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Florian Zenger Examinatorium Medizinrecht Sommersemester 2016 Fall 12a

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Florian Zenger

Examinatorium Medizinrecht

Sommersemester 2016

Fall 12a

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Fall 12a – Sachverhalt

Florian Zenger

Sachverhalt

Die 18-jährige, noch bei ihren Eltern lebende F ist ungewolltschwanger. Sie will innerhalb der Zwölf-Wochen-Frist nachBeratungslösung die Schwangerschaft abbrechen. Dazu sucht sie nochin der 12. Schwangerschaftswoche den Arzt Dr. A auf, der ihr nachVorlage einer Bescheinigung nach § 219 II 2 StGB eine sogenannte„Abtreibungspille“ Mifegyne aushändigt. Gerade als F zur Einnahmeder Pille ansetzt, stürmt ihre Mutter, die katholische Aktivistin M, insBehandlungszimmer. Sie entreißt der F – die versucht, die Pillefestzuhalten – die Pille und droht der F, „sie auf die Straße zu setzen“,wenn sie nicht sofort mit nach Hause komme. F tut, wie ihr geheißenund verbringt die darauffolgenden zwei Tage wegen angeordneten„Zimmerarrests“ eingesperrt in ihrem Zimmer. Da die Zwölf-Wochen-Frist nun abgelaufen ist, entschließt F sich, das Kind zu behalten.

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Fall 12a – Sachverhalt

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Als sich die ersten Wehen ankündigen, begibt sich F zur Geburt in einKrankenhaus. Nachdem die Eröffnungswehen eingesetzt haben,entdeckt der die Geburt betreuende Arzt Dr. B eine Wasserköpfigkeit(Hydrocephalus) des Kindes und stellt fest, dass F das Kind aufgrundder Größe des Kopfes nicht im Wege der natürlichen Entbindung zurWelt bringen kann. Auch ein Notkaiserschnitt ist bei F wegen ihrerkörperlichen Konstitution ausgeschlossen. Das Leben der F kann nurdurch eine sogenannte „Perforation“ vor der Entbindung gerettetwerden. Dazu punktiert Dr. B unter Ultraschallsicht den Kopf desKindes, um Flüssigkeit zu entfernen und so den Kopf zu verkleinern.Dieses Vorgehen führt in 90 % der Fälle zum Tod des Kindes, was Dr.B weiß und billigend in Kauf nimmt. Das Kind hätte ohne diePerforation maximal 24 Stunden länger gelebt.

Strafbarkeit der Beteiligten nach dem StGB?

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Fall 12a – Lösung

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Lösung

Erster Tatkomplex: Die verhinderte Abtreibung

I. Strafbarkeit der F durch das Ansetzen zum Einnehmen der Pille gem. §§ 218 I, III, 22, 23 I StGB (versuchter Schwangerschaftsabbruch)

1. Vorprüfung

a) keine Vollendung

− Zwar späterer Eintritt des Todes des Kindes

− dass das Kind zum Zeitpunkt des Todes bereits als Mensch zu beurteilenden ist, steht einem Erfolg iSd§ 218 StGB nicht entgegen (etwa wenn der Tod des späteren Menschen durch eine vorsätzliche

Abbruchshandlung noch während der Schwangerschaft verursacht wird: kein

§ 212, sondern § 218)

− aber: späterer Tod des Kindes beruht nicht auf der Handlung der F � Kausalität (–)

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b) Strafbarkeit des Versuchs

− grundsätzliche Strafbarkeit des Versuchs: § 218 IV 1 StGB (+)

− zwar keine Strafbarkeit der Schwangeren selbst gem. § 218 IV 2

− aber: § 218 IV 2 StGB ist persönlicher Strafausschließungsgrund (§ 28 II StGB) � erst nach der Schuld zu prüfen (etwaige Teilnahme an der versuchten Tat bleibt dann trotz Straffreiheit der Haupttäterin möglich)

� Vorprüfung (+)

2. Tatbestand

a) Tatentschluss

aa) Tatobjekt: Leibesfrucht

(Abgrenzung zu „Mensch“ iSv§§ 211 ff.)

� nach allen Ansichten (+), da Geburt weder begonnen noch beendet

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bb) Tathandlung/Taterfolg

Def.: Abbrechen der Schwangerschaft = jede Handlung, die durch unmittelbare oder mittelbare Einwirkung auf die Leibesfrucht deren Tod herbeiführt

� Embryo soll durch Einnahme der „Mifegyne“ (Abtreibungspille) getötet und dessen Abgang bewirkt werden (+)

b) unmittelbares Ansetzen

Ansetzen zur Einnahme der Pille (+)

c) Tatbestandsausschluss gem. § 218a I StGB

− § 218a I Nr. 1: Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der F und nach Vorlage einer Bescheinigung nach § 219 II 2 StGB (+)

− § 218a I Nr. 2: Vornahme durch einen Arzt (+)

− § 218a I Nr. 3: Einhaltung der 12-Wochen-Frist (+)

� Tatbestand (–) bei dennoch bestehender Rechtswidrigkeit der Tat

(außerdem: persönlicher Strafausschließungsgrund des § 218 IV 2 StGB:

die Schwangere selbst wird nicht wegen Versuchs bestraft)

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2. Ergebnis:§ 218 StGB (–)

II. Strafbarkeit des A gem. §§ 218 I, IV 1, 25 II, 22, 23 I StGB (versuchter Schwangerschaftsabbruch) durch das Übergeben der Pille

1. Vorprüfung

− keine Vollendung (+), s.o.

− Strafbarkeit des Versuchs: § 218 IV 1 StGB (+)

2. Tatbestand

a) Tatentschluss: Vorsatz bzgl.:

aa) Abbruch einer Schwangerschaft (+), s.o.

bb) (mit)täterschaftlicher Verwirklichung?

− keine eigenhändige Verwirklichung (sondern Einnahme der Pille durch F)

− Zurechnung der Handlung der F zu A gem. § 25 II ?

• gemeinsamer Tatplan (+)

• gemeinsame Tatausführung?

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Lit: Tatherrschaftslehre: Zentralgestalt des Geschehens, wesentliche Funktion?

− Zwar hat A „nur“ das Mittel für F zur Verfügung gestellt

− allerdings war F diesbezüglich wesentlich auf A angewiesen, ohne den Arzt wäre sie nicht an das Mittel gekommen

− auch bei der Einnahme der Pille beherrschende Stellung des A (Überwachung der Einnahme; in seiner Praxis)

� Tatherrschaft (+) (aA vertretbar)

Rspr: subjektive Theorie auf objektiv-tatbestandlicher Grundlage

− Kriterien u.a. objektive Tatherrschaft/Wille zur Tatherrschaft

� Täterwille (+) (aA gut vertretbar)

� Tatentschluss (+)

Anm.: wenn eine täterschaftliche Verwirklichung abgelehnt wird, wäre anschließend

eine Strafbarkeit wegen Beihilfe zum versuchten Schwangerschaftsabbruch zu

prüfen.

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b) unmittelbares Ansetzen (+) durch Überreichen der Pille

c) Tatbestandsausschluss gem. § 218a I StGB (+), s.o. (Fristenlösung)

2. Ergebnis:§§ 218, 25 II, 22 (–)

III. Strafbarkeit der M gem. § 240 I, II StGB (Nötigung) durch Entreißen der Pille

1. Tatbestand

a) objektiver Tatbestand

aa) Nötigungsmittel: Gewalt

Def.: Körperlich wirkender Zwang, um geleisteten oder erwarteten Widerstand zu überwinden

� hier: Entreißen der Pille (+)

bb) Nötigungserfolg: Handlung, Duldung oder Unterlassung

� hier: Duldung der Wegnahme der Pille (+)

cc) finale Verknüpfung zwischen aa) und bb) (+)

b) subjektiver Tatbestand: Vorsatz (+)# 9

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2. Rechtswidrigkeit

a) Verwerflichkeitsprüfung, § 240 II StGB

Zweck: Verhinderung des fristgemäßen Schwangerschaftsabbruchs gegen den Willen der F: verwerflich, da Missachtung des Selbstbestimmungsrechts der F (+)

(aA vertretbar angesichts der „Rechtswidrigkeit“ des Schwangerschaftsabbruchs)

b) Rechtfertigung durch Nothilfe zugunsten des Embryos, § 32 StGB?

aa) Nothilfelage: gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff

(1) Angriff

= jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung eines notwehrfähigen Rechtsguts

� hier: (versuchter) Schwangerschaftsabbruch durch F und A (+)

(2) Gegenwärtig

= unmittelbar bevorstehend, gerade stattfindend oder noch andauernd

� hier (+), unmittelbar bevorstehend

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(3) Rechtswidrig?

= im Widerspruch zur Rechtsordnung

− zwar „Tatbestandsausschluss“ wegen § 218a StGB

− aber: nach BVerfG soll Rechtswidrigkeit des Abbruchs durch § 218a I nicht beseitigt werden

� Rechtswidrigkeit (trotz Tatbestandsausschluss) (+)

(aA aufgrund der Inkonsistenzen der BVerfG-Urteils (Rechtswidrigkeit aber

dennoch Ausschluss des Notwehrrechts gegen Schwangerschaftsabbrüche) und

der Gesetzesbegründung vertretbar)

bb) Nothilfehandlung

(1) gegen den Angreifer gerichtet (+)

� Nötigungshandlung gegen F als Täterin des §§ 218, 22 gerichtet (+)

(2) Erforderlich (+)

� kein milderes, gleich wirksames Mittel zur sofortigen Abwendung des Angriffs (+), auch Einsatz von Gewalt wohl notwendig, da F die Pille festzuhalten versuchte

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(3) geboten (–)

− Zweck der Beratungslösung: Lebensschutz durch Anreiz für Schwangere, die „ergebnisoffene“ (mit möglichem straffreien Schwangerschaftsabbruch) Beratung in Anspruch zu nehmen, um Flucht in die Illegalität zu verhindern

− Zweck würde konterkariert, wenn jedem Dritten ein Notwehrrecht zugunsten des Embryos eingeräumt würde

� Gebotenheit (–)

cc) Nothilfe (–)

c) Rechtfertigung durch Notstandshilfe, § 34 StGB?

aa) Notstandslage (+), gegenwärtige Gefahr für Leibesfrucht

bb) Notstandshandlung?

(1) Erforderlichkeit (+)

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(2) Interessenabwägung: wesentliches Überwiegen des geschützten Interesses?

− Ungeborenes Leben: nach h.M. bereits dem geborenen Leben gleichwertiger Schutz (zweifelhaft)

− Willensentschließungsfreiheit der F

� wesentliches Überwiegen des Lebensrechts (+)

(3) Angemessenheit (–)

− gewaltsames Verhindern eines Schwangerschaftsabbruchs kein angemessenes Mittel

− Entscheidung des Gesetzgebers, in diesen Konstellationen auf Zwang zu verzichten, würde konterkariert, ließe man Zwangsweise Durchsetzung des Lebensrechts des Embryos durch Private zu

� Notstandshilfe (–)

d) Zwischenergebnis: Rechtswidrigkeit (+)

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3. Schuld

a) entschuldigender Notstand, § 35 StGB

h.M.: ungeborenes Leben kein notstandsfähiges Rechtsgut iSd. § 35 (nur geborenes Leben)

� Notstandslage (–)

Anm.: Wenn man an dieser Stelle (vertretbar) ein Rechtsgut des § 35 StGB bejaht,

müsste man

1. in dem Embryo eine angehörige Person der M im Sinne der §§ 11 I Nr. la, 35

sehen, was angesichts der Verwandtschaft (M wäre Großmutter des Kindes)

vertretbar erscheint (sofern eine „Person“ bereits angenommen werden kann), sowie

2. über das Erfordernis der Unzumutbarkeit der Hinnahme der Gefahr

hinwegkommen,

um den entschuldigenden Notstand zu bejahen

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b) übergesetzlicher entschuldigender Notstand (–)

− kein übergesetzlicher Notstand wegen außergewöhnlicher Konfliktsituation

− auch religiöse Überzeugung der M kann nicht berücksichtigt werden (eindeutige gesetzgeberische Entscheidung gegen die zwangsweise Verhinderung von Schwangerschaftsabbrüchen)

c) Zwischenergebnis Schuld (+)

4. Ergebnis: § 240 StGB (+)

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IV. Strafbarkeit der M gem. § 240 I, II StGB (Nötigung) durch Drohung mit Rausschmiss aus der Wohnung

1. Tatbestand

a) objektiver Tatbestand

aa) Nötigungsmittel: Drohung mit einem empfindlichen Übel

= Inaussichtstellen eines empfindlichen, also zur Beeinflussung des Opferverhaltens im Sinne des Drohenden geeigneten, Übels, auf das der Drohende Einfluss zu haben vorgibt

� hier: Inaussichtstellen des Rausschmisses aus der Wohnung, also mit empflindlichem Übel, auf das M Einfluss zu haben vorgibt (+)

bb) Nötigungserfolg: Handlung, Duldung oder Unterlassung

� Handlung: nach Hause mitgehen (+)

cc) finale Verknüpfung zwischen aa) und bb) (+)

b) subjektiver Tatbestand: Vorsatz (+)

2./3. Rechtswidrigkeit/Schuld (+), s.o.

4. Ergebnis:§ 240 StGB (+)

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V. Strafbarkeit der M gem. § 239 StGB (Freiheitsberaubung) durch Zimmerarrest

1. Tatbestand

a) objektiver Tatbestand (+)

Tathandlung: Einsperren

Def.: Verhindern des Verlassens eines (beweglichen oder unbeweglichen Raumes durch äußere Vorrichtungen oder sonstige Vorkehrungen

� hier (+), Einsperren im Zimmer der F

b) subjektiver Tatbestand: Vorsatz (+)

2. Rechtswidrigkeit (+), s.o.

3. Schuld (+), s.o.

4. Ergebnis:§ 239 StGB (+)

VI. Konkurrenzen erster Tatkomplex

− A und F haben sich nicht strafbar gemacht

− M ist gem. §§ 240, 240, 239, 53 (Tatmehrheit) strafbar

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Zweiter Tatkomplex: Bei der Geburt

I. Strafbarkeit des B gem. § 218 StGB (Schwangerschaftsabbruch) durch die Perforation

1. Objektiver Tatbestand

Tatobjekt: Leibesfrucht

Problem: Abgrenzung Leibesfrucht – Mensch:

− MM: Beendigung der Geburt, arg.: o Wortlaut „Mensch“ in Abgrenzung zu „Ungeborenem“, Art. 103 II GG

o hM führt zu unlösbaren Rechtsgutskonflikten bei Problemen während der Geburt

− hM: Beginn der Eröffnungswehen, arg.: o § 217 a.F.: Tötung eines Kindes „in“ der Geburt bereits als Tötungsdelikt; mit

Streichung d § 217 aF keine Änderung der Rechtslage bezweckt

o sorgfältige Durchführung gebursthilflicher Maßnahmen (hohes Schädigungspotential) sicherzustellen durch Fahrlässigkeitsstrafbarkeit während der Geburt (kein fahrlässiger § 218)

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� Streitentscheid für h.M., Tatobjekt (–)

2. Ergebnis: § 218 StGB (–)

Anm.: Würde hier der MM gefolgt, wäre der Tatbestand des § 218 zu bejahen und

das Problem der Lebensgefahr für die F unter die medizinisch-soziale Indikation des

§ 218a II zu subsumieren, der die Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs

entfallen lässt.

II. Strafbarkeit des B gem.§§ 212, 211 StGB (Mord) durch die Perforation

1. Tatbestand

a) objektiver Tatbestand

aa) Grundtatbestand des § 212

(1) Tatobjekt Mensch (+), da Tathandlung nach Beginn der Eröffnungswehen, Abgrenzung zu Ungeborenem s.o.

(2) kausale und obj. zurechenbare Tötung (+)

bb) Mordmerkmal der Heimtücke

(–) wegen konstitutioneller Arglosigkeit von Kleinstkindern

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cc) Zwischenergebnis: Der Tatbestand des § 212 ist erfüllt, § 211 scheidet aus.

b) subjektiver Tatbestand: Vorsatz

dolus eventualis (+), Tod des Kindes zwar nicht beabsichtigt, auch kein sicheres Wissen (nur 90% der Fälle tödlich), aber Tod wurde billigend in Kauf genommen

2. Rechtswidrigkeit

a) Notwehr, § 32 StGB

− Zwar geht Gefahr von dem Kind und damit von einem Menschen aus

− allerdings keine Handlung � Angriff (–)

b) rechtfertigende Pflichtenkollision

(–), da keine Kollision von zwei Handlungspflichten (sondern Unterlassungspflicht bzgl Tötung des Kindes mit Handlungspflicht bzgl. Rettung der Mutter)

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c) rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

aa) Notstandslage: gegenwärtige Gefahr für notstandsfähiges Rechtsgut

(+), Gefahr für Leben der F

bb) Notstandshandlung

(1) Erforderlichkeit

(+), Perforation war erforderlich, um Leben der F zu retten

(2) Interessenabwägung?

Problem: Gleichwertigkeit der Rechtsgüter (Lebenswertindifferenz, keine Abwägung Leben gegen Leben), jedenfalls kein wesentliches Überwiegen des geschützten Rechtsguts über das beeinträchtigte

� Konstellation des Defensivnotstands:

− Abweichung vom Normalfall des Aggressivnotstands (Eingriff in Rechtsgüter eines Unbeteiligten, um Gefahr abzuwenden)

− Fall des Defensivnotstands: Vergleichbarkeit der Konstellation mit Notwehr einerseits (zwar kein Angriff, aber Gefahr geht von einer Person aus) und zivilrechtlichem Defensivnotstand bzgl. Sachen (§ 228 BGB) andererseits

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Dogmatische Lösung der Problematik des Defensivnotstands strittig:

− hL: Rechtfertigung nach § 34 (+)

− „Interessenabwägung“ iSd§ 34 keine abstrakte Rechtsgüterabwägung, sondern Gesamtwürdigung unter Einbeziehung aller Umstände

− Das Ausgehen der Gefahr vom Kind kann als Abwägungsfaktor in der Interessenabwägung ebrücksichtigt werden und diese zugunsten des Lebens der Mutter verschieben

� Rechtfertigung (+)

− aA: Rechtfertigung durch übergesetzlichen Notstand (+) mit Abwägungsmaßstab des § 228 BGB (geschütztes Rechtsgut muss weder wesentlich noch überhaupt überwiegen, kann auch hinter angegriffenem Rechtsgut zurückbleiben)

− Rechtfertigung nach § 34 (–), 34 passt mit Erfordernis des „wesentlichen Überwiegens“ des geschützten Rechtsguts nur auf Konstellation des aggressiven Notstands

(arg. dagegen: Maßstab des § 228 BGB nicht sachgemäß, da es hier nur um Angriffe auf Sachen geht)

� Rechtfertigung (+)

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− MM: Beginn des Menschseins erst mit Beendigung der Geburt, danach wäre hier tatbestandlich kein Tötungsdelikt, sondern § 218 erfüllt und es könnte § 218a II (medizinisch-soziale Indikation) als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden

(diese Ansicht wurde oben schon abgelehnt)

− MM: Rechtfertigung (–), aber dann ggf Entschuldigung per übergesetzlichem entschuldigenden Notstand

Arg. dagegen: dem Arzt würde in solchen Fällen die Begehung eines rechtswidrigen Tötungsdelikts bei bloßer Entschuldigung zugemutet, was einerseits ein Notwehrrecht gegen die Perforation zuließe und andererseits unter Wertungsgesichtspunkten unangemessen erscheint

� Streitentscheid gegen letzten beiden Auffassungen

� Rechtfertigung (+), ob durch § 34 oder durch übergesetzlichen, rechtfertigenden Notstand kann dahinstehen

d) Zwischenergebnis: Rechtswidrigkeit (–)

3. Ergebnis:§§ 212, 211 (–)

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Anm.:

Wenn die Rechtswidrigkeit bejaht wird, wäre in der Schuld § 35 StGB zu prüfen und

mangels nahestehender Person zu verneinen. Dann sollte aber auf einen

übergesetzlichen entschuldigenden Notstand abgestellt werden.

Anschließend käme auch eine (zwar entschuldigte) Teilnahme durch F in Betracht,

etwa als psychische Beihilfe gem. §§ 212, 27 StGB, allerdings bestehen hier im

Sachverhalt zu wenig Anhaltspunkte hierfür (von einer Einwilligung seitens der F ist

zwar auszugehen, allerdings fehlen genauere Informationen über deren objektive

Wirksamkeit als Förderung der Tat des B)

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