filmab! 2007 #4

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ausgabe 4 5./6. mai 2007 begleitzeitschrift zum filmkunstfest MV Interview mit Ingo Rasper Ein guter Film ist eine Achterbahnfahrt

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Ausgabe 4 - 5./6. Mai 2007 Das unabhängige Magazin zum 17. filmkunstfest Schwerin. Herausgegeben vom Jugendmedienverband MV.

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ausgabe 45./6. mai 2007

begleitzeitschrift zum filmkunstfest MV

Interview mit Ingo Rasper

Ein guter Film ist eine Achterbahnfahrt

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editorial impressum Seite 2

LeitungIna Diedrich [id], Anne-Christin Mook [acm]

KontaktKlöresgang 419055 SchwerinTel: (01 78) 615 74 71E-Mail: [[email protected]]Homepage: [ http://filmab.jmmv.de ]

V.i.S.d.P.Anne-Christin Mook

BildredaktionFalko Richter [fr]

LayoutCaroline Arndt [ca], Katharina Bluhm [kb]

Titelbildkaren by grafikjungs.de

RedaktionFelicia Schneiderhan [fa],Johannes Haefke [joh], Marco Herzog [mah], Juliane Linke [jul], Carolin Weidner [caw], Anne-Christin Kozian [ack],Frank French [ff],

Belichtung und Druckc/w Obotritendruck, Münzstr. 319055 Schwerin

Auflage650Ausgabe04/2007

impressum

Die filmab! ist eine unabhängige Begleitzeitschrift desJugendmedienverbandes MV e.V. zum filmkunstfestMecklenburg-Vorpommern.

Die Meinung der Autoren muss nicht mit der Meinung derRedaktion übereinstimmen. Wir danken der Friedrich-Ebert-Stiftung, DJV-MV, Falkos Eltern, Carlines Mama,Falkos Mitbewohnern, Detlev Lüth, Marko Zeglin, MariekeSobiech, Moe, Karen Obenauf, Herrn Piper, den Falken,Landesjugendring MV, Hospiz-Verein Schwerin,Obotritendruck

Das Endevom Anfang

Wussten wir es doch: Alles hat ein Ende (und ja, dieWurst hat zwei). Mit Regisseur Ingo Rasper („ReineGeschmackssache“) auf dem Titel unserer heutigenAusgabe beenden wir ein weiteres tolles Jahr filmab! und stürzen zurück in die Freiheit. Für dieChefredaktion heißt das dann, auch endlich malwieder aus der Wohnung gehen zu können (jaja, abund an waren wir auch auf dem Balkon). Es war wieder ein Festival mit Filmen, die unsnachdenklich stimmten, Musik, die uns bewegte,und Ausstellungen, die uns die Augen öffneten.

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inhalt Seite 3

editorial/ impressum 02inhalt 03programm 16

film

KF Fair Trade 04LR Buddy 05LR Nachbarn 07LR Auf der Jagd nach dem

Nierenstein 06Offside 09Die Syrische Braut 10

LR Schildkröten können fliegen 11

NDR Brennendes Herz 12Amercan HC 13

kunst

Der gespiegelte Blick Selbst-portrait Frida Kahlo 15

fest

Interview Rasper 08Superfamily 14

inhaltWährend diese Zeitung aus dem Druck kommt, sit-zen wir am Zippendorfer Strand beim Filmemacher-brunch. Mit unserem Essen im Schoß und derSonnebrille auf der Nase verfolgenden wir den hinund her sausenden Volleyball der Mannschaften,über die Hasso Hartmann am Eröffnungsabendbereits sprach, und planen unsere Taktik. Dennim nächsten Jahr wollen wir auch mit von der Partie sein und nicht mehr nur mit Worten um unsschlagen.

Und bis es soweit ist, erklären wir Pizza á la Erik(Banane und Schinken) zum filmab!-Redaktions-gericht und stärken uns bereits jetzt für die kom-mende FKF-Saison damit.

Die filmab!-Redaktion sagt tschüss und verabschie-det sich bis zum nächsten Jahr!

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tiert. Doch da, ein Schimmern -- das Boot der Zoll- undGrenzbeamten. Ein Handzeichen von Nico und derFährmann hält das Boot an. Schnell wirft der Schmugglerdie Tasche über Bord. Am nächsten Morgen, bei der Warenübergabe in Spanien,erklärt Nico Miriam dann, dass sie auf ein neues Kind war-ten müsse. Miriam ist über Nicos plötzliche Einsicht, dasKind bei seiner leiblichen Mutter zu lassen überrascht underfreut. Sie zahlt die zweite Rate und geht. Michael Dreher zeigt in seinem Kurzfilm „Fair Trade“ einThema, das schockiert. Menschenhandel ist eines derschlimmsten Verbrechen, das zu dauerhaften psychi-schen Problemen bei den Opfern führt und sie ständigihre Identität hinterfragen lässt. Aber auch die Täter wer-

den mit der Unmenschlichkeit diesesHandels konfrontiert. So steht Miriam imZwiespalt zwischen ihrem Egoismus undethischen Prinzipien. Das unterscheidetsie von Nico, der sich nicht für dieGefühle der Betroffenen interessiert.[joh]

film KF Fair Trade Seite 4

Die Deutsche Miriam kann sich ihrenKinderwunsch nicht erfüllen. Sie beschließtsich illegal ein Kind aus Afrika zu kaufen undfährt nach Afrika, um das Kind und derenMutter zu sehen und den Handel abzuschlie-ßen. Als sie das Kind sieht, bezahlt Miriambereits die erste Rate an den Schmuggler.Doch als sie der Mutter gegenüber tritt, wirdihr klar, dass diese das Kind gar nicht weg-geben will. Hysterisch schreiend und umsich schlagend versucht die Mutter sich ihrKind zurück zu erkämpfen. Als Miriam dassieht, plagen sie Gewissenbisse und siestellt sich die Frage, ob es wirklich richtig ist,einer Mutter ihr Kind wegzunehmen, auchwenn es dann unter besseren Umständenaufwächst.Nachts am marokkanischem Strand.Schmuggler Nico stapft mit einer kleinen,dunkelgrünen Reisetasche am Ufer entlang.Der Mann im Holzboot wartet schon auf ihn.Die See ist stürmisch und ein kalter Windpfeift ihnen um die Ohren. Nicht mehr langeund die heiße Ware aus Afrika ist über dieStraße von Gibraltar nach Europa transpor-

Ein unmoralisches Angebot

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film LR Buddy Seite 5

Um Erinnerungen, persönliche Gedanken und Gefühle der Vergänglichkeit zu ent-reißen, legen sich viele Menschen ein Tagebuch an. Dies kann aus Notizen, Fotosoder Webblogs bestehen. Auch Kristoffer führt Tagebuch, ein Videotagebuch, über sich und seine zwei WG-Mitbewohner Geir und Stig Inge. Darin hält er tagtäglich seine diversenGeistesblitze und deren Ausführungen fest, so zum Beispiel den Beweis, dass dasTrinken verdorbener Milch, deren Konsistenz derer von Frischkäse schon bemer-kenswert nahe kommt, nicht zwangsläufig zu Gesundheitsschäden führen muss.Auch scheuen sich die Jungs nicht, sich aus erheblicher Höhe auf einenMatratzenhaufen fallen zu lassen.Per Zufall kommen die Tapes zu einem Fernsehsender, dessen Pläne geplatztwaren und dem der Lückenfüller somit gerade recht kommt. So wird KristoffersTagebuch zu einem nationalen Erfolg, doch mit den hirnrissigen Aktionen werdenauch die persönlichen Konflikte der einzelnen Charaktere der breiten Öffentlichkeitauf dem Präsentierteller dargeboten: Kristoffer läuft seiner Ex-Freundin nach, ver-liebt sich aber auch zeitgleich in die neue WG-Mitbewohnerin Henriette und hatdie Qual der Wahl. Klein Martin lernt seinen Papa Geir via Fernsehbildschirm ken-nen. Und der Vater erfährt, dass sein Sohn bereits zur Grundschule geht. Stig Ingedagegen leidet lediglich an einer U-Bahn-Neurose. Nun nimmt alles seinen ganz gewöhnlichen Gang. Die Freunde streiten sich undKristoffer versucht zu retten, was noch zu retten ist. Zum Schluss haben sichnachher auch alle wieder lieb. „Buddy" von Morton Tyldum ist einer von den sechs Filmen der LänderreiheNorwegen. Und eine spritzige Komödie mit viel Witz und Charme. [joh]

Camera obscura

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film LR Auf der Suche nach dem Nierenstein Seite 6

Wie SimonzumBlutsbruder wurde

Der menschliche Körper ist einMysterium und auch noch nachJahren der medizinischenForschung stellt er uns immer wie-der vor neue Fragen. Was passiert,wenn man lacht? Warum schmecktSchokolade so süß und Medizin sobitter? Und warum verliebt mansich eigentlich? Auch Simon stehtvor einem Rätsel als sein Opanachts mit schrecklichenSchmerzen aufwacht. Er will hel-fen, weiß aber nicht wie. SeinFreund, der Teddy, kann da Abhilfeschaffen. Er braut Simon mit Hilfedes magischen Chemiebaukastenseinen Trank, mit dem dieser mikro-skopisch klein wird, so durch denMund des Opas in dessen Körpergelangt und der Ursache derSchmerzen auf den Grund gehenkann. In der Mundhöhle begegneter an einer Speicheldrüse dem wei-ßen Blutkörperchen Karta undwenig später in der Lunge demroten Blutkörperchen Alvoela.Zusammen begeben sie sich aufeine abenteuerliche Reise durchden Körper. Auf dem Weg von derLunge zum Herzen, über die

Fettzentrale (Galle), den Magen und Blinddarm zur Harnblase müssen sievielen Gefahren trotzen, so z.B. den Salzhackern, die den gesamten Körperdes Opas zu zerstören drohen. Hilfe erhalten sie dabei von Organismen wiedem Sekretservice, den Kammermusikern oder der Sammelstelle fürArbeitslose im Blinddarm. Und schließlich entdecken sie, dass Wasser nichtnur Ursprung, sondern auch Retter allen Lebens ist.Mit viel Sensibilität, einem sagenhaften Bühnenbild und fantastischenMasken erklärt die Regisseurin durch ihren Film „Auf der Jagd nach demNierenstein“, wie Teamwork der einzelnen Organismen im menschlichenKörper funktioniert. Es ist eine wunderbare Reise auf die uns Vibeke Idsöemitnimmt. Auf spannender Entdeckungstour durch den Körper können alleetwas lernen -- ob Jung oder Alt. Auch, dass mehrfach ungesättigteFettsäuren noch lange kein Garant für ein glückliches Leben sind. [ack]

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film LR Nachbarn Seite 7

Tür anTür

Ein Schrank wird zur Seite geschoben, eine Tür fällt ins Schloss, ein Schlüssel wird herumgedreht. Wieder sind sie allein -- Johnund seine Nachbarinnen Anne und Kim. Er solle etwas Schweres rücken helfen, hatte Anne am ersten Tag gesagt; er solle aufihre Schwester aufpassen am nächsten -- nur für 10 Minuten, nur für die Länge eines Besorgungsganges. Kim hätte doch sofurchtbare Angst seit dem Überfall. Und dann liegt eben diese Kim unter ihm. Sie schlafen miteinander, ihre Gesichter sind blut-besudelt, Kims Lippe ist aufgerissen, von den Wunden seines Gesichtes tropft Blut auf das ihrige. Irgendwann hatten sie ange-fangen zuzuschlagen; irgendwann nachdem Kim die Geschichte von den drei Klempnern, die sie von vorne und hinten nahmen,erzählt hatte; irgendwann nach ihrem endlosen Irren durch klaustrophobische Gänge, durch Zimmer voller Müllsäcke und dunk-le Flure hinter verschlossenen Türen. Tags darauf braucht es keinen weiteren Grund, John in die Nachbarwohnung hinüber zubeten. Freiwillig kehrt er zu den Nachbarinnen und deren perfidem Spiel zurück, begibt sich erneutin den endlosen Irrgarten ihrer Wohnung. Einzig die immer wiederkehrende Erinnerung Johns an

den letzten Besuch seiner Exfreundin Ingrid --den Besuch, bei dem sie ihre Sachen abholenwollte und ihr Neuer draußen im Auto wartete --unterbricht sequenzenhaft seinen Aufenthalt inder Nebenwohnung.Mauern entstehen an Orten, wo vorher nochFlure waren. Tauben lassen sich auf einemBettlaken nieder, unter dem sich menschlicheKonturen abzeichnen. Erinnerungsfragmentevervollständigen sich mehr und mehr...Pal Sletaunes Film „Nachbarn“ ist ein kafka-esker Horror-Thriller voller Drastik undDeutlichkeit. Strudel von Bildern, schwerelo-se Bewegungen zwischen Realität,Wahnvorstellung und Erinnerung halten 78gnadenlose Minuten lang gefangen -- 78Minuten, die tief in die Magengegend tref-fen. [jul]

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fest Interview Rasper Seite 8

Capitol Schwerin: 14.12 Uhr. Wo ist Benjamin Heisenberg?Nach orientierungslosem Umherirren auf der Suche nachbesagtem Kandidaten, treffen wir rein zufällig auf IngoRasper, Regisseur von „Reine Geschmacksache“ undMitglied der Kurzfilm-Jury. Ein improvisiertes Interview, ausdem sich ein nettes Gespräch entwickelte.

Aus Ihrer Filmerfahrung heraus, wie sieht ihrer Meinung

nach der ideale Film aus?

Im günstigsten Fall ist ein Film wie eine Achterbahnfahrt. DerZuschauer muss lachen können, muss wütend sein können,darf auch erschreckt werden und Trauer fühlen. Ihm mussrundum etwas geboten werden und er soll aus dem Film miteinem tollen Gefühl rausgehen. Sie sind auf dem diesjährigen Filmkunstfest sowohl

Teilnehmer als auch Jurymitglied. Welche Rolle ist denn

entspannender?

Die Filmemacherrolle ist immer mit Druck verbunden, weilman nicht weiß, wie der eigene Film ankommt. In derKurzfilm-Jury zu sitzen ist eine Ehre und macht Spaß.Haben Sie schon einen Favoriten unter den Kurzfilmen

im Wettbewerb?

Ja, ich hab Favoriten und war sehr beeindruckt von allenKurzfilmen. Wir haben inzwischen unsere Entscheidung getrof-fen und waren alle der Meinung, dass es eine große Masse vonFilmen gibt, die sehr, sehr gut und auf einem hohen Niveau sind.Heißt das, dass es keine Enttäuschungen gab?

Es sind zwei, drei Filme dabei, die nicht zur oberen Schichtgehören, da sie etwas experimenteller sind, aber durch andereAspekte ihre Berechtigung im Wettbewerb haben.Gab es innerhalb der Jury auch Diskrepanzen?

Klar es ist illusorisch zu denken, dass innerhalb einer Jury jedereinen Film gleich beurteilt. Wir waren uns bei den meistenFilmen einig, aber es gab auch einige, bei denen die Meinungenextrem auseinander gingen. Die Filme, um die es die hartenDiskussionen gab, gehören allerdings nicht zu den Gewinnern.

Eine letzte Frage zu ihrer Regiearbeit „Reine

Geschmacksache": Wie sind Sie auf die Idee gekommen

über diese Thematik einen Film zu drehen? Haben Sie frü-

her auch in einer spießigen Reihenhaussiedlung gewohnt?

Ja und wie Karsten im Film musste ich meinen Vater auchimmer viel durch die Gegend fahren. [fa / caw]

Ein guter Film ist eine Achterbahnfahrt

Feli und Caro plaudern mit Ingo Rasper.

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film Offside

Euphorie aus dem AbseitsKann die Euphorie eines Fußballspiels den

Sittenkodex einer Gesellschaft außer Kraftsetzen?

In Teheran spielt der Iran gegenBahrain um die Qualifikation zur

Weltmeisterschaft 2006.Das ganze Land ver-

folgt das Spiel -- insStadion aber dürfennur Männer. Trotzdemversuchen einigeFrauen ohne Beglei-tung mit allen Tricksauf die Tribüne zu kom-men. So mimen sie

etwa einen Blinden odergelangen in Soldatenuniform

durch die Kontrollen. Ein paarMädchen fliegen jedoch auf und

werden unter Arrest gestellt. Eskommt zu einer leidenschaftlichen

Diskussion zwischen den Frauen undden Soldaten, die das Spiel beaufsichti-

gen, weil die jungen Frauen sich nichtvorschreiben lassen wollen, was sie zu tun

haben. Weil die Mädchen das Spiel nicht live ver-folgen können, ermutigen sie erfolgreich einengelangweilten Soldaten, das Spiel für sie zu kom-mentieren. Es breitet sich Euphorie unter denSoldaten und Mädchen aus, die sogar währendder Fahrt zur Polizeistation anhält. Nach demSieg des Iran ist in Teheran der Teufel los undplötzlich wird das Polizeiauto nicht mehrbewacht...Die gekonnt gestrickten Dialoge zeigen dieQualität von „Offside“, der an nur einem Tag ge-dreht wurde. Wie auch in seinen letzten Filmenengagierte Regisseur Jafar Panahi Laiendarstel-ler und schärft auf amüsante Weise den Blick füralltägliche Paradoxien. Er vermeidet eine sarksti-sche Darstellung der Verhältnisse, weil der Filmdurch die iranische Zensurbehörde genehmigtwerden muss und Iraner im Kino gerne unterhal-ten werden wollen. Nichtsdestotrotz schafft esPanahi eindrucksvoll, die aufwachsende, emanzi-pierte Generation von Frauen ins Bild zu setzen,die sich gegen den Sittenkodex stellen, um z.B.an der Euphorie eines öffentlichen Fußball-Spielsteilhaben zu können. [ff]

Seite 9

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film Die Syrische Braut Seite 10

Eine Hochzeit ist etwas Fantastisches. Auf der ganzen Welt hei-raten Menschen im Sari, im muslimischen Gewand, im weißenKleid oder in Haute Couture. Es wird gefeiert, getanzt, getrun-ken und gesungen. Doch bei der Frage ums Eingemachtescheiden sich die Geister der Kulturen: Heirat aus Liebe oderHierarchie? „Die syrische Braut“ steht verzweifelt vor einererdrückenden Wand, die sich arrangierte Ehe nennt. Im Ange-sicht der Eheschließung mit einem für sie völlig Unbekanntenwird sie von Zweifeln und der Angst vor Enttäuschung geplagt.Zu allem Überfluss ist ihre bevorstehende Heirat eine grenz-überschreitende zwischen Israel und Syrien. Basierend aufeiner gewissenhaft und konsequent geschürten Fehde der bei-den Kontrahenten ist diese Heirat für die Brauteine Einbahnstraße. Mit demersten

Fuß, den sie auf syrisches Land setzt, lässtsie ihre Familie und ihre israelische Welt fürimmer zurück. Der Zuschauer begleitet die syrische Braut andiesem Tag, der den Umsturz ihres Lebensbedeutet, und taucht ein in eine Welt, die derunseren so gar nicht ähnelt. Eine Welt, in derdas patriarchalische Selbstverständnis denAlltag der Frauen regiert, ein Sohn sichwegen der Heirat mit einer Ausländerin inUngnade stürzt und eine ganze Hochzeit

wegen eines einzigen Stempels zu scheiterndroht. Sehr realitätsnah dargestellt, istdieser Film keine Kritik am islamischenSystem, sondern schleudert seine tödli-chen Geschosse vielmehr in RichtungBürokratie, die durch ihre rationaleInflexibilität jede Vernunft undMenschlichkeit außer Kraft setzt. EinStempel, nationale Engstirnigkeit unddie Arbeitszeiten beamteterArbeitskräfte stehen als überwindba-res Hindernis buchstäblich zwischenBraut und Bräutigam. Dieser Filmhebt sich vor allem durch seinen

subtilen Tiefgang hervor und durchseine unaufdringliche Art den Zuschauer mit-fühlen zu lassen. Empfehlenswert, alleinschon durch den kleinen Einblick, den er unsin eine fremde Kultur ermöglicht. [fa]

Kein Weg zurück

Page 11: filmab! 2007 #4

„Ich brauche Kinder zum Minensammeln für mein Land.“ Kak Satellit,Anführer einer Kindergruppe, der selbst nicht älter als 15 Jahre alt ist,schickt dem Fordernden fünf Kinder auf die Anhöhe. „Aber die habendoch fast alle keine Hände mehr!“ -- „Das macht nichts, die haben keineAngst mehr. Das sind die Besten.“ Da bleibt selbst dem abgebrühtestenGeschäftsmann der Mund offen stehen. Ganz zu schweigen vomDurchschnittsemotionalen. Doch wer besonders zart besaitet ist, solltesich spätestens nach den ersten Filmminuten aus dem Staub machenund sich in Sicherheit bringen. Denn dieser Film nimmt kein Blatt vorden Mund. Er schlägt dem luxusverwöhnten, westlichen Zuschauer mit-ten ins Gesicht. Unweigerlich öffnet er einen schwarzen, monströsenAbgrund vor dem Europäer, den dieser bislang sorgfältig auf Distanzgehalten hat. Doch genau das macht den dokumentarischen und auf-klärerischen Wert dieses Spielfilms aus. Durch gnadenlose Authentizitätöffnet er seinem Publikum, sei es willentlich oder unwillentlich, dieAugen. Rücksichtslos wird dieses mit einer Welt konfrontiert, in derKrieg und Chaos herrschen. Eine Welt im Umbruch zwischen dem Sturzdes Diktators und der amerikanischen Invasion. Dieser Film thematisiertdas Nahost-Problem vor allem aus der Sicht der irakischen Kinder.Denn im irakischen Kurdengebiet müssen sich die Dorf- undFlüchtlingskinder selbst in Gruppen organisieren, um sich ihr täglichesÜberleben zu sichern. Die meisten von ihnen sind Waisen und durchTretminen verstümmelt. Das Minensammeln ist ihre einzige Möglichkeitzu überleben. Emotional und körperlich geschunden trotzen sie mutigder Armut, der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit. Der Zuschauerverlässt den Kinosaal sprachlos und voller Hochachtung vor denKindern des Krisengebietes, die in einer Welt, für die es sich nicht zukämpfen lohnt, um ihr Überleben ringen. [fa]

Seite 11film Schildkröten können fliegen

Tanzdes

Todes

Page 12: filmab! 2007 #4

film NDR Brennendes Herz Seite 12

Der Kinosaal verdunkelt sich langsam, zwei jungeFrauen sind auf der Suche nach Plätzen;eine der beiden setzt sich neben mich, die anderesetzt sich weiter unten hin.Nach zweijähriger Gefängnishaft wird der wegenBrandstiftung verurteilte Neonazi Kurt wieder ausdem Gefängnis entlassen. Er kommt zurück inseine Heimatstadt und wird am Bahnhof gleich vonBomber, seinem besten Freund, mit köstlichem Bieraus Plasteflaschen empfangen. Für den Anfangkann er bei seinem Kameraden wohnen, wirdjedoch schon auf dem Weg zur Wohnung in eineSchlägerei mit ansässigen türkischen Bewohnernder norddeutschen Stadt involviert. Er trifft alte undneue Kameraden, die ihm zunächst skeptischgegenüberstehen, denn die lange Trennung schufAbstand. Er gehört einfach nicht mehr dazu. Trotzallem wird erst einmal gemeinschaftlich die Kehlebefeuchtet. Im Suff wird ein türkisches Café undnebenbei auch ein vermeintlich leerstehendesLagerhaus angezündet.

Kameradenschwein

Doch plötzlich kommen Schreie aus dem obersten Stock. Hin- undher gerissen zwischen Fluchtgedanken und Menschlichkeit entschei-det sich Kurt dazu, in das Haus zu stürmen und die junge TürkinRecha vor dem Feuertod zu retten.Ihr Bruder schöpft Verdacht, dass Kurt an der Schlägerei beteiligt warund verbietet Recha kurzerhand den Kontakt zu ihm. Im Laufe desFilms entwickelt sich eine Romanze, die sowohl bei KurtsKameraden, als auch bei Rechas Familie auf Ablehnung stößt. AberLiebe kann alle Schranken überwinden. Ein Film über Freundschaftund Verrat, Liebe und Hass, Leben und Tod.Der Vorhang schließt sich, das Licht geht an und ein Mann mitMikrofon tritt vor die Leinwand. Er bittet die beiden anwesendenSchauspielerinnen und den Regisseur nach vorn, um ein paarZuschauerfragen zum Film zu beantworten. Neben mir erhebt sichIvan Subay, weiter unten Ingeborg Westphal und Regisseur ManfredStelzer. [mah]

Page 13: filmab! 2007 #4

film American Hardcore Seite 13

Die USA sind zu Beginn der achtziger Jahre gespalten. Dieafroamerikanische Minderheit und die Frauenbewegung stre-ben in die Politik. Mit dem neuen Präsidenten Reagan endetdiese Bewegung schlagartig. Als dann noch die Wirtschaftstagniert, zieht sich ein Teil der Mittelklasse zurück in eine50er-Jahre-Fantasie. Man trägt wieder Cardigans undSweater, und preist den Amerikanischen Traum vom aufstre-benden und glücklichen Leben. Ein anderer Teil derBevölkerung wehrt sich gegen diese Fantasievorstellung --ausgerechnet die Kinder dieser Mittelklasse. Viele Musiker der Szene kommen in dem Dokfilm „AmericanHardcore“ zu Wort. Aufnahmen von Auftritten dokumentierendas lebhafte und radikale Bild dieser Jugendbewegung.Von Beginn an werden Jugendliche mit der Musik ihren Frustauf Autoritäten und ihre Umgebung los. Chris Foley von SSDbeschreibt es als "Teil des Erwachsenwerdens". Musik vonJungs, über Jungs, für Jungs. Die Bands spielen auf

Hauspartys und geben kleine Auftritte. Sie grenzen sich vonder neonfarbenen Pop-Idylle ab. Ihre Musik muss dreckigklingen, Melodien werden verdammt. Die Musik soll nicht imRadio gespielt werden. Bad Brains, Black Flag und anderegehen zum Kern (core) der Musik und spielen ihn so schnellund hart (hard) wie nur möglich. Die Texte kämpfen gegenden Zeitgeist: Kein Lächeln, kein Sonnenuntergang, keinHändchen halten. Reagan ist böse und alle Autoritäten, diemit dem Finger zeigen und den amerikanischen Traum ausle-ben, ebenfalls.In Los Angeles und in Washington DC bilden sich lebhafteHardcore-Szenen. Die Konzerte werden größer, die

Gewaltbereitschaft bleibt. Das Ausmaß von Schlägereien, vonder ersten Stunde an Teil des Hardcore, wird so wild, dass diePolizei immer öfter eingreift. Die Musiker der ersten Stundewerden erwachsen und ziehen sich zurück. „Es hörte einfachauf - an einem Tag. Als ob man den Fernseher ausschaltet.Als wenn man eine Tür schließt und diese Tür nie nie wiederaufgemacht werden soll.“ [ff]

Kein Lächeln

und kein Händchenhalten

Reagan ist

scheiße!

Page 14: filmab! 2007 #4

fest Super Family

„Superfamily“ heißt also die Retrorockband aus Norwegen,die sich extra für unser kleines Filmkunstfest auf die Reisevon Skandinavien nach Schwerin begeben hat. Die Erwar-tungen? Natürlich hoch, nicht zuletzt durch die Beschrei-bung im Festivalkatalog, in dem „Superfamily“ mit dem

Seite 14

Sänger Steven verliert

sich in Extase.

Tanzende Skandinavier im EispalastPrädikat „next big thing“ versehen werden. Außerdem beginnen die Jungs ihr Set mit einer hal-ben Stunde Verspätung. Wir dürfen also gespannt sein. Plötzlich sieht man sieben kleine Menschen mit viel zu großen Köpfen auf den durchgestyltenOutfits die Bühne hochkrabbeln. Ja, wir sind gespannt. Als dann zwei identisch gekleideteBandmitglieder anfangen Tänze a la „Ok Go“ aufzuführen, herrscht zunächst Verwirrung, diejedoch schnell zu amüsierter Begeisterung überschweift. Ja, „Superfamily“ sind gut. Sehr gutsogar, wenn Sänger Steven Wilson mit seiner Stimme in immer höhere Tonlagen aufsteigt undsich dabei in einer Art Ekstase verliert. Sie schwebt praktisch über der gewaltigen Wand, dieKeyboard, Gitarren und die Stimmen der Ok-Go-Tänzer schaffen. Man möchte sich fast zuVergleichen mit „The Killers“ hinreißen lassen, die ähnliche Klangwelten mit kräftigem Gesangund Elektroelementen kreieren. Kurzum: Die Band gibt sich wirklich Mühe und bringt eine klas-se Show mit musikalischem Anspruch auf die Bühne. Doch leider gibt es genau zwei Störfak-toren, die den Siegeszug von „Superfamily“ verhindern: Die Location und das Publikum. Auchwenn vereinzelt zart Wippende in der Ecke des „Wurms“ zu erkennen sind, fehlt den meistender Mut, sich auf gute Musik einzulassen oder der Alkohol, um ihn zu wecken. Meine Sitz-nachbarin findet die passenden Worte: „Ganz schön spießig, hier so rumzusitzen“ und sie hatRecht. Wenigstens bleibt Sänger Wilson so genug Platz, seine extravaganten Spagateinlagenauf der Tanzfläche zu praktizieren. Doch dann geschieht das Wunder: Am Ende des zweiten Sets (die Leute schreien mittlerweileum Zugabe), startet die Band noch einen letzten Versuch das Publikum zum Tanzen zu verfüh-ren…mit Erfolg! [caw]

Page 15: filmab! 2007 #4

kunst Der gespiegelte Blick Seite 15

Das Selbst-portrait als Spiegel der Persönlichkeit

Das Selbstporträt ist das wohl persönlichste Werk, das ein Künstler von sichschaffen kann. Es bietet ihm Reflektionsfläche für Sehnsüchte, Gefühle,

Ängste oder Schmerzen. Frida Kahlo hatdas Selbstporträt in den Mittelpunkt

ihres künstlerischen Schaffensgestellt. Sie schlug damit eineBrücke vom Realen über die Phanta-

sie zum Ausdruck ihrer innerstenGedanken und Gefühle. Für sie wurde die surreale Welt

der Bilder zur Plattform ihres turbulenten Lebens. In ihren Bildern spie-gelt sich ihr Blick und mit ihm seelische wie körperliche Qualen, die sie in die-

ser Form auf keine andere Art auszudrücken vermochte. Frida Kahlo macht ihreKrankheit, Herkunft, Umwelt und ihren ständigen Identitätswechsel zum Bildgegen-

stand. Es sind bunte Bilder voller Ausdruckskraft und Klarheit. Kahlos Gesichtsaus-druck verändert sich dabei nicht; man sieht immer dieselben ernst blickenden Augen,die markant zusammen gewachsenen Augenbrauen, den berlippenbart. Auch dietraditionell mexikanische Tracht und Flechtfrisur, die Frida Kahlo zum Zeichenihrer indianischen Wurzeln trägt, finden sich immer wieder. Motive aus dem

exotischen Tier- und Pflanzenreich Mexicos, die einerseits den Kummer überihre Kinderlosigkeit kompensieren, andererseits ihre enge Beziehung zurNatur ausdrücken, bestimmen eine Vielzahl der Bilder. Es sind aber auch Blut,

menschliche Organe, tote Vögel, Metall-korsetts oder sich in ihre Hautbohrende Nägel, die sich mit den natürlichen Motiven zu brutal verstö-renden Kompositionen von unfassbarer Schönheit vereinen. „Der gespiegelte Blick -- Selbstportrait Frida Kahlo“ bezeugt dies auf eindrucks-volle Weise. Die Regisseurin Marita Loosen rückt hierbei nicht die Leidens-

geschichte, sondern die Kunst der bekanntesten Künstlerin Lateinamerikas in den Focus derAufmerksamkeit. Die Dokumentation ist eine Reise, in der sich lateinamerikanische Klängeund Kahlos großartiges Werk zu einem sinnlichen Abenteuer verflechten. [ack]

Page 16: filmab! 2007 #4

S p i e l f i l m w e t t b e w e r b

H o m m a g e H a n n e l o r e E l s n e r

L ä n d e r r e i h e N o r w e g e n

D o k f i l m - N e w s

N D R - S p e c i a l

14.30 Uhr Fallen von Barbara Albert 17.00 Uhr Jagdhunde von Ann-Kristin Reyels 22.30 Uhr Siegerfilm

22.45 Uhr Publikumssiegerfilm

13.00 Uhr Der Himmel stürzt ein von Gunnar Vikene 14.00 Uhr Genosse Pedersen von Hans Petter Moland

12.30 Uhr Du hast gesagt, dass du mich liebst von Rudolf Thome15.00 Uhr Die Unberührbare von Oskar Roehler17.00 Uhr Mein letzter Film von Oliver Hirschbiegel

17.15 Uhr Die Frau am Ende der Straße von Claudia Garde

15.30 Uhr Schattenväter von Doris Metz

12.00 Uhr Brennendes Herz von Manfred Stelzer 14.00 Uhr Spur der Hoffnung von Hannu Salonen 16.00 Uhr Hurenkinder von Andreas Kleinert 18.00 Uhr Die Frau am Ende der Straße von Claudia Garde20.00 Uhr Väter, denn sie wissen nicht was sich tut

von Hermine Huntgeburth

samstag, den 5. mai 2007

Capitol 5Capitol 5Capitol 4 Capitol 5

Capitol 3Capitol 3Capitol 4

Capitol 4Capitol 2

Capiol 4

Capitol 3

A b s c h l u s s v e r a n s t a l t u n g20:00 Uhr Verleihung des Ehrenpreises an Hannelore Capitol 1

sonntag, den 6. mai 2007

F o k u s N a h o s t

16.00 Uhr Reine Geschmacksache von Ingo Rasper Capitol 5

17.00 Uhr Aus dem Leben eines Taugenichts von Celino Bleiweiß19.30 Uhr Fahr zur Hölle, Schwester von Oskar Roehleranschließend Werkstattgespräch mit Hannelore Elsner

Capitol 2Capitol 2

11.30 Uhr Hamsun von Jan Troell15.30 Uhr Buddy von Morten Tyldum

Capitol 3Capitol 3 Capitol 3 Capitol 3 Capitol 3

11.15 Uhr Die Syrische Braut von Eran Rikilis 13.00 Uhr Schildkröten können fliegen von Bahman Ghobadi 17.30 Uhr Paradise Now von Hany Abu-Assad 19.00 Uhr Offside von Jafar Panahi

Capitol 4Capitol 5Capitol 2Capitol 4

K u r z f i l m r o l l e

14.30 Uhr Alle Filme des Wettbewerbs Capitol 4

F i l m a u s !22.00 Uhr Bobby von Emilio Estevez Capitol 4

17.00 Uhr Der rote Elvis von Leopold Grün 18.30 Uhr Too much Future - Ostpunk! Von Carsten Fiebeler

Capitol 4Capitol 4

Capitol 2Capitol 2

programm