Finanz- und Wirtschaftskrise: Staat gefordert – gar ... · – als Ersatzinvestor und -konsument...

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4 «Schweizer Arbeitgeber» 15 13. August 2009 Zahlreiche namhafte Exponenten aus Poli- tik und Wirtschaft sind überzeugt, dass heute nur der Staat im Stande ist, das Ver- trauen in den Markt zurück zu bringen. Die Privatwirtschaft sei zu stark geschwächt und teilweise zu kompromittiert für eine wirkungsvolle Reaktion. Entsprechend viel- gestaltig sind die Erwartungen an den Staat – als Garant für die Systemstabilität und die Liquiditätsversorgung der Märkte – als allwissender Regulator und Kontrol- leur sowie – als Ersatzinvestor und -konsument für die lahmende Privatnachfrage. Die weltweiten Staatseingriffe und Konjunk- turpakete zeigen, dass Regierungen und Zentralbanken auch tatsächlich reagiert haben. Und zwar schneller und in einem unvergleichlich grösseren Ausmass als je zuvor. Teilweise derart, dass auch noch das Vertrauen in den Staat verloren zu gehen droht. Der Internationale Währungsfonds (IWF), dessen grösstes Problem noch bis vor gut einem Jahr fehlende Zinseinnah- men aus ausstehenden Krediten war, sieht sich heute mit einer explodierenden Kre- ditnachfrage konfrontiert. Seit Mitte 2008 wurden neue Programme für 19 Länder ge- sprochen. Mehrere Anfragen von Ländern in Schieflage liegen vor. Auf Grund dieser Nachfrage nach Programmkrediten steht nun eine markant höhere Ressourcenaus- stattung des IWF in Diskussion. Bedeutung und Struktur des schweizerischen Finanzsektors Dem Finanzsektor kommt innerhalb der schweizerischen Volkswirtschaft bezüg- lich Wertschöpfung, Beschäftigung, Steu- eraufkommen und Aussenwirtschaftsbeitrag eine Schlüsselrolle zu. Die Wertschöpfung des Finanzsektors betrug 2006 annähernd 12 % unseres Bruttoinlandprodukts. Die- ser Anteil ist seit Mitte der 1990er-Jahre kontinuierlich gestiegen. Der Finanzsektor steuert über einen Viertel zum Ertrags- bilanzüberschuss der Schweiz bei und leis- tet rund 11 % des landesweiten Steuer- aufkommens der Einkommens- und Un- ternehmenssteuern auf allen Staatsebenen. Rund 6 % der Arbeitskräfte der Schweiz – dies entspricht auf Vollzeitbasis gegen 200 000 Mitarbeitenden – sind im Finanz- bereich beschäftigt. Davon arbeiteten Mitte Juni 2008 allein gut 120 000 bei Schweizer Banken. Neben diesen direkten volkswirtschaft- lichen Effekten kommt dem Finanzsektor zudem eine entscheidende Transmissions- funktion zur Realwirtschaft zu. Indem die Finanzbranche für eine effiziente Kapital- und Risikoallokation sowie eine ausrei- chende Kreditversorgung sorgt, schafft sie die Voraussetzung dafür, dass die Volks- wirtschaft ihr Wachstumspotenzial voll aus- schöpfen kann. Die Wichtigkeit dieser Transmissionsfunktion wird einem dann umso bewusster, wenn sie nicht mehr stö- rungsfrei funktioniert. Peter Siegenthaler, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung Finanz- und Wirtschaftskrise : Staat gefordert – gar überfordert ? In einem Referat vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft ging der Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Peter Siegenthaler, der im Titel gestellten Frage nach. Er beleuchtete dabei die Bedeutung des Finanzsektors für die Schweiz, die Gründe und die erforderlichen Therapieansätze zur Lösung der Krise sowie das umfangreiche Massnah- menpaket des Bundes zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems. (1) Peter Siegenthaler Der Autor schloss 1973 seine Studien an der Universität Bern als Ökonom ab. 1982 trat er in die Eidgenössische Finanzverwaltung ein, wurde 1985 Chef der Sektion Finanzplanung, Bud- get, Rechnung und wechselte 1987 als Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft ins damalige Bundesamt für Orga- nisation. 1989 kehrte er als Vizedi- rektor in die Eidgenössische Finanz- verwaltung zurück und wurde 1993 stellvertretender Direktor. Seit 2000 ist Peter Siegenthaler Chef der Eidge- nössischen Finanzverwaltung. Bild: Eidgenössische Finanzverwaltung (1) Gekürzter Text, Auszeichnungen von der Redaktion.

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4 «Schweizer Arbeitgeber» 15 13. August 2009

Zahlreiche namhafte Exponenten aus Poli-tik und Wirtschaft sind überzeugt, dass heute nur der Staat im Stande ist, das Ver-trauen in den Markt zurück zu bringen. Die Privatwirtschaft sei zu stark geschwächt und teilweise zu kompromittiert für eine wirkungsvolle Reaktion. Entsprechend viel-gestaltig sind die Erwartungen an den Staat– als Garant für die Systemstabilität und

die Liquiditätsversorgung der Märkte– als allwissender Regulator und Kontrol-

leur sowie– als Ersatzinvestor und -konsument für

die lahmende Privatnachfrage.

Die weltweiten Staatseingriffe und Konjunk-turpakete zeigen, dass Regierungen und Zentralbanken auch tatsächlich reagiert haben. Und zwar schneller und in einem unvergleichlich grösseren Ausmass als je zuvor. Teilweise derart, dass auch noch das Vertrauen in den Staat verloren zu gehen droht.

Der Internationale Währungsfonds (IWF), dessen grösstes Problem noch bis vor gut einem Jahr fehlende Zinseinnah-men aus ausstehenden Krediten war, sieht sich heute mit einer explodierenden Kre-ditnachfrage konfrontiert. Seit Mitte 2008 wurden neue Programme für 19 Länder ge-sprochen. Mehrere Anfragen von Ländern in Schieflage liegen vor. Auf Grund dieser Nachfrage nach Programmkrediten steht nun eine markant höhere Ressourcenaus-stattung des IWF in Diskussion.

Bedeutung und Struktur des schweizerischen FinanzsektorsDem Finanzsektor kommt innerhalb der schweizerischen Volkswirtschaft bezüg-lich Wertschöpfung, Beschäftigung, Steu-eraufkommen und Aussenwirtschafts beitrag eine Schlüsselrolle zu. Die Wertschöpfung des Finanzsektors betrug 2006 annähernd 12 % unseres Bruttoinlandprodukts. Die-ser Anteil ist seit Mitte der 1990er-Jahre kontinuierlich gestiegen. Der Finanz sektor steuert über einen Viertel zum Ertrags­bilanzüberschuss der Schweiz bei und leis-tet rund 11 % des landesweiten Steuer-aufkommens der Einkommens- und Un-ternehmenssteuern auf allen Staatsebenen. Rund 6 % der Arbeitskräfte der Schweiz – dies entspricht auf Vollzeitbasis gegen 200 000 Mitarbeitenden – sind im Finanz-bereich beschäftigt. Davon arbeiteten Mitte Juni 2008 allein gut 120 000 bei Schweizer Banken.

Neben diesen direkten volkswirtschaft-lichen Effekten kommt dem Finanzsektor zudem eine entscheidende Transmissions­funktion zur Realwirtschaft zu. Indem die Finanzbranche für eine effiziente Kapital- und Risikoallokation sowie eine ausrei-chende Kreditversorgung sorgt, schafft sie die Voraussetzung dafür, dass die Volks-wirtschaft ihr Wachstumspotenzial voll aus-schöpfen kann. Die Wichtigkeit dieser Transmissionsfunktion wird einem dann umso bewusster, wenn sie nicht mehr stö-rungsfrei funktioniert.

Peter Siegenthaler, Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung

Finanz- und Wirtschaftskrise : Staat gefordert – gar überfordert ?

In einem Referat vor der Zürcher Volkswirtschaftlichen Gesellschaft ging der Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Peter Siegenthaler, der im Titel gestellten Frage nach. Er beleuchtete dabei die Bedeutung des Finanzsektors für die Schweiz, die Gründe und die erforderlichen Therapieansätze zur Lösung der Krise sowie das umfangreiche Massnah­menpaket des Bundes zur Stärkung des schweizerischen Finanzsystems. (1)

Peter SiegenthalerDer Autor schloss 1973 seine Studien an der Universität Bern als Ökonom ab. 1982 trat er in die Eidgenössische Finanzverwaltung ein, wurde 1985 Chef der Sektion Finanzplanung, Bud­get, Rechnung und wechselte 1987 als Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft ins damalige Bundesamt für Orga­nisation. 1989 kehrte er als Vizedi­rektor in die Eidgenössische Finanz­verwaltung zurück und wurde 1993 stellvertretender Direktor. Seit 2000 ist Peter Siegenthaler Chef der Eidge­nössischen Finanzverwaltung.

Bild: Eidgenössische Finanzverwaltung

(1) Gekürzter Text, Auszeichnungen von der Redaktion.

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Selbstverständlich hat der hohe Stellen­wert des Finanzsektors auch seine Kehr­seiten. Ins Gewicht fällt dabei vor allem seine ausgeprägte Volatilität, die im Ab­schwung die restliche Wirtschaft stark in Mitleidenschaft ziehen kann.

Der Finanzsektor ist breit angelegt und gut diversifiziert. Und trotzdem besteht so etwas wie ein «Swiss Problem»: die systemische Bedeutung unserer beiden Gross-banken. Kennzahlen zum Marktanteil von UBS und CS sind eindrücklich: über 40 % der inländischen Depositen und annähernd 40 % der inländischen Kredite. Gemessen an der Bilanzsumme beträgt ihr Anteil am gesamten Sektor zusammen rund 80 % oder das Achtfache des BIP. Wenn auslän­dische Kollegen gelegentlich von «The Swiss Problem» sprachen, klang meist im Unterton etwas Neid mit und wir waren immer etwas stolz auf dieses Problem. Die aktuelle Krise hat uns nun aber in aller Klarheit gezeigt, dass es sich hierbei nicht um ein Luxusproblem handelt, sondern uns in unserer Verantwortung stark for­dert.

Die Wechselwirkung zwischen Finanz­platz und Werkplatz ist gross und überwie­gend positiv korreliert. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir uns über begangene Fehler und Missstände auslassen.

Ursachen der FinanzkriseDie geraffte Auflistung der wichtigsten Ursachen erfolgt mit dem Hintergedan­ken, dass sich aus der Ursachenanalyse auch die Therapievorschläge ableiten las­sen.

Die Finanzkrise kann nicht einfach als Unfall abgetan werden. Sie ist vielmehr das Ergebnis eines längeren Prozesses des Ri­sikoaufbaus.

Bei der Ursachenanalyse müssen zwei Fragestellungen unterschieden werden:

1. Welches sind aus ökonomischer Sicht die Ursachen, die zum Aufbau der gro­ssen Risiken geführt haben?

2. Wieso haben die Verantwortlichen nicht frühzeitig eingegriffen?

1. Ursachen aus ökonomischer SichtBei den ökonomischen Ursachen gilt es zu unterscheiden zwischen solchen, die den Aufbau unverhältnismässiger Risiken ermöglicht haben, und solchen, welche die rasche Ausbreitung der Krise begüns­tigt haben.

Zentral für die Bildung der Preisblase vorab im amerikanischen Immobilienmarkt waren sicherlich die makroökonomischen Rahmenbedingungen. Die jahrelange Tief­zinsphase fiel zusammen mit einer Periode, in der wir das höchste Weltwirtschafts­wachstum seit drei Jahrzehnten verzeich­neten. Dies war ein ausgezeichneter Nähr­boden für das Eingehen unverhältnis­mässiger Risiken. Oder wie es der IWF ausdrückt:

7 Jahre hohes Wachstum, tiefe Inflation und tiefe Zinsen waren die Quelle eines grenzenlosen Optimismus. In diesem Sinne ist die gegenwärtige Krise keine vorüber­gehende Unterbrechung des Wirtschafts­wachstums, sondern dessen Ergebnis.

Der grenzenlose Optimismus bildete zu­gleich beste Voraussetzungen, um sich hoch zu verschulden. Dies reflektierte sich spe­ziell in den USA in einer sehr tiefen Spar­quote. Dass gleichzeitig Ersparnisse aus grossen asiatischen Ländern und den Erd­ölproduzenten in grossem Stil in die USA flossen, begünstigte die Überhitzung des dortigen Immobilienmarkts zusätzlich. Ähn­liche Blasen verzeichneten aber auch ei­nige europäische Länder wie Grossbritan­nien oder Spanien.

Auf Grund der tiefen Zinsen und des rasch zunehmenden Vermögens begann unter Investoren eine beispiellose Suche nach Rendite. Sie wurde durch technologi­schen Fortschritt und Finanzinnovationen zusätzlich begünstigt. Namentlich im Immo-

bedeutung des bankensektors

Quelle: BAk Basel Economics/Die Volkswirtschaft

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bilienmarkt erlaubte die Verbriefung von Hypotheken einer Bank, die Risiken in Form von strukturierten Wertpapieren weiter zu geben. Weder die Hypothekenvermittler noch die Banken als Geldgeber hatten somit einen Anreiz, die Gegenpartei auf ihre Kre-ditwürdigkeit zu überprüfen. Die lange Phase scheinbar risikoloser Erträge führte dazu, dass Marktteilnehmende elementare Sorgfaltspflichten vernachlässigten.

Zur ökonomischen Ursachenforschung gehört auch die Frage, weshalb sich die Krise in einem relativ kleinen, regional klar abgrenzbaren Markt derart rasch und welt-weit ausbreiten konnte. Eine erste Gruppe von Brandbeschleunigern ist in Mängeln des Risikomanagements bei den Banken zu su-chen. Bei der zweiten stehen regulatorische Rahmenbedingungen im Vordergrund, die prozyklisch wirken, d.h. eine bereits in Gang gesetzte Abwärtsbewegung verstärken.

Zuerst zum Risikomanagement der Ban-ken, bei dem auf verschiedenen Ebenen Fehler begangen wurden. – Erstens war die Risikoexposition durch

Anlagen in strukturierte Produkte zu gross. Die Banken haben ob der fehlen-den Transparenz der Finanzinstrumente die Risiken nicht erkannt oder nicht er-kennen wollen. Sie haben sich vollstän-dig auf Modellrechnungen, die auf his-torischen Werten basieren, verlassen. Schliesslich wies eine Mehrheit der struk-turierten Produkte ein AAA-Rating auf, was sich als trügerische Beruhigungspille herausstellte.

– Zweitens wiesen die betroffenen Banken zur Erhöhung der Eigenkapitalrendite einen hohen Verschuldungsgrad auf. Die-ser war bei gewissen Banken mit jenem eines Hedge Funds vergleichbar. Dies bedeutet, dass im Falle von Turbulenzen der Puffer zu klein war, um die Verluste zu absorbieren.

– Drittens haben die Banken das Risiko kurzfristig ausgerichteter und zu gross-zügig dotierter Vergütungssysteme über-sehen. Wo reines Volumen belohnt wird, wird dieses auch generiert.

Diese drei Punkte führten zu einer mar-kanten Schwächung einer Grosszahl syste-mischer Banken mit entsprechenden Fol-gen für das ganze Finanzsystem.

Zur Beschleunigung der Abwärtsspirale mit beigetragen hat als Zweites auch die Regulierung, die in mehrfacher Hinsicht prozyklisch gewirkt hat. So z. B.– die restriktiven Voraussetzungen für die

Bildung von Rückstellungen für Kredit-verluste

– die ausschliesslich risikobasierten Eigen-kapitalvorschriften sowie

– gewisse Bewertungsregeln.

Das Financial Stability Forum hat bezüg-lich dieser problematischen Elemente des Regelwerks bereits Reformempfehlungen erarbeitet.

2. Zu spätes Eingreifen der VerantwortlichenZur Verantwortung für das späte Eingrei-fen: Dabei muss vor zu einfachen Antwor-ten gewarnt werden. Selbstverständlich haben die obersten Organe grosser inter-nationaler Banken versagt, teilweise getrie-ben durch eine ungezügelte Geldgier.

Die Verantwortung ist aber wohl viel brei-ter verteilt. Sie schliesst die verschiedenen involvierten Behörden (Regierungen und Verwaltungen, Notenbanken und Aufsichts-behörden), aber auch die Aktionäre und grosse Teile der Ökonomenzunft mit ein.

Letztlich wirft dieses kollektive Versagen äusserst interessante politökonomische Fragen auf, die noch zu vertiefen sein wer-den. Hier nur soviel: Die mit der zurück-

liegenden Boomphase verbundenen Risi-ken waren bestens bekannt, die Problema-tik der weltweiten Ungleichgewichte und der Zwillingsdefizite der USA war ein Ge-meinplatz, die Überhitzung verschiedener Immobilienmärkte war augenfällig, die län-gerfristige Unhaltbarkeit der hoch getriebe-nen Renditeerwartungen und der gleich-zeitigen Verschuldung von Bankinstituten und privaten Haushalten konnte kaum be-stritten werden. Und trotzdem gingen ver-schiedene Finanzinstitute bis Mitte 2007 noch immer mehr ins Risiko, während Be-hörden, Aktionäre und die breitere Öffent-lichkeit tatenlos zuschauten.

Das Verhalten gewisser Banken und Versicherungen kann wohl ansatzweise mit einem durch unvernünftige Entschä-digungssysteme verstärkten Herdentrieb erklärt werden. Die Zurückhaltung der Be-hörden und der interessierten Öffentlich-keit kommt dem Phänomen einer Schwei-gespirale zumindest nahe: Wir liessen uns beim Tanz um das goldene Kalb ungern durch kritische Fragen stören. Als die Schweizerische Nationalbank in ihren Be-richten zur Finanzstabilität erstmals die erhöhte Risikoneigung der beiden Gross-banken kommentierte, gab es meines Wis-sens nur eine nennenswerte Reaktion: Ein geharnischtes Schreiben vom Paradeplatz. Heute wird das von der Finma verfügte neue Eigenmittelregime für systemrelevante Banken allseits gerühmt. Ohne Verschär-fung der Finanzkrise wäre sein Schicksal wohl mehr als ungewiss gewesen.

Massnahmenpaket zur Stärkung des FinanzsystemsIm Herbst 2008 verschärfte sich die Lage an den Finanzmärkten massiv. Fanal war dabei sicherlich der Konkurs von Lehmann Bro-thers Mitte September 2008. Zahlreiche Länder schnürten ausserordentliche Unter-

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stützungs- und Rettungspakete. Je nach den spezifischen Strukturen und Problemen des eigenen Banksektors wurde dabei das Schwergewicht der Unterstützung unter-schiedlich angesetzt und teilweise nach kurzer Zeit wieder korrigiert und ergänzt.

Im Nachhinein hat es sich erwiesen, dass eine Stabilisierung nur dann gelingt, wenn die Massnahmen die beiden Haupt-probleme der in Mitleidenschaft gezoge-nen Bankbilanzen adressierten:– die Stärkung der zu schwachen Eigen-

mittel sowie– die Entlastung der Aktivseite vom Ab-

schreibungsdruck durch illiquide An-lagen.

In den meisten betroffenen Ländern wurde zudem versucht, die verstopften Kredit-kanäle durch Staatsgarantien auf Bankan-leihen wieder zum Fliessen zu bringen. Mit einem massiven Einsatz an staatli-chen Mitteln– wurden 1,3 Bio. $ für Rekapitalisierun-

gen bereit gestellt– sind 3,1 Bio. $ für die Bereinigung der

Aktivseite vorgesehen und– wurden 9,2 Bio. $ Staatsgarantien für

Bankfinanzierungen gesprochen.(2)

Damit gelang eine Stabilisierung, bis heute aber nicht eine Gesundung des weltwei-ten Finanzsystems.

Am 15. Oktober 2008 beschloss der Bun-desrat zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank und der Eidgenössischen Bankenkommission ein umfangreiches Massnahmenpaket zur Stärkung des schwei-zerischen Finanzsystems. Die Behörden stützten sich dabei auf gründliche Vorarbei-ten ihrer Stäbe. Entscheidend für die Aus-

gestaltung des Massnahmenpakets war die Tatsache, dass neben einzelnen Versiche-rungen einzig die beiden Grossbanken nam-haft von Wertverlusten auf strukturierten Produkten betroffen waren – die CS weniger als die UBS. Kantonalbanken, Regionalban-ken, Privatbanken sowie auch die meisten Auslandbanken erwiesen sich als äusserst solide und konnten für 2008 teilweise Re-kordergebnisse erwarten.

Das Massnahmenpaket umfasste damit im Wesentlichen drei Massnahmen:– die Stärkung und Bereinigung der Bilanz

der UBS– die Verstärkung des Einlegerschutzes

und– die Verschärfung der Eigenmittelvor-

schriften für die beiden Grossbanken mit schrittweiser Einführung bis 2013.

Alle drei Massnahmen sind darauf ausge-richtet, das angeschlagene Vertrauen in Fi-nanzmärkte und -institute wieder herzu-stellen. Die Stützungsmassnahmen für die UBS tragen der Systemrelevanz dieser Gross-bank Rechnung: ihrer zentralen Rolle in den inländischen Depositen- und Kredit-märkten, im Interbankenmarkt und bei der Unternehmensfinanzierung.

Der volkswirtschaftliche Schaden einer Destabilisierung der UBS wäre derart gravie-rend gewesen, dass der massive Einsatz öf-fentlicher Mittel unausweichlich war. Davon bin ich auch heute felsenfest überzeugt.

In zwei Punkten hat die bundesrätliche Botschaft Anschlussarbeiten in Aussicht ge-stellt:– Im Bereich des Einlegerschutzes soll im

Rahmen einer zweiten Reformetappe der

massnahmen zur Stützung der Konjunktur

Das Stabilisierungskonzept des Bundesrats sieht ein Vorgehen in Stufen vor. Mit den Stufen 1 und 2 wurden die geplanten Ausgaben des Bundes im jahr 2009 um insge-samt 1,1 Mrd. Fr. erhöht. Darüber hinaus hat der Bundesrat die Arbeitsbeschaffungs-reserve im umfang von 550 Mio. Fr. freigegeben, die Leistungen der Exportrisikover-sicherung befristet ergänzt und die kurzarbeitszeit von 12 auf 18 Monate verlängert. Angesichts der nochmaligen Verschlechterung der Wirtschaftsprognosen hat er im juni 2009 eine dritte Stufe von Massnahmen ausgelöst. Sie sollen 2010 ihre Wirkung entfalten. Im Zentrum steht die Ergänzung der Leistungen der Arbeitslosenversiche-rung zur Abfederung der steigenden Arbeitslosigkeit (insbesondere jugend- und Lang-zeitarbeitslosigkeit). Daneben hat der Bundesrat einen Sonderbeitrag zur Verbilligung der krankenkassenprämien von 200 Mio. Fr. genehmigt. Zusammen mit der Entlas-tung der Wirtschaft durch die frühzeitige Inkraftsetzung der MwSt-reform und den früher beschlossenen Sofortmassnahmen bei der Ehepaarbesteuerung geht vom Bun-deshaushalt 2010 ein Impuls 2010 von 1,4 Mrd. Fr. aus. Zusammen mit den von den kantonen gemeldeten Massnahmen sowie der automatischen Stabilisierung durch die Arbeitslosenversicherung erhöht sich der Impuls auf rund 8 Mrd. Fr. für 2009 bzw. 7,4 Mrd. Fr. für 2010 (1,5 % bzw. 1,4 % des BIP).

Die rezession ist nicht hausgemacht, sondern kommt von einem Einbruch der Weltwirt-schaft. Exporte kann man mit finanzpolitischen Massnahmen nicht stützen. Ziel der Mass-nahmen kann nicht eine Schliessung der nachfragelücke sein. Dies würde einen Impuls von über 15 Mrd. Fr. erfordern. realistischerweise müssen wir uns damit begnügen, den Abschwung abzufedern. Infrastrukturprojekte in Milliardenhöhe können weder rasch genug ausgelöst noch zeitlich auf die Dauer des Abschwungs befristet werden. Steuer-senkungen im grossen umfang versickern zum wesentlichen teil in der Ersparnis, reis-sen grosse Löcher in den Haushalt und sind nur schwerlich zu befristen. Hier sollten die in Vorbereitung befindlichen Steuerreformen (Entlastung der Familien, Ausgleich der kalten Progression und unternehmenssteuerreform III) Vorrang haben. Peter Siegenthaler

(2) Quelle: Internationaler Währungsfonds IWF (ak-tualisiert am 11. Juni 2009).

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sind Voraussetzungen für neue Wachstums­perspektiven zu schaffen.

Die Krise eröffnet auch Chancen für die Schweiz im internationalen Standortwett-bewerb, ist doch unsere Ausgangslage in mehrfacher Hinsicht gut (keine binnenwirt-schaftlichen Ungleichgewichte, keine Preis-blase im Immobilienmarkt u. a. m.).

In der Finanzpolitik kann eine kurzfris­tige Neuverschuldung hingenommen wer-den. Wichtig bleibt die möglichst rasche Rückkehr auf den Pfad der Tugend, der durch die Schuldenbremse vorgezeichnet ist. Die Herausforderungen werden nicht klein sein, sowohl auf der Einnahmen- als auch auf der Ausgabenseite. Einnahmen-seitig kümmern uns weniger die kurzfris-tigen, konjunkturell bedingten Minderein-nahmen. Grössere Sorgen bereitet uns die Aussicht, dass gewisse Einnahmen, insbe-sondere aus dem Finanzsektor, strukturell weggebrochen sein könnten. Ausgabensei-tig stehen in erster Linie die mit der demo­grafischen Entwicklung verbundenen Fi-nanzierungsprobleme in den Bereichen Al-ters- und Gesundheitsvorsorge bevor. Wir tun deshalb gut daran, wenn wir diese ge-waltigen Herausforderungen nicht mit einer zu hohen öffentlichen Schuld in Angriff nehmen. n

Peter Siegenthaler

Institute. Vermehrte Aufmerksamkeit muss den Anreizen geschenkt werden. Ziel kann nicht die formelle Einhaltung von Stan-dards sein, sondern der Sinn und Geist einer Regel.

Erheblichen Klärungsbedarf haben wir noch im Bereich der systemischen Risiken, und zwar sowohl inhaltlich als auch insti-tutionell. Die bis anhin auf der politischen Bühne vorgelegten Rezepte vermögen nicht zu überzeugen. Ziel muss die Begrenzung von Risiken und nicht die Zerschlagung von Unternehmen sein.

Bei der Übertragung neuer Aufgaben und Rollen an den Staat sollte möglichst Zu­rückhaltung geübt werden. Er kann nicht dauerhaft gleichzeitig Bankier, Regulator, Aufseher, Garant und Wirtschaftsmotor sein. Hier bestehen manifeste Zielkonflikte. Seine wichtigsten Aufgaben sind weiterhin die der Regulierung und Gewährleistung. Erweist sich ein darüber hinausgehendes staatliches Engagement trotzdem als un-ausweichlich, muss die Exitstrategie von Anfang an mitgedacht werden.

Im Finanzbereich werden in den kom-menden Jahren international die Karten neu verteilt. Es wird eine vornehme Auf-gabe des Staates sein, die Rahmenbedin-gungen so zu gestalten, dass einerseits eine Wiederholung der aktuellen Krise möglichst ausgeschlossen werden kann. Anderseits

Hauptmangel des heutigen Systems, die Ex-post-Finanzierung der Einlagensi-cherung, behoben werden. Eine diesbe-zügliche Vorlage ist in Bearbeitung.

– Was die längerfristige Refinanzierung der Banken betrifft, werden in Anlehnung an bestehende ausländische Programme Ga-rantielösungen für neue Bankverbind-lichkeiten geprüft. Es besteht zurzeit nicht die Absicht, dem Parlament eine entsprechende Vorlage zu unterbreiten.

Fazit – Staat nicht überfordernDie aktuelle Finanz- und Wirtschaftskrise fordert den Staat. Damit wir ihn nicht über-fordern, sollten wir Folgendes beachten: Die Krise ist eine Vertrauenskrise. Dem En-gagement der Staaten sind damit Grenzen gesetzt. Überschreiten wir sie, geht auch das Vertrauen in den Staat verloren. Dass dies keine theoretische Befürchtung ist, zeigt der Kapitalmarkt mit den Risikoaufschlägen für Anleihen verschiedener Staaten.

Im Finanzsektor wird die staatliche Re­gulierung dauerhaft verstärkt werden müs-sen. Von einer Mikrosteuerung sollten wir aber absehen. Entscheidend sind die Vor-schriften betreffend Eigenmittel, Liquidität und Transparenz sowie ein glaubwürdiger Einlegerschutz. Zwingend zu verstärken ist ebenfalls die internationale Zusammen-arbeit bei der Aufsicht über global tätige

Schuldenentwicklung mit Schuldenbremse

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2000

Einführung Schuldenbremse

Bruttoschulden des Bundes(in Mrd. Fr.; linke Skala)

Bruttoverschuldungsquote(in % des BIP; rechte Skala)

T h e m a konjunktur