer können in diesem Falle wählen, für welche Mög-
lichkeit sie sich entscheiden wollen71. Kommen mehrere Maßnahmen in Betracht, ist es
alein Sache der Wohnungs- und Teileigentümer, in der Versammlung der Eigentümer eine
Auswahl zu treffen und zu beschließen72. Die Raumeigentümer können damit zwischen
mehreren möglichen Alternativen wählen und müssen weder zwangsläufig die aufwän-
digste noch die kostengünstigste wählen73. Einzelfälle für dieses so beschriebene Ermes-
sen der Wohnungseigentümer sind etwa:
• Einführung einer Verfallklausel74
• Ausbesserung oder Totalerneuerung75
• Aufstellung der künftigen Gesamteinnahmen und -ausgaben im Wirtschaftsplan76
• Bemessung der Höhe einer Sonderumlage77 67 OLG Köln NJW-RR 2004, 1310, 1311; NZM 1998, 870. 68 BGH ZMR 2003, 937, 941 [Kaltwasserzähler]; Armbrüster ZWE 2002, 145, 149; Bub ZWE 2001, 457,
459. 69 OLG Düsseldorf WuM 1999, 352; WE 1991, 251. 70 OLG Hamburg WE 1993, 87 71 BayObLG NJW-RR 2004, 1378; BayObLGZ 1985, 164, 167; OLG Saarbrücken WE 1998, 69, 71. 72 BayObLG ZMR 2004, 927, 92. 73 BayObLG ZMR 2004, 927, 926; ZMR 2003, 951; OLG Düsseldorf WuM 1999, 35.2 74 BGH ZMR 2003, 943, 946; ZMR 2003, 937. 75 BayObLG Beschl. v. 17.11.2004, 2Z BR 172/04. 76 BayObLG WE 1989, 64, 65 = WuM 1988,329
Ermessen im WEG Seite 25 von 36
• Höhe der Instandhaltungsrücklage78
• Einführung des Digitalfernsehens
• Einbau von Türschlössern
• Beschneidung einer Hecke79
• Ruhezeiten80
• Auszahlung von Guthaben aus Jahresabrechnung81
• Fassadenrenovierung82
• Wiederwahl des Verwalters83
• Aufstellung der künftigen Gesamteinnahmen und -ausgaben im Wirtschaftsplan84
4. Grenzen a. Allgemeines
Das Eigentümerermessen wird primär durch das Gesetz, Vereinbarungen, Gerichtsbe-
schlüsse und andere Beschlüsse eingeengt, §§ 10 Abs. 2, Abs. 3, 15 Abs. 2, 3 und 21
Abs. 3 und 4 WEG85. Eine gesetzliche Begrenzung folgt etwa, wenn eine Maßnahme – wie
der Einbau von Kaltwasserzählern – gesetzlich vorgeschrieben ist. Daneben kommen all-
gemeine Erwägungen in Betracht: z. B. bei Nachrüstung von Kaltwasserzählern eine Kos-
ten-Nutzen-Analyse86, grobe Unbilligkeit i. S. v. § 242 BGB, das Diskriminierungsverbot87 77 BayObLG NJW-RR 1998, 1096; KG ZMR 1997, 154. 78 OLG Düsseldorf NZM 2002, 959. 79 BayObLG NJW-RR 2004, 1378. 80 BGH NJW 1998, 3713 = ZMR 1999, 41; BayObLG ZMR 2002, 605, 606. 81 KG Beschluss vom 25.2.2004, 24 W 285/01. 82 BayObLG ZMR 2004, 927, 926 = MietRB 2005, 9. 83 OLG Hamburg ZMR 2005, 71. 84 BayObLG WE 1989, 64, 65 = WuM 1988, 329. 85 BGH ZMR 2003, 937, 941. 86 Jennißen ZMR 2004, 564.
87 BGH ZMR 1999, 41, 44: Eine Ungleichbehandlung ist nicht von dem der Wohnungseigentümergemein-
schaft bei der Beschlussfassung zustehenden Ermessensspielraum gedeckt. Ihr Selbstorganisations-
recht geht nicht so weit, durch Mehrheitsbeschluss einzelne Störer gegenüber anderen ohne sachlichen
Grund zu bevorzugen. Die Gebrauchsregelung darf nicht willkürlich sein, sondern muss in den Grenzen des billigen Ermessens unter Beachtung des Gebotes der allgemeinen Rücksichtnahme in Abwägung
der allseitigen Interessen erfolgen; andernfalls ist Einstimmigkeit erforderlich.
Ermessen im WEG Seite 26 von 36
oder Rechtsmissbrauch88, die Treuepflicht (keine Sondervorteile, keine Sondernachteile),
Verträge (z.B. Verteilung der Kosten für die Nutzung eines Kabelanschlusses nach Einhei-
ten89) und der Kernbereich des Wohnungseigentums.
b. Insbesondere Zweitbeschlüsse und Öffnungsklauseln
Nach der Rechtsprechung90 darf von einer Öffnungsklausel zur Änderung einer Vereinba-
rung nur dann Gebrauch gemacht werden, wenn ein sachlicher Grund vorliegt und einzel-
ne Wohnungseigentümer gegenüber dem früheren Rechtszustand nicht unbillig benachtei-
ligt werden91. Gleiches gilt für Zweitbeschlüsse. Nach der gesetzlich nicht abgesicherten
Rechtsprechung ist auch in diesem Falle die Beschlusskompetenz eingeengt: Nach der
Rechtsprechung kann also jeder Wohnungseigentümer verlangen, dass ein neuer Be-
schluss schutzwürdige rechtliche Belange aus Inhalt und Wirkungen des Erstbeschlusses
berücksichtigt92; rein tatsächliche Vorteile sind hingegen irrelevant93. Wo die diffuse Gren-
ze zwischen rechtlichen und bloß tatsächlichen Vorteilen zu ziehen ist und was schutz-
würdige Belange sind oder wann ein Interesse (Vertrauen) vernachlässigt werden kann,
muss freilich noch geklärt werden. Die einzuhaltenden Grenzen richten sich wohl nach den
Umständen des Einzelfalles94. Ein rechtlicher Vorteil ist etwa angenommen worden, wenn
durch einen Erstbeschluss einer baulichen Veränderung zugestimmt wurde, die nicht ord-
nungsmäßiger Verwaltung entsprach95 oder durch den Erstbeschluss eine Ermächtigung
erteilt worden war96. Kein schutzwürdiger rechtlicher Vorteil soll hingegen angenommen
88 BGH NJW 1998, 3713; BayObLG ZMR 2002, 605, 606 [Musizierverbot]. 89 OLG Hamm ZMR 2004, 774, 775; Hogenschurz ZMR 2003, 901, 902. 90 BGH ZMR 1995, 34 = NJW 1994, 3230; BGHZ 95, 137 = NJW 1985, 2832; 74, 258, 268; 54, 65, 68;
BayObLGZ 1990, 107, 109. 91 OLG Hamm ZMR 2004, 852. Offen ist, was gilt, wenn der Beschluss benachteiligend ist, vom Benachtei-
ligten oder Dritten aber nicht angefochten wird. Das BayObLG (NotBZ 2005, 260, 261) geht von Unwirk-
samkeit aus. Die h.L. ist a.A., siehe für alle Häublein/Lehmann-Richter NotBZ 2005, 262. 92 Grundlegend BGH ZMR 1991, 146, 147; ferner z.B. OLG Frankfurt aM MietRB 2005, Heft 9 mit Anm.
Elzer. 93 OLG Saarbrücken ZMR 1998, 50, 52. 94 BGH ZMR 1991, 146, 147 = MDR 1991, 517. 95 OLG Düsseldorf ZMR 2001, 130, 131. 96 OLG Köln ZMR 2001, 387, 389.
Ermessen im WEG Seite 27 von 36
werden können, wenn ein Erstbeschluss aufgehoben werden soll, dem ein vereinba-
rungswidriger Kostenverteilungsschlüssel zu Grunde lag97. Legt die Eigentümergemein-
schaft fest, dass zur Prüfung von Regressansprüchen ein selbstständiges Beweisverfah-
ren durchgeführt werden soll, werden durch einen Zweitbeschluss, mit dem der frühere
Beschluss aus Gründen der Kostenersparnis aufgehoben wird, keine schutzwürdigen indi-
viduellen Belange eines Wohnungseigentümers aus Inhalt und Wirkung des Erstbeschlus-
ses verletzt98.
c. Überschreitung
Ermessen ist überschritten, wenn Eigentümer gleiche Sachverhalte verschieden behan-
deln. Auch eine Ungleichbehandlung ist nicht von dem der Wohnungseigentümergemein-
schaft bei der Beschlussfassung zustehenden Ermessensspielraum gedeckt. Ihr Selbstor-
ganisationsrecht geht nicht so weit, durch Mehrheitsbeschluss einzelne Störer gegenüber
anderen ohne sachlichen Grund zu bevorzugen. Die Gebrauchsregelung darf nicht willkür-
lich sein, sondern muss in den Grenzen des billigen Ermessens unter Beachtung des Ge-
botes der allgemeinen Rücksichtnahme in Abwägung der allseitigen Interessen erfolgen99;
andernfalls ist Einstimmigkeit erforderlich100.
5. Sonderfälle
Stimmen alle Eigentümer einer Maßnahme zu, ist zu fragen, ob noch (aus Sicht Dritter) ein
Ermessensmangel vorliegen kann. Jedenfalls für allstimmige Beschlüsse könnte nämlich
anderes gelten101. Das wäre dann der Fall, wenn die Eigentümer insoweit Definitionsmacht
besäßen, was „richtig“ ist. Jedenfalls für das Ermessen würde ich das bejahen. Liegt Ge-
meinschaftseigentum vor, weil das mit den Miteigentumsanteilen von zwei Speichern ver-
bundene Sondereigentum wegen eines Widerspruchs zwischen Teilungserklärung und
Aufteilungsplan nicht entstanden ist, besteht im Übrigen ein gegen die übrigen Wohnungs- 97 OLG Hamm ZMR 2003, 286, 289; zw. 98 KG FGPrax 2000, 10 = WuM 2000, 88 = NZM 2000, 552. 99 BGH ZMR 1999, 41, 44. 100 BayObLGZ 1972, 109, 113 = ZMR 1972, 224; BayObLGZ 1973, 267. 101 Kümmel ZWE 2001, 516, 518.
Ermessen im WEG Seite 28 von 36
und Teileigentümer gerichteter Anspruch auf Begründung von Sondereigentum, das mit
den isolierten Miteigentumsanteilen verbunden werden kann102. Welche Sondereigentums-
flächen den einzelnen Miteigentumsanteilen zuzuweisen sind, bemisst sich auch hier nach
den Grundsätzen von Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Interesses der Ge-
samtheit der Miteigentümer nach billigem Ermessen.
102 BGH NZM 1998, 955, 957; BayObLG ZMR 2001, 40, 41.
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VI. Ermessen des Verwaltungsbeirats
Auch der Verwaltungsbeirat, der sich nach dem Gesetz aus Eigentümern zusammensetzt,
besitzt als Teil der Verwaltung Ermessen. Hierzu kann auf die Ausführungen zum Verwal-
ter und den Eigentümern verwiesen werden. Hat die Eigentümergemeinschaft z.B. über
das „Ob“ einer Sanierungsmaßnahme und über den Kostenrahmen beschlossen, verstößt
es dennoch gegen die Grundsätze ordnungsmäßiger Verwaltung, wenn die Eigentümer-
gemeinschaft die Auswahl, das „Wie“, des zu beauftragenden Unternehmers aus den vor-
handenen Kostenangeboten und die Einzelheiten des Farbanstrichs dem Ermessen des
Verwaltungsbeirats durch Beschluss überträgt103. Es handelt sich um eine Übertragung
von Kompetenz, die nur im Wege der Vereinbarung zulässiger Weiser auf den Verwal-
tungsbeirat verlagert werden kann. Ein entsprechender Beschluss ist allerdings nur geset-
zeswidrig, und daher nicht nichtig, sondern anfechtbar.
103 KG, ZMR 2004, 622, 623
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VII. Gerichtliche Überprüfung
Das Ermessen der Eigentümer ist einer gerichtlichen Regelung weitgehend entzogen104.
Das Gericht kann nur prüfen, ob gesetzlich eingeräumte Handlungsspielräume angemes-
sen ausgefüllt worden sind. Seine Aufgabe ist nicht, eigene etwa abweichende Wertungen
uneingeschränkt an die Stelle der Wertung der Wohnungseigentümergemeinschaft zu set-
zen. Dem Bemühen der Wohnungseigentümer, jeweils zumutbare praktikable Lösungen
des Miteinander zu finden, ist dadurch Rechnung zu tragen, dass die Kontrolle auf Miss-
brauchsfälle beschränkt und das Ermessen der Beteiligten akzeptiert wird105. Die Gerichte
sind deshalb darauf beschränkt, die Ermessensentscheidung der Eigentümer auf Ermes-
sensfehler hin zu überprüfen. Sie dürfen ihr Ermessen aber nicht an die Stelle desjenigen
der Eigentümer setzen. Ein Gericht kann daher nicht prüfen, ob die Eigentümer für ein
Problem die „optimale Lösung“ gefunden haben106. Es kommt auch nicht darauf an, ob
eine Regelung in jeder Hinsicht notwendig und zweckmäßig ist107. Ob eine Entscheidung
rechtmäßig ist, bestimmt sich allein danach, ob Ermessen fehlerfrei ausgeübt worden ist.
Das ausgeübte Ermessen ist nur hinsichtlich seiner Voraussetzungen und Grenzen nach-
prüfbar. Zu fragen ist also, ob die Eigentümer die Grenzen des ihnen eingeräumten Er-
messens überschritten haben. Insbesondere aber, ob sie wesentliche Gesichtspunkte au-
ßer acht gelassen, sich mit den Denkgesetzen in Widerspruch gesetzt oder sonst von ih-
rem Ermessen einen dem Sinn und Zweck des Gesetzes widersprechenden Gebrauch
gemacht hat. Ein richterlicher Eingriff in Regelungen der Wohnungseigentümer, insbeson-
dere auch deren Abänderung und Ersetzung durch eine andere Regelung, kommt somit
nur dann in Betracht, wenn außergewöhnliche Umstände ein Festhalten an einem Be-
schluss oder einer Vereinbarung als grob unbillig und damit als gegen Treu und Glau-
104 BGH NZM 1998, 955, 957; BayObLG WuM 1999, 536 = NZM 1999, 504; Riecke HambGE 1999, 406. 105 OLG Hamburg ZMR 2001, 997, 999; ZMR 2000, 478, 479; OLG Düsseldorf WuM 1999, 352, 353; OLG
Celle DWE 1994, 111, 113 = WE 1994, 371. 106 Riecke HambGE 1999, 406. 107 OLG Hamburg WE 1993, 87.
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ben108 verstoßend erscheinen lassen. Hinzunehmen ist daher, dass immer entspricht nur
die kostengünstigste Alternative ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht109.
Bei der Prüfung der Ordnungsmäßigkeit von Verwaltungsmaßnahmen ist auf den Kennt-
nisstand der beschließenden Wohnungseigentümergemeinschaft abzustellen110. Spätere
Erkenntnisse über die Angemessenheit der Verwaltungsmaßnahme können weder eine
ursprünglich ordnungsmäßige Maßnahme als ordnungswidrig erscheinen lassen noch
umgekehrt eine zunächst ordnungswidrig erscheinende Maßnahme angesichts der weite-
ren tatsächlichen Entwicklung ordnungsgemäß werden lassen. Stellt sich beispielsweise
eine beschlossene Sanierungsumlage auf Grund der späteren Bauausführung als erheb-
lich zu hoch oder zu niedrig dar, kann die Ungültigerklärung des Umlagebeschlusses im
gerichtlichen Verfahren nicht auf die späteren und besseren Erkenntnisse gestützt werden.
Vielmehr bleibt der ursprüngliche Umlagebeschluss gültig, wenn er nach den Erkenntnis-
möglichkeiten im Zeitpunkt der Beschlussfassung ordnungsmäßiger Verwaltung ent-
spricht. Bei einer späteren abweichenden Entwicklung haben die Wohnungseigentümer
ggf. die Möglichkeit und auch die Verpflichtung, durch einen Korrekturbeschluss den ur-
sprünglichen Eigentümerbeschluss zu modifizieren111.
108 BGH NZM 1998, 955, 957. 109 Vielmehr ist darauf abzustellen, ob der durch die Maßnahme verursachte finanzielle Aufwand im Hinblick
auf die finanziellen Verhältnisse der Wohnungseigentümer vertretbar ist. 110 BayObLG MietRB 2005, 208 mit Anm. Elzer. 111 KG Beschluss vom 25.2.2004, 24 W 285/01.
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VIII. Gerichtliches Ersetzung von Verwaltungsermessen (Regelungsstreitigkeit) 1. Grundlage
Nach § 21 Abs. 4 WEG kann jeder Wohnungseigentümer eine Verwaltung verlangen, die
den Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit solche nicht bestehen, dem Interesse
der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Kommt ein
an sich notwendiger Beschluss der Eigentümer nicht zustande, etwa
• keine Beschlüsse über Wirtschaftsplan und Jahresabrechnung112,
• keine Jahresabrechnung113 oder kein Wirtschaftsplan,
• keine Gebrauchs114- und Nutzungsregelung115, z.B. Regelung der Stellplatzvergabe116
• keine Verteilung der Kosten jenseits von § 16 Abs. 2 WEG
• keine Entscheidung über Vollmacht/Verfahrensstandschaft
• keine Klarheit bei der Beauftragung von Rechtsanwälten
• keine Entscheidung zur Hausordnung117,
• keine Markierung von Parkflächen118
• kein Verwalter (§ 26 Abs. 3 WEG)
kann ein Miteigentümer als letztes Mittel die gerichtliche Ersetzung des Beschlusses ver-
langen. Sind über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus Regelungen zum Gemein-
schaftsverhältnis erforderlich weil die Eigentümer eine Selbstorganisation unterlassen und
ihr Ermessen ordnungswidrig nicht ausgeübt haben (Ermessensnichtgebrauch) und kön-
nen sich die Beteiligten darüber nicht einigen, entscheidet nach §§ 43 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2,
15 Abs. 3, 21 Abs. 4 WEG der Richter nach billigem Ermessen im Rahmen der materiell-
112 KG NJW-RR 1991, 463. 113 KG NJW-RR 1992, 1298. 114 OLG Hamburg ZMR 2004, 933, 934 für einen Stellplatz im Vorgarten und eine notwendige Entschädi-
gung. 115 BayObLG NJW-RR 1987, 1490, 1491. 116 KG ZMR 1994, 379 = NJW-RR 1994, 912. 117 OLG Hamm OLGZ 1969, 278 = NJW 1969, 884; Keuter, FS Deckert 2002, S. 199, 206. 118 BayObLG NJW-RR 1987, 1490, 1491.
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rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften des WEG über eine Ersatzregelung119.
Geboten ist also eine gerichtliche Gestaltung, die mit Rechtskraftwirkung die zu veranlas-
senden Maßnahmen ersetzend anstelle der Gemeinschaft festlegt120. Weigert sich die Ei-
gentümer z.B., trotz gravierenden Parkplatzmangels eine Zuteilungsregelung zu treffen, ist
eine turnusmäßige Parkplatzvergabe durch richterliche Gestaltung, etwa durch Anordnung
eines jährlichen Losverfahrens, angezeigt. Die Voraussetzungen für ein gerichtliches Ein-
greifen sind weniger streng, wenn es nicht um die Abänderung oder Ersetzung bestehen-
der Regelungen, sondern um deren Ergänzung durch zusätzliche Gebrauchs- oder Ver-
waltungsregelungen geht121. Auch bei der Entscheidung darüber ist aber die Verwaltungs-
autonomie der Wohnungseigentümer zu beachten; eine ergänzende oder ersetzende ge-
richtliche Regelung wird nur dann in Betracht kommen, wenn sie als für das Zusammenle-
ben der Wohnungseigentümer unverzichtbar oder dringend geboten erscheint, wenn also
gewichtige Gründe für sie sprechen und im Rahmen des dem Gericht eingeräumten Ent-
scheidungsermessens nur eine einzige Entscheidung als richtig erscheint122. Denn ande-
renfalls wäre es bei der Vielzahl der denkbaren sinnvollen oder zweckmäßigen Verhal-
tensregeln einem einzelnen Wohnungseigentümer möglich, die Gemeinschaft ständig mit
der Forderung nach weiteren Regelungen zu überziehen und der Mehrheit seinen Willen
aufzuzwingen123. Beispiel: Ein Wohnungseigentümer kann durch eine gerichtliche Ent-
scheidung grundsätzlich kein Rauchverbot in den gemeinschaftlichen Räumen durchset-
zen, wenn die Gemeinschaft schon eine Hausordnung mit Verhaltensregeln für solche
Räume hat und der Antrag, einen entsprechenden Eigentümerbeschluss zu fassen, mit
großer Mehrheit abgelehnt worden ist.
2. Subsidiarität
119 BGH ZMR 2002, 762, 763; ZMR 1995, 483; NJW 1992, 978 = ZMR 1992, 167 ; KG Beschluss vom
25.2.2004, 24 W 285/01; BayObLG NJW-RR 1988, 1164; MDR 1981, 937; Bassenge MDR 2004, 78, 82. 120 KG WE 1993, 221 = OLGZ 1994, 27; WE 1991, 326. 121 BayObLG WuM 2005, 475, 477. 122 BayObLG WuM 1999, 536 = NZM 1999, 504, 506. 123 Vgl. BayObLG WuM 1999, 536, 538 = NZM 1999, 504.
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Gerichtliches Ermessen ist allerdings subsidiär124. Für eine gerichtliche Geltendmachung
und einen Antrag auf richterliche Gestaltung nach § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG iVm § 21 Abs. 4
WEG besteht kein Rechtsschutzbedürfnis, solange die Eigentümer mit der Maßnahme
nicht befasst waren125. Es müssen daher besondere Voraussetzungen erfüllt sein, um ein
Rechtsschutzbedürfnis für einen außerordentlichen, die Funktionsabgrenzung des ge-
schriebenen Rechts überschreitenden staatlichen Eingriff annehmen zu können. Der An-
tragsteller eines solchen Verfahrens muss, um zulässigerweise den Gestaltungsantrag
stellen zu können, zuvor im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren alles versucht ha-
ben, eine dem Gesetz entsprechende Tätigkeit des primär zuständigen Beschlussorgans
zu erreichen, nämlich der Wohnungseigentümerversammlung. Eine Ausnahme gilt dort,
wo eine Befassung der Eigentümer aussichtslos und unzumutbar und damit eine unnötige
Förmelei wäre126. Die Durchführung eines Vorschaltverfahrens ist entbehrlich, wenn auf-
grund besonderer Umstände feststeht, dass das Begehren des antragstellenden Miteigen-
tümers in einer Eigentümerversammlung mit Sicherheit keine Mehrheit gefunden hätte127.
Anders verhält es sich bereits, wenn etwa auf Grund des Fehlverhaltens des Versamm-
lungsleiters eine ordnungsgemäße, eine Diskussion aller stimmberechtigten Eigentümer
ermöglichende Eigentümerversammlung nicht stattgefunden hat oder etwa aus einer ge-
wissen zeitlichen Verzögerung keine ernstlichen Nachteile zu befürchten sind und dem
Antragsteller deshalb eine nochmalige Befassung der Eigentümerversammlung zugemutet
werden kann128. Dabei wird die Dringlichkeit der verlangten Verwaltungsmaßnahme zu
beachten sein, etwa wenn es um den Erlass eines Wirtschaftsplans oder eines Beschlus-
ses über eilige Reparaturmaßnahmen geht. Wegen der Festlegung der gegenseitigen Bei-
tragspflichten besteht aber auch an der Bestätigung einer Jahresabrechnung oder einer
Sonderumlage ein gewichtiges Bedürfnis. Dieses hat jedoch zurückzutreten, wenn inhaltli-
che Mängel der Beschlussvorlage erkennbar sind und nach Behebung von Bedenken der
ablehnenden Mehrheit eine positive Beschlussfassung der Gemeinschaft nicht ausge-
schlossen erscheint. Die Ersetzung von Eigentümermaßnahmen durch gerichtliche Ent- 124 KG ZMR 1999, 509 = ZWE 2000, 40. 125 OLG Hamm WE 1996, 33; LG Köln ZMR 2005, 311. 126 OLG Düsseldorf WE 1991, 242. 127 BayObLG NJW-RR 1986, 445; OLG Stuttgart OLGZ 1977, 433. 128 KG NJW-RR 1989, 976 = GE 1989, 787.
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scheidung kann nur letztes Mittel sein. Die eigenverantwortliche Gestaltung der Woh-
nungseigentümer muss demgegenüber vorrangig bleiben.
3. Änderung eines Beschlusses
Eine Entscheidung des Gerichts nach billigem Ermessen ist bei einem Beschlussanfech-
tungsverfahren unzulässig129. Im Verfahren nach § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG ist das Gericht
nicht befugt, gestaltend oder ändernd in Beschlüsse einzugreifen130.
129 BayObLG WuM 1995, 62, 64. 130 BayObLG ZMR 1999, 495, 496; WE 1995, 245, 246.
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IX. Originäres richterliches Ermessen
Gerichtliches Ermessen kommt vor allem bei einstweiligen Anordnungen, § 44 Abs. 3
WEG, und bei Kostenentscheidung gem. § 47 WEG in Betracht. Daneben hat das Gericht
gem. § 43 Abs. 2 WEG Ermessen, sowie bei der Bestellung eines Notverwalters hat das
Gericht ein Auswahlermessen131. Diese jeweiligen Ermessensentscheidungen sind von
einem Beschwerdegericht nur eingeschränkt daraufhin überprüfbar, ob die tatsächlichen
Voraussetzungen des Ermessens vorlagen und das Gericht hiervon fehlerfreien Gebrauch
gemacht hat132, nicht auf ihre Angemessenheit und Zweckmäßigkeit133.
131 OLG Düsseldorf MDR 2000, 1126. 132 OLG Düsseldorf MDR 2000, 1126; Staudinger/Wenzel, 12. Aufl. 1997, § 45 WEG Rdnr. 39. 133 BayObLG MDR 1991, 443; Rpfleger 1990, 300, 301 m.w.N.; NJW 1988, 1919, 1920.